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Der grüne Georg schritt durchs Land: am Korn die ersten Ähren, geschlossener Laubschatten über der Anemonenblüte im Hag, schwer die Ricke von wachsender Tracht, mutwillig der Bock mit geschliffener Wehr, die Morgen leuchtender, die Abende weicher mit jedem Tag, in selig webendem Duft und Dunkel gebüschiger Schlucht die heißaufschmelzende Nachtigall. Und in Primus Koschutnik ging es drängend um.
Stand er taufrüh auf der abgeholzten Kuppe des Kahlen Eichen, grüßte ihn über Wälderweiten und Feld her durch graue Stille bräutlich weiß der einsame Hochzinken des Triglav; rastete er nach seinem Tagewerk zu letztem Vorpaß und Auslug im Wurzelgestühl der ergrünenden Grafenbuche auf luftiger Schneid, traten aus sinkendem Brand Schrofen und Scharten der Schkuta, des Grintoutz, der Kotschna, trat in dunstiger Fernglut das Bild der Planinen, der Alpheimat vor seine Seele …
Dort in zerfetzter Wetterfichte der Bannforst schwang sich jetzt der bärtige Waldhahn zu Schlaf und Falz auf; dort in eindunkelndem Abendgeläut wanderten die Mädeln von der Arbeit heim über die tiefe schwarze Ackererde des zayrischen Felds, ihre Marienlieder zogen schwermütig durch verdämmernde Flur, in den Klingen geschulterter Karste glänzte über silberschauernde Firnen her der Mond; dort in verflüsterter Frühlingsnacht, wenn der schmelzgeschwollene Bach rauschte, hohl im Föhnfauch der Tann brauste, vernahm man aufhorchend den dumpf anwuchtenden Donnerwind der Lawinen, wie sie durch ihre Steiltobel niederfegen, an den Fluhstufen aufstauchen, in den Halden drunten verklingen …
Dort, dort mußte es jetzt schön sein. –
Was wußte solch alter Herr in all seiner Güte? …
Der grüne Georg war gekommen, der Jäger strich unrastig durch sein Revier.
Im Seloutz drüben sollte er dem alten Kramer, dem angestammten Roder, der da mit bedächtiger Harpe eine sperrige Fichtenjugend von wucherndem Schlingwuchs säuberte, in die fortschreitende Arbeit einsehen. Umständlich beschrieb jener ihm seine kürzliche Begegnung mit einem Luchs, das braungepardelte Fell, die gepinselten Ohren, den grimmen Backenbart, den aufglühenden Blick der seltenen Raubkatze. Koschutnik, sonst voll brennjungen Jagdhungers, hörte kaum zerstreut auf den weitgesponnenen Bericht; so goldwarm die Luft, aus feuchter Schattentiefe herauf der gewitterlich süßschwüle Vorsommerduft erster Marienblumen, mit denen daheim die Mädchen zu mailichem Andachtsgang den Busen schmückten – wer dachte da an Weidwerk, Fährtung, lauernde Geduld? Vielleicht war es nur ein Wildkater gewesen, ein harmloser Dachs, ander Getier, vielleicht nur Einbildung trüber kindischer Augen … Achtlos ging der Junge weiter seiner ziellosen Wege, verwundert den struppigen Kopf schüttelnd sah der graue Waldmann ihm nach. Der hatte etwas im Leibe, den hatte die Weibsviper gebissen, oder sie würde es nächstens tun. Ja nu, wenn man in den Jahren und in der Jahreszeit ist; er war es auch einmal gewesen, lang dessen her; am heißen Radetzkytage von Novara damals, als das welsche Blei ihm durchs Bein fuhr, hatte er das Dümmste schon hinter sich gehabt. Später wird man rauh und ruhig, da ist einem der trockene Friede lieber als all das armbißchen Rausch … Und der Alte schneuzte aufklatschende Schleuderbogen in die Spreu, rieb die Nase inbrünstig am grobhänfenen Hemdsärmel, spuckte in die Hände und ging mit seiner Sichelaxt von neuem in den zähen Kampf mit Waldrebe, Brombeere, Geißblatt, Akazie und Pulverholz. –
Der Gauch rief aus flimmerndem Laub, die Ringeltauber heulten, fern über den Bergen murrte es dumpf in dunkel aufkochendem Frühlingsgewölk. Der Schreiadler, der im blitzdürren Wipfel der Eiche geblockt, strich auf schweren Schwingen ab; der Hase, der sich am jungen Gras im Grenzsteig geäst, hoppelte seitfort ins Gebüsch. Primus aber sah und hörte nichts; wie zwischen Rausch und Traum, mit dumpf schlafenden, betäubten Sinnen irrte er friedlos, freudlos getrieben über die Höhen.
Zu schießen gab es ja doch nichts in dieser Jahreszeit; sich hinstellen und einem anderen, einem blöden Alten noch obendrein, stundenlang bei der Arbeit zuschauen, nein, das hielt er nicht aus. Ja, dem Peter drüben in seinem Revier, dem ging es gut; da forsteten sie jetzt die großen Schläge auf, der hatte Weiber unter seinem Regiment, frische und feste dabei, er hatte welche gesehen. Aber hier in diesem stillen Grenzwinkel, fernab allen Dörfern und Weilern, hier konnte man Wochen und Monate lauern, ehe eine Schürze sich zeigte. Und Nachts herumstreichen nach Brauch seiner oberländischen Heimat, nach irgendwelchen Rosmarinstöckeln winden, gar noch in eine Stecherei hineingeraten? … Fürchten tat er sich schon nicht davor, ein paar Rippen, Nasen und Zähne gingen ganz gewiß drauf und hin dabei, und nicht seine eigenen; aber wie der gnädige Herr Graf schon dachte in diesen einfachen Dingen … Dann war er entlassen und konnte sich sein Brot suchen, und die Polona durfte weiter warten und nahm schließlich doch einen anderen.
Das fiel dem guten alten Herrn natürlich nicht ein, was eigentlich jeder Korporal weiß und versteht und jeder Hauptmann, und der liebe Gott zu allererst und am besten, sonst hätt er's nicht so eingerichtet: – daß man als junger Mensch zuweilen so etwas braucht … Und in die Wirtshäuser sollt man auch nicht gehn und überhaupt nicht rechts und nicht links schauen nach dem, was einem schmeckt und riecht, und jagen nicht, und aufwixen nicht: – Jesus nazarenischer, was blieb denn dann überhaupt übrig vom ganzen Leben? … Bei der Rollbahn drunten der Betrieb, der ging ja noch an, der war hie und da recht lustig, da gab es wenigstens Gelegenheit zu irgendwelchen Kraftstückeln; irgendwo hinaus muß man mit seinem Überschuß. Aber manchmal, heiliges Sakerment, hätt man sich doch was anderes zum Ausleben gewünscht als grad immer nur Schweller und Klötzer, was Sonntäglicheres, Runderes, Wärmeres …
Und dann diese Fremde, diese Leut hierzuland, mochten sie's jetzt gut oder schlecht meinen mit ihrer Art – eingewöhnen konnte er sich unter ihnen nicht, unter diesen halben Kroaten; andre Sprache, andre Herzen, andre Gesichter, ander Wesen. Einsam war's ja droben in den Wäldern seiner Heimatberge auch, erst recht, in stundenlangem Steigen keine Hütte, keine Seele, der man begegnete; aber dann lagen drunten im Feld breitbehaglich und hell die großen sauberen Dörfer, die Dörfer voll hübscher Dirnen, die Höfe voll blanker Rösser in den Ställen, davor an ihren Zapfen die bunt ausgezierten Kumte mit goldig blitzendem Schilderbeschlag als Zeichen pfleglichen Wohlstands hingen. Ein ander Volk, reinlich, reich und rüstig; eine andere Welt, gar lustig anzuschauen von den stillen Höhen, wo der Gams steinelte, der schwarze Pechhahn nadelte, der Zlatorog mit seinem Rudel unterm Schutz der Nebelfee in unzugänglicher Trift äste. Und immer gab es da etwas zu sehen, das Weben der Wolkenfrauen um die Schrofen, das Brauen der Dämpfe in den Schluchten, in der Hölle dort und im Roten Graben, die Geißen mit ihren Kitzen in den Halden der Stara Mat, der Großmutter, und dann wieder der weiß hinkriechende Qualm der Eisenbahn von Bischoflack gegen Krainburg und nach Neumarkl und Terwisch hinauf; und immer, das ganze liebe Jahr um und herum, irgendwelche Abwechslung, Jagd, Blut, Liebe, wie das eben miteinander zusammenhing … Hier die armseligen Koliben, diese Koben, in denen die Menschen hausten, zwei dumpfe Kammern, ein schmaler Herdflur, und wenn ja einmal einer zwei magere Kühe, einen Krampen von Zigeunergaul und ein Dutzend Welschhühner besaß, kam er sich schon weiß Gott wie vor … Und die schwülen Laubwälder, aus denen man nirgend recht heraussah, Berge hinter Bergen, Schluchten hinter Schluchten, keine Weite, keine Luft, keine Freiheit! … Und wegen ein paar Messerstichen und Kopfnüssen gleich ein Aufsehen über zehn Kirchspiele hin, als hätt man zumindest den Mond zusamt einem Dutzend Heiliger vom Himmel heruntergeschossen! … Und Primus Koschutnik in seinem wütigen Verdruß blieb stehen und starrte wie blind und fremd ins Tal hinab, an dessen Hang der Gratweg ihn durch unstet schweifende Triebgedanken getragen.
Steil drunten unter lichtem Buchengrün und erblühtem Wildgebüsch rauschte leis die Bregana; das Wetter grollte und düsterte fern hinter fahlen Bergen, der Kuckuck rief, die weiße Straße hinauf zog langsam, mit seltenem Peitschenknall, der Frächterwagen der Glashütte. Koschutnik in plötzlicher Laune hockte hin auf den Steig, schlug an und zielte nach dem Fuhrmann im blauen Kittel. Aufsatz dreihundert des Militärgewehrs, fein mit Halbkorn angefaßt: – bautz, weg wär der und hin! … Ja, die Dienstzeit bei den Siebzehnern; war eigentlich, wenn man's recht bedachte, die übelste nicht. Mädel, soviel man ihrer wollte, nach der Uniform sind sie ja alle rein verrückt; na, und wie dann die Schnur mit den Troddeln erst dazukam, und der Ruhm des besten Schützen der Kompagnie, des Bataillons, des ganzen Regiments! … Später, mit den Gefreitersterndln am Kragen, durfte man sich ja schon allerhand herausnehmen, sich mit Virginia und Sonntagsnachmittagsschatz zeigen, Rekruten kuranzen, den Besserkönner herausbeißen. Einige waren ihm deswegen scheel gewesen, der Korporal Radnik, das rote Luder, auch so ein feiger Tückbold aus dem Unterland, der Zugsführer Jesenovac, der Hund der, so ein rechter hinterhältiger Stänker aus der Neustadtler Gegend; aber sein Hauptmann, ein adliger Herr, selbst eifriger Jäger, hatte ihn gut leiden gemocht, hatte sich das und jenes von ihm erzählen lassen, über die alten Pechböcke im Kozjak und in der Huda Govscha, über die bärtigen schwarzen Waldhähne im Krwawetz und den Rehstand in den Revieren des Herrn Barons von Egg und seiner Nachbarn, und bei der letzten gehorsamsten Abmeldung aus dem Präsenzdienst gab er ihm ein paar freundliche Worte auf den Weg. »Schad, Primus, daß ich nichts Eigenes hab, eine Kotschen mit einer Jagd, droben wo in den Bergen. Das wär so das Rechte für dich, hättst gleich ein Unterkommen, könntst auf den Almen herumfensterln und hausen soviel'st magst – na ja, bist ja jung, da g'hört sowas schon dazu – wenn nur das Wild seine Ruh vor Raubschützen hat. Im Frühling auf den Hahn, im Sommer auf die Böck, im Herbst auf Gams käm ich dann hinauf, täten uns schon verstehen, wir zwei, was? … Schad. Laß dir's halt gut gehen und halt dich stramm. Abtreten.« Ja, so hatte er damals gesprochen, der Herr Hauptmann, der kannte ein Einsehen. Und jetzt war er bloß begierig, ob der da drunten, der Fuhrmann, der alte Stermelz wahrscheinlich, vor der Horvatitschka anhielt oder nicht? … Na natürlich, wie würde er nicht! … Da lauerte sie ja auch schon vor der Kellertür unter der Laubentreppe, breit und spinnendick, mit eingestemmten Armen, er konnte es deutlich sehen; und bei ihr stand eine andre, schmal und dunkel, nicht die Julika, die Gekniffene und Gelüpfte vom Ostermontag, das wollte er beschwören; und der Fuhrmann lenkte sein Gespann richtig aus dem Gleis zum Hause hin, strangte die Rösser ab und warf ihnen die aufgeschlungenen Außenseile über die Rücken.
Der, der hatte es gut, weiß Gott; den verklatschte und verranzte niemand, wenn er sich Durst und Langeweil mit einem halben Stündel Grenzstraßenschwatz beim Wein löschte! … Da, die Schwarze lief die Treppe hinauf, kehrte bald wieder zurück, verschwand im Kellerloch. Eine Neue, aha; droben hatte sie Flasche und Glas geholt, jetzt zapfte sie drunten den halben Liter, was die wohl gleichschaute? … Mit einem Spektiv oder Spektir, dergleichen die Herren Obersten und Generäle bei den Manövern führten, hätte man sie leicht ansprechen können. Heut gab es ohnehin nichts mehr Rechtes zu tun; ob er den Bosniakensteig hinunterbirschte und beäugte einmal das Stück Weib aus der Nähe, grad nur über den Bach? Hinüber, hinein brauchte man ja deshalb nicht gleich zu gehen; beschleicht man doch manchmal ein Wild, ohne deshalb seine Ladung abzubrennen. Aber wenn auch, was wär da schon groß dabei? Sein Packel Tabak würde man sich wohl noch holen dürfen, beim Konfin grad so gut wie anderswo … Und eh er's noch recht durchdacht, hatte es ihn schon eine Strecke des umstrauchten, steinigen Gradpfades zutal getragen.
Hundert, hundertzwanzig Schritte noch waren es über eine offene Wiesenhalde bis zum Grenzbach hinunter, an den Steg zum Konfin. Wie gebannt starrte er hinab. Das junge Frauenzimmer da drunten, Sakerment; das Gesicht konnte er ja nicht erkennen; aber die ganze Gestalt, die Größe, die Art, das dunkle Haar – beinah wie die Polona …
Da fühlte er sich bemerkt. Keine Frage, über ihn berieten sie, mit zusammentuschelnden Köpfen, mit verstohlenen Winken. Und nun sah er, wie die Schwarze offen nach ihm heraufzeigte und vernahm ihren abgeredeten frechen Anruf:
»Jesus, der grüne Georg! … Schauts den grünen Georg! … Da oben steht er und überlegt!«
Und die Alte, die Horvatitschka, mit untergestemmten Armen:
»So soll er halt zu uns herunterkommen, der grüne Georg, wenn er ein Kerl ist und keine Furcht hat vor einem Stiefel Vipersteiner und einem hübschen Mädel!«
Koschutnik schoß es schamheiß zu Kopfe. Giftkrot elendige, Vettel kupplerische! … Am liebsten wäre er auf der Stelle umgekehrt. Aber daß die dann vielleicht meinten, er sei verschüchtert: nein, das gönnte er ihnen nicht. So spielte er noch eine Weile den Tauben, den Fremden, spähte angelegentlich die Straße hinab, das Tal hinauf, gegen das finsterbrauende Wetter über den Bergen. Und die Weiber lockten und lachten und höhnten.
»Scheint noch gar nicht recht aufgetaut zu sein, der!«
»Ist vielleicht ein Eismann und gar nicht der grüne Georg? Aber die Eismänner kommen erst gegen Mitte Mai, der hat einen falschen Kalender …«
»Wartet vielleicht auf den heiligen Geist, daß er ihn erleuchtet, aber der erscheint erst zu Pfingsten …«
Mochten sie, die verdammten Huren! … Na, so war er wenigstens für alle Zeiten die Versuchung zum Konfin los; keine zehn Rösser mehr brachten ihn dahin, der alte Herr Graf, Gott geb ihm lange Gesundheit, hatte schon Recht! … Der Zufall kam Primus schließlich zu Hilfe. Aus dem Hange strich schmal und grau ein Sperber daher, hakte lauernd auf niedrigem Ast, der Bleihagel warf ihn ins Blühen der Frühlingswiese. Die Horvatitschka juchte wollüstig auf.
»Hu! … Wir dürfen ihn nicht ärgern, der schießt gleich! … Und wo der hinschießt und hintrifft, da wachst kein Gras mehr!«
Primus aber kletterte schräg hinunter zu seiner Beute und hob den kleinen Edelvogel aus dem Gras; schon zog sich die Kapsel der Nickhaut grau über das haßfeurige Aug, zerschossener Federflaum trieb im lauen Gewitterwind. Ohne der Weiber mit einem Blicke zu achten, knüpfte er den Stößer kopfunter an der Riemenschnalle seiner Weidtasche fest; dann spuckte er deutlich aus, schlug sich die Flinte quer ins Kreuz und stieg, von einem girrenden Lachen verfolgt, in die ahnungsvolle Duftschwüle der Wälder hinauf. –
Hinter ihm drein aber hob sich's gehörnt aus dem blühenden Kraut.
Und war nicht der alte Bock vom Seloutz, der den Jäger in schlauer Stille hatte vorbeigehen lassen, sondern ein andrer Heimlicher mit Huf und Vlies. Wissend grinste er dem Menschenkinde nach in seinen Bart, schnoberte gierig gegen das schweflichte Düstergedünst, horchte gespitzten Ohrs auf die wuchtenden Frühlingsdonner, nahm sein Geflöt von Fliederrohr und setzte in leisdumpfen Sprüngen durch eindämmerndes Holz und die Halden hinab nach dem verloschnen, webenden, raunenden Geistergrund.
*
Die Horvatitschka pflegte aller zwei Wochen in Samobor drunten oder in Rann drüben, wie sich's grad mit dem Fuhrwerk traf, ihren Wirtschaftsvorrat an Schweizerkäse, Paprikaspeck, geräucherten Knobelwürsten, Zucker, Petroleum, Tabak, Zwiebeln, Kaffee zusammenzukaufen. Das Haus war klein, dumpf und feucht unter den Felsen und Wäldern; allzuviel verderblicher Ware durfte sie nicht einlegen. Aber jetzt, nach den stillen Jahren der Zwischenruhe, war der Umsatz wieder lebhaft genug; viele Arbeiter, die Ingenieure von Stojdraga, die Zimmerleute, die Maurer und die Familien von der neuen Belegschaft der Glashütte, Holz- und Sagmeister des Grafen holten ihren Bedarf beim Konfin, wo es immer ein und das andre Viertel, ein Stamperl Schnaps, einen Schwatz, eine Neuigkeit, irgendeine Abwechslung gab. Gott davor, daß das sobald aufhörte! Jeder Skarpe, jeder Böschung des Straßenwerks hätte die Horvatitschka um den Preis himmlischer Seligkeit gerne Einsturz und Abrutsch angewünscht.
Eigenes Gespann hielt sie nicht. Dazu gehörte ein Knecht, und so ein Mannsbild mit seiner Eifersucht brachte gleich Unfrieden in den Betrieb. Gut und nützlich wär es ja gewesen; dann mußte man nicht immer einen der Nachbarn halbstundenweit drunten um Roß und Rad betteln oder sonst auf eine Gelegenheit lauern. Aber mit den Kerlen, mit dem Hosenvieh gab es kein langes Auskommen unter einem Dach bei den Nichten, das wußte die Horvatitschka aus tiefer Erfahrung … Und dann kam's zum Krach oder gar zu Balgerei und Totschlag; denn für den Herrn Knecht allein holte man sich die hübschen Kinder natürlich nicht so weit her aus der Welt. So blieb die Horvatitschka trotz mancher Unbequemlichkeit doch lieber beim alten gewohnten Brauch; auch an diesem ermattend heißen Frühlingstage hatte sie Gevatter Mohor, Müller, Wilddieb und Raubfischer, mit seiner langsamen steinalten Mähre nach Samobor hinausgekarrt, und nun kehrte sie rot und staubig heim, lud umständlich ihre Schätze ab und ließ dem gefälligen Nachbar mit einem Liter kellerkühlen Weißweins aufwarten.
Dabei bemerkte sie an der neuen Nichte das bessere Kleid, die frische weiße Schürze, das sorgfältig geschneckte Haar. »Ein Gast da am Ende?«
Das Mädel machte ein seltsames Gesicht. »Doch; seit zwei guten Stunden schon.«
»Zwei Stunden schon? Heut, an einem Werktag, um diese Zeit? … Ein Herr – nach dem, wie du dich gerichtet hast?«
Das Fräulein gab sich mit den Paketen und Flaschen zu schaffen. »Ich glaub schon.«
»Von den Ingenieuren einer? Hat er was verzehrt?«
»Einen Kaffee nur. Und frisch Wasser hat er sich gleich selber heraufgeschöpft aus dem Brunnen. Arg durstig und staubig war er.«
»Wo ist er denn jetzt?«
»Hinten sitzt er in der Laube.«
»Woher er kommt, wohin er will, hat er was davon gesagt?«
Die andere antwortete ausweichend. »Ich hab ihn nicht gefragt. Von der Bahn, scheint mir. Bis Bregana, glaub ich, ist er mit der Post gefahren.«
Die Horvatitschka horchte mißtrauisch auf. »Wie schaut er denn aus?«
»Oh, eben so ein junger Mensch. Ein wenig blaß trotz der Hitze, hat einen kleinen dunklen Schnurrbart und einen Zwicker mit schwarzem Rand, die Schnur trägt er hinterm Ohr wie die Studenten …«
Die Alte unterbrach hastig. »Gut, na gut. Werd ja dann selber nach ihm sehen. Wahrscheinlich doch einer vom Straßenbau. Trag halt jetzt die Sachen alle hinauf. Ja, und dann, was ich hab sagen wollen: – könntest doch mit dem Gevatter das kleine Stückel zurückfahren bis Grdajnci, dich nimmt der Nachbar schon gerne mit, bist ja hübsch und jung – nicht wahr, Gevatter? … Na, siehst! … Fahrst also das Stückel hin, laßt dich beim Wegkreuz absetzen, gehst hinein ins Dorf und fragst nach dem Janko Reschetar – Reschetar Janko, Numero neun, wirst es behalten? … fragst nach ihm – gleich der zweite Hof links – bestellst ihm meinen schönen Gruß und ob's ihm gut ging und so, und ob er vielleicht morgen oder von mir aus übermorgen kommen könnt und mir den Kukuruz auf meinem Feldl anbauen wie alle Jahr, wär jetzt grad die schönste Zeit … Eine arme alte Frau wie ich ist halt abhängig vom guten Willen der Nachbarn – ist's nicht so, Gevatter? … Was will man da machen, himmlischer Herrgott, so als verlassene Witwe, was will man da machen, was?.. Kann doch nicht selber hinterm Pflug herlaufen mit meinen geschwollenen Füßen! … Gehst also zum Janko Reschetar, richtest's ihm aus in meinem Namen, er weiß sowieso Bescheid, soll mir's halt sagen, wie's ihm paßt … Jetzt um die Stund triffst ihn eben daheim, später ist er vielleicht unterwegs, abends sind die Leut müd und verdrossen, kein Wunder, himmlischer Jesus! … No, und das Stückel zurück kommst halt zu Fuß, tut dir auch einmal gut, ein wenig Luft und Bewegung, ist ja nicht weit, eine Viertelstund kaum für so junge leichte Beine! … Ja, wie ich noch in den Jahren war …«
Geschwätzig und geschäftig trieb die Horvatitschka zum Aufbruch. Der Gevatter wischte sich den Wein aus dem grauen Schnauzbart, bedächtig an morschen Zügeln zerrte er den schiefmäuligen Klepper herum, das Fräulein stieg zu ihm ein; als sie ihrer hundert schwerfällig schaukelnder, heubauchkollernder Gäulerschritte gefahren, spähte sie wie von ungefähr über die Schulter zurück. Aber die Alte stand noch immer breit unter schattender Hand; dann erst, als das klappernde Wägelchen die erste Biegung vom umbuschten Grenzbach weg genommen, ging sie um das Haus nach der waldüberdämmerten Laube.
Der Gevatter, längst gefeit gegen Versuchung und die Reize naher Weibsjugend, blinzelte die Begleiterin aus gedeckten Raubvogelaugen an.
»Ist schon eine Feinspinnerin, die; wie sie uns hat um Gotteswillen aus dem Weg schaffen wollen! … Weißt Bescheid?«
»Ich glaube; wird schon das sein, was ich mir gleich gedacht hab.«
»Ja, früher, da hat sie's getrieben!« Der Gevatter spuckte kraftvoll hinaus in den Staub. »Je nu, ist ja die Magdalena auch in den Himmel gekommen und eine Heilige geworden, der man Kirchen baut … Hab seinerzeit manchmal nicht genug Forellen im Fluder zusammenfangen können, hab gleich zu zwei, zu drei Rehe aus dem Mokritzer Grafen seinen Wäldern liefern müssen, wenn sie ihre Herren, die Plemenitaschi und Illustrissimi und was weiß ich bei sich gehabt hat, und nach gesottenen Krebsen, solche Eimerschüsseln voll, hat es gestunken das ganze Tal hinauf und hinab … Davon bleibt dann freilich was hangen …« Er kicherte in den grauen Schnauzer; plötzlich aber schoß er einen schmalen schnellen Seitenblick nach der Nichte. »Aber wie denn, daß du das gleich so erraten hast? Bist doch nicht etwa von hier aus der Gegend?«
Das Fräulein zuckte die Achseln. »Soviel merkt man schon, wenn man nicht ganz dumm ist.«
»Schaust mir auch bald so aus, als ob du nicht von heuer wärst. Bist wohl noch nicht gar lang beim Konfin?«
»Seit einigen acht Tagen halt.«
»Ja, die Alte hat mir so was gesagt, ist ja wahr. Aber wie ist mir denn, mir scheint, ich müßt dich schon einmal wo gesehen haben? Kommst mir bekannt vor.«
»Möglich. War längere Zeit in Agram, in Rann auch – in Kanisza, in Csakathurn, in Marburg – wie man eben so herumkommt in der Welt …«
»Ja, ja.« Der Gevatter überlegte. »Geht viel Wasser und Sand das Tal hinunter. – Na, und gefallt's dir da herin?«
Das Fräulein lächelte herablassend. »Wie's eben so ist. Man nimmt's. Für die Ewigkeit wird's ja schon nicht sein … Aber da ist das Wegkreuz; ich muß aussteigen.«
»Bleib nur recht lang aus, schaffst dir einen Stein ins Brett,« lachte der Gevatter; »oder kehr auf der Stell um, sag später, du hättest nichts ausrichten können, wirst was erhorchen. Bin ja selber bald begierig, was da herausschaut; einmal bekennt sich auch der junge Kuckuck zu seiner Muttersprache. So, mit Gott!« Er zog der kopfhängerischen Mähre eine scharfe Aufmunterung über die Kruppe; schlenkernd entrollte das Klappergefährt. –
Die Horvatitschka war stillerregt in die Laube getreten; ein bleicher junger Mensch stand verlegen hinterm Tische auf. Die Alte stieß einen gedämpften Schrei aus.
»Branko! … Branketz! … Brantschek mein! … Mein Branketz! … Ja, also wirklich du! …«
Der Junge lächelte unsicher. »Ja, ich.«
»Brankitschek mein! … Welche Überraschung! … Aber wie, daß du auf einmal hier bist? … Bist ein feiner Herr geworden, wirst bald ein Illustrissimus oder Spectabilis sein. Nur blaß schaust du mir aus; das kommt wohl vom vielen Studieren?«
Branko starrte an der Mutter vorbei; seine dünnen Finger spielten auf dem Tisch. »Ja … Nun … Damit hat es jetzt ein Ende …«
Die Alte setzte sich schwer vor Schreck hin. »Was sagst du? … Ein Ende?«
Der Junge hüstelte. »Muß doch einmal eins haben.«
Die Horvatitschka sah ihn argwöhnisch prüfend an. »Bist gar krank, Branketz?«
Er zuckte die Achseln. »Ganz gesund bleibt schon keiner, der ausstudiert. Aber das mein ich nicht; das ist ja auch vorüber …« Er hob die Brauen über den schwarzen Kneifer. »Du wirst dich wundern: ich bin fertig.«
»Fertig?« Die Horvatitschka atmete beklommen. »Branketz, du bist fertig? … Doch nicht, daß du auf einmal alles liegen und stehen laßt; jetzt, nach dem vielen Geld!«
Er schüttelte den Kopf. »Nichts dergleichen; sei da ohne Sorge. Fertig bin ich, die Prüfungen hab ich hinter mir.«
Sie schaute verloren. »Branketz, du und fertig! … Nein, daß ich das erleb! … Wo hätt ich mir das heut nacht träumen lassen! … Du bist fertig.«
»Soweit; mit dem Studieren wenigstens. Jetzt heißt's noch: das Anwenden und Verdienen lernen. In Gottesnamen.«
»Mein Brankitschek! … Du bist also Indschenir?«
»Noch nicht ganz; das noch lange nicht. Das kommt erst mit der Zeit. Vorderhand, damit du's weißt, hab ich mich zu dem Straßenbau da gemeldet, als Praktikant, und bin angenommen worden.«
»Zum – Straßenbau? … Hier drin, von der Gabrowitza nach Stojdraga und Kalje hinauf?«
»Ja; weil doch das grad so schön trifft. Ich war froh, hab noch Glück dabei gehabt.«
»Und willst jetzt gleich ganz dableiben?«
»Freilich; fügt sich das nicht gut? … Das heißt also – –«
Die Horvatitschka ließ die fette Hand schwer auf die Tischplatte fallen und wiegte bekümmert den angegrauten Kopf.
»Oh, Branketz mein, das wird schlecht, das wird nicht gut gehen! … Branketz, Brankitschek, das hättst nicht tun, da hättst mich früher fragen sollen!«
Der Junge räusperte sich, »Hab mir wohl im stillen so was gedacht … Ja, aber warum eigentlich?«
»Branketz, das mußt doch einsehen! … Bist ja alt genug, das mußt doch verstehen – –«
Er stäubte an seinem abgelegten Hut. »Ja, nun ja. Aber, Mutter, einmal – –«
»Freilich schon, einmal!« unterbrach die Horvatitschka; »nur grad jetzt nicht. Mußt doch begreifen.«
Er setzte den Hut weg und sah die Alte ernsthaft an. »Nein, das begreife ich nicht, was das für einen Unterschied machen soll.«
»Natürlich nicht, weil du nicht weißt, was ich mit euch vorhab, mit dir und mit der Slawitza. Hättest mich nur früher gefragt, Branketz, schau. Zwei, drei Jahre hätt ich so weiter fortgewirtschaftet, solange der Straßenbau da in Gang und zu verdienen gibt, daß man auch das noch mitnimmt; und dann wär's genug gewesen für uns alle, die Slawitza auch grad fertig mit ihrer Klosterschule, ich hätt verkauft und mich schön zur Ruhe gesetzt, nach Warasdin oder Karlstadt oder Ogulin oder Cilli, wo keiner was weiß und keiner zuviel fragt. So hab ich mir's gedacht; hab doch für euch und euer Fortkommen gescharrt und geschöpft mein ganzes Leben.«
Der Junge verhielt eine Bemerkung. »Schon, schon. Nur: wo die Gelegenheit sich so schön geboten hat, nicht wahr? Und wo doch die Leute hier ohnehin wissen … Ist das nicht einfacher?«
Die Horvatitschka trutzte mit der feisten Faust auf. »Das – von mir aus! … Mögen sie; wer kann mir was vorwerfen? … Ich war eine arme preisgegebene Frau. Sind andre, Hochgeborene, noch viel schlechter als ich! …« Die geübten Tränen traten ihr in die Augen. »Ich bin's ja doch nicht, an die ich denk; wann hab ich je an mich gedacht? … Aber du selber, Branketz, verstehst denn immer noch nicht? … Vor den Ingenieuren, vor den Arbeitern, die am Samstag und Sonntag ihre paar Liter hier bei mir trinken …«
Branko wendete sich erkaltet ab. »Wenn du selber dir nichts draus machst, wie du sagst … Ich kann ja noch weniger dafür …«
»Aber für dich mach ich mir etwas daraus!« schrie die Alte stimmlos auf ihn ein; »kaum bist fertig, hast deine erste Anstellung, soll's gleich da von dir heißen: der Bankert? … Der Bankert, den die Mutter hat von Kuppelgroschen studieren lassen! … Weißt doch, wie die Leut sind! … Oder vielmehr, du weißt's nicht, sonst hättst sowas nicht getan, so eine – eine blinde und taube Dummheit …« Sie besann sich. »Bauen ja von der anderen, von der Karlstädter oder Jaskaner Seite herauf auch an der Straße; geh doch dorthin.«
Der Junge schritt in der Laube auf und ab. »Verdienst wohl viel an der Gelegenheit?«
»Und für wen? Wie ich dir's sag: in zwei, drei Jahren wär's genug, hab lang auf so einen letzten Fischzug gewartet. Und wer erbt zum Schluß alles? Wem kommt's zugut?«
Branko blieb vor der Mutter stehen. »Würde dich am Ende in deinem Geschäft stören, meine Anwesenheit hier? Ist es das?«
Die Horvatitschka legte die Stirn in die aufgestützten Hände. »Das ist dann der Dank, den man kriegt. So bekommt man's zu hören von denen, die man geboren, für die man sich die Füße wund gelaufen, für die man alles getan, für die man sich zeitlebens geschunden hat! …«
»Von mir aus hätt's nicht sein müssen,« versetzte der Sohn; »von mir aus – hätt ich selber nicht da sein müssen.«
»Das sagst du mir? Jetzt, wo du ein fertiger, gemachter Mann bist?«
»Und ein Bankert dabei; hast es ja selber ausgesprochen. Gemachter Mann, der sich nicht einmal in der Heimat zeigen darf – wegen dem Geschäft, dem Gewerb, das ihn gemacht hat …«
Die Alte schwoll in blauem Zorn.
»Ja, wie? … Bist du eigentlich dahergekommen, mir solche Sachen zu sagen?«
»Ich muß; zwingst mich ja dazu. Ich red da jetzt nur nach deinem eigenen Mund; meinem Fortkommen zulieb. Da ist eine Probeanstellung, ein Anfang zum eigenen Verdienen; muß mir gleich dabei dieses – Geschäft im Weg stehen? … Bist du so freundlich, mir vorzuschlagen, daß ich deinem – Geschäft zulieb über den Berg auf die andere Seite oder sonstwohin gehen und diese gute Gelegenheit aufgeben soll; so bitt ich dich ganz offen: gib mir zulieb das Geschäft auf, damit ich halbwegs in Ehren hierbleiben und arbeiten kann.«
Die Horvatitschka schlug wild die Hände zusammen. »Aufgeben! … Jetzt? … Aufgeben? … Himmlischer Jesus, der Bub weiß nicht, was er spricht!«
Branko nahm den Hut auf und legte ihn sogleich wieder hin. »Sehr gut weiß ich das, Mutter, und auch das, daß der himmlische Jesus dabei sehr wenig zu tun hat; und auch das hab ich schon immer gewußt, daß es wegen dem noch harte Worte zwischen uns setzen würde … Glaubst, es hat mich nicht oft genug gewurmt, dieses – Studiengeld? … Meinst, ich hätt dir's nicht am liebsten zurückgeschickt, manchmal, wie ich erst zu Verstand gekommen war? … Gefressen hat's an mir; hätt gerne alles liegen und stehen lassen und wär in die Welt gegangen, als Knecht oder Arbeiter oder meinetwegen Bettler – immer noch besser …«
Er stockte; die Alte sah ihn trocken an.
»Zu Verstand bist wohl überhaupt noch nicht gekommen. Und das ist also alles, was du fürs saure Muttergeld erstudiert hast?«
Der Junge lachte hart auf. »Wird schon auch Vatergeld dabei gewesen sein; soweit bin ich beruhigt, wenigstens ein Trost … Ja, siehst: als Knecht oder Arbeiter hätt ich über diese Dinge wahrscheinlich nicht nachgedacht. Das kommt von den Büchern; man kann gut oder schlecht davon werden, den einen machen sie zum Mörder, einen anderen zum Heiligen – zum Denken bringen sie auf jeden Fall …«
Die Mutter kämpfte zwischen Stolz und Wut. Wie fein er die Worte zu setzen wußte, ihr Branketz, wie klug und gebildet, ganz wie ein Herr, ein Illustrissimus oder ein Bischof! … Aber die Frechheit dabei, die unverschämte Zumutung – wenn er vielleicht auch für sich Recht hatte, der Branketz – der niederträchtige Undank vor allem! … Sie strich wie abrechnend über den Tisch.
»Da tut es mir nur leid, daß ich dich je einen Buchstaben hab lesen und schreiben lernen lassen. Wärst wirklich besser ein Ochsentreiber geworden, wär uns beiden geholfen … Und das sagt ein Mensch seiner Mutter, an dem Tag, in der Stunde, wo er als fertiger Mann zu ihr kommt – – heißt, gar nicht zu ihr, sondern zu der Straße da …«
Branko spielte mit einem Zigarettenblatt aus der silberblechernen Dose. »Zu beiden, zur Heimat und zum Brot; das man sich ja doch auf irgendeine Art erwerben muß, wenn man schon lebt … Aber du willst ja nichts von mir wissen; dir bin ich ja im Weg, dir und deinem Geschäft, daß du nicht einmal für mich – ich sag ja nicht: ganz aufgeben – – also: einschränken willst.«
Die Horvatitschka beugte sich vor. »Meinst denn, es würde davon anders, besser?« schrie sie ohne Stimme. Sie tippte mit dem Finger gegen die rote Stirn. »Bub, Bub, wo hast deinen Verstand? … Was sollt das jetzt ändern?«
Der Junge klappte die Dose zu. »Ja – wenn du glaubst? … Man lernt ja auch das aus den Büchern, daß die ganze Welt in Wahrheit nichts als solch ein – – Weibergeschäft ist, ein –« Er unterdrückte das schimpfliche Wort. »Gut; gib mir halt Geld, gib mir drei-, viertausend Gulden. Dann geh ich eben, mach mich selbständig, hörst und siehst nichts mehr van mir …«
Die Alte hob es wie tödliche Atemnot.
»D–drei-, viertausend – Gulden? … Gulden? … Allmächtiger, bist von Sinnen, ganz von Sinnen?« Dumpf sank sie auf die schmalumlaufende Sitzbank zurück. »Gott in deinem Himmelreich, der Bub hat richtig den Verstand verloren! … Drei-, viertausend Gulden! … Drei-, viertausend Gulden! … Das sagt er so hin: gib mir drei-, viertausend Gulden! … Jesus nazarenischer!«
Wieder begann der Junge sein unruhig treibendes Spiel mit der Dose, »Wer Akademiker macht, muß sie auch ausstatten. Hast du mir den Stand bestimmt, so sorg auch fürs standesgemäße Leben.«
»Hab ihn dir doch bestimmt, damit er dich nährt und sichert!«
»Das will ich ja; aber du willst's nicht. Dir ist das Gewerb da wichtiger.«
»Aber, Branko, Branketz mein – –«
Herrisch beinahe wehrte er ab. »Jawohl scheint es dir wichtiger zu sein, freilich. Statt daß du mit mir todfroh wärst über den schnellen Anfang, den glücklichen Zufall! … Und überhaupt: so von den Prüfungen weg ist noch keiner gut besoldeter Regierungsbaumeister geworden. Das bild dir ja nicht ein.«
»Ja schon, ja schon, ich weiß doch, ich weiß. Aber drei-, viertausend Gulden! … Allmächtiger Gott, viertausend Gulden!«
Mit klirrendem Ruck schob der Sohn das geleerte Kaffeegeschirr beiseite. »Hast nicht vorhin erzählt, es wäre nun bald genug? Also muß schon Einiges da sein. Viel.«
»Viel? … Was ist viel für unsereiner? … Sind wir Grafen? … Und wenn's auch da wär, wenn – aber es ist nicht – wenn's da wär: meinst, viertausend Gulden – viertausend Forinten, Christus himmlischer! – da greift man nur so in den Sack und zahlt's hin auf ein Brett? … Und gar ich, ich arme Frau; Mutter von solch einem – –« Sie fuhr sich mit zitternden Fingern ins Haar. »Könnt einem bald selber den Verstand verwirren.«
Branko lächelte dünn. »Wozu die vielen Worte, Mutter? Es war ein Vorschlag wie der deine. Wärst mich los, könntest schön weiter deinem Geschäft nachgehen, bliebe dir und der Slawitza alles Übrige. Brauchtest gar nicht zu verkaufen; führt's die Slawitza als deine Nachfolgerin fort … Ich frage schon nicht viel nach dieser großen Erbschaft, wär mit der Abfindung zufrieden und suchte mir meinen eigenen Weg – –«
Die Mutter rang die Hände. »Branketz, Branketz, wie redst du daher? Bist denn nicht mein Kind, für das ich treu geschuftet und geschunden hab bis auf diesen unglückseligen Tag? … Willst dich lossagen von mir, wegen dem –; dich losverkaufen, jetzt, wo es nur noch ein paar Jahre dauern würde und wir alle wären in Frieden beisammen … Gott, o Gott, was hab ich bloß getan, daß er mich so straft?«
Aus schmalen Augen belauerte der Sohn die Alte, wie sie sich wehrte und wand. »– – suchte mir meinen eigenen Weg,« fuhr er unbeirrt mit harter Stimme fort, »baute mir eben meine eigene Straße. Und damit wäre allen gedient … Könnte ja schließlich auch der Herr Vater noch ein paar Zecchinen zur Zehrung steuern, wo er schon einmal dir dazu geholfen haben soll, mich in die Welt zu setzen …« Er hob die Brauen hinterm lässig abgenommenen Kneifer. »Aus dem Sack oder der Lade mit der Tageslosung muß es ja nicht gegriffen sein, das verlang ich gar nicht; brauchtest aber wahrscheinlich bloß zwei oder drei Klafter tiefer, in den Keller hinunterzusteigen, dort irgendwo wird schon – – –«
Die Horvatitschka, im Gesicht unter der weingebeizten Röte jählings schmutzigfahl, schnellte gestochen auf und würgte dem Jungen einzischend die Hand auf den Mund.
»Bist gescheit? … Wenn dich jemand hört! …« Sie ließ los und lauschte vorsichtig hinaus. »Gott sei Dank. Aber wenn dich jemand gehört hätt!«
Branko tat erstaunt. »Ja, wieso denn? Was wär denn dabei? Hast denn was Unrechtes unten?«
Keuchend ballte sie die Faust. »Still! … Sei doch still!«
»Ja, aber warum denn? … Lieber Gott, wie viele Leute halten ihre Sparschaft im Keller vergraben!«
Die Alte, nach Luft ringend, schüttelte die Hand. »Ich schon nicht … Ich schon nicht …«
»Und wenn? … Was wär da dabei?«
Sie hörte gar nicht vor sausendem, singendem Blut. »Ich schon nicht! … Ich – ich zahl ehrlich und genau meine Steuern. Ich schon nicht. Bei mir – bei mir gibt's nichts dergleichen …« Sie sammelte sich, die Faust auf dem Herzen, in einem tiefen Atemzug; ihre Fülle wogte. »Jesus, Bub, wie du mich erschreckt hast.«
»Ich versteh das gar nicht. Mit solch blindem Daherreden ins Blaue hinein?«
»Was Daherreden! … Kenn du die Menschen! … Höret dich einer so herschwatzen, gleich macht er sich falsche Gedanken, und fertig ist das Gerücht. Kenn du die Leut, wie sie sind, boshaft und neidisch!«
Branko kniff die kurzsichtigen Augen. »Nun ja; kann ja sein …« Er schwieg eine Weile; sinnend, mit bedächtigem Zeitgewinn, rollte er aus eingeknicktem Papier eine sparsame Zigarette. »Ja – wie soll das nun also werden? … Soll ich nicht hierbleiben, so brauche ich Geld. Soll ich überhaupt nicht wiederkommen, so brauche ich viel Geld. Ich muß es wissen; bin beim Oberingenieur angemeldet, er erwartet mich. Eine Hilfskraft brauchen sie, der Posten war ausgeschrieben. Trete ich zurück oder stelle ich mich nicht, so nehmen sie eben einen anderen. Dann sitz ich da.«
Die Horvatitschka hatte sich vom Gröbsten erholt, aber noch zitterte es ihr geheim in der Stimme. »Ja, Branketz, muß denn das alles gleich heut entschieden sein? Schau – könnten uns doch wirklich erst hübsch in Ruh über das Wiedersehen und die bestandenen Prüfungen freuen, und daß du jetzt also wirklich fertig bist und das Leben weit und breit vor dir hast! … Kann's ja noch immer gar nicht recht fassen …« Versöhnlich streckte sie dem Sohn die fleischige Hand hin. »Was werden wir uns gleich harte und schlimme Worte geben und schwere Gedanken machen an diesem Tag? … Ist ja morgen auch noch einer.«
Der Junge schlug zögernd ein. »Ist recht; von mir aus. Bin jetzt auch müd. Die Reise durch die Nacht, und gestern haben wir Abschied gefeiert … Aber viel Zeit, daß ich dir's sag, kann ich da nicht verlieren.«
»Wer spricht davon? Ein Tag oder zweie, ist denn das schon viel? Wirst dir wohl noch das bissel Rast gönnen dürfen zwischen Schul und Arbeit; haben doch andre junge Leut weiß Gott wie lange Vakanzen! … Werden schon zu einem guten Rat kommen, mein Branketz, werden schon; wachst viel Gras, rinnt viel Wasser über Nacht, muß ja ein jeder Teig erst gehen, wartest auch mit dem Trinken, bis der Kaffee sich setzt! …« Sie hatte sich wieder in Griff und Gang; die milden Muttertränen schwammen ihr in den Augen … »Nur: solche Reden wie da vorhin, nicht wahr, wird mein Branketz nicht wieder gegen mich führen, nein, nein! … Das ist nicht mein Branketz, an den ich so viel gedacht, für den ich so unablässig gesponnen und gesonnen hab alle die Jahr! … Bist halt unausgeruht, bist leer und zerschlagen, mein armer fleißiger Bub; ich versteh's, ich verzeih drum, gern verzeih ich's und leicht, ich hab schon alles vergessen … Man nimmt Abschied, natürlich, und vielleicht nicht nur von den Freunden allein – Jugend, mein Gott, ist nur einmal im Leben! … Mußt dich erst recht erholen; bin in die Seel hinein erschrocken, wie ich dich als so Blasser dahier sitzen gesehen hab; hab zuerst vermeint, du wärst mir krank, na Gott sei Dank, daß doch nichts dergleichen ist … Na, und wer wird da gleich so bitter von Gehen und Nichtwiederkommen und solchen Sachen sprechen? Man beschlaft's, man findt einen Weg, wer trinkt vom Most den Schaum und verschüttet den kommenden Wein? … Und dann,« fuhr sie eifrig fort, »hier und jetzt laßt sich sowas ohnehin nicht abtun; kommt jeden Augenblick das Mädel von ihrem angeschafften Weg zurück und horcht.«
Branko sah nachlässig aus seiner Zigarette auf. »Ja, du, richtig; was ist denn das für eine? Kenn sie und doch nicht, Von hier?«
Die Horvatitschka legte den Finger auf den Mund. »Still, still! … Weiß es so halb, kommt mir so vor, als ob ich's vielleicht so halb wissen tät, will aber nichts wissen, weil's mich nicht angeht. Kann ich dafür? … Ljubitza heißt sie, Ljubitza Jamnik – einen anderen Namen kenn ich nicht.«
Der Junge dachte nach. »Möglich. Das Gesicht paßt mir zwar nicht zum Namen. Ljubitza Jamnik? Aber möglich, na. Heißen wohl viele so zwischen Kulpa und Drau. Geht ja mich schließlich noch weniger an.« Er brach mit einem Achselzucken ab. »Wenn nur dir nicht noch einmal Unannehmlichkeit aus so etwas erwachsen.«
Die Alte entrüstete sich. »Mir, wieso denn mir? Bin ich schuld? Ich nehm, was kommt und sich daherschickt. Sollt mir da einer was sagen! Ein Mädel gehört zu jeder Wirtschaft, und daß man sich nicht grad die Älteste und Schiechste zu seinem Wein einstellt, das versteht noch ein Pfarrer! Und überhaupt, sobald eine –«
Räder knarrten, eine Peitsche knallte, eine rauhe Mannsstimme schalt mit den Rössern; die Horvatitschka raffte sich in schwerfälliger Geschäftigkeit auf.
»Da, so geht's. Wird der Stermelz sein, der nimmt jedesmal seinen halben. Siehst, wenn man nur eine zur Aushilf hat, und die ist grad weg, so muß man selber auf seine alten müden Tag, wegen jedem Krempel und Kreuzer … Richt dir dann ein Bett, Branketz, im Gastzimmer, damit du dich ordentlich ausruhen kannst …«
Angewidert, kühl und fremd sah der Sohn ihr nach.
Er hatte in diesen Jahren nicht seine trockenen Schulbücher allein, sondern auch, des Weges von einem aufgeklärten Freunde gewiesen, die neueren großen Franzosen, mit heißen Augen und bitterem Herzen die unheimlich verwirrenden allzerstörenden Russen, mit lechzenden Sinnen im Leben selbst gelesen, all diese finsteren Lehren auf sich, seine Herkunft, sein bemakeltes Dasein gedeutet, all das ahnend erkannte Gift inbrünstig, gierig, wollüstig selbstquälerisch in sich aufgesogen. Was war gut, was schlecht? … Nichts, denn man war ja doch nur ein belastetes Erzeugnis mit seinen Erbtrieben; nichts, denn im Grunde war ja doch alles gleichgültig, wertlos, sinnlos, vergänglich, eine mehr oder weniger schädliche, hemmende Einbildung … Blieb einzig der Genuß als Zweck, Halt und Kern dieses unerwünschten Lebens; einzig der Genuß und was ihn schaffte, Macht, Mittel, auf dem Wege dahin auch die Arbeit …
Darum hatte er seine Studien trotz tiefer Abneigung mit verzweifelt bohrender Zähigkeit so schnell als möglich beendet – mochte das schmierige Schandgeld dazu dienen, ihm zu dem zu verhelfen, daraus es selber stammte, dem er selbst seine Entstehung verdankte, zum Genuß; darum sich ohne Verzug zur ausgeschriebenen Hilfsstellung gemeldet – in fünf Jahren wollte er festbesoldeter Regierungsingenieur, in zehn Jahren ein großer vermöglicher Herr sein, und dann – – … Wenn es bishin mit ihm selbst noch reichte … Erbtrieb, Erbgift, Erbfluch …
Er, der Sohn dieser alten widerwärtigen Straßenwirtshausvettel, er, der – Bankert! … Und jetzt stellte sie sich ihm ins Gleis, mit ihren Bedenken, mit ihrem heuchlerischen Gewinsel, mit ihren Vorrechnungen und Berufungen, mit ihrem schmutzigen Geschäft. Aber da sollte sie sich nur vor ihm in acht nehmen, da sollte sie sich ja nicht zu weit vorwagen gegen seine Pläne und sein gutes Recht … Und überhaupt: hatte sie ihn schon in die Welt gesetzt mit seinem Fleck, hatte sie ihn noch obendrein zur Qual der Bildung verdammt und so treulich für seine Aufklärung gesorgt, so mochte sie's fühlen und dafür zahlen, weiter zahlen, immerzu und ausgiebig zahlen, mit Geld, mit Opfern, mit Zugeständnissen, mit unaufhörlicher nagender Ungewißheit, erpressenden Ängsten und Träumen; sie, und nicht der Vater, der, wie es ja immer so ist, wahrscheinlich weit weniger dafür konnte. Sonst – –. Branko schloß seine Gedanken mit einer bösen drosselnden Gebärde.
Uch, wie hatte sie gleich aufgestöhnt unterm ersten, leise versuchenden Druck! … Und nun würde sie immer wieder die Hand an ihrer fetten Kehle spüren, kurze Ruhe und Wahn der Sicherheit sich jedesmal teuer erkaufen müssen; sobald wurde sie ihn nicht wieder los, und all das Geld legte er schön zeitig auf Nutzen an, bis es mit dem eigenen Verdienst zusammen genug war zu einem Leben nach seinem Sinn. Auf der ihren Tod und Teilung der Erbschaft zu warten: fiel ihm ja gar nicht ein! … So wenig wie ernstlicher Verzicht auf die günstige Anstellung beim Straßenbau droben, wo der Anfang so natürlich war, der Topf so nah dem Mund, das Opfer so bequem im Griff. Da hätte er alt und grau werden können, eh die ins Sterben willigte; die, wie all solche eingebeizten Weiber, trieb es noch lang, wurde aufs Ende gar fromm und verschied als heilige Büßerin …
Mochte denn das Fräulein Schwester selbst für sich zusehen, sonst blieben ihr vom lebendig gesottenen Krebs nur die ausgesogenen Schalen.
Aber so was schlägt schon nicht aus der Art, so eine verdient ja leicht, da haben's die Mädeln gut, warum denn auch nicht, Jungfrauen und Dirnen im Grabe, beide stinken ganz gleich …
Zufrieden mit seinen Entwürfen rollte Branko noch eine schmächtige Zigarette; dann nahm er Hut und den dünnen schwarzen Spazierstock, stäubte sorgsam seine Schuhe ab, schlenderte, eine böhmische Polka pfeifend, an den bremsenumsummten müdgeduldigen Pferden vorbei nach dem Hause und warf sich droben im Gastzimmer ohne Umstände auf das brüchige Wachsleinensofa, um wie nach ehrlich verrichtetem Tagewerk sogleich einzuschlafen.
*
In goldgrünen Tiefen des Parks knallten Büchsen, über das schattenstille Tal weg fauchten Kugeln; bartrauhe Bässe lachten, die zarten Buschgeister flohen, aus den Wipfeln uraltmächtiger Rottannen schwärmten die gescheuchten Brutkrähen.
Wie der Fünfziger vor zehn Jahren wurde des Grafen sechzigster Geburtstag mit einem fröhlichen Scheibenschießen gefeiert.
Drüben im sichernden Hang, fünfundsiebzig fadengemessener Meter weit, leuchtete schwarzweiß das Mal; hüben unter mailichen Birken tropfte das angezapfte Faß, wehten Pulverschmauch und Knasterschwaden ineinander, prangten auf grobgezimmertem Tisch säuberlich aufgebaut und gestaffelt die ausgesetzten Preise. Und weil der Graf es nicht haben wollte, daß von seinem Feste einer der Jäger ganz leer und verärgert heimging, waren es ihrer sechs: einer auf jedes überwundene, aufgearbeitete Jahrzehnt.
Zusammen an die hundertvierzig Gulden wert, erklärte Oberförster Swoboda jedem einzelnen der Teilnehmer, Zuschauer und Gäste in nimmermüder Schätzung und Aufrechnung der einzelnen Posten. Ein sparsamer, kalter Mann, strebsamer Sohn seines Volkes, einst mit durchscheinendem Hosenboden gekommen, binnen kurzem zu heimlichem Wohlstand hinaufgewirtschaftet, liebte er jedes Ding, ob Baum, Holz, Tier, Gewächs, Gerät oder Gebäu bei seiner nackten Geltung zu nennen und sein eigenes Verhältnis zu den Gütern dieser Welt auf dürrste Sachlichkeit zu beschränken.
»Kiste zu hundert Stück Trabuco, diese wird mir zufallen; der Herr Graf kennt majne gäringen Lajstungen als Schütze, darum hat majne Lieblingssorte als letzten Prajs, Trostprajs bästimmt … Man kann sich nicht glajchzajtig Wälder im Kopfe und in Büchern haben, und Wild; ich bitte, Herr Barrohn, ich bitte, Äxzellenz, ich bitte, Frau Gräfin, ich bitte, durchlauchtigste Gnaden,« erklärte er den anwesenden Herrschaften, die großen gelben Zähne zu kurzem, üblem, freudlosen Lächeln entblößend; »es gäht nur ajnes, man muß sich damit zufrieden sajn; Jagd ist ajn Sport, Forst ist sich Bäruf, und Bäruf gehte sich vor … Ajn Standhauer mit Säge, fajner Stahl, Griff ist sich echt Hirschhorn, ich taxiere auf neun bis zähn Gulden – in Wien, in viertem Bezirk baj gewisser Firma Kratochwil, kann man mit Griff von Hirschhornimitation für fünf bis sechs Gulden erhalten, auch sehr fajn und vortajlhaft … Ganzer Schießbedarf für ajn Jahr – ich würde sich damit rajchen zwaj, draj Jahre – zwajhundert Patronenhülsen, ajne teure Extrasorte, ich kenne, bitte, von Káwalierjagden baj Seiner Durchlaucht Prinz Rudolf Lobkowitz in Zhoř – ich nähme immer billigste graue; ajn Kilo extrafajnes Jagd- und Schajbenpulver, ich nähme immer gäwöhnliches nach Wage, es ist besser und billiger; ajn Kilogramm Kuhhaarfettfilzpfropfen allerbeste Qualität – ich nähme immer Papier von Zajtungen oder forstlichen Katalogen – – –«
»Und treffen nix!« unterbrach der Graf in guter Laune; »gehens, lieber Swoboda, lassens die Rechnerei – sind ja auf keiner Kommission, und heut ist keine Kanzlei –«
Der Böhm zog die Schultern hoch und drehte nach seiner Gewohnheit mit den Daumen an den Rockaufschlägen.
»Ich möchte ja, ich bitte, gnädiger Herr Graf, Pérsonal, Lajte nur aufmerksam machen auf Frajgäbigkeit von Herrn Grafen; Lajte haben sich kajn Bägriff von Kosten und Wert … Ich, wenn ich Glück und Ähre habe zu gäwinnen gäringsten Prajs, letzten Prajs, Trostprajs, bin ich schon sehr zufrieden; sind acht Gulden, viel Gäld, unserajns könnte sich nicht värgönnen, ich nähme immer nur für Sonntag gämischte Ausländer, Stück zu zwaj Krajzer, es ist besser und billiger … Und ajne solche Jagdtasche, prima Juchtenleder, wahrschajnlich änglisches Fabrikat, ich bitte, ich möchte schätzen auf fünfzehn Gulden, man hat gesehen solche Taschen auf Káwalierjagden baj Durchlaucht Prinz Rudolf Lobkowitz in Zhoř; ich selbst trage noch Jagdtasche von säligem Großvater, tut sich noch vollkommen Dienst … Und dieses Pärspektiv, zwajte Prajs, ich bitte, ich möchte schätzen auf fünfundzwanzig Gulden Wert, ein solches Pärspektiv, fajnstes französisches Fabrikat, hat immer gehabt Durchlaucht Prinz Rudolf Lobkowitz in Zhoř, ajn Káwalierartikel … Und dann erster Prajs, was soll ajn Mänsch sagen? Es wäre nicht für mich, ich hätte gar kajne Värwendung; ich bitte, dieses Stück, man hat solche gesehen in Händen von Káwalieren auf Jagden von Durchlaucht Prinz Rudolf Lobkowitz in Zhoř – dieses Stück möchte ich schätzen auf wänigstens sechzig bis siebzig Gulden, und dieses wird sich wahrschajnlich« – er sah sich mit mißgünstig kaltem Lächeln unter seinem Stabe um – »Peter Jelinek – oder viellajcht Kropatschek – –«
An den, der am heißesten darum fieberte, der seine verstohlen liebkosenden, begehrlichen, werbenden, eifersüchtig bewachenden Blicke kaum davon verwenden konnte, dachte er nicht.
Herrgott im Himmel, so ein Gewehr! Genau wie dem Ferlacher Onkel seins, das Meisterstück, nur noch schöner, alle Eisenteile dran zierlich zu Wildfiguren und Laubgerank ausgraviert, und dabei doch stark und fest wie für die Ewigkeit! … Solch ein Gewehr sein Eigen nennen, ja; und dann vielleicht einen Rehbock vor dem Korn haben, oder daheim einen schwarzen zottigen Gams, oder, wenn er nach dem inneren Krain wo in Dienst käm, einen leibhaften Bären! … Und etwas ganz selten Feines mußte sie schon sein, diese wuchtigschmucke Büchsflinte mit den goldblanken Patronen, denn die fremden Herren sogar, die Freunde und Nachbarn des Herrn Grafen, Exzellenzen, Barone, Generäle, Fürsten, wie der Bogulin ihm zugeflüstert – diese sogar hatten sie zur Hand genommen, gewägt, die zierlich geschwungenen Hähne knacken, den Schneller einklingen und springen lassen, hatten mit der Waffe gegen die Scheibe angeschlagen, durch die Rohre gesehen, ihren Beifall deutlich zu erkennen gegeben … Himmlische Dreifaltigkeit, dieses Gewehr – und dann vielleicht nach ein paar Jahren noch die Polona dazu – – aber das mußte nicht einmal sein, mit solcher Büchs in der Faust, auf der Schulter, an der Wand überm Bett brauchte man keine Weiber … Und wenn's auf die Wahl ankam – – –
Aber dann zog sich das hoffende Herz wieder kalt zusammen und sank unter schweren Zweifeln. Der krumme Kropatschek mit dem Falkengesicht und dem spitzgezwirbelten Schnurrbart sollte ein tödlicher Schütz sein, hatte der Bogulin erzählt, und der schwarze Peter Jelinek mit den schmalen lauernden Augen gar noch der bessere; würde er aufkommen gegen diese beiden, er, einst die sicherste Büchse im Bataillon, gegen diese Geübten? … Ja, und dann: war er, der neue Hilfsjäger, überhaupt zugelassen zu diesem Bewerb? … Der gnädige Herr Graf zwar hatte ihm freundlich zugenickt, der Oberförster aber ihn kaum eines Blickes gewürdigt; durfte er vielleicht gerade nur zusehen, wie ein anderer unter seinen Augen – – –
Aber nun hatte das Schießen begonnen, er selbst, betäubt von Unruhe, Ängsten, Freude, eine Nummer ziehen müssen wie alle anderen. Die Drei fiel auf ihn, vor ihm kamen der bärtige Bogulin und der gefährliche Schwarze, nach ihm der krumme Kropatschek, der alte Johann, die Sechs blieb dem Oberförster in der Hand. Der fletschte sein gelbes übles Gebiß.
»Mir ist lieber so, ich bitte; man wajß berajts Räsultat, man braucht sich nicht mehr aufrägen und ansträngen, es ist billiger und besser, man gibt sich nur ein paar Schüsse ab ährenhalber um letzten Prajs, Trostprajs. Ich habe auch gäwöhnlich lätzte Nummer bähalten anläßlich Geburtstags und Fästschießen baj Seiner Durchlaucht Prinz Rudolf Lobkowitz in Zhoř …«
Das erste Blatt gehörte den Herrschaften selbst; der Kugelstutzen des Grafen, ein schönes gewichtiges, reich mit Gold eingelegtes Gewehr diente als Scheibenbüchse. Der Exzellenzgeneral in ordensstarrender Uniform – der Herr Banus Baron Ramberg aus Agram, flüsterte Bogulin dem Oberkrainer zu – trat vor, wägte die Waffe in sichtlich kundiger Hand, prüfte die Visierung gegen Licht und Schatten, schlug endlich etwas kurzatmig an und eröffnete die Feier mit einem gerade noch angeschnittenen Neuner rechts hoch.
»No ja, man ist's halt nicht gewöhnt,« entschuldigte er sich scherzhaft; »es hat jedes Gewehr seine Mucken und Tucken, und jetzt, nach einem so üppigen Diner, nach einem solchen Kapaunderl, gnädigste Frau Gräfin … Na, aber ich glaub, der Bock wär doch g'legen …«
Ein hagerer angegrauter Herr mit strengem kantigem Gesicht folgte: – der Herr Fürst von Gottschee, wisperte der Bogulin, bei dem gibt's Bären und Hirsche und Wildschweine, der kann's! … Ohne langes Suchen und Schwanken stieg die Mündung, der Knall brach. Zehner Stange hoch meldete der Zieler. Mit kurzem Auflachen gab der Fürst die nachschmauchende Büchse an den Oberförster zurück.
»Der Stutzen ist in Ordnung; schießt akkurat wie mein eigener, auf hundert Schritt eine Hand hoch. Dieselbe Firma, Springer in Wien, da kann schon nix fehlen … Also ihr da,« drohte er in slawischer Sprache der ehrfürchtigen Jägerei, »wann ihr nichts treffts, seids Patzer. Grad am unteren Rand des Zielschwarzen abkommen wie beim Militär, dann sitzt's mitten im Fleck.«
»Ja, so ist der,« murmelte der Bogulin hinterm staunenden Oberkrainer; »mit seinen Jägern und Förstern beinah auf Bruder Du, gönnt sich nichts, kann den ganzen Tag bei einem Stück Kukuruzbrot und ein paar Zwiebeln mit den Holzhackern arbeiten, wo er doch ein noch höherer Herr ist als der unsrige – aber eine Unregelmäßigkeit im Dienst oder in den Rechnungen, und aus ist's ohne Gnad und Erbarmen. Bei dem möcht ich schon nicht – – – aber da schau hin, dort, der jetzt zum Schießen antritt, der Kleine, Dürre: das ist der Herr Baron Borsch von Pleterjach drüben, hat noch eine andere große Herrschaft in Ungarn drunten und eine bei Wien – du, von dem könnt ich dir Geschichteln erzählen, der lebt ganz ohne Dienstbot allein in seinem riesigen Schloß, was früher ein Kloster gewesen ist und schon halb verfallen – soll nicht recht geheuer sein, drum bleibt ihm auch kein Mensch – du, ein Reiter ist dir der, und stark wie der König Matthias, bricht dir neue Hufeisen und Guldenstückeln voneinander wie Semmeln – und ein Jäger erst – – –«
Der bleierne Blitz krachte, der Zielzeiger meldete Elf Stange kurz; verächtlich legte der kleine dürre Baron das Gewehr weg. »Brettlbohren, das is nix. Dublett auf Bekassinen, auf Turteltauben, das ja. Das lange Tüfteln mit dem Visier macht einen nervös …«
Andere Herrschaften kamen an die Reihe, Zehner, Neuner, ein vereinzelter Sechser rechts hoch … Koschutnik glühte und prickelte in schwüler Erregung. Wenn er erst diesen Stutzen da an der Backe, im Augenstrahl hielt! … Punktgenau schien er ja zu schießen; wie aber dann wohl das andere, das Preisgewehr, aller irdischen Güter Preis, schöner als Weib, Jungfrau Maria, Himmel und ewige Seligkeit … Und wie hatte der Herr Fürst gesagt – –aber da trat der alte Graf unter die Jägerei.
»Du da, Primus, du bist der Jüngste. Dort liegt der Putzstock, dort hast Werg und Öl. Da wisch jetzt den Stutzen schön gründlich rein, erst trocken, dann fett, dann noch einmal trocken, daß er sich derweilen ordentlich verkühlt. Werden sehen, ob du's richtig triffst; die Bohrung inwendig muß blitzen wie ein neuer Gulden. Zuhören kannst ja deswegen doch.
Also, daß ich euch die Sach erklär, paßts auf. Es wird diesmal nicht einfach so hingeschossen, jeder dreimal drei Schuß, oder auf die Art irgendwie, und dann die Ringe zusammengezählt; das ist langweilig und nimmt viel Zeit weg. Sondern wir machen die Geschichte zur besseren Unterhaltung, und weil's auch gerecht ist, so:
Jeder nach seiner gezogenen Nummer tut jetzt zunächst drei Schuß. Buch führe ich, auf dem Blatt da; hier stehen eure Namen; der Herr Fürst, Seine Exzellenz, der Herr Baron werden so gut sein, zur größeren Sicherheit zu kontrollieren. Der Schlechteste in der ersten Lage scheidet mit dem letzten Preis, dem Kistel Zigarren da, aus. Habts verstanden?«
Der alte Johann Jelinek, festlich angerötet schon seit dem Frühmorgen dieses Tages, nickte mit der geheimnisvollen Würde des einzig eingeweihten Treudieners seines Herrn; der krumme Kropatschek zwirbelte seinen dünnen harten weißblonden Schnurrbart; Koschutnik blieb der Wischstock im Laufe stecken; Oberförster Swoboda drehte und knetete an seinen Rockaufschlägen. »Ist bäkannt; Ausschajdeschießen, Ausläseschießen; haben wir auch gehabt baj Durchlaucht Prinz Rudolf Lobkowitz in Zhoř.« Der Graf fuhr fort:
»Also: und dann machen die fünf Übriggebliebenen nach ihren Nummern mit je drei Kugeln weiter. Und wieder scheidet der Schlechteste unter den fünfen aus mit dem zweitletzten Preis, das ist der Standhauer hier. Und dann kommen die vier Übrigen dran, und der Schwächste darf mit den Patronen undsoweiter da abtreten. Und von den drei Letzten bekommt der Geringste die Jagdtasche, und von den zwei Allerletzten der Unterliegende das Perspektiv. Wer sich am längsten und ganz obenauf erhalten hat, dem gehört zum Andenken an diesen meinen sechzigsten Geburtstag, wenn er's vielleicht auch nicht recht verdient, das Gewehr; auf das natürlich jeder von euch am meisten spitzt. Glaub ich; es ist ein gutes Stück, von Nowotny in Prag, also aus eurer Heimat, Kropatschek und Jelinek, und der Ihren, Swoboda. Hab's ausprobieren lassen; es tragt ausgezeichnet …«
Der Oberförster grinste mit breitgelbem Gebräch. »Man wajß, ich bitt; Ruf von Firma Nowotny ist bäkannt; man hat sich öftersmal gäsehn Káwaliergewehre von Firma Nowotny auf Jagden baj Durchlaucht Prinz Rudolf Lobkowitz in Zhoř …«
Der Graf verbiß sein Lächeln. »Nun, sehen Sie; die beste Empfehlung.« Er wandte sich wieder zu den anderen. »So schau halt jeder von euch, daß er soweit kommt, als er nach seinen Kräften kommen kann, und dort sitzen bleibt, wo er sich's vornimmt. Mein alter Stutzen da schießt verläßlich, das habts gesehen, kennts ihn ja auch von der Pirsch her, also da gibt's keine Ausred. Nur schön fleißig weiter durchputzen, Koschutnik; der Wischstock braucht nicht zuzuhören. Und noch ein paar Punkte. Von zwei getroffenen Punkten gilt immer der höhere, auch wenn er bloß angeschnitten ist. Verschlagts einmal eine Kugel ganz weit hinaus gegen den Rand, und der Schütz ist gut abgekommen, so ist das ein Ausreißer, der zählt nicht. Haben zwei das Gleiche an Ringen beisammen, verstanden, so wird ums Ausscheiden mit einem Schuß gerittert oder gestochen; grad so bei den zwei letzten, wenn sie mit ihren Lagen nicht auseinanderkommen. Schießen darf jeder, wie er mag, wie er's von der Jagd her gewohnt ist, wie er's machen tät, wenn er dort drüben einen Bock breit vor sich hätt, statt der Scheiben; nur fest auflegen, das gibt's nicht. Und ein durch Unvorsichtigkeit losgegangener Schuß rechnet für einen gezielten …« Der Graf hielt inne. »Man hat sich gäkannt sälbe Rägeln baj Durchlaucht Prinz Rudolf Lobkowitz in Zhoř,« bemerkte der Oberförster aus dem Hintergrund.
»Ja. Und daß sich's keiner einfallen laßt und den anderen vielleicht unterm Schießen hienzt oder aufzieht oder durch Zurufe beirrt!« schloß der alte Herr; »wer das tut, der wird unbarmherzig gestrichen und kriegt nichts, verstanden. So, und nun wollen wir's in Gottes Namen anheben. Zeig her, Koschutnik, den Stutzen. Na, es geht. Da vorn schwimmt noch ein Tröpferl Öl. So, jetzt ist's gut. Welcher ist der erste? Bogulin? Komm her, nimm dich zusammen und mach einen recht schönen Anfang.«
Der lange Bogulin im Bart knöpfte hastig die steiflodene Festjoppe zu, zwängte die Taschenklappe über das vorlugende Pfeifenrohr und trat verlegen vor. Hatte der Teufel grad ihm die Eins in die Finger spielen müssen! … Auf die Büchsflinte und den Respektier tröstete er sich ohnehin nicht; die Patronen halt mit all dem Zubehör, die täten seinem Haushalt gut – – – In Gottes Namen …
Er nahm den Stutzen aus der Hand seines Herrn, rückte sich in den starren kneifenden Ärmeln zurecht, ging in Stellung, bestand einen längeren Doppelkampf mit Taschenklappe und Pfeife, beutelte sich abermals in den widerspänstigen Loden hinein, würgte an seinem Kragen, schob an seinem Bart, versuchte es sitzend, hörte seine Hose bänglich knacken, half sich wieder auf, tastete verängstigt nach dem Schaden, nahm endlich verzweifelt das Ziel in Angriff, seufzte tief, und brachte es mit all dem Aufwand immerhin auf einen nicht ganz unrühmlichen Achter, mit der nächsten, kühneren Kugel sogar auf einen reinen Neuner, dieweil die dritte den erwachten Hochmut allsogleich mit einem zweifelhaften rechtstiefen Siebener bestrafte. Schamhaft und hoffnungsvoll zog sich der erschöpfte Schütze, seiner Vierundzwanzig froh, in den Hintergrund zurück, um den festlichforsch gestrafften Hosenbund insgeheim zu lockern, die bockige Joppe zu schmeidigen, sich der lästigen Pfeife zu entledigen und jedem, der es hören wollte, die Ursachen seiner mäßigen aber ehrbaren Leistung zu erklären.
Der schwarze Peter war der nächste. Stillauernd, ein verächtliches Lächeln unterm gestutzten kleinen Schnurrbart, hatte er Mühsal und Erfolg des langen Bogulin beobachtet; ohne sich erst aufrufen zu lassen, ohne Zieren und Zupfen trat er in die Folge ein, stumm und gierig duckte er sich mit dem geladenen Stutzen neben einer Birke zusammen. Sein mußte das Gewehr auf dem Preistische dort werden, sein um jeden Blutstropfen, und niemand anderes; und daran konnte es ja auch gar nicht fehlen, gefährlich unter den Gegnern war höchstens der krumme Kropatschek, schwerlich der Bogulin, keinesfalls der alterssichtige Vater, dem selbst die leichte Damastflinte in der knochigen braunen Hand zitterte, nimmermehr der Oberförster. Der Oberkrainer Bursch da, der so gern und vorlaut mit seiner Schützenschnur und seinen unbezeugten Gamsgeschichten prahlte? … Kennt man doch an solchen Buben; heraus aus Kaserne und Montur, will jeder der Berühmteste im Regiment und der Liebling von Hauptmann und Oberst und Generälen gewesen sein … Und überhaupt, so ein Krakeeler, so ein Jodler und Jucher, dem noch nicht einmal das Grüne hinter den Ohren aufgetrocknet war! … Wenn aber die Büchsflinte erst ihm gehörte, dann – – im Dernoutz standen ein paar starke Böcke, der Bahnhofswirt in Rann drüben zahlte gerne fünfzehn Kreuzer fürs Kilo, fragte nicht viel und ließ sich nicht gerne viel fragen … Und brauchen konnte man's, wo man der Viechsesel gewesen war, in jungen Jahren zu heiraten und sich den Hausstand gleich mit Mäulern und Mägen zu füllen … Enger noch, noch dichter schmiegte der Peter sich in Kolben, Waffe, Visier, grad haarbreit nur schnitt der Grat mit dem gestrichenen Korn ins Kreismal hinein – – der Schuß brach, satracenie, den Bock hätt's gerissen, und war auf der maledeiten Scheibe drüben doch nur ein hoher Stangenneuner! … Koschutnik, dem das Herz faustdick in die Kehle geschwollen, atmete auf; allein von neuem sammelte und spannte sich der Schwarze, und seine nächste Kugel stanzte rein die Zehn; zum drittenmal nach schwüler Stille knallte es hinter der Birke hervor, und abermals rief und wies der Zieler den ersten Zentrumsring … Neunundzwanzig, und alle drei Treffer mit einem Bierfilz zu decken! … Der Peter schnellte katzengeschmeidig auf; so, jetzt hatte er sich eingezirkelt, bei der nächsten Runde waren ihm Dreißig gewiß, dann sollte sich einer gegen ihn halten! … »Ausblasen, trockenwischen und einen englischen Gruß lang verkühlen lassen, damit kein Blei anschmiert, und weil der Stutzen sonst stoßt und streut,« befahl der Graf; »na, um die Zigarren hast dich schon geschossen, Peter, nicht übel; ist recht, raufts euch nur in Ehren.«
Und nun war Primus selber dran.
Inwendig in ihm, in seinem Kopfe und seiner Seele, betete und fluchte, hoffte und zweifelte, dachte und fühlte es wild durcheinander.
Neunundzwanzig! … Und damit hatte der Schwarze eben angefangen, der würde sich jetzt mit jeder Lage bessern, er kannte das vom Militär. Und zum Schluß dann, wenn vielleicht er und der Peter allein gegeneinander übrigblieben – jenem war das Gewehr kein ganz fremdes, er selbst hatte es noch nie in Händen gehalten … Überhaupt zum ersten Male wieder seit der Soldatenzeit, daß er eine Büchse zur Schulter und in Anschlag nahm; im Dienst hatte er nur seine gewöhnliche Dopplerin geführt, das machte keine Freude. Eben darum hätte er sich ja so glühgern den Zwilling dort erkämpft, das war doch etwas ganz anderes, ein Schrot-, ein herzpunktgenau fernhintreffender Kugellauf, da fühlte man sich als Herrn der Berge, der Wälder, der Weiten, jeder Kreatur! … Was galten dann alle Weiber, was taugte aller Wein der Welt gegen solche Waffe! … Ob man vielleicht der Muttergottes vom Berge Luschari oder jener vom See, gepriesen ob wundertätiger Hilfsbereitschaft, einen Lichtstock gelobte oder ein schönes wächsernes Herz, beprägt mit Blumen und anschaulichen Blutsperlen? … heilige Corona, heiliger Christoph! … Und wie hatte der Herr Fürst gesagt: am unteren Rand des Zielschwarzen, genau wie beim Militär? …
Da wurde ihm plötzlich ganz frei und leicht. Dort die Mannschaftsscheibe, hinter ihm streng wohlwollend sein Hauptmann. »Ruhig Anlehnung nehmen, ganz ruhig! Korn dreiviertel in die Kimme senken, um eine Nagelbreite feiner als gestrichen! Ziel aufsitzen lassen; ganz ruhig! …« Irgendeiner, der Peter vielleicht, machte halblaut eine Bemerkung; der krumme Kropatschek pfiff leise durch die Zahnlücke; Primus hörte es nicht, um Jahre entrückt kniete er, den Werndl an der Wange, im torfigen Rasen auf dem Laibacher Schießstand. »Ziel aufsitzen lassen; rechtes Auge offen halten, nicht mucken, nur keine Feuerscheu; am unteren Rande des Zielschwarzen – ganz – ruhig – Schuß ablassen …« Und der Hahn schnellte, und der Kolben ruckte, und der Knall prallte und widerhallte im Tal. Und drüben, nach einer Ewigkeit heißtränenden Starrens, stieg der Zielerlöffel aus dem Schacht, tastete und tappte auf der Fläche herum und blieb endlich dicht unterm Mal haften … Und wieder ein unterdrückter Aufpfiff, und eine Stimme bei den Herrschaften hinten, die des Grafen – oder des Herrn Fürsten gar – sagte ganz deutlich: Gut …
Da erwachte Koschutnik aus seiner Betäubung. Eine Neun hatte er geschossen, nichts Schlechteres als mit der ersten Kugel der andere! … Nur um einen Deut voller, eben gestrichen gehörte das Mücklein in die schmale flimmernde Kerbe; oder ob man's versuchte und ging mit haarfeiner Fliege mitten in den Punkt hinein? … Bedachtsam nahm er der zweiten Kugel ihr Maß; der Löffel stieg, was Teufel, so hoch gleich, so viel machte das schon aus, und nun gar nur ein Achter? … Neun und acht sind erst siebzehn, eine Zwölf also gehörte noch zu des Schwarzen verruchten Neunundzwanzig? … Gleich kochte dem Oberkrainer das Blut zu Herz und Hirn, sein Blick flirrte, ohne langes Fackeln ließ er das dritte Feuerblei fliegen, kaum daß das ungefähre Zusammgeschau das Mittelrund irgendwie unten gefaßt. Doch da, was bedeutete das? … Sah er recht, suchte der Zieler nur erst nach dem weitverschlagenen Stanzloch? Pfeilgrad in den Scheibenkern hinein zeigte die Stange, und jetzt rief es über das Tal her ganz klar und unmißverständlich: Elfe! … Elf, auf dieses Zielen und halbblinde Hinblitzen? … Sapperlot! sagte es irgendwo unter den Herren; ein Scheelblick aus schmalem Schlitz schlug fahl über ihn hin, ein verbissener tschechischer Fluch begleitete seinen benommenen Abgang. Elfe? … Und dort auf dem Tische die Büchsflinte; maiengrünes Laublicht der Birken spielte über den Rundglanz der Rohre, die zartgewässerte Schiene, den mattschimmernden, flammig gemaserten Schaft … Oh, Muttergottes vom Berge Luschari, oh Madonna vom See, heiliger Primus und Felician! …
Jetzt aber der krumme Kropatschek. Stramm und schnell ging er in Anschlag, hell sträubten sich die harten weißlichen Bartstachel aus dem roten falkennäsigen Gesicht am dunkel gefladerten Kolben. Im Stehen, das Krüppelbein vorgestützt, ohne Anstrich und Zielprobe, in einem Atem warf er die Kugel hin, nachlässig, wie aus der Flinte den Hühnerhagel: angeschnittener Zehner! Ebenso die zweite: Neuner, hart neben dem ersten Treffer; in gleicher unbekümmerter Flüchtigkeit die dritte: abermals geschnittene Zehn, zusammen Neunundzwanzig, alle drei Schußmale nicht mit einem Bierfilz sondern mit einem Gulden zu decken! … Jesus, der war ja ärger noch als der Peter! … Und wie der sich jetzt an seinem eichenen Krückstock davonschwang, siegerverächtlich lächelnd, als sei das gar nichts gewesen! … Wenn der sich dann erst richtig zusammennahm … Da entschlug man sich am besten gleich aller Hoffnungen. Da kam man schon nicht mit. Natürlich, der Schloßjäger, der Leibjäger sozusagen vom Herrn Grafen, der kannte den Stutzen wie seine eigene Hand und Haut …
Derweilen war der alte Johann aufgerückt, der Vater des Peter, hager und flach in seinem grauen Rock, feiertäglich glanzkupfern die gestülpte weitnüstrige Nase, in der aufgebeulten Backtasche hinterm gestichelten Bocksbart selbst heut zum Feste den schwarzen speichelnden Priem; der Stutzen schwankte und flatterte in der braunen knotigen Hand. Endlich, nach langem Suchen, Tasten, Zucken löste sich's aus dem Rohr: immerhin noch ein schwacher Siebener. Ein zweifelhafter Sechser folgte, ein zufällig zuwegegefehlter Neuner machte den Beschluß. Kopfschüttelnd verließ der Alte den Stand. »Nain, bitt schän, nix für alte Johann. Siebenundfünfzig Jahr, bitt schän; draißig Jahr hier in Dienst bai, bitt schän, gnädigem Herr Grof.« Er zog den verwetterten Hut mit der Bussardfeder. »Danken schän gnädigen Herr Grof – bitt schän, Exelenz, bitt schän, Herr Fürst Durlauft, bitt schän, Herr Barron – für alles in draißig Jahr Dienst. Alle Wälder, bitt schän, Rawnitza, Dernoutz, Seloutz, Kriwna Draga, alte Johann gesetzt, bitt schän. Schrot jo, bitt schän; noch Fuchs, noch Has, noch Wildkatz. Aber das, Kugel, bitt schän, nix für alte Johann. Hand nix mehr fest, bitt schän, viel arbaiten, viel rauchen, viel tschicken, manchmal auch klaine Rausch – nix sich übelnähmen, Herr Fürst Durlauft und gnädige Herr Grof und andre Herren – und klaine Bruch, verzaihen, bitt schän – und Augen, weit noch gutt, aber in Näh, bitt schän, nix mehr lesen, nix mehr sehen … So alte Johann schän danken – und wünschen noch lange Leben – und Gesundheit, und Weidmannsheil, und gute Unterhaltung …«
Die Herren lächelten der etwas beseligten Ansprache, der Alte zog sich stolzbescheiden zurück. »Der hat jetzt schon einen sitzen,« bemerkte der Fürst ungnädig; »wie der nach Fusel hergestunken hat – ich weiß nicht, bei mir flög der gleich …«
Der Graf zuckte die Achseln. »Irgendeinen Fehler hat jeder; da ist's schon besser, man gewöhnt sich an den Einen mit seinen Sünden, statt daß man was ganz ganz Unberechenbares eintauscht. Sonst ein braver Kerl, sauber im Dienst und pflichttreu, hat wirklich viel geleistet in den dreißig Jahren, die paar Unverbesserlichkeit, bissel böhmischen Zirkel, bissel viel Schnaps, die muß man ihm halt nachsehen … Na, Swoboda, Sie sind dran.«
Der Oberförster war schon auf dem Platz. Ohne überflüssigen Müheaufwand, gleichgültig und dienstlich stümperte er seine drei Schüsse, Sechser, Dreier, Vierer herunter, wie eine lästige Pflicht legte er nach erledigter Formalität den Stutzen ab.
»Hat sich kajnen Zweck, bitte; es ist schon immer das Glajche gäwesen auf Schajbenschießen baj Durchlaucht Prinz Rudolf Lobkowitz in Zhoř. Es fählt sich die Passiohn, und ohne Passiohn es gibt kajne Übung. Es ist gut, es ist besser und billiger so; Schützen- und Jagdpassiohn ist teuer, hat schon viele älend und arm gemacht. Ich bin sich ganz zufrieden mit letztem Prajs, Trostprajs; hundert Trabuco, acht Gulden, ist viel Gäld, unserajns könnte sich nicht värgönnen …«
Die zweite Runde begann.
Trotz gelockertem Hosenbund und beseitigter Pfeife kam der lange Bogulin nicht über seine vierundzwanzig, trotz verbissenster Anspannung und Hingabe der schwarze Peter nicht über die Neunundzwanzig hinaus.
Koschutnik, irr und wirr zwischen Hoffnung und Zweifel, schoß erst einen Zehner, und strahlte; einen Siebener, und knirschte; endlich einen sauberen Elfer, und staunte und rechnete und verschwor sich.
Wenn es immer dabei blieb, dann gehörte die Büchsenflinte schon dem Schwarzen oder dem krummen Kropatschek, der jetzt eben wieder, als wäre das gar nichts, dies ganze Vorspiel kaum der Mühe wert, flüchtig und überlegen, beinahe schon wegwerfend, seine Neunundzwanzig in einen Talerkreis zusammenzirkelte. Zwischen ihm und dem Peter würfelte der insgeheime Kampf, das war klar.
Der alte Johann, in der Nähe des angezapften Festlägels inweilen abermals um einige Striche vorgerückt, schied mit dreizehn gefährlich auseinandergetatterten Ringen und einer gesteigerten aber gekürzten Ansprache aus. »Nein, bitt schän, alte Johann; jo, bitt schän, alte Johann; nix, bitt schän, alte Johann. Junge Lait, bitt schän, jojo. Wie alte Johann jung, bitt schän, gnädiger Herr Graf – Herr Fürst Durlauft – Exelenz –« er besann sich angestrengt auf Tatsachen jener seiner entflossenen Jugend, setzte sie dann kühnlich als allbekannt voraus, sprang über diese zeitraubenden Einzelheiten hinweg und faßte sie gleich zum Ergebnis zusammen –»aber jetzt junge Johann alt, bitt schän, gnädiger Herr Graf – Herr Fürst Durlauft – Exelenz – jojo. So alte Johann schän danken und – – –«
»Geh, geh, mach dir keine Müh!« unterbrach der Graf; »unterhalt dich gut, übernimm dich nicht und schau, daß du morgen wieder frisch bist zum Dienst. Ich komm revidieren; und der Herr Baron soll einen Bock schießen in deinem Revier; da heißt's g'stellt sein.«
Der Alte verstand, erwachte halb aus seinem Nebel, zog demütig den Hut mit der Wetterfahne, drückte einen feuchten Schnauzkuß auf die widerstrebende Hand seines Herrn und zog sich gemessen zurück.
Der Kreis hatte sich verengt. Der bärtige Bogulin, geängstigt durch die Verschärfung des Bewerbs, getröstet durch die immerhin hochwillkommene Ansehnlichkeit auch des geringsten der noch übrigen Preise, gehoben auch durch die Geister lösender Entnüchterung, begnügte sich diesmal mit dreiundzwanzig Ringen und war des Ausgangs durchaus zufrieden. Nun hatte man seinen Schießbedarf auf gute lange Zeit, brauchte sich nicht mehr anzustrengen und konnte in Behagen zusehen, wie die drei letzten sich rundenweis um den Endsieg rauften. Das hatte der Herr Graf wieder einmal fein eingerichtet.
Am Ende gar gewann der Kerl da, der Krainer, die Oberhand; schau einer her, das Bürschel, wacker hielt es sich, wacker! … Hatte zwar schon reichlich Räubergeschichten erzählt von heimischen Gemsen und Meisterschüssen bei der Kompagnie, über sieben Berge hinweg mitten ins Schwarze hinein, könnt man danach glauben – wie solche frisch ausgeflogene Vögel halt flunkern und den Schnabel wetzen, na! … Schien nun aber doch etwas Wahres daran zu sein, schau einer her, wirklich; aber natürlich, wenn der Kropatschek erst vollen Ernst machte, wenn's zwischen ihm und dem Peter um's Letzte ging, dann gab's für den Primus schon nichts mehr zu holen. Schad eigentlich, schad; hätt ihm's gegönnt, der Bogulin; na, und gar erst den Tschechen, den neidigen habgierigen Giftnickeln die Niederlage. Aber gut vielleicht auch so, sonst schwoll dem der junge Hochmutskamm über Gebühr, prahlte ohnehin schon ein bissel dick mit seinen Kräften und Stückeln …
»Der gefallet mir gleich, der Bursch, den du da hast,« bemerkte der Fürst; »gut g'wachsen, so die richtige, schnittige Jagerfigur. Und scheint nicht schlecht ehrgeizig zu sein; schau nur, wie der abwechselnd brennt und auslöscht. Das sind die Übelsten nicht, der könnt sich machen. Und wie der den anderen aufruckt.«
»Willst vielleicht auf ihn wetten?« fragte der Graf.
»Na, warum nicht; einen Gulden, machst mit?«
Der Graf lachte. »Na, weißt, das geht denn doch nicht, daß ich dahier auf meine eigenen Leut setz … was war das jetzt? Zehner? Und neun sind neunzehn, und zehn sind neunundzwanzig; für den Peter. – Ein Oberkrainer aus Zirklach, vom Schwager in Egg empfohlen, abgefangener Wilderer, gedienter Siebzehner. Na, hoffentlich geht der nicht her und untersteht sich, die Büchsflinte herauszuschießen; da wisset ich nicht, was ich mach, so ein junger Grasteufel haut gleich über Sträng und Streifbaum; mit der Möglichkeit hab ich gar nicht gerechnet. Will was bei mir lernen, so die einfache häusliche Wald- und Wiesenprax; sucht ohnehin für später eine feste Anstellung. Kannst ihn dann von mir beziehen.«
»Warum nicht, wenn er gut tut. Lieber schon als einen von deinen Bömacken, den krummen vielleicht ausgenommen.«
»Geh, hast doch selber Böhmen grad genug in deinen Diensten.«
»In lajtenden Stellungen nur,« spottete der Fürst; »da sind sie beinahe unschädlicher. Ich kann sie halt einmal nicht ausstehen. Aber da schau, dein Grasteufel, er untersteht sich wirklich.«
Koschutnik war in der Reihe. Nun kannte auch er den Stutzen, nun hatte er sich einvisiert und eingespielt, nun wußte er wieder, wie er's damals mit dem Gams in der Huda Gouscha gemacht und später vielhundertmal beim Militär.
Nur schön stät, ruhig und doch schnell, in einem Zuge mußte man mit zusammengeschauter Zielung in der Stange auffahren, und dann abschnellen und fliegen lassen, kaum daß im Steigen das Korn im Kerb das Schwarzrund erreicht, ja nicht einmal berührt, mit der nächsten Linie erst anzutupfen drohte …
Und schon rührte der Finger am zart eingestochenen Züngel, Stoß, Krach, Schmauch: – und drüben dem Schachte entwuchs gleich hinterm Löffel her ein rotes Fähnlein, winkte und flatterte lustig anzuschauen vorm Schwarzweiß der Scheibe im lichten Maiengrün, ein Pistolenknall mit Blitz und Blaurauch aus der Grube hervor und noch einer, und der doppeltschallende Juchzruf des Zielers: Zentrum! … Zwölfe! … Die erste Zwölf dieses Tages.
»Na bravo!« lobte der Graf halb willenlos, aus dem Innersten heraus.
»Prachtkerl!« nickte der Fürst; »hab dir's doch gleich gesagt. Der hat's Zeug.«
»Satracenie!« würgte der Peter hinter gefälschtem Grinsen in sich hinein; der krumme Kropatschek pfiff, der Oberförster fletschte verbindlich und abschätzig. »Ajn Zufallsträffer; man hat öfters auch erlebt baj Durchlaucht Prinz Rudolf in Zhoř.« Flirrendspitze Schlitzblicke trafen den Schützen; nur der wohlmeinende Bogulin strahlte in Bart und beschaulichem Knasterqualm. Schau, schau, sieh einer her, das Bürschel!
Was galt das alles jetzt? Zwölfe, solch Vorrat gab Sicherheit. Primus, von geschämiger Freude überflammt, von geheimer Hoffnung getragen, ließ sich nicht verwirren. Geruhig, überlegen, geschwellt nahm er den Stutzen hoch, im Angehen an das Mal löste er das Lot: und abermals Fahnenwehen und Pistolensalut, wieder ein Zwölfer, wenn auch nur ein angeschnittener.
»Herrgott na!« sagte der Fürst.
Der schwarze Peter biß die breiten Kinnladen hart aufeinander. Hundsblut oberkrainisches! … Was hatte der Kerl überhaupt hier zu suchen?
Der dritte Schuß brachte einen angestanzten Zehner. Vierunddreißig. Jesus, die letzte Runde, wenn das schon gewesen wär! …
Der Graf kämpfte und überlegte. Wahrhaftig, daran hatte er gar nicht gedacht. Wenn nun der Bursch da die Büchsflinte gewann, konnte er sie ihm vorenthalten? Mit Geld ablösen vielleicht? Auch schwierig; wie sah das aus? Ungerecht obendrein; was ein zugelassener Bewerber mit Glück und Gaben erringt, das gehört schon einmal ihm. Mag ja wohl vorkommen, daß gerade die Freude an der Sache, an der würdigen werten Waffe einen jungen Menschen sichert und läutert; aber solch springjungen Gierling, solch brennheißen Wichser und Wetzer, solch geborenen Wilderer, würde sie den nicht zum Mißbrauch verführen? …
»Was tätst du?« fragte er den Fürsten; »davon, daß mir der Bengel da meine alten Leute einfach kaltstellt, hab ich mir natürlich nichts träumen lassen. Wenn er jetzt wirklich den Vogel abschießt?«
Der Fürst zuckte die Achseln. »Dann gehört der Vogel selbstverständlich sein. Wirst doch nicht dein Wort brechen oder zurücknehmen? Aber weißt, was ich machte an deiner Stell? Den fixen Burschen zum Spion über die Bömacken. Da möchtest manches erfahren, was dich wundert. So einer ist schmal und schnell, lauft viel Berg ab in einem Tag, kann sich ducken und drucken. In der Strenge Vertrauen, ehrenvolle Verantwortung, nichts was die Jugend schneller zum Ernst erzieht und steifer haltet.«
»Schön macchiavellistischer Charakterverderb.«
»Gott, na ja, Freunder!; das ist leider Gottes, seien wir aufrichtig, mehr oder weniger jeder Herrendienst …«
Der krumme Kropatschek nahm sich diesmal extra scharf in den Schraubstock.
Eigenhändig wischte er die Büchse blank, keine Spur von Schmauch mehr durfte das Hanfwerg schwärzen. Aber der Grimm des Vorsatzes, die verhaltene Aufregung pulste ihm in die Faust hinein. Sorgfältiger als in den früheren Runden ertüftelte er sein Ziel, schlechter gerade darum, dichtdeckend beisammen im Neunerring saßen die beiden ersten Kugeln, und mit dem Elfer der dritten erst schwang er sich knapp zu den Neunundzwanzig des Peter hinauf. Um die Ehre des Entscheidungsganges mit dem Oberkrainer mußte gestochen werden.
Dreimal ritterten die Tschechen um den Platz im letzten Paar; endlich, nach Neuner gegen Neuner, Zehner gegen Zehner, mit einem reinen guten Zehner gegen einen noch besseren angestanzten Elfer unterlag der Krumme dem zähbeharrlich verbissenen Schwarzen. Mit dem gewohnten halbgezischten Pfiff unterm spitzen Schnurrbart hervor gab er seine Sache verloren. Auch recht; konnte es schon die Büchsflinte nicht sein, da war ihm die schöne lindfettig juchtene Weidtasche lieber als das entbehrliche Perspektiv.
Allein der Schwarze dachte anders. Besser über ein Tal hinweg treffen, als über sieben Täler hinweg sehen; mit solchem Gewehr, dem Stutzen hier ebenbürtig oder sogar überlegen, war viel Geld zu verdienen. Für's Wildbret allein drei, für eine starke Krone bis zu zwei Gulden – in der böhmischen Heimat, im Erzgebirg nah der Grenze, wo sie Pfeifenrohre und Messerhefte aus Stangen bohrten, Knöpfe und ander Zierwerk aus Rosen und Querschnitten drehten, kannte er durch den Vater einen stillen, sicheren Abnehmer – das machte fünf Gulden, auf zwei Monate verteilt eine erkleckliche brauchbare Zubuße zum Lohn, Schußgeld und Deputat. Und sechs Böcke, lieber Himmel, die holte er jederzeit aus dem Revier heraus, ohne daß man's im geringsten spürte oder merkte; da wußte er sich ohnehin schon ein paar solch urhafter überständiger Kampeln, schlau, rar, heimlich, in den Lücken der weiten rankenverfilzten Steilschläge nur der Kugel erreichbar. Konnten ja auch etwelche Ricken dazukommen, der Bahnwirt in Rann scherte sich wenig um den Unterschied, und von den Verzehrern in Steinbrück oder Marburg oder Graz droben schmeckte ihn auch keiner … Immer nur hegen und sparen, sparen und schützen, schützen und mehren wollte der alte Herr Graf; wem kam das Ende zugut, was hatte man von den Stücken, die abwanderten, kümmerten, an Schwäche schließlich verendeten? …
Koschutnik aber atmete auf. Von den gefährlichen Beiden war ihm der Schwarze beinah noch der Liebere, weniger Unheimliche; dem sah man's wenigstens an, wie er sich ehrlich anstrengen mußte, wie er sich zusammenriß und verbohrte, während von des Krummen leichtfertig lässiger Art immer noch etwas Schlimmeres, Eigentlicheres, der wahre blutige Ernst zu befürchten stand. Und dann, jetzt hatte er das letzte Wort, keiner, der wie ein Schatten hinter ihm drohte, Vorhand übertrumpfen und abstechen ist allemal leichter als der Nachhand vorbauen … wenn nur erst – – bis jetzt war es ja in fortwährendem Aufstieg so schön gegangen – – –
Die Spannung hatte sich verdichtet, hinter fahler Blüte der Faulbäume braute dunkel Wetter herauf. Kuckuck rief aus Duftschwüle der tiefen Parkgehölze, Käfer brodelten, Bienen kochten, laubgoldgrünflimmernder Sonnenglast verlosch zu ahnungsvoll dunstdüstrem Halblicht.
Dem abseits zuschauenden Gesind hatte sich der alte Grabert gesellt; sich so ganz allein zu wissen und zu hören im weiten Schweigen und Widerhallen des allverlassenen Schlosses, das war unertragbar bang. Mühsam rang und rasselte vom Steigen die kleinen Hügelwege heran die eingesunkene Brust, die welken Hände zitterten, erstickt starrten die todangstvollen Augen aus ihren Höhlen. Die Mägde traten scheu ab aus seiner widrigen Nähe; Sterbenshauch ging aus von diesem modrigen Menschen; mußte denn der Herr Graf auch jeden Fretter betten und in Himmel futtern wollen! … Und wie sich der zäh an einen hängte mit seinem Qualgehust und Gebell und der langweiligen Jammergeschichte von seiner Berta! … Na, was man von der wußte – gehört hatte – um die brauchte er sich schon nicht zu sorgen – – –
Die dicke Franza, die Leutköchin, stieß die zuchtvoll starrgestärkte Lenka, die Oberwäscherin, plump in die Rippen.
»Dorten! Der Oberkrainer! … Wie er zu uns herschaut!«
»Ja; schad, daß der hinauf hat siedeln müssen in die Wälder.«
»Kurzweilig war das mit ihm; wenn er so eins gesungen hat, abends in der Küche! … Der Peter, Jesus, wie der uns anglüht; als ob er uns fressen möcht …
Der Peter, eng zusammengehockt, gab sein letztes her.
Aber was wollte man: mehr als ganz bedächtig zielen und fest halten konnte man auch nicht. Der erste Entscheidungsschuß: ein Neuner.
Satracenie; doch wieder zu voll abgekommen.
Wenn's nur nicht so flimmern wollte vor den Augen. Das kam vom heißen Starren und Kneifen. Und jetzt war die Luft auch so trüb geworden, halt eine Spur schwächer angehn …
Hat ihn schon; ein Zehner; Neunzehn. Nun noch einmal. Elfer wenigstens, oder Zwölfer. Es mußte.
Ganz fein das Korn; grad nur angetaucht das Ziel; Wille und Wunsch zusammengeschmolzen zum Punkt.
Der Kuckuck höhnte ungestört; wenn der nur schon einmal aufgehört hätte, der Satansvogel elendige.
Und das blöde Gekicher und Gestöß bei den Weibern, den stievigen Kühen, was hatte das Schürzenvolk hier zu suchen? Natürlich, weil der Oberkrainer dort stand; immer eine Hose, zu der hin es die Röcke weht und hebt … Der Peter blitzte einen Blick voll böser Schwarzglut nach der Magdherde hin und ballte wie zusammenkrallend die Faust; neues Gewisper und Gewieher unter den viehischen Trampeln, und was hatte das alte dürre Gespenst dort, der deutsche Hund, der halbverreckte Glasbläser da so eklig herumzukläffen! … Die Käfer brodelten im drückenden Gedüft, die Donner murrten, die Luft hing still. Und von neuem schraubte der Peter Aug und Visier und Mal zum kleinsten Punkt, zum Gradstrahl ineinander.
Länger ließ sich das nicht aushalten. Man wurde ja ganz blöd. Man sah schon nichts mehr vor gezwungenem Zwinkern und Zirkeln. In Dreifaltigkeitsnamen denn: – ob Achter oder Dreizehner, ganz gleich, wenn's nur endlich vorüber war … wenn Gott oder Satan einem schon diesen Rotzbuben dahergelaufenen in die Quer geschickt hatten … Los und fertig, fahr hin – –
Kaum sah der Schütz nach der Scheibe; fast in des Schwarzen Mitte hinein deutete der Zielerlöffel.
Na, halt doch ein Elfer worden. Neun, zehn, elf – dreißig.
Tiefschnaubend sprang der Peter aus der Hockung auf. Über dreißig hinaus war ja auch der andere, der berühmte Regimentsmeister da, nur einmal gekommen, dank dem Zufall natürlich. Aber vorderhand war ihm alles gleich. Er hatte genug.
Hastig stürzte er ein tiefes Glas Bier in sein dumpfes Glühen hinein; und noch eins, daß ihm der Schaum auf den Lippen knisterte. Am liebsten wäre er davongegangen, in die Wälder, heim, ins Wirtshaus. Aber da half nichts; Disziplin; gefoltert mußte er zusehen.
Primus fühlte es ganz kalt und flau unterm Herzen. So war ihm damals gewesen vor dem Gericht, wegen dem bissel Stecherei, in die es ihn ganz unschuldig hineinverwirbelt, und noch später ein paarmal beim Rapport.
Dreißig Ringe, soviel wie drei Zehner hintereinander; lausig kritisch, ein Haarbreit vermuckt, ein wilder grad unter den drei Schüssen, und dahin mit Hoffnung und Freuden …
Ja, wenn er das Glück vom vorigen Gange hätte bannen können; aber darauf stand kein Verlaß, jede Büchse, auch die beste, das wußte er, hatte ihre Tücken und ihren eigenen Kreis, versagte plötzlich und trog. –
Halb im Traum, übernächtig befangen, fegt er den Drall oberflächlich aus. Und die vielen Augen, die nun alle einzig auf ihn sahen; dort die Herrschaften, das ging noch an; aber da die gottverwünschten Menscher, die Weibsen mit ihren stärkeknatternden Kickeln und ihrem albrigen Getusch und Gepuff und Gegaff, diese Ziegen, mit Rehposten unter sie hineinhageln hätte er mögen … Und der lauernde Peter drüben beim Faß, und der widerwärtig abwartend grinsende Oberförster, und der Krumme mit seinen hämischen Zwirbelbartspitzen, und die ganze Welt! … Verbissen, erstickt setzte sich Koschutnik mit dem Stutzen in Bereitschaft. In Mariä und der ganzen Allerheiligenlitanei Namen denn; und mit einem letzten tief einschlürfenden, erschöpfenden Blick auf die winkende blinkende Beute … Und müsset es frei mit Gewalt und unrechten Dingen zugehen …
Also nur nicht zu grob; und ja nicht zu lange herumgefeinert. –
– verdammichte Schürzen mit ihrem weißen Hergeblend; und die gekniffene Fratze vom Peter drüben; und das Gezischel und Geschleich im Rücken, und die bissigen Fliegen – –
Hinter fahler Faulbaumblüte grollten schwül die Donner.
Der Knall schütterte. Oh, Blutsakrament, ein Neuner nur, und der noch kurz … Da müßten ja rein zwei Elfer …
Und die verholene Grimasse beim Peter; reinweg mittenhineinzufetzen ins kinnbackene Böhmackengefrieß …
Und das armselige alte Zittergeripp von einem Huster und Krächzer: der brachte einem gewiß Unglück mit seinen hohlen Elendsaugen und dem grauslichen Gespuck …
Zwei Elfer in einem Zug und Strich; glücken konnt's ja, verschwören in Gotts Namen, wetten drauf, nimmermehr.
Und wieder nur ein Zehner, Zehner kurz, ja schwarze Pest und Kreuzigung, was war denn jetzt das? … Gut abgekommen dabei, grad wie voriges mal bei den Zwölfern, im Kern mitten hätt's sitzen müssen, hatte wer ihm den Stutzen behext? … Aber diese rupfige Aaskrähe dort mit ihrem Sterbensgekakel, die machte einen ganz vermischt, der Tropf, der brachte Unheil, er hatte es gleich gefühlt, sah ja aus wie der begrabene Tod … Neun und zehn, neunzehn; reichte selbst ein gesunder Elfer nicht weiter als bis zum Stechen. Ein Zwölfer – aber so viel Glück gab's ja gar nicht in der Welt, das wurde einem nur von ferne gezeigt und kehrte nicht wieder. Da hätte schon der andre helfen müssen, der, dem man in letzter Not die arme Seele verschrieb …
Warum auch nicht? … Ein heißes Jägerleben mit unfehlbarer Waffe, Weiber und Wein nach Gelüsten dazu, wenn das schon im Vertrag einbegriffen, mit der Seligkeit mitbezahlt war, und man brauchte sich sowieso nimmer um den Himmel zu sorgen …
Oft in den Spinnstuben, an langen Adventabenden, in geheimnisvollen Rauhnächten hinter den breiten Winteröfen der Heimat hatte er von solchen vernommen, die sich da vermessen und eingelassen; Hexenwerk und gewisse Zeit und Ort gehörten dazu, dem Verfallenen aber ging von Stund kein Lot falsch, widerstand nicht Jungfer nicht Frau, klirrte stets die Tasche goldschwer von Dukaten; bis man ihn eines Tages mit gebrochenem Hals, Antlitz im Rücken, unterm abschmelzenden Schnee im Kar oder auf dem Kreuzwege fand. Und ob man gleich wußte von seinen Sünden und Frevelbünden, bewundernde Sage von seinen Schüssen, Kräften und Schätzen ging noch lange nach seiner Höllenfahrt um in den Bergen … Warum nicht? … Wenn schon die Gottesmutter trotz gelobtem Weihewachs sich nicht bewähren wollte? … Später, als Soldat unter seinesgleichen, hatte er der alten dunklen Geschichten leichtfertig gelacht; aber der alte Mohor in Egg droben zum Beispiel, der wußte Bescheid in solchen Dingen, der verschwor sich darauf, der hatte selbst welche gekannt … Wenn man nachmals dann an geborgenen Winterabenden, wo draußen Jug und Bur, Feuchtsüd und Eisnord, schneestöbernd durcheinanderwühlten, oder bei Brauch und Brot geistergeweihter Zwölfnächte vom starken Primus Koschutnik erzählte, dem Jäger aus Zirklach im Zayerfeld! … Wollt er nur kommen, der andre, der Gewisse, gleich fänd er ihn bereit; dem gehört man, der einem zur Erfüllung seiner Wünsche verhilft …
Ja nicht zum Peter hinüberschauen jetzt, was der für eine siegtückische Hohngrinse schnitt, wie es dem aus den funkelschmalen Scheelaugen flirrte … Herrgottsblutsakrament, sich an irgendetwas auslassen können, Mensch oder Tier, irgendetwas neun Rasten tief in die Erde hineinschmettern, das tät wohl … Wütig schlug Primus nach der bissigen Wetterbremse, die ihn schon zum drittenmal angeflogen. Selbst das ging fehl, noch die Kanaille äffte einen, und gleich wieder klebte das zudringlich an der schwülfeuchten Stirn.
»Na, wird doch der Peter das Rennen machen,« meinte der Graf, »mir grad recht, da bin ich die Sorg los. Hättst deinen Gulden verloren.«
»Warten wir's ab,« entgegnete der Fürst; »braucht bloß einen Zwölfer, der ist schnell geschossen. In Wirklichkeit, wollen wir ehrlich sein, bei einer solchen Büchs grad so Zufall wie ein Zehner oder Elfer oder beinah noch ein Neuner. Geht ja an für eine bloße Unterhaltung, mit Geschenken dotiert, hab's gemerkt, daß in dem Kistel Zigarren noch was andres drinnen liegt als bloß Trabuco, na natürlich. Man sieht, was ein jeder als Jäger leisten tät, schön. Aber sollt's ganz scharfer ehrlicher Ernst sein, da müsset schon eine richtige Scheibenbüchs her.«
Der Graf sah unruhig nach dem Gewölk. »Hoffentlich entscheidet sich's wenigstens gleich, daß es nicht noch zum Stechen und pritschelnaßwerden kommt. Schau nur, und merkst ihn, den brandigen Schwefelgeruch? Und was die Fliegen unausstehlich sind! … Na, wird's denn bald, das bauert ja diesmal eine Ewigkeit …«
Schwerer, härter wuchteten die Donner von den Bergen heran; noch standen die Bäume, hing das junge Laub betäubt im drückenden Gedüft. Laut hustete der alte Grabert in die düsterfahle Stille hinein.
Gut; und wenn der Himmel mit Gottesmutter und Nothelfern sich versagte, dann mochte der andere … und wenn's Seele und Seligkeit kostete … ein Leben wenigstens, von dem man was hatte … Wenn er nur käme und wollte und es wahr machte … Droben bei den harfenspielenden Engeln, da gab's ohnehin nicht Wild, nicht Weib, nicht Waffe … Stetig auffahren, und also mit des – – –
Da stach die Bremse bluttief und sengendheiß in die linke stützende Hand.
Auf zuckte sie im Schmerz, Krummfinger rührt ans Züngel, hinaus prellt der verlorene Schuß …
Das galt nicht. Dafür konnte man nicht. Bestie, maledeite. So schön hätte er gerade … Auch das noch – –
Aber da, was war das? … Neben der Latte jähheraus die jubelrote schwenkende Fahne – Pistolensalut hintereinander – Gejuchz und Gewimpel ohne End – noch einmal Blitze und Rauchstöße, gefolgt vom Doppelknall –: Zwölfer, mittinnerster Zwölfer –: Kernzwölfer – – das Kreuzel mitten herausgeschossen – –
Kreuz mitten herausgeschossen.
Primus stand leichenstarr. An seiner Hand schwoll und brannte der Stich, weiß bis in die schaumbeflockten Lippen der Peter, Haß, Fluch, Mord im schwarzaufgerissenen Blick …
Einunddreißig, wahrhaftig. Einunddreißig gegen dreißig. Aus.
Und nun barst der Sturm herein.
Hellaufgestäubt durcheinandergeworfen die Bäume. Fliegende Schürzen, Weibergekreisch, Schwergetrampel Wege hinab, hastendes Raffen, Flucht, hinterdrein die ersten hagelschweren Tropfen.
Und ein reißender Grellschmetterschlag übers klaffende erbrausende Parkgeländ hin, und der wilde Juchschrei des erwachten Siegers.
*
Drunten in trockener Turmkanzlei nahm der Graf die Verteilung vor.
»Da, Swoboda, Ihre Trostzigarren; wenn auch nicht grad mit Andacht, so doch mit Vorsicht zu genießen. – Johann, dein Standhauer; Griff ist hohl, zu besserem Zug und Schwung, Knauf laßt sich schrauben, kannst später deinen geliebten Tschick drin verwahren. – Bogulin: Patronen, Pulver undsoweiter. Nicht gleich wüst im Revier herumknallen deswegen, und bei den Winterjagden keine von den beliebten Ausreden auf die Munition – Kropatschek: also die Weidtasche. Ja, für euch alle hab ich nicht Gewehre stiften können; das hätt auch keinen Sinn. Hintendurch geht noch ein Muff einzuschieben, den bekommen Sie morgen; gut für Enteneinfall und Fuchsvorpaß in der Winternacht. – Peter Jelinek: kein solches Gesicht schneiden, kannst ganz zufrieden sein, da hast dein Fernrohr, wenn's dir nicht paßt, schenk ich's dem Kropatschek oder dem Bogulin, die täten sich freuen. So wird's ausgezogen, je nach dem Aug, so zusammengeschoben; siehst da hindurch auf fünfhundert Meter jedes Haar und jede Perle am Rehbock. Wärst halt obenauf geblieben; es findet jeder seinen Meister. Hätt grad so gut der Kropatschek zum Beispiel dich ausstechen können, hab sogar damit gerechnet, daß du's weißt. Abtreten. – Na, Koschutnik Primus, wenn du dich erholt hast von deinem blassen Schrecken über dich selbst? Hättst dir's wohl selber nicht verhofft und zugetraut, was? Bissel viel für deine Jugend und deine kurzen Dienste, der wertvolle Preis; hast zwar recht brav geschossen, bist sogar vom Herrn Fürsten belobt worden, aber Schießen ist noch lang nicht alles, also nur nicht hoffärtig werden deshalb. Und jetzt geh schön heim; morgen in Gottes Namen kannst dir deine Büchsflinte bei mir abholen, es gehört noch so einiges dazu. Mach ihr und dir selber vor den Ungedienten hier, die das, was ich dir da sag, hören und hören sollen, allzeit Ehr. Und wenn du dich freust, was jeder begreift, denk dabei daran, daß auch ein anderer das Stück gerne gewonnen und daran seine Freud gehabt hätt; und daß du diese Bescherung wahrscheinlich mehr deinem Glück und dem Zufall als deinem besseren Können verdankst. Erfüll denn mit der Waffe sauber und fleißig deine Pflicht als Jäger, Heger, Diener und Untergebener; damit ich mir keine Gewissensbisse darüber machen muß, an einen so jungen pulvrigen Teufel, wie du einer bist, gar noch die Lunte gelegt zu haben. Erzeig dich als würdig; bist du's nicht, lerne es werden. Tust gut mit dem Gewehr, soll's mir recht sein; treibst aber Mißbrauch damit, wird's sich bald an dir rächen. Das also merk dir. Und für jetzt genug. Abtreten.«
*
Und nun war auch das überstanden: des alten Herrn gefürchtete langweilige Extrapredigt und des schwarzen Peter verfänglicher drohender Glückwunsch.
»Werd halt ich mit meinem Respektiv dich mit deinem Gewehr hie und da ein wenig kontrollieren,« hatte er gehässig flirrenden Blicks gesagt; »auch zu etwas gut, weiß Gott, was dabei noch herausschaut, welcher von uns beiden mehr Glück haben wird mit seinem Preis.«
Und der Herr Graf, indem er den Zwilling vom Waffenbrett aus seinen eigenen alten Flinten und Jagdtaschen unter einem bissigen Fuchskopf und sechs starken Rehkronen hervorhakte:
»Da. Mir eigentlich gar nicht recht, daß grad du Grünschnabel das letzte Wort behalten hast; hab damit nicht gerechnet, wär mir anders lieber, mach dir kein Hehl draus. Eben um deiner selbst willen: Hochmut und Neid, das sind schlimme Feinde. Aber na: – vielleicht, daß es dir Freud zum Dienst erweckt, daß du jetzt deine Sonntage rein aus dir selber lieber im Wald als im Wirtshaus verbringst. Üb weidgerechte Jagd mit der Waffe, halt sie rein wie dein Revier und deine eigene Seele. Nimm dich in acht vor Weibern, Wein und schlechter Gesellschaft. Die machen einen inwendig schwarz wie der Schuß den Lauf, und eh man sich's versieht, ist der Rostfleck da. Da kannst dann scheuern und schleifen und schmirgeln, und kriegst das eingefressene Übel nimmer weg. Weiber, Wein, schlechte Gesellschaft, die bringen den redlichsten Burschen vom Brot in die Not und von der Not in den Tod. Ein junger Jäger wie du soll sich sauber und nüchtern, einsam und wachsam halten …«
Na ja, na ja, das hatte man doch schon siebenundsiebzigmal gehört. Koschutnik brannten die schweren Schranknägel unter den Sohlen. Nur endlich allein sein mit der köstlichen neuen Büchse, sie zu genießen, zu prüfen, zu betasten, als geliebte Last zu fühlen, vor sich die unbegrenzten Seligkeiten eines Jägerlebens … Der Graf erriet und verstand mit einem nachsichtigen Lächeln.
»Keine Angst, laß dich jetzt schon laufen, hier in der kleinen Tasche einiges Zubehör nebst fünfzehn fertigen Patronen, zehn Millimeter Expreß. Mehr vorderhand nicht, drei Kugeln geb ich dir frei zum Probeschießen, von den zwölf anderen hast Stück für Stück genaue Rechenschaft zu legen, verstanden. Nach anständigem und, wohlgemerkt, sparsamem Verbrauch je nach meinem Befinden wieder ein Dutzend; die Hülsen wirst mir jedesmal vorzeigen, erhalt sie dir blank, das ist eine große Ersparnis, brauchst sie bloß in Wasser mit ein paar Tropfen Essig auszukochen und in Sägespänen zu trocknen. – Was hast denn da an der Hand?«
Koschutnik sah scheu zur Seite. »Ich weiß nicht, hat mich da gestern etwas gestochen, Bremse oder Wespe oder Horniss …«
»Das sieht ja bös aus; bald schon wie ein Vipernbiß. Hast du Schmerzen, fühlst dich taumlig?«
»In der Nacht hat's ein wenig gezuckt und geklopft; jetzt ist's schon besser.«
»Sei auf der Hut vor Schlangen; wir haben ihrer viel in den Bergen. Die graue Viper mit der aufgestülpten Nase, die ist besonders zu fürchten; liegt still auf der Lauer, geht dem Menschen nicht einmal aus dem Weg und schnappt aus dem Hinterhalt zu. Dann nur gleich mutig ausschneiden, Glied abbinden, Wunde mit Eisen abglühen, so viel man's ertragt. Zeig noch einmal her deine Hand.«
Koschutnik gehorchte betreten. Der Graf schüttelte den Kopf.
»Gerade wie von einer Otter. Das weißt du bestimmt, daß es nur eine Bremse oder Horniß war – oder vielleicht so etwas wie eine Spinne oder ein Skorpion?«
»Bestimmt. So ein großer schwarzgrausprenkliger Teufel mit dicken Augen, hab ihn ja davonfliegen sehen.«
»Hat dir schön viel Gift mitgebracht und eingeimpft, der Satan. Weiß Gott, wo der hergekommen ist. Tat dir am liebsten die Geschwulst eröffnen und ausätzen.«
Schnell zog Primus die Hand zurück. »Ist ja gar nicht notwendig. Heut nacht nur, da hat's wehgetan bis in den Rücken, bis ins Herz hinein; jetzt ist's schon wieder ganz gut.«
»Nun, wie du willst. Ich bin dann nicht schuld, wenn's, Gott mag's verhüten, eine Blutverjauchung oder dergleichen absetzt; ich hab dir's gesagt. So lauf halt; seh ja, wie's dich brennt und juckt. Nein, laß das, die Handschleckerei; geschenkt hab ich dir und hätt ich dir das Gewehr nicht, es hat sich eben so gefügt, deine Dankbarkeit kannst am besten mit ehrbarem Gebrauch erweisen. Gut, gut; schau jetzt, daß du hinauskommst.«
Der Oberkrainer, bang unter der Bürde seiner Schätze, nahm einen unbeholfenen, gewaltsam schnellen Abgang.
Das wäre überstanden gewesen; und wenn es gleich den ganzen Arm und den ganzen Menschen kostete, den gesegneten Giftstich hätte er um dreihundert Gulden nicht missen mögen in seinem Leben.
Wie er nun durch das Vorgeländ der Hügel nach den mittagsstillen Bergen hinaufwanderte, kam es Primus an.
Irgendwie wollte er doch einen Umweg schlagen und sich in stolzem Siegertum mit der nagelneuen Büchs sehen lassen. Sonst war die Freude nur halb.
Teufel, was verschlug es, wenn er in das Tal hinunterstieg und beim Konfin auf einen einzigen kurzen kleinen Himmelfahrtsschoppen einkehrte? … Grad nur, daß sie merkten, daß er noch auf der Welt und obenauf sei.
Beneiden sollten sie ihn, die Kroaten da drüben, die Ärarischen mit ihren rostigen Vorderladern, mit ihren elenden Hagelspritzen. Und sitzen von den verdammten Welschen, den Katzelmachern, welche da – Herrgott, die sieht er nicht einmal an, an denen geht er nur so vorbei. Die werden's schon behalten haben, wer der Herr hier im Hause ist: Primus Koschutnik aus Zirklach im Oberland.
Es war noch früh an Stunde; steil über den Wäldern brannte die weiße Maiensonne.
Primus hatte den Grat erreicht, von dessen Höhe der Steig zur Linken hinab durch heiße Schlangenfelsen ins Tal der Bregana niederklettert. Der andere Weg zur Rechten zog durchs Birnholz und den Seloutz, den Dorfwald, der aus alter Servitutszeit seinen Namen behalten, immer weiter über der Tiefe hin, umschlug den kurzen finsteren Nußgraben, zerteilte das Mittstegholz, spähte vom Kamme her ins große Martiniloch hinein, durchschritt den aufgeschriebenen Wald, so geheißen von der Ablösung der Dienstbarkeiten, und erreichte endlich das einsame Blockhaus im Dren und durch Hutungen, Maronenhaine, Weilerflur und hohen Buchenbestand weiter die Mladina, den weitumspähenden Jägerhof des westlichen Reviers.
Koschutnik überlegte. Im Martiniloch stand ein guter Bock, den konnte er gegen Abend aufs Neue bestätigen; im Birnholz wechselte ein noch besserer aus dem Kalkgraben herauf; im aufgeschriebenen Wald wußte er einen glatt befahrenen Hauptbau, vor dem ließe sich die neue Waffe mit erstem Schusse einweihen, traf es auch eine säugende Fähe, der Herr Graf mußte es ja nicht gleich erfahren. Überhaupt, diese vielen Einschränkungen und Ermahnungen, zu dumm; da war's bald besser, man ging mit dem Rosenkranz statt mit dem Gewehr durchs Revier … Unschlüssig setzte er sich auf einen Stein unter der breitvorschattenden Hainbuche zu vorläufiger Rast, die Büchsflinte quer über den Knien. Von hier aus bestrich er das Tal bis hinab zum Wehrmüller, bis hinauf zum Konfin am scharfen Knick.
Nicht satt wurde er des Betrachtens, Wägens, Prüfens, Zielens.
Da drunten der weiße Kroat, wie er auf dem grellen Straßenbande dahinkriecht, wahrscheinlich ein verspäteter Meßgänger – Korn und Kimme schmelzen im angehaltenen Atem zusammen, der feine Stecher klingt stählern ab: hat ihn schon!
Hätte ihn schon, wär es ein Hirsch, ein brauner Hirsch mit schwerwiegendem Geweih, ein breitauswuchtender Vierzehnender wie jener in dem Herrn Grafen seinem Zimmer auf dem holzgeschnitzten umschnörkelten Kopf … Oder ein Gams, ein Bartgams, wie sie in den Bergen der geliebten fernen Heimat wuchsen, schwarze Teufel, auf denen der bereimte Pelz nur so wogte, wenn sie durch die blauen Schatten der Schrunde jagten – hinauf, hinab, daß der Schnee rauchte, jetzt starres Aufstutzen, und herum um die nackte erzschwarze Flühe, juch hinunter in wilder Satansfahrt, jach wieder gegen den Berg, als ob der Škrat sie hetzte, den ganzen lieben kurzen Wintertag ein tolles Spiel auf dem sonngoldnen Firnenflaum, darin die Fährten wie blaue Schnuren sich kreuzten … Herrgott ja, wenn er erst wieder daheim war bei seinen Gams, dem Wild der Höhe, in dem all die uralten Sagen weiterleben, das selbst wie eine Kreuzung ist zwischen Gottseibeiuns und Tier …
Koschutnik stand auf, so schnell, als gälte es, einen Schatten zu scheuchen, die Zeit anzutreiben, als würde ihm der Weg in die Zukunft kürzer, wenn er gleich jetzt etwas Entscheidendes und Bedeutendes unternahm.
Er dehnte die sehnigen Glieder, zog die schmeidigen Stiefelschäfte höher herauf an der schwarzen knappen Lederhose, schlug sich die neue Büchsflinte ins Kreuz und stieg langsam ins Grenztal hinab.
*
Und nun saß er hinterm denkwürdigen Eichentisch, vor sich den karfunkelroten Schoppen, das Hütl windisch nach vorne gerückt, daß die Schneidfeder steil auf Sturm stand.
Von den Welschen hatte sich noch keiner eingefunden. Die kamen erst später, gegen die Vesperzeit, wenn sie ihre Woche und ihre Polenta richtig ausgeschlafen hatten.
War Primus recht; er verspürte keinerlei Gelüst zu Händeln. Und die alte Vettel, die ihn erst mit einem geilen Juchzer und widriger Andränglichkeit begrüßt, hatte er mit herrisch knappem Wort und kalter Miene gleich von vorneherein in ihre Schranken verwiesen.
Aber schon einen Heidenrespekt hätten sie vor dem Herrn Jäger, die Katzelmacher, befliß sich die Horvatitschka demütig schmeichlerisch zu versichern; wüßten sie, wer ihrer hier warte, nicht eine Schnurrbartspitze wagten sie zur Türe herein.
Primus hörte mit ungnädig halbem Wohlgefallen zu. Würd ihn anderen auch noch beibringen, solchen Heidenrespekt. Gewissen verdächtigen Weibsbildern zum Beispiel, die einem Honig ins Gesicht und Dreck übern Buckel schmierten; ja ja.
Die Alte entrüstete sich zungenfertig und verräterisch. Sie? … Sie? … Zum Herrn Grafen sei sie gegangen, damit er's nicht ganz verdreht von wem anderen zu hören kriegte, von den Ingenieuren zum Beispiel oder durch die Gendarmerie oder gar durchs Gericht, darum! Helfen habe sie dem Herrn Jäger wollen, helfen, nichts anderes, wo er doch noch neu in der Stellung und in der Gegend sei, und so jung und fesch, damit der Herr Graf sich nicht am End eine falsche Meinung bildete über ihn und die ganze dumme Geschichte! … Wie er schon manchmal zu sein beliebte, der Herr Graf, ein wenig sonderbar und ungerecht, gehässig und rachsüchtig, möcht man beinah sagen! … Habe ja auch sie viel verleumderischer Verfolgung erdulden müssen in ihren langen Witwenjahren, Lieder wisse sie zu singen von der Bosheit der Menschen, oh! … Und das sei nun der Dank für den Weg und die guten Worte; aber freilich, anders sei sie's gar nicht gewöhnt … Gerührt wischte sich die Horvatitschka die pünktliche Fuselträne aus dem Aug. Nun, und wie erst habe sie's den schuftigen Wällischen, Gott im Himmel und der alte Stermelz dort seien ihre Zeugen, wie habe sie's denen später noch gesagt, auf alle Gefahren verlorener Kundschaft und der Rache hin! … Eine Gnad vom Herrn Jäger, wenn er sich mit Gesindel eures Schlags überhaupt einlaßt; was wollts denn, von ihm verprügelt zu werden, viel zu viel Ehr noch für euereiner, Falschspieler, Messerstecher, Diebe, jeder Fußtritt, den ihr abbekommen habts, für euch Bagasch eine unverdiente Auszeichnung – hab ich nicht so gesprochen, Stermelz? … Das nächste Mal, da spuckt er euch einfach hinaus, hehe – Stermelz, hab ich das nicht gesagt? … Der alte Fuhrknecht, solcher Anrufungen seit Jahren gewohnt, nickte nur undeutlich brummend in sein Glas hinab. Koschutnik nahm den Schwall hochmütig gelassen hin: schon gut, schon gut, erledigt! Er blinzelte nach dem dürftigen Gaste hinüber, der dort in der Ecke überm Schoppen aus blutbraunem Weichselspitz träumerisch seine Zigarette rauchte. »Wer ist denn der?«
Die Horvatitschka, der Ablenkung froh, beugte sich schwerbusig vertraulich herab.
»Ein Morlak; einer aus dem dürren Karst drunten, wo sie in guten Jahren hungern, in schlechten gleich dorfweis aussterben. Will sich an der Straße ein paar Groschen verdienen, mein Gott; als Handgeld vielleicht für Amerika.«
Primus maß den hageren ausgebrannten Menschen unter der alten Soldatenmütze mit geringschätzig mitleidigem Blick; da trat die Ljubitza herein, füllig und blank, und der Jäger, von einem flüchtigen Auflächeln getroffen, rückte überrascht das kampfliche Schneidhütl aus der Stirne, um besser zu sehen.
Mit unmerklichem Zutrunk gab er dem empfangenen Gruße Bescheid. Seltsam, wie fremd und frei er sich dabei mit einmal vorkam; war das der Wein, der Frühling, die Waffe, ein Nachfieber vom giftigen Stich? …
Teufel ja, die hellte aber auch auf, diese Ljubitza; so gut hatte er sie sich nicht vorgestellt. Ein Meisterstück Gottes das, oder des Satans; das reiche dunkelbraune Haar, in schimmernd sauberen Flechten um den Kopf gelegt, die quellklaren Augen, die sanfte warme Fülle der Gestalt … Hätte aus dem Oberland eine sein dürfen; nur daß sie geschmeidiger war; weicher; feuriger … Ein Mädel zum Küssen; hätt man nicht eine andere auf den Lippen geschmeckt …
Nachmittagsgäste kamen in Schüben; Werkleute vom Bau der Glashütte, Arbeiter, Partieführer von der Straße; der alte dürre Schauer, ausgedienter Strommeister, der dicke Posthalter und Mautpächter von Jessenitz draußen an der Save; Radko Raplanowitsch, der walachische Händler und Wucherer, auf seinem stämmigzähen bosnischen Paßgänger von Samobor her heimwegs nach Kalje, hoch in den wildeinsamen weglosen Bergen; Jaka Meschetar aus dem unteren Grenzdorf, auf den Märkten beider Reichshälften bekannt und berüchtigt als Helfer, Makler, Mittler und Täuscher. Vielsprachig brodelte es in der weindunstschwülen Stube; draußen schlugen die Ochsen, quietschten die gekoppelten Schweine, stampfte der geduldige Grauschimmel.
Jaka Meschetar, begabt mit gleich scharfem Blick für die feinen Fäden ersten Angespinsts zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Tier, Anbot und Nachfrage wie für jegliche Art hohlen Eisens, entdeckte alsbald die blinkende Neuheit am Zapfen und betrachtete sie aufmerksam mit verdächtig geübtem Kenneraug. Daß dich der Kreuzteufel, welch eine feine Flinte! Ein Herr wohl hinten in der Laube, ein Jagdgast des Herrn Grafen unterwegs ins Revier? … Wie, was, dem Jäger seine? … Ah, der berühmte starke Oberkrainer aus den Planinen! Auch wieder einmal hier? Keine Langeweile droben im Blockhaus, kein Heimweh nach den Alpen und dem reichen Zayerfeld und den schönen Gorenkinnen? … Ja, daß sie im Oberland den Rössern ihre Staatskumte schwer mit schierem Silber beschlügen, das habe er schon erzählen hören; aber gleich solch ein herrschaftliches Prachtgewehr, wie für einen Baron! … Und alsgleich schwärmte es dicht um das anziehende Schaustück: der dicke Posthalter, selbst gelegentlichem kurzatmigem Sonntagsweidwerk von Schlosses Gnaden nicht abhold, der alte gallige Stromaufseher, der walachische Händler, der Partieführer, in bescheidenem Hintergrund der Morlak. Erlaubt, näher anzusehen? … Vorsichtig hakte der Posthalter die Waffe vom Zapfen herunter. Doch hoffentlich nicht geladen? mahnte der Strommeister; mit solchen Dingern müsse man ängstlich sein, da könne er Geschichten erzählen, ganze Kalender voll Geschichten! … Ah, der Preis wohl vom Geburtstagsschießen, erriet der Posthalter; ja ja, man habe schon vernommen, na, die Böhmen müßten sich ja schön ärgern; ein Kabinettsstück das, auf Ehre, wieviel wohl wert? … Hundert Gulden zumindest, entschied Meschetar, nach seiner marktlichen Gewohnheit kunstvoll neben dem Pfeifenrohr hervor die angesammelte Knasterspucke in schnalzendem Bogen von sich schleudernd; und bei Kreuz und heiligem Blut, recht ist's, daß ein Landsmann die verdammten tschechischen Schnauzen – abermals klatschte es braun gegen die Ofenecke – ausgestochen hat, daß dich die Muttergottes … Hundert Gulden zumindest, sag ich, und ein paar Liter solltet Ihr drauf spendieren! … Primus lachte; des Bewunderns war kein Ende. Man lobte die feine graue Ätzung der Schloßbleche und des Verschlußstückes, den zornig röhrenden Hirsch in zierlich geschwungenem Laubgerank auf der einen, den springenden Rehbock auf der anderen Seite, versuchte am zähhaftenden Reibschlüssel, sah durch die blitzenden Bohrungen, prüfte den Anschlag, betastete den dunkelflammigen leinölduftenden Schaft. Ein Kabinettsstück, ein Grafengewehr mit einem Wort; den kroatischen Waldwärtern würden die Augen aus dem Kopfe stielen vor Neid. Ja, ob aber diese neumodischen Hinterlader auch schössen? zweifelte der Strommeister – da wisse er Geschichten zu erzählen, auf reine siebenzig Schritte habe einmal der selige Michel Holzer, der frühere Schloßjäger, vor seinen Augen einen Rehbock erlegt, droben im Sprung bei der Vermessung, auf volle und glaubhafte siebenzig Schritte … Ganz vertraut sei der Bock, ein Bursch von zweidrittel Zentnern, wo nicht mehr, aus dem hohen Bestande in den Schlag getreten, da habe der selige Holzer lange und bedächtig gezielt, endlich abgedrückt, und im Blitz sei der Bock den Hang herabgerollt, die runde Kugel mitten durch die Rippen, jawohl! … Ob denn diese neuen Büchsen von solch schwachem Kaliber auch verläßlich träfen und überhaupt den richtigen Brand hätten? Da glaube er nicht recht daran – –
Primus lachte auf: na freilich! Grad die Neuen und Frischen, die schießen am schärfsten und haben den heißesten Brand! … Dabei blinzelte er der dunklen Ljubitza zu, die ihn im Vorbeistreichen ganz zart und warm gestreift; wie die erste stärkende und doch lähmende Welle roter Trunkenheit drängte es ihm zu Herzen. Flüchtig, mit einem lockenden Aufflirren im Blick, entglitt sie seinem verhohlenen Griff: Jesus Maria, drunten der offene Faßhahn! … Was nicht verläßlich treffen, was runde Kugel, was lausige siebzig Schritt, was seliger Michel Holzer! Koschutnik, plötzlich erbost gegen den gichtfingrigen ledernen alten Nörgler, wies die goldblanken Patronen vor. »Zehn Millimeter und Expreß, hat der Herr Graf gesagt. Und was von meiner Mutter der Bruder ist, der arbeitet selbst in Ferlach bei den Büchsenmachern. Nicht auf elende siebzig Schritt: von Berg zu Berg, über das ganze Tal hinweg jeden Bock! … ah was, Bock: jeden Sperber! … jeden Apfel vom Baum! … den Nagel! … Wie auf die Scheibe im Schloßpark drunten das Kreuzel mitten im Zwölfer …«
Man betrachtete die hübschen sauberen Hülsen, aus denen das stumpfe Blei fingerbreit hervorragte.
Expreß, erklärte nachdenklich der Posthalter, heißt bei uns so viel wie schnellstens und dringlich … Müßte erst bewiesen werden, mäkelte der Strommeister; was der selige Michel Holzer war, der hat damals im Jahre dreiundsiebzig im Sprung, am Florianitag, ganz genau weiß ich's noch, auf siebzig Schritt … Ja, der Herr Graf Erdödy in Jaska drüben, der hat akkurat solch ein Gewehr, unterbrach der walachische Händler; der ist ein großer Jäger, von Rehen tut's nur so wimmeln in seinen Wäldern, da hab ich einmal selber gesehen, wie er gute zweihundert Meter – –
Draußen auf der schmalen Holztreppe, schräg am Haus hinan, erdröhnten erzschwere Schritte.
Gleich darauf ward die Tür aufgestoßen und zwei königlich ungarische Gendarmen, die Hahnenfederhelme tief aus den tropfblanken Stirnen gerückt, traten mit steilstarrenden Bajonetten ein.
»Na, was sagt denn ihr dazu?« Der Posthalter trat ihnen mit der Patrone in der Hand entgegen. »Ihr seid ja Kenner im Fach: einen Apfel will der Herr Jäger mit dieser Kugel vom Baume schießen, quer über das ganze Tal hinweg …«
Die Gendarmen lachten, stellten ihre schweren Büchsen behutsam weg, entledigten sich ihrer Taschen und Helme und traten dann behäbig heran.
»Zuerst ein Liter Roten und frisch Wasser!« Der Wachtmeister wischte sich mit großem gelbem Taschentuch den Schweiß aus dem Gesicht. »Bereits eine richtige Feiertagshitze heut, was?« Er ließ sich wuchtig auf die Bank fallen und nahm mit spitzen Fingern die Büchsflinte unter die Augen. »Ein feines Gewehrchen das.« Er entzifferte die eingelegte Goldschrift auf der zart gewässerten, gleich einer dunklen Schlange geströmten Laufschiene. »Aus Prag!« stellte er befriedigt fest; »ja, die Prager Gewehre sollen bereits die allerbesten sein. Mit solchen Waffen sollte man auch uns ausrüsten, das wär praktischer … Nehmen Sie sich vor diesem Hause und vor der Alten in acht!« raunte er hastig hinter vorgehaltener Hand dem jungen Jäger zu; »es ist da schon mehr als einer – –« Der Wein wurde aufgesetzt, Stimmgewirr zur Türe herein, Schub und Drang um den Tisch; Primus starrte den Wachtmeister überrascht an, der legte unauffällig den Finger über den Mund und lachte arglos dem Oberen Wehrmüller entgegen, der dem stößigen Angehäuf entwühlt die Hand herstreckte. »Na, Gevatter, wie geht's? Schweine gekauft in Otruschevatz? Teuer?«
Der Wehrmüller sank hitzemüd auf die Bank. »Gott mir, teuer genug. Was ist das noch für eine Welt, wo man für ein Paar magerer Schnittlinge fünfzehn Gulden bezahlen muß? Wo ist da noch das Futter, wo die Mast? Bald wird man nicht mehr wissen, wohin mit seiner Not.« Er wischte sich die Traufe vom blanken Schädel.
»Mit dem Gelde wohin, willst wohl sagen?« mischte sich der Neuhofbauer, der »Pagat« ein, so zubenannt nach seinem lachenden Tarockgesicht; »das weiß man ja, was euereiner mahlt, pures Silber und Gold, und die Kleie, die kriegen wir … Ho, der starke Herr Oberkrainer! Na, was is? Haben sich die auf dem Kreisgericht selber gefürchtet, daß nix draus geworden ist?«
Allgemeine Heiterkeit, und auch Koschutnik nahm den Stich gut auf.
»Haben erst neue Gitter bestellen müssen, und bis solche für mich fertig sind, dauert's lang.«
»Das ist nämlich unser berühmter Herr Jäger,« erklärte der Pagat seinem Begleiter, einem alten schnauzbärtigen Kroaten, von dem er in Otruschevatz droben das Joch weißer Jungochsen erstanden; »da schau her, Gevatter, einen eichenen Tisch mir nix dir nix mit nackter Faust so zurichten! … Ja, wir Krainer! … Konfinka, einen Liter für den Herrn Jäger und einen für mich und einen für den Gevatter da …«
Primus wehrte ab. Schon war er aufgestanden; einen Schoppen, hatte er sich versprochen, nicht mehr. Sein Gelüst war gestillt. Man hatte die Büchse gesehen und gebührend bewundert; nun wieder verlangte ihn nach reinlicher Einsamkeit, eigenem Genuß, behaglichem Sinnieren und Probieren, erstem Schuß. Aber der Pagat hielt ihn fest.
»Na, na, einen Liter; als ob das ein Kerl wie Ihr nicht vertragen könnt. Davon werds die Böcke nicht gleich doppelt sehen.«
»Braucht's Gott sei Dank gar nicht!« versetzte Koschutnik hochmütig; »sind ihrer grad genug da.«
»Viel zu viel!« spuckte Meschetar; »Nichts als Schaden, den einem das Viehzeug frißt in das bissel Ertrag seiner sauren Müh. Was kriegt man dafür? Die paar mistigen Kreuzer von der Jagdpacht? Die reichen noch nicht einmal zu einer neuen Schaufel für den Straßenräumer; so wenig spürt man sie in den Gemeindeumlagen. Nur fleißig wegputzen das Ungeziefer mit dem neuen Gewehr.«
»Wird schon anders werden,« schürte der Wehrmüller; »Heuer kommts wieder zur Versteigerung, so auf Sankt Theresien herum, da wird man ja sehen.«
»Möcht ich erleben!« sagte der Oberkrainer giftig von oben her; »ihr werd's grad aufkommen gegen die Herrschaft.«
»Oho, nicht?« schrie der dicke Posthalter; »vor fünf Jahren, da haben wir sie beinah schon gehabt, die Jagd …«
Der Wehrmüller zog die alte zerschwitzte Brieftasche aus dem Leibling und fächerte die blauen Bankscheine. »Geld haben wir auch, hehe! Und wenn's hundertfünfzig Gulden kostet oder magari zweihundert; werden schon noch ein paar andre mithelfen.«
Der Pagat lachte übers runde Tarockgesicht. »Da hat man sie ja, die bittere Kleie, so schaut sie aus. Aber wahr, was wahr ist; mit fünfzehn, mit zwanzig Gulden springet ich selber gleich ein; wir sind auch Leut.«
Die Stimmung stieg; das grüne Hütl mit der Schar rückte verdächtig auf Sturm.
»Und ich, ich springet nicht mit zwanzig sondern mit hundert solchen Patronen ein; dann könnt's es suchen, euer Geld.«
»Wunder wirst viel ausrichten damit,« reizte der Wehrmüller, von jähem Trunke erhitzt; »so ein Postenschuß, der reißt dir gleich ein paar Stück um.«
»Wenn die da sind, nämlich.«
»Werden schon noch welche übrigbleiben.«
»Kein nacketer Schwanz nicht, für eure Schinderspritzen.«
»Wird sich ja aufweisen.«
»Wird sich auch.«
»Wird sich schon was versamen und zuwandern.«
»Und noch das hol ich euch heraus, und wenn ihr drauf sitzen tät's; bei meiner getauften Christenseel.«
»Die alten Vorderlader, die haben Brand gehabt,« hob der Strommeister mit gekrümmtem Zeigefinger an; »da war ich im Jahre dreiundsiebzig am Florianitag mit eigenen Augen Zeuge, wie der selige Michel Holzer droben im Sprung – –«
»Das neue Gewehr halt, auf das er sich spreizt,« unterbrach Jaka Meschetar mit nebenherauszischendem Marktspuck; »was streitet's euch um die ungelegten Eier? Weiß man schon, wie's tragt und trifft?«
»Besser bestimmt als wie eure rostigen Gießkannen,« drehte Primus auf; »überhaupt, ihr vom Unterland, ihr halbeten Krabaten, ihr werdet's grad was davon verstehen …«
»Ho ho!« lachte der Pagat; »bei euch droben in den Planinen, da geht die Sonn wohl schon um Mitternacht auf, daß ihr die Läuse husten und die Fische fideln hört's? …«
»Und Händ zum Halten und Augen zum Zielen haben wir auch!« trumpfe der Wehrmüller.
»Von dir besonders amtsbekannt,« warnte der Wachtmeister; »wirst schlechte Geschäfte machen, Gevatter, da ziehst bereits den kürzeren. So eine Kugel, ähnlich unserer Werndl, die blast dir auf ein paar hundert Meter Licht und Verstand aus dem Schädel wie nichts, verlaß dich drauf.«
»... wie der selige Michel Holzer droben im Sprung bei der Vermessung einen Rehbock – –« versuchte der Stromaufseher mit hartnäckigem Zeigefinger fortzusetzen – –
»Jeder Zigeuner lobt seinen Klepper,« stichelte Meschetar; »sehen müßt man's, grad wie den Fausthieb hier im Tisch; sowas, das ist dann ein Beweis.«
»Einen Apfel vom Baum, hat er sich vermessen,« rief der Posthalter; »und wenn zehnmal Expreß und von mir aus rekommandiert dazu, und wenn's jetzt auch keinen Apfel auf dem Baum gibt zum Probieren, haha – das glaub ich einmal nicht, um keine Seligkeit. Eine solche Patrone, die ist noch lang nicht das Gewehr, und das Gewehr, das ist noch lang nicht der Schütz; soviel versteht unsereins auch, haha.«
Primus, bleich vor inwendiger Glut, drohte den Spötter beherrscht aus verdunkelt flackernden Augen an. »Und ich verschwör's und verwett's.«
»Und ich setz einen Liter dagegen,« hetzte der Pagat.
Der Jäger streifte ihn mit verächtlichem Blick. »Mit dir sprech ich jetzt noch gar nicht.«
»Und einen Schtefan, einen Doppelliter ich!« überprotzte der Wehrmüller; »wer prahlt, der zahlt.«
Jetzt aber wuchs Koschutnik unheimlich auf. Breit in schmeidigstraffem Leder, die Schar auf Kirchweih gedreht, stemmte er sich vor dem Stänkrer.
»Wer redt da was von Prahlen? Wer prahlt?«
»Du!« trotzte der andre beherzt; »du, wie aller Gorenzen, Messerhelden, die ihr seids. Nix wie Aufschneiderei; damit wir uns vielleicht fürchten und ducken sollen.«
»Sag das noch einmal, ja?«
»Noch einmal, noch hundertmal. Prahlen tust, aufschneiden.«
Primus ballte die Faust. »Hast mein Siegel gesehn dort im Holz? War das auch nur geprahlt, hä? Willst sowas aufgestempelt haben, damit du's glaubst, ja?«
Der Wachtmeister trat dazwischen. »Ruhe, Ruhe und Ordnung, oder ich muß einschreiten.«
»Gegen den schreitets ein!« schrie der Wehrmüller; »wer hat die Ruhe hier gestört? War vom Schießen die Red oder vom Hauen und Stechen?«
»Vom Prahlen!« fauchte der Jäger; »du warst's, der damit angefangen hat, ich tät bloß prahlen, und wer mir sowas sagt, der – –«
»Zeig's halt!« schrillte Jaka Meschetar heiser drein; »zeig's ihnen, daß du nicht prahlst! Reden und pochen ist leicht – – zeigen, zeigen.«
»Ja, zeigen,« stimmte der Wehrmüller ermutigt bei; »hab ja gesagt: einen Doppelliter setz ich dagegen.«
»Und noch ich einen!« bot der Pagat.
»Und meintswegen auch ich einen!« dröhnte der Posthalter; er kniff die entzückt aufjuchende Horvatitschka ins breite Gesäß. »Das werden dir Runden, Konfinka, was meinst? Das fleckt!«
Der Wehrmüller wies durchs Fenster. »Und ich wett, daß du nicht den alten Topf da draußen auf dem Tristenbaum triffst; wett und halt und behaupt ich. Nicht den alten Topf da drauß auf dem Tristenbaum.«
Primus warf einen nachlässigen Blick nach dem vorgeschlagenen Ziel. »Von wo aus?«
»Von wo aus? … Gleich hier von der Straßen, vom Feldzaun da aus; triffst ihn nicht, setz ich magar Soviel wie »von mir aus, meinetwegen, meinethalben«; spezifisch krainisch-friaulische Korruption, auch bei gebildeten Deutschen des nordwestlichen Jugoslawien vielfach in sprachlichem Hausgebrauch. meinen Kopf.«
Hochauf lachte der Oberkrainer. »Deinen Kopf, soll's gelten? Der Scherben, vom Zaun hinüber, auf die erste Kugel ist er hin …«
Alles drängte zum Fenster; selbst der schweigsame grauschnauzbärtige Kroat, Veteran von Novara und Santa Lucia, geriet in stilles Feuer, seine überbuschten Augen leuchteten. Der Morlak, dessen niemand bisher geachtet, rückte bescheiden näher heran.
»Zwei Doppelliter dagegen,« steigerte blindlings der Pagat; »weil's ja ohne Zufall rein unmöglich ist.«
»Unmöglich?« Koschutnik stieß einen hoffärtigen Fauchlaut aus. »Der Taler auf deinem Schmerbauch da, auf dieselbe Entfernung – – hast Kurasch? …«
Der Wehrmüller klatschte wie bei wütigem Kuhhandel wild in den erklirrenden Tisch. »Drei! … Drei Doppelliter! … Gilt! … Steht!«
»Schön; gut; so werd ich mich halt auch nicht lumpen lassen und setz eine Doppelmaß auf den Treffer,« erklärte der Wachtmeister in gleichmütiger Zuversicht.
»Mit der ersten Kugel?« zwinkerte lauernd der Posthalter.
Koschutnik, schon im Griff nach der Waffe, zuckte geringschätzig die Achseln. »Magar.«
Dumpf durcheinander, die Holztreppe von der Pergola hinunter rudelte rumpelnd der stürmische Aufbruch; Partieführer und Werkleute, der walachische Händler, der adlergesichtige alte Kroat, der stille Morlak, Gäste aus der Laube draußen schlossen sich an, die Horvatitschka selbst, gierig nachrechnend, die Ljubitza, heimlich in Bewunderung und Widerstreiten verträumt … Zwei und zwei und drei und nochmals zwei, neun Doppelliter; jedesmal brachte er Glück, der fesche Oberkrainer, immer rührte der was auf; und die Schneid von dem, und seine Mundart rein zum Vernarren, und wie er sich bloß schon hielt und ging! … Bedeutungsvoll blinzelnd stupfte die Alte ihre Nichte an: Den! … Die Junge nickte nur, ein nachdenklich zerbissenes Blatt vom Rosenkraut zwischen den Lippen. Ein Bild von einem Mannskerl; wie die Tracht ihn kleidete, wie sein schmaler federnder Wuchs im Gleichgewicht der Bewegungen allein, weder in Höhe noch Breite die Kraft verriet! Und seine goldbraunfunkligen Augen dazu, und der Wisch von Stirnlocke unterm Hütl hervor, und der freche freie Hochmut in seinem Gesicht: das war einer, ein andrer als der Alten ihr vergötterter Branketz mit dem unreinen verlumpten Studentengefrieß und dem pfützigen Blick und seinen widrigen Nachstellungen … Immerhin: das Geld, das die Konfinka in all den Jahrzehnten vielseitigen Gewerbs sich und ihrer Brut erzapft, erwuchert, erpreßt, erkuppelt, auch nicht zu verschmähen … Die Schweine zerrten und zeterten am Koppelstrick; fliegenumschwärmt vor verstreutem Heu schlugen und brummten die geduldigen weißen Ochsen; der Grauschimmel stampfte und scharrte; und Herr über all das niedrige dunstige Mannsvolk am Zaun dort unbestritten der falkenfreie pfingstjunge Jäger – –
Die Strohtriste stand jenseits des kleinen Maisfeldes, das den Talgrund zwischen der weißen Straße und dem jenseits unterm Waldhange hinströmenden Grenzbache bedeckte. Aus ihrem Gipfel ragte hoch der Tristenbaum hervor, und auf dessen Spitze stak als Regenschutz der gekalkte Topf, ein scharfes Ziel.
»Hundertdreißig Schritte,« schätzte Koschutnik.
Der Wachtmeister schritt die Entfernung sachkundig ab. Hundertsechsunddreißig! schrie er herüber.
Primus nahm den kreideweisen Topf versuchsweis auf Kimme und Korn und ließ den stahlklingenden Schneller einspringen.
Jetzt sollten sie sehen, was das ist, ein rechter Gamsjäger aus dem Oberland. So gut wie verloren waren ihre Wetten.
Freilich: der erste Schuß aus neufremder Waffe. Er ließ sich von Zweifel nichts anmerken. Er würde treffen; er mußte treffen; er konnte nicht anders als treffen. Seltsam, diese fast unheimliche gehobene Freiheit, Sicherheit, trotzige Schicksalsgewißheit, von der er sich durchströmt und getragen fühlte. Gestern noch war ihm nicht so gewesen.
Bedächtig öffnete er den Verschluß, neugierig umstanden vom Posthalter, Wehrmüller, Wachtmeister, Pagat, vom alten Kroaten, vom glühäugigen Morlaken, vom ganzen fiebrisch gespannten starrenden Hauf.
Drei Kugeln, hatte der Graf ihm gesagt, standen frei zur Erprobung; sollte denn diese in aller Mächte Namen die erste sein.
Zuvor noch spähte er durch die blitzende Bohrung, sowohl von der Kammer als zurück von der Mündung her.
Er kannte sie, die Mittelchen, die den bestgezielten Schuß wie Dunst in der Luft verstäuben lassen. Ein Krümmel Fett, eine Träne Öl, ein Tröpflein Wasser nur nah der Mündung in den Zügen, und das Blei verflog sich weiß Gott wohin.
Im Oberland verstanden sie sich darauf.
Aber dieses Volk hier wußte nichts von Zauber und Gegenzauber des Büchsenschusses. Der Lauf spiegelte gegen die Sonne wie blankflüssiges Blei.
Und jetzt schob Primus mit geheimem Segen die erste Patrone ins jungfräuliche Rohr.
Zweimal, dreimal hob und senkte er die Büchse, holte Atem, wartete, ließ das Herz zu Ruhe kommen, daß es ganz leise wie ein Quell in der Tiefe schlug.
Dann stellte er sich kantschmal zum Ziel, spreizte die Beine; spannte den Hahn; ließ den Schneller einklingen.
Noch einmal sah er eratmend zur Seite.
Im Schwarzspiegel der Laufwölbung leuchtete ein helles Gesicht. Ljubitza. Verhieß das Glück?
Und nun schmolzen Wille und Wunsch, Seele und Sinn zu einem einzigen Gradstrahl zusammen.
Jetzt faßte das Korn in der zarten Kimme das Ziel, jetzt brannte es sich langsam in die kleine weiße Fläche hinein – eine Ewigkeit, in der die Welt, beinah wie im Fieber, zu jenem hellen fernen Fleck dort gerann – – da schlug der Feuerbüschel aus dem Rohr, der Topf kreiselte auf seinem Baum herum und blieb hängen, eine feine weiße Wolke stäubte davon.
»Die Stange hat er getroffen, die Stange!« frohlockte der Wehrmüller; »die Stange, genau hab ich's gesehen! Die Stange, sonst wär der Hafen in tausend Scherben gegangen.«
»Selber Stange!« Primus fauchte den Nörgler gehässig an und wies ihm zwischen Zeige- und Mittelfinger den Daumen. »Hast es nicht stauben gesehen? Als wär's dein Kopf gewesen, so hat's gestaubt!«
Und schon eilte er in langen Schritten auf das Ziel zu, gefolgt vom erregten Rudel. Die Weiber nur blieben unter überschattenden Händen zurück.
Vielstimmiges Durcheinandergeschrei kündete den Erfolg.
»Kannst sie schon zapfen, die Doppelliter, Alte!« brüllte die mächtige Stimme des Oberkrainers herüber, daß das Tal von Hang zu Hang davon widerhallte.
Der Topf war getroffen, gut getroffen sogar; nicht just in seiner innersten Mitte, aber doch hart auf der Grenze zwischen mittlerem und oberstem Drittel; zwei kantig ausgescherbte Löcher zeichneten den Weg des Geschosses.
Der Wachtmeister schnitt einen langen Stock von der nächsten Erle und stakte den verdrahteten Hafen von seinem Hochsitze herab. Wie früher die Büchse, so ging jetzt ihr Opfer, das tönerne Scheibenbild, von Hand zu Hand: ein Gegenstück der eichenen Tischplatte.
Der Pagat wiegte den runden Kopf. »Wer hätt sich das gedacht?«
Der Posthalter, kurzatmig nach so heißer Bewegung, lachte fettig verärgert. »Scheint – scheint doch – doch so etwas wie Expreß zu sein …«
»Ein wenig hoch sitzt sie, die Kugel,« erklärte Primus befriedigt; »scharf unter der Mitten bin ich abgekommen, also geht der Schuß hoch, noch besser. Dann faßt die Kugel auf einige hundertsiebzig Schritt genau den Fleck, gerad das Rechte … Glaubst es vielleicht jetzt, daß ich dir von diesem Berg zum andern dein Lichtl ausblas, klein und matt wie's ist?« wendete er sich an den geschlagenen Wehrmüller; »und wennst es noch immer nicht glaubst – – da schau …«
Er hatte die Waffe unvermerkt wieder geladen und trug sie gespannt in der Linken. Jetzt holte er mit dem Topfe aus und schleuderte ihn grell aufjuchzend hoch in die Luft, daß er in steilem Bogen vor ihm aufstieg. Und eh noch die Zuschauer begriffen, lag der Kolben an der Wange, der schwarze Lauf folgte dem Flug und Stillstand des Hafens, der Schuß brach, und im weithin grollenden Widerhall zerstob das todgeweihte Gefäß in einen Schwarm von Splittern.
Starres Schweigen; dann schlug der Jubel überm Meister zusammen.
»Also so etwas hab ich bereits doch meiner Lebtag nicht gesehen,« bekannte der Wachtmeister; »und wir beim Regiment waren auch Schützen. Verfluchte Burschen, ihr Oberländer!«
Der Posthalter wischte sich den Schweiß aus dem Wulstnacken. »Meiner Seel; nix und nie soll man was verwetten. Schauer, da haben wir Alten zusamt dem seligen Michel Holzer uns gründlich blamiert. Na ja, was woll mer machen? Mit solch einem Gewehr freilich …«
»Aber auch solchem Auge dazu,« ergänzte der Wachtmeister in offener Bewunderung; »bassama, gäbt Ihr einen Gendarmen!«
Allein der Wehrmüller fand einen Span. »Ja, der schlaue Herr Jäger; uns alle haltet er für Narren. Was steht, das steht, selbstverständlich, was verspielt, ist verspielt. Aber diesmal könnt ja auch mit Schrot geschossen worden sein; wer wills kennen?«
Hohnvoll, einen bissigen Schimpf auf den Lippen, maß Koschutnik den lästigen Stichler; klingender Katzenschrei aus der Höhe ließ die Streitenden aufsehen.
Da droben, mitten über der Talspalte, schwamm ein brauner Bussard auf ruhig gespreiteten Schwingen, goldgeflammt vor dem Blaugrund des Frühlingshimmels. Die beiden Schüsse hatten ihn von seiner Warte in der Krone der Horsteiche aufgescheucht, nun schwebte er stolz ob der Tiefe, ließ sich von Licht und Wind immer höher in den blendenden Glast hinantragen, spähte vielleicht nach den Hühnern, die drunten vor der Wirtschaft eifrig in den Resten unter den Futterkrippen pickten und scharrten … Der Wehrmüller blinzelte angestrengt hinauf.
»Den Kerl hol herunter, da zeig was; und dann will ich kein Wort mehr sagen.«
»Hat mir so grad erst gestern wieder ein Hähndel geschlagen, der Blutsatan der!« fluchte Meschetar; »tätst ein gutes Werk, kriegtest Eier und Speck.«
Der Wachtmeister verrenkte den Hals nach dem feierlich kreisenden Raubvogel. »Das ist bereits wohl unmöglich.«
Der Posthalter schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen; kann man ja schon kaum mehr sehen, das Luder.«
»Den erreicht keine Kugel,« stellte der alte Kroat bedächtig fest.
Da blitzten die Augen des Oberkrainers heiß auf.
»Und wenn sie ihn erreicht?«
Der Wachtmeister klopfte ihm auf die Schulter. »Schad um die Patrone. Schad, die Treffer von vorhin zu verderben.«
»Was schadet's?« Primus flackerte; seit gestern, mit diesem Gewehr, war nichts mehr unmöglich; wieder durchglühte es ihn, roter Trunkenheit gleich aus dunkler Innentiefe herauf, Gefühl unbändiger zaubrischer Siegesgewißheit. »Und nun justament!«
»Ah, geh, geh!« drängte der Pagat; »laß ihn fliegen, den Stößer. Setzen wir uns lieber hinein in die Kühle, ist gescheiter …«
»Er steigt ja immer höher,« bemerkte der alte Kroat.
Allein Koschutnik hörte nicht mehr. Wie zum Spiele hatte er angeschlagen, mit steilem Lauf folgte er dem Schraubflug des Vogels. Jetzt ließ er den Schneller einklingen, zur Probe, vermeinten die Zuschauer. Der ganze Mensch erstarrt, als belebte kein Atem die schmale Gestalt; das sonngleißende Rohr nur schwankte leis mit der Mündung.
»Trifft ihn ja doch nicht,« munkelte der Wehrmüller.
Der Pagat schüttelte den Kopf, beobachtete zwinkernd die unmerklichen Bewegungen der Waffe. »Nie und nimmer!« raunte der Posthalter; »unmöglich!« wiederholte der Wachtmeister. Er schob den hahngefiederten Helmhut noch tiefer zurück ins Genick. »Unmöglich.« Der Morlak hielt beinahe den Herzschlag an; welch ein Jäger, welch ein Gewehr …
Da schlug der Blitz aus der Büchse, leichte Erschütterung durch den Schützen. Der Widerhall grollte mächtig an den Talflanken hin.
»Gefehlt,« murmelte der alte Kroat.
»Wahnsinn!« knurrte der Posthalter.
Aber jetzt – plötzlich, einen Atemzug nach dem Knall, warf schwerer Stoß den Vogel aus seiner Kreisbahn. Er schoß nach vorne, Fittiche steil aufgeschlagen; kippte kopfüber und schloß die Schwingen; stürzte in jähem Bogen, stürzte mit wachsender, sausender, reißender Schnelligkeit und platzte mitten zwischen die auseinanderstiebenden Hühner und den wild am Schlauf morscher Zügel wegschreckenden Grauschimmel hinein.
»Heiliger Gott!« Der Wachtmeister als erster der Starrenden fand seine Sprache. »Heiliger Gott! … Also nein – ich sag lieber schon gar nichts mehr …«
»Im Traum nicht möcht man's für möglich halten,« gestand wie schweißbedeckt aus drückendem Alp erwachend, mit erkalteter Virginier der Posthalter; »das wenn einer einem erzählen wollt … Sie, Schauer, da könn mer schlafen gehn mit unsern alten G'schichten …«
Der Pagat grinste über und über vor wehrlosem Staunen; dumpf wie vor einer Unfaßbarkeit wiegte der Gevatter Kroat den graustruppigen Veteranenkopf. Primus, selbst erblaßt und erbrennend, nickte knapp gegen den Wehrmüller hin.
»Na, du?« Fremd und erstickt klang ihm die eigene Stimme. »Findst noch was zu mängeln und zu nergeln?«
Der andre, mit einem Seitenblick dunklen Verdachtes, zog einen gleichsam erledigenden und scheidenden Strich durch die Luft. »Nichts: als daß du den Teufel im Leib haben mußt oder in demselbigen verfluchten Gewehr. Denn das: das geht nimmer mit rechten Dingen zu.«
»Vielleicht?« Der Jäger lachte heiser. »Warum nicht, könnt schon sein – soll man sich halt in acht nehmen vor mir …«
Sie hatten die Wirtschaft erreicht; der Meschetar, in neugierigen Sprüngen vorausgeeilt, hielt aus aufgeregt durcheinanderschwatzendem Schwarm den staubig zerzausten Vogel hochklafternd entgegen. Prüfend am Schwingenbug hob und wendete der Wachtmeister die schlaffe Beute.
»Weiß Heiland: – und mitten durch den Kern geschossen!«
*
Gut, Herrschaft noch einmal, war das hinausgegangen: keiner geschwatzt, der Graf nichts erfahren, kein Rüffel, kein Rapport; und heut gar der gegen die Hüttentür geheftet vorgefundene schreckhafte Zettel: weder Ladung noch Entlassung, Befehl vielmehr, einen starken alten Bock zuverlässig bis kommenden Donnerstag in die Schloßküche zu liefern.
Primus, der anderes von der Botschaft befürchtet, müd von betäubender Arbeit wie er war, pfiff hellbefreiend auf. Man mußte schon nicht alles so heikel nehmen, um ihn und seine Wege allein drehte sich die Kanzlei drunten auch nicht, da gab es andere Sorgen. Nun ja, und überhaupt: drei Kugeln frei, frei auch ihre Verwendung, einen Hegeschuß sogar hatte er damit getan; hatte dann nach mäßigem Bescheidtrunk sich fernerer Nötigung schroff, grob beinahe entzogen, war vor einvesperndem Nachmittag nüchtern im Revier droben gewesen, hatte die Salzlecken begangen, den Bock vom Martiniloch und einen anderen im Mittsteigholz aufs neue bestätigt, zu Abend vor dem befahrenen Hauptbau angesessen, die anschnürende Fähe trotz Haselhenne im Fang vorschriftsmäßig, wenn auch mit harter Überwindung geschont – was also, was denn? … Und überdies: er war Primus Koschutnik aus Zirklach im Zayerfeld, gedienter Siebzehner, nachgerad mündig und frei, und irgendwas, Jagd oder Weiber, Krieg oder Spiel, mußte der Mensch zum Leben und Ausleben haben, das stand ihm als sein gutes Recht auf den Leib geschrieben von Geburt an. Mit Gebetbuch und Rosenkranz kam keiner zur Welt, solch ein Schimmelpilz mochte sich später ansetzen wie Schwammbrut an den alternden Stamm; und wenn der Herr Graf in weißem Haar und frommer Einfalt das nicht begriff – es gab andere von gleichem Rang und leichterem Sinn, der Baron in dem einsam verfallenen Klosterschloß drüben, mit der großen Urwaldherrschaft in Ungarn, das wär gleich nach seinem Geschmack einer gewesen, der predigte gewiß nicht über jeden gestillten Hunger und jeden gelöschten Durst …
Primus wußte selbst nicht, wie und woher ihm das gekommen, ein frecher fordernder Trotz, wie von lösendem Rausch, wie vom Reiz einer Vergiftung. Irgend etwas war zündheiß geworden in seinem Blut; als sei er über Nacht aus seiner Jugend, aus hellem wettrigem Frühling zu brennendem schattendem Sommer erwacht, als sei er bislang ein blöder Bub nur gewesen, wär jetzt ein starker wissender Mann … Und seit die Büchsflinte ihm neben dem Herzen hing, seit er mit diesem Rohr seine eigene unheimliche Unfehlbarkeit erprobt, fühlte er sich unbändig sicher, gefeit, gehoben, und gleicherzeit doch gefangen, umstrickt, einem dunklen Verhängnis verfallen. Ahnungen nur, die bisweilen Blasen gleich aus innerster Tiefe heraufstiegen, flüchtige Schatten, Schauer: wenn er morgens im blaublassen Tau auf weiten Umwegen nach der Holzung ging, die Stämme in glatter Riesbahn zutal schießen, die bewuchteten Rollwagen durch rauhe Enge das Gefäll hinunterjagen sah, wenn er der drohenden Erfüllung seines wildvermessenen Wunsches gedachte, des Neiders im Nacken, der Ljubitza mit den quellfeuchten schwülen Augen, den giftsüßroten Lippen und der füllig drängenden Brust … Manchmal spähte er verstohlen durch den sorgfältig gereinigten Lauf der bräutlich geliebten, bräutlich gehegten Waffe: der Rostfleck, hatte der sich am Ende schon eingeschlichen? … Aber sogleich zerrann das wieder, wie ungreifbar Glastgebild im Blick, wie Schein dämmernd vorüberschwebender Erinnerung. Unsinn, wie ein Gewehr zu pflegen, das hatte er beim Regiment aus dem harten Grunde gelernt, da hatte es Arrest oder gar Krummschluß gesetzt für jeden Anflug und Hauch; und vorderhand lebte er, lebte mit Wild und Wäldern und Welt und Weibern vor sich – und dem Peter mit seinem vertückten Kinnbackenschädel, wenn der ihm was wollte, würde er schon zeigen, was eine böhmische Leiche ist – und dem Herrn Grafen seine Litaneien mußte man auch so heilig nicht nehmen – und was sonst so an Gottesgaben im Wege lag, das genoß man eben ohne viele Bedenken … Und überhaupt, geredet war also nichts worden, und nach dem Botenzettel da gab es keine geringste Sorge mehr und keine geheimwurmende Unbehagnis; und morgen in aller Kuckucksfrühe sollte vom Kalkgraben der alte Kampel aufs Korn, stand ohnehin der Grenze nah und den Wildererweilern, ließ nicht die Muttergeiß mit dem Kitz, Jährlinge und angehende Männlinge nicht in Frieden, und trug, wenige Male zwar und kurz nur gesichtet, auf eisengrauer Stirn eine schwarzschwere Hauptkrone, die stärkste bald auf und nieder im ganzen Revier …
Sollten die drunten in der Schloßküche, mochten der Herr Graf und der krumme Kropatschek mit seinem gespitzten Pfiff nur sehen und staunen, was Beute der Primus Koschutnik aus Zirklach im Zayerfeld als erste auf die Wage in der gewölbten Zerwirkkammer oder auf den schattkühlen Steintisch vor der Eisgrube legt! … Und vom Peter der wühlende Wutneid, und vom Oberförster das schleichende Grinsen, und einen Dienst müßt man halt haben, der aller Wochen solchen Auftrag brächte, fünfzig oder hundert solcher Vorabende müßt es geben im Jahr, und dann hundert solcher Jahre leben und seinthalben in alle Ewigkeit dafür braten in der tiefuntersten Höll …
Unruhig verträumte der Jäger die kurze Pfingstfrühlingsnacht voll Duft und Stimmen. Dort hatte der Bock gestanden, aber der Büchse fehlte mit einmal der Hahn, mit dem Daumen mußte man gegen den Zündstift drücken, tiefer, immer tiefer, daß es die pechzähe Kugel langsam herausschob aus dem Rohr … Und dann flog sie träg wie von schläferndem Mittagswind getragen über das Tal, und der Bock drüben war jetzt der schwarze Peter und jetzt der Onkel in Ferlach, und jetzt der Wehrmüller und jetzt der alte ausgedorrte Glasbläser, und Linie für Linie wie eine Schraube bohrte sich das Blei ein, eine Schraube aus Bleidraht, der aus der Gewehrmündung hinüberreichte bis ans Ziel … Und dann lag dort ein Mensch auf dem Gesicht, ein ganz fremder Mensch, den er nicht kannte und doch einmal schon irgendwo gesehen; aber plötzlich, wie der Tote unter seinem Grübeln und Starren sich allmählich verwandelte, wußte er's: ein gewisser Primus Koschutnik aus Zirklach im Zayerfeld, er selber – ja, dem war er vorzeiten irgendwann begegnet, beim Regiment vielleicht oder in den Heimatbergen … Schwül aus Ewigkeiten schrak er auf; war's denn noch immer nicht Zeit, wollt es heut nimmermehr dämmern? … Der Mondstrahl spielte schmal im kalten Blankstahl der Waffe; die Hexen spannen, die jungen Ohreulen seufzten, Geister webten und spürten ums Haus.
*
Noch einmal, halb schon unterwegs, stockte und überlegte der Jäger. Im Sprung der Achter mit den hohen, langbewehrten Stangen, war das nicht am Ende doch der bessere? … Aber eine innere Stimme rief und lockte und zwang ihn nach dem Südhorn des Reviers. Vom Kalkgraben mit dem Wechsel ins Birnholz herauf der Alte, so voll und finster zwischen den Lauschern, der und kein andrer war einer solchen Weihe würdig, sollte, durfte der erste sein.
Und nun lauerte Primus lange vor Tau und Tag schon auf dem Stocke, den er sich zum Sitze ausersehen. Von einem Maronendrilling war ein Stamm in erster Stangennutzung geschlagen worden; gut ruhte sichs darauf, mit den beiden stehengebliebenen Schäften als Lehne. Unterm vergrasten Abfuhrwege das raume Stangenholz mit dem Horst nachwüchsiger, stark befegter Fichten; tief im Grunde die rauschende Schlucht, jenseits die schwach erdämmernden Morgenhänge. Es mußte stimmen.
Noch war Düster im Walde: Stuken, Stubben, Strunk in ringendem Zwielicht verkauert. Der Kauz heulte, doch schon flügelte der Tag im Gezweig.
Eine frühe stumme Schwarzdrossel hüpfte laut über trockne Spreu.
Dann wuchsen die Stämme still in Kuckuckruf und tauperligen Finkenschlag heraus. Hinter den Wipfeln der Himmel ward goldigbleich.
Drunt im Tal ein zeitiger Wagen. Schnaken begannen stichfeinen Sirrgesang. Der Specht schrie.
Jetzt erschloß sich die Durchsicht zwischen den Fluchten der Stangen.
Wildbiene summte am Jäger vorbei in den wachsenden Blühmorgen hinaus; Eichhörnchen huschte schwarzbuschig, schlankbucklig übers vergraste Geleis; der Riese, der dort in grauer Finsternis gehockt, stand als altmulmiger Storren auf dem Kreuzweg. Leichter Frischwind fröstelte durchs schauernde Laub; und immer noch lag der Waldgrund wie wartend in heimlichem Halbdunkel.
Der krätschende Häher; der erdplumpe Feuermolch; der fleißige Kleiber; die leisen, turnenden Meisen …
Koschutnik dachte eben daran, seine Pfeife aus der Tasche zu heben. Da –
Ferner, schwacher, unbedeutender Laut, der ihm durch alle Sinne fuhr. Das Brechen eines dürren Zweigleins.
Behutsam legte er den Daumen auf den Kugelhahn und zog unter sanftem Gegendruck über.
Wieder knisterte Reis; dort, zur Rechten.
Primus spähte angestrengt durch den Bestand. Hielt den Atem an, bog sich auf seinem Sitze vor wie der lauernde Geier.
Leichter Schritt tastete über die Spreu.
Ein Reh. Der Bock.
Da. Dort. Eine rote Bewegung. Stichgrad zog er heran.
Jetzt trat er nach links, in den helleren Schein der Lichtung und naschte von den Brombeerranken.
Das Korn spielte auf seiner rostbraunen Decke. Aber Koschutnik hielt den Schuß zurück. Der Wechsel stark begangen, es konnte auch ein Geringer sein.
Jetzt fegte er an einer unterständigen Fichte, daß sie bis in den Zopf erbebte, während unterm Schlag derber Schalen die Narbe in Plaggen und Brocken zurückstob.
Primus ließ sich und seinem Wilde Zeit. Er beobachtete den Bock, wie er lässig immer näher heranzog, bald nach einer Fliege zuckte, bald das zackengekrönte Haupt im Nacken gegen die Flanken drehte und mit dem schmalen Hinterlauf den Hals kraute.
Nun stand er still, sicherte aufmerksam nach dem Feinde herüber. Irgend etwas schien ihm nicht geheuer zu sein. Ob es der richtige Alte, ein andrer, ein Stellvertreter? Seinen Herzschlag müsse der Bock vernehmen, meinte Primus; eine Schnake obendrein sang ihm just so heiß und lästig im Ohr. Wieder verspürte er die Versuchung, jetzt schon das Blei zu wagen. Doch nein, das Wild bot den schmalen Stich; längsdurchpflügend hätte die Kugel den wertvollen Ziemer beschädigt.
Und dann: er konnte ihm ja nicht entgehen. Er war ihm sicher wie der eigene Tod. War schon so gut wie gestreckt.
Nun setzte jener sich auch wieder in Gang. Deutlich erkannte der Jäger die tiefe Gabelung der schwarzen gedrängten Stangen, bedachtsam stieg das Rohr. Wenn der Gehörnte hinter den beiden Fichten dort vortrat, neunzig, fünfundneunzig Schritte, die schönste Entfernung. –
Pochende Spannung; eine Schnake versenkte ihren glühenden Stachel in die Hand am umklammerten Kolben. Jetzt mußte er kommen, gleich würde sich's entscheiden. Eine verschwindende Keule noch zu sehen und der Hinterlauf: – da blieb der Bock stehen, schmaler Rotstreif von ihm nur dämmerte zwischen den beiden Stämmen. –
Kimme und Korn flimmerten ineinander, Puls schlug im Laufe. Die ganze Büchse atmete. –
Da stieß der Bock einen tiefbösen Schrecklaut aus, setzte in kurzen dumpfen Fluchten gegen den Rand der Schlucht, Hals, Flämen, Spiegel, durchs Gestäng hinab nicht zu fassen, gronte nochmals grämlich und verschwand.
Deutlich hörte ihn Primus, wie er jenseits im trockenen Laube hinaufwechselte, nach der dreieckigen unergründlichen Dickung.
Der einmal war für heute verloren. Wind geschöpft? Grimmig steckte Koschutnik die prüfende Pfeife an. Der blaue Rauch zerwölkte nach links, auf das Tal zu; von rechts über den Graben war der Bock herangezogen.
Mußte rein den Laurer auf dem Vorpaß vernommen haben. Vielleicht, daß die Kolbenkappe am Knopf der Joppe geknirscht? Oder der scharfe Stahlknack des Stechers? …
Primus schlug sich die entspannte Büchsflinte ins Kreuz und schlenderte verärgert, ohne rechtes Ziel, den Wildwechsel entlang durchs Holz.
Hier hatte der Bock geplätzt, da gefegt. Dort unter den räumigen Hainbuchen, in der weiten Muldung überm Auslauf des Grabens, kreuzte der Pfad eine kahle Naßgalle, halb ausgetrocknete Schlammsuhle, einstige Hauptsulze vielleicht, vom Wilde immer noch geliebt und häufig besucht. Deutlich unterschieden von schmalem Geißtritt und ziegenspitzem Kitzhuf stand des Alten derb-stumpfes Schalensiegel nagelfrisch im grauen, förmigen Ton.
Und da war es, daß dem Jäger eine andere Spur in den Blick sprang. Der breite ausgerundete Abdruck eines unbesohlten Bundschuhs, einer Opanke.
Einer Opanke: Kroaten nur tragen Opanken. Dieses Mal im grauen Ton hier war nicht alt. Eine Fährte dieses Morgens, dieser verdorbenen Stunde?
Tief beugte sich Primus über das verdächtige Prägbild. Freilich, was wollte man daraus machen? Einer dieser verfluchten Krabatenpantoffeln glich dem anderen auf Naht und Schnalle, da gab es kaum einen Unterschied. Die Femmelwaldung steil zum Grenztal hinab war Bauernbesitz, aus abgelöster Dienstbarkeit aufgeteilt; es kam wohl vor, daß kroatische Keuschler, Hübler, Kleinkätner in der Not ihrer ungeregelten Zustände einen Stamm oder eine Fuhre Astholz statt von der Herrschaft bei den glücklicheren krainischen Nachbarn kauften, tauschten oder stahlen. Und überdies, so fiel dem Jäger ein, war die Waldmahd im großen selbstverjüngenden Stockschlag droben vom Herrn Grafen persönlich dennoch und trotz allem an etwelche bitterarme, um Gotteswillen bettelnde kroatische Bergdörfler vergeben worden; möglich, daß ihrer einer eben heut mit gelegentlichem Grünschnitt begonnen, oder auch nur nachzusehen gekommen, wie das Gras in der Ähre stand …
Leise birschte Koschutnik hinauf zum tiefeingebuchteten Hau, der als abflußlose Senke inmitten des Seloutz hinstrich, von uraltmächtiger Knorreiche breit überherrscht. Ein schwacher Sechserbock, für die Kugel zu schade, äste in roter Morgensonne friedesam durch funkelnden Tau; im Grunde drunten stand die Muttergeiß, das gefleckte Zwillingspaar an der Spinne. Der Buntspecht meißelte im vielbevölkerten misteldurchstruppten Geäst, drohend vor ihrem Hohlgenist summten die heißen Hornissen, die zärtlichen Turtler gurrten: – von einem Kroaten nichts zu sehen, kein Wetzstein der schliff, keine Sense die rauschte, die verdächtige Fährte verlosch.
Und doch hätte Primus Koschutnik beschwören mögen, daß sie noch fußwarm gewesen, diese Spur: dieser fremde stille Opankentritt im grauen stummverrätrischen Ton.