Ludwig Ganghofer
Der Dorfapostel
Ludwig Ganghofer

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Elftes Kapitel

Es ging auf den Abend zu.

In den gelben Lüften war ein Glanz, daß die weißen Mauern in Hanspeters Kammer einen Widerschein gaben, als wäre des Nachbars Scheune in Brand geraten.

Obwohl es kühl war in der Stube, schwitzte Hanspeter. Die Kammer hatte keinen Ofen. Aber hätte sie einen gehabt und hätte man eine ganze Klafter ins Schürloch gefeuert, von der glühenden Ofenplatte wäre dem Hanspeter nicht so heiß geworden wie vom Denken. In dieser Hitze hatte sich etwas ausgekocht; das hatte schon feste Gestalt, hatte Mauern und Fenster, hatte Dach und Ofen.

Fieberte Hanspeter? Oder war es – wie ein Verschmachtender ganze Meere von Milch und Wasser sieht – nur seine Hilflosigkeit, welche Wunschträume in ihm gären ließ, die über alle Grenzen der Möglichkeit hinaussprangen? Er hatte keinen anderen Gedanken mehr als nur den einen: irgendwo einen Grund zu kaufen und selber ein Haus zu bauen, das drei Stuben haben mußte. Diese Stuben verteilte er, wie der heilige Petrus die Laubhütten. Nur daß es beim Hanspeter hieß: »Die größte Stub für d' Mutter Nannimai und ihr Häuslzeug, die sonnseitige für d' Ilsabeth und die schlechteste für mich.«

Einen schönen Grund für Hans und Garten kauft man für vier-, fünfhundert Mark. Und ein Haus mit drei Stuben und einer Küche baut man für zwölf- oder fünfzehnhundert. Alles in allem zweitausend. Das ist nicht viel. Nur haben muß man's. »O Jegott mein, wo nimm ich's denn her?«

Borgen? Dieser Gedanke kam dem Hanspeter nicht. Verdienen? Das dauerte zu lang. Finden? Da muß man's wieder hergeben. Aber Glück haben? Und zweitausend Mark in der Lotterie gewinnen? »Mit des lieben Herrgotts Beistand und gütiger Hilf?« Bei diesem Gedanken machte Hanspeter über allen Abgrund des Tages einen verzweifelten Sprung. »Jetzt sind s' amal, d' Leut, wie er s' gmacht hat. Jetzt muß er d' Leut tun lassen, wie s' mögen. Belohnigen und strafen kann er. Aber sonst muß er s' gehn lassen. Und gschieht ebbes, wo d' Leut a Wörtl dreinz'reden haben, da muß er zuschauen. Drum hat er net helfen können in der Häuslfrag, weil da d' Ausschußmannder zum Dispatieren haben. Aber 's Glück is ebbes, wo d' Leut nix wissen davon und wo d' Leut net schaden können. Da hilft er, ja, da hab ich mei' Zuversicht!«

Diese Erleuchtung fuhr dem Hanspeter wie ein heißes Bügeleisen über die Seele. Deutlich, zum Greifen deutlich, sah er auch gleich drei Nummern in der dunklen Luft seiner Stube glänzen. Niemals noch in seinem Leben hatte er einen Pfennig in die Lotterie gesetzt. Aber jetzt! Das hatte ihm der liebe Gott eingegeben. Die Nummern im Glücksspiel kommen, wie Gott will. Da können die Menschen nichts ändern dran. Und über die richtigen Nummern gab's für den Hanspeter keinen Zweifel mehr. Und morgen, am Montag, in aller Gottesfrühe marschiert die Spielbötin nach Kufstein.

Hanspeter sprang aus dem Bett. Ein Schwindel überkam ihn, daß er sich am offenen Fensterflügel festhalten mußte, um nicht zu fallen. Erst nahm er aus dem Kasten das Beutelchen mit den zweiundfünfzig Mark, die sein ganzer Reichtum waren. Dann zog er sich an. Die Joppe konnte er nicht zuknöpfen, weil der Verband seine Brust um vieles dicker machte. Den Hut vergaß er. Und mit taumelnden Schritten durch die Scheune hinaus in den dunklen Abend.

Am stahlblauen Himmel Stern um Stern. Sie glitzerten so unruhig, als käme Föhnwetter. Und über die südlichen Berge schoben sich auch schon dichtgeballte, blauschwarze Wolken herauf. Hanspeter blickte zum Himmel empor. Er sah nicht die Wolken, nur die Sterne. »Gelt, ja?«

Bis er auf die Straße kam, das machte sich langsam. Immer wieder mußte er rasten. Doch mit jedem Schritte schien der ›Gsund‹ in ihm zu wachsen. Ihn heilte seine Hoffnung, seine Zuversicht.

Weit draußen, fast am Ende des Dorfes, wohnte die Spielbötin, die sich jeden Montag auf die Beine machte, um die ausgemünzte Hoffnung der Leichtsinnigen und Armen über die Grenze nach Kufstein zu tragen, für die Innsbrucker Ziehung. Viel Geld war's, das sie hinübertrug. Selten brachte sie was zurück.

Als Hanspeter in die niedere Stube trat, in der sein gebeugter Nacken fast an die Decke stieß, saß die Bötin mit einer Flickerei bei der Lampe. »Ah, schau, der Ratzenspeckl!« Sie schien an diesen neuen Kunden gar nicht glauben zu wollen. »Hast dich wieder aussigmacht aus'm Kreister?«

»A bißl, ja.«

»Was suchst denn bei mir?« Sie lachte. »Wirst mir doch net predigen wollen?«

»Na na!«

»Was willst denn?«

»Setzen halt.«

»Jetzt fallt 's Kirchendach ein!« Kichernd erhob sie sich und holte ihr Spielbuch, um die Hoffnung und Zuversicht des Peter Johannes Zdazilek schwarz auf weiß zu registrieren. Auf dem Tische stellte sie das Tintenglas zurecht, kratzte den Schorf von der Feder und tauchte ein. »Also? Was für Nummero hast?«

»Nummer eins und Nummer dreizehn und Nummer neunzig.«

Ehe die Bötin schrieb, guckte sie am Hanspeter hinauf. »Katzenfleckerl, dös sind drei Nummern, die sich a bißl hart aussiziehen. Derzeit ich denk, sind s' noch net dagwesen.«

Hanspeter drückte den Finger auf die Tischplatte. »Jetzt kommen s' aber. Schreib auf! Nummer eins hat unser Herrgott, d' Lieb hat Nummer dreizehn, und die höchste Not hat Nummer neunzig.«

»No ja, wie d' meinst!« Die Bötin schrieb. »Und wieviel willst setzen? Zwanzg Pfennig ebba?«

»Fufzg Markln!«

Die Bötin war starr. »Bist narret, Buckleter?«

Ohne zu antworten öffnete Hanspeter mit zitternden Händen den strotzenden Lederbeutel und zählte der Spielbötin das Silber auf den Tisch.

Sie schüttelte den Kopf, schrieb die Ziffern ein und sagte: »A Markl krieg ich Prozenti für'n Weg.«

Hanspeter zahlte. »Und kommen s', d' Nummero, was tat ich denn ebba kriegen?«

»Kommt eine bloß, so zahlen s' dich siebenmal aus, macht dreihundertfufzg Markln.«

Er schüttelte den Kopf.

»Kommen alle drei, so zahlen s' viertausendmal. Buckleter, da kannst den Waldhof kaufen und 's halbe Dorf dazu.«

Erschrocken wehrte Hanspeter mit der Hand. »Na na! Soviel mag ich net. Mehr, als einer braucht, soll er vom lieben Herrgott net verlangen.«

»Machst bloß an Ambo auf zwei Nummern, so zahlen s' vierzgmal, macht zweitausend grad aus.«

»Jetzt haben wir's!« Hanspeter atmete auf. »Eine von die Nummero kannst streichen. Ja. Und streich halt d' Lieb! Der Dreizehner is eh a bißl a heikligs Ziffer. Also, Nummer eins und Nummer neunzig! Fufzg Markln auf'n Herrgott und auf d' höchste Not! Schreib auf!«

Die Bötin füllte den Spielschein aus. »Da! Den mußt aufheben!«

»Ah ja!« Mit glänzenden Augen sah Hanspeter den Zettel an. Was er sah, war ein Haus mit Dach und Fenstern, die Freude der Nannimai und das Glück der Ilsabeth. Vorsichtig faltete er das Blättchen zusammen und legte es zu der letzten einsamen Mark in den hohlgewordenen Beutel. »Bist an arms Weibl, Bötin! Laß dir raten und tu mitsetzen!«

»Kunnt schon sein, daß ich setz!« Prüfend betrachtete die Bötin den Hanspeter, besann sich ein Weilchen und schrieb zwei Nummern in das Spielbuch. »So! Probieren wir's amal! So ebbes gschieht net alle Täg. Gut Nacht, Buckleter!«

»Wann kommen s' denn aussi, die Nummero?«

»Über acht Täg.«

»Gottsliebe Nacht, Bötin!« Bei der Türe tauchte Hanspeter zwei Finger in das Weihbrunnkesselchen und besprengte sich.

Als er ins Freie trat, war schon der halbe Himmel schwarz, und ein schwül blasender Wind zog über die Berge nieder. »Jetzt schlagt's um!« Er meinte das Glück, nicht das Wetter.

Und das mußte die Nannimai noch wissen. Freilich durfte er dem lieben Herrgott nicht aus der Werkstätte schwatzen, denn ein Wunder erleben, das ist eine Vertrauenssache. »A füreiligs Wörtl kunnt ebbes schaden!« Aber das eine wird ihm doch vergönnt sein, daß er der Nannimai sagt: »Heut, Mutterl, heut kannst schlafen! Tu net fragen! Aber acht Täg, und gholfen is.«

Ein paar hundert Schritte nur waren's bis zum Häuschen der Altenöderin. Aber zweimal mußte Hanspeter sich auf den Wegrain setzen, um zu rasten.

An Nannimais Hütte fand er die Tür verriegelt und die Fensterläden geschlossen. So vorsichtig war die Altenöderin sonst nie gewesen.

Durch einen der Läden quoll matter Lichtschein aus der Stube heraus. Und Hanspeter drückte das Auge an den Spalt. Er sah ein Stück des Tisches, zwei halbfertige Schweizerhäuschen, Glassplitter, weiße Hölzchen und Moosschnitzel – und sah vier Hände, zwei runzlig welke und zwei junge, die hin und her griffen und immer schafften. Dabei kein Laut in der Stube. Beim Anblick dieser stillen, rührsamen Hände begannen dem Hanspeter die Augen zu tröpfeln. Als er sein Herz wieder trockengelegt hatte, pochte er an den Fensterladen. In der Stube blieb's still. Erst nach einer Weile fragte die Lisbeth: »Wer is da?«

»Ich bin's, Kindl!«

Zwei erschrockene Stimmen: »Jesus Maria! Der Hanspeter!« Eilende Schritte in der Stube, und die Haustür wurde aufgerissen. »Peterl! Du Unverstand! Was is dir denn eingfallen?« stammelte Lisbeth. Und die Altenöderin schalt: »Du Narr! Wie kannst denn aus'm Bett aussi? Meinst denn, du darfst dich umbringen? Gleich schaust, daß du wieder heimkommst! Den Arm tu her! Ilsabeth, pack ihn bei der andern Seit! Den müssen wir heimführen, den!« Noch ehe Hanspeter das Reden fertigbrachte, mußte er zwischen seiner besorgten Eskorte schon einen Schritt um den andern machen.

»Aber schau, Mutterl –«

»Tu nix reden in der kühlen Nachtluft!«

»Ich will dir bloß sagen –«

»Den Schnabel sollst halten! Ich will nix wissen.«

»Heut, Mutterl, heut kannst schlafen! In Ruh kannst schlafen!«

»Laß mich aus! D' Hauptsach is, daß ich dich ins Bett bring.«

»Und ebbes gschieht, Mutterl! Acht Täg, und gholfen is dir! Mehr därf ich net sagen.«

»Gott sei Dank, so sei amal stad! Wann dir der Dokter 's viele Reden verboten hat! Jesus, Jesus, lauft mir der Mensch in der Nachtzeit aus'm Bett aussi! Und macht um meintwegen so an Aufruhr her!« Die Stimme der Altenöderin klang nicht mehr so energisch wie zuvor. »Jetzt weiß ich, wie alles steht, und jetzt hab ich's gschluckt. Leut sind Leut. Kreuz drüber! Hart trifft's mich freilich.«

»Ich sag dir, Mutterl –«

Ein schwüler Windstoß sauste über die Straße hin, und die Altenöderin stammelte: »Sei stad und beiß die Zähn überanand, daß den schiechen Luft net einikriegst! Und schau, jetzt laß dir an Fried! Umziehen müssen, freilich, dös is halb wie 's Abbrennen. Aber ich kunnt mir noch ebbes Ärgers denken. Wird sich schon wieder a Häusl finden für uns.«

Hanspeter blieb stehen. Weil er die Zähne übereinander beißen mußte, konnte er nicht sprechen. Drum nickte er nur, und so ausgiebig, daß ihm der schwere plumpe Kopf bei jedem Nicker hinuntertauchte bis auf die Brust.

»No ja, no ja, ich weiß schon, was d' meinst! Jetzt mach aber lieber, daß d' heimkommst!«

Immer langsamer ging es vorwärts. Die Straße war finster geworden; das schwarze Gewölk, das der rauschende Föhnwind über die Berge jagte, hatte schon alle Sterne zugedeckt. Und wie sehr Hanspeter sich auch zusammennahm, um seine wachsende Erschöpfung zu verbergen – seine Schritte wurden immer schwerfälliger und müder. Da war die Altenöderin mit ihrem lahmen Bein noch flinker als er. Sie fühlte, daß sein Arm immer gewichtiger auf dem ihren lastete. Und erleichtert atmete sie auf, als endlich der Waldhof erreicht war.

»Gottsliebe Nacht beinand! Und heut kannst schlafen, Mutterl! Und Vergeltsgott, ja!« Das mußte er noch sagen; dann biß er wieder die Zähne übereinander und taumelte in die schwarze Scheune.

Die Altenöderin und Lisbeth warteten vor seinem Fenster, bis sie in der Kammer seine schweren Schuhe poltern hörten. Dann gingen sie. Auf der Straße sah Lisbeth sich noch einmal um.

»Mutter?«

»Was?«

»Er muß doch ebbes wissen für uns. Wär sein Roman daheim, ich kunnt mir denken, der hat ihm ebbes graten.«

»Mach dir nix für, Kindl!« sagte die Altenöderin müd. »Wird sich halt sein guter Glauben wieder an ebbes ghängt haben! Wann er sich nur kein Schaden tan hat, heut!« Ein Windstoß machte sie wanken.

Lisbeth legte den Arm um die Mutter.

So schritten sie in das Dunkel hinaus, eng aneinandergedrückt, mit vorgebeugten Köpfen, und ihre Röcke flatterten und rauschten im Sturm.

Sie kamen heim und setzten sich wieder zur Arbeit. Gegen zwei Uhr morgens, als die Lampe zu erlöschen drohte, sagte die Altenöderin: »Legen wir uns halt!« Sie gingen zur Ruhe. Aber sie schliefen nicht. – –

Dem Hanspeter waren die Lider zugefallen wie Blei. Er schlief die ganze Nacht bis in den Tag hinein. Die Hausmagd, als sie ihm die Suppe brachte, mußte ihn wecken. Schlaftrunken sah er das Fenster an, über das der Regen in Strömen niederging.

Von der Suppe aß er nur ein paar Löffel voll. Dann nahm er aus der Joppe, die auf dem Sessel lag, das lederne Beutelchen hervor, guckte schmunzelnd hinein, band's wieder zu und schob es unter das Kopfkissen.

Jetzt lag er ruhig im Bett. Immer lächelte er, doch immer zitterten ihm die Hände.

Gegen Mittag kam die Lisbeth. »Nur auf a Sprüngerl!« sagte sie. »D' Mutter braucht mich, weißt, jetzt müssen wir doppelt schaffen!« Sie kam nur, um zu sehen, wie es ihm ginge.

»Gut, Kindl! Soviel gut!« – –

Und Tag für Tag, immer besser ging es dem Hanspeter. Nur das Zittern seiner Hände wollte sich nicht stillen. »Bist halt an d' Arbeit gwöhnt«, meinte der Doktor, »'s Faulenzen vertragen deine fünfkluppigen Schmiedhämmer net! Die müssen klopfen!« Am Donnerstag erlaubte der Doktor dem Patienten ›für ein Stünderl‹ aufzustehen. Aus dem ›Stünderl‹ machte Hanspeter einen ganzen Tag, holte selber sein Essen ans der Küche, tat allerlei kleine Arbeit im Haus und schnitt für die Hausmagd ein Bündel Späne zum Anschüren. Aber die Arbeit ging ihm schwer von den Händen, die immer noch so merkwürdig zitterten, daß die Magd behauptete: »Der Hanspeter hat 's Dattrige kriegt.«

Einen Schritt vor die Tür zu machen, verwehrte ihm der Regen, der aus den treibenden Wolken fiel, als möchte der Himmel die Erde ertränken.

»Regnet's im Märzen,
Kann der Bauer lachen und scherzen.«

Diesen Kalendervers befolgte der Waldhofer, wenn er am Fenster stand und hinaussah auf die Wiesen, die bei dem hurtigen Frühjahr zwei Wochen vor der Zeit zu grünen begannen. »Sakra! Huier gibt's Gras!« Er lachte und war guter Laune. Am Samstag, als es Abend wurde, regnete es zwar noch immer, doch der Waldhofer hatte seine Grasfreude verloren und schimpfte wie ein Rohrspatz auf seinen Buben. Von den Holzknechten, die ihren Wochenlohn holten, meldete einer: »Der Roman laßt Enk sagen, daß er übern Sonntag droben bleibt in der Holzerhütten. Soviel müd is er, sagt er, und möcht sich ausschlafen amal.«

»Ah, narret!« brach der Waldhofer wütend los. »Als ob er 's Schlafen daheim net besser hätt! Und am Palmsonntag net in der Kirch sein? Der is ja wie umdraht! Schon die ganze Zeit! Der Bub muß ebbes haben!« Aber was? Mit seiner Julei war Roman doch wieder ausgesöhnt. Die ›dalkete Trutzerei‹ hatte der Waldhofer überhaupt nicht ernst genommen. »Aber ebbes muß er haben!«

Hätte es am Palmsonntag nicht ›Kreuzerstricke‹ geregnet, so würde der Waldhofer die drei Stunden Weg nicht gescheut haben und wäre zu seinem Buben in die Holzerhütte hinaufgestiegen. Aber auch daheim erlebte er was. An diesem nassen Palmsonntag konnte man wieder einmal sehen, was Liebe vermag. Am späten Nachmittag, als der Waldhofer am Fenster stand, sah er durch das strömende Grau etwas einhergaukeln, das einem übernatürlich ausgewachsenen Fliegenschwamm zum Verwechseln ähnlich sah. Es war ein großer, roter Regenschirm, und darunter ein geschürztes Röckl mit zwei weißen, flink beweglichen Strümpfen. Beim Zauntor machte der wandelnde Fliegenschwamm eine hurtige Schwenkung, und für einen Augenblick war unter dem triefenden ›Paradachl‹ ein Gesicht zu erkennen. »Mar' und Joseph! D' Julerl!« Der Waldhofer lief und öffnete die Haustür. »Ja Madl mei' liebs! Hat dich denn 's Wasser net davon? Bei so eim Regen laufst mir bis da eini? Aah, so laß ich mir's gfallen, d' Lieb! Die darf kei' Sündflut fürchten.«

Kichernd senkte Julei den Regenschirm, sprang über die Schwelle und schüttelte die Röcke. »Is er ebba krank, der Roman? Weil er sich gar net anschaun laßt?« Als sie die Botschaft hörte, die Roman von der Holzerhütte heruntergeschickt hatte, sah sie den Waldhofer so erschrocken an, daß ihr rundes Grübchengesichtl ganz lang wurde. Und dann stellte sie eine Frage, deren Zusammenhang mit dem Roman ein bißchen dunkel war: »Liegt der Hanspeter noch allweil?«

»Na, der macht sich schon wieder.«

»Und die Pflegschaft is noch allweil da?«

»Ah na! Die kommt schon die ganze Wochen nimmer, diemal halt, a bißl nachschauen.«

Julerl atmete auf.

»Was für a guts Herzl mußt haben, du!« Der Waldhofer tätschelte ihre Hand. »Aber komm, jetzt laß ich dir an Kaffee machen!«

Die Sorge, die das Julerl durch den prasselnden Regen getrieben, schien sich beschwichtigt zu haben. Während die Hausmagd den Kaffee kochte, klang aus der Stube das muntere Gezwitscher des Mädels und das Lachen des Waldhofers. Es war ein lustiges Stündl, das die beiden miteinander verschwatzten. Und als gegen Einbruch der Dämmerung der Regen ein wenig nachließ und Julerl, zum Heimweg das Röckl geschürzt, mit dem Waldhofer aus der Stube trat, sagte der Bauer: »Madl, in dir is d' Lustigkeit wie anbrennts Pulver! Völlig aufgwacht bist! Als ob dich der Herrgott umdraxelt hätt! Mein Bub kann lachen! Und ich?« Schmunzelnd legte er dem Julerl die Hand unter das mollige Kinn. »Ich krieg's auch net schlecht bei dir. Soviel hab ich gemerkt, heut!«

»Ja, Vaterl, gut sollst es haben!« Sie sah mit ihrem rosigen Lächeln an ihm hinauf. »Und wie's heut ausgmacht is, so bleibt's? Drei Wochen nach die Ostertäg?«

»So bleibt's! Und habts enker Brautexami gmacht, so fahr ich mit'm Buben eini zum Notar.«

Schon wollte Julerl das rote ›Paradachl‹ aufspannen, als sie auf der Straße die Lisbeth kommen sah, ein wollenes Tuch um Kopf und Schultern gewickelt. Da wurden in Juleis rundem Grübchengesicht die sanften Züge scharf, und in den Taubenaugen funkelte ein Blick des Hasses. Sie ließ den Regenschirm sinken. »Jesses, Vater, jetzt hab ich in der Stub mein Tüchl vergessen.«

»Wart, ich hol dir's!« Der Waldhofer ging in die Stube zurück.

»Auf'm Kanapee muß's liegen oder hinter'm Tisch.«

Lisbeth kam zur Haustür. »Guten Abend!« sagte sie leis und blieb vor der Schwelle stehen, um zu warten, bis sie freien Weg bekäme.

Julei rührte sich nicht vom Fleck. Sie hatte sich mitten unter die Tür gestellt, und ihr rundes Näschen war ganz spitz geworden. »So, du! Heut machst an Metzgergang!« sagte sie flüsternd. »Heut is er net daheim, mein Roman.«

Blutrot schoß es über das bleiche Gesicht der Lisbeth. Dann stammelte sie: »Ich will zum Hanspeter.«

»So? Es is bloß, daß d' weißt, man kennt sich aus. Und helfen tut's dir nix. Ich hab an Alräundl vergraben.« Julei lächelte und bekreuzte sich. »Jetzt kannst hexen, wie d' magst.« Sie gab die Schwelle frei, obwohl das nimmer nötig war. Lisbeth hatte ihr schon den Rücken gewandt und ging am Haus entlang, um ihren Weg durch die Scheune zu nehmen.

Aus der Stube klang die Stimme des Waldhofers: »Da find ich kein Tüchl net.«

»Vater, es is schon da!« rief Julei und kicherte lustig. »In der Taschen hab ich's gfunden.«

Der Waldhofer kam, und nun hielten sie vor der Haustür unter dem aufgespannten Regenschirm noch einen Plausch, bei dem sich Julerl so übermütig anließ, daß der Alte sagte: »Madl! In dir muß alles roglig sein vor lauter Gaudi.«

»Soviel freuen tu ich mich!«

Der Waldhofer machte die Augen klein. »Auf was denn?«

Julerl lachte ihm ins Gesicht. »Auf'n Karsamstag! Den kann ich schier nimmer derwarten.«

»Was? Karsamstag?«

Ihre Augen funkelten. »Da hab ich halt 's Brautexami schon überstanden.«

»Dös hast ja schon am Donnerstag auf'n Abend hinter deiner.«

»Da freut's mich am Karsamstag erst recht. Die richtig Freud muß Zeit haben zum Auswachsen.« Ganz selig duckte sie das hübsche Köpfl unter den roten Schirm. »Pfüe Gott, Vater! Und tu mir den Roman schön grüßen, gelt! Ob er wohl bsonders gut schlaft in der Holzerhütten droben?« Kichernd sprang sie über eine der Regenlachen, die im Hofe standen, und wippte wie eine Bachstelze davon.

In schmunzelndem Wohlgefallen sah ihr der Waldhofer nach und guckte zu den grau umnebelten Bergen hinauf. »Da kannst dei' Freud dran haben! Du Lalle, du dalketer!«

Noch ein anderer sah die Staudamer Julei über die Straße tänzeln – der Hanspeter. In seiner Kammer stand er am Fenster und spähte nach allen Seiten. Die Lisbeth war doch an seinem Fenster vorübergegangen? Wo blieb sie nur? Vielleicht war die Gangtür nach der Scheune verriegelt? Hanspeter ging, um nachzusehen. Lisbeth stand in der dunklen Scheune, über den Leiterbaum eines Wagens gelehnt, das Gesicht in die Arme gedrückt. »Ilsabeth? Was hast denn?«

Sie hob das Gesicht. »A bißl abtropfen hab ich mich lassen. Weil's regnet, weißt! Ich mag dir d' Nässen net in d' Stub tragen.«

»Du darfst mir alles! Geh, komm eini!«

Sie schüttelte den Kopf. »Bist ja da, jetzt! Kannst mir ja sagen, wie's dir geht?«

»Gut, Kindl! Den ganzen Tag hab ich glesen in der Schrift. Langsam geht's freilich a bißl. Aber Christi Bergpredigt hab ich viermal durchbracht von der Fruh bis auf'n Abend. Da hab ich mich soviel aufbaut wieder.« In Hanspeters Stimme kam ein heiserer Klang. »Und ebbes is mir eingfallen! Wann's nimmer sein darf, daß ich a Wörtl zum Guten red, weil er's net leidt, der Adnotti – aber 's Fürlesen kann mir kein Parigraffi net verbieten. Und Christi Bergpredigt müssen s' anhören! Die! Da is alles drin. Tausetmal besser, als wie's der Flohannes Ratzenspeck predigen kann.«

Er hatte Lisbeths Hände gefaßt. Und da fragte sie: »Warum tust du so zittern?«

»So hab ich's jetzt allweil a bißl. Aber magst net eini zu mir?«

Wieder schüttelte sie den Kopf. »D' Mutter tut warten auf mich. Und heut bin ich 's letztmal da. Jetzt brauchst mich nimmer. Aber d' Mutter braucht mich.« Ihr Tuch um die Schultern hüllend, verließ sie die Scheune.

»Ilsabeth! Kindl! stammelte Hanspeter und streckte die Arme. Dann sanken ihm die Fäuste wieder. »Wann ich nur reden durft! Und gar kei' Sorg nimmer müßten s' haben!«

Mit schlorpenden Schritten ging er in seine dunkel gewordene Kammer zurück. Es dauerte eine Weile, bis er mit seinen zitternden Händen ein Streichholz in Brand gebracht und die Talgkerze angezündet hatte. Erst verriegelte er die Tür, dann zog er unten am Kasten eine Lade auf und kramte den mager gewordenen Lederbeutel heraus. Während er den Riemen aufknüpfte, baumelte das Säckl wie eine stumme Glocke unter seinen wackligen Händen. Aus dem Beutel nahm er einen kleinen Zettel, faltete ihn mühsam mit den plumpen Fingern auseinander, und je länger er ihn ansah, desto größer wurden ihm die Augen. Jetzt hob er den Blick zur Stubendecke. »Lieber Herrgott, mein einziger du! Jetzt därfst nimmer auslassen!«

Draußen im Gang ein Schritt, an der Tür ein Gepumper und die ärgerliche Stimme der Hausmagd: »Du Überzwerch, du narrischer, was sperrst dich denn ein?«

Hanspeter fuhr zusammen wie ein Dieb, der beim Einsacken überrascht wurde. Wie flink das ging: den Zettel in das Beutelchen, hinein in die Lade und den Schlüssel gedreht! Dann schob er an der Türe den Riegel zurück. Schweigend ließ er das Gebrumm der Magd über sich ergehen, die ihm den Teller mit der Brennsuppe auf das Fenstergesimse neben die aufgeschlagene Bibel stellte. Als die Magd aus der Stube war, schob Hanspeter den Teller beiseite, zog die Kerze dicht an das Buch heran, setzte sich rittlings auf den Holzstuhl, stützte die Ellbogen auf und nahm die Ohren in die Hände. Halblaut, alle Konsonanten und Vokale verdrehend, begann er mit schwerer Zunge zu buchstabieren: »Sellig sünt thie Ahrmen üm Kaißte, then irren üst thas Hümbelraich. Sellig sünt thie Sampftmittigen, then sü werthen thas Ertraich besützen. Sellig sünt –«

Es ging schon auf ein Uhr morgens, und Hanspeter war mit Christi Bergpredigt noch nicht zu Ende. Doch er mußte zu lesen aufhören, weil im Leuchter die Kerze zu Ende war. Im Finstern aß er die kalt gewordene Brennsuppe, während draußen in der sternlosen Nacht der Regen rauschte und der Föhnwind blies. Dann streckte Hanspeter sich aufs Bett.

Zur Frühsuppe stand er wieder auf, füllte den ganzen Tag mit Arbeit und machte eine Klafter Scheitholz klein.

Gegen Abend schickte ihn der Waldhofer ins Bett. »Jetzt laß mir's gut sein! Hast ja 's Wacklete schon bis in d' Ellbogen auffi!«

Am anderen Morgen, am Dienstag, fiel dem Hanspeter eine Arbeit ein, von der er meinte: »Die liegt mir lang schon auf!« Er wußte, daß der Schreinermeister seit einer Woche krank lag. Da mußte in seiner Werkstätte eine Hobelbank leerstehen. Hanspeter ging hinüber, und ohne sich um das Gelächter des Gesellen zu kümmern, der sich an dem gesprenkelten Gesicht des Hanspeter nicht satt sehen konnte, fragte er: »Durft ich net an der Hobelbank an Tag lang schaffen? Ich hab dem Herrn Pfarr an Sessel in Verlust bracht, und da möcht ich ihm an andern machen, der a bißl ebbes aushalt.«

Der Gesell hatte nichts dagegen, mit dem Hanspeter gab's für ihn einen lustigen Tag. Und fünfzig Pfennig Trinkgeld trug ihm die Sache auch noch ein.

Den Rest seines Vermögens, die letzte halbe Mark, legte Hanspeter für Herrn Felician Horadam an. Für vierzig Pfennige kaufte er die zum Sessel nötigen Bretter, für zehn Pfennige Firnis. Dann begann er loszuhobeln und ließ sich die Spötteleien des Gesellen in müd lächelnder Geduld gefallen.

Während der Arbeit fiel ihm ein kleiner Schemel auf, der bei der Hobelbank des Gesellen in der Fensternische stand und aus verschiedenen Holzarten so merkwürdig zusammengebosselt war, daß er fast so gesprenkelt aussah wie das Gesicht des Hanspeter. »A liebs Schamerl! Wer kriegt's denn, sag?«

Mit zwinkernden Augen sah der Gesell den Hanspeter an. »Der Staudamer-Mickei.«

»So so?« Hanspeter zog die Brauen zusammen. »Braucht er's ebba zum Beten? Der?«

»So halb und halb.« Wieder lachte der Gesell. »Aber weißt, dös is kein Betschaml, dös is a Hokespokeskastl zum Fledermäus fangen. Wenn sich da einer draufkniegelt und sagt sein Sprüchl her, so müssen s' kommen, d' Fledermäus«

»Geh, du!« Hanspeter lächelte. »Was du eim alles aufreden tätst!«

»Ja, wirst schon sehen, am Karsamstag auf'n Abend, da fangt er a paar, der Mickei!«

Jetzt verging dem Hanspeter das Lächeln. »Mit'm Mickei kannst mir stad sein! So an heiligen Tag mißbräuchlich machen, für söllene Unsinnigkeiten!« In Zorn tat er mit dem Hobel ein paar Stöße über das dicke Brett, daß die Späne flogen. »Fledermäus fangen! Am Karsamstag! Wo der lichte Heiland im finstern Grab hat liegen müssen! Dem Mickei muß ich schon bald amal Christi Bergpredigt fürlesen. Dem!«

»Aber Speckerl! Sie haben dir ja 's Predigen verboten.«

»'s Predigen, ja!« Hanspeter richtete sich auf. »Aber 's Fürlesen kann mir kein Parigraffi net verbieten.« Sein Gesicht war dunkelrot, und die Adern an seinem mager gewordenen Halse schwollen zu dicken Striemen an. »Und dem Mickei, dem lies ich noch ebbes für!« Langsam hob er die Faust mit dem Hobel.

Verdutzt, beinah erschrocken, sah der Gesell den Hanspeter an, in dessen Augen etwas funkelte wie in den Augen eines verwundeten Bären, wenn er sich aufrichtet und die plumpe Tatze zum Schlag erhebt.

Als Hanspeter wieder zu arbeiten begann, blieb ihm alle paar Stöße das Hobeleisen im Holze stecken. So zitterten ihm die Hände. Im Eifer der Arbeit vergaß er, zum Essen heimzugehen. Er hobelte und sägte, hämmerte und schnitzelte. Und bevor es Abend wurde, war Herrn Felicians neuer Sessel fertig und schön lackiert, ›naturi gfirneißt‹, wie Hanspeter sich fachmännisch ausdrückte. Saftig glänzend stand das merkwürdige Kunstwerk inmitten der Späne, aus denen es herausgewachsen, und während Hanspeter seine Schöpfung zufrieden musterte, schüttelte sich der Geselle vor Lachen. Nicht nur die Schreinerin und ihre Kinder kamen, auch der kranke Meister stieg aus dem Bett, um dieses dreibeinige Ungeheuer zu betrachten. Es war ein Peter Johannes Zdazilek unter den Sesseln, hoch gespreizt wie ein Kamel, und in der ausgiebigen Wucht seiner Formen doch wieder einem jungen Elefanten ähnlich, der auf drei Füßen steht und den vierten als Lehne nach rückwärts in die Höhe streckt.

»Batzenweckerl«, sagte der Meister, »da hast an Sessel gmacht, da drauf kann man Hochzeit halten mitsamt die Musikanten.«

»Ja, Mensch!« Hanspeter nickte ernst. »Der halt ebbes aus, da wird mich d' Jungfer Kathrin loben.« Damit der nasse Firnis nicht beschädigt würde, umwickelte er zwei Beine des Stuhles mit Zeitungspapier, um sie anfassen zu können. So trug er sein Werk davon. Er hatte zu ›lupfen‹ dran! Und um den Sessel flink durch das leichte Geriesel des versiegenden Regens zu bringen, hielt er ihn hoch über den Kopf und machte Sprünge, daß ihm das graue Wasser, das auf der Straße stand, bis über den Hosenboden spritzte. Es dämmerte schon, als er in seine Kammer trat und den Sessel niederstellte. Ohne sich in der Stube umzusehen, ließ er sich auf die Knie fallen und begann mit dem Sacktuch die Sprühtropfen des Regens vom Firnis wegzutupfen. Da hörte er einen schweren Schnaufer. Und als er aufblickte, sah er einen auf dem Bett sitzen, mit den Händen im Schoß, als wären sie tot.

»Mandi!« Hanspeter rappelte sich auf.

Der andere hob das Gesicht. »Zwei Stund lang wart ich schon.«

»Mandi!« stammelte Hanspeter. »Was is denn mit dir? Soviel Sorgen hab ich mir allweil gmacht.« Er streckte ihm die beiden Hände hin.

Doch Roman ließ die seinen zwischen den Knien liegen. »Mit mir? Was soll denn sein mit mir?« Er lachte müd.

Hanspeter konnte nicht reden, nur schauen mit seinen erschrockenen Augen. Was war aus dem ›lachenden Roman‹ geworden! Freilich, die nasse Arbeitswoche dort oben und der Regen während des Heimwegs hatten mitgeholfen, um ihn übel zuzurichten. Die Haare klebten ihm glattgestrichen an Stirn und Schläfen, vom abfärbenden Hut waren ihm grünliche Striche über das Gesicht geronnen, die Schnurrbartspitzen hingen herunter wie trauernde Fähnlein in der Windstille, und die Kleider, die seit einer Woche nicht trocken geworden, baumelten gerunzelt um seinen Leib. Doch solcher Anblick hätte dem Hanspeter keine Sorge gemacht. Daß ein arbeitender Mensch zur Regenzeit nicht anders aussehen kann, das weiß man. Aber dieses Gesicht! So müd, so gallig und verdrossen! Und diese Augen, aus denen alle ›Zwidrigkeit‹ des Lebens zu reden schien! Und um den Mund ein Zug von Schmerz, wie er im Gesicht von Menschen ist, die am Magen leiden oder an einem anderen Organ, das ein bißchen höher liegt, aber nicht weit davon.

»Mandi? Bist krank?«

»Was dir einfallt!«

»Aber ebbes mußt doch haben?«

»Freilich, ja!«

»Gott sei Dank, weil's nur endlich amal aussikommt!«

»Wär d' Mutter noch da, die kunnt mir sagen, was ich tun muß! Aber mit'm Vater is kein Reden drüber. Drum hab ich mir denkt, ich komm zu dir. Der Hanspeter is an ehrenhafter Mensch, der sagt mir schon 's Richtige, hab ich mir denkt.«

»Ja, Mandi!« Hanspeter setzte sich aufs Bett und legte den Arm um Romans Schulter. »Jetzt red!«

Roman, mit den Händen immer die Knie reibend, begann zu beichten. »No ja, weißt, wem versprochen hab ich halt ebbes. Und wie ich mein Wort drauf geben hab – in Treu und Ehren, hab ich noch gsagt – selbigsmal hat sich halt alls a bißl anders angschaut. Aber jetzt hat sich ebbes umdraht. Jetzt kommt's mir so viel hart an, daß ich's halten soll, mein Wort. Und da möcht ich halt fragen, was d' meinst? Ob man so ebbes net zruckgehn lassen kunnt?«

»Und dös is alls, was d' hast?«

»Schiergar, ja!«

»So will ich dir ebbes sagen, Mandi!« Zärtlich rüttelte Hanspeter seinen Roman. »Und da mußt mich erst noch fragen? Du! Schau dir an: wann von die schiechen Leut einer ebbes sagt? Is a Verlaß drauf? Is ihr Wörtl net wie Schnee auf der Ofenplatten?«

Roman atmete schwer.

»Hast dich net selber schon geärgert drüber, sag? Und gschumpfen? Und jetzt tätst es ihnen nachmachen? Mandi, Mandi! Bist net von die drei, vier Guten einer? Du! Bist net der Best? Was soll denn noch Bstand haben auf der Welt, wann 's Wörtl von eim Guten bröseln tät? Muß eim Guten sein Wörtl net halten wie Eisen? Und weil dir 's Halten hart is? Ja mein, Mandi! Was eim leicht wird, is ebba dös a Verdienst? Da kunnt a Schlechter sein Wörtl gradso halten! Na, na! Grad weil dir's hart wird, grad deswegen mußt bei der Stang bleiben! Bist von die Guten einer. Bist mir der Best! An dich glaub ich.«

Eine Weile saßen sie schweigend, und mit hoffenden Augen sah Hanspeter seinem Roman ins Gesicht.

Der stand nun auf. »Ah ja!« Dann zog er das Taschentuch aus der Joppe, sah es kummervoll an, ließ es auseinanderfallen und zog die Säume durch die Finger. »Hab mir eh schon denkt, daß d' mir nix anders net weißt. No ja! Sag ich dir halt Vergeltsgott. Für dein' ehrenhaften Rat!« Roman schneuzte sich. »Da wird's halt bleiben müssen, wie's is. Wann ich gar so a Guter bin. Pfüe Gott, Hanspeter! Aber die Schlechten haben's leichter.« Seufzend ging er aus der Stube.

Hanspeter lächelte – seit vielen Tagen zum erstenmal wieder ein Lächeln des wirklichen Glückes. »Jetzt is er's wieder. Den hab ich auf gleich. Dem hab ich 's Gmüt wieder aufgricht, heut.«

Weil er an seinen Roman glauben konnte, glaubte er auch gleich an alles andere. Eisenfest!

Er öffnete den Kasten und nahm seine ›neue Montur‹ heraus. Wie an hohem Festtag wollte er sich kleiden, wenn er zur Spielbötin ging, um das Glück der Nannimai zu holen. Ein Wunder des lieben Herrgotts ›mitmachen‹ dürfen, das ist eine feierliche Sache! Und bevor er sich kleidete, wusch er sich so gründlich wie am Neujahrsmorgen. Begann doch für den Hanspeter und die Guten, die ihm lieb waren, mit diesem Abend ein neues Leben!

Das Zittern seiner Hände war völlig verschwunden. Und während er plätscherte, über das Wasserschaff gebeugt, dachte er an Herrn Felician Horadam. Welche Freude der haben wird mit dem schönen Sessel! Und welch eine schöne Predigt wird er halten können am Ostersonntag: wenn das Wunder geschehen ist und wenn alle Leute reden davon! Hanspeter meinte es schon zu hören, wie Herr Felician am Ostersonntag predigen würde: »Sehet ihr's jetzt, ihr schwachmütigen Leut? Gelt, jetzt lacht und spöttelt keiner mehr über den buckleten Apostel? Dem ist der liebe Herrgott bei der Stang geblieben und hat ein Wunder an ihm getan! Und warum? Weil der Peter Johannes Zdazilek seine Zuversicht gehabt hat und seinen Glauben!«

Während Hanspeter über dem Wasserschaff den hochwürdigen Herrn so predigen hörte, saß vorn in der Wohnstube der junge Waldhofer im Zwielicht auf der Ofenbank. Sein Vater stand vor ihm. Der schien über eine Antwort seines Buben nachzudenken. Dann lachte er und sagte: »Jetzt kenn ich mich aus, was d' hast!«

»So?«

»D' Julerl hat mir's gsagt.«

»So?«

»Verdrießen tut's dich, daß ich mit dir noch net einigfahren bin zum Notar.«

»Gut kennt sich d' Julerl aus!«

»Kerl, narreter!« Der Waldhofer gab seinem Buben einen Puff vor die Stirne. »Warum hast denn net a Wörtl gredt? Daß ich net verlang, du sollst auffiheiraten in d' ledige Kammer, dös kannst dir doch denken! Hättst halt den Schnabel a bißl auf gmacht! Der Waldhof, mein' ich, wär a Wörtl im guten wert. Und wie man an Zwetschgenkern davon schnipst, so leicht rutscht er mir net aus der Hand.«

»Freilich, ja! Der Vater is noch in der besten Zeit. Kunnt lang noch Bauer sein.«

»No also, ich bin schon z' frieden, weil d' es derkennst.« Der Alte lachte wieder. »Fahren wir halt eini morgen.«

»Morgen muß ich beichten.«

»Gut, fahren wir am Donnerstag.«

»Da muß ich kumlizieren!« Roman griff an seinen Hals. »Und 's Exami machen.«

»No, den ganzen Tag wird er enk net ausfragen, der Herr Pfarr.«

»Der Notar wird wohl in die heiligen Täg kei' Zeit net haben. Wann's schon sein muß, fahren wir halt nach die Ostertäg.«

»Meintwegen! Wann's dir net pressiert!«

»Gar net! Na!« Roman erhob sich. »Sag ich halt dem Vater Vergeltsgott derweil.« Er ging zur Türe.

»Wohin denn schon wieder?«

»Auffi! Und schlafen. Is eh noch 's Beste, was er hat, der Mensch!« Auf der Schwelle drehte Roman das Gesicht über die Schulter. »Heut hab ich mir denkt: sie kunnten schon recht haben, beim Gricht, weil s' dem Hanspeter dös Predigen verbieten. Der nimmt's a bißl gar gnau. Und so ebbes vertragen die mehresten net. Da muß man schon a ganz Guter sein.« Heiser lachend trat er in den Flur hinaus. »Gut Nacht, Vater!«

Verdutzt sah ihm der Waldhofer nach. »A liebhafter Hochzeiter! Ah, Respekt!« Als möchte er den Anblick dieses schläfrigen Bräutigams noch länger genießen, trat er unter die Tür und guckte hinter seinem Buben her, der über die Treppe hinaufstieg. Mit Romans Schritten klang ein polterndes Tappen zusammen. Das machten die Feiertagsschuhe des Peter Johannes Zdazilek, der aus dem dunklen Gang herausgeschritten kam. So fest und gewichtig trat er auf, daß der Waldhofer von einem Verwundern ins andere fiel. Und beim Schein des Herdfeuers, das in der Küche flackerte, konnte man sehen, wie feiertäglich der Hanspeter herausgeputzt war. »Ah, narret! Mensch! Bist ebba du der Hochzeiter? Und wohin denn heut noch?«

»Gottslieben Abend, Waldhofer!« Auch Hanspeters Stimme hatte etwas feierlich Gekleidetes. »Heut hab ich noch a Wegl. Dös erfahrst noch, Waldhofer, ja!« Schönen Glanz in den Augen, wanderte Hanspeter zur Tür hinaus.

Der Abend windstill und lau. Kein Tropfen fiel mehr. Erdgeruch in der Luft und die Ahnung blühender Veilchen. Am Himmel die Wolken in ruhigem Zuge, schon geklüftet. Die Wälder schwarz, und nur in der Höhe, zwischen steigenden Nebeln, ein weißlicher Schimmer der steilen Wände, auf deren Felsgesimsen der Schnee noch lag. In einer Scharte der westlichen Berge, über denen der freiwerdende Himmel noch mattes Licht besaß, leuchtete der Sirius mit zerflossenem Glanz, wie ein Auge, das geweint hat und jetzt zu strahlen beginnt.

»Schau dir an! Schön Wetter macht er mir, der liebe Herrgott!«

Erfüllt von der Heiligkeit dieses Abends, nahm Hanspeter den Hut ab und drückte den mürben Filz mit beiden Händen an seine Brust. So ging er, um sein Wunder zu erleben.

Das Haus der Spielbötin lag mit schwarzen Fenstern. Und die Tür war versperrt.

»Wird sich halt a bißl versaumt haben. Is a weiter Weg, von Kufstein aussi.«

Hanspeter setzte sich auf die Hausbank und wartete. Während er im Finstern saß, kam bald ein altes Weibl, bald ein junges Mädel und bald ein Bursch. Sie rüttelten an der Haustür, schimpften und gingen wieder. »Hoffentlich haben s' mitgsetzt auf mein Nummero, die! Brauchen kunnten sie's alle.« So dachte Hanspeter. Und wartete.

Es wurde elf Uhr, wurde Mitternacht. Die Spielbötin kam nicht.

Als es drei Uhr schlug, meinte Hanspeter: »Sie wird sich net gehn trauen in der Nacht, mit soviel Geld! Und kommt halt in der Fruh.«

Er ging nach Hause. Weil er keinen Schlaf hatte, zündete er die Kerze an und setzte sich über Christi Bergpredigt.

»Sellig sünt thie Ahrmen üm Kaißte, then irren üst thas Hümbelraich. Sellig sünt –«

Der Morgen graute, Hanspeter blies die Kerze aus und buchstabierte im Zwielicht weiter. So fand ihn die Hausmagd, als sie ihm die Milchsuppe brachte. »Essen muß er amal, der Mensch! Ja!« Er löffelte den Teller leer, schloß die Bibel und legte die Faust auf den Deckel. Dann ging er zum Haus der Spielbötin.

Da waren jetzt die Fenster hell, vom schönen Morgen, in dessen zartem Blau der Rotglanz der Berge leuchtete. Aber die Haustür war noch immer versperrt. Hanspeter klopfte, ging ein paarmal ums Haus und drückte die breite Nase an alle Scheiben.

Die Straße war schon belebt. Junge Mädchen gingen zur Kirche, in der dunklen Tracht der heiligen Trauertage. Heut war Beichttag der ›Jungfrauen und Jünglinge‹ – der Vormittag für die Mädchen, der Nachmittag für die Burschen.

Auf der Straße ging eins ums andere vorüber. Die Hausmagd vom Waldhof kam. Und die Staudamer-Julei, im schwarzen Röckl, im schwarzen Spenzer. Mit niedergeschlagenen Augen ging sie, ganz erfüllt von der frommen Reue über ihre kleinen unschuldigen Sündchen.

Den ganzen Tag, vom Morgen bis zum Abend, war's vor dem Kirchtor ein Kommen und Gehen. Mit scheuen Gesichtern kamen sie, mit lächelnden gingen sie davon.

Als es zu dämmern anfing, stand Jungfer Kathrin wartend unter der Haustür des Pfarrhofes. »Heut macht er's aber lang! Und 's Essen wär schon fertig!« Weil sie aus Erfahrung wußte, daß Herr Felician am Abend eines Beichttages immer in übler Laune war, hatte sie ihm zwei seiner Lieblingsspeisen gekocht. Die warteten jetzt.

Endlich kam er, langsam, im schwarzen Talar, das Brevier in der Hand und den grauen Kopf gebeugt. Er hatte einen schweren, mühsamen Tag hinter sich. Für den Gruß der Köchin dankte er nur mit einem Nicken. Als er in den Hausflur trat, fragte Kathrin: »Haben Sie s' alle?«

»Die Mädln alle, bis auf eine.«

Kathrin runzelte die Stirn. »Was für eine is denn ausblieben?«

Herr Felician lächelte müd. »Mußt du alles wissen?«

»So? Und von die Buben?«

»Da fehlen mir zwei. Der Staudamer-Knecht. Der wird wissen, warum. Und der gute Hanspeter. Aber da hab ich keine Sorg, der holt's schon ein.«

»Ja ja, und kommen S', Hochwürden, 's Essen wartet.«

Herr Felician ging in die lampenhelle Stube, steckte das Brevier ins Regal und ließ sich auf dem Sofa seufzend in die Grube fallen.

Kathrin legte ihm das Kissen unter. Dann trug sie auf. Und mit den Händen über der Schürze blieb sie stehen und wartete, wie es ihm schmecken würde. Als er gar nichts sagte, nur immer mit dem Löffel rührte und dann mit der Gabel die Bissen durcheinanderstocherte, zog sie gekränkt den Schürzensaum durch die Hände. »So gut hab ich's gmeint heut!«

»Und drum hast mir Krebssuppe und gesulzten Karpfen gemacht? Ich dank dir schön, liebe Kathrin! Aber das war nicht gescheit von dir! Was Gutes schmeckt einem nur an Tagen, an denen man Freud hat. Muß man viel Bitteres schlucken, so bekommt auch das Gute davon einen Nachgeschmack. Ich sag dir's, Kathrin: so hinunterschauen müssen in hundert Herzen, bis ins tiefste Winkerl hinunter – manchmal, Gott sei Dank, tut's einem wohl, was man da sieht – aber die andern alle! Und mit Sorg noch erraten müssen, was sie verschweigen? – Beichtgeheimnis! Ja ja! Und da soll einem Krebssuppe und gesulzter Karpfen schmecken! Ich sag dir's, liebe Kathrin: es ist hart, Mensch sein. Aber Mensch sein und Pfarrer dazu, das ist noch viel härter.«

»Jetzt tun S' Ihnen net aufregen, liebe Hochwürden! Da kriegen Sie 's allweil auf'm Magen. D' Welt kann man net umdrahn. Es is Ihr eigens Wörtl. Lassen S' mir deswegen die Krebssuppen net kalt und den gsulzten Karpfen net warm werden!« Während Kathrin ihre Weisheit spann, wurde draußen an der Haustür die Glocke gezogen. Sie ging hinaus, kam mit zornrotem Gesicht wieder herein und legte einen kleinen Zettel auf den Tisch. »Der Staudamer-Knecht hat sein' Beichtzettel bracht. In Enzdorf drüben hat er's absolviert.«

»So so? Der Mickei? So weit hat er's tragen müssen? Und net amal gstolpert is er, draußen auf'm Pflasterkreuz!« Aber jetzt, wahrhaftig, jetzt hörte der Hochwürdige, daß vor der Haustür einer stolperte. Und die Glocke wurde gezogen, ganz schüchtern, daß sie nur einen einzigen Ton gab. »So kunnt der Hanspeter läuten, seit ich ihm d' Leviten glesen hab, 's letztemal.«

Kathrin ging, um zu öffnen. »Unser Sessel, der muß noch her!« Eifrig, mit ganz anderem Gesichte, kam sie wieder. »Der junge Waldhofer!« Ihr Zorn war verraucht, und sie schmunzelte ein wenig, weil sie rechnete, was die in Aussicht stehende, reiche Hochzeit dem Pfarrhof tragen würde.

»Der Roman? Soooo?« Es wollte gar kein Ende nehmen, dieses ›So‹! Und den Teller zurückschiebend, erhob sich Herr Felician.

»Guten Abend, Herr Pfarr!« Den Hut zwischen den Händen drehend, mit einem Blick, als wäre der hochwürdige Herr ein Untersuchungsrichter – aber einer, der was herausbringt – so trat der junge Waldhofer über die Schwelle.

Freundlich lächelnd blieb die Jungfer Kathrin bei der Türe stehen.

»Guten Abend, lieber Roman!« sagte der Pfarrer. »Was bringst du mir denn?«

»Fragen tät ich halt gern, ob ich net mit der Julei morgen zum Brautexami kommen durft? Nach der Kumlion. Daß uns der Herr Pfarr am Ostersonntag 's erstmal verkünden kunnt.«

»Soooo?«

»Ja.«

»Ah«, sagte die Jungfer Kathrin, »da kann man gratulieren!«

Roman sah sie an, als hätte ihm die Köchin eine Grobheit an den Kopf geworfen. Und Herr Felician bemerkte: »Kathrin, halt den Schnabel!« Die Hände in den Schlitztaschen des Talars vergrabend, kam er auf den jungen Waldhofer zugegangen. »Also wirklich, heiraten willst du? So, so, so, soooo!« Halb war es Sorge und halb ein merkwürdiges Forschen, was aus Herrn Felicians Augen sprach. Nun sah er die Köchin an und zog die Brauen zusammen. »Kathrin, geh hinaus! Was der Roman mit mir zu reden hat, ist keine Angelegenheit fürs öffentliche, und gsulzter Karpfen is kein Erlaubnisschein für alle Freiheiten. Übrigens steht er noch am Tisch! Und gelt, mach die Tür schön zu!«

Seufzend ging Kathrin aus der Stube und warf dem Pfarrer von der Schwelle noch einen Blick zu, welcher sagen wollte: »Machen Sie's ihm leicht, Hochwürden! Dös is der junge Waldhofer!«

»Ja, ja!« nickte Herr Felician, die Falten des Talars auseinanderspreizend. »Also, jetzt soll's Ernst werden?«

»No ja, amal muß's halt sein!«

»Sooo?« Herr Felician lauschte auf Romans Worte, wie man's beim Erbsenlesen macht: man läßt sie rollen, und fällt eine zweifelhafte, flink wird sie gefaßt. »Es muß sein? Und grad heut mußt du kommen? Grad heut!«

»D' Julei hat gmeint, in die heiligen Täg, da täten Sie's mit'm Exami net so gnau nehmen.«

»Sooo? Schau nur an, was für ein gescheites Mäderl das ist, die Julerl! Freilich, in der heiligen Zeit, die uns an Christi Tod und Erlösung erinnert, da soll man verzeihen. Alles, was man verzeihen kann! Und das Julerl hat recht, du brauchst keine Angst zu haben, ich will's nicht gar so genau mit dir nehmen. Aber als Seelsorger ist es meine Pflicht, dir vorzuhalten, lieber Roman, daß das Heiraten ein sehr, sehr ernstes Ding ist. Hast du dir's denn auch ernstlich überlegt?«

»Überlegt?« Roman bohrte den Daumen in das Futter seines Hutes. »Jetzt gibt's kein Überlegen nimmer. Der Vater und ihr Mutter haben's ausgmacht. Und was wahr is, muß gsagt sein: ich hab d' Julei allweil gern ghabt. Auf'n Herbst noch und den ganzen Winter her.«

»Sooo?« Herr Felician schien eine Erbse gefaßt zu haben.

»Ja! Und was an ehrenhafter Mensch is, dem sein Wort muß sein wie Eisen. Da gibt's nix anders nimmer.«

Der Pfarrer spitzte die Lippen, als möchte er sich ein Liedl pfeifen. Und mit Augen, die aufmerksam und staunend blickten, betrachtete er den ehrenhaften Bräutigam, dessen verdrossenes Gesicht sich immer dunkler färbte.

Roman, als wäre ihm der Blick des Pfarrers nicht sonderlich behaglich, trat einen Schritt zurück, um in den Schatten der Lampe zu kommen.

»So so? Wie Eisen! Da hast du ein gutes Wörtlein gesprochen.«

»Ja! Dös hab ich vom Hanspeter.«

»Sooo? Vom Hanspeter? Schön, lieber Roman, daß du dich nicht mit fremden Federn schmücken willst. Und der Hanspeter, freilich, der hat viele gute Wörtln in seinem großen Sack.« Herr Felician lächelte. »Nur schade, daß er nicht immer weiß, wann er das Sackerl aufmachen soll und wann es besser zugebunden bliebe.«

»Gelt, ja!« Roman seufzte.

»No also! Mir ist's recht. Komm nur morgen! Ich will daheim sein für dich. Und für das Julerl auch.«

»Vergeltsgott, Herr Pfarr! Und guten Abend!« Mit etwas auffälliger Eile griff der ehrenhafte Bräutigam nach der Türklinke.

»Roman?«

»Herr Pfarr?«

»Was du von den kleinen Meisen gelernt hast? Kannst du das noch?«

»Was?« Roman machte verdutzte Augen. Die kluge Lehre, die er vor einem Monat den im Schnee spielenden Schopfmeisen abgelauscht hatte, war völlig aus seinem Gedächtnis geschwunden.

»Ja ja!« nickte Herr Felician lächelnd vor sich hin. »Wir Menschen lernen das Rechte immer nur, um es vergessen zu haben, wenn wir's brauchen. Aber sag, was ist denn mit dem Hanspeter heut?«

Halb noch mit den Gedanken bei der Bemerkung, die Herr Felician Horadam übers Lernen und übers Brauchen gemacht hatte, sagte Roman: »Da bin ich überfragt, Herr Pfarr! Gestern hat er für d' Jungfer Kathrin an Sessel gmacht.«

»Ach, du mein lieber Herrgott!«

»Und heut hat er sich den ganzen Tag noch net anschauen lassen.«

Sinnend blickte Herr Felician vor sich nieder. »Kann mir's schon denken, warum er heut nicht gekommen ist. Wird halt bei der Altenöderin und bei der Lisbeth sitzen.«

»Ja, der hat's gut. Pfüe Gott, Herr Pfarr!«

Während im Hausflur draußen die Jungfer Kathrin mit dem jungen Waldhofer über das Sprüchlein ›Jung gefreit‹ einen liebenswürdigen Diskurs begann, sah Herr Felician in der Stube noch immer auf den Fleck, auf welchem Roman gestanden. »Sooooo? Der hat's gut, der bei der Lisbeth sitzt?« Er schien eine Erbse gefunden zu haben. »Kommt mir nur morgen, ihr zwei!«

Draußen war dem jungen Waldhofer die Geduld vergangen. »'s Exami muß ich erst morgen machen, Jungfer Kathrin! Für heut hab ich gnug. Pfüe Gott!«

Als er im Sturmschritt die Straße zum Waldhof hinuntermarschierte, holte er ein altes Weibl ein, das sich in vergnügter Laune zu befinden schien. Immer schwatzte die Alte vor sich hin. Und ganz merkwürdige Bewegungen machte sie, bald nach dem linken, bald nach dem rechten Straßengraben. Und immer schien es, als wollte sie sich bücken; aber sie tat es nicht, sondern stolperte weiter und tastete nach der Strohtasche, die sie am Ellbogen trug.

Trotz der Dunkelheit konnte Roman, als er an der lustigen Alten vorüberging, noch ihr Gesicht erkennen. Es war die Spielbötin. Und ein Duft nach Pfefferminz ging von ihr aus.

Kichernd torkelte sie ihrem Häuschen zu. Um durch die schmale Lücke der Gartenhecke zu kommen, mußte sie mit schiefem Körper zielen. Und dann galt es ein Werk, das Bedacht und Ruhe forderte: das Schlüsselloch zu finden und die Haustür aufzusperren.

Während sie mit dem Schlüssel rings um die Heimat klapperte, in die er gehörte, erhob sich einer von der dunklen Hausbank. »Gottslieben Abend, Bötin! Lang hast braucht! Haben s' dich so gschwind net auszahlt, gelt?«

Da fing die Spielbötin ein Gelächter an, als wäre diese Begegnung im Finstern das lustigste Erlebnis ihrer sechzig Jahre. Und während sie lachte, machte sie eine Verbeugung um die andere und klopfte immerzu mit der Hand auf den Schenkel.

Jetzt merkte Hanspeter, daß die Bötin ein ›Nagerl‹ über den Durst getrunken hatte. »Mar' und Joseph! Weibl! Wirst mir doch um Gottswillen net ebba 's Geld verloren haben?«

»Na na!« Vor Lachen vermochte sie kaum zu sprechen. »Da hab ich Obacht geben drauf. 's Geld hab ich schon. Lus auf!« Sie schüttelte die Strohtasche, und da hörte man ein feines Klingen.

Ganz ruhig war Hanspeter wieder. Und flüsterte in die Nacht hinaus: »Nannimai, jetzt haben wir's!« Zu den funkelnden Sternen aufblickend, bekreuzte er sich. »Vergeltsgott halt! Jetzt bist bei der Stang blieben.« Und zur Spielbötin sagte er: »Gelt, jetzt haben wir s', d' Nummero!«

»Ja, Buckleter! Jetzt haben wir's. Endlich haben wir's troffen amal.« Unter Lachen und Kichern war es ihr gelungen, den Schlüssel ins Loch zu bringen und die Haustür aufzusperren. »Komm eini, Buckleter! Jetzt kriegst dein Geld! Dös gib ich dir. Ja! Dös gib ich dir, weißt!«

In der Stube fand sie den Leuchter und die Streichhölzer. Aber Licht mußte der Hanspeter machen. Und als die Spielbötin aus der Strohtasche ein schweres Säcklein hervorholte und sich anschickte, den klingenden Inhalt auf den Tisch zu schütten, sagte er besorgt: »Gelt, tu fein nix verwerfen!«

»Na na! Da gib ich schon Obacht drauf. Mein Geldl, dös is mir heilig, weißt!« Sie drehte das Säcklein vollends um, und eine glitzernde Welle von Goldstücken und Silbermünzen plätscherte über den Tisch. »Schau her, Buckleter! Da schau her!« Mit ihren dürren Händen kramte sie in dem Geld. »Papierig haben s' mich auszahlt, d' Österreichischen, weißt! Aber gleich hab ich mir's umgwechselt. Und her mit der Hand jetzt, Buckleter, jetzt kriegst dein Geld!« Hanspeter streckte die ruhigen Hände, und da zählte ihm die Spielbötin lachend, doch etwas unsicher, fünf Goldstücke auf die harten Schwielen. »Da hast es wieder, deine fufzg Markln! Sollst nix verlieren, weil d' mir Glück bracht hast. Bist a guter Mensch, ja! Bist mir der liebst.« Sie kicherte. »A bißl anbrennt bist halt, weißt! Hättst eine von die Nummero derraten! D' Lieb is aussikommen. Der Dreizehner, ja! Aber d' Lieb hast gstrichen. Und bei die andern hast danebentappt. Aber ich! Jetzt hab ich ausgsorgt. Ich hab an Ambo gmacht, achthundert Markln hab ich gwonnen, auf'n Zwölfer und auf'n Neuner. Die hast mir eingeben, du! Der Zwölfer is d' Apostelzahl, und der Neuner geht auf die Anbrennten, die bis auf Zehne net zählen können. Die zwei Nummern, die hast mir eingeben. Drum sollst nix verlieren.« Lachend griff sie an ihm hinauf und tätschelte ihm die aschgraue Wange. »Vergeltsgott, Buckleter! Vergeltsgott tausendmal!« Kichernd torkelte sie zum Tisch und begann den Geldhaufen wieder einzufüllen.

Hanspeter hielt noch immer die Hand gestreckt, auf der die fünf Goldstücke lagen. Mit kalkweißen Lippen sagte er – nein, das war nicht menschliche Sprache, wie ein heiseres Bellen war es: »Dös is net wahr, was d' sagst. Dös mußt mir beweisen, du!«

Lachend, ein paarmal danebentappend, zog die Spielbötin aus ihrer Strohtasche eine Innsbrucker Zeitung hervor. »Schau dir's an, wann d' lesen kannst! Da steht's.«

Die Faust über den fünf Goldstücken schließend, trat Hanspeter zum Tisch, beugte das entstellte Gesicht und buchstabierte, lautlos die Lippen bewegend.

Da standen sie schwarz auf weiß, die Nummern der letzten Innsbrucker Ziehung: 13 und 9 und 12, und noch zwei andere.

Zitternd richtete Hanspeter sich auf, öffnete die Faust, ließ die fünf Goldstücke auf die Dielen fallen, und ohne noch ein Wort zu sagen, ging er aus der Stube.

Hinter ihm das besoffene Lachen der Spielbötin.

Als er hinaustrat in die Nacht, sah er hinauf zu den funkelnden Sternen. »Weltkörpeder! Weltkörpeder! Wird schon so sein! Ah ja!«

Er kam zum Waldhof und machte wieder kehrt.

Zum Häuschen der Altenöderin kam er, starrte die mit Läden verschlossenen Fenster an und kehrte wieder um.

Es trieb ihn zur Kirche. Die hatte seine Mutter offen gefunden in der Nacht. Aber seit damals sperrten sie des Abends am Friedhof das Gitter zu. Er fand es verschlossen, rüttelte an den eisernen Stäben und kehrte wieder um.

Auf die Felder hinaus. Über die Wiesen und Äcker, ohne Weg und ohne Ziel, immer im Kreis wie ein armes, leidendes Tier, das von der Drehkrankheit befallen wurde.

An dem Heustadel kam er vorüber, in dem seine Mutter geschlafen; über die Feldgräben sprang er, in denen die ›Tröpfl-Maruschka‹ zur Mittagszeit ihr einsames Brot gegessen hatte.

Und am Waldsaum stand ein Reisighaufen, wie ein schwarzes Ungeheuer.

Hanspeter hob die Fäuste und schrie: »Meinst ebba, ich tu dich fürchten, dich? Leutteufel! Dich fürcht ich noch lang net, weißt!«

Mit schlagenden Fäusten, mit dem ganzen Gewicht seines Körpers warf er sich auf das finstere Ungetüm.

Als die krachenden Reisigbündel fielen, kam Hanspeter halb zur Besinnung und stürzte schluchzend auf die Erde nieder.

Über ihm die Sterne, die schöne Frühlingsnacht.


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