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V

Im Tau der Hügel zwischen den sternstillen Garbenzelten schlägt nächtig die Bergwachtel, erster Milchkolben schwillt am Mais, erster Dumpfviertakt der Tennen erweckt den Tag; in sommerdunstender Ferne des breiten Gurkfeldes draußen steigen die feuerdurchblitzten Qualmwolken, dröhnen nach langer Pause Donner und Einschläge der übenden Batterien, und im Goldgrünflimmer der hohen ahnenden Wälder hetzt der Gehörnte mit Vlies und Huf in Bocksgestalt das nymphenschlanke Reh, keuchend und pfeifend, blasend und stoßend, durch Dick und Dorn, durch Strupp und Strauch, in Kreisen, in Ringen, in Schleifen, bergan, talab, der Quer, im Rund bis hinunter in schattenden Grund. –

Und nun ist's schon Sankt Magdalenen und Jakobi und geht in Brand, Brut und Brünsten auf Sankt Annen und die sieben Schläfer ein, und immer noch hat Primus nicht den Seinen, den Sagenhaften, den einmal Erschauten, den geisternden Nebelbock, hat weder gespürt ihn noch vernommen, geschweig denn über Kimme und Korn gesichtet, und derweil ist ihm der schwarze Peter längst mit einem klotzigen schwarzen Urklachel vom Reber droben, der alte Johann mit einem schweren eisgrauen Hauptkampel vom Schmiedberg, der lange Bogulin sogar mit einem fahlfarbenen, hochgestängten Mordskerl vom Breitenstein zuvorgekommen. Und er selber, der Preisschütz, er, dem das Herz im Wilde auf ihrer zweihundert Schritte gewisser war als Amen und Andacht in seinen Vaterunsern, er mit dem besten Gewehr auf und nieder über dreißig Reviere weit, er blieb zurück, ging als letzter und vielleicht gar noch leer aus bei diesem Ruhmbewerb, und mußte sich zu allem Überfluß an Bitternis noch Spott und Stich gefallen lassen.

Grad an so einem sengenden Kanzleisonntag, als die Glocken der fichtenumdüsterten Schloßkapelle dem bunten Dorfvolk zur Annenmesse und Freipredigt des Barfüßermönches läuteten, da hatte er die ganze Mitjägerei um die grauverwitterte alte Steinbank unterm Wacholderbaum vor der Burgbrücke versammelt gefunden, und in ihrer Mitte zu Füßen des stolz berichtenden Peter den verschränkten Bock, sauber zu letztem Feierstaat mit Fichtenreisig herausgeputzt, im Todesschlummer eingekniffen die verloschenen Lichter, und zwischen den weißlichblondgevliesten Gehören eine schwarzbraune Krone, dick wie eine Hirschstange, ungesproßt fast, aber von Perlen über und über starrend und strotzend an den Riefen und Graten hinan bis nah der Spitze.

»... das wird er schon sein, ein Zehn-, ein Zwölfjähriger gewiß, war euch heimlich, der Teufel, wie ein Wolf, wie ein Gespenst, hab ihn aber einmal mit selbigem Respektierer von der alten Salzlecke auf dem Sattel her ausspekuliert, wie er von der Jungkultur in der Ravnica über den Reber gegen die Draschza gestiegen ist; mir aber dann doch richtig gekommen auf dem gewissen Wechsel unter den hohen Buchen, der laßt nicht aus. Schon auch zu was gut, der Respektier; hätt den da sonst nicht ausgemacht und ansprechen können, man sieht auch sonst manche Sachen, die da so vorgehen, die Menschen auf ihren Wegen, wo sie's nicht ahnen, erkennt jedes Gesicht auf eine halbe Meile … Wird sich schön giften, der Oberkrainer da mit seiner berühmten Büchs, kriegt einen besseren ganz gewiß nicht, heißt, wenn er überhaupt einen kriegt, bis jetzt nichts davon zu merken … Scheiben und Wild, das ist halt doch zweierlei; und gar, wo er selber Bock spielt und mehr bei der Geiß steht als auf dem Vorpaß … Na, da ist er ja, was sagst jetzt, Regimentsschütz du großer, wo ist dein Nebelbock, daß wir ihn mit dem meinen vergleichen?«

Das auch noch hören und einstecken und dem anderen nicht das Stehmesser im Gekrös umdrehen dürfen! … Aber nein, dieser Trost wenigstens blieb, der Nebelbock, der Erschienene, der Geheimnisvolle war auch dieser in all seinen Prächten noch lange nicht.

Nebelbock überhaupt, wo sollte man den jetzt suchen und holen bei solch heller hallender Dürre? … Wenn da nicht ein Wetter mit schauernder Kühlung und Waldtraufe und nachkochendem Gedünst zu Hilfe kam …

Und nicht einmal recht treffen tat er mit seiner Spitze, der hämische Hund, zielte zu kurz um etliche Wochen; hätt damit Herz, Kopf, Kreuz und Kern geschossen damals, da der frische Most noch gestürmt und gewütet, nimmermehr jetzt, da aus dem Sturzbach schon ein trägeres Rinnsal, aus dem Kitzel eine zahme Gewohnheit geworden und ein ander Sommerzeichen beherrschend am Himmel stund. Nebelbock, Jagd, Weidwerk auf heimliches scheues, auf unheimliches schattenhaftes Wild, da blieb keine Zeit zu Buhlbirsch und Balz, da vergaß man auf alles, da galt nichts als das Eine, das Beste und Schönste dieses ganzen Lebens, das freie Spüren und Spähen, die reine Treuliebschaft mit seiner Waffe, und die tägliche und stündliche stetige Erwartung, die Hoffnung des Abends, die frische Vorfreude der Frühe.

Herrgott und Heiland, und gut hatte man's doch so allein, so geborgen mit sich selbst in den Wäldern; und war ein Narr, seine Nächte so blind zu verludern, da sich's doch in der Hütte beim angeschwärzten Herd so viel friedsamer und gesünder saß; und war ein Tor, jemals gemeint zu haben, daß es neben solcher Seligkeit noch eine andere geben könne auf der Welt. Weiber, Weiber, was wird man da sein Herz dran hängen, da man ihrer ja doch genug bekommt; so wenig wie an eine Patrone, die man ladet, eine Zeitlang mit sich herumträgt, verschießt und wegwirft …

Die Polona, freilich; nun gedachte er auch wieder ihrer; frühmorgens, wenn überm aufkochenden Taudunst des Gurkfelds weit hinter gestaffelten Bergzügen die Hochzinken der heimischen Planinen in heißem Blauduft sich auflösten; an schwermütigen Ernteabenden, wenn Grintouz und Ojstritza fernverloschen vor versinkender Spätglut unter der schmalen klaren Mondsichel ruhten, in verschattenden Bergwiesen schon die Grille schliff und das Lied heimkehrender Schnitter über eindunkelnde Hügel wanderte. Jetzt schwamm der stille Mondkahn, über Garbenzelten und müdem Volk auch dort, gegen die silberschauernden Höhen der Ilovca hinab, schmal widergestrahlt vom feiernden Stahl der Harpen, und unter den Sängerinnen des verdämmernden Feldes war eine Stimme vielleicht, die ihn wehsehnsüchtig gegrüßt … Primus fühlte, wie sich's ihm bang im Blute zusammenzog, vom Herzen in die Kehle hinauf stand es wie würgendbitteres Wasser, verzehrt und selbstverlassen starrte er über Eulenschrei und Geisterweben entschlafender Wälder und Weiten hin nach dem entrückten Umriß der Heimat. Heimat, Heimat: und wenn man's hier noch so gut hatte, und wie man's trieb und trachtete, friedlose Fremde war es doch … Grillen schliffen, die Dorfhunde im Geländ drunten bellten um die Erntewagen, die Nachtschwalben in wippendem Schwebflug schnurrten und spannen, vom hohen Holze herab kam's mit Geprassel in dumpfen Bockssprüngen, mit Fauchen und Pfeifen setzten Schatten über den Weg: – der Jäger erwachte, ermannte und befreite sich und stieg mit engzugeschmiegter Waffe von seiner Vesperwarte zur Geborgenheit der waldumbuchteten Hütte hinab. –

Und dann saß er auf dem Schemel vor dem Herde, starrte wie dort droben nach den Wahrzeichen und Zügen der Heimwelt vor schwülem Himmelsbrand hier ins Buntspiel der Flammen, lauschte ihrem Singen und Seufzen und sann und spann.

Das Bild, das Heimatbild der Schnitterin mit der dämmerblanken Sichel wollte ihn nicht verlassen. Der Seinigen, wie der Herr Graf immer so gönnergut sagte, der Polona.

Und das Lied, das Heimatlied von Liebe, Sehnsucht und Abschied klang todtraurig in seinem Herzen und weitete es, daß es sprang und nach innen blutete wie ein leiser Brunnenquell in träumender Sommernacht, und es zog wie eine tönende Saite, wie eine Welle durch seine Brust, durch seine Sinne, und erfüllte ihn mit sterbweher Auflösung.

... Silberkühle Mondenstille,
Müd die späten Stunden schlagen;
Schlaflos wund in schwüler Kammer,
Hätte dir soviel zu sagen …

Die Polona, würd es ihr das Herz brechen, wenn sie es wüßte? … Wenn sie ihn verlor, würd sie ihn vergessen und verwinden? … Und wüßte sie und überstand, würd sie ihm verzeihen, daß er ihr wehgetan? … Ob sie ihm treuer war als er ihr gewesen? … Am End selber nicht; er wünschte es beinah, und hätt doch dem andern im gleichen Atemzug das Stehmesser bis ans halbe Heft ins Leben gestoßen; hoffte es fast, und schämte sich gedemütigt des häßlichen Gedankens … Schaute ihr Gesicht vor sich, im goldblauen Weben der Flammen, in eigener Innenferne: ihr reines klares Antlitz mit den großen sinnstill welschdunklen Augen unterm stolzgetragenen Kranz spiegelblanker Flechten, ihren blumenholden treuen Mund, die selten nur auflächelnden Grüblein in ihren Wangen; fühlte ihre zart anschmiegende Fülle, ihren letzten tiefbrennenden Kuß damals draußen in starrglitzernder Winternacht, das Kreuzeszeichen auf seiner Stirn … »Komm bald, Primus; bleib mir gut; oder ich sterb …« Und verspürte sich plötzlich überströmt bis in den Bart hinab, und würgte und ballte in einem wehrlosen Aufschluchzen die Fäuste.

Das Feuer brodelte, die Büchse spiegelte; durch den hochsommernden Wald von der Wieshalde her in den Graben hinab fegte mit Schnauben und Schrei und Prasseln die wilde Jagd …

Der Nebelbock! … Das war etwas zum Verbeißen und Vergessen.

*

Und morgen, im hohlen Fahllicht der Frühe, dachte man auch wieder anders.

Weibertreu, Männertreu, was liegt daran? … Man trinkt, wenn man dürstet, und man trinkt aus dem Quell, der grad auf dem Wege zum Ziel …

Und machte überhaupt nicht gar so viel Wichtigwesens von solch einfachen selbstverständlichen Sachen. Erst einmal geheiratet, wenn; dann konnte man immer verstumpfen und versimpeln und schön fingerzahm Haustreu halten, wenn … Und bishin floß noch viel Wassers vom Himmel zur Erden und verbrannte manch Pfund Pulver und jagte mit Dreiteufels Wille noch manch gutes Kernlot zu diesem schwarzen Todesrohr hinaus … Und ein Sankt Aloisi mit Lilienstengel und Heiligenschein ist noch kein rechter Bergjäger mit Schneidfeder und Gamsbart jemals gewesen, und die sich an solchen hingen, mochten sich damit abfinden, also. Und überhaupt.

Der Nebelbock, der Nebelbock früh und spat, das war jetzt die Hauptsache.

*

Und endlich, eines brandschwülen Morgens, im Goldflimmer unter den hohen Buchen vom Martiniloch gegen den Seloutz hin, dort ward ihm der heißumworbene Geheimnisvolle unverhofft offenbar.

Aus der finsteren Schluft des Nußgrabens durch Strupp und Strauch dämmertiefer Steile kam das plötzlich heraufgerauscht, mit Fauch und Fiep, mit Gröhn und Grunz, schlank setzte die Geiß über den Schneidweg ins hallende Holz herein, hinter ihr, vor dem Düster der Dickung, von einfallendem Lichtdunst überblendet, stutzte herrisch der Bock: der Bock, ein Bock, ein Gestühl fußhoch lohzinkenden wabernden Gezacks zwischen dem Geläusch …

Der Nebelbock. Der Nebelbock. Der, und kein andrer.

Und eh Primus noch ganz begriffen, erkannt, nach der Büchse geschnappt, war die Erscheinung verschwunden, wie weggelöscht aus dem Bilde …

Still und leer der dämmrig durchglühte Hochsommerwald, die Spechtmeisen tickten, ein Bussard pfiff hell über den Tälern, von den Bergweilern herauf dröhnte anmahnend der Viertakt der Tennen …

Er. Er war das gewesen. Das war er.

Der Nebelbock; der Gespensterbock; der Unnahbare; der Gefeite.

Lange stand der Jäger, lauschte, überlegte.

Verdammter Holzdienst, daß man dort jetzt hingehen mußte, zu den öden Scheitern und Klötzen und Klaftern; statt daß man sich hier wo festsetzte für zwölf, für vierundzwanzig, für sechsunddreißig Stunden, für zwei Tage, bei gespanntem Hahn wartete, hungerte, wachte, paßte: bis er kam, bis das stahlscharfe Korn ihm ins rote Leben stach und die nachzitternde Hand voll ungläubiger Gier in die mächtige Krone griff …

Und kommen würde er, kommen mußte er; hier die spänigen Gefege, da die noch feuchtfrischen Beschlächter am Unterwuchs, der deutliche Wechsel herauf aus dem dunklen rebverwirkten Wildwirricht der Lehne, und in der rosenbraunen Laubstreu unter dem raumen Hochgewölb der Buchen hin der Kreuz und Quer bis zum muldigen Schattengrund hinab die ausgelaufene Reitbahn, in Kreisen, in Schleifen, in Wirbeln und Reigenringen, als hätten da die Buschhexen die schwüle schnakensirrende Hochsommernacht durchtanzt …

Kommen würde er, er mußte kommen, er wird kommen; rannte doch auch einer Schürze nach, war doch auch nicht gefeit und gefroren. Nun hatte er ihn. Nun war er so gut schon wie sein, der berühmte, der gefürchtete Nebelbock, auch er nur von Fleisch und Vlies, auch er sterblich … Jetzt hatte er ihn; morgen, übermorgen, bald würde das arme Gespenst mit bleiernem Segen von Liebesfluch und aller Unrast erlöst sein. – –

Und dann, vom aufglühenden Arbeitsmorgen bis zur andämmernden Vesper werkte er und wuchtete wieder mit Blochen und Blöcken, mit Klötzern und Klaftern, und unterm Heulen und Rauschen der Riese, unterm Pfeifen und Brausen der Schäfte, beim rasenden Rumpeln der Rollwagen, beim Zuhaufkrach der Wälder dachte er an nichts anderes als an die folgende Frühe, an das Fest, an den Schuß, an die stolze Siegesbeute.

So müsset er ihm kommen – so – wie dort hinter jener säbligen Lärche hervor – der rötliche Stammschnitt drüben, wenn das so sein Blatt wär, Blut und Kreuz …

»Aufg'schaut! … Spring! … Himmelheiland!« … Der Holzmeister veratmete in zornig lachendem Schreck. »Bald hätt's dich g'habt, und dann addio Wild, Weiber, Welt! … Hast den Nebelbock g'sehn oder was, daß du so hinträumst?«

Primus trutzte hochmütig. »Und wann ich ihn g'sehn hätt?«

»Wünsch dir's nicht, du.«

»Und wann ich ihn euch morgen hinleg?«

»Schau du lieber, daß es dich nicht … Wärst jetzt bald schon hingelegt wesen.«

»Und wenn?«

Nun wurde der Holzmeister befremdlich ernst. »Ich werd dir sagen: verruf's nicht und versündig dich nicht. Unser Gewerb dahier, das ist sowieso schon voll Tück und Tod: früh noch frisch, zur Nacht die Bahr. Da sind Sachen, über die ist ungestrafter nicht spaßen. Und damit Schluß, ich selber red nicht gern davon; es hat seine Bedeutung, verstehst.«

Koschutnik zuckte die Achseln; der Holzmeister zeichnete sich heimlich mit dem Kreuzmal und schickte sich ernsthaft und verstimmt an die Arbeit.

Nun, wenn sie meinten … Es würde sich ja zeigen, morgen schon vielleicht, binnen drei Tagen; und glückte es beim ersten Male nicht, so blieb er einfach hinterm blöden Holzdienst versteift und verstockt sitzen, bis der gespannte Hahn sein Feuer schlug. Den Nebelbock, den Gespensterbock, einmal glücklich erfahndet und bestätigt, ziehen lassen, die flüchtige Fährte verlieren wegen ein paar elendigen Klötzen? … Am liebsten ginget er jetzt gleich, lasset alles stehen und liegen, und wenn er sein Brot damit verspielet, und wenn sein Leben, was lag daran? … Aber am schwülglühroten Abende dann, als Primus von den Schlägerungen herauf durch das Zwielicht der geweiteten Talmulden nach seiner Hütte wanderte, kam ihn ein anderer Geist mit heißen Schauern an:

Zwischen den Gesteinsstufen im unversieglich feuchten Lehm des Hohlwegs durchs Bromgebüsch, keine zwanzig Schritte vor seiner Schwelle, stand warnend der frische einsame Spurtritt einer Opanke.

*

Hart gellte der Knall; ein jacher Aufriß, rasende Taumelflucht, Wegprasseln und Rauschen durch das Hochhallen der Buchen, durch Strupp und Staudicht hinab; und dann goldgrüne Stille, das sengheiße Singen der Schnaken im verschwebenden Pulverdampf, der herzdumpfe Viertakt der Tennen, und über die Berge her aus den Fernen des Felds wie glückgrüßender Widerklang das morgendliche Andröhnen der Batterien.

Primus, von Schauern geschüttelt und überzittert, atmete tief auf.

Der Nebelbock … Nein, so zeichnet kein blutloses Gespenst die Durchfahrt der Kugel; so reißt kein körperloser Schatten die Läufe unter durchbohrtem Herzen zusammen … Und jetzt noch drei Vaterunser, schnelle Jägervaterunser lang Geduld, und dann, dann mochte alles Grade krumm, alles Schiefe grad sein auf der Welt, dann gab es vorderhand nichts weiter auf Erden …

Sechsundzwanzig Stunden lang hatte Primus so gelauert und geluchst, vom Andämmern gestern her durch brütenden toten Mittag und schläfernden Nachmittag und verglutenden Abend und geisterflüsternde Sommernacht bis in diese erwarmende Frühe.

Da hatte ein Knacken ihn aus fröstlichem Schlaf erweckt, das Gefühl, die Ahnung einer Gegenwart: und fern dort, breit unter den Buchen hin auf der Brunftfährte zog der finster gehörnte Bock.

Und nun waren sie abgebetet, die drei Vaterunser, und Primus ließ sich nicht einmal Zeit, die verstockten Glieder zu dehnen.

Hundert Schritte – hundertdreißig – hundertundfunfzig – neunundfunfzig: da der Ausriß, dunkel in der sonnübergoldeten Streu – die fetzigen Fluchtschrammen – und da Schweiß, der erste schwere schaumigrosene Tropfen Herztau – und da schon in weitum verspritzten Güssen – und dort, rotbraun hingeworfen über einen geknickten Dürrling – –

Primus schnellte zu und kniete überm Gefällten nieder – – o, du verfluchtige Christenseel – –

Ein hornalter unheimlicher Urteufel von Bock, vernarbt und verschrundet, breit und schwer wie ein Stierkalb, zastrig, zaus und zäh, mit erzfinstrem Gesicht, die eichenknorrhaften Stangen, einer Spann und die handbreit darüber hoch, stumpf Achte weisend, dick geperlt bis hinab ins nelkichte Ausgezack der Rosen, um ein Gutes stärker als der anderen irgendeiner, ein Bock, wie er selber ihn noch nie gegriffen und kaum geträumt – und dennoch – –

Besinnlich nach langer grübliger Totenwacht brach Primus das Wild zünftig auf; der lederschwarze Äser mit den silberweißbereiften Lippen erhielt nach liebem Allseelenbrauch seinen fichtenen letzten Bissen, das rote Schußmal, unter den Blattschaufeln mitten durchs Herz, das weihende und kränzende Ehrenzeichen zackigen Bruchs. Waldsäuerlich nach Blut, Harz und Erde roch der verdunstende Körper; Fliegen, schwärzlich getigert und laubsommergolden, sammelten sich am versickernden Quell, auf bläulich geblähtem Auswurf, in der kampfgestriemten, narbendurchknorpelten Decke; ein duftzarter luftblauer Falter ließ sich zu kurzer Rast auf dem knotigen Horngeäst nieder, wippte und entschwebte flaumleicht aus geheimnisvoll flimmernder Stille hinaus gegen den dunstglitzernd übersonnten Schlag … So, nun hatte er seinen Frieden, der Nebelbock, der Unstete, Ruhelose, Gerüchtumdunkelte; und nun war auch das vorbei und genossen, nun war nichts mehr übrig, der Wald entzaubert, es begann wieder der Alltag.

Immer wieder hob Primus das schwere starrige Urgehörn aus dem Laub in sein wollüstiges Tasten und Greifen. Er hatte sie sich anders vor gestellt, diese Stunde, froher und freier; anders die Erlegung, schwieriger, aufregender nach langer Spannung, festlicher nach harter Prüfung und Vorbereitung. Und anders selbst das Beutestück, höher noch, sprossiger, unwahrscheinlicher, er wußte selbst nicht, wie … Aber was, Unsinn, Narretei, solch einen Bock gab es doch nicht wieder im ganzen Land und nicht in hundert Jahren; mit jedem Blick wuchs die knorrige Kronenwucht auf dem graugestichelten Haupte, mit jeder Betrachtung das allmähliche Erkennen, und wie Primus nun die erstarrende Last über das Farnpolster auf der Schulter warf und das hürnene Anschaukeln des hangenden Hauptes wider sein Knie verspürte, da weitete und erlöste und durchflutete es ihn wie ein endliches Erwachen, und ein wälderdurchhallender Urschrei, groß und wild wie die Berge seiner Heimat, brach ihm befreiend aus der Brust. Was denn noch? Wenn das nicht der Nebelbock war, welcher sonst? … Und wenn er nicht der Primus Koschutnik aus Zirklach im Zayerfeld war, wer dann? … Und nun sollten sie all miteinander schauen und staunen, vom Grafen bis zum Holzmeister und zu den alten Dorfkunkeln herunter, was der Primus Koschutnik, gedienter Siebzehner, und seine Büchs und der Teufel mitsammen vermögen, über böse Geister sogar und verwunschenes Getier! … Und noch einen Hochjuchzer und mach einen, weil das Leben und der Sommer und die Jagd so schön sind und doch so todbang und so bald zu Ende! … Dumpf tackten drunten die Tennen, ein Bussard schrillte hoch in seliger Blauglut, ehern wie ferne Schlacht dröhnten die Lagen der Feldgeschütze.

Mit Fleiß nahm Primus seinen Weg über die wildeinsame Meilerstatt. Düster eingeschwiegen hockte der Köhler bei seinem schwelenden Kegel vor dem moosgedeckten Dachschlupf, voll fließender Schwaden stand der leere Kastanienhag. Der Jäger warf seine Bürde ab.

»Hast was von deinem Kronaweth, Alter? Mir ist völlig schwach, sechsundzwanzig Stunden so hinfasten in einem Sitz. Aber da schau.«

Murrend kramte der Waldmann die trübe Flasche aus dem Farnicht seines Baues vor. »Ohndas deinen Schuß gehört und deinen Juchzer; weiß. Wieder einer weniger, den sein unschuldiges Leben gefreut hat; aber du bist jung, na.« Mißbilligend flüchtig besichtigte er die Beute. »Mag's ihm hingehn; war alt und verböst wie ich. Hab ihn wohl kennt. Hat Mensch und Welt gemieden wie ich, mir aber hat er manchmal die Zehrung aus dem weggehängten Rock geholt und die Pfann ausgeschleckt; wir haben zusammgehört, haben uns vertragen. Na ja, bist jung, dir macht's Freud …«

Koschutnik trank, und frühstückte behagsam geschnittene Würfelbissen vom säuerlich rauhen Mischbrot.

»Sollet's nicht? Ist doch dein Nebelbock, dein berühmter. Jetzt hat er sich selber was vorbedeutet.«

Der Einschicht blickte mitleidig her. »Nebelbock, sagst?«

»Was sonst? Findt du noch einen solchen. Vielleicht find ich jetzt alle Schätze im Berg, kriegst hundert Gulden.«

Der Waldmann spie verächtlich aus. »Pfeifet und spucket ich dir drauf. Glaubst, Geld ist was? Geld ist nichts. Geld ist Einbildung, das ist Geld. Ruh und Freiheit, der Fried im Wald, das ist alles. Und Nebelbock? Das bild dir ja nicht ein. Da müßtest ein andrer sein.«

Primus, verletzt und verwirrt, wurde wild.

»Und ich sag, Geld ist viel und alles, weil man sich alles drum kaufen kann; und dein Nebelbock, der deinige, der ist nichts, der ist Einbildung, Nebel eben. Der oder keiner. Ich und kein andrer.«

Voglenz hockte gelassen hin. »Wie du meinst. Mußt ja alles besser wissen. Bist ja schon so erfahren, hast schon so viel erlebt.«

»Was erfahren, was erlebt! Meinen Verstand und meine fünf Sinn hab ich beisammen, da gibt's keine Gespenster.«

Der Einschicht kicherte höhnisch. »Ja, so hast sie beisammen, daß du nächstens dein eigenes sehen wirst.«

»Was redst solchen Unsinn daher? Was soll das heißen?«

»Unsinn, Unsinn. Unsinn die ganze Welt. Dir aber geht ein Schatten nach. Dir steht's geschrieben. An dir geschieht was. Müßtest ein andrer sein.«

»Tätst mich wohl gern schrecken und scheuchen? So deinesgleichen Art. Mich graulst nicht mit deine Sprücheln. Ein andrer, was andrer? Ich bin der ich bin.«

»Ja ja, bis der du bist, behaftet, verfallen, nicht rein, nicht geweiht. Dich hat's, wie alle; wie damals auch mich. Ja, ja, bin blöd, denk's nur, denk's. So einschichtig alleweil in den Wäldern, bei den Tieren und Bäumen, da wird man einfältig, gelt? … Nichts als Meiler schichten und Kohlen brennen jahraus jahrein, was? … Drum wohl ist der Herrgott auch schon schwachsinnig worden, weil er gar so allein ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, nichts tut als uns um seine Quandeln aufschichten, einmauern und schön langsam zu Kohlen brennen? … Der Meiler da in Schwel und Glosen, siehst, das ist meine Welt. Da schau ich zu und sinn' und weiß alles, von den Weibern kommt's, mit den Weibern geht's, an den Weibern hängt's; die Straße, das Elend, die Versuchung, die Sünd, die Höll, das verlorene Paradies, alles von den Weibern. Seh's im Rauch, hör's im Wind, die Raben schreien's, das Wasser rauscht's in den Bergen; an den Weibern geht die Welt zugrund. Alles um mehr und immer noch mehr, um Reichtümer, um die Weiber, um die Kinder, und am Schluß alles Blut, Tränen und Asche. Wer aber denkt an Gott? … Bauen Straßen für den Handel, brechen Berge für den Markt, brennen Wälder um geil Geld zu Gift; wer aber denkt an Gott?«

Betroffen lauschte Primus den wirren, wild abwesend gemurmelten Reden; was war das für eine fremde grollende Stimme, wie im Traum, wie aus der Tiefe? … Seltsam Gerücht von dunkler Blutschuld, von Vorwissen der Zukunft, von unheimlicher Gewalt über die Frauen und ihre bösen Geister, Macht über das Vieh und seine Besessenheiten umwitterte den alten gefürchtet begehrten, gemieden gesuchten Leutfeind. Sollte zuweilen, in Sturmnächten des Frühlings, schauerlich durch die Wälder heulen wie ein Wolf; auf Wochen manchmal von der Erde verschwinden, als habe die Unterwelt der hohlen Berge ihn verschlungen; irre werden zuzeiten, die Weiber am Bach, die jungen Hirtinnen in den Hutungen mit wüster blöckender Unzucht überfallen; und dann wieder zwischen dumpfem Gesang und gräßlichen Flüchen den Stämmen, den Wolken, dem Getier in den Lüften Buße predigen, sich nackt unter rauhem Schmerzgebrüll in Nesseln wälzen, mit Dornen, Feuerbränden, lebendigen Vipern streichen. Eine Frau, die wegen des Modron, des Zehrwurms im Leibe seine Hilfe suchte, fand ihn dumpf verstiert vor seinem farngepolsterten Moosschlupf hocken, Asche und Kohlenglut auf dem Haupte; wortlos starrte er, die Geängstigte floh. Bauern auf dem Felde hatten ihn auf gelber Hagelwolke durch die Himmel einherfahren sehen; in schwarzen Nächten schweifte er aus den Wäldern herab, streifte wild und scheu auf der Flur, trieb dunkles Wesen auf den Freithöfen; holte schwarze Kühe aus den Ställen und ritt sie teuflisch über die Acker hin, daß sie Blut molken und zweiköpfigen Mißwuchs kalbten, die er aber mit Spruch und Mistelreis segnete, hatten schier nicht Euters genug für ihre fette gelbe Milch, und ihr Wurf gedieh mit übernatürlichen Kräften. Die tödliche Sandviper fing er mit freier Hand, und sie schmiegte sich ihm und schlummerte an seiner Wärme; dem fallsüchtigen Kinde legte er unter besonderen Zeichen gepflücktes Kraut auf, und es genas schon von seiner Berührung; im erkaltenden Herbst, wenn das graue Feistvolk der Billiche nächtens in den masttropfenden Wäldern sich sammelte und zu Berg wanderte, zog er mit seiner Pfeife aus geheimen Holz dem Getier voran, und der Buchelratz folgte ihm von meilenher zu nudelnden Hunderten und Tausenden zu verzaubertem Siebenschlaf in die Unterwelt … All das erzählte man von ihm in den Dörfern, Weilern und Ödhöfen, und nun kauerte er da mit erstarrendem Blick, den struppigen alten Kopf in die Faust gestützt, stierte durchs blaue Weben der Meilerschwaden verloren in den flimmernden Sommerwald und predigte sich in abgebrochenem Selbstgespräch in unheimliche Irrwut hinein.

»... Wer aber denkt an Gott? … Niemand denkt an Gott. Das Volk in den Kirchenställen, der Pfaff vorm Altar? … Jäger du, der du Gott im Bruder Tier tötest? … Bursch beim Mensch in der Kammer? … Die da die Straße brechen und Gottes Stille stören und seine Reinheit besudeln mit Blut und Pulverrauch und all ihrem Auswurf, die? … Und ihre Auftraggeber? … Und der Graf, der die Wälder fällt? … Und ihr, die ihr Gottes Wälder vermeßt und verschneidet? … Und die dort drunten mit ihren Kanonen? … Wer? … Ich, damals, hab ich da an Gott gedacht? … Das Tier nur, das Tier, wie das dort, das du umgebracht hast zu deiner Lust, für eine bloße Einbildung; das Tier nur hat Gott und ist in ihm und im Tier ist der Gott! … Was tötet ihr die Tiere? … Was mordet ihr Gott? … Eßt Brot und Frucht, wie sie für euch gewachsen sind seit dem Paradiese zwischen Disteln und Dornen. Euch selber tötet untereinander, Menschen, die Weiber bringt um, die euch fortpflanzen, sündhafter und vermessener von Geschlecht zu Geschlecht! … Was baut ihr Straßen? … Was baut ihr Eisenbahnen? … Was macht ihr Kanonen und Gewehre wie deins da, Mörder? … Was durchwühlt ihre Berge und Meere und Lüfte? … Was wollt ihr ändern, ihr Genarrten des Teufels? … Was könnt ihr ändern, die ihr sterben müßt und einmal aussterben und in Höllenflammen aufgehen mit eurer ganzen Welt? … Was müht ihr euch, wahnsinnig zu sein, um noch wahnsinniger zu werden? … Die Weiber bringt um, statt daß ihr Fabriken baut! Eure Kinder bringt um, die zukünftigen Mörder und Verräter! Glaubst, ich heiße Voglenz? Ich war einmal ein anderer Mensch, du. Ich hab einst Schlimmeres getan als Kohlen gebrannt. Ich hab einen Menschen erschlagen um eines Weibes willen, und dann das Weib um meinetwillen, und zum Schlusse mich selbst um Gottes willen. Seither bin ich der Voglenz, der Narr, der Einschicht, und brenn Kohlen, brenn mich selber zu Kohle, möcht die ganze Welt manchmal, alles was sich Mensch nennt und tausendmal schlechter als Tier ist, zu Kohle einbrennen. Ja ja, da schaust. An meinen Händen, Buberl, an meinen Händen unter Ruß und Pech ist Blut, giftig Menschenblut, besser zu vergießen als unschuldig Tierblut. War einmal ein anderer, weiß nicht ob besser, närrischer vielleicht noch als jetzt. Seid ja alle närrisch und merkt's nicht, Narren unter Narren. Die Straße da, die sie sprengen und scharren, was haben sie davon? Was wird besser? Schlechter nur wird's. Schuld um Schuld, Fluch um Fluch. Einer erschlagt den anderen, die Straße frißt euch alle. Die Straße, das ist euer Weg. Die ihn zu End gehen, die führt er in Versuchung und Verdammnis, viele aber bleiben unterm Schutt liegen und verfaulen. Wie der drunten. Wer denkt an Gott, hehe? … Wo ist da noch Gott unter euch Menschen?«

Primus warf einen scheuen Blick auf den Sonderling, »Welcher: der drunten?« Allein der Waldmann hörte nichts von der Frage, wie entrückt weissagend aus dem Zug der webenden Qualmschwaden redete er rauh mit sich selbst in die Fernen hinaus.

»Wer denkt an Gott? Niemand. Fluch um Fluch seit Anbeginn. Dich hat's, euch hat's, zugrund geht ihr. Die Berge tun sich auf und werden euch verschütten, die Wasser heben sich und werden euch verschlingen, die Sterne fallen und werden euch zerschmettern, das Eisen kehrt sich wider euch und wird euch zermalmen, das Licht verlischt und laßt euch heulend und zähneklappend in der Finsternis. Wie der Herr gesprochen hat auf dem Berg des Ärgernisses und die Bücher der Sibyllen es wissen in Mittag und Mitternacht. Schau nur; ja, ich bin verrückt. Was weißt du Kind? Mütter würgen ihre eigene Brut, Söhne zerfleischen den Leib, der sie empfangen und geboren. Alles von Weib und Geld, alles durch Geld und Weiber. Berg des Ärgernisses alles Gebirg. Jerusalem und Sodom die ganze Welt. Die große Hure auf dem Drachen reitet über die Erde und trinkt das Blut der Geschlechter. Was weißt du? Ich aber, ich weiß, denn ich bin tot, gestorben wie die Kohle, in der nur finstre Glut noch lebt und zuckt. Verstehst du? Das Tal da drunten ist eng, aber es ist ein Beispiel. Die Straße dort, wie das wimmelnde Volk sie baut und bricht, ist nur kurz, ein Faden, aber an einem Faden erkennt man den ganzen Stoff; ein Winkel, aber der gibt die ganze Figur und weist mit seinen Linien in die Ewigkeit. Tal und Straße, die Welt. Darum, weil ich das überall sehe, bin ich irr. Bin ich nicht irr und blind wie ihr alle. Auch du. Bist auch nicht gut. Lügst und betrügst. Bist der großen Hur verfallen, ja. Willst deine Zukunft wissen? Her deine Hand. Da ist die Lebenslinie, da geht ein früher Knick mitten durch. Das ist die Herzlinie, erst einfach, dann doppelt, dann wie zerrissen. Das ist die Kopflinie, hast deinen Verstand verloren. Laß ab. Sei zufrieden, verlang nicht mehr. Sei zufrieden mit dem, was dir gegeben worden ist. Versündig dich nicht. Aber da ist Blut, da ist ein böser Geist, da ist das, was ihr Liebe nennt – hab's auch einmal so genannt, und Blut und Tränen wieder, ein fremder Mann, ein Schatten, der über dich fallt … Laß ab, sag ich dir, laß ab; wirf dich in die Dornen, reiß aus das Glied, das dich ärgert, und wirf's von dir; dein Gewehr da, auf das du so stolz bist, das dir das Liebste ist auf Erden, nimm's und schlag's um den nächsten Baum, auf daß du nicht in Versuchung fallst … Wenn auch besser einen Menschen zu töten als ein Tier … Da, erschieß mich, mir tust einen Gefallen …«

Der Jäger, sein Messer einklappend, sprang auf; jetzt erst merkte er, wie der Sonnenflitter trübe geworden im Wald. »Geh, geh, Narrheiten, hast wohl zuviel Kronawethbeeren vom vorigen Jahr geschluckt in aller Herrgottsfrüh? … Deine Kohlen brenn und triebige Weiber kurier und geblähtes Vieh; aber das sind ja Dummheiten, da könnt man noch selber ganz vermischt im Kopf werden davon.«

Auch der Waldmann erhob sich zu seiner Arbeit, mit dem Schlag ein anderer geworden. »Wenn man's nämlich nicht schon ist, wie ihr alle. Geh halt, geh; schau, ob du ihn kriegst, den Nebelbock, und in was er sich dir verwandelt. Hab ich dich gesucht, bist du zu mir kommen? Ja ja, Kohle brennen, Kohle brennen; zu Kohle brennen euch alle samt meiner, wär ich nicht schon längst verschwelt und in Schwärze verstickt. Hörst, es donnert; Wetter kommt, nimm dir von der Hainbuche einen Zweig, ich rat dir gut, und geh. Jaja, Kohlen brennen, Kohlen brennen, Kohlen brennen in Ewigkeit, immer nur verkohlen in der Einschicht, allein in den Wäldern mit Tieren und Geistern und Gott … Da wird man verrückt, freilich, freilich. Wirst schon noch meiner gedenken. Geh.«

Unwirschen Rucks riß Primus das erkaltete Wild aus dem Farn auf seine Schulter: »Tu's schon, tröst dich; bist keiner grad, bei dem man gerne lang verweilt; und brauchst mir auch nichts zu schaffen hier in meinem eigenen Belauf, verstanden, du Maulwurf? Hätt gern ein Halbstündel hier verrastet und verplauscht, hör gern auch schöngruslige alte Geschichten. Aber solche Sprücheln für nicht einen Kreuzer Wert, als war ein Franziskanerpater auf der Kanzel droben mitten unterm Evangelium um den Verstand kommen … Bist vielleicht gescheiter ein andermal, wann's Wetter nicht auf dich hereindruckt … Also brenn nur schön weiter Kohlen, die Herrschaft braucht welche – und dich selber und Weiber und Welt – und wannst den Teufel siehst, vielleicht daß er zu dir auf die Jausen kommt: die richtige Kugel wär magari auch für ihn schon gegossen – – gelobt sei Jesus Christus …«

Mit höhnisch keckem Gottesgruß, die gesicherte greifbare Beute schwankt auf der Achsel, ging der Jäger; hinter ihm drein hallte schauerlich Irrgelächter durch den schwülverdüsterten Sommerwald. Über den Bergen aus Mittag herauf grollten nach langer schmachtender Trocknis die ersten dunklen Donner.

*

»Sapperlot, also wirklich, wo hast den gekriegt?« Bewundernd hob der Graf am schweren knorrigen Urgehörn das starre graugestirnte Haupt des Wildes auf der Waage in der gewölbten Zerwirkkammer. »Das ist ja ein Klachel, ein Kampel, ein Erzklotzen von Bock. Wo?«

Koschutnik stand finster versonnen zur Seite. »Dorten, wo sie's den Aschenwald nennen, unter den hohen Buchen. Aus dem Nußgraben herauf ist er mir gestiegen.«

»Also doch im Seloutz, und doch was Wahres dran an der ganzen Geschicht. So einer ist nicht geschossen worden in meinen Forsten, seit was ich denk; kannst dich freuen, hast mehr Glück gehabt wie Verstand und Verdienst, Bursch. Hat der Kerl weiß Gott den Nebelbock geschossen, der so vielen schon zum Gespenst geworden. Bild dir nur nicht zuviel ein. Aber wenn's der nicht ist, dann keiner.«

Primus nickte mit einem bitteren Lächeln.

»Bild mir schon nichts mehr ein. Hab's ja auch geglaubt bis vor zwei Stund; hätt drauf geschworen gehabt …«

Erstaunt ließ der Graf das hörnen aufklirrende Geweih zurückfallen. »Na, und?«

Primus zuckte verzweifelt die Achseln. »Er ist's nicht. Ist's nicht. Ist, wie's der alte Finsterling, der Voglenz, der Kohlenbrenner da gleich gesagt hat. Ist's nicht.«

»Na na; hat's dich wohl auch schon, das Nebelbockfieber? Mußt auch nicht gleich jeden Köhlerschwatz glauben.«

»Nein.« Primus schluckte. »Bei meiner Seligkeit, nein. Wenn ich ihn aber gesehen hab, den Richtigen, den von damals – auf keine dreißig Schritt, mit einem Stein zu erschlagen! … Jetzt, gleich nach dem Gewitter, was niedergegangen ist, vor einer Stund und dreiviertel oder so. Schau ihn jetzt noch vor meiner, könnt's nicht vergessen meiner Lebtag und in alle Seligkeit.«

»Also jetzt bist schon der Fünfte oder Sechste, der mir mit diesen Altweibergeschichten kommt. Was war?«

»Was? Gesehen eben hab ich ihn, leibhafter, wie ich den Herrn Grafen da seh! … Jesus, was ist der dagegen! … Trag den heim nach der Hütten, will noch was Wenigs frühstücken, wo ich einen Tag grad und zwei Stunden versessen und verfastet hab im Aschenwald, dem auf dem Vorpaß; kommt schon das Wetter schwer herzogen mit Sturm und Schauer, und bricht herein, daß die Berg erzittern, so hat's eingehaut, bald wie daheim in den Planinen. Na, grad recht, denk ich mir, kannst dich ein bissel ausrasten derweil und das ärgste abwarten; sind die Gußstürz nur so gangen, daß man nicht sieben Spann weit hätt sehn können aus dem Fenster, und finster ist's worden, und das ganze Wolkenwasser ein blaues Feuer, der ganze Himmel ein Donner, Krach in Krach, Sturm, daß die Wälder mit der Hütten drin nur so geschwommen sind, man hätt meinen können, der jüngste Tag; hab mir noch dacht, wird doch nicht an dem sowas sein, daß du den Nebelbock geschossen hast, war am End doch so was wie ein Bocksgeist oder was weiß ich, denk mir noch, gut, daß blieben bist, hätt dich schön vollgeschüttet, je, je, wie hättst dann ausgeschaut drunt vorm Herrn Grafen mit deinem Bock! … Na, zieht weiter hinab, es licht sich, wird stiller, vertröpfelt, und dann noch eine Plochen hinterher und ein Drescher … Die Sonn sticht durch, die Wälder kochen, die Wiesen dampfen; jetzt, denk ich mir, könntst dich schön langsam bereiten, wird das Gröbste vorüber sein, nehm Bock und Büchs in Gottsnamen und tret hinaus: – und wer steht da grad vor meiner im Dunst, keine dreißig Schritt hinauf in der großen Wiesen, und schaut noch trutzig auf mich her und stampft gar mit dem Vorderlauf wie dem Teufel sein Roß? … Und wenn mich der Herr Graf auslachen und stauben: solche Hörner auf dem Kopf, hoch wie mein Arm vom Ellbogen bis zu den Fingerspitzen, und just so dick, und wie aus purem Gold! … Also wie aus purem rotem Gold! … Und hab mich noch nicht derfangen und ermannt: steigts wie eine Wolken zwischen uns herauf, nimmt mir die Sicht, deckt ihn und tragt ihn davon … Wie sich's dann wieder klärt, hat sich hoch droben nur eine alte Geiß über die Wiesen geäst, und ein schwächeres Böckel hinter ihr drein … Greif noch nicht nach dem Gewehr, vernebelts ihn und schwemmt ihn einfach weg; als ob er gar nie da gestanden hätt! … Ja; und wenn mir der Herr Graf den Kopf abreißen magari, den schieß ich noch; den trag ich noch auf der Schulter da, den leg ich noch dahierher auf die Wag. Daß es nicht heißt, der Primus Koschutnik, der Oberkrainer, der prahlt ja bloß, der schneidet auf. Hab jetzt gar keine Freud nimmer an dem da, dem Krüppel; kann ja wirklich völlig gar kein Bock von rechtem Fleisch und Bein sein, der andere, gibt's ja gar nicht, sowas. Ich weiß nicht; aber schießen tu ich ihn.«

Der Graf lachte nachsichtig. »Na ja, seh schon, dich hat's gründlich, das Bockfieber. Wie's andere Menschen nach anderen Dingen beutelt, jeden nach seiner Einbildung. Einen besseren gibt's freilich immer noch, etwas besseres überhaupt bei jeder Sach auf der Welt; oft aber auch nur im Nebel, der's uns so zeigt, daß wir weiß Gott was glauben, und die Zufriedenheit mitsamt unsrer Seel zum Teufel geht. Der Nebel ist ein Versucher; suchen was andres dahinter und verlieren uns selbst, und der Spuk zerrinnt, und nichts bleibt übrig von all dem Schein als ein paar Tröpfeln Wasser und ein Häufel Elend. Ja ja, mein Lieber; Nebel vergrößert, müßtest's wissen von deinen heimischen Planinen. Was der Mensch nicht hat, das sieht er immer wie im Nebel, und was er im Nebel sieht, das meint er nicht zu haben und durchaus haben zu sollen. Darum wird immer ein Nebelbock sein, und darum wird keiner je den Nebelbock kriegen – – und alle Menschen mitsamm auf ihrer närrischen Glücksjagd niemals ihr Nebelwild; aber das kannst du nicht verstehen.«

Primus ließ den Kopf hängen. »Der Herr Graf spricht auch bald schon wie der Kohlenbrenner droben, der schwarze Krampus, übergeschnappte … Und doch, ich laß es mir nicht streiten.«

»Na gut, behalt ihn denn, deinen Glauben, schadet ja niemand. Aber geschossen wird nicht weiter im Revier, das schlag dir aus deinem Störrschädel. Jetzt in der Paarzeit soll das Wild seine liebe Ruh haben; und wenn da gleich zwanzig Nebelböck umeinandrennen, einer größer wie der andre. Mach die Augen schön auf in fleißigem Revierdienst; siehst ihn wieder, kannst ihn bestätigen und melden, das ist dir erlaubt. Und häng jetzt kein Maul her und sei lieber froh und dankbar; so einen wie den kriegst dein ganzer Leben nicht wieder, solch Glück hat man nur in deinen Jahren, als grüner Grasteufel ohne Tugend und Verdienst.«

Koschutnik starrte und würgte. Sollte er darum bitten, sollte er seinen beschlossenen Ungehorsam ehrlich ankündigen? Besser einmal nur das Verbot gehört zu haben als zweimal und nachdrücklicher. Das Wild erst einmal erjagt, dann würde schon die Beute selbst für ihn sprechen.

»Wieder was von Wilderern gewittert?« fragte noch der Graf.

»Nichts in der letzten Zeit.«

»Hoffentlich hört's auf. Soll vom Straßenbau entlassen worden sein, der verdächtige Kerl. Ja, du, da fallt mir ein: der Herr Fürst, mein Vetter, kennst ihn vom Scheibenschießen her, und er dich, hat mir geschrieben wegen einem Hilfsjäger zum Anlernen. Hast ihm damals soweit gefallen; wenn du willst, kannst binnen vier Wochen austreten, wär ein günstiger Tausch für dich. Dort gibt's Bären und Wildschweine, hättst es näher zur Heimat, wärst in guter Lehr und sicherer Aussicht auf ein schönes Fortkommen; je nachdem, wie du dich führst, der Herr Fürst ist ein ausgezeichneter aber noch anders genauer und scharfer Herr, der lasset dir so gewisse Dinge nicht durchpassieren. Aber sonst hättst's nirgends besser. Also überleg dirs.«

Primus spielte mit dem Schlauf des Büchsenriemens.

»Ich – ich saget schönen Dank und: nein. Wenn mich der Herr Graf nicht fortjagt: ich ginget lieber nicht.«

»Mußt dich ja nicht heut schon entscheiden. Es hat Zeit. Überdenk's in Ruh, überschlags. Morgen, Übermorgen siehst es vielleicht anders an.«

»Ich glaub nicht. Ich möcht nicht. Ich möcht bleiben.«

Der Graf sah ihn streng an. »Na, du! … Hoffentlich nicht wegen dem Frauenzimmer da, dem Mensch, der Wirtsschlampen? …Da setzet ich dich stehenden Fußes hinaus, du!«

Kotschutnik machte eine müd wegweisende Bewegung.

»Ah was, wegen dem! … Nein, aber – nun hab ich mich schon eingewöhnt dahier … Bin schon ein bissel heimisch worden; kenn jeden Baum, kenn jede Höh, sitz Abends manchmal so schön zufrieden in der Hütten. Und die Heimat selber, die wär's auch nicht dorten. Müsset mich von Frischem anwachsen, hätt Heimweh dann auch nach hier. Seh die Planinen vom Breitenstein oder von der Lesa, wann ich will; tat mir arg abgehen. Und dann – und – der Herr Graf ist gut zu mir gewesen – hat's immer gut gemeint – – und so – –«

Seine Stimmer brach verdunkelt; eine schwere Träne rollte.

Der alte Herr wurde ganz rauh vor Rührung. »Narr, du! … Deinen Dienst versieh ordentlich und der Versuchung und dem Verderb geh aus dem Weg! … Und sich so warmsitzen gleich auf dem ersten oder zweiten Posten, das soll ein junger Mensch wie du gar nicht. Zu lernen gibt's überall was anderes; der Herr Fürst hat seine vier oder fünf Herrschaften, da kann einer weit herumkommen und eine schöne Praxis erwerben für den niederen Staatsdienst. Also überleg dir's nur schön. Heimat kann überall werden, wo man sie sich in Erfüllung seiner Pflicht schafft. Ich will dein Bestes. Und jetzt geh.«

Primus, in herzheißer Wallung, haschte nach der rasch entzogenen Hand. Dann taumelte er betäubt zur Zerwirkkammer, ohne Blick nach den Gesindfenstern und laubverschatteten Bogengängen des Hofes zum Schlosse hinaus.

All das mitsamm, es war zuviel auf einen Tag.

Und dennoch, wie jenes auch locken und überzeugen mochte: er blieb.

Er blieb. Er wußte selbst nicht warum. Er war gebannt. Er mußte. –

Im regenverschlämmten Weg durch den schwül nachtropfenden Wald, keinen halben Schuß nah seiner Hütte, hielt es ihn mit einem Stoß an.

Da, im durchweichten Lehm quer zum Gleis, stand stumm und gespenstig der flachgerundete Schleichtritt einer Opanke.

*

Nun espt schon in der reifenden Grobmahd zart das keusche Mariengras; die gute Gottesmutter, von rüstenden Schwalben umspielt, geht leis durch die Felder, segnet die Pflugschar und den blaublanken Schollenbruch, Maiskolbens Schwellen am Schaft, die anrötende Traube am Stock, der Bienen letzte Tracht in Buchweizens tauschwül honigsummender Weißblüte, die windträumende Klöppelmühle im Weingartbaum, den Schwarmflug der Stare, die Grille in frühschattender Vesperwiese. Und immer noch wuchtet nach glosenden Tagen ein schweflicht Wetter über die Berge hin; und immer noch stolz und steil aus dem Staub brennt golden die Königskerze. –

Aber eines Nachts, nachdem er lange in scharfem Dienst sich gestemmt und gestählt, dämmerfrüh vor Tau und Tenne auf dem Birschpfad, gluttagsüber an der Riese bei Wurf und Abschuß der Schäfte, auf der Holzung beim Schlichten und Rücken, auf der Rollbahn an Steuer und Bremse hinunter die eckende Fahrt: eines Nachts erwacht Primus Koschutnik aus sehnsüchtiger Unruh des Mondtraums, fährt empor und sieht in der dunstschauernden Helle drauß vor dem Fenster eine stumme Gestalt, Gestalt eines hageren Mannes; reißt sich auf, Gewehr vom Zapfen, stürzt ohn Besinnen hinaus; und der Spuk ist verschwunden, droben durch den Wiesentau treibt der Gehörnte die schlanke Ricke, Spätsommergrille schleift, Laurenzisterne fallen, weit drunten in den Weinhügeln unter spinnenden Nebeln träumt der Nachtwind in seinem hölzern hintropfenden Glockenspiel. Den Jäger fröstelt; was war das gewesen, eine Erscheinung, der Teufel, der Tod? … Und kehrt nach langem Lauschen zurück in Kammer und Lager und kommt nicht zu Schlaf, und spürt anderen Morgens unfern im Lehmgleis unter der Waldtraufe die frische schweigende Fährte einer Opanke.

*

Im Barackenlager drunten unter der hinangewundenen Trasse geht das Grauen um.

Es ist ein Fluch an der Straße.

Giftbrodem braut in der seuchversumpften Talschlucht, wo einst schmelzheiß aus blühendem Wildrosenstrauch die Nachtigall ihr Tränenlied gesungen. Droben am Werk sträubt sich und stumpft das Gerät, trotzt der Stoff, verdirbt die Arbeit, weben feindliche Mächte.

Zwei Istrianern, jenem Mattio Grander aus Gologoritza und Micul Chericatin aus Lupoglava, unvorsichtig über die scheinbar versagte Sprengmine gebeugt, hat das plötzlich unter Blitz und Donnerbrand loswetternde Gestein Leben und Gesundkraft, jenem vom Kopf schaurig den ganzen Unterkiefer, diesem vom Rumpf den Arm abgeschmettert.

Tommaso Clementi, dem leichtsinnigen Scarpenmaurer, wie er eines Sommermorgens einmal nüchtern, geschickt und fleißig auf der Schweblatte steht, bricht das Brett unter der Last seiner guten Vorsätze und des zugereichten Quaders, und in taumelndem Rücksturz, keine anderthalb Klafter tief, vom unselig nachwuchtenden Haublock obendrein getroffen, das Genick. Gellend hallt das Gestein, hallt bis in späte Nacht hinein die Schlucht wider von den wildwütenden Totenklagen der armen verprügelten Teresina. Wie hatte er sie geliebt! … Wie war er gut zu ihr gewesen, selbst im Rausche, selbst im Zorn und Überdruß! … Was hatten sie hierher kommen müssen in diese Fremde, nur um unglücklich zu werden und zu sterben! … Was hatte sie Unselige ihm zugeredet, Madonna, wär er doch lieber betrunken gewesen, hätt er doch lieber irgendwo bei etwelchen Weibern herumgeludert und diesen vermaledeiten Tag blau gemacht, er lebte jetzt noch, ihr Tommaso, Madonna, Madonna! …

Und dem spritzt ein Steinsplitter ins Aug, bohrt sich entzündend ein und blendet ihn auf Lebenszeit zum Halbkrüppel; und Niccolo Castis, der Friauler aus Cividale, stürzt unter der Arbeit von der Trasse ab, schlägt und rutscht tief hinab in die Geröllhalden und bleibt mit gebrochenen Gliedern liegen; und eine Erdlahn aus dem angekerbten Berg schält sich ab, mitten im trockenen Sommer nach einem scharfen Gewitterregen nur, bricht los und fegt drei Leute unter Felsschutt und entwurzeltem Baumgewirr zu Tal … Der Geist der entfriedeten Wälder geht würgend um.

Und ein seltsamer Geruch, eine faulige Dünstung, unwahrnehmbar und doch allgegenwärtig, ein böser Hauch, ein dunkler Schauer schwebt und wittert über all der Pestilenz und Trauer und Sorge. Trüb und ungesund sickern die versiegenden Quellen, die vordem eisklar aus der Felsentiefe gepulst; ein neuer Born entspringt unter der Spitzharke dem durchschütterten Gestein, schwemmt mit einem Schuß ein Volk ekel bleichbäuchiger toter Fische an Tag und stockt nach wenigen Stunden; im Bach, verjaucht mit krankem Unrat und Abfall, treibt tödliche Verschlämmung, in den Baracken fiebern und klappern, würgen und grimmen erdfahl die Angesteckten. Und gerade Blasch Furlan, der Ternovaner, des verstorbenen Danielis Nachfolger am Bohrmeißel, wird wieder von solch häßlicher schwarzgesprenkelter Fliege tief in den Nacken gestochen, verlacht's noch und verflucht's und verleugnet die ahnende Schreckblässe in seinem Gesicht; und sechzig Stunden später lacht er nicht, flucht er nicht, weiß er nichts mehr, und ist nach drei anderen verdämmerten Stunden vorüber.

Die Leute flüchten. Drei, vier der Arbeitsfähigen verschwinden oft über Nacht. Dem Oberingenieur steigt's in den Hals, wächst es über den Kopf, und wie er's auch in rotem und gelbem Wein ersäuft, den Berg, daß er einbricht und ihn all der Widerwärtigkeit enthebt, kann er damit nicht unterspülen. Schleppend und schwer nur ringt sich die Arbeit vorwärts. Zu alldem noch diese obdachlos herumlungernden hohläugigen Glasbläser, von denen er ein paar aushilfsweise eingestellt, ein unbrauchbares, schwaches, unzufrieden wühlerisches Volk voll ansteckender Gedanken und Reden; unversöhnlich und gefährlich unterrichtet, hetzen und schüren nur mit unermüdlicher Schilderung ihres eigenen elenden Schicksals. Konnte man gerade brauchen; und war doch ohnmächtig gegen dieses heimatlos schmarotzende Gesindel. Dieser Eiselt besonders, der sich da an die Kantinenschlampe herangemacht und von ihr freigehalten das große Wort führen darf: wozu habt ihr Pulver und Spitzharken? … Das wäre wenigstens einmal eine Arbeit, die sich bezahlt macht! … Das wäre eine andere Straße, und die wird noch kommen und wird über viele Köpfe führen! … Wird euch noch gerade so ergehen wie uns, nehmt euch dran ein Beispiel … Alles verloren, im Stiche gelassen worden, in dem Loch da hinten verkommen, und jetzt noch an die Luft gesetzt! … Ihr gebt euer Leben, eure Gesundheit, eure Zeit, und was gibt man euch? … Ihr verreckt, und was bekümmert das die Herren von der Regierung? … Und immer waren da welche, die dennoch aufhorchten und anderen Tags mit finsteren Gesichtern antraten; und noch froh mußte man sein, wenn sie sich nicht krank meldeten und davonliefen. Das war ein vergifteter Sommer. –

Eines Nachts, in der mondschauernden Nacht auf den Tod des Furlan, sieht der fiebernde Marco Volpich, von schwülen Schreckgebilden aufgescheucht, eine stumme dunkle Gestalt gebückt wie tastend und beutend unter den Schläfern umherschleichen; starrt gerinnenden Bluts und fährt dann mit heiserem Schrei empor: ein Gespenst! … Der Strigon! … der Strigon ist unter uns! … Und wie die Ruhenden und die Kranken wirr und wild von ihren Lagern auftaumeln, ist die Erscheinung, wie aufgelöst in der Kühlen Silberhelle, mit einem Gedanken verschwunden.

Abseits gezerrt in der Ecke nur auf seinen Lumpen erkaltet der Verstorbene, und sein eingefallenes Antlitz lächelt bös unterm drüberhinspielenden fahlgrünen Strahl.

Und ein andermal, als man den Spuk als Irrtraum eines Fiebernden schon vergessen, wird der Strigon draußen in der blauen Dunstdämmerung zwischen den Bretterhütten gesehen, ein Wesen wie tappend und spürend, witternd, Wolfsgespenst eines Menschen.

Auf Anruf verhuscht der Schatten gegen die Schutthalden zur Trasse hinan, Geröll rieselt, ein gelöster Steinblock kommt in dumpfen Sprüngen herabgesetzt, und alles ist still und vorüber.

Was ist das? … Die friedlose Seele des Gemordeten, die den unbestraften Mörder sucht? … Der Berggeist, ein Bregostan? … Ein Werwolf, ein Leichengräber, der Vampyr? … Und anderen Tags ein neues, wenn auch noch so natürliches Unglück.

Mario Catalinich aus Porto Re triffts, wie er den anderen voraus den Pfad zur Schicht hinanklettert.

Aus ihrem stillbrütenden Ringelknäuel im morgenglutigen Buschgefels schnellt die graue Sandviper den hakenden Giftbiß des gehörnten frevlen Kopfes gegen die zufassende Hand; faulschmutzig, schillerfarben, unter Schüttelschauern und Brechschwindel schwillt die Doppelstichwunde, das ganze Glied, die lallende Zunge im Mund, und mit Arbeit und Erwerb des armen Mario, das weiß man, ist's auf immer vorbei.

Nach einem Jahre wird die Blindheit kommen, dann der Verlust des Gehörs, dann das Ertauben alles Außengefühls, dann die Lähmung, endlich der Schwachsinn. Körbe vielleicht, gelbe Weidenkörbe wird er noch flechten, Netze eine Weile noch schlingen und flicken können, der unglückliche Mario; bis dann das kreisende Gift die Knochen erweicht und als fauligen Gallert aus dem Körper scheidet.

Von der gewundenen Hochstufe der Straße schallt Nachts bisweilen grauses Irregelächter. Eine Baracke gerät unerklärlich in Brand und geht beinahe mit den Schläfern und Kranken in Lohe auf. Im verschlossenen Magazin werkts und wütets mitternächtlich mit dumpfem Poltergewühl, Schritte wandern, Eisen klirrt, Würfe schmettern, Fälle rumpeln, und am Morgen zeigt sich alles Gerät gehässig wie von böswillig tobender Ungeduld durcheinandergestürzt …

Zeichen und Zauber; Fluch und Verhängnis; aller paar Tage rückt ein Schub von unzufriedenen Verschreckten heimlich ab. Mühsam mit schwindenden Kräften ringt sich die Straße durch fiebrische Spätsommerglut den geschändeten, zerschütterten, entheiligten Berg hinan. Die aufgescheuchten Geister kreisen; Teufel und Tod gehen beutend um.

*

Was sollte er tun? … Dreimal hinauf und hinunter die Gnadenstufen zur heiligen Engelrast von Tersat, so oft, so schwer, so bang, so hundertmal hin und her hatte sich's Ilija Schorman in geborgen brütenden Tagesstunden überlegt. Hundertmal den Heimweg beschlossen; hundertmal den Entschluß verworfen; hundertmal all sein Schicksal in Gottes Willen gestellt; und hundertmal all sein Sorgen und Grübeln mit einem schwermütigen Seufzer aufgegeben.

Morgen, morgen am späten Abend wollte er aufbrechen. Einmal aus dieser Gegend heraus, wer wollte ihn dann erkennen? Und bewiesen hatten sie ihm ja nichts. Wer konnte ihm etwas beweisen, Gott die Ehr und den Dank? … Wenn er rüstig ausschritt, dann würde er so gegen Morgen bei Horvati oder Zdentschina die Eisenbahn erreichen. Er wußte die Richtung, dort hinaus gegen Mittag, irgendwo mußte er auf die Schienen stoßen. Geldes genug trug er im Leibling; aber vielleicht wanderte er dann noch eine gute Strecke neben dem Gleis her, bis Karlovac, bis Ogulin, bis Verbovsko, bis Moravica. Das war eine Ersparnis. Und dann fuhr er mit dem Zug nach Fiume, und dann war er eines Abends wieder bei seiner Duscha und tauchte mit ihr das rauhe Heimatbrot ins Bratöl zum geschmorten Kraken, und alles war überstanden.

Allein der Abend fiel, die Nacht mit ihren Taugrillen und träumig tropfendem Windmühlgeklöppel stieg herauf, eine düstere Wolkenbank, von fahlem Geleucht durchhuscht, stand bedrohlich im Süd. Ilija Schorman verschob dankbar die Wanderung, suchte zu vergessen, zu vertrösten, zu verschlafen. Morgen, möglich; übermorgen; in einigen Tagen. Später im Herbst. Bishin konnte mit Gottes Wille vieles geschehen. Jetzt noch nicht.

Vielleicht, zum Beispiel, daß man etwas hinzuverdiente. Mit ein paar Rehen; die achtkantige Flinte mit ihrem Bedarf ruhte geborgen im hohlen Baum. Oder mit gelegentlicher Arbeit, oder irgendwie, wenn es Gott gibt …

Er wußte es noch nicht so genau.

Er wollte es gar nicht so genau wissen. Das kam schon; wie es sich eben fügte; wie es vorbestimmt war. Man würde ja sehen.

Freilich, ja, fort von hier mußte er. Mußte. Einmal. Irgendeinmal. Wie sollte es sonst werden, wie?

Er konnte nicht fort von hier. Konnte nicht. Nicht sobald. Nie. Mochte werden was wollte.

Es mahnte, es drängte, es brannte. Es hielt ihn, betäubte ihn, er war gebannt. Der Nebelbock mit den goldenen Hörnern. Der ungehobene Schatz. Wis-kond-zin. Ein anderes, ein neues Leben.

Ein Leben, in das der andere ihm nicht folgte.

Vielleicht nicht.

In die Heimat, wenn er jetzt dorthin zurückkehrte, würde er ja doch mit ihm ziehen, der Andere.

Würde leichenkalt und sündenschwer, eine unerträgliche Last, auf seiner Schulter hangen den ganzen weiten Weg hin durch die nächtigen Wälder bis an die ferne Eisenbahn. Bis Ogulin oder Vrbovsko, bis in die tannschwarzen Wolfseinsamkeiten der Berge, bis hinunter ans Meer.

Bis in seinen eigenen Tod.

Würde als fahler Gast mit ihm eintreten unters bergende Dach, als Schatten zwischen ihm und der Duscha am Herde sitzen, die Hand mit ihnen in die Schüssel tauchen; würde eisesstarr, eine dunkle Gegenwart, zwischen ihnen liegen, wenn draußen über Hütte und klingenden Karst die Sturmseelen johlend und wimmernd niederstürzten zum Meer.

Wie er jetzt überall mit ihm war, saß, schlief, ging. Die zu Bergesschwere erkaltende Bürde auf dem Nacken, wie er sie damals durch den schwülen Sonnwendwald geschleppt, den grausen Reiter im Genick, den Alp in jedem Traum, den Schreck in jedem Flüsterwind, er wurde ihn nicht wieder los.

Daß das so sein und werden und wachsen könne, er hätte es nie gedacht.

Der Toma Schumanovitsch aus Ledenice, er wußte es genau, der hatte schon ihrer drei umgebracht, und nicht einmal des Jahres dachte er daran, er lebte zufrieden und ruhig und verschlief seine Nächte wie andere müde Menschen auch.

Wie, in der Herzegowina drunten, in der Krivoscie und weiter hinein ins Sandschak und in die schwarzen Berge, da schossen und stachen sie einander tot, Geschlecht um Geschlecht, Sohn für den Vater, Bruder für die Schwester, und keiner machte sich darüber ein Gewissen und niemand außer den Gesippen fragte viel danach; der Zurückscheuende nur, der Feigling, der Schwächling fand keine Ruhe vor Schande und Schimpf und mußte sich in der Wildnis bergen, bis er seinen Makel durch die Tat getilgt, oder außer Stammes und Landes gehen. –

Und waren doch auch fromme Christen.

Und dann, wenn er sich müd gedacht in engen rastlosen Kreisen, nach all dem Grübeln und Irren war das beste doch der Schlaf.

Nicht der Schlaf selbst mit den marternden Schrecknissen der Träume: das Einschlafen.

Das Einschlafen. Da wurde es warm und licht und still. Da kamen gute Vorsätze und Pläne. Das Goldgehörn. Der Schatz. Viel Geld. Ljubitza. Duscha. Die Heimat. Wis-kond-zin. Alles würde noch gut und wieder neu. Morgen. Einmal. Irgendwie. Beim lieben Gott im Himmel – – –

Ganze Tage verschlief er so in der Dickung, eingerollt wie der Fuchs, behütet von pflichttreu wachsamen Sinnen. Die Tauben gurrten, der Häher spottete, der Habicht pfiff, die paarenden Rehe rauschten durchs Holz …

In den Nächten streifte er scheu durchs taugekühlte Grillen der Felder. Hunde bellten, die Schreckmühlen der Weinberge klapperten und tropften, Spätsommersterne fielen, Gespensterschwalben spannen und schnurrten überm dunklen Kreuzstock am dornumbuschten Weg … Da und dort ein paar Pfirsiche, drei milchige Maiskolben, eine Mütze voll früher Kartoffeln, in der Asche ganz gelinden trockenen Feuerchens zu möglichst unverdächtiger Stunde zu braten, das war der ganze Diebstahl.

Er bettelte auch, auf abgelegenen Höfen, die er des Nachts ausgekundschaftet und dann vom Walde her beobachtet, bis das Mannsgesind in die Arbeit gegangen und die Weiber am Herd oder an der Backmulde allein; erzählte rauh und drohend eine traurige Geschichte von Straßenbau, Verwundung, Unglück, Krankheit, Entlassung, und die Frauen gaben ihm aus Mitleid oder Furcht.

Er hatte auch noch Geld. Er kaufte hier ein schmales Saitel Speck, anderswo einen halben Rundlaib vom goldenen Kukuruzbrot. Unter irgendeinem Vorwand; er verpflege sich aus eigenem Lohn, könne das verschimmelte Zeug drunten nicht vertragen. Die Weiber sahen Groschen und einen Mann und dachten nicht weiter nach. Brot und Speck, davon war lange zu zehren.

Das Wesentlichste nur gebrach ihm, Tabak. Ohne Tabak kein Denken, kein Träumen, kein Leben, nichts. Am hellen Tage zum Krämer hinunter ins Kirchdorf, soviel wagte er, soweit traute er sich nicht. Sonntags würden von den Meßgängern der belebteren Wege etwelche ihn erkennen, Werktags mochte der weniger beschäftigte Wirtskrämer ihn verfänglich ausfragen. Sonntag, wann überhaupt war Sonntag, wann zum letzten Male hatten die Glocken über die Berge geläutet? … Für ihn gab es seit langem keinen Sonntag, kein Feiern und Freuen mehr; jemals wieder? … Aber so viele Rehe, bare gute Gulden, liefen jetzt zu Paar wie wild in den Wäldern herum; überall ihr Springen und Schnauben, Brechen und Rauschen. Ilija ermannte sich aus brütiger Starre, holte die Flinte aus ihrem Versteck, hockte sich auf die Lauer, dort wo er schon mehrmals einen Bock mit seiner Geiß sich tummeln gesehen. Nun hatte er ja Zeit, unbegrenzt Zeit. Die kleinen sandbraunen Tauben gurrten, Amseln scharrten, der Specht hämmerte, im Tal drunten unter tauschwülem Sonnendunst schlurfte schläfernd der Bach. Der Bock kam, auf zwanzig Schritt schoß Schorman ihn im Feuerhagel zusammen. Langhin an den Hängen rollte und schwoll und fiel der schreckhafte Knall. Ilija wartete die Nacht ab. Die Stunden wurden ihm lang. Wann zum letzten Male war er bei ihr gewesen? Warum hatte er nicht gleich Hilfe und Unterschlupf dort gesucht? Er wußte mancherlei; aus dem erlauschten Gespräch hatte er sich allerhand zurechtgelegt in stumpfer Grübelei. Alles war so wirr und irr. In bergender Finsternis, zwischen hochgeschossenem Mais und Waldrändern hin schleppte er die Beute nach dem Konfin, im Erlengebüsch legte er sie vorsichtig ab. Schwül brannte ein einsames Licht. Eine Stimme murmelte und seufzte, sie verstummte auf sein leises wiederholtes Klopfzeichen. Endlich Rufe, Schritte, Gespräch, eine Türe ging und fiel, ungewisse Stille, schon wollte Ilija sich davonstehlen, da kam jemand mit durchblitzendem Kerzenstrahl an die Flurtür heran. – Wer ist's? – Schorman stand in losem Gelenk auf dem Sprunge. Sein Herz schlug an; aber hinter ihr drinnen konnte der Jäger stehen. – Wer ist draußen? – Er mußte sich räuspern. Ich. – Wer: Ich? – Ich, nun, Gott mir. – Du? Was willst du so spät? – Wie gewöhnlich. – Was wie gewöhnlich? Es ist alles schlafen gegangen. – Ich habe etwas mitgebracht. – Laß ihn nicht herein, um Jesus, laß ihn nicht herein, schrie es von drinnen, ich will ihn nicht sehen, ich will nichts von ihm wissen, ich brauche nichts mehr von ihm, ich habe nichts bestellt! Er soll wegbleiben, er will uns umbringen! Was will er überhaupt noch hier, laß ihn ja nicht herein! – Der Schlüssel rasselte, Ljubitza mit der Kerze, den nächtlich offenen Busen rötlich angestrahlt, trat ruhig heraus. – Du? Was treibst du noch hier? Bist denn nicht längst über alle Berge? Wie siehst denn überhaupt aus, wie ein Räuber! – Ilija zitterte, er zuckte hilflos die Achseln. Wie einer eben, mit dem es soweit gekommen ist, Gott mir. – Was willst du? Schau lieber, daß du weiter kommst, fort aus der Gegend, besser heut als morgen. Was willst? – Er wies demütig in die Nacht hinaus: ich habe einen gebracht, wieder einmal. – Laß dich in nichts ein mit ihm! rief es von drinnen; ich brauch nichts von ihm, will ihn nicht mehr sehen; sperr ihm die Tür zu, hörst? Der hat doch bloß Schlechtes vor! – Werd schon fertig mit ihm, rief die Junge verächtlich befehlend über die Schulter ins Haus zurück, seid schon ruhig! Sie verlöschte das Licht. Du hörst? Ich kann dir nur das eine raten: sieh, daß du aus der Gegend kommst; du verstehst? – Ich will ja, ich will, demnächst, murmelte er ergeben; nur, ich habe doch den Bock dort gebracht – ein wenig Tabak nur, ein paar Pakete … Sie überlegte. Warte; hol derweilen das Stück! – Sie ging und gab ihm das Erbettelte. Warum bist eigentlich noch hier? – Er schwieg. – Was treibst du dich noch hier herum? Sie haben dich doch entlassen, davongejagt, du bist verdächtig, du riechst den Leuten nach Blut; auf was wartest du? – Er atmete schwer. Ich weiß es selbst nicht. – Sie legte ihm im Dunkel die Hand auf die Schulter. Sei kein Narr! Hast nicht eine Frau daheim und Kinder? Man hat es mir erzählt. Sei kein Narr; ich meine es gut mit dir; geh! – Wieder keifte es von drinnen: Berta, wo bleibst du? Was sprichst so lange mit dem Kerl? Jag ihn doch weg! … Sie zog nur die Türe hinter sich zu. »Sie ist verrückt, die Alte, seither; war ihr Sohn, der Schuft von einem Bankert, sie hat's angelegt gehabt auf dich und mich und ihn, das beißt sie. Aber du sei kein Narr; ich mein es gut mit dir, schau. Schlag dir aus dem Kopf, was du dir vielleicht hineingesetzt hast, troll dich heim zu deinen Leuten, und sei froh, wenn Regen hinter dir fallt oder Schnee. Ich verrate keinen. Bist ein armer Teufel, der mich gedauert und mir drum gefallen hat, und ich bin ein Luder von Hur, wenn du verstehst, was das ist, mit einem Rest von Herz. Hast halt dein Vergnügen gehabt hier in der Fremde, bist ins Unglück gekommen dadurch, so nimm jetzt Verstand an und geh.« – Er stand gelähmt. »Ich will ja, ich will.« – »Du mußt.« – »Freilich ja, ich muß. Ich muß. Gott mir, daß ich muß.« – »Also dann, was noch? Es wird nicht anders.« – »Nein, nein, es wird auch nicht anders. Es wird schon nicht anders. Ich weiß, daß es nicht anders wird.« – »Was also? Oder bist du krank?« – »Nein, nicht krank. Oder ja, vielleicht krank, Gott mir, daß ich es selbst nicht weiß.« – »Warum bist du dann noch hier? Willst durchaus ins Gefängnis kommen, nach Gradiska oder Lepoglava auf zwölf oder fünfzehn Jahr? Hier hat man dich bald; in deinen Bergen, wenn du dich da verschlupfst, findet dich kein Mensch.« – »Ja ja, es ist wahr. Gott mir, daß das wahr ist.« – »Was denkst du eigentlich? Was haltet dich? Brauchst du etwas?« – »Nein nein, ich brauche nichts. Ich brauche nichts. Nichts brauche ich.« – »Was treibst du dann eigentlich, bist wo im Dienst; wo hast dich verschlossen?« – »Nun so, in den Wäldern. Es sind da Gelegenheiten.« – »Aber wozu?« – Er schwieg. – »Würd dir gerne helfen, wenn's geht, wenn ich halbwegs kann; wo du um mich in diese Sach kommen bist. Mußt es halt sagen.« – Er seufzte nur aus der Tiefe. – »Bist in irgendwelcher Not oder Verlegenheit? Hast Schulden vielleicht in der Kantine droben und möchtest deine Sachen nicht zurücklassen?« – »Nein, nein, ich hab alles. Alles.« – »Du, mir scheint, mit dir ist etwas nicht ganz richtig. Du hast was vor.« – Er hob mit der Opanke das Gehörn des Rehbocks und ließ es wieder auf die Ziegelfliesen klirren. »Kann sein. Ich weiß nicht. Vielleicht, etwas.« – Sie trat dichter an ihn heran. »Du! Wo hast ihn hingetan, den anderen, du weißt schon? Mir kannst es sagen, ich red nichts weiter. Hat's mit dem zu tun?« – »Nein, nein; nichts.« – »Dann versteh ich nicht.« – Er blieb stumm. – »Tragst etwas auf dem Herzen. Das? Geh, sei nicht blöd.« – Er rührte sich nicht. – »Wo hast ihn hingebracht? Wartest auf das, daß sie ihn finden?« – Er gab keine Antwort. – »Hör, also du bist ein Narr oder sonst etwas. Weißt wahrscheinlich selbst nicht, was du willst. Wenn du dir nicht raten und nicht helfen lassen magst … Dafür hab ich keine Zeit; hab mich lang genug da mit dir verhalten. Geh, gute Nacht, geh.« – Er schwankte; er zuckte; mit einem wundrauhen tierischen Schluchzlaut, als wollte er sie anspringen und unter sich reißen, wandte er sich ab. Dumpf taumelte er am Hause die Treppe hinab, hinter ihm drein ins leisträumige Rauschen des Baches, ins schwermütige Nachtgeflüster der ahnungsvollen Wälder klang ein seltsames seufziges Lachen und das Schließen einer Tür.

Und kalt und schwer legte sich's ihm über die Schulter, und vor ihm her schwebte das Irrlicht blau durch den spätsommernden Grund. – –

Er stattete dem Barackenlager seinen Besuch ab.

Dort in der Innentasche einer bestimmten Weste wußte er ein Rasiermesser, das bekannt und begehrt ob seiner geschmeidigen Schärfe an manchem Sonntagmorgen schon auf seinem Wege von Hand zu Hand, von Kinn zu Kinn auch über das seine gegangen und dem Besitzer jedesmal seine vier oder fünf Sechser an Leihgebühr, zwei Kreuzer je Gesicht, eingebracht.

Wie ein Räuber wollte er nicht aussehen, wenn er auch einen erschlagen.

Außerdem gab es im Lager noch viele andere nützliche Dinge zu holen. Draht, Sprengpulver, Tabak vielleicht, Brot, Speck, Salz, was immer. Beute. Bedarf.

Zweimal mißglückte es ihm. Eine Rolle vom verschwiegenen Draht wenigstens konnte er mitnehmen. Dann, in einer regenwolkigen Nacht, gelang ihm der gewagte Einschlich in den fieberdunstschwülen Schlafschuppen. Schattenhaft wie der Mar tastete und spürte er unter den schwer im Brodem von Seuche und Schweiß atmenden Männern. Er fand Brot, Pfefferspeck, Geld, ein paar Zwiebeln; endlich den Leibling, wo er ihn gewußt, am Nagel im dritten Balken, darin das Messer, sorgfältig in zerknittertes Wachspapier gewickelt.

Lange stand er still zwischen den Träumern und lauschte ihren Seufzern, ihren wilden Ausrufen und Schreien nach Weib und Heimat.

Unvernommen, ungeahnt stieg er über sie hinaus. Draußen rief ihn jemand an. Die kostbare Beute im Hemdbusen, huschte er die rieselnde Halde hinauf wie ein nächtiges Wildtier. Droben dann überkam es ihn, daß er einen schweren Bruchblock in die schlummernde Tiefe abwälzte. Ins springende Hinunterschmettern der Wucht schallte sein schauriges Hohngelächter.

Stundenlang nach geborgenem Morgenschlaf schärfte er das Messer am Bundschuh; beim harten Wasser eines Rinnsals rasierte er sich bedachtsam blank. Das verrichtete Werk machte ihn zufrieden und beinahe froh. Nun sah er nicht mehr aus wie ein Räuber.

Im Dunkel umlauerte er den Konfin. Wieder brannte das einsame Licht hinter verhängtem Fenster, eine Stimme klagte und stöhnte in Qual. Der Bach rauschte, die Weiden flüsterten; er hatte keinen Vorwand und wagte kein Zeichen. Sterne fielen, in den Feldern zirpten traurig die Grillen. – – –

Er suchte die Baracken noch mehrmals heim, zu jeder zweiten oder dritten dunklen Mitternacht, wenn es ganz still geworden, das letzte Fenster verloschen, der verunreinte Bach nur mehr einsam in der Tiefe gurgelte; stieg aus der Finsternis der Wälder zu den Menschen herab wie ein scheues verwunschenes Gespenstertier auf seinem Wechsel.

Sie hatten ihn zum Strigon gemacht, zum Gräberwolf, zum Vampir; nun war er's wirklich geworden. Ein Spuk, eine irrende Seele durchschweifte er die Landschaft.

Auch die Glashütte unterm feuchten Düster der Felsen im innersten Talgrund umspürte er nach Beute und Abfall, auch das arme Walachendorf auf der Höhe. Bleich durch die ruhenden Dunkelmassen des Waldgebirgs wand sich der ausgestufte Schurfkerb der Trasse unter den Spätsommersternen hin. Wenn man da fort und dort weiterging, kam man jenseits hinunter, nach Jaska, nach Karlovac, nach Ogulin, in die Heimat, zur Duscha, ans Meer.

Und dann, wenn man wollte, nach dem Lande, wo alles gut war, vergessen und versunken, nach dem Lande Wis-kond-zin. –

Er verbrachte manche Vornacht auf starrer Lauer im Gestrüpp unter den blätternden Erlen und lispelnden Weiden, dort wo er damals in schwülem Heuduft unter drohendem Wetterleuchten gestanden, als all diese bittere Härte über ihn gekommen. Und immer brannte das schlaflose einsame Licht hinterm verhangenen Fenster, ein Schatten wanderte, eine Stimme murmelte, zum schwermütig herbstlichen Tropfen und Schnarren der kleinen Windklappermühlen ferner Rebenhügel schrillten im Tau der schmalen Wiesenraine die Grillen.

Da drinnen wohnte eine Mutter, der er den Sohn erschlagen. Und der Erschlagene selbst wuchs neben ihm aus spinnendem Nebelgrau herauf und starrte augenlos nach dem Hause, aus dem er seinen letzten Gang getan.

Es geschah, daß die Alte plötzlich das Fenster in die Nacht heraus aufstieß.

»Wer da? … Was wollt ihr? … Packt euch, geht fort, ich seh euch gut! … Ihr kommt mir nicht herein! … Ich laß mich nicht von euch holen!«

Er schauderte und stahl sich hinweg.

Einmal, als er so fremd und verloren unter den Weiden stand, sah er die Weiber, wie sie geheimnisvoll flackrig umschattet mit Kerzen in die Türlaube heraustraten. Die Junge, Haar und Hemd zaus von Schlaf, mußte zum Keller unterm Treppenvorbau hinabsteigen. Nach kurzem tauchte sie wieder auf, die Alte beugte sich mit heiserem Geflüster vor. »Hast nichts gesehen? … Hast nichts bemerkt? … Jesus, und ich hab's doch so deutlich scharren und graben gehört drunten! … Hast auch genau geschaut? … Gewiß ist wer – –« Sie stockte. »Jesus, siehst ihn? … Siehst ihn, dorten? … Wie er dort steht und auf mich wartet? … Jag ihn weg! …« Und ihm selbst war, als sei er kein Mensch mehr, sondern ein Gespenst, ein ruhloser Toter in kaltem Grabestau, und als müsse er noch ein Leben zu sich herabziehen in seine grenzenlose Verlassenheit.

*

Einer Mitternacht, da sie wieder mit huschendem Licht zum Kellerloch abstieg, trat er sie aus dem Dunkel an. Sie schrie nicht auf; als hätte sie ihn mit seinem Ansprung längst einmal erwartet. »Du bist da? Mach's still, du; die Alte horcht. Was willst?« Weibhauch aus ihrem offenen Hemde schlug ihm ins Blut; aufgurgelnd mit tierischer Brunsttatze griff er sie an sich. Ruhig, einen Schub unters Kinn, wehrte sie seiner Gier. »Bist irr? In Gottes Namen komm halt, du Narr.« Drunten auf dumpfen Kartoffelsäcken überließ sie sich ihm. »Du, du schmeckst nach Blut.« Sie spuckte aus. »Na, nun geh.« Wehrlos und stier stand er vor ihr im schattenden Flackerschein unterm Gebälk. »Geh. Hast das Deine gehabt. War doch wenigstens einmal wirklich einer im Keller. Also, weg mit dir, weg, heb dich.« Betäubt, getreten taumelte er hinaus in die wehmütige nebelwebende Spätsommernacht voll Schauer und Sternenfall.

Er hätte es ihr gerne gesagt. Aber wie hätte er's ihr sagen sollen, und was? Das von Wis-kond-zin, das vom Nebelbock, vom Schatz in den Bergen, vom neuen Leben im geträumten Land … All das konnte man nur tief inwendig tiefeinsam sinnen und spinnen, das hatte keine Sprache. Und er selber wußte nicht Anfang und Ende.

Und jedesmal, wenn er dort unter den Weiden gebannt auf bangharrender Lauer stand, brannte in ruhloser Kammer das schwüle, späte Licht, der Schatten wanderte, die Stimme seufzte und stöhnte und schrie bisweilen auf aus verzweifelter Fegfeuerqual, daß es ihn überlief; und ihm war, als starrte über seine Schulter hinweg ein anderer nach dem Hause, einer mit verglasten überströmten Augen, wie seinem eigenen Herzen entstiegen. Warum war er hierhergekommen in diese Verwirrung? … Warum war er nicht nach Wis-kond-zin gegangen, ins goldene Land des Glücks? … Was war er nicht überhaupt daheimgeblieben bei seiner Duscha, bei seiner Seele, engbeisammen geborgen mit ihr in Leid und Fehl und Freuden? … Er wußte gar nicht, daß es mit solchen Fragen in ihm dachte, es war nur eine Stimme aus tiefstem Grund wie die dort droben in der nachtwachen Kammer; war sein eigener Schatten, der da getrieben durch die Wälder der Fremde irrte wie jener auf und nieder hinter den verhangenen Scheiben. Ein wildes Schluchzen stieß ihm aus der Seele. Zum Strigon war er geworden, zum Nachtvampir; war mit gutem Vorsatz gekommen, mit heimlicher Hoffnung auf Haus und Herd, und hatte nun nichts mehr, nicht Weib, nicht Heimat, nicht einmal sich selbst. Und er wartete, wartete ohne Ziel, auf irgend etwas, auf ein Geschehen, auf ein Ereignis, auf die nächste Stunde, den nächsten Tag, das vorbestimmte Schicksal, auf den Himmel oder die Hölle. – – –

Er mußte es ihr sagen, mußte mit ihr sprechen. Er rasierte sich wieder sorgfältig mit dem liebevoll frischgeschärften entwendeten Messer, schlich sich im Wagenhof in den Holzstall ein und wurde von ihr, auf die er's abgesonnen, betreten.

»Du? Was denn schon wieder? Du kommst mir vor wie ein Hund.«

Er sah sie demütig aus bettelnden Augen an und holte herztiefen Atem.

»Gott mir, – ich habe gedacht – –«

»Was du dir schon denkst! … An deine Frau denk lieber und deine Kinder. Und daß du weiter kommst, bevor sie dich aufgreifen.«

Er zuckte traurig die Achseln.

»Gott mir, daß ja. Es schon richtig. Aber ich hab mir gedacht – –«

»Also was, was? … Du bist ja närrisch. Ich hab keine Zeit für deine Narreteien.«

Er nickte und schluckte. »Ja … Ja … Gott mir, daß es schon wahr ist. Aber ich hab mir so gedacht … Dort in dem Lande Wis-kond-zin, hab ich mir gedacht, wo es glücklich und gut ist und reicher Verdienst und keine Not mehr – der Gevatter aus Klana ob Castua hat's mir erzählt, er war nicht einmal lang da dagewesen – da hab ich mir gedacht: wenn wir zusammen dorthin gehen möchten, hinüber nach dem Lande Wis-kond-zin – hab ich mir gedacht – da – –« Er stockte.

Sie trat messend von ihm zurück. »Was redest du da für Zeug?«

»– hab ich mir gedacht: daß wir dann vielleicht zusammen bleiben könnten, dort – –«

»Ja, du!« Sie schüttelte den Kopf. »Ich tät lachen, wenn mich die Alte droben nicht höret … Du: sag einmal: bist du denn ganz und gar vermischt, du? … Du spinnst!«

»Gott mir, daß ja … Und da hab ich mir so gedacht: wenn ich vielleicht zu dem Schatz kommen könnt, hier in den Bergen. Zu vielem Geld … Oder zu dem Bock mit den goldenen Hörnern, von dem der Fuhrmann erzählt hat, die sind der Schlüssel … Ich hab ihn selber gesehen … Da hab ich mir so gedacht: wenn ich vielleicht die Hälfte der Frau geben würde oder ein Drittel … Und wir, wir könnten dann zusammen hinübergehen nach dem Lande Wis-kond-zin …«

Sie setzte den vollgerafften Holzkorb beiseit.

»Du bist besessen. Ich hab dir schon einmal gesagt, daß ich's gut mein' mit dir. Ich bin nur eine Hur, ein Mensch, aber du bist ein armer Narr. Schlag dir die Dummheiten aus dem Kopf, schau; mich und den Schatz und die goldenen Hörner, was alles miteinand gar nicht wahr ist; mach dich nicht unglücklich, mehr als du so schon bist. Verstehst?«

Er hörte abwesend zu. »Gott mir, daß ja; daß ich nicht recht glücklich bin. Gottes Wille so, was will man? Aber ich hab mir gedacht – –«

»Denk dir lieber nichts und geh soweit du kannst. Das ist das Einzige jetzt zu denken. Ich sag's keinem, ich – aber einmal kommt's doch heraus. Und dann, was hast davon? Geh.«

»Ja, ja. Gott mir, daß ja, daß das richtig ist. Ich will ja, ich will. Ich will ja nach dem Lande Wis-kond-zin. Nur – –«

»Du mit deinem Lande Wiskondzin im Mond! Wo ist das schon überhaupt?«

»Ich weiß nicht,« sagte er entrückt; »Gott mir, daß ich es nicht weiß. Drüben irgendwo; drüben. Dort ist es gut. Der Gevatter aus Klana ob Castua hat es erzählt. Dort wäre Glück.«

»Wenn du kein Narr bist, gibt es keinen auf der Welt. Mich wundert nur, wie du das angestellt hast mit dem anderen. Da bist schlau gewesen. Wärst jetzt halb so gescheit, tätst in die Lika gehen, gegen Bosnien hinein, da sind die Wälder tief, findet dich auch dort keiner, da hast's näher hin als nach deinem Wiskondzin.«

»Ja, schon, ja. Aber ich hab mir so gedacht, wenn ich vielleicht zu dem Schatz könnt kommen – –«

»Also, bist wirklich so blöd, an sowas zu glauben?«

»– da könnten wir uns vielleicht ein Haus bauen dort im Lande Wis-kond-zin; ein kleines Haus mit einer Rebenlaube und einem Küchenflur und zwei Zimmern, und einem Garten mit einigen zwölf Zwetschkenbäumen und ein paar türkischen Weichseln, Marasca heißt man sie, und einem großen alten Nußbaum – und drei Joch Grund und einer Kuh oder auch nur zwei Ziegen – – die Hälfte würde ich der Frau lassen, daß auch sie gut leben kann – – –«

Sie schwieg in einem trüb erloschenen Lächeln vor sich hin, wie selbst starrend verloren an ein inneres Bild, lauschend an eine Stimme aus der Ferne; erwacht schüttelte sie den Kopf. »Du bist nicht bei rechtem Verstand; dir ist nicht zu helfen. Alles zusammen Dunst. Und wenn …« Sie brach ab in einen Seufzer und hob den Holzkorb. »Ich muß gehen. Such halt deinen Schatz, wenn dir das mehr wert ist als Haut und Rat, und laß dich hängen; Narr.« Und wehrte mit plötzlich bösem Schlage seinem flehenden Griff. »Laß mich, du, hörst. Ich mag nichts mehr zu tun haben mit dir. Du graust mich, du stinkst, Vieh. Wenn du weiter hier lungerst, ich sag's dem Jäger, daß er dir aufpaßt, der schießt dich zusammen wie einen verwilderten Hund – dann hast dein Teil und bist drüben in deinem Mondland.«

Betäubt blieb er zurück. Nur mehr ein verwilderter Hund, ein stinkendes lästiges Vieh für sie, die ihn damals in schwüler Wetternacht mit heißer schmeichelnder Flüsternähe betört und gefangen; um die er verraten, Fried und Brot verloren, um die er einen erschlagen … Ein Hund, ein Vieh, ein Narr, ein Vampir, ein Werwolf, ein Mörder … Daheim, da war jetzt die Zeit der frühen Traubenlese, von Krk herüber kamen die beweibten Abendbarken angesegelt mit ihrer Last süßgärender Maische in den dunklen Fellschläuchen; bis tief in diese Nächte hinein zum schrillen Quäken der Schalmeien stampfte der wilde Tanz …

Er rollte eine Zigarette aus zerdrücktem Knastergekrümel, steckte sie behutsam ins Weichselrohr und rauchte sie schwernachdenklich auf; wartete auf irgend etwas und versank. Hohles Gemurmel wie Sterbgebet und Totenklage ging um im einsamen Haus; die Geister flüsterten in den Weiden, die Grillen geigten im Tau, fern im Nachtwind der Hügel schauerten und schnarrten die kleinen Schreckmühlen. – –

In dieser Nacht saß Berta Grabert noch lange wach auf dem Bettrand, verstarrt in die goldenumflorte Flamme des Lichtstumpfes, und träumte von jenem unerreichbaren Garten des Glücks und der Erlösung, von den zwölf Pflaumenbäumen im stillen Eigengeheg und dem grünen Sommerschatten einer Rebenlaube, von Reinigung, Friede und Vergessen im fernen fremden Heimatlande Wis-kond-zin.

Ein Narr, der daran glaubte. Ein größerer Narr, der nicht versöhnlich und einfältig genug sein wollte zu solchem närrischen Glauben.

Drunten in einem schlaflosen Fegefeuer rang und stöhnte eine arme sündige Seele.

Was ist schon Sünde, was Fegefeuer? Das ganze Leben von Anfang bis End.

Man kommt dazu, wird hineingestoßen in die Finsternis mit seinem Herzen und seinem Fleisch und seinem bangen kleinen Flackerlicht, irrt, stoßt aus dem eigenen noch andre ins gleiche Elend hinaus, leidet und stirbt.

Das ist dann noch das Beste.

Doch, vielleicht gab es irgendwo drüben, irgendwo jenseits etwas wie ein helles, reines, seliges Land Wis-kond-zin.

*

Die alte rostige Mordflinte im Arm, streift Ilija Schorman durch den nächtigen Bergwald, nebelspinnend unterm herbstkühlen Mond.

Klagende Stimmen rufen aus den Quellgründen; gespenstisch Schreckgetier, Kauz und Buchelratz mit Juch und Knack und Schnalz geistern durchs silberschauernde Laub. Überm bangen Rascheln des Maisschilfs auf den Rodungen schnurren und schweben die Schattenvögel.

Wesen wachsen und weben. Der Peter Klepetz mit dem tannenen Wiesbaum droht riesig auf dem Kreuzweg. Wanderflug rauscht über die beglänzten Höhen unter den heiligen Gestirnen der Jahreszeit. In den Obsthügeln gegen die Dunstweite der Felder hinab träumen und spielen trägtropfend bald wie zögernder Stundenschlag, bald aufgescheucht klöppelnd die kleinen wipfelwachenden Windschnarren.

Ilija Schorman aber denkt an den Nebelbock und an den Jäger, der ihn niederschießen soll wie einen verwilderten Hund.

Verwilderten Hund, der er bei Gott ja geworden.

Heimatloser Waldwolf, der er nicht immer gewesen.

Der, ja, der schmeckte nicht nach Blut. Der stank schon nicht nach Aas. Den schimpfte man nicht ein lästiges Vieh. Den schalt man nicht einen Narren. Der schmückte süß, der war jung, schön, stark, frei. Der war ein unfehlbarer Schütz, der traf in jedes Herz, in jedes Leben. Dem gab man sich nicht zum Almosen, dem warf man sich selbst an den Hals. Dem glaubte man den Schatz, der war an einem Sonntag geboren, der würde ihn finden, dem gehörte die ganze Welt. Der, ja, der.

Wolfsstill auf weichen Opanken umspürt Schorman die schlummernde Hütte, einsam im Bogen der silbernen Spätsommerberge. Nebelfrauen in fließenden Schleiern ziehen ahnungsvoll an den Hängen hin, aus flüstrigem Finster der Schlucht herauf heult ein grauser Schrei, gefolgt von Bocksgemecker, Gekläff, heiserem Höllengelächter. Weit drunten in den Weingärten fällt ein Wächterschuß.

Der Schleicher horcht, meint tiefen Atem des Schlafes zu vernehmen, drückt sich ans kleine Fenster.

Da drinnen, auf drei Armeslängen, schläft der Feind, da drinnen in Griffnähe harrt köstliche Beute. Und er hat den Nebelbock doch mit eigenen Augen gesehen. Und einer würde ihn einmal erlegen, einer. So hatte der Fuhrmann unter Bekreuzigung erzählt, damals in jener Nacht; und dann die Mordgeschichte jener verrufenen Stätte, wo das ruhlose blaue Irrlicht zuckt. Und hat sich nicht gleich in der Frühe danach der Goldgehörnte gezeigt, ist nicht in der anderen Nacht schon die Vorbedeutung in Erfüllung gegangen? So muß es also doch wahrhaftig wahr sein, beides, und folglich alles andere. Schon einmal Gottes Wille, daß der schweigsame Fuhrknecht es hat erzählen müssen, ihm eingeben, grad ihm und grad damals, das vom Glasbläser und vom buckligen Schreiber und der Stelle, wo man dem Feinde am besten auflauert, und wie man es dann weiter macht. Ob dem anderen auch ein Armenseelenflämmchen leuchtet in sein ungeweihtes Grab? Verdiente es nicht, verdiente keine Schaufel voll gesegneter Erde; ist ein Schwein gewesen, das, ein Teufel, selbst der wahre Strigon, eine Blutspinne, die nächtlich heraufgekrochen kommt aus dem Totennest und sich vollsaugt aus den Herzen der Lebenden. Wie der jetzt wohl aussehen mag? … Ein Strigon verwest nicht, er schläft nur, nach vielen Jahren noch blutet die Leichenhülle seiner ungestillt umgehenden Seele; dann erst, wenn man ihm einen spitzen Pfahl aus Holz zauberwehrender Hainbuche durch die Brust treibt, ist er wirklich tot. Ob er jemals wird gefunden werden? Eher werden sie keine Ruhe und kein Glück haben bei der Straße, nichts als Krankheit, Bruch, Sterben und Gift. Ihn aber, der ihnen jenen zum Fluch und Gespenst gemacht, haben sie ausgestoßen wie einen Angesteckten und davongeprügelt wie einen tollwütigen Hund, wie einen Hund.

Er steht still, horcht, wartet. Da drin der Feind, der Glückliche, bei ihm da drinnen begehrte Beute. Langsam zieht er den Hahn vom blinkenden Zündstulp. Wenn schon einmal Blutrost und Fluch ist an der Flinte, Fluch, Blut und Rost wie am ganzen Leben … Menschen, die man zu Hunden gemacht, beißen, Hunde, die man tollwütig gemacht, beißen tödlich. Es ist ganz einfach. Er braucht nur zu rufen, der drin steckt Licht an und zeigt sich als Ziel, oder er stößt das Fenster auf, mit dem Kopfe mitten hinein in den entgegenprasselnden Hagel. Oder man legt zuvor noch Feuer an die Hütte, das sprengt das Opfer und verzehrt jede Spur. So hatte er sich's längst ausgedacht, zehnmal, hundertmal, bedächtig genau wie damals das andre, brütend im Tagesversteck, in glimmend trägen Träumen der Rache. Alles nahm und hatte und genoß er, dieser Jäger, alles gehörte ihm und war sein, Jugend, Kraft, Schönheit, Wild, Waffe, Weib; er sollte sterben. Er sollte sterben, das war beschlossen, das war ihnen gesetzt, ihm, daß er tötete, jenem der Tod. Es mußte sein, der andere mußte sterben.

Und dann wird er ihr ein Zeichen bringen der vollstreckten Tat. »Da, von ihm, den du mehr geliebt hast als mich! … Der so viel auf sich genommen hat für dich! … Der nach Milch und Honig geschmeckt hat und nicht nach bitterem Blut! … Der besser gerochen hat als ich, der kein armes stinkendes Vieh gewesen ist, sondern ein Sonntagsprinz! … Dem du dich nicht zum Almosen geschenkt hast, sondern bettelnd angeboten! … Der so stark gewesen ist wie der Königssohn Marko, so schmuck und fein, ein Meister in allen Dingen! … Der mich hätte niederknallen sollen wie einen räudigen Hund!« … Wird er ihr sagen, ja, und das Zeichen von ihm zu süßem Gedenk in die Schürze werfen und gehen … In der Crivoscie und im Sandschak drunten nahmen sie vom Erlegten die Ohren wie vom Rehbock die Hörner und zogen sie auf Draht zum Kranz … Der ungetreuen Frau brachte man vom erschlagenen Liebhaber noch ein anderes Vermächtnis … Schorman ballte die Faust, von seinem lebendigen Leibe, warm, so müßte sie's kriegen …

Vielleicht aber auch wird er's nicht tun.

Wiederholt hebt er die Flinte in Anschlag: zum Versuch. Oder soll er zuerst Feuer anlegen? Was ist das, was da so schlägt, dumpf und tief? … Jetzt, als ob Schritte nahten; jetzt als ob hinterm mondspiegelnden Fenster ein Gesicht dämmerte, hohl und drohend; jetzt wie verhaltene Atemzüge, jetzt wie das stahlscharfe Knacken eines Gewehrhahns … Die Nebelfrauen wandern, die Grillen klagen im mondkalten Tau.

Und Schorman steht und starrt und wartet auf einen Entschluß.

Rehe rauschen durch nächtigen Busch. Schattenvögel schweben und spinnen. Über die Hochwiese gegen die dunstschauernden Waldwände hinan gaukelt auf bleichen Fittichen die Ohreule.

Und Schorman steht und starrt und überlegt, und nun muß er auf einmal wieder daran denken, wie er den anderen damals durch die geisternde Sommernacht geschleppt, den grausen Totenreiter, der ihm seither so leichenschwer im Nacken sitzt und sich nicht abwerfen läßt, den er im Traum selbst endlos durch Wälder und Welten trägt, weiter, immer weiter, bis hinüber ins abendferne Glücksland Wis-kond-zin …

Wie das Blut ekelklebrig auf seiner eigenen schweißtriefenden Haut gerann, das fremde giftige Blut; wie die schlaffe Mordbürde bergan so drückend und würgend wurde und immer erstickender, und ihn mit unheimlicher Gewalt zurückzerrte nach der Tiefe; wie er sie dann verbissen ringend, watend, springend am Bache hin weiterbrachte bis in die Bergung und unter Steinwuchten bestattete, wie er sich noch Dampf und Schmier herunterwusch und gegen die gewittrisch brandschwüle Frühe glücklich unbemerkt wieder einschlich unter die dumpfatmenden Kameraden …

Und seither keine Ruhe mehr, kein Schlaf ohne Alp, kein Traum ohne Trud, kein Schritt ohne lähmende Last, das ganze Leben wie blutlos, verloren, verdorben, ein schwindender Schein zwischen Schatten und Schrecken …

Und aus der Tiefe zum Herzen herauf dies Steigen von einem inwendigen Grundwasser, dies Zehren und Ziehen, Saugen und Nagen von einem unheimlichen Wurm …

Vom Strigon, der sich in den Nächten sein Leichenleben schwächend aus den Menschen schlürft und davon im Grabe fortdauert wie eine satte schlaftote Schlange in der Wintererde.

Ilija erschaudert. Noch so einen dazu? Nein, das konnte er nicht.

Wenn dann der da drinnen so daliegen würde auf seinem Gesicht wie der andere … Und er würde auch ihn noch auf sich nehmen müssen und schleppen, schleppen, schleppen durch Tage und Nächte bis ans Ende der Welt … Das konnte er nicht.

Was webt dort … Wie Gestalt zieht das über die Halde, Menschengestalt aus Mond und Hauch … Schritte tappen, Schwaden schweben, schriller Sterbensschrei gellt aus der Schlucht, Schleichen schlieft im Gebüsch, Streichen streift im Gesträuch, wilde Jagd stiebt dröhnend durchs Holz, Juch und Huß und johlendes Satansgelächter … Jetzt hebt sich's bleich vorm Waldgrund, jetzt steht es wie Schein in der Trift, jetzt auf einmal nah vor der Hütte, ein Antlitz wolkig überströmt, nebelnd Gebild mit suchend wachsenden Greifarmen … Gelobt seien Jesus Christus und Marija …

*

In dieser Nacht erwacht Primus Koschutnik aus sehnsüchtiger Unruh des Mondtraumes, ahnt eine Nähe, spürt einen Blick, fährt empor und sieht in dunstschauernder Helle drauß vorm Fenster eine stumme Gestalt, Wildgestalt eines hageren Menschen; reißt sich auf, Gewehr vom Zapfen, stürzt ohn Besinnen hinaus; und der Spuk ist verschwunden, droben durch den Tau treibt der Gehörnte die schlanke Ricke, Spätgrille schleift, Laurenzisterne fallen, weit drunten in den Weinhügeln unter spinnenden Nebeln träumt Nachtwind in seinem hölzern hintropfenden Klapperspiel.

Der Jäger fröstelt; was war das gewesen, eine Erscheinung, der Teufel, der Tod? … Nach langem Lauschen kehrt er zurück in Kammer und Lager und kommt nicht zu Schlaf; andern Morgens aber steht unfern im Lehmgleis unter der Waldtraufe die frische schweigende Fährte einer Opanke.

*

Eines späten Abends nach harter Arbeit und weitem Waldgang liegt Primus schwül auf dem Schragen und merkt, daß es mit ehrlicher Müdigkeit allein nicht getan: da klopft's erschreckend ans Fenster.

»Wer ist da?«

»Ich.«

»Was für ein Ich?«

»Ich: Janka. Mach auf.«

Der Jäger besinnt sich: von den vollbusigen Töchtern des alten Jelinek eine, mit dienstlicher Botschaft vielleicht. Er löst den Riegel; Wetter leuchtet über den Bergen. »Was bringst?«

»Was fragst? Leeren Korb da, Regen und mich. Laß mich hinein zu dir. Wie's donnert, hörst? Es kommt. Sieht ja hier keiner.« Wie sie eintritt, streifen ihn die herausfordernden Brüste. »War im Schloß drunten mit Himbeeren, hab mir heimwegs im Dunkeln den Fuß verknackt.«

Koschutnik schloß die Türe; mit unsicherem Schwefelspan strich er Flamme und Licht. Frechverschämt schützte sie das sinnlich breite böhmische Dirnengesicht gegen gespielte Blendung. Weib, Nacht, immerhin. »So, den Fuß hast du dir verknöchelt, den welchen denn? Und beim Bruder unterwegs, dem schwarzen Teufel, hast nicht Einstand nehmen wollen? Gar verzankt mit ihm?«

Sie wehrte seinem beiläufigen Griff. »Nicht, nein. Ja, verzankt, bin ich auch, grad wegen dir.«

»Wegen mir? Der Müh wert! Warum denn?«

»Weil solchen Neid hat, Haß hat auf dich. Sagt, tust nix wie Mädeln – –« Sie schlug sich auf den Mund und girrte ihn schwimmenden Blickes an.

»Und da bist wohl nachschauen kommen, ob du Recht hast oder er? No, er natürlich; siehst ja.«

Sie stellte sich gekränkt und verschmäht.

»Kann ja weitergehen, wenn ich ungelegen bin. Wenn bu vielleicht eine hast bei dir drin – eine andre – –«

Primus lachte auf. »Eine schon, keine andre. Zufällig einmal, nicht wahr. Kommst mir grad zupaß, hast Glück.«

»Bist schlecht.«

»Freilich, weiß; das gehört dazu.«

»Bist schon, wie Peter sagt.«

»Und just das hat dich gestimmt, gelt?«

»Glaubst vielleicht – nicht am End, daß du glaubst – –«

»Gott behüt, Gott behüt, hast dir doch den Fuß verknöchelt: also wo denn, hier oben, noch höher?«

Und er machte und fand keine weiteren Umstände. –

Von Nacht an lief ihm das Frauenzimmer schamlos nach bis zum Ekel.

Überall, im Birschweg, vor der Hütte, auf der Holzung sogar unter den Arbeitern wußte sie ihn unter irgendeinem Vorwand mit peinlicher Vertraulichkeit und deutlichen Anträgen zu finden, und sein finster einsilbiger Widerwille machte sie nur desto hitziger.

»Sind nicht Ate hier gewesen?« Ate – Vater. Von Vater und Mutter spricht der Slave stets in der Mehrzahl der Ehrfurcht.

Primus gab keine Antwort; mit wütender Kraft wuchtete er eine siebenmännische Stammlast in die Riese und stieß sie ab zu heulender Talfahrt. Ihre Augen flirrten lüstern im qualligen Schwemmgesicht.

»Wie bist stark du!«

Ein anderer Langklotz, schwerer noch, folgte und polterte hinunter als Justament.

Sie trat näher und berührte seinen Arm. »Was sagst nix? Bist bös du? Komm heut abend vorüber; hab gesagt, bleib herunten im Schloß über Nacht. Du.«

Der Oberkrainer zielte ihr einen Seitenblick durchs Herz, im schmalen Aufblitzen tödlich wie die flüchtig hingeworfene Freikugel, »Von mir aus. Laß mich in Ruh.«

Sie wurde rot und bleich, würgte, überwand sich und ging.

»Und wann der Kuckuck in der Heilignacht schlagt, wird Hochzeit sein,« sagte Koschutnik vernehmlich hinter ihr drein; er spuckte in die Hände, rückte einen anderen Stamm in die Reihe, lupfte ihn als wär's ein Scheit, warf ihn in die Rinne und sah seiner hinabschwindelnden Brausjagd nach, bis er drunten sich bäumte, aufschoß und hinkrachte zum Hauf.

Der lange Bogulin lachte im Bart und wies mit dem Pfeifenrohr über die Schulter zurück.

»Da spannt eine auf dich.«

»Eine läufige Hündin,« versetzte Primus ungedämpft, und die harzigen Holzknechte wieherten.

»Solche werden leicht bissig, wenn man sie nicht kühlt,« warnte Bogulin; »mir ist auch einmal eine so nachbrennt in meinen jungen Tagen, da hat nix geholfen wie's Heiraten: daß man sein Recht kriegt aufs Prügeln …«

»Sind Köter genug drunten bei der Straße,« knurrte Koschutnik giftig; »muß grad ich's sein?«

»Soll halt alles in der Familie bleiben,« erklärte der andere mit begütigendem Spott; »wollen auch dich in die Famili kriegen, wenn's anders nicht ist, damit dann alle Händ unter der gleichen Decken stecken – verstehst?« –

In der Nacht dann vernahm Primus dringendes Pochen und Flüstern am Fenster, Rütteln und Raunzen an der Tür wie von einem unerlösten Geist, warf sich wüst herum und stellte sich tot.

Eine verkehrte Welt, dachte er, bei uns daheim streichen die Burschen auf Schürzenjagd und stehen sich die Füß kalt im Mondschein unter irgendwelchem Nägelstock … Die Spinnstuben höchstens, hinter denen heraus kommt das meiste, was es an Bankerten gibt …

Die Heimat, überhaupt, die Heimat … Ein Elend, daß man sein Brot so unter fremden Weibern verdienen muß. Der Herr Baron von Egg, hat er sich den Fuß brechen müssen und die Jagd aufgeben? … Da wär alles anders …

Am anderen Tag aber, wie er dienstlich zur Säge hinunterzugehen hatte, verstellte sie ihm hinter einem Gebüsch vor mit verschwollenem, häßlich bösem Gesicht den Weg.

»Was hast mir solche Worte gegeben gestern, du? … Wart! … Hast mich draußen lassen halbe Nacht, wie eine Bettlerin, wie eine Zigeunerin! … Du!«

Er sah sie verächtlich an. »Wenn du eine bist! … Hab ich dich gerufen gehabt?«

»Damals hast mich ja zu dir lassen! … Was hast gegen mich, auf einmal?«

»Nix gegen dich und noch weniger für dich. Nicht auf einmal: immer. Meine Ruh möcht ich haben.«

»Ja, Ruh! … Damals aber hast mich zu dir lassen!«

»Damals! … Da hat's mir gepaßt, jetzt paßt's mir nimmer, wenn ich eine will, pfeif' ich.«

Sie drängte sich an ihn heran. »Hab dich aber gern, du!«

»Ich dich aber nicht. Also, fertig. Ich hab keine Zeit.«

Aus ihren kleinen glitzrigen Schlangenaugen spritzte die Rachwut.

»Ja, keine Zeit! … So reden Mannsbilder! … Damals, da hast aber Zeit haben können, für das! …« Sie ballte die Faust, »Weiß schon! Weiß alles! … Weiß ganz genau!«

Er lachte auf. »Von mir aus. Was Rechts.«

»Ja Rechts! … Weiß man alles! … Andre hast!«

»Und wenn hundert magari – geht's dich an? … Hab halt du auch einen anderen. Such dir einen. Find dir einen. Fang dir einen. Viel Glück und meinen Segen.«

Sie packte seinen Arm. »Wie sagst?«

»Wie ich's mein, genau so. Hab so viel'st ihrer willst. Nur mich laß in Ruh.«

»Das sagst mir? … Du!«

»Wem sonst? … Grad dir! … Bist eine Prinzessin oder die heilige Jungfrau Maria? … Hab ich dir Haus und Bett eingelaufen?« Er riß sich heftig los. »Ich weiß nämlich auch. Auch alles; auch ganz genau, wie der Has lauft und in welchem Pfeffer daß er liegt. Fang dir einen anderen. Drunten bei der Straßen, da gibt's Hosen genug. Viel Glück und gute Unterhaltung.« Er wendete sich noch einmal scharf herum. »Oder: bin ich dir vielleicht was schuldig – für das?«

Fuchtelnd stürzte sie ihn an. »Weil du mit solchen dich abgibst, Schlampen gemeinen, darum glaubst! … Weiß man, reden alle davon! … Lachen alle dich aus! … Schlampen nixnutziger, was mit Arbeitergesindel hurt! … Mit Facchinen, Mördern, Raubschützen! … Schlampen, was Hur gewesen ist in Agram auf dem Potok und in Warasdin und in ganzer Welt, von solcher laßt dich zum Narren halten und auslachen! … Wundert sich ein jeder Mensch: so eine Hur, so ein Narr!« Ihr Geheul hallte häßlich im stillen Spätsommerwald. »Mit solcher, ja, was dich betrügen tut hinten und vorn, mit solcher kannst so reden! … Mit solcher redst nicht so! … Aber wart, wirst du mir bezahlen! … Wirst du mir bezahlen! …«

Mit hartem Schlag der Handkante, daß sie aufwinselte, entledigte er sich ihres Gehänges. »Da hast gleich die Drangab!« Hinter ihm drein gellte ihr greinendes Gekeif.

»Weh hast mir getan! … Hast mir den Arm gebrochen! … Aber wirst du mir bezahlen! … Wirst du mir bezahlen …«

Das hatte man davon, Weibsbäuch übereinand, verdammte. Aber nun justament. Nun grad justament. Er, der Primus Koschutnik aus Zirklach im Zayerfeld, gedienter Siebzehner, er wird sich grad scheren um so was, um so eine, Frucht, die man unterwegs gedankenlos kostet und wegwirft – –

Und gleich zur folgenden Sonntagsvesper zeigte er sich wieder einmal beim Konfin, wild, raufsüchtig, das Federspiel fuchtig auf Sturm und Schneid gedreht. Heut müsse einer hin werden, und wenn magari er selber …

So ein rechter roter Herbstkirchweihsonntag droben im heimischen Oberland, wo Messer und Kurasch zuhaus sind, Burschenschaften aus Zirklach und Nacklaß widereinand, Jesus von Nazareth und getaufte Christenseel'! … Und auf dem breiten Stou leuchtet der erste Schnee, und der Heiden blüht, und die Schwalben rüsten, und beim fröhlichen Gorenz wird einmal richtig mit Blutwein aufgewaschen … Das hier, die Langweil unter diesem schleichig schleimkalten Dolenzenvolk von feigen Heimtückern, das war ja kein Leben …

Zu einem prahligen Aufwichs hatte Primus sich lärmend brechvolle Bänke erhofft; er fand sich enttäuscht.

Wenige Gäste nur, die zerstreut und still hinter leeren Tischen saßen, der Wehrmüller, der Meschetar, der kurzatmige Posthalter, fremde Bauerngesichter, alle finster und gedrückt. Die Horvatitschka, gealtert und unheimlich verfallen, kauerte abseits allein, abwesend und wie ausgestoßen; ihre blaugedunsenen Lippen murmelten, die hohlumschatteten Augen starrten ins Leere, zwischen den fleischigen Händen perlte der Rosenkranz.

Der Posthalter hob das Glas dem Eintretenden entgegen. »Ah, der Jäger, der Meisterschütz! … Da kommt Stimmung! … Lange nicht das Vergnügen gehabt! … Na, wie ist's, geht die Kugel noch immer so grad zum Ziel oder ist's vorbei mit dem Zauber, vor dem der Gevatter Wehrmüller sich so fürchtet? … Wißt's, daß Ihr uns noch Bescheid schuldets von damals …?«

Aber es kam nicht aus rechtem Behagen; mit einem scheuen Blick auf die gespenstische Alte brach der Posthalter ab.

Primus, nach abweisend knappem Gruß, ließ sich einschichtig an einem freien Tische nieder. Was sollte das heißen? Sie sogar, um die er gekommen, wie sie ihm den Stutz Weines hinsetzte, wich seltsam seinem begrüßenden Wink, wich seiner verstohlenen Hand aus. »Ja, du, was ist denn das mit euch? Habt's narrische Schwammerln allsamt dahier gessen oder was?«

Sie beugte sich flüchtig zu ihm herab. »Ich sag's dir dann draußen, bei Gelegenheit.«

»Lieber schon drinnen, bei einer anderen Gelegenheit – – verstehst?«

Aber sie schüttelte nur kurz und fremd den Kopf und überließ ihn seinem erstaunten Groll.

Der Posthalter drüben seufzte schwermütig in sein Glas hinab. »Ja, was wollen wir, was? … Wo ist die alte Gemütlichkeit der guten alten Zeit? … Wie hat's hier manchmal fidel sein können an solch einem schönen Sonntag, Herrgott, wenn ich so dran denk! … Ein Doppelliter auf den anderen, und wenn dann noch die Herren aus Samobor hier waren … Alles nicht mehr die Leut von früher und der Wein von dazumal; stirbt aus, die alte Sorten, Menschen und Reben … Na ja; und werden auch wir eines Tags ausgestorben sein …«

Und der Meschetar spuckte giftig aus. »Alles von der neuen Straßen; verfluchten.«

Der Wehrmüller nickte. »Die's gar nicht gebraucht hat.«

»Teufel hat sie's gebraucht. Niemand hat sie gebraucht. Das bissel Geschäft wird sie einem noch wegnehmen und verderben. Eine geschmierte Sach war das. Händ bei der Regierung haben einand gewaschen. Die Wälder vom Ärar droben, was gehen die uns an?«

»Soviel, daß die Förster und Lugare genau so viel stehlen werden wie sie bisher auch gestohlen haben,« stellte der Posthalter gelassen fest; »nur mit mehr Gewinn noch, wenn jetzt natürlich der Preis vom Holz am Stamm steigt, das ist der Unterschied. Sehts es ja an der Herrschaft, was für einen Schwung das nimmt mit den Forsten, die seit Türkenzeit und ich weiß nicht wann in Himmel gewachsen sind. Dazu vielleicht, daß sie die Straßen nötig gehabt haben; mit Volkswirtschaft und Erschließung nehmen sie sich bei den Zeitungen das Maul voll, das sind so schöne Namen. Oder daß da ein paar Protektionen zu geben gewesen sind; ohne das geht's nicht, soweit Beamte regieren. Na ja, und daß die walachischen Weiberdörfer droben auch einmal ein paar Hosen zu schmecken kriegen; das nennt man Bevölkerungspolitik. Und daß die hohe Landesverteidigung halt leichter mit Bataillonen und Kanonen von der Save zur Kulpa marschieren kann; das heißt man strategische Gründe. Aber die alte Glashütten hint im Grund, die mit ihren Arbeitern hat man an den Zuständen verrecken lassen, und an der war noch was gewesen. Oder soll vielleicht ein Postwagen verkehren da hinauf zu den verlausten Walachenweibern, die nicht einmal lesen können, denen hinterm Hintern sich die Füchs und Wölf gute Nacht sagen? … Na, unser Sonntagsdurst hat seinen Weg da herein auch ohne Kilometerstein noch allweil gefunden, was? … Damit ist's vorbei. Die neue Zeit halt, die neue Zeit; die neue Zeit mit ihrem Gesindel.«

»Und Gott mir und Gott, daß mir die alte die liebere gewesen ist,« sagte ein finsterbedächtiger kroatischer Bergbauer schwer von seinem Tische herüber; »der Bosniak mit Brand und Mord ist gekommen, Wölfe hat es gegeben und Wolfswinter, aber auch ein Recht fürs Volk und eine Gerechtigkeit und einen Kaiser …«

»Daß dich der Gendarm nicht hört, Gevatter; der schießt und schließt für den König, tätst draufzahlen …«

»Von mir aus, sollen sie mich einsperren und aufhängen, bin ich wenigstens aus der Sorg,« entgegnete der Kroat ruhig; »Ihr drüben habt's gut, habt Eure Ablösung, wir werden noch hundert Jahr drauf warten; aber die Hausgemeinschaften, die lösen sie uns auf. Sag's Gott meiner Seel auch dem Banus zu Agram ins Gesicht, dem magyarischen Juden – für uns Kaiserliche, so lange wir leben und uns erinnern, gibt's keinen König; wenn man uns auch an die magyarischen Juden verkauft hat, von denen all die Pest kommt …« Er spie aus und trank sein Glas in einem Guß hinein. »Magyaren und Juden, das ist eins; wo hat's so viele Juden im Land gegeben vordem?«

Der Posthalter nickte vielwissend. »War ja der Kossuth auch ein Jud; sagt man.«

Der Wehrmüller gähnte hinterm Pfeifenstiel. »Ah was, krepieren sollen sie alle miteinand. Soll sie die Seuche fressen und der Berg einstürzen über ihnen – samt ihrer Straßen, verdammten …«

»Geht ihnen schon schlecht genug. Unglück über Unglück. Heißt, daß die ganze Lehne rutscht.«

»Soll sie rutschen. Sollen sie ersticken an Stein und Erden.«

»Keine Böschung die haltet, keine Skarpe die steht. Und sterben tun sie wie die Mucken.«

»Ganz recht so, immer nur weiter. Wo selbst die Quellen weitherum alle versiegen von den Sprengungen. Das ist ein Zeichen. Da ist kein Segen dran.«

»Ist auch nicht. Ein Fluch ist dran, wie an allen solchen Sachen. Wie an der Eisenbahn, wie am Teufelsdraht da von einem Telegraphen.«

»Damit sie einen nur ja noch mehr und schneller zwiefacken können. Damit Gendarm und Finanzer nur ja recht bequem und fleißig auf- und abspazieren können auf der Grenze …«

Der Posthalter hielt sein Glas schwermütig prüfend gegen das Licht. »Ja, wo sind die Zeiten, wo noch der Mallewagen Postwagen, verderbt aus engl. mail-coach, bis in den Süden Österreichs gebräuchlich. mit Vorspann und Umspann von Cilli über Steinbrück und Gurkfeld heruntergefahren ist! … Da war noch ein Geschäft, da war noch ein Verkehr, da hat's noch einen Wein geben, anders stark und klar! … Und billig! … Billig! … Sechs Kreuzer, acht Kreuzer die alte Maß, für zwei Sechserln hast dich in Grab saufen können daran! … wo sind die Zeiten?«

»Und ein Dutzend Semmeln für einen Vierer,« erinnerte der alte Kroat; »und fünfzig Kreuzer bis zu einem Gulden ein Schnitt Rohleder zu einem paar Stiefel. Da war zu leben.«

»Und ist trotzdem das Geschäft gangen; und besser als wie heut, wo alles dreimal so teuer ist und einer den anderen auffrißt. war halt die Zeit, wo noch nicht ein jeder – –«

Der Posthalter brach ab und wies mit dem Blick unter den hochgekrausten Augenbrauen stumm nach der Horvatitschka hin.

Sie war aufgestanden; schleppend trat sie zum Jäger an den Tisch heran, wie sie sich schwerfällig mit welkfettiger Hand über ihn hinstützte, wendete sie das verloschene Gesicht nach den anderen zurück.

»Sprecht's nur weiter. Ich bin noch nicht tot, braucht's nicht den Atem anzuhalten wie vor einer Leich, oder vor einem Gespenst. Wenn ich auch eins bin. Hab mit dem da zu reden. Ja ja, die Zeiten, die Zeiten! War auch einmal jung und schön. Davon kommt alles, von der Jugend und ihren Sünden. Heh, damals, da hätt ich so einen Jungen zu allem und jedem haben können …« Sie senkte ihre Stimme. »Ihr: Ihr seid's doch der große Schütz. Soll Euer Schad nicht sein. Wenn auch der Herr Graf sagt: die Horvatitschka, die alte Krot! … Wenn Ihr auch denkt's: verfluchte Hur, alte, bleib mir vom Leib! … Wenn ich vielleicht auch eine gewesen bin. Aber das haben ja die Mannsbilder grad gern. Jesus, in meinen Jahren, wenn Ihr mir da unterkommen wärt's; hält Euch aufgefressen vor Verliebtheit, hab manchen aufgefressen.« Sie rückte einen Stuhl zurecht und setzte sich umständlich hin. »Wir haben nämlich etwas miteinander zu reden, der Jäger und ich … Es geht einer in den Wäldern um,« zischte sie Primus heiser an den Kopf; »schießt ihn tot.«

Koschutnik rückte unbehaglich ab und spähte mit fragendem Achselzucken nach der Berta hin. »Wer? … Wen?«

»Braucht's gar nicht auf die Junge zu schauen, die es mit ihm haltet und Euch betrügt,« sagte die Alte; »grad eine solche, wie ich selber einmal eine gewesen bin. Derselbige geht in den Wäldern um; schießt ihn tot.«

Primus verstand und ging ein. »Gut, gut. Werd es ihm besorgen.«

»Er ist's, der meinen Branketz umgebracht hat,« wisperte die Horvatitschka; »wegen der da, die Euch betrügt, wegen nichts anderem. Grad so eine wie ich. Ich weiß. Und er wird auch mich noch umbringen. Er hat ein Gewehr. Er wildert Eure Rehböcke. Immer schleicht er ums Haus. Er ist wie ein Wolf. Er ist wie ein Gespenst. Schießt ihn nur ja bald tot.«

Koschutnik war aufmerksam geworden. »Der mit der Opanke?«

»Der, der. Der hat mir den Branketz umgebracht. Der Branketz war mein Sohn. So in Eurem Alter; ein Studierter, ein Herr!« Sie schob sich noch enger an den Jäger heran. »Ich hab noch eine Tochter, im Kloster wird sie erzogen. Ein feines, ein schönes Mädel; ein Kind, ich sag Euch, wie eine Lilie. Die erbt jetzt alles; ja.«

Primus mit einem verstörten Seitenblick, stürzte seinen Stutz in einem Stülp hinunter.

»Wärst mein Sohn an dem Branketz seiner Stell,« hauchte die Alte ihn heiß an, »brauchtest keinem Herrn dienen …« wolllüstig stieß sie ihn in die Seite. »Ein solch ein fescher Bursch und ein sauberes Mädel, noch keine siebzehn Jahr alt, unberührt, so wahr als … Das wär etwas anderes für so einen … Tät noch selber ihr neidisch sein … Und – ich bin reich; hab viel heimliches Geld, du; mehr als die Leut glauben, aber sagt's es nicht weiter …« Und dann ging es wie Schatten über ihr Gesicht und sie verfiel. »Jesus, ja, wenn es überhaupt noch da ist! … Immer scharren und schürfen sie in den Nächten; ich hör's, ich kenn sie; der Zigan und der Finanzer; die zwei zusammen, die graben sich einen Gang unter mich hinein, und der Branketz leuchtet ihnen … Und ich trau mich nicht … Aber die dorten, das Mensch nichtsnutzige, wenn ich die schick, die hilft ihnen noch, die möcht ihnen bald alle Türen aufsperren, daß sie mich ja holen … Jesus, wenn so ein Mann wollet bei mir wachen im Haus, ich stünd nicht soviel aus!« Sie begann zu schreien. »Warum hab ich nicht geheiratet? Glaubt's, hätt sich keiner gefunden? Zehn für jeden Finger, hundert für beide Händ; wie ich noch in meinen Jahren war; und Herren darunter, Gespane, Stuhlrichter, Illustrissimi, die sich die Lippen abgeschleckt haben nach mir, haha!« Besinnend griff sie sich an den Kopf. »Bin ja schon ganz elend und irr; weiß nicht mehr, was ich red. Ich bin krank; es ist alles Unsinn. Betet's lieber für mich ein Vaterunser und ein Gegrüßet seist du Maria, für die Konfinka, die alte Hur.« Und tuschelte wieder an sein herangenötigtes Ohr: »Aber, Ihr: das wollt ich Euch fragen; Ihr habt's doch gewiß schon einmal einen erschossen? Droben in Eurer Heimat; die Oberkrainer sind doch raß. Gelt, nicht wahr, der geht Euch nicht nach? Die Toten stehen nicht auf, die graben sich nicht weiter aus ihrer Grube, die haben ihre ewige Ruh? … Ich mein wegen dem Branketz, meinem Branketz, den sie noch nicht gefunden haben; weil er nicht in geweihter Erde liegt. Jesus, wenn Ihr wüßtet, was für ein schlechter Mensch das der gewesen ist, was für ein Teufel, ein Satan! … Er hat mich umgebracht! Er mich! … Er lebt, und ich bin tot, und meine arme Seel in der Höll.« Sie ließ ab. »Habt's recht, geht's nur, geht's. Ich bin wahnsinnig, gelt? Kann sein; man wird's. Hier ist nimmer schön. Kommt's nimmer her. Der Konfin ist gewesen. Und betet's, betet's, daß nicht Ihr auch in Versuchung fallt's! … Und – den schießt Ihr tot, den anderen, nicht wahr? Schießt ihn tot!« Kreuz und Münze des Rosenkranzes an den Lippen, zog sie sich wieder demütig auf ihren Platz am Ofen zurück.

Koschutnik nahm Büchsflinte und Hut und ging ohne Gruß.

Der Meschetar beugte sich vielsagend vor in den Tisch. »Da hat's was.«

Der Posthalter nickte. »Einiges.«

»Habt's verstanden, was sie da getuschelt hat? Von einem, der umgehen soll? So sagen sie droben auch bei den Baracken. Heißt's.«

Der Posthalter zuckte wie mitleidig die Achseln und machte verstohlen eine ungeduldige Gebärde gegen die Stirn. »Laß heißen. Laß umgehen. Da mischt sich's.«

»Von geweihter Erde war die Rede und von einem Toten, ob er noch lebt, und lauter solchen Sachen. Von ihrem – na, dem da, ihrem Bankert: habt's nicht gehört?«

Jener winkte ab. »Laß Bankert, laß Tote. Besser, man bekümmert sich nicht und um nichts. Daß man dann noch in so was hineinkommt; ich hab gern mein Fried.«

»Aber da spannt was. Da zieht was zusammen. Da wachst was aus.«

»Jesus, na, so laß wachsen; wachst auch Gras über Geschichten und Gräbern, hat mir auch meine Alte ein paar Kuckuckseier ins Nest gelegt; was scher ich mich drum? … Wenn man nur seinen Sonntagsfried hat bei seinem Weinderl und mit ein paar guten Freunderln; aber wo sind die Zeiten?«

»Es ist ein Fluch an der Straße,« murmelte der Wehrmüller, »ist kein Segen dran, ich hab's immer gesagt. Man merkt's an den Fischen; hab doch sonst immer meine zwei, drei Dutzend Forellen fangen können am Wehr wie nichts, mit bloßen Händen in einer Viertelstund; jetzt kommen's mit weißen Bäuchen heruntergetrieben von dem Dreck da droben, ein großes Sterben …«

»Und wird bald mit den Menschen grad dasselbe sein,« grunzte der Posthalter grimmig; »alles oben hinaus, immer bloß Neues, nie mehr die rechte Ruh, wie sie hat früher sein können. Die ganze Welt kommt durcheinander. Den Menschen steigt's zu Kopf! Die Leut werden verrückt! Die Leut werden sich noch alle totschlagen und auffressen! … Und ich werd euch sagen …« Drohend hob er den politisch gekrümmten Finger. »Das macht alles der Preuß! … Das macht alles der preußische Jud! … Ich weiß; ich les täglich die Laibacher Zeitung! … Seit wir das Bündnis mit denen haben, mit den protestantischen Judenpreußen, seitdem müssen Straßen gelegt werden und werden Eisenbahnen und Fabriken gebaut und kriegen wir Arbeitergesindel und haben wir Sozialdemokraten und all den Teufel und Dreck! … Ich weiß; ich bin in der Welt herumgekommen; ich bin einmal in Ostrau und einmal in Jägerndorf gewesen, das ist schon da droben bei den Preußen. Jessus, sag ich euch, sind das euch Leut, wie die Wanzen und Heuschrecken und Ameisen so krieblig und hupfig und g'schaftig! … Und seitdem ist kein Fried mehr bei uns; schwimmen alle möglichen Teuxelsbücher und Zeitungen herein und machen das Volk süchtig und aufsässig, und ist kein Glauben mehr und ist keine Gemütlichkeit mehr und ist überhaupt nix mehr als wie Fortschritt, Fortschritt, Fortschritt, und Unglück und Mord und Totschlag … Jawohl; und das danken wir dem Hund von einem Bismarck und dem magyarischen Zwetschkenkrampus da, dem Andrassy. Jawohl.« – –

Draußen wartete die Berta. »Hast schon genug?«

Primus funkelte sie spitzig an. »Von einigem.«

»Geht aufs End mit der Alten. Das hat ihr den Stoß geben, die Sach.«

»Und mir auch; dieselbe Sach.« Er nahm bedrohlich Stellung. »So also. Also mit dem, mit so einem also hast's gehalten die ganze Zeit, tust's jetzt noch halten. Mit dem verlausten Primurzen da, Opankenschleicher morlakischen – mit dieser Baraba, mit einem solchen Fakin Barába, immer fem. gen., auch vom Manne (ob von Bar Raba, dem Straßenräuber des Evangeliums, von »Barbar« oder von »Paria«?), karnoslavischer, aber auch überhaupt österr. Schimpf für landfahrende Tagwerker geringsten Grades, durchwegs mit unfreundlicher Unterbedeutung des Rauhen, Rohen, Finsteren, Verdächtigen, Groben. – Ähnlich die Übertragung des Ursinnes des ital. facchino. – Raubschützen, Mörder … Also mit dem, mit so einem aus einem Krug zu saufen und, mit Verlaub, auf – einem Brett zu sitzen hat man die Ehr gehabt … Da sag ich nur eins …« Er trat zurück, sein Blick flimmerte. »Nichts als pfui Teufel sag ich da. Pfui Teufel.« Er spuckte aus. »Pfui Teufel.«

Sie sah ihn schmal an. »Hat sie dich richtig da hineingestochen, im Krepieren, die Viper?«

»Was Viper? … Viper ist tausendmal besser als –«

»So sag's nur, das Wort, das du denkst. Was strengst dich so an? … Wisch dir halt den Mund recht rein ab, von dem Krug … Und was andres, von dem Brett – –«

»Also nicht einmal leugnen tust es?«

»Ach, darauf wartest, daß ich dir den Gefallen erweis! … Damit'st hernach noch besser in Saft kommst und das Maul vollnehmen kannst? … Wenn's dir eine Freud macht …«

»Freud? … Geschenkt! … Tät dir grad das Tüpfel auf dem i glauben davon – einer solchen – –«

»Na siehst.«

»Jawohl seh ich. Zuviel hab ich g'sehn.«

»Und wenn!« Sie lachte auf. »Haben wir uns nicht schon einmal drüber unterhalten? … Bin ich deine Braut, sind wir zusammen beim Pfarrer gewesen vielleicht?«

»Pfarrer, was braucht's ein Pfarrer? … was braucht's sowas für ein anständiges Mädel, was ein gern hat? … Braut, ja Braut, schöne Braut …« Er hielt ihr die Faust mit dem Trutzdaumen vors Gesicht. »Eine Hur bist, eine stinkende Hur, daß d'es nur weißt.«

Hochmütig blies sie den Schimpf von sich, »weil ich's nicht allein für dich bin, gelt? … So meint's und möcht's nämlich ein jeder von euch Mannsbildern – Narren – –«

»Du haltest einen dazu!«

»Ich? Hab ich mich dir je aufgespielt als die Jungfrau Maria, daß dich einbildtst als Heiligen Geist? … Narr, bist gescheit, bist von heut? Was meinst, als was man in solche Dienste geht und genommen wird, daß man sich sein elendes bissel Leben derfrettet? … AIs die heilige Agnes oder Ursula? … Bin eine solche, ja; bin immer eine gewesen; bins worden durch Dreck und Jammer und Hunger, und grad durch die alte Krot da drinnen, die Seelenverkäuferin; und werd immer eine bleiben mit des so allgütigen Herrgotts Hilf, solange was zum Huren dran ist an mir. Meint's ja doch keiner ehrlich von euch Mannsleut; wollt's es und verdientes es ja gar nicht anders. Na, und, wenn wir schon davon reden: du selber? … Du hast vielleicht keine her mitgebracht in deinem Herzen und Gelöbnis, die 'st betrogen hättest mit mir?«

Koschutnik sah weiß in wehrloser Wut. »Das geht dich ein Dreck an, verstanden! … Was das Meine ist, das geht dich ein ganzen Dreck an! … So eine … Ihr Menscher, ihr seid's ja doch an allem schuld.«

»Natürlich, versteht sich, seit dem Paradies, von einem Aas darfst halt nichts andres erwarten als Gestank; was gehst her und wälzt dich drauf? … Das aber hat der Satan wahrscheinlich vergessen dir einzuwispern, wie's betrieben worden ist, daß die Weg und Wälder eine Nacht um die andre ja rein sind von dir? … Und wer dem anderen, der Baraba, Narren armem, noch ärmerem als du bist, Gewehr und Pulver und Gedanken überhaupt erst zugesteckt hat? … Und wie's mit früheren solchen Jägerteufeln und anderen Mädeln dahier angestellt worden ist je und je? … Und noch so einiges, wenn man erst den Mund auftun wollt … Davon hast nichts zu hören kriegt, so wahnsinnig ist sie noch nicht?«

»Das alles bekümmert mich gar nichts.« Primus rückte wie zum Gehen die Büchsflinte auf der Achsel zurecht; finster nachlässig schoß er einen scheelen scheuen Blick über die Schulter. »Eine halt der anderen wert, Hur und Hurenmutter, paßt's ausgemessen zunander. Ich weiß meinen Bescheid; und weiß, was ich zu tun hab und zu halten.«

»Dann desto besser für dich.« Plötzlich legte sie die Hand auf seinen Arm. »Aber das eine tu nicht. Ich hab's aufgeschnappt. Ein armer Narr, was wirst dich unglücklich machen darum? Laß ihn.«

Unwillig wich er der Berührung aus. »Aha, so? … Na, was braucht's da noch? … Gut, daß mir das gesagt hast.«

»Um deinetwillen.«

»Ja ja, freilich, um meinetwillen; weil du mich gar so gern hast. Damit ich mir ja die ewige Seligkeit verdien. Daß ich mich ja nicht versündig an deinem Herzallerliebsten, dieser Baraba … Dank schön, daß mir das noch extra gesagt hast.«

»Um deinetwillen, glaubst's oder nicht. Weil ich halt einmal so dumm war mir einzubilden, ich könnt dich besser leiden als irgendeinen zuvor aus der Welt. Darum. Man bildt sich eben sowas ein, na.«

»Wirst dirs vom anderen auch eingebildet haben, das Nämliche. Von vielen wahrscheinlich, ihrer grad genug. Tu dir halt weiter einbilden, viel Glück; nur das nicht, daß ich dir anbeißet auf den Speck, alten, ranzigen.«

»Mußt ja nicht. Geh denn und bleib gesund. Was weißt du von so einem Leben? … Und daß überhaupt alles zusamm eine Einbildung ist, und daß nicht zu bestehen wär ohne die … Schön war's manchmal, mit dir; da hat man auf eine halbe Nacht vergessen.«

Ein Schub der welschen Arbeiter kam die Sonntagsstraße herunter vor den Konfin gezogen, und Koschutnik ging schnell und gewaltsam, ohne Gruß, mit einem verknirschten Fluch.

»Ho, ecco der Schinjur Jäger mit seiner Schinjurina Braut! … Ma wo ist der zweite Bräutigam? … Gefällig eine Partie Briscola? … Drei Karten, die Dame zwischen dem König Matjasch aus dem Litoral und dem Kronprinzen Marko; König sticht Dame, ma Dame laßt sich auch von starkem Prinzen gerne stechen, darum König sticht Dame dem Prinzen weg … Wann werden wir eingeladen zur Hochzeit, daß wir helfen? … Dem berühmten starken Schinjur Jäger; in Daubenholz kann er ein Spundloch schlagen, wo keins ist, aber ein Spundloch, wo eins ist, kann er nicht allein mit seinem Holz stopfen …«

Primus hielt Gewehr und Faust fest und stieg wie taub und fremd den kürzesten Weg, durch Strupp und Gefels des alten grauen Bosniakensteiges ins Revier hinauf.

Druntennach höhnten die Katzelmacher.

»Dem Schinjur Bräutigam zur Gesundheit!«

Der Jäger wandte sich herum. Da stand einer, das winkende Glas hoch in der Hand. Hundertdreißig Schritte. Koschutnik kauerte sich hin, strich an, zielte scharf und schnell, und im harten Knall zerspritzte der Stutz über den Fingern in Splitterstaub und Mehl.

Blasses Schweigen antwortete, dann ein wütiger Schrei, und wieder fahle Stille. Und hinein klang das Auflachen einer Weiberstimme, der Stimme, die er einst nach gutem Schusse von hier droben vernommen: jener, die er einst Ljubitza genannt, wie sie's ihm gewesen.

Das rauhe tiefgirrende Auflachen von damals.

Gäste kamen staunend aus der Wirtschaft heraus; die Welschen, nach erregtem Zorngeschnatter, verzogen sich weislich unter Dach und Deckung. Geschehen war sichtlich nichts; eine Handvoll Malterschutt höchstens, die den Hundsföttern um die Augen geraucht. Und wenn; war ja doch alles gleich.

Primus ließ eine frische Patrone ins schwadenschmauchende Rohr klingen und stieg weiter in die spätsommernden Vesperwälder hinauf.

Das war wenigstens einmal etwas gewesen, ein Schein von dem, was er sich vorgenommen.

Damit sie wußten, daß er noch immer der Primus Koschutnik war, gedienter Siebzehner, aus Zirklach im blutfrischen Oberland.

Hur du maledeite, verstunkene, niederträchtige: aber um das eine Lachen zu Schuß und Treffer hätte er, Primus Koschutnik, ihr manches verzeihen können.

*

Grimmig griff und wälzte er an den Klotzwuchten; wespenscharf stach die fruchtsüßende Liebfrauensonne über den Morgentaudunst der Waldschatten. Da sah er Schürze und Schritt der böhmischen Janka und schanzte unter den Schäften, als müßte alles Holz der Berge noch dieser Frühe zu Tal.

»Du, ich hätt mit dir zu reden.«

Ein Wurf in die Riesenrinne krachte zur Widerung.

»So, daß keiner hört.«

»Da ist ein Numerierter zwischen!« schmetterte Koschutnik über das Weibsbild weg nach den Arbeitern; »der gehört nicht daher, was ist denn das für eine Sauwirtschaft?«

»Wirst, du, oder wirst nicht? … Willst oder willst nicht? … Hast nicht verstanden; ich bitt dich noch einmal im Guten.«

»Und ich dich im Bösen, daß dich einmal verziehst, Himmelherrschaft, mit deinen Tutteln! … Hört so keiner; ich aber am allerwenigsten … Den Numerierten rückt's mir aus dem Weg, Blutsakerment, daß er mir nicht allerweil zwischenkommt!« wetterte er nach den Aufhorchenden hinüber; »und bei der Gelegenheit gleich den Sagklotz da, dickschwarteten, aus dem Böhmerwald! … Hat einer von euch vielleicht Kluppe und Schlägel bei der Hand? … Wenn da schon durchaus was gestempelt sein muß …«

Im Schall gröhlten die Holzknechte; die Dirnenaugen glitzerten giftig im breitstulpigen Viperngesicht.

»Wirst du noch anderster reden, du! … Wann wird Hochzeit sein, he? … Ich bin in der Hoffnung von dir, daß es nur weißt.«

Koschutnik, offenen Mundes, ließ los.

»In der – Du: in der Hoffnung? … von mir? … Du: von mir? … Da hört der liebe Gott aber schon selber auf! … Da könnt bald eine kommen … Eine jede Kuh vom Stier weg …« Eingespreizt hielt er sich die Hüften. »Habt's g'hört, das Neueste? … Die, und will was im Wampen haben von mir …«

»Wahr ist!« kreischte sie glührot; »beredet hast mich, Hund elendiger, Kind hab ich von dir, jetzt willst nix hören und wissen … Aber wart du! … Wart du! … Wird dir schon Peter geben; wird dir schon zeigen Peter …« Sie überschnappte in Tränen.

»Und ich ihm auch, Triester Feigen und drei Nuß! … Und noch was dazu, wenn er will: die Stell droben in seinem Revier, hab sie mir gut gemerkt, wo an einem gewissen Abend vier Klaftern vom besten Scheitholz ganz versteckter gestanden sind im Farnkraut, recht abseits in einem Graberl, und in der nächsten Früh waren sie nimmer da …«

»Nicht wahr ist! … Überhaupt, was hast zu suchen in Peter seinem Revier?«

»Grad dasselbe wie du vor meiner Hütten … Ich kenn mich aus, mit euch und mit deiner Tracht …«

»No no,« begütigte ein alter Holzknecht, »hast denn schon die Gegenprob angestellt? … Wird doch nicht der mit dem grünen Hütl, der mit dem Schnepper dein Firmpat gewesen sein?«

»Ah was!« wütete Koschutnik; »wollen hat's, weil sie's braucht hat, und weil's dazu angestellt war! … Und wenn so eine einem von euch in stockfinsterer Nacht bei Donner und Blitz ans Fenster klopft und er hat nicht grad was Besseres am Spieß: was macht er mit ihr?«

»Geweihte Wetterkerze anzünden und schön Muttergotteslitanei beten,« belehrte der Pechbart ernsthaft, und der Chor johlte. »Wirst sie schon auch anzunden haben, deine Wetterkerzen; no, und Litaneien gibts so verschiedene …«

»Ja, Litanei, hat der mir gesungen, ja, Litanei …« Die Janka raffte das Kopftuch, das sich ihr im Sturme entschürzt. »Aber das, gelt, kannst, Hund falscher, mit Menscher von Wirtshaus lumpen und ludern, daß ein jeder lacht …«

»Selber Mensch!« fauchte Primus; »hab ich vor deiner Tür herumgetschmeert und gerotzt oder du vor der meinen, daß ich mich deiner erbarm?«

»Du meiner? Du kannst einem leid tun, du!«

»Freilich, freilich, weil unsereinem sonst so gar nix auf den Pfiff zustehen tät.«

»Das weiß man schon, nach was du pfeifst; nach was für einem Speck du rennen tust.«

»Nach einem geschmackigeren gewiß als dem deinen, ranzigen. Wann grad damals die Nacht nicht so schwarz gewesen wär … Aber kommen bist doch, wie du's nötig habt hast für deinen Bauch oder für dem Herrn Peter seine Rechnung, was? … Hehe.«

»Lügst; lügst! … Ersticken sollst an der Lüg!«

»Da kannst lang warten. Ich bin nicht dumm. Ich bin nicht blind. Wenn ich auch in der Nacht die Küh nicht unterscheid.«

»Du bist nicht dumm? … Du bist nicht blind? … Du, dem die Deine da drunten, Zigeunerin die, Hörner aufgesetzt hat hint und vorn, wie noch kein Bock je sie gehabt hat in diesen Wäldern, seit was sie stehen! … Hörner wie die vom Nebelbock; selber du bist der Nebelbock, narrischer Bock im Nebel! … Du nicht dumm und nicht blind? … Der du's nicht einmal merken tätst, wennst mit einem anderen zusammentriffst in der drinnen …« Sie lachte gellend über den Schlag hin.

Der Bogulin trat ernsthaft bärtig mit bedachtsamer Pfeife heran. »Na, na, was is denn? Tut man solche Sachen vor allen Leuten bereden? Schickt sich das? Schämt's euch.denn gar nicht, ihr zwei?«

»Hab ihm so gesagt; wenn er nicht will! … Aber wird er mir bezahlen; wirst du mir bezahlen, du!«

»Ja, ja; ti češ mene platiti!« äffte sie Koschutnik mit böhmischem Polkalied; »und grad vor allen Leuten, justament, damit'st gleich auszahlt bist auch.«

»Also jetzt geh, du,« gebot Bogulin in strenggewichtiger Würde; »mit solchen Geschichten mischt man sich nicht in die Arbeit hinein, das gehört wohin anders. Wär deinem Vater auch nicht recht, wenn er's wisset. Hast was zu begehren, kannst es dir anders auch schaffen, brauchst es dahier nicht auszuschreien vor allen Hosen. Sieht ja bald so aus … Jetzt, na, wird's?«

Murrend und muffelnd, schielend vor Schamwut und Sucht, trollte sich die Verschmähte den Weg durch die Klaftern hinauf nach dem Dunkel der Schonung.

»Hast wohl eine Dummheit angericht?« fragte der Bärtige den Oberkrainer; »Zentrum geschossen in eine Scheiben, wo schon ein fremder Treffer drin war, für dich aber springt's Mandel heraus?  … verfluchter gorenzischer Teufel du, könntest dich nicht einmal ein bissel zur Ader lassen?«

»Wann mir das Luder nachts um den Latz kriecht! … Man ist doch kein Bischof.«

»Aber firmen kannst mit dem Weihwedel!« lachte Bogulin; »sag's ja, die Langhaareten. Wie ich noch in der Lehr war beim Grafen Mensdorff, da haben wir Jungen andre Patronen gar nicht laden dürfen als blinde, zum Schrecken grad und so zum Üben und Knallen; scharfe Patronen, die sind erst für gesetzte Leut, die ihr Ziel kennen, hat der Herr Graf, Gott hab ihn selig, scharf war er wie ein Satan und gut wie ein Engel, immer gesagt. So sollet's halt bei dem auch sein, hüt dich vor den Bömacken; die spinnen dir was.«

»Von mir aus,« knurrte Koschutnik; »sollen sich nur in acht nehmen, daß ich ihnen nicht etwelche Strähn abhaspel! Von ihrem Gespinst. Mir ist darnach.«

»Ja, was ist das für eine Sach, wo du davon geredt hast zu der? Mir hast nichts erzählt.«

»Man plauscht nicht alles,« beschied Primus mürrisch geringschätzig; »ich hab's halt bemerkt.«

»Was hast's nicht gemeldt?«

Jener wehrte verächtlich ab. »Ich bin nicht von der Art. Tät's auch was nutzen? … Die sind doch die G'sottenen und Gebratenen beim Herrn Grafen. Ein frisches Gescheid hab ich auch gefunden, wo kein Bock in Auftrag war und keiner geliefert worden ist. Keine Spur Wilderer; diese Patronen mit Stifteln, Kaliber vierzehne, wie eine solche Hülsen dorten gelegen hat, die führt nur der Peter. Na, man halt's Maul. Aber geschmeckt habens mich irgendwie in ihrer Suppen; so eine drei vier Tag später ist dann die da, Powidlbuchtel die, auf mich zug'standen. Nur daß mir der Reim drauf zu spät eingefallen ist; wie's halt so ist bei der Nacht, nicht, der Verstand schlaft, und der andere, sagen die Italiener, der will sowieso nicht gern denken … Aber heut, na, ist es mir einmal doch herausplatzt aus der Gall; soll's die ihnen weitertragen, liegt mir grad was dran. Skandal ist so.«

Bogulin sog nachdenklich an seinem Waldknaster. »Ja, na; daß sie dich liebendgern herausbeißen täten aus ihrem Geheg, das hab ich längst gemerkt; noch mich, wann's ginget. Und erst seit dem Scheibenschießen, na, und gar seid grad du den Nebelbock hast kriegen müssen …«

Primus pfiff auf. »Nebelbock? … Da können's ruhig schlafen. Der lebt noch. Wanns der noch gewesen wär.«

»Was, nicht, meinst?«

Jener machte eine wehrende Gebärde. »Nein. Laß mer's, daß nix verredt wird. Krieg ich ihn noch, ist's gut; wann's mich solang leidet bei euch dahier im Unterland.« Er lachte auf. »Vorderhand bin ich ja selber der Nebelbock; wie die so schön gesagt hat. Eh vielleicht wahr. Selber der Nebelbock.«

Der Revierjäger hob erstaunt die Brauen. »Willst gehen?«

»Wenn's auftrifft? … Könnt's jeden Tag. Könnt heut schon in Gottschee sein beim Fürsten. Da gibt's Bären, meiner Seel. Bleibet ja, wo ich mich schon einmal hereingewöhnt hab; droben von der Buchen auf der Schneid sieht man grad auf meine Heimatberg, wo die Gams wohnen. Aber es hat's mir verschmeckt. Und hörst's ja, wie sie's öffentlich betreiben tun. Daß nur ja recht viel Dreck aufspritzt gegen mich und sich mir anhängt. Arbeit ich nicht? … Hab ich wem was gestohlen? … Was geht sie das andre an? … Ich werd mich wehren, aber dann kommt's einmal, da schlag ich einem die Nasen ein, und Schluß.«

Der Ältere wiegte den Bart mit der heraushangenden Pfeife. »Na, na. Tät ihnen halt nicht noch Wasser schütten auf ihre Mühl. Hast da wieder einen von deine Meisterschüß tan; schon recht, aber es spricht sich um, bis es zum Herrn Grafen oder zur Gendarmerie kommt, wird Mord und Totschlag draus. Mahleten alle Mühlen soviel Mehl aus einem Sack [Korn] als wie Zungen Geschichten aus einem Körndel Wahrheit, es gäb keinen Hungrigen auf der Welt. War nicht notwendig, meiner Treu.«

Koschutnik stieß mit dem Stiefel gegen einen Stammklotz und versuchte seine Kraft an der Last. »Meinst, nein? … Das sagst du. Ihr seids halt anders dahier, ihr habts kein Blut, ihr seids wie saurer gefrorener Dreck. Aber was werden wir uns streiten, wir zwei? Ist ja eh alles gleich; besser noch so ein hellichter Einschlager und magari gleich damit hinunter zur Höll als ein ganzes Leben lang nichts wie Regen und Rosenkranz. Zu was sonst hat ein Mensch sein Herz in der Brust und seine Patronen in der Büchs? … Bloß zum Beten und Anschauen? … Jetzt aber, Blutheiland noch einmal, sag ich, den numerierten Bloch da schaffts mir endlich aus dem Weg; sonst, meiner Tauf', ich derlupf ihn noch und krach euch Lahmlackeln damit die Schädel ein, dann habts gleich einen neuen Peter Klepetz!«

Und ein Viermännerklotz, von des Oberkrainers unheimlicher Wildkraft gerückt, schoß ein in die Riese, schwindelte heulend und brausend hinab, bäumte, überschlug sich, schmetterte im Schlag auf die Halde, rollte wie ein getroffen verzuckendes Tier und blieb liegen. –

Hohbaaau! … Kargo! … Oihiii! … Das bergalte Holzergeschrei hallte durch den gekühlten Spätsommerwald, und aus den Tiefen der busigen Talschlucht, von der Trasse her, antwortete dumpfschütternd ein Sprengschuß.

*

»Der Peter! … Der ihr Bruder! … Jetzt gibt's was!« Geduckt sahen die Holzknechte dem Schwarzen nach, wie er dienstlich finster und gemessen an ihnen vorbei auf den wütig werkenden Oberkrainer zuschritt.

»Also was ist das und was wird das jetzt mit der Janka? … Und was hast du da gestern von mir erzählt, hä?«

Primus, der den erwarteten Feind hatte kommen sehen, machte keine Umstände. »Das eine geht mich nichts an; und vom anderen sei froh, wenn ich's niemandem wiederhol'.«

»Geht dich nichts an, so? … Da werd ich dir dann gleich ganz andre Sachen nennen, die dich nichts angehn. Die geht dich an. Du hast meine Schwester hier vor allen beschimpft.«

»Was hat sie sich's abholen müssen? Hätt sie mich gescheiter in Ruh lassen.«

»Da gibt's keine Ruh, bei sowas. Und ich frag dich jetzt in letztem Guten: wirst und willst sie ehrlich und ehlich machen oder nicht?«

»Nicht.«

»Nicht? … Du: überleg dir's!«

»Gar nichts überleg ich. Fallt mir gar nicht ein. So soll's von mir aus bleiben, wie's zu mir kommen ist.«

»Was soll das heißen?«

»Das weißt du bald besser als ich.«

»Du lügst, so wie du bist, so lügst! … Rotzling, grüner – dahergelaufener – –«

Primus legte den eisernen Rückhaken mit gefährlichem Bedacht fort. »Nur weiter.«

»Kusch! … Dazu brauch ich deine gnädige Erlaubnis nicht! … Was hast du überhaupt das Maul aufzutun? … So ein Bürschel, ein Lehrling! … Weißt, was du bist? … Daß es alle dahier hören, sag ich dir's – –«

Koschutnik wartete nur noch ab.

»Ein Hurenbock bist! … Genug hat man gesehen von dir! … Du, der sich da getraut aufzustinken gegen uns Eingesessene und Altgediente: wieviel Kuppelklafter und heimliches Wild hast der alten Vettel drunten zuschanzen müssen für den Zulaß? … Das möcht man fragen! … Und derweilst dorten gemenschert und geludert hast eine Nacht um die andre, von Sinn und Verstand wie ein Bock in der Brunft, sind dir die Reh' unterm Hintern bald herausgewildert worden – grad von demselbigen, mit dem sie dich zum Narren gehalten hat, deine Herzallerliebste – du großer Jäger – du berühmter Schütz – du Prahlhans – –«

Weiter kam der Peter mit den verächtlich geblähten Nüstern nicht.

»So. Jetzt ist's genug.«

In einem Griff hatte Primus, totenblaß bis in die unheimlich wetterverdunkelten Augen, den Schwarzen entwaffnet, in einem zweiten riß er ihn an Genick und Bund hochauf über den Rand der jach abschießenden Riese.

Die Holzknechte starrten; die Herzen stockten.

Gelähmt von Angst und Gewalt hing der Feind in den furchtbaren Fäusten des Oberkrainers.

Im nächsten Augenblick würde er haltlos niederfahren in seine Zerschmetterung.

»Jesus! … Koschutnik!« Der Schrei aus rauhen Kehlen brach in die Spannung; mit Axt, Keil und Säge raffte es sich gegen den Rasenden zuhauf, »Haltet ihn! … Packt ihn! … Jesus, Koschutnik, was tust?«

Der wandte wütend den Kopf. »Euch brauch ich nicht.« Hoch schwenkte er den heiser brüllenden Gegner hin und her, als hole er Schwung, ihn als Wurfgeschoß weit hinaus in die Tiefe der Riese zu schleudern. Und dann drehte er sich plötzlich herum und stellte den sterbensbleich Taumelnden sänftiglich ins Leben zurück.

»Du hast Frau und Kinder. Geh. Und mich laßt in Ruh, gelt? Werd dir so nimmer lang im Weg sein.« Bevor jener zur Besinnung gekommen, langte er seine Flinte her und drückte die dünnen Damastläufe an der Mündung zusammen wie weiches Blech. »Damit nichts geschieht und du dich nicht unglücklich machst, weißt. Kannst meine alte Praxen haben dafür. Ich vermach sie dir. Sie schießt auch gut.« Und gegen die starrenden Holzknechte: »Was denn mit euch? Das sind unsere eigenen Sachen, verstanden? Will einer die Höllenfahrt antreten da hinunter?« – –

Der Peter mit seinem zusammengebeulten Gewehr hatte gehen müssen, ohnmächtig, schwindelnd vor Grauen, Rachwut und Scham, hinter ihm drein sah Primus mit einem schwermütigen stillen Lachen.

»Bald tut er mir leid. Zu was hat er sich's holen müssen? Na, jetzt dauert's nimmer lang.«

Der Bogulin war vom anderen Schlag herübergekommen; verwundert schüttelte er den Bartkopf mit der leisknasternden Pfeife darin. »Du Teufel. Du Teufelskerl.«

»Jawohl Teufelskerl. Dem Teufel sein Kerl. Vielleicht, daß demnächst der mich über seine Rutschbahn hinausschwenkt; und fallen laßt. Oder über vier Wochen schieß ich Bären drinnen im Innerkrainischen … Oihiii! …«

Und ein Klotz johlte und schliff die Rinne hinunter und verkrachte in der Tiefe.

»Wie eine arme Seel!« sagte Koschutnik.

*

»Also, Koschutnik, du bist entlassen. In vierzehn Tagen gehst. Solang versiehst deinen Dienst. Bishin werd ich hoffentlich einen Gescheiteren gefunden haben; keinen wieder aus Zirklach im Zayerfeld.«

Koschutnik stand aufrecht und schaute dem alten Herrn frei und klar ins strenge Aug.

»Ich danke dem Herrn Grafen. Ich weiß.«

»So? Umso besser. Dann wohl auch, warum?«

»Ich kann mir's denken.«

»Hat das sein müssen?«

»Müssen vielleicht nicht.«

»Mit dir ist nichts anzufangen.«

»Jawohl, ich weiß. Mir tut's leid.«

»Du bist ein wilder Teufel. Und wenn nichts anderes wär – mit dem Peter könntest nicht von einem Brot essen, nach der Geschicht.«

»Freilich. Es muß schon so sein.«

Der Graf schüttelte mißbilligend den Kopf. »Kannst dich denn gar nicht halten?«

»Wann's mich einmal sticht: nein.«

»Dich scheint viel zu stechen. Da hätt ich dir längst den Kragen umdrehen müssen, wenn's nach dem ging. – Was ist das für eine Sach mit dem Mädel, der Janka?«

»Wann sie hat durchaus wollen? … Und Nacht war's.«

Der Graf mußte wider seinen Willen lachen. »Du gibst's einfach zu. Da hat's dich wohl auch gestochen?«

»Auf eine Art, ja.«

»Und heiraten willst sie nicht?«

»Um keine Seligkeit.«

»Warum nicht? … Von der Polona ganz zu schweigen, an die hast ja dabei auch nicht gedacht. Warum nicht?«

»Weil sie schiech ist und ein Luder.«

»Dazu aber war sie dir nicht zu schiech?«

»Man frißt im Durst auch Zwetschken.«

»Dann wird's dich aber Geld kosten, du! Mit solchen Zwetschken verdirbt man sich den Bauch.«

»Von mir aus.«

»Du nimmst's sehr leicht. Hast wohl den Schatz vom Berge Bogatin gehoben?«

Der Oberkrainer zuckte verächtlich die Achseln.

»Hab da ein paar mütterliche Spargroschen beim Onkel in Ferlach. Soll sie's magari haben für ihren Bankert, das Mensch.«

»Du, hier bist nicht im Wirtshaus oder unter den Holzknechten. Nimm dich zusammen.«

Primus senkte nur flüchtig den Kopf. »Nichts für ungut. Ich sag's so wie ich's denk. Von mir ist's nicht.«

»Und dem Peter hast das Gewehr verruiniert. Das ist vielleicht auch nicht von dir?«

»Das schon. Es hätt sonst losgehen können.«

»Er fordert Ersatz.«

»Er kann meine alte haben.«

»Er will die neue.«

»Die kriegt er um keine Welt.«

»Verdienen tust, daß man sie dir wegnimmt. Ein gedienter Soldat und geht her und tut so einen Bubenschuß! Das mit dem Glas; wie leicht hätt's die Hand werden können.«

»Wär's halt die Diebshand gewesen.«

»Dir liegt nicht viel an andrer Menschen heilen Gliedern. Das kann dich das Patent kosten. Wo findst dann eine Anstellung?«

»Geh ich halt wieder zu den Büchsenmachern. Dort in den Bergen, da fragt man nicht so viel, nicht einmal nach einem Kopf.«

»Dir aber scheint in den deinen was gestiegen zu sein?«

Primus seufzte vertrotzt. »Mich freut's nimmer.«

»Dahier nicht, das glaub ich. Das hast dir gründlich verpatzt. Deine eigene Schuld. Tätst besser deine Kraftstückln an dir selber vollbringen, inwendig. Wirtshaus und Weiber lassen, das wär zum Beispiel so ein ganz kleines gewesen. Vielleicht, daß es dich wo anders wieder freut und du nimmst von hier wenigstens die eine Lehr mit fürs Leben. Der Herr Fürst aus Gottschee hat mir geschrieben, noch einmal in der Angelegenheit. Ich hab ihm geantwortet. Eine Hilfsjägerstell dort ist frei, kannst sie antreten. Dort wird dir schon der Zunder naß werden, da hab ich keine Angst.«

»Ich dank dem Herrn Grafen recht schön. Ich weiß ja, daß ich's nicht verdient hab. Mir tut's ja leid …«

»Was nutzt das jetzt. Und wenn ich noch einmal Nachsicht an dir üben wollet, es ginget nicht an wegen dem Geschehenen. Du, und der Peter! … Und einen Ruf hast dir auch gemacht mit deinen Weibergeschichten. Ich frag schon lieber gar nicht mehr danach. Mach's halt mit dem Gericht aus, wenn sie dich auf den Milchkreuzer klagen. Aber was ist das für eine Sach, die ich da gehört hab? … Du hättst was unrechts geschmeckt im Peter seinem Belauf?«

Primus zuckte die Achseln. »Es kann sein.«

»Was heißt das, kann sein? Es ist oder ist nicht. Warum meld'st sowas nicht?«

»Ich mach nicht gern den Angeber.«

»Erfüllung der Dienstpflicht ist keine Angeberei.«

»Kann mich auch geirrt haben.«

»Was redst dann gegen andre, zum Bogulin? Halb verdächtigen ist schlechter als Angeben.«

»Hätt doch sowieso alle gegen mich gehabt.«

Der Graf brach wie schuldbewußt ab. »Na ja, ich seh schon, nach Gottschee zum Herrn Fürsten paßt vielleicht besser. Dort sind noch Urwälder ohne End, sind Bären, Sauen, Wölf, da kannst dich austoben. Tust gut, kann's dein Glück und Leben bedeuten; treibst es so wie hier, währt's keine drei Wochen, unter dem Regiment. In einem Jahr schon könntst heiraten; wie's dort für dich steht. Der Herr Fürst braucht hantige Leut, und gute bindet er gern. Schwitz halt in diesen letzten vierzehn Tagen das Gift aus, da der Satan rein in dich hineingestochen haben muß. Dem Peter hab ich's befohlen, daß er solang Fried hält. Gehts einander aus dem Weg. So, genug. Da ist nichts mehr zu reden. Ich hätt ja mit dir zufrieden werden können; aber … Dort unterm Hirschgeweih ist die Tür. Damals wie ich dir das zum erstenmal gesagt hab, da hab ich freilich eine andere Meinung gehabt von dir. Alles die Weiber. Mit Gott.«

*

Das war ja noch gnädig abgelaufen.

Gnädig oder nicht: – was lag daran?

In einem Jahr würde er vielleicht heiraten können.

In einem Jahr oder nie: – was fragte er danach?

Im Schloßhof der wilde Wein mahnte schon mit manchem geröteten Blatt. Schwalben schwärmten, Schatten wuchsen, Früchte fielen, in wiegenden Fässern rauschte der Spülkies. Nebelzeit war kommen, bald würde der Bock abhornen.


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