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Duscha Walput war einst das schönste Mädchen gewesen weitum im ganzen Litoral.
Arm freilich dazu, bitterlich arm auch sie: wie all ihre dunklen Schwestern, wie der versprochene Liebste, wie der Karst, wie all ihr vergessen Volk.
Eine weiße Ziege und das schwerseidne schwarze Kopftuch; neun Silbergulden, einen ehrwürdig verschliffenen Theresientaler und den geschnitzten Rocken: dies und nicht viel mehr brachte sie damals ihrem erwählten Ilija als gesamtes Heiratsgut in die Ehe.
Und ihre magdliche Demut und ihren Fleiß und die eigene herbsüße Blüte.
Ilija Schorman hatte dem Kaiser gedient, hatte siegreich den bösartigen bosnischen Krieg bestanden; er wußte zu singen und zu sagen, er war ein Held, er besaß sieben wohltragende Pflaumenbäume, eine lange messingbeschlagene Flinte und eine kleine Hütte abseits im durchstrauchten Gestein. Er würde arbeiten und erwerben, Gelegenheit würde sich irgendwann zeigen und finden, Gott würde geben und sorgen, man hoffte und heiratete, tanzte zum bockelnden Schlauchwein den wilden Friul und ging ein zum seufzenden Alltag.
Indes Ilija liebte beschaulich Nichtstun und träumerischen Tabak, er liebte zuweilen auch den Trunk, die neun Silbergulden lösten sich in Blaurauch und Rotrausch, und wegen des sorglich versteckten Theresientalers wurde die schöne fleißige Duscha häufig geprügelt.
Und dann kamen die Kinder.
Ohne Klage, ohne Gegenwehr trug die schöne Duscha das Los, das sie ohnehin von Mutter und Urmutter her zum voraus gekannt.
Er hatte ja bei allem seinen guten Willen, ihr Ilija, ihr Herr. Darum schlug er sie, weil er sie wahrhaft liebte, und weil sie ihm dafür hörig anhing, duldete sie gerne Schmerz und Bürden, dankte sie ihm Gut wie Bös mit Fürsorge und nimmerrastendem Tagewerk.
Und nun, nach seinem erleuchteten mutigen Entschluß, würde bald ein Ende aller Not sein, mit vielen ersparten Forinten und harten Schwielen würde er von Herbst zu Herbst heimkehren zu ihr an die harrende Herdflamme, und nach getaner Arbeit waren sie wohlhabend und konnten sich erweitern und fröhlich in Frieden miteinander leben und wirken bis an ihr selig Scheiden. – –
Jene Ljubitza, die beim Konfin drunten aufwartete, erinnerte in manchem Zuge an Duscha. Klar wie der Felsenborn auch ihre Augen, ihre Zähne frisch wie der Morgen, ihr Mund zart und warm wie eine Frucht, ihr volles Blauhaar trug sie in knappen sauberen Flechten. Nur daß Duscha höher war, schlanker und strenger: Tochter ihrer kargen unvergleichlichen Heimat.
Die Heimat; den ganzen Tag über dachte Ilija Schorman an die Heimat. Die Heimat, das war seine Liebste; die Liebste, das war seine Heimat.
In der Nacht, wenn die großen alten Sternbilder feierlich über die Waldberge hinzogen, sah er in sehnender Seele die Hänge der Heimatberge, wie sie von den Wildnissen der Kapela her sich mattglänzend zum atmenden Meere senkten.
Bisweilen, wenn er aus schwülem Schlaf erwachte, vermeinte er das tiefmächtige Urbrausen des Scirocco zu vernehmen, wie er dunkelfeucht den Kanal hinaufwühlte, daß die Landveste bis in ihre Gipfel erzitterte und Krk, das buchtige jenseits, von schleppenden Wolken geschleift, wie an straffem Ankertau auf der See wuchs und schwand und schwankte.
Aber es war nur eins der wütenden Frühsommergewitter, das über die Wälder rauschte.
Der Regen trommelte aufs Barackendach, die Bäume schauerten unter stürzender Flut. Dann schlug ein schwefelblauer Blitz durch die Finsternis, zeigte die geblendeten Fratzen der Nacht, die lange Flucht der schlafenden Kameraden; ihm nach wuchtete der Donner, losgesprengt aus dem Abgrund der Himmel zur Erde niederdröhnend, daß sie bis in den Mutterschoß der Erze hinein erklirrte.
Eine der domhohen Buchen war von der Krone zur Wurzel zerspellt worden; beißender Brandgeruch stach herein in den Menschendunst.
Und ein andermal erwachte Ilija Schorman davon, daß die Bora heulend und weinend vom Grat des Velebit niederfegte zum schwarzblau, eisgrün zurückgesträubten, weggekrümmten Meer. Gespenstisch schwebten und trieben die zarten Gischtschleier der Fumarea über den Kanal; im schneidend klaren Himmel streckten sich die goldenen Strähne der Sturmwolken, langhinpeitschende Schwänze und Flammen. Und dort, dort stand Duscha, seine Liebste, sein Weib, seine Seele, mitten im stahlscharfen Braus. Ihr schwarzes Kopftuch schlug gleich einer Trauerfahne, der Rock wehte steif ab von ihr und hemmte ihren kämpfenden Schritt, an der Hüfte trug sie das Strickzeug, auf dem Haupte das Bündel Ölbaumholz, das Feuer zum täglichen Brot. So rang sie mühsam, keuchend, erstarrt an gegen die tödliche Windwucht, durch frostnackt Gefels den halbverfallnen Treppsteig hinauf … Duscha, Seele! …
Es war aber nicht die Bora, die da greinte, sondern die arme Teresina, die Frau, vielleicht nur Geliebte, Tommaso Clementi's, des Scarpenmaurers.
Tommaso war heiß und leichtlebig, Teresina nach vier Kindern verblüht, von Sorgen und Harm gefurcht. Viel hatte sie zu leiden unter seinen Abenteuern; und nun war es wieder eins von den Mädchen droben im Walachendorf, das er sich mit seinen frechen Glutaugen entzündet. Vor zwei Wochen erst hatte Teresina einen Knaben geboren, das fünfte; nach drei Tagen schon stand sie an der Mörteltruhe und rührte schwank und blaß mit der Harke den grauen Schlamm: – Vater unser, der Du bist im Himmel, gib uns heut unser täglich Brot … Der Kleine, in bunte Lumpen gehüllt, schlief derweilen an der Quelle, und Coletta, Teresinas junge Schwester, während sie mit der Spachtel die Polenta vom Kesselrand löste, wehrte ihm mit dem Zweigbüschel in der Linken die Fliegen.
Heute zur Nacht war Tommaso fortgegangen und nicht wiedergekommen. Teresina wußte, wo er sich herumtrieb. Sie hatte ihm wilde Vorwürfe gemacht; mit Fluch und rohem Stoß vor die Mutterbrust wies er sie von sich. Nun weinte sie eintönig vor sich hin, und das Kind, vom Fall ihrer heißen Tränen erweckt, wimmerte nach dem warmen Quell. Gestörte Schläfer schalten; Francesco Bianchi zischelte etwas von Totschlagen und Ersäufen; es war zum Erbarmen.
Ilija ging es durch die sehnsüchtige Seele. Da wollte er's von nun an anders halten mit seiner Duscha. Untreu zwar gerade nicht, rauh und schlecht aber war er oft gewesen; er bereute, er schämte sich, Fremde und Ferne stimmten ihn weich und empfänglich für die Abschreckung des Beispiels. Nirgends doch hatte man's besser als daheim, geborgner nirgends als an eigenen Weibes Herzen. Und wie hatte seine Duscha stets für ihn geschafft und geschunden, wie hatte sie selbst den Tabak für ihn dem Rocken abgesponnen, der schmalen Karstkrume abgefront; nie war gefährlicher Mangel gewesen bei aller Armut, er nicht und keins der Kinder hatte jemals ernstlich gehungert … Und wie war sie immer noch schön, seine Duscha, bei aller Mühsal und Arbeit; und wie war sie flink und findig und geübt und geschickt; und wie war sie genügsam, und wie geduldig und willig und hold! … Nein, und nun sollte es ernstlich anders werden für sie und mit ihm, kein leides Wort mehr würde er ihr geben, ihrer freuen würde er sich mit jedem neuen Tag; und die alte baufällige Hütte wollte er ihr von Grund erneuern, sobald nur einmal das liebe böse verfluchte Geld erwerkt und zusammengeschatzt war. Draußen die Treppe, oben die Weinlaube auf drei weißen Bogen, darunter der Keller; und im Herzen des Hauses der geschwärzte Backherd mit dem blanken Geschirr auf dem Mantelsims des Windfangs: da brodelte freundlich das Feuer, goldrote Lichter spielten über Wand und Kessel, Rost und Sieb, er selbst saß müdbeschaulich im wärmenden Lohschein und besserte an irgend Gerät, Duscha bereitete ihm von Fisch oder Frucht das einfache Mahl – draußen johlte stahlblaue Bora die Nacht hinab, der Sturmkanal heulte, alle Geister waren los, mochten sie! …
Und dann kam wieder der Arbeitstag.
Schlag auf Schlag gegen den prellenden Bohrmeißel, der in kühlendem Schlammlager seine Klaue immer tiefer in den heißstrahlenden Kalkstein trieb. Schlag auf Schlag, vier Stunden und abermals sechs Stunden fort im gleichen Takt.
Ilija Schorman biß die Zähne zusammen, wenn einmal der eiserne Rückprall ihn bis in die müden Schultern hinein erschütterte. Er wendete den Hammerstiel in seinen schwieligen Händen und ließ den Kloben wie einen Block von Haß und Wille gegen den Meißelschaft wuchten. Wieder eine Linie näher zum Ziel! … Und abermals einen Strich! … Und nach stundenlanger Fron einen ganzen Zoll! … Und wenn dann einmal der Stollen tief genug hineinklüftete in den muscheligen Kalk, wurde er mit dem derbkörnigen, schieferschwarzen Pulver geladen. Steine flogen, im Innersten der Berge erzitterten die Zwerge, schwüler Brandgeruch schlug nieder. Ein ganzes Stück des Weges war bezwungen: des Weges, der über diese fremden Höhen nach der geliebten Heimat führen sollte, zu Duscha, seiner Seele …
Seltsam, dachte Ilija Schorman manchmal bei sich, seltsam, daß gerade diese Straße, an der ich mir meine Welt erdiene, daß sie eigentlich gerade hin zu ihr führt: nach der Küste, nach dem Meere, nach dem Sturmhafen des Quarner! … Seltsam. Und dann schwollen die Sehnenstriemen seiner hageren Arme, mit doppelter Kraft, mit dreifachem Willen schwang er das schwere Gerät, weiter, weiter, Linie um Linie; seine eigene Heimatstraße war es, an der er baute. Und wenn er so in dumpfem Grimm auf den ehern prellenden Meißel einhämmerte, dann erwachte in seiner eigenen Tiefe wieder das Bild, das er so oft schon geschaut: da droben auf der Höhe, weithinspähend über den Kanal, traten zweie aus dem lieben Heimatsgotteshaus, Ilija Schorman in neuem Feierstaat, Duscha in der züchtigen tiefernsten Trauertracht ihres Volkes; Glocken wogten, die Segel zogen so rein und froh durch schmelzblaue Flut, die ganze Landschaft leuchtete, als sei ihr spärlich Grün, all ihre karge Frucht nur den beiden Wiedervereinten bestimmt …
Bis vor den eigenen Herd führte die Straße, und er, er rang sie mit seinem Hammer den Geistern der Berge ab.
*
Ilija Schorman verbrachte seine Sonntage jetzt lieber allein als in lärmender Gesellschaft. Er wollte sparen und vergönnte sich kaum noch einen Trinkgroschen von seinem Lohn. Nur den Tabak, den konnte er nicht missen.
Am Ruhetag saß er still abseits in heißer Halde und rauchte nachdenklich vor sich hin. Dann stand es so deutlich vor ihm, das Haus mit der Weinlaube und dem heiligen Herd. Wenn nur erst zweihundert Gulden beisammen waren; wie Gott will, was wollen wir schwache Menschen! …
Eines Nachmittags kam ihn die Lust zu einem Erkundungsgang an. Die Welschen lärmten das Tal voll, Tschechen und Ruthenen, Slowaken und Medjumurzen durcheinander plärrten, dudelten und zirpten ihre wilden traurigen Lieder, nicht einmal dem Blauduftgewölk seiner Zigarette geruhig nachträumen konnte man. Da war solch stampfender Werbetanz beim schrillen Doppelgequäk der Frulzen doch etwas anderes, oder zum hochsommerheißen Schnakengeschwirr der Tambura der schwermütige eintönige Heldengesang vom starken Königssohn Marko … Und überhaupt, schreiende Geselligkeit, das Zusammensein mit vielen aufgeregten Mitmenschen hatte Ilija Schorman seit jeher, beim Glase sogar gehaßt. Irgendwo in der Sonne hocken, qualmen, spinnen; dann und wann, wenn Gott es schon wollte und gab, einen einsam angetrunkenen Rausch … Er schlug sich still in die Wälder und verfiel darauf, so nebenbei nach Pilzen zu suchen.
Es hatte in der Vorwoche reichlich geregnet, unter feuchter Schwüle gedieh die schmackhafte Erdfrucht; Ilija fand ein ausgiebiges Nest und brockte ein stattliches Tuch voll. Allein die Neugier trieb ihn weiter. Am Rande jener goldgrünen Abendwiese mochten noch mehr solcher Bruten stehen.
Die Bergschatten stiegen an den Hängen jenseits hinan. Die starren Fichten auf der Höhe lohten in seliger Verklärung. Ein rosenbrauner Häher strich still über den einschattenden Grund. Eine Schwarzdrossel warnte, die Grillen schliffen, der Ringeltauber heulte dumpf gegen das sinkende Licht.
Da regte sich's drüben in den Brombeerranken, ein fuchsroter Körper, ein schmaler Kopf. Ilija Schorman blieb regungslos, mit stockendem Herzen stehen. Jetzt trat der Rehbock zierlich in die Wiese und begann sogleich vertraut zu äsen, ungewahr des Menschen, der kaum einen kleinen Wurf weit aus glühenden Augen herüberlauerte. Es war ein junger Bock, ein Jährling; Schorman erkannte es am dünnen, schwach zurückgebogenen Gehörn, das die spielenden Lauscher kaum strichbreit überragte. Nun warf der Spießer das Haupt aufmerksam in die Höhe und sicherte. Aber gleich wieder tauchte er den schwarzen Windfang in den Waldklee hinab. Dabei trat er vor und wies das Blatt.
Ilija Schorman zitterte vor Spannung. Wenn er seine alte langrohrige Flinte zur Hand gehabt hätte! Ein Schuß, ein Sprung, die Beute war sein. Sie war ein Erbstück, die lange Flinte, und unterm Hausrat, der die Herddiele schmücken sollte, hatte er ihr einen besonderen Ehrenplatz zugedacht. Pulver ließe sich hier leicht beschaffen. Eine Handvoll aus den tiefen Säcken des Sprengvorrats, wer würde die kleine Anleihe bemerken? Schrot lieferte jeder Krämer, man behalf sich schließlich mit Kies und gehacktem Draht.
Mehr als einmal schon hatte er aus der langen Flinte einen guten Schuß getan, droben in den Heimatbergen, die der Förster für gewöhnlich aller paar Monate nur besuchte, in den unabsehbaren Staatsrevieren. Zwei oder drei versprengte Rehe hatte er bereits erlegt und vielleicht ein paar Dutzend Hasen, nicht wenige Steinhühner und einmal sogar einen großen Adler. Er besaß Übung und wußte die Entfernung zu schätzen. Der Bock dort wäre ihm nicht entlaufen.
Immer näher zog das arglose Wild heran. Ilija Schorman wußte nicht, sollte er seinen Tuchbeutel voll Gepilz nach dem Spießer werfen oder aus seinem Versteck hervortreten. Irgendetwas mußte geschehen, die Spannung war zu groß. Da erwachte ein kühler Wind und strich leise den Graben herab. Ilija verspürte den Hauch im Nacken, gleich darauf warf der Bock das schmale Köpfchen mit jähem Ruck empor. Diesmal war es ihm ernst. Drei-, viermal tauchte er mit dem dünnen Halse nach dem unsichtbaren Feinde; dann sprang er dumpf ab und schmälte laut, flüchtete abermals eine kurze Strecke im Wiesengrunde hinab, äugte herum und begann von neuem zu schrecken. Da schwenkte Ilija Schorman sein Pilzbündel, und mit einem tiefzusammengerissenen Satze verschwand der Jährling zwischen nachschnellendem Gerank. – –
An diesem Abende hing Ilija Schorman mancherlei Gedanken nach.
Er konnte lange nicht einschlafen, stand vom Lager auf und stöberte unterm Gerät herum.
Endlich fand er den Kranz von durchgeglühtem Draht. Der Draht, der konnte die lange Flinte ersetzen.
Das Richtige war es ja wohl nicht; keine Jagd, kein Schuß, kein Genuß.
Aber auch der Draht konnte ihm zu einem Stück Wildbret und zu einer kleinen Abwechslung verhelfen. Es war ein Zeitvertreib, irgendetwas, woran er untertags außerdem denken konnte.
Er hatte wohl vernommen, daß dergleichen vom Gesetze verboten, aber er hatte nie gehört, daß es geradezu Sünde sei.
Das Gesetz verbietet so manches. Gesetz und Evangelium sind zweierlei. Es stand geschrieben: du sollst nicht stehlen – aber das Gesetz stahl armen Leuten das Brot vom Tische und beschützte reiche Diebe.
Ilija Schorman drehte eine gute Laufschlinge und zog das andere Ende des Drahtes hindurch. Dann wartete er den Morgen ab. –
Noch vor Tagesanbruch schlich er nach dem Wechsel seines Wildes.
Im Grunde schauerte der Tau, die Vögel regten sich im Erwachen. Die Schwarzdrossel lockte leis in der keuschen Dämmerung. Der Kuckuck sang in der kühlen Tiefe des bleich hervorwachsenden Waldes. Auf der Höhe, wo die starren Fichten schwarz vor zartem Morgenrot zackten, lachte schon der Specht. Ein Reh floh in dumpfen Sätzen lautschmälend davon, vielleicht der Bock vom Vorabend.
Ilija lauschte eine Weile; dann schlich er behutsam über die bläulich betaute Wiese, und in seiner Fährte blieb ein dunkler Strich.
Hier war es, wo der Bock gestern aus den Brombeerstauden getreten. Abgeästes Laub und ein Pfädlein ließen den Wechsel deutlich erkennen. Ilija stieg nach kurzer Überlegung in den hochverwachsenen Schlag hinan. Die Schlinge sollte nicht gerade am Wiesensaume befestigt werden.
Der Stamm einer armstarken Jungbirke leuchtete ihm weiß entgegen. Abgespänte Borke verriet den Fegebaum; hier pflegte der Bock sein Gehörn zu scheuern. Es war ein günstiger Platz. Ilija schlang den Draht mehrmals um den Stamm und öffnete die Schlinge, so daß der Spießer das Haupt wahrscheinlich hineinschieben würde. Schließlich wurde der Draht gegenseitig durchgeknotet. Ilija zog aus aller Kraft an, das Birkenbäumchen überschauerte ihn mit Tau, aber der Draht ringelte nicht ab. Es war gut so.
Schorman betrachtete noch einmal sein Werk und horchte. Der goldene Tag kam hell über die Höhen. Ein braunes Eichhörnchen hüpfte schlank durch die Dämmerung, ein Hase huschte heimlich über den Wiesengrund. Der Ringeltauber heulte; der Bussard pfiff grell im seligen Morgen … Ilija drückte sich vorsichtig nach dem Lager zurück und verschlief noch zwei Stunden.
»Wo warst du heut nacht?« fragte ihn Rok Ban, der Tschitsche aus Veprinac, als sie auf ihren Fersen um das Frühstück hockten.
Schorman zuckte die Achseln.
»Irgendwo. Irgendwo werd ich schon gewesen sein.«
Die anderen lachten. »Hast dir aber beim Gerät zu schaffen gemacht,« sagte Rok Ban; »hab dich deutlich gesehen, einen Draht hast du aufgerollt.«
»Kann auch sein,« versetzte der Morlak gelassen; »vielleicht, um dich aufzuhängen. Es hat jeder das seine.«
Das genügte. Was ging man schließlich einander an? So hatte nun also auch der scheue einschichtige Schorman das seine gefunden. Recht hatte er, wozu war man auf der Welt? …
Ilija Schorman arbeitete den ganzen Tag über mit zweifacher Kraft und rauchte ein ganzes Paket Dreizehnertabak auf.
*
An diesem Abende ging er noch nicht nachzusehen; am folgenden Morgen überschlief er die Stunde. Die nächste Nacht brachte ein schweres Gewitter; er wartete ab und verschob seinen Weg auf die kommende Frühe, doch es regnete fort bis in den hellen Vormittag hinein in blanken Strömen. Dann wollte es das Unglück, daß Steinschlag einer Sprengung Ilija an den Knöchel des rechten Fußes traf und empfindlich verletzte. Das Glied schwoll heftig an; Schormann war drei Tage hindurch arbeitsunfähig und lag in der Baracke, zusammen mit einem Tschechen, Vid Filek, der sich aus irgend geringem Unpaß seine blaue Zeit machte. Der Morlak schenkte dem redseligen Kameraden nur wenig Gehör, antwortete kaum und stellte sich schlafend, um mit seinen Gedanken allein zu bleiben. Wieder baute er am weißen Heimathause mit der dreibogigen Rebenlaube; er schmückte die Küchendiele mit blinkendem Gerät, und dabei fiel ihm die lange Flinte ein. Die lange Flinte: die Schlinge! Fast hatte er ihrer vergessen.
Endlich, an einem schwülen trockenen Sonntagsmorgen, machte er sich, zu einem Drittel noch lahm, auf den heimlichen Weg. Der Wind stand aus West und trug das Taggeläut der kleinen walachischen Dorfkirche über die Wälder; die Landschaft war still, die Schwarzdrossel nur warnte leise im Busch. Hinter starrzackigen Fichtengraten stand scharf das brandige Frührot.
Ilija Schorman horchte. Er hatte umsprechen hören, daß jener fremde junge Jäger, der Francesco Bianchi, dem welschen Maurer die Hand an den Tisch geheftet, mehr schon als einem das Licht ausgelöscht. Nichts regte sich. Schwüler Fauchwind voll Erdbeerduft strich leis übers taulose Gras.
So hinkte Schorman nach dem Wechsel hinüber. Die weitleuchtende Birke wies ihm den Weg.
Die Schlinge war fort.
Schormann blieb abermals stehen. Ein Reh, und sollte wirklich den zähen Draht gesprengt haben?
Der Stamm zeigte von weitem schon frische Scheuernarben. Dagewesen war er also, der Bock. Und hier saß ja noch die Drosselfalle, tief eingeschürft bloß in die Borke und nach der Seite gezerrt. Nun fand Ilija die Ursache. Dort im niedergewälzten Grase lag ein rotes Reh. Als Schorman herantrat, schwärmten die goldgrünen Fliegen auf. Das Tier mochte mehrere Tage schon in der Schlinge liegen.
Schorman griff zu. Es war ein Bock. Nicht der Jährling, den er vor einer Woche belauscht, sondern ein älterer, der auf angegrauter Stirne zwei starke tiefgefurchte Stangen trug, leicht nach rückwärts gekrümmt, zweizackig die eine, die andere, etwas höher, dreisprossig nach vorne und hinten gegabelt. Ilija betrachtete aufmerksam das Gehörn: er kauerte sich auf die Fersen und hob den Kopf des Tieres aus dem Grase. Ekler Geruch strömte entgegen. Der Morlak kehrte sich nicht daran; genau prüfte und untersuchte er die Beute, die sparsam verteilten groben Horntropfen, die wie abgeschmolzen Wachs in Reihen und Riefen an den Stangen hinabliefen, die zackigen rosenartigen Wülste, die sich zum Teil in der griesgestichelten Stirndecke bargen. Mit der Spanne maß er die Höhe des Gebilds: um Fingerbreite ragte das längere Horn über den Daumen hinaus.
Jetzt wendete er den Bock vollends herum. Er war steif und plattgelegen. Unter ihm zeigte sich wimmelnd Leben, das flachgedrückte Gras schien getränkt von brauner Jauche. Schorman überlegte, richtete sich auf, spähte, lauschte. Dann befreite er den Kadaver aus dem Draht und begann ihn zu zerwirken. Ein Teil der rechten Keule und der Rücken mochten noch zu verwerten sein. Ilija schärfte die Teile roh heraus und schnitt den Kopf vom Halse. Mit dieser Beute, von den grünen Schmeißfliegen umschwärmt, trat er den Rückweg an.
Die Kameraden staunten.
»Gefunden,« erklärte der Morlak gelassen.
Man fragte nicht allzuviel, untersuchte den Sonntagsbraten und fand ihn durchaus genießbar.
Schorman sägte die beiden Stangen dicht am Schädel ab. Vid Filek sah zu und erbat sich das Stück.
Aber Ilija hielt ihm die offene Hand hin.
»Um sechzig Kreuzer. Sonst nicht.«
»Dann nicht,« sagte der Tscheche; »sechzig Kreuzer, was glaubst du? Das ist viel Wein und Tabak.«
»Eben,« versetzte Schorman gleichmütig; »auch gut.« – –
Anderen Sonntags, nachdem er sich sattgesehen, mancherlei überlegt und seine neuen Schlingen leer gefunden, wanderte er um Mittags stille Unterstunde auf der vielgewundenen Talstraße hinab nach der berufenen Grenzschenke zum Konfin.
Die Wirtin, eine vielseitige Frau, und ihr treuer Stammfreund, der alte Fuhrknecht Stermelz, hatte er gehört, sollten für dergleichen Dinge Vorliebe und bisweilen selbst bare Münze übrig haben. Wäre freilich ein ganz schöner Schmuck auch zwischen den Netzen und Kesseln und der langen Flinte an den Wänden daheim, eine Erinnerung: – aber wenn man darum für zwei oder drei Wochen zu rauchen und für diesen einen Abend zu trinken haben konnte … Eine Ersparnis … Man würde ja sehen …
Er ließ sich fürs erste einen Stutzen Wein vorsetzen und wartete geduldig auf seine Gelegenheit. Der einzige Gast, der verdrossene graue Alte dort unter den Herrgottsbildern überm Schnaps, das mußte just der bewußte sein; er glaubte ihn zu erkennen, auf dem Wege von der Glashütte heraus war jener oft genug an den Baracken vorübergekommen. Die Fliegen summten, der Pendel der beblümten, geschmeißbetüpfelten Uhr tickte, der dicke Kater lag im Fenster und blinzelte nach der Straße hinunter.
Es währte nicht lange, so trat die Alte herzu und spann erkundend ihr kleines Gesprächlein an.
Schwere Arbeit da droben, wie?
Gott nun, es gehe an; man komme eben so langsam vorwärts …
Jaja, was wolle der Mensch, schwer sei leider alles verdienen auf dieser Welt … Wie lange das mit dem Straßenbau wohl noch dauern werde?
Der Gast zuckte die Achseln, wie Gott wolle und allein wisse … Drei Jahre vielleicht – oder auch zehn – oder zwölf? … Was verstehe man als einfacher Arbeiter davon? … Das täten nur die Herren Indženiri …
Und die würden es schon hinauszuziehen trachten, warf der Fuhrknecht herüber; hätten's ja in der Hand … In Stojdraga droben die walachischen Weiber, von der Regierung das blanke Geld, ein Leben wie der Herrgott in Frankreich – da würden sie schon nicht die Narren sein …
Aber man sei auch wirklich auf unerwartete Schwierigkeiten gestoßen, fuhr die Horvatitschka etwas gereizt fort, auf heimtückischen Rutschgrund und so … Alles liege auch nicht an den Herren Indženiri, die hätten den Berg schließlich doch nicht gebaut; nicht wahr? …
Der Morlak seufzte. Wisse er auch nicht, bei Gott, was kümmere er sich darum? … Nun ja, die Böschungen gäben häufig nach, wenn ein schwerer Regen gefallen vorzüglich – – ihn ginge das nichts an, ihn als Steinbrecher, das sei den Maurern ihre Sache … Wie eben Gott will, nun …
Die Wirtin ließ sich ihm genüber auf die Bank nieder. »Aber doch schöner Verdienst, so im ganzen, wie?«
Schorman hob schwermütig zweifelnd Brauen und Schultern, »Haj no, Gott mir, so so. Langsam, langsam. Soviel grad, daß man nicht ganz umsonst hier ist.«
Die Fliegen summten, die Unterhaltung schlief ein, die Horvatitschka erhob sich und ging schwerfüßig nach dem Flur hinaus. Sparsam auf unbestimmte Zeit verteilend trank Schorman vom säuerlich dunstenden Wein; der Mittag glühte, leis rauschte drüben unterm flimmernden Waldhang der Bach, Ilija rollte umständlich eine Zigarette aus verknautschtem Krümelpaket und genoß sie nach längerer Vorandacht inbrünstig durchs geliebte heimatlich duftende Weichselrohr mit der dünnen Silberspange. Jetzt kam das Schenkmädchen, streichelte den Kater im Fenster, nahm den Strickstrumpf zur Hand; flink flitzten und flirrten durcheinander die Nadeln. Schorman betrachtete sie mit heimlichem Wohlgefallen; war sie nicht der Duscha ähnlich, seiner Duschitza, seiner Seele, und wenn man dazu das fleißige Klappern hörte und am sanft geriebenen Weichselholz roch … Da traf ihn plötzlich, als habe er darauf gelauert, ein tiefer Gegenblick, daß er betreten ins Glas hinabstarrte; draußen rief die Wirtin, Ljubitza warf den Strickstrumpf beiseit und schlug die Türe hinter sich zu.
Dies sei nämlich der Tisch, in den der Oberkrainer Jäger die Spur seiner berühmten Faust gestempelt, erklärte der Fuhrknecht seinem schweigsamen Mitgast, und dort habe er dem welschen Maurer seine Hand angenagelt … Na, was treiben die jetzt, die Welschen? Haben sie sich schon erholt von dem Schrecken?
Der Morlak zuckte die Achseln. »Gott mir, daß ich es nicht weiß, was bekümmere ich mich darum? Unsrer sind viele.«
»Bist selber wohl keiner? Auch kein Tschitsche und kein Istrianer?«
Schorman schüttelte bedächtig den Kopf. »Gott mir, daß ich es nicht bin. Das Litoral, Grischane überm Morlakkenkanal – Canal di Maltempo, sagen die Welschen für dort – wenn Euch das bekannt ist?«
Der Alte wurde aufmerksam, »Wie nicht? Grischane nicht gerade, aber so die ganze Gegend und ihre Namen, Castua, Bakar, Senj … War in Fiume mit Huf und Ax, lange bevor sie die Bahn da hinunter gebaut haben! Das war eine Zeit; die ganze lange Luisenstraße über Morawitza und Delnice unterm Risnjak vorbei: nichts wie Wälder, Räuber, Bären, Wölfe und Bora … Seh deine Militärmütze; gedient?«
»Gott mir, daß ja; und noch grad ins bosnische Kriegsjahr hinein. Maglaj, Donja Tuzla, Sarajewo – gefallen sind wir an Kugeln und Seuche wie das Vieh …«
Der andere schlug sich ans krumm vorgestreckte Bein, »hab Solferino und Magenta geschmeckt im neunundfunfziger Jahr; heißer kann's in der Höll' auch nicht sein. Und was ist der Haxen neben Braunen und Füchsen und Schimmeln hergelaufen seitdem! … Aus dem Litoral drunten hinter Fiume hinunter einer,« erklärte er der eintretenden Wirtin; »wo sie den Wein in Ziegenschläuchen halten und geräucherte Seeschlangen oder was das schon ist, Viecher mit acht Schlangenfüßen, dazu fressen, hab dir's oft erzählt.«
»Mrkaći, Kraken,« sagte Schorman beseligt; »oh, die sind gut, getrocknet und vier, fünf Stunden lang geklopft …«
Stermelz schüttelte sich: die Horvatitschka nahm breitbehäbig ihren Ruhesitz wieder ein. »Und ist's Euch nicht langweilig nach der Heimat?«
Der Morlak hob entsagungsvoll die Schultern. »Nun ja, was hilft's? Schon. Schon, so manchmal. Was will man? Man arbeitet.«
»Aber an Sonntagen, so wie heut zum Beispiel? So den ganzen Feiertag über?«
Ilija seufzte. »Gott mir, nun: man sitzt; man raucht; man schläft; man denkt ein wenig nach über mancherlei … Man streift so ein bißchen in den weiten Wäldern und kühlt sich und sucht nach Pilzen …« Mit heimlichem Entschluß, in gespielt plötzlichem Erinnern langte er die beiden Stangen auf den kurzen Stirnzapfstümpfen aus dem roten Tuch voll schlau beigeknoteter Schwammerlingsbeute hervor. »Was man da alles nebenher findet, so etwas zum Beispiel; gibt, Gott mir, zwei schöne Messerhefte …«
Der alte Fuhrknecht maß ihn mit einem schnellen, einverständlich zur Horvatitschka hinüberschießenden Blick und griff nach dem verstümperten Gehörn.
»Gefunden? … Wieso: gefunden? … Nebenher gefunden?«
»Nun so – eben gefunden!« wiederholte Ilija aufrichtig; »am Kopf eines krepierten Rehs.«
»Hm, ah.« Wieder spielte ein Blick. »Aber auch krepierte Rehe findet man auf verschiedene Art.«
Der Morlak zuckte die Achseln. »Gott mir, das weiß ich nicht. Davon verstehe ich nichts. Gefunden eben: wie man halt so etwas findet. Gibt mir zwei schöne Messerhefte.«
Stermelz nickte. »Freilich, freilich, wo war denn das?«
»Droben, wie ich sage, im Walde.«
»Wo droben im Walde? Ich kenn hier jeden Winkel.«
»In der Nähe der Straße. In einer Wiesenschlucht. Ich bin hier fremd.«
Der Fuhrknecht hielt die Stangen weit von sich, in der Stellung, die sie auf dem Haupte des Bockes etwa eingenommen.
»Was geb ich dir für das Stück?«
»Verkauf es nicht,« beschied Ilija trocken; »hätten's mehrere schon haben wollen. Geb's aber nicht; ist mir zum Andenken.«
Die Horvatitschka stieß ihren Freund bedeutsam in die Seite. »Mir auch nicht?«
»Möcht's nach Hause mitnehmen.«
»Bei euch da drunten, da kommt sowas wohl nicht vor?« fragte Stermelz, ohne den Blick von den geschickt zusammengewinkelten Stangen zu verwenden.
»Oh, schon. Schon, so hie und da. Weiter hinauf in den Bergen, gegen die Lika hinüber.«
»Und wann war das, daß du das – gefunden?«
»Heute« – Schormann schluckte und würgte – »heute früh.«
»Heute früh, so. Und mehrere schon haben dir drauf geboten?«
»Gott mir, daß ja. Viele!«
»Schau, schau. So Böhmen wahrscheinlich oder Steirer, die sind immer scharf auf solches Hornzeugs?«
Ilija, erst verstockt fast gegen das unerwünscht scharfe Verhör, tappte blind in die Falle. »Gott mir, daß wirklich; grad Böhmen und Steirer; Ihr kennt Euch aus.«
Die Horvatitschka räusperte sich, der alte Helfer blinzte.
»Man lernt's mit der Zeit und beim Fuhrwerken … Also, Gevatter, wie stehts? Geb ich dir fünfzig Kreuzer?«
»Dasselbe und ein Gulden dazu sind mir schon geboten worden,« prahlte der Morlak; »hab's nicht genommen.«
»So sagen wir sechzig Kreuzer,« steigerte die Horvatitschka unbeirrt; »versteh zwar freilich nichts davon, aber, ist mir grad eingefallen, wie das hübsch wär zu einem Besteck für noblere Gäste, was meinst, Stermelz? … Hätt' mir lange schon sowas gewunschen, aber die Herrschaft und ihre Jäger, die vergönnen einer armen Frau nicht einmal das Wasser vorm Haus! … Na? … Sechzig?«
Schorman blieb hart. »Sechs Sechser; Gott mir, was ist das? Das ist nichts.«
»Nichts? … Sechzig Kreuzer nichts?« Die Alte plusterte sich erzürnt auf. »Den hör einer an, du mußt's ja metzenweis haben! … Zehn Semmeln und zwei Liter alten Roten, das ist nichts – –«
Der Fuhrknecht half wohlwollend nach. »Na, so laß halt schon fünfundsechzig dein Wort sein, daß es grad fünf Packeln Dreizehner macht; der Gevatter war im bosnischen Krieg, er raucht gern.«
»In Gottesnamen denn, na: fünfundsechzig?«
Ilija kämpfte. »Nicht gerne lass' ich sie ab, die schönen Hörner …« Er schien nachzudenken, dann schlug er derb in den Tisch. »Um einen Gulden und fünf Sechser – soll's halt in Christi Namen um einen Gulden und einen halben gehen … Weil Ihr's seid, damit Ihr meinen guten Willen seht; wo's Euch so sehr darum ist.«
Da stand die Horvatitschka mit einmal auf und stützte sich wie drohend, mit einem halben Blick nach Fenster und Straße, dicht über den zähen Gevatter herein.
»Jetzt aber werd' ich das Letzte sprechen: achtzig Kreuzer, im Guten oder im Bösen.« Sie zischte fettig gedämpft, ihre fusligen Augen flimmerten. »Und noch etwas dazu werd' ich sagen: Wenn man die Hörner da bei dir findet, wirst eingesperrt, das ist so gewiß wie das Amen im Gebet. Laß bloß vom Oberkrainer Jäger dich erwischen.« Sie kramte in ihrer Hängetasche und zählte die dünne Münze auf. »Also sei schon zufrieden und froh und nimm; schönen ehrlichen Geldes grad genug für so etwas – Gefundenes.«
Der Fuhrknecht warf seinen Pflaumenschnaps mit einem Ruck in den graustoppligen Schlund. »Zu dem man die Schwammerln ausgerechnet unterwegs von eurem Barackenlager da herunter gebrockt hat, was? … Mußt schon noch ein bissel was dazulernen, Gevatter.«
»Na, und sollst halt einen Liter frei haben, als Draufgab, in Gottes Namen,« beschwichtigte die Alte gönnerhaft versöhnlich; »weil du's bist, und weil heut solch schöner Sonntag und damit vielleicht ein Anfang gemacht ist …«
»Und ein Packel Tabak,« handelte der gefangene Schorman.
»Fechten kannst,« lachte die Horvatitschka; »von mir aus, weil ich just so gut aufgelegt bin.« Sie stand auf, schritt schwer nach dem Wandschränkchen und langte von den hohen Stößen der Schachteln und Bunde ein rotbedrucktes Päckchen herab, das sie dem gierig beobachtenden Morlaken großmütig hinwarf. »Nicht am End, daß das Zeugs da es wirklich wert wäre, natürlich; dafür bist längst überzahlt. Aber na, als Kapara Kapara, Capara, einverderbt aus dem Italienischen: soviel wie Anzahlung, Angabe. In der ganzen illyrischen Landschaft üblich. meinetwegen auf ein anderes Geschäft.«
»So nämlich, wie du sie da zugeschandelt hast, die Hörner, sind sie rein für die Katz,« erklärte der erfahrene Stermelz; »und große sind das auch beiweit nicht, da wachsen dir ganz andre in diesen Wäldern: – dick wie mein Gelenk hier und wie mein Unterarm so lang …« Er zögerte. »Ja, wenn du einmal ein recht schönes starkes Stückl fändst – vom Nebelbock zum Beispiel das Paar – –«
Schorman horchte auf. »Von was für einem Bock?«
»Vom Nebelbock. Hast noch nie vom Nebelbock gehört?«
»Von dem nicht und keinem anderen. Ich bin hier fremd. Was ist das für einer, der Nebelbock?«
Der Fuhrmann lachte seltsam, »Wer weiß, vielleicht ein Gespenst? … Gesehen haben ihn schon viele: Waldarbeiter, Roder, Holzer, Weiber beim Beerenpflücken, Jäger … Zeigt sich nur im Nebel, nach schweren Wettern, wenn's in den Bergen so recht braut und kocht und hängt – da, dort einmal, überall … Sobald aber einer die Waffe hebt gegen ihn: – weg, verschwunden wie Dampf, wie ein Traum, wie ein Geist … Alte Geschichten, die man sich eben so hinterm Ofen erzählt; kann sein, auch was wahres dran …« Erledigende Gebärde änderte Gegenstand und Stimme. »Also: wenn du einmal ein Paar starker, recht dicker Hörner finden solltest, mit dem ganzen Kopf daran womöglich, verstehst du, oder auch noch mehr – –«
»Aber wie finden?« lauerte Ilija. »Dergleichen findet man nicht aller Tag.«
Stermelz sah ihn von der Seite her an. »Selbstverständlich nicht; das weiß ich auch. Ich meine ja nur: wenn! … Wenn! … Wie zum Beispiel das Stückl hier; so beim – – Pilzesuchen ganz zufällig – hm … Könnt' ja auftreffen, nicht wahr? …«
Die Horvatitschka sprang auf, spähte über die Katze hinweg nach der Straße und kehrte beruhigt zurück. »Du, was hast du denn mit dem Fleisch angefangen, das da an den Hörnern hinten dran gehangen hat?«
»Liegen gelassen,« bekannte Schorman ohne Verzug; »war schon voller Würmer.«
»Schade. Sehr schade. Nämlich: – – das Fleisch wird erst recht gut bezahlt, wenn man's frisch – findet …«
»So?« staunte Ilija; »daran hab ich, Gott mir, gar nicht gedacht.«
»So denk ein andermal und erinnere dich. Mit einem frischen Reh kannst dir schon deine zwei Gulden verdienen.«
»Zwei Gulden sind etwas,« gab der Morlak zurückhaltend zu.
»Nicht wahr? Und die Wälder dieser Berge sind ja so groß und tief … Es gibt da viele Hunderte von Rehen.«
»Ich habe nur ein einziges gesehen,« entgegnete Schorman bedächtig; »ich bin hier fremd.«
»So warst du vielleicht nicht in der richtigen Gegend,« belehrte Stermelz; »droben im sogenannten Sprung, im Peterschoutz, im Dren, dort begegnest ihnen gleich zu Dutzenden. Ja, ich, wenn ich in deinen Jahren wär, und abends und morgens und an Sonntagen frei wie du, und hätt' nicht besseres zu schaffen! … Hast denn du schon je einen Schuß aus einem anderen als dem Militärgewehr abgefeuert?«
»Nicht viele Schüsse,« gestand Ilija bescheiden; »aber doch so einige schon.«
»Nach Wild?«
»Auch nach Wild.«
»Und getroffen?«
Schorman erglühte. »Gott mir, daß ja getroffen …«
Der Fuhrknecht wollte die angeregte Unterhaltung fortsetzen: da horchte die Horvatitschka auf, verbarg die beiden Stangen schleunigst in der kleinen Truhe unter der bunten Pendeluhr und machte sich arglos in der Stube zu schaffen.
Gleich darauf trat Primus Koschutnik in die Stube und hängte nach knappem Gruß die Büchsflinte an den Zapfen, dessen Tragkraft er vorher sorgfältig geprüft. Der vorhin noch so eindringliche Stermelz versank abseits in graugrämliches Schweigen, und Ilija Schorman blieb seinen Gedanken überlassen.
Nebelbock – zwei Gulden – Duscha – Ljubitza – die Heimat … Heiß und wirr ging es ihm durch den Kopf.
Und dann das allbestaunte Gewehr, und der Wirbel darum und die Wetten, und zum Trumpf die drei Meisterschüsse, den kreisenden Geier schwindelhoch aus dem blendenden Blau … Solch eine Büchse zu besitzen, solche Hand, solch ein Aug! …
Als er dann endlich schied, zog ihn die Wirtin in den Küchenflur zurück.
»Komm morgen abend. In der Dunkelheit, verstehst du. Kannst ja Tabak holen oder dergleichen; verstehst du. Der Stermelz wird auch da sein. Dann wollen wir untereinander etwas besprechen.« –
In dieser Nacht schlief Ilija Schorman nur wenige Stunden. Er wälzte sich erregt hin und her, träumte von Träumen und fühlte immerzu den Kolben der langen Flinte an seiner Schulter. Er zielte nach einem Reh, einem Bock, einem schattenhaften Rehbock mit ungeheurem Gehörn; ganz still und grau, riesig, zum Greifen nah, jetzt wieder fern stand er im spinnenden, webenden, wogenden, fließenden Nebelgedünst. Da verwandelte sich die Landschaft, die Höhen des Vinodol stiegen aus den schauernden Fichtenforsten herauf, dort leuchtete das Haus mit der Rebenlaube, und mitten im begrünten Bogen stand Duscha, seine Duscha, Duschitza, seine Seele. Schieß nicht! rief sie mit seltsam lautloser Stimme – er sah nur die Bewegung ihrer Lippen und las die Worte – schieß nicht! … Er schoß, er konnte den Finger nicht mehr zurückhalten; ganz langsam strömte das Feuer aus der Flinte, und Duscha verschwand. Als er aber herzulief, da war es gar nicht Duscha, sondern Ljubitza war es, die dunkle Ljubitza; sie erfaßte seine Hand und lachte ihn an und zog ihn hinter sich her nach ihrer schwülen Dachkammer.
*
Ilija Schorman stellte sich pünktlich ein, die Horvatitschka hielt Wort. Sie setzte ihrem späten Gaste einen Freischoppen vor, legte sogar noch ein weiteres Päckchen Tabak dazu und griff dann ohne Umschweif bis zum Kern durch.
»Ich habe es nämlich so gemeint,« begann sie; »du sagst doch, hie und da hättest du früher schon ein Stück Wild geschossen?«
Der Morlak verschwor sich. »Auf der Stelle will ich erblinden, wenn es nicht wahr ist. Einmal ein Reh – auf zweihundert Schritte, Gott ist mein Zeuge, auf dreihundert vielleicht …«
»Gut, gut, schon gut!« Die Alte legte den Finger über seinen Mund. »Nicht so laut, die Straße hört. Also: wenn du nun eine Flinte besäßest – ich meine: würdest du dir damit ein schönes Stück Geld verdienen wollen, so nebenher?«
»Wie nicht? Wer wollte das nicht? Das würd' ich schon wollen, das!«
»Würdest dich getrauen, mir hie und da ein Reh zu liefern? Nur so hie und da?«
»Wie nicht? Denselbigen – wie sagt man ihm – Nebelbock von mir aus! … Nur eben« – er überlegte mit einemmal und kraute sich unter die schiefsitzende Militärmütze hinein – »wenn sie mich erwischen?«
»Erwischen?« Die Wirtin kniff ihre fuselwässerigen Augen ein. »Wenn du uns, dem Stermelz hier und mir folgst, werden sie dich schon nicht erwischen.«
»Aber dieser fremde Jäger?«
»Der hat auch nicht Eisen gefressen. Überall kann er nicht sein. Grad sein Revier liegt dir vor der Nase – nun, und das Wirtshaus hier liegt ihm vor der Nase, verstehst?«
»Ich verstehe schon,« sagte Schorman zweiflerisch; »und die beiden anderen?«
»Die Böhmen? Die haben hier nichts zu suchen, vor denen bist du sicher. Laß nur uns sorgen.«
»Wenn sie mich aber mit der Flinte aus dem Lager gehen sehen?«
»Wirst so dumm sein, sie ihnen unter die Nase zu halten?«
»Schon nicht; Gott mir, das gewiß nicht. Aber – aber nun: wenn ich vielleicht doch erwischt werde, wenn; und eingesperrt, Gott weiß: – wer ersetzt mir dann die Zeit und den verlorenen Arbeitslohn?«
Die Horvatitschka schob sich kalt vom Tische ab und stützte sich zum Aufstehen.
»Ja, wenn du erst so fragst! … Dann freilich sind Wein und Tabak an dir verloren. Muß ja auch nicht sein. Haben dich etwas verdienen lassen wollen, der Stermelz und ich. Wenn's dir nicht darum ist, wenn du nichts wagen willst fürs schöne Geld –«
»Ist mir schon darum,« versicherte Schorman eilig; »ich sage ja nur so.«
»Hohle Bäume gibt es vielleicht nicht in den Wäldern?« fragte der Fuhrknecht beiläufig hinein; »und solch einen hohlen Baum kann man sich vielleicht nicht suchen und einrichten und merken?«
Heftig kratzte Ilija in die Schwüle unter der Soldatenmütze hinauf. »Freilich schon; freilich. Das würde gehen; da weiß ich mir gleich einen –«
»Also; daß du nur zu denken beginnst. Machen wir's denn gleich ab, damit wir uns verstehen. Zwei Gulden geben wir dir für ein Reh, wenn es nicht zu schwach ist, zweie und einen halben für einen starken großen Bock mit den Hörnern daran. Das ist gut gezahlt, sehr gut, verstehst du. Aber weil du es bist, ein armer Primurz, der uns dauert. Damit du dir etwas zusammenverdienst und nicht mehr gedörrte Meerschlangen, oder wie ihr das grausliche Viehzeug schon nennt, zu fressen brauchst …«
Schorman, innerlich erglüht, nickte wie noch unschlüssig vor sich hin. Zwei Gulden für ein Reh, zweie und einen halben für einen großen Bock! … Zehn Stücke von jedem: fünfunddreißig – nein: fünfundvierzig ganze Forinten! … Und diesen Gewinn brachte ein Vergnügen ein, ein Genuß! … Ein paar Stunden Schlafes würde es vielleicht kosten, nicht mehr. Das ließ sich einholen. Schlafen würde er noch genug im Leben, in den langen Winternächten, wenn draußen die stahlhelle Bora winselnd und heulend die Felsen schliff. Das Heimathaus mit der rebengekränzten Bogenlaube wuchs vor seiner Seele herauf; vielleicht stand es schon, wenn der eisklare Sturm über zwei, drei Jahre zum ersten Male im Herbst vom Vinodol herab gegen das Meer fegte … Seine Faust fiel wie im Erwachen auf den erklirrenden Tisch. »Gut, na, gilt. Mag es denn meinetwegen sein, bei Gott und – –«
Die anderen erhoben sich. »Trink aus und komm.«
Ilija Schorman folgte.
Sie führten ihn über den Flur nach einer kleinen abgelegenen Kammer, deren Türe die Horvatitschka sorgfältig abschloß.
Unter morscher Bettstatt hervor zerrte der Fuhrknecht eine lange flache Truhe. Als er den Deckel an aufgenagelten Riemen zurückschlug, funkelte rötlich Eisen im Lampenlicht.
»Das ist eine gute Flinte,« lobte er das rostige Gewehr, das Schorman mit gierigen, aber auch mißtrauischen Blicken betrachtete. »Eine ausgezeichnete Flinte ist das.«
Er hielt die Waffe unter den Schein der Lampe und drehte das achtkantige Rohr nach allen Seiten. Dann schlug er gegen seinen eigenen, riesengroß geknickten Schatten an.
»Auf achtzig, auf hundert Schritte ist dir der Bock sicher. Tot will ich auf der Stelle sein, wenn's nicht wahr ist. Was, Alte? … Mit dieser Flinte – –« Er brach ab und schlug von neuem an; seine Augen flimmerten. »Ja, wenn ich noch in deinen Jahren wär und frei wie du …«
Der andere sah ihm zu; sein Herz schlug schwer.
»Ist er nicht etwas kurz, der Lauf?«
Der Fuhrknecht setzte das Gewehr ab. »Laß du nur kurz sein. Je kürzer, desto besser. Kurz und klein kriecht leicht unter.«
Er legte die Flinte auf die Bettstatt und kramte weiter im Spind. Eine kantige Glasflasche kam zum Vorschein, eine graue, vielfach eingedrückte Blechdose, ein kleines, grün und schwarz bedrucktes flaches Schächtelchen.
»Da.« Er breitete die Schätze aus. »Da ist erstens Pulver, feines trockenes Schießpulver. Euer Sprengpulver droben taugt für die Katz. Ich kenne das. Und hier Schrot. Ein Pfund wird es sein, etliche zwanzig Schuß. Eine starke Nummer, zwölf Körner genau auf die Ladung. Zwölf Körner, hör jetzt zu, auf dieses Maß Pulver: – sollst sehen, wie das Gewehrchen schießt. Auf siebzig Schritt – was sag' ich, auf achtzig, neunzig – werden sechs, sieben Posten den Bock erreichen, so wahr ich hier steh. Und einer davon genügt schon. Genügt grad wie die Kugel von dem Oberkrainer Prahler da, und du hast ihrer zwölf. Dreie besonders, drei fallen immer dicht zusammen in einen Fleck so groß wie meine innere Hand, wirst's ja erleben. Und da sind Kapseln, da ist sogar Werg.«
Schorman sah alles wie in einem goldenen Nebel. Mit zitternder Hand zog er den Hahn auf und ließ ihn in den heiseren Rasten knacken; er drehte ein Schrotkorn zwischen den Fingern, zerrieb eine Prise Pulvers, musterte den weißen Zündsatz der Hütchen.
»Nämlich: nicht, daß wir etwa nicht wüßten, wie du den anderen Bock da – gefunden hast, die Hörner von gestern,« fuhr Stermelz fort; »gefunden hast ihn schon, gefunden, aber an einem Ende Draht … Sag' nichts, gib dir keine Müh'; wir verstehen das, wir haben eine Nase dafür, wir können's riechen. Also: und da siehst auch gleich, daß wir's gut mit dir meinen; denn sonst, nicht wahr? … Aber das mit dem Draht, das ist nicht das Rechte. Sowas wird entdeckt, erweckt Verdacht, der Jäger setzt sich hin auf die Lauer, du kommst nachschauen, aus ist's. Und dann, bei jedem Wetter und jeden Tag wirst schwerlich hinrennen wollen; das Stückl liegt längst in der Schlinge, die Sonne brennt drauf, das schöne teure Fleisch verstinkt. Weißt's ja jetzt selber. Und angebunden bist selber auch durch den Draht an den Platz; mit dem Gewehr aber hast deine Freiheit, heut da, morgen dort, kannst vorpassen, kannst ein wenig herumschleichen, nie weiß der Jäger, wo er dich suchen oder abfassen soll …«
»Und mir ist's ja nur darum, weil doch soviel von dem Zeugs da ist, und nicht, daß man je von der Herrschaft oder von den Jägern ein Stückel abbekäm' für seine Gäste,« fiel die Horvatitschka anklagend ein; »Sonntags vielleicht so einen Braten für die Herren Indženiri, oder für die Herren Illustrissimi aus Samobor oder Agram, wenn sie auf ihren Kommissionen und Begehungen hier bei mir Mittag machen oder gar nächtigen … Soviel lauft herum von dem Zeugs, das Gott für alle Menschen wachsen laßt und was doch nur Schaden frißt und nichts anderes, und nicht einmal zu einem einzigen solchen Viech für ihr mühseliges Gewerb kann eine arme alte Frau gelangen … Ist das eine Gerechtigkeit?«
»Wird ja jetzt anders werden,« tröstete der Fuhrknecht; »der Gevatter hier wird schon fleißig für deine Küche sorgen. Nicht so, Gevatter?«
Schorman, in prüfender Betrachtung der Flinte und des Schießbedarfs verloren, nickte zerstreut vor sich hin.
»Schon, schon. – Wenn ich aber damit durchgehe?« fragte er plötzlich.
Stermelz lachte kurz auf. »Kämst nicht weit. Wenn: dann sind eben einmal wir die Betrogenen, dich selber aber bringst du um soundso viele Gulden und noch obendrein ins Loch. So steht's, mein Teurer, was ich übrigens hab' sagen wollen: halt dich immer so mehr in der Nähe der Grenze, der Landesgrenze; bist mit ein paar Sprüngen im Kroatischen drüben, und was die ärarischen Aufseher da sind, denen stehl' noch ich die Hosen unterm Hintern weg, die tun nichts als schlafen und saufen.«
»Und die Flinte, was soll mit der später dann werden?« fragte Schorman gewissenhaft.
Der Fuhrknecht stieß die Truhe unter die Bettstatt zurück.
»Was aus der werden soll? Das werden wir schon zu seiner Zeit sehen und verrechnen. Vorläufig hast sie; schau, daß was ausrichtest damit.«
»Ja; und noch eins; damit das nicht am Ende vergessen wird …« Breit und dicht, mit untergestemmten Armen stellte die Horvatitschka sich vor den neu angedungenen Helfer; ihr Blitz glitzerte viperisch. »Das sag' ich dir gleich: wenn du mich betrügst – wenn du vielleicht glaubst, auf eigene Rechnung jagen und schießen zu können – –«
»Ja; da hast gleich die Hunde auf den Fersen,« ergänzte Stermelz; »verlaß dich drauf.«
Die Alte fuchtelte hohnlachend die rote fette Hand. »Und daß die mich beißen könnten, brauchst auch nicht zu meinen, Gevatter. Mich beißen sie nicht. Mich fangen sie nicht. Mich hat noch keiner gefangen.«
Der Fuhrknecht nickte. »Wir haben hier keinen Zeugen, und das Gewehr ist stumm.«
»Aber für gute Dienste gibt's auch gutes Geld,« schloß die Horvatitschka besänftigt; »und weil du mir ganz so ausschaust, als könntest's gebrauchen, und weil du mir überhaupt gleich gefallen hast, soll's dir gerne gegönnt sein … So. Wir sind fertig. Komm noch hinüber, wenn du willst, trinkt ihr beide mitsammen noch einen Liter, zur Feier, zur Unterschrift.« – –
Als Schorman ging, stand Ljubitza wie von ungefähr im finsteren Flur.
Sie schrie nicht auf, als er sie wider seinen Willen berührte; ihre Augen flimmerten im Dunkel.
»Gute Nacht,« lachte sie leise; »und viel Glück.«
Er erschrak.
»Oh, ich weiß alles,« flüsterte sie; »aber darum keine Furcht, ich hab' noch keinen verraten.«
Ganz dicht stand sie vor ihm, er fühlte ihre Wärme, ihre Fülle, er spürte, wie es in ihm hinaufrieselte – eine Angst, eine Freude, ein Erwachen? … Nun waren es schon drei Monate, daß er von seiner Duscha geschieden.
»Es ist doch so spät, willst du denn jetzt noch gehen, den weiten Weg durch die Nacht?«
»Ich muß,« sagte er einfach.
»Fürchtest du dich denn nicht?«
»Ich mich fürchten?« Im Finsteren reckte er seine hagere Gestalt. »Vor wem oder was?«
»Solche, die sich vor nichts fürchten, gefallen mir …«
Da rief die Wirtin heraus, schräger Lichtschein sprang in den Flur.
»Komm einmal,« hauchte Ljubitza; ihr heißer Atem wehte Ilija weghuschend übers Gesicht.
Komm einmal …
Wie im Traume ging Schorman das nächtige Tal hinauf. Der Bach rauschte ruhig über klingenden Kies, irgendwo schmälte ein Reh, ein Stern schoß in glimmendem Bogen über die Schlucht, über die Grenze, und versank hinter den Wäldern …
Nachdem er Waffe und Schußzeug in vorläufigem Versteck geborgen, warf Ilija sich müd und wirr aufs sommerschwüle Lager unter die dumpf atmenden, dunstenden Kameraden.
Ein Kind greinte, ein Weib kreischte, von der Kantine zu den Baracken her gellten blutig Gegröhl und Geschelt. In den erblühten Wildrosenbüschen den verwüsteten Grund hinab schlug schmelzheiß eine letzte einsame Nachtigall.
Ilija Schorman schlief wieder wenig in dieser Nacht. Aber nicht bei der Duscha allein waren seine flüchtenden schwärmenden Gedanken, nicht nur in der rauhen milden Karstheimat: in Hunde hatten sie sich verwandelt, und jagten ruhlos auf der Fährte edlen Wildes – des Wildes dieser Wälder, das nun auch das seine war.
Und dann, wenn seine bunten gierigen Träume einmal das Wild stillten, dann war es Ljubitza, das schöne dunkle volle Weib, das mit seinen brunnklaren Augen und frischen Zähnen der fernen Seele glich.
Komm einmal! … Es ist schon so spät! … Bleib! …
Die Nachtigall schlug, die Schläfer stöhnten; ein weggesprengter Stein löste sich aus dem lockeren Geröll und fuhr mit Kies und klirrendem Schutt die Halde herab zu Tal. – – – – –
Drei Nächte später lud Schorman den ersten Rehbock beim Konfin ab.
Es war der Jährling mit dem schwachen gebogenen Gehörn, den er damals am Abende gesehen.
An derselben Stelle trat er in die Wiese, zierlich und vertraut. Es war noch ausreichend hell. Deutlich erkannte das Korn auf dem roten Fell. Wohl schwankte der Flintenlauf, das Herz schlug bis in die Mündung hinaus, aber solch nahes Ziel konnte der Hagel nicht verfehlen. Der Schütze kniff die Augen zusammen und riß mit herzhaftem Ruck ab. Der Knall grollte an den Hängen hin, der Rehbock war zusammengebrochen. Als Schorman scheu hinzutrat, lief nur ein Schauer noch durch die zarten Läufe; dann streckten sie sich, und über die runden Lichter zog es wie bunter Rauch.
Ilija raffte die Beute auf und sprang in wenigen langen Sätzen nach dem schützenden Walde zurück. Hier erst untersuchte und betastete er mit fiebrigen Händen das erlegte Wild. Die Flinte schoß gut, wirklich. Mitten auf dem Schulterblatt saßen die drei Kernschrote, andere Körner waren über die Rippen, die Flanken, den Hals verteilt. Der Blitz hätte sein Opfer nicht rascher fällen können.
Auch die Horvatitschka untersuchte das Stück sehr genau.
»No bravo, wo hast ihn gekriegt?«
»Oben, nicht sehr weit von der Straße. In einem Graben, auf einer schmalen Wiese.«
Sie nickte befriedigt.
»Weiß schon, weiß. Das ist die Grenze. Zur Rechten, wenn du hinaufgehst, Krain, zur Linken Kroatien. Halt dich nur immer dort herum, wie der Stermelz dir's gesagt hat. Auf der kroatischen Seite kann der Krainer dir nichts anhaben. Und im Kalkgraben probier's einmal, gleich drüben hinein gegen das Birnholz und den Seloutz; steht ein alter verfallener Kalkofen draußen davor, kannst's gar nicht verfehlen. Du hätt'st es auch nicht schwer, wirst bald einen Schlag sehen linker Hand, dorten gibt's immer eine Masse Reh, und in ein paar Sprüngen die Lehne herunter bist gleich über Bach und Grenz … Also, zum Anfang laß ich dir den da für voll gelten,« fuhr sie fort, indem sie den starren Bock an den geschränkten Läufen mit erstaunlicher Kraft hochzog – »hat zwar keinen halben Zenten – ah wo, nicht einmal zwanzig Kilo wird er haben – – aber na, soll er von mir aus passieren, für den Anfang. Weil du dir Mühe gegeben hast, damit du Mut kriegst.« Sie kramte in ihrer Gürteltasche. »Da, nimm's gleich, einen Gulden, zwei, und zwei Fünfundzwanziger, stimmt's? … Was ich einmal versprech', das wird auch gehalten …«
Schorman schob das Geld, bedachtsam nachgezählt und eingeknotet, hinters Hemd. Dann ging er aus dem Keller nach der Schankstube hinauf und ließ sich noch einen Schoppen zapfen. Allein Ljubitza blieb an diesem Abend aus; so trat er nach längerem Warten und stockendem Gespräch den einsamen Rückweg an. –
*
Gestern, nach unruhigem Schlummer, hatte der übernächtige Ilija den Bock im Birnholz vertreten.
Als dieser rauh zu schrecken begonnen, war es dem Wilderer wie ein Strahl durch die Glieder gefahren, daß er schleunig umkehrte und pfadlos den Waldhang hinunter die Grenze überfloh.
Später schalt er sich seiner Torheit. Bei längerem Zuwarten wäre ihm das Wild vielleicht in die Flinte gelaufen. So versuchte er's heute wieder.
Er hatte Glück. Mitten im Schlage äste sich der rote Bock an den Brombeerranken.
Hie und da schauderte er den Tau aus der Decke, schüttelte das wuchtige Gehörn, schlug nach einer frühen Fliege und rupfte und raufte dann eifrig, rastlos ziehend weiter.
Allein zu bedeutend war die Entfernung. Schorman stand gedeckt am Rande des steil zum Graben hinabstarrenden Stangenholzes, der Bock wechselte im Äsen schräg von ihm weg; ihrer hundertzwanzig, bald hundertundvierzig Schritte mochten es sein. An allen Gliedern fliegend sah Ilija zu, wie das Wild immer höher hinan gegen die morgenrot angestrahlte Dickung zog. Ihm nachzuschleichen wagte er nicht aus Furcht vor dem offeneren Geländ, aus schwindender Hoffnung auf eine dennoch günstige Hoffnung.
Und wirklich fand er seine gläubige Zurückhaltung belohnt. Nachdem der Bock eine gute Weile an einer Bromstaude gezupft, kehrte er launisch, wie gelangweilt um und begann gegen den Graben herabzuwechseln.
Da und dort pflückte er noch ein Gräschen, er fegte einmal an einer stärkeren Blumenesche, sicherte aufregend lang über die Schlucht hinweg und setzte sich endlich in bedächtigen Troll. Stichgrad fast auf den Lauernden zu; hielt er den Strich, nur noch vierzig, nur noch dreißig Gänge lang, nur bis zu jenem dreischössigen Busch, so war er den drei Kernschroten verfallen …
Schorman fühlte, wie der Schweiß ihm glühend aus allen Poren stach. Sein Herz dröhnte, sein eigener Atem schien ihm zu brausen …
Schon erkannte er deutlich die wie finster gerunzelte eisenschwarze Krausstirn des Alten, die sperrigen tiefgegabelten Stangen – schon hob er das achtkantige Rohr –
– Jetzt stutzte der Bock, hob mit einem Ruck das zackengekrönte Haupt, steilte die Lauscher, stand starr im roten Frühsonnenschein –
Da warf ihn ein Stoß zur Seite, er riß alle vier Läufe unter sich, stürmte blind durch Rispen und schnellende Ranken. –
Nun erst vernahm Ilija den harten Knall und weitgellenden Widerhall eines Büchsenschusses. –
Der Bock brach mitten im Flüchten vorne ein, überschlug sich, überwarf sich noch einmal, fuchtelnde Läufe, schlagende Gerten, jetzt die helle Unterseite, dann der rote Rücken, noch einmal gelbe Unterseite: – dann blieb der Verendete in einem Nest niedergewälzten Grases hinter einem alten Storren liegen. –
Schorman war es, als sei die Kugel ihm selbst mitten durchs Leben gefahren.
Er stand mit gespannter Flinte da, seine Zähne schnatterten aufeinander, wie blinde flimmernde Finsternis wogte es über ihm zusammen.
Er vermochte sich nicht zu rühren; auch dann noch nicht, da er durch weichenden Nebel den Jäger jenseits niedersteigen sah. Er haßte den Menschen, den Bewunderten, den Beneideten in diesem Augenblick, haßte ihn, als hätte er ihm sein Liebstes genommen, seine eigene Seele …
Nun erst, als Koschutnik, gewandt wie eine Gemse, ruhigen Atems wie ein Hirsch, hüben in steiler Rinne heraufkletterte, verließ der Bann den Genarrten.
Er setzte den Hahn aufs rote Kapsel zur Ruhe, nahm die Flinte unter den Arm und schlich schnell auf lautlosen Opanken ins Stangenholz zurück, nach der alten Holzriese, die von hier zum Grenztal hinabfiel.
In halber Höhe seines steinigen, nicht ungefährlichen Pfades ward er von des Krainers weithin frohlockendem Juchschrei überholt.
Ilija Schorman ballte die Faust, als wollte er den Jauchzer erwürgen. Dann klemmte er die Flinte fester an sich und sprang von Fels zu Fels in die Tiefe hinab.
*
Da lag der Bock, lang hingeworfen in den schillernden Tau.
Primus griff ihm in die wuchtige knorrige Krone.
Ja, das war er schon, der Rechte. Einer, der seiner neuen Waffe Ehre machte, einer von der Wurzenmaser, reif, überjahrt und stark.
Und der Schuß, kaum besser hätte er ihn messen können. In Herzhöhe hüben das rote Todesmal, drüben scharf zwischen Blattschaufel und Breithals der Durchschlag. Der Herr Graf würde wohl zufrieden sein, der krumme Kropatschek sich wundern, der schwarze Peter sich giften, na, und vor dem Schürzenvolk drunt in der Schloßküche wollte er heut anders aufdrehen mit seiner Beute …
Koschutnik kauerte sich über das erlegte Wild. Immer wieder betastete er die mächtigen, derb geperlten Stangen, die kerbigen, hart ineinander verschmolzenen Rosetten, die breite böse Stirn, von deren krausgestichelter Schwärzlichkeit das greise Silberweiß des Nasengrates und der wie bereiften Lippen so wunderlich bunt und untrüglich abstach. Freilich – solch ein Bock mit all seinem Staat an Krone und Feist, was war er gegen den pechschwarzzottigen Krummhornteufel der Heimat? … Die Mädchen dieser schwülen Fremde gegen die brennsüßen Jungfrauen der Berge, was waren sie? … Was all die armselig gemeinen Alltagsblumen dieser Wälder gegen Alpenrose und Edelweiß! … Schießen halt, wie es sich bot, mitnehmen, genießen, pflücken; so kurz das Leben und so ewig der Tod … Und als nun der Schlag, glitzernd wie eine Braut, in holder Morgenschöne erstrahlte, als der Tag mit goldenem Dunst über die Kimmen der blaufernen Gora heraufschwoll, da stieß der Jäger einen sieghaften Wildjauchzer aus seiner Brust, daß alle Hähne drunten im Tal erbittert dawider aufkrähten.
Es war noch früh. Primus ließ sich auf einen Storren nieder und verzehrte über den Daumen seinen kargen Imbiß. Dann rauchte er noch eine bedächtige Pfeife leer und überlegte, wie den Bock am ersprießlichsten nach dem Schlosse zu schaffen. Er entschied sich für die Talstraße, vielleicht war schon ein zeitiger Fuhrmann unterwegs, ihm Last und Strecke zu kürzen.
Im Graben drunten brach er den Erlegten auf, gerecht und sauber, wie strenge Zunftsatzung gebeut; den Aswurf ließ er den Füchsen. Dann schwang er die erstarrende Bürde an kreuzverschränkten Läufen über den Farnbausch auf der Schulter; neben ihm her zog sein blasser Morgenschatten, und Primus Koschutnik ergötzte sich an der ungeheuerlichen Verzerrung des baumelnden Gehörns.
Aber wo er den Bach mit zwei Schritten übersprang, draußen vor der Schlucht, stand im angeschlämmten Ufersand der breite, flach ausgerundete Abdruck einer Opanke.
*
In der Wirtschaft zum Konfin war man schon am Tagewerk.
Ljubitza stand in offenem Hemd und fettigem hochgeschürztem Rock unter der schrägen Treppe und streute aus flachem Schüsselkorbe den emsigen Hühnern das Frühstück. Im Anblick des Jägers stellte sie die Mulde rasch auf den Korn der Stiegenbrüstung und floh. Aber gerne ließ sie sich vom starken Manne einfangen, und sie lachte heiß zu ihm hinauf, da er sie mit leichtem Griffe festhielt. Im Hause war es noch still. Sie legte den Finger auf die vollblühenden Lippen: sie schlafen!
Das war Primus eben recht. Er hängte den starren Bock an einen Zapfen der Gitterlaube und lehnte die Büchse darunter. Gerade nur um ein Glas Wasser bäte er, und wenn es irgendwie mit Wein vermischt sein könnte. –
Ljubitza ging. Aus der Kellertüre sah sie sich nach ihm um. Ihr Haar war ungekämmt und hing in losen Strähnen um den Kopf, ihr Rock war küchenfleckig, grau von Asche und allerhand Fett. Trotzdem ein hübsches, ein begehrenswertes, ein aufreizendes Frauenzimmer; hätte frei aus dem Oberland eine sein dürfen.
Als sie zurückkehrte, trug sie ihre vollen dunklen Flechten reinlich geordnet; aber das Hemd stand noch offen, und den hochgeschürzten Rock hatte sie nicht herabgelassen.
Primus trank und aß dazu vom vorgesetzten derbflaumigen Weißbrot. Ljubitza machte sich am steif hangenden Bocke zu schaffen und betastete neugierig das Gehörn.
»Viel älter ist der als unsereins,« kaute Primus; »einer, der von Welt und Weibern nichts mehr hat wissen wollen, solche Griesgrämler gehören weg, was?«
Sie drohte mit dem Finger. »Der Herr Jäger ist schlimm.«
»Wann's wahr ist. So Einschichter sind euch ein Dorn im Aug. Ich denk da eine gewisse Geschichte vom grünen Georg.«
»Und grad das hat mir gefallen,« entgegnete sie unbeschämt; »die sich halten und nicht gleich anbeißen, das sind die verläßlichen.«
»Oder die ganz Gefährlichen,« neckte Koschutnik; »die verstehen sich aufs Salzen und Selchen.«
Sie sah ihn von der Seite an und antwortete nicht.
»Ist der heut früh geschossen?« fragte sie nach einer Weile.
Der Jäger nickte erfreut. »Grad um Sonnenaufgang; droben im Kalkgraben auf der Fratten, unterm Birnholz.«
»Was weiß ich, wo das ist; von dortwoher hat's mir geklungen.«
»So, hast ihn gehört, den Schuß?«
»Den, und deinen Jauchezer auch. Der Oberkrainer, hab ich mir gleich gedacht; so hinaussingen, daß alle Berge schallen, das kann nur der.«
»Soll man nicht, wann's einen solchen schlauen Urkampel sauber hinreißt auf ihrer hundertfufzig, hundertsechzig Schritt! … Und wenn's solche Gewehr gibt und solche Böck und solche Mädeln auf der Welt, und überhaupt! …«
Sie streichelte das erkaltete, waldsäuerlich ausdunstende Wild.
»So ein armes, schönes, unschuldiges Viecherl! … Dir, glaub ich, geht auch nichts durch, was du einmal im Aug hast und auf dem Korn; das muß dein werden ohne Gnad und Barmherzigkeit.«
»Hoffentlich; gehört sich auch!« Primus warf hochmütig den Kopf zurück. »Aber na, gar so schlimm wird's wohl nicht sein; mit der Gnad und Barmherzigkeit, mein' ich …«
Sie spielte am Farnbausch unter den überschränkten Läufen, zog dem Bock einen bohngroß vollgesogenen Zecken aus und zertrat die graue ekle Blutblase mit einem Knall. »Schon, schon; ist schon so schlimm … Und das Allerliebste auf der ganzen Welt, glaub ich, ist dir doch dein Gewehr da, das harte Stückel Eisen.«
Der Jäger lachte, »Hätt'st es getroffen, vor einer Viertelstund noch, da hat's noch gestimmt; und jetzt auf einmal merk ich, daß mir was dazu fehlt: ein saftiges Stückel Fleisch …«
Sie schwieg und starrte verdunkelten Blicks. Koschutnik winkte sie gebieterisch an sich heran.
»Zeig her. Welcher ist der Zahn, der so arg wehtut?«
Sie hielt das frische, blaßbräunliche Gesicht seitab gegen das fortgelehnte Gewehr gewendet.
»Meine Zähne, gottlob, die sind alle gesund.«
»So? Und warum dann hat man nimmer geschlafen um viere Früh? … Oder hat gar der Schuß dich geweckt?«
»Geweckt, wo? … Wenn ich so kein Aug zugetan hab die ganze Nacht.«
»Also ein anderes Wehweh?« fragte Primus listig und rückte das Hütl auf Wind.
»Vielleicht? …« sagte sie spröd.
»Bin ein guter Doktor,« spann er weiter; »kurier umsonst.«
»Dank schön für die Behandlung; brauch von einem Doktor keine.«
»Aber von einem anderen eine und eine andere tätst nicht weigern, hä?« Er fing ihre Hand und hielt sie fest. »Ist doch langweilig hier, und wir zwei sind jung … Also wer ist der andere, und wie soll er dich – –?«
Sie sah auf ihre volle atmende Brust hinab. Dann riß sie sich plötzlich los und lief gegen das Haus. Solche Bescheide ließ Primus nicht gelten, wieder haschte er sie und hielt sie an den runden Armen gefangen.
»Ist das eine Antwort? …«
Aber wie tiefer Trunk durchrieselte es ihn, wie er ihren schmeidigen Leib so dicht an sich fühlte, als er in ihrem offenen Hemde die straffen Brüste sah und der Dunst ihrer Haut zu ihm heraufschlug …
Sie rang mit ihm. »Laß mich los!«
»Ist das eine Antwort? …«
»Los laß mich, sag ich dir!«
»Und wenn nicht?«
Sie keuchte. Fauchte.
»Ich schrei.«
»Schrei nur. Daß ich dir den Mund versiegeln kann.«
»Das ganze Haus schrei ich zusammen!«
»Schon schrecklich tu ich mich fürchten.«
»Laß mich! … Ich hab meine Arbeit!«
»Ich auch. Siehst ja.«
Da stieß sie sich mit Gewalt ab von ihm.
»Mach keine Dummheiten!« Sie nahm den Korb wieder unter den Arm und streute in weitem Wurf den erfreut zusammeneilenden Hühnern.
»Aber geh,« schmeichelte Primus; »hab doch nur wissen wollen, wo das sitzt, das Wehweh … Und wer dran schuld ist.«
»Was kümmert's dich? … Da schau lieber, wie du mich zugerichtet hast. Die ganzen Händ sieht man am Arm. Der Oberkrainer Jäger, wird jeder sagen; wie dort drin am Tisch.«
Koschutnik betrachtete bestürzt und beschämt die vierfingrigen Male.
»Tut's schmerzen am End?«
»Und wenn, Dir tät grad viel dran liegen.«
»Wer sagt das?«
»Ich sag's. Weil's wahr ist. Du mit deiner Zangenfaust.«
Da nahm ihr der Jäger den Korb ganz sänftiglich aus der Hand.
»Und wenn's nicht wahr ist?«
Sie schwieg und ließ den Kopf auf die bloße Brust hängen.
»Und wenn's nicht wahr wäre, Ljubitza?«
Sie hielt still, eine Blume unter heraufdunkelndem Wetter.
Er schlug seinen Arm um ihre volle Schulter.
»Und wenn's nicht so wäre, Ljubitza, was dann?« drängte er.
Da hob sie das runde Gesicht scheu zu ihm empor. Über ihre Wangen perlte der Tau, ihr Blick schwamm. Aber die frischen Zähne lachten, ihr Mund blühte ihm demütig, sehnsüchtig entgegen.
Und er versenkte seine Lippen in die ihren. Sie tranken ihre Küsse wie verschmachtete, sie zitterten, sie erschauerten: sahen sich an und schmolzen von neuem zusammen, ein Wunsch, eine Begierde, eine Flamme …
Der weiße Bogen der Talstraße lag einsam in der fahlgoldenen Frühsonne. Ein Raubvogel zog hoch überm Grunde seinen Schraubenkreis; der Bach plätscherte bunt über den braunen leis klirrenden Kies, Forellen blitzten auf, der Schwarzspecht gellte seinen blutroten Schrei und schwirrte in trillernden Flugstößen von Hang zu Hang, über die Grenze … Droben aber in erwärmender Wiesenhalde hob sich's stumpfgehörnt aus dem summenden Honigdunst, grinste wissend nach dem Menschenvolk hinab, griff nach der Rohrflöte und sprang bockshufig in Bart und Vlies durch Busch und Wuchs den steinelnden Gratsteig hinauf. –
Endlich riß der Jäger sich los.
»Ich komm' wieder.«
Sie hielt seine Hand in der ihren, den Futterkorb gegen die Hüfte gestemmt.
»Komm,« bat sie leise, und ihre Augen leuchteten inbrünstig; »komm! … komm bald!«
Primus klang und jubelte es in den Ohren, im Blute, in den Sinnen.
Komm zur Stunde der Liebe! … Ihr Blick sprach, begehrte es.
Er warf die Büchsflinte über und belud sich von neuem mit dem stockstarren Bock, in dessen grünen Lichtern die Morgensonne spielte.
»Ljubitza! … Daß du auch grad nach so heißt! … Ljubitza; Schatz!«
Noch einmal, und noch einmal! … Dann nahm er die harte staubige Straßenmeile unter seinen Schritt, von der Krümmung drunten um den Fichtenkopf her grüßte und verhallte ein letzter siegfroher Juchzer.
Ein Kuß im hohen Lenzsommer – was liegt daran? …
Primus hatte das Gesicht nicht gesehen, das sich oben hinter den morschen Laden gegen die Scheibe gepreßt, ein rotgedunsenes, schlaues, lüsternes Altweibergesicht … Und auf der untersten Stufe den runden vollen Opankentritt hatte er auch nicht gesehen: denselben Opankentritt, der gestern im grauen Ton der Sulze, heut unbemerkt im sandigen Uferschlamm des Grenzbaches gestanden, und dessen taunasser Abdruck auf dem bleichgelaugten Holz der Treppenstufe nun langsam verdunstete. –
*
Sie hatte sonst nicht allzuviel reiner Freuden und guter ruhiger Stunden in diesem Sommer, die Horvatitschka.
Nun war er glücklich da, ihr geliebter, ersehnter Branko, ihr einziger Branketz, ihr Stolz, ihre Wonne, ihr Himmel, ihre Weide, und nun wünschte sie tausendmal, er wäre nie gekommen und seine Lehrjahre hätten ewig gewährt, und sie hätte zeitlebens weiter Schule und Unterhalt für ihn bestreiten dürfen, hätte ihn nie hinaufstudieren lassen, und am besten und überhaupt, sie hätte ihn nie geboren und irgendein Mannsbild gar niemals gekannt. Nun war er da und hatte sich drohend durchgesetzt und blieb, rechnete und kommandierte mit an der verwünschten Straße, forderte und preßte, bohrte und schürfte, und spielte, statt die Schweine zu hüten oder als Tagknecht zu fronen, mit Kneifer, Spazierstock und Tabaksdose den großen Herrn.
Die eine Gnade wenigstens, daß er sich nicht bei ihr einquartiert; war ja auch viel lustiger und näher in Stojdraga droben bei den Ingenieuren, unter seinesgleichen, bei den schmucken Walachinnen, in freier hoher Bergluft und angemessener Gesellschaft. Aber an Sonntagen und auch sonst bisweilen unter der Woche sprach er auf Stunden im Konfin vor, jedesmal mit offener Hand und schneidendem Wort, zehrte, nahm, machte sich mehr als nötig mit dem Mädel zu schaffen, führte sich vor den Gästen mit unverschämt bissigen vertraulichen Reden als berechtigter Haussohn und ließ die Alte in bitterer, ohnmächtig wütender Unruhe zurück.
Und wie er zu begehren wußte, kalt, frech, überlegen, grausam; war das ihr eingeborenes Kind?
»Gib mir Geld, zwanzig, fünfundzwanzig Gulden. Ich brauch's.«
»Aber Branko, Branketz mein! Zwanzig Gulden schon wieder! hab dir doch vorige Woche erst fünfundzwanzig gegeben!«
»Meinst, die kriegen jeden zweiten Tag Junge? Die sind weg. Der Mensch lebt. Zum Verbrauchen ist das Geld da.«
»Aber Brankitschek mein! … wo soll ich's denn immer gleich so geschwind hernehmen, eine arme alte Frau! … Denkst, das tragt's?«
»Geh, gib schon, gib. Wozu jedesmal die langen Geschichten? Tragt's jetzt nicht, hat's früher getragen.«
»Und du hast's aufstudiert. Ich hab geglaubt, du nimmst die Aushilfsstellung, damit du schnell zu eigenem Verdienst kommst?«
»Das geht nicht von heut auf morgen, und geht niemand was an. Hätt'st mich hier bei dir wohnen lassen, auswärts kostet's, man tut mit, der Mensch hat sein Leben nur einmal. Also gib schon, oder soll ich selber suchen, im Keller?«
Und sie ballte die fleischige Faust und gab.
Einmal, als es ihr übers Herz lief, fragte sie ihn geradezu:
»Branko, also damit ein Fried wird: was geb ich dir, daß du diese Stellung droben laßt und suchst dir eine andre?«
Er lachte kurz auf.
»Da schau, also doch! … Was hab ich damals gesagt, drei-, viertausend Gulden? … Na, sag ich heut: achte oder zehne.«
Die Alte fiel zurückgeworfen auf die Bank.
»Jesus, Bub, bist denn überhaupt noch bei Verstand? … Acht- oder zehntausend Gulden!« Sie schrie und raufte sich das fettiggraue Haar, »Himmlischer Gott in deinem Reich, ich arme alte geschlagene Frau, was tu ich?«
»Zahlen, zahlen, schön hart und hoch aufzählen, wenn du so gescheit bist, wie, demselben Jesus und Gott zu Dank, ich. Das tust.«
Sie weinte und würgte in ihre vorgestützten Fäuste.
»So ein Kind, so ein Bub, für den ich mir die Haut geschunden hab vom Leib und die Seele gerissen aus der Brust! … Jesus nazarenischer, was hab ich nur getan, daß ich so gestraft werd'?«
Er schlug mit dem Spazierstock einen hochmütig ungeduldigen Takt.
»Wird schon etwas und nicht zu wenig sein und nicht du allein die Geschundene. Sag einmal, für wen sparst und scharrst den eigentlich? Gibt's da vielleicht noch so ein paar – –? so – zukünftige Ingenieure – oder Pfaffen – oder Stuhlrichter – –?«
Sie flammte auf ihn los. »Das sagst du mir? Du?«
Er blieb ganz gelassen, »Weshalb auch nicht? Grad ich, natürlich! … Sind wir, das Fräulein Schwester und ich, da auf dieser wunderschönen Welt, warum nicht noch andere, ebensogut?«
»Und das wirft ein Sohn seiner eigenen Mutter ins Gesicht!«
»Hat's ja dieser seiner eigenen Mutter abgeschaut, wenn man schon das Glück hat, auf solche Art – Sohn geworden zu sein? … Und noch so einiges dazu weiß …«
»Was weißt?« Wie plötzlich geschwellt funkelte sie ihn an. »Was weißt? … Was willst schon wissen?«
Er lehnte sich mit seiner Zigarette behaglich zurück. »Das Meine. Wird sich zeigen, kleinweis, in Gulden und Groschen, wie man's braucht, ganz nach Bedarf. Und: – wenn du das Deine nicht einem Zug aufzählen willst, dann eben auch das kleinweis, und mit Zinsen, genau wie du selber sie nimmst. Ich habe Zeit und bleib da.«
Sie schlug mit flehentlich verschränkten Händen vor sich hin auf den Tisch.
»Und wenn ich dir sag und bei allen Heiligen schwör, daß ich nie für wen anderen als für euch gesorgt und geschafft hab …«
»Ausgenommen für dich selber.«
»Auch nur euretwegen! … wird alles einmal euer sein!«
»Einmal, einmal! … wann ist einmal! … Einmal ist auch der Tod. Jetzt möcht man was sehen davon, heut! … Und euer, weißt du, das hör ich auch nicht gerne. Weiber verdienen leichter und lustiger als wir Männer; da braucht man sich gar nicht so weit nach einem Beispiel umzusehen.«
»Branko, Branketz, Brankitschek, was ist nur aus dir geworden auf dieser verdammichten Schul? hast denn gar kein Herz mehr und keine Seele?«
»Wüßt nicht, woher ich die geerbt haben sollt, von dir vielleicht, weil du immer gar so ein Einsehen übst an deinen Schuldnern, weil du dein ganzes Leben lang so viel lieber geschenkt hast als genommen? … Oder von ihm vielleicht, den du zu meinem Herrn Papa ausgesucht, der da fein in der Kalesche spazieren fahrt, seiner ehelichen Brut Reichtümer hinterlassen wird, Schloß und Park und Wälder, vielleicht noch eine Fabrik? … Von dem alten Blutsauger, der nur grab einmal in seinem Leben der Dümmere gewesen, nicht ganz so gerieben und durchgetrieben wie du! … Und dann, das gewöhnt man sich ab.« Er sah durch den Kneifer prüfend gegen das Licht. »Gründlich und gut gewöhnt man sich's ab. Tjaja, die verdammte Schule und das Lesen und Lernen! … hab ich darum gebeten, ums Geborenwerden, um das Studieren, ums Unglück! … Jetzt hast mich, wie ich bin; willst mich los sein, den unbequemen Bankert, den Erpresser, deinen eigenen gelehrigen Schüler: zahl. Zahl mich aus. Bitte.«
Sie wand sich, sie erstickte, sie bezwang sich. »Aber Branko, Branketz, wer spricht von Lossein, von Ledigseinwollen, von dem? Mußt doch verstehen, wie ich's mein und warum!«
Er putzte mit zugespitztem Streichholz an seinen Fingernägeln. »Oh, sehr gut sogar; versteh ganz genau, wie und was du meinst; seh es vollkommen ein. Darüber sind wir uns ja schon einig geworden …« Gemacht nachlässig, unter gelangweilt hochgezogenen Lidern sah er aus seiner Beschäftigung auf. »Aber: solches Verständnis will eben bezahlt sein. Teuer bezahlt sein. Wie alles auf der Welt, nicht wahr. Also gib nur, gib, gib, gib.« Er münzte unsichtbare Dukatenreihen über die Tischfläche hin. »Zehntausend – sagen wir, weil du's bist, neuntausend Gulden. Je eher desto besser. Sonst kommen die Zinsen, vierzig, sechzig vom hundert, wie du sie nimmst.«
Die Horvatitschka, zwischen ringenden Gebärden und ohnmächtig schnappendem Widerspruch, schickte nur noch hilflose Blicke zur fliegenbesäten Decke als Himmel. »Mein Gott, mein Gott! … Was soll man tun mit einem Wahnsinnigen?«
»Ihn abschieben,« fuhr der Sohn trocken fort; »dann bist frei, dann verschwindet der lästige Branko Katič oder Horvatitsch, oder wie ich schon die Ehre habe zu heißen, für wahrscheinlich immer aus dieser Gegend, dann blühen Geschäft und Gewerb … Blühen zwar auch so …«
»Und willst du mir vielleicht freundlichst sagen, woher ich das nehmen soll?« fragte sie schmelzsüß; »wenn du mir das verraten kannst – –«
Er pfiff belustigt auf. »Dorther, wo du's hingetan hast, sehr einfach, wirst schon wissen.«
»Was hingetan?«
»Das. Das, was du selber genommen hast – –«
Sie schnellte zu. »Genommen, was genommen, wem genommen? …«
»Abgenommen hast,« betonte er sachlich; »und jetzt wieder herausnehmen sollst. Sagst doch, es wär nur für uns? Also.«
»Wem abgenommen? Was redst du, Narr? Ich, eine ehrliche, alte Frau – –«
Er winkte ab. »Geh, geh, wozu die Komödie? Bin ich einer von denen? … Aber gut, ganz wie du willst. Ich bleibe und hole mir Zinsen und Zinseszinsen. Dein eingeborener Sohn und gelehriger Schüler. Müßtest eigentlich deine helle Freud haben an mir.«
»Dem Satan sein Sohn bist und Gesell, dem leibhaftigen Satan seiner …« Sie riß wild eine Lade auf und warf ihm mit vollen Händen die blindlings zusammengeraffte Losung der ganzen Woche hin.
»Da, nimm! … Verlump's, versauf's, vermenscher's, richt dich zugrund damit, krepier, sei verflucht! … Daß ich nur nichts mehr seh von dir!«
Er lächelte höhnisch gelassen. »Schönen Dank für den mütterlichen Segen und frommen Glückwunsch. Das eine, das mit dem Krepieren, wird schon irgendwann kommen. Wirst dich aber vorderhand oft noch an meinem Anblick weiden und mit mir unterhalten müssen. – Wie die Dinge stehen …« Er zählte Münze und Zettel nach. »Satan also heißt mein wirklicher Herr Papa, Satan also; könnt stimmen, wird ja von ihm erzählt, daß er mit Hexen … Zweiundneunzig Gulden vierundzwanzig Kreuzer, schau, schau. Die zwei falschen Guldenzettel schenk ich dir gleich zurück, die häng wem andern an. Für zehn Tage reicht's. Das sind so die lieben kleinen Zinsen. Sechsunddreißigmal im Jahr sagen wir neunzig Gulden macht dreitausendzweihundert und etwas. Also zweiunddreißig Prozent erst von zehntausend. Du tätst dich mit vierzig nicht begnügen. Siehst, wie gut dagegen ich noch bin.«
»Gut!« Aufheulend mit roten Fäusten fuchtelte sie auf ihn ein. »Der Satan selber bist, verflucht sollst sein, verflucht mein Bauch, daß er dich empfangen und getragen hat! … Und was du nur immer mit Zehntausendern hast und um dich wirfst! … Du, der du noch nicht einmal weißt, was ein einziger verdienter Gulden ist! … Zehntausend, Gott, in deinem himmlischen Reich, zehn–tausend Gulden!« … Sie griff sich an die Stirn, mit ganzem Arm trommelte sie auf den Tisch. »Ausrinnen sollen mir die Augen auf der Stell, wenn ich je in meinem ganzen armen Leben zehntausend Gulden beisammen gesehen hab, außer in der Kassa oder auf dem Steueramt! … Eigene zehntausend Gulden, Jesus nazarenischer …«
Kühlgeruhig unter ihrem Ausbruch ordnete und schied er Münze und Scheine. »Nein? … Hast dann eben wahrscheinlich kein Licht mitgenommen dorthin, wo sie zu finden sind … Geld, siehst, kann man fühlen, Licht könnt gleich zuviel zeigen – anderes – –«
Gäste kamen; der Herr Sohn steckte Silber und Papier gemächlich ein, griff sich noch einen Stapel Tabak und Zigaretten aus dem Wandschränkchen und ging mit frechem Polkapfiff und Stöckchenwirbel davon. Und das nächste Mal, nach kurzen Tagen der Ruhe, fingen Wut und Qual und Folter von neuem an. –
Erdrosseln hätte man ihn mögen, den Buben, Giftwurm, Skorpion. Erdrosseln, abgurgeln … Wie – –
Die Alte erschauderte.
Was wußte er? … Wieviel? … Woher? … Seit wann? …
Wo hatte er all das gelernt?
Einmal, in der ersten Zeit gleich nach seiner tausendmal verfluchten Heimkehr, hatte sie ihn bei Birsch und Hetzjagd auf die Ljubitza beobachtet, in verdächtig dringlich-vertraulichem Dämmerwinkelgespräch mit dem Mädel betroffen. Hastig riß die Umworbene sich los, er wandte sich frech gegen die Störerin.
»Spürst und steigst jedem so nach? Wie vertragt sich das dann mit dem Geschäft?«
»Die da laßt mir in Ruh!« befahl die Horvatitschka in heiser gedämpftem Zorn; »mit anderen mach von mir aus, was du willst, aber die, verstehst, geht dich nichts an.«
Er zischte durch die zerfressenen Zähne. »Ah! Wohl gar zur Besserung hier in deinem – Kloster? … Soll vielleicht in deiner Lehre eine Heilige werden?«
»Das bekümmert dich gar nichts. Was ich sag, das geschieht.«
»Können wir ja probieren, ob. Ich bin nämlich so ziemlich mündig.«
»Zwanzigmal von mir aus. Nach Stojdraga hinauf geh, zu den Walachinnen, da frag ich nicht danach. Aber hier in meinem Haus, da schaff vorderhand ich.«
»Ah, verstehe! … Aufs Eis gelegt für vornehmere Gäste?« Er zog die Geldtasche. »Darf ich vielleicht zum voraus bezahlen? Was ist die Taxe?«
Sie trat dicht vor ihn hin.
»Du bist nicht mein Gast, das weiß leider ein jeder. Und grad als der und das, was du bist, sollst dich nicht mit so einer abgeben. Wenn sich das herumspricht, wie schaut das aus?«
»Und wie das, was sich längst herumgesprochen hat? Sehr viel besser, glaubst? Wenn ich schon einmal aus dem Konfin zu stammen die Ehre hab … Kommt wohl nicht mehr viel drauf an …«
»Und ich leid's nicht und basta. So eine bildet sich gleich was ein.«
»Denkst, ich wüßt nicht mit umzugehn? … Wär nicht die erste von der Sorte …«
»Danach siehst mir auch aus.«
»Dein und eines entsprechenden Herrn Vaters Sohn.«
»Gleich hast mir nach solchen ausgesehen. Gleich am ersten Tag.«
»Hätt auch lieber mit schönen Millionärstöchtern Verhältnisse gehabt. Ein armer Bankert – –.«
»Nur dazu hast für teures Geld studiert, daß du das mir zum Dank ewig unter die Nase reibst?«
»Hättst dir's ersparen können, dieses teure Geld, hättst mir's lieber so gegeben, wär gescheiter gewesen. So was studiert man nicht weg aus seiner Haut; auch das lernt man aus den Büchern. Von wegen So einer und Solchen.«
»Wirst hoffentlich wohl noch einen Unterschied machen zwischen deiner Mutter, die dich getragen hat, und so einer Flitschen, einer Haderschlampen für die Gäste?«
»Warum? Sie ist jung, du bist's einmal gewesen. Wird auch einmal reden wie du, wenn sie alt und fett geworden ist.«
Der Horvatitschka zuckte es in der Faust.
»Und ich verbiete und duld es nicht, und damit fertig. Hier im Haus wenigstens halt auf deinen Stand, zu dem ich dir geholfen hab, und auf den meinen als Frau! Könnt ich grad noch brauchen, daß so eine frech wird gegen mich.«
»Wird sie ohnehin von selber werden, und wenn sie's tut, nicht ohne Grund. Mein angeblicher Herr Vater, hat der in eben diesem Hause gar so viel auf seinen Stand gehalten?«
Die Alte stampfte mit breitem Filzschuh auf.
»Mußt du Rotzling es durchaus haben, das letzte Wort? Jag ich sie halt davon, damit hat's ein End, kannst nachreisen.«
»Ja, ha, gelt, das wär dir so ein gefundenes Fressen? … Aber da sei du ganz ruhig, den Gefallen erweis ich dir nicht; um die nicht und keine andere. Dazu gefallts mir viel zu gut hier in der lieben Heimat.« Zum Gehen gewendet klopfte er die bös Zurückweichende gönnerhaft auf die feiste Schulter. »Wird schon auch die Nächste grad kein Besen sein, da verlaß ich mich drauf, dazu hast dich selber zu lieb. Aber – – was den Rotzling angeht, verstehst: über den rechnen wir noch extra ab. Damit dir mein letztes Wort im Gedächtnis bleibt.«
Mit giftiger Lache und gefährlichem Streifblick, häßlich fahl unter den unreinen roten Blüten auf Stirne und Kinn, kehrte er der Mutter den Rücken. Draußen, vom Pergel die Treppe hinunter, gellte sein unbekümmerter schmutziger Gassenhauer; hinter ihm her drohte die fette siederote Faust. –
Und die Ljubitza blieb, und der Heimsucher kam, und der liebe einträgliche Konfin wurde der Horvatitschka zur Hölle.
Wie hatte man früher so schön seine Ruhe und sein fröhliches Geschäft da gehabt, jahrein, jahraus in stetem Gedeih ohne Sorge! … Und jetzt – –
Alles nur wegen dem da! … Dem Bankert …
Was wußte er, der unheimliche Satan? … Wieviel? Woher? … Seit wann? …
Und – wie konnte man – – –?
Aber natürlich, so was mußte dann ja auch noch pünktlich dazukommen:
Da saß ein Mensch im heißen weißen Staubmittag vor dem Hause, hohl und hager, mit dünnem, morschem wie aufgeklebtem Totenhaar und vermodertem Bart, mit ringender Brust und eingesunknen wilden Sterbensaugen, ein Mensch, den sie wohl kannte, den sie längst erwartet und befürchtet und vor dem sie nun doch bis ins Blut erschreckt zurückstarrte, ein Gespenst …
*
Auf dem Schlosse hatte der alte Grabert sich zwar nicht erholt, doch aber seine Ruhe, seine dämmerig aufgehellte Abendruhe gefunden.
Daß es für diesen abgezehrten, von Arbeit, Darbnis, Krankheit und Gram ausgehöhlten Körper keine Genesung gab, das erkannte der heilkundige Graf selbst, und der beigezogene Hausarzt bestätigte ihm kopfschüttelnd das Urteil.
Immerhin, nun hauste er in einer sauberen sonnigen Kammer, der Alte, täglicher Überfluß an Milch fristete ihn in seinen schwachen Kräften, an warmen Tagen saß er auf der verwitterten Steinbank vor der Schloßbrücke oder vor dem Waldkirchlein zur heiligen Anna, lauschte dem tiefmächtigen Frühlingsbraus der goldgrünen Fichten, sah den Spielen der Schwalben, dem Schweben der roten Turmfalken zu und spann für sich sein graues brüchiges Garn.
Die anderen wollten ihm ja nicht zuhören. Sie wichen ihm aus; sie tuschelten und deuteten hinter seinem Rücken; sie verlachten ihn mit seiner Not und seinem lästigen Leid. Recht hatten sie; was ging er sie auch an, der unverwünschte Kostgänger, der Müßige unter ihrer aller Arbeit, der fahle dreizehnte Gast? … Er mit seinem todkranken Aushauch, er mit seinem Vorwurf gegen die ganze Welt! … Leben und lieben, das wollten die; er aber grollte und grübelte und starb.
Und überhaupt, die Menschen alle miteinander: soweit ihre erste lüsterne Neugier, soweit gerade reichte ihre Teilnahme; über deren Befriedigung hinaus nicht eine Spanne, nicht einen Schritt.
Der Herr Graf, ja, und auch die Frau Gräfin, und das junge Fräulein Komtesse, die waren wirklich gut, die hatten Geduld mit dem Kummer eines alten siechen Mannes, der sein ganzes dumpfes Dasein lang nichts getan als gefront und gefrettet, entbehrt, gehofft, verzweifelt und verloren …
Leicht gut sein freilich aus solchem Glücke heraus, von solcher Höhe herab, unverbittert, ungekränkt, unenttäuscht von Gott und Glaube … Nicht einmal besonderes Verdienst, dieses bequeme Wohltun, sondern eine Pflicht, eine kleine Zahlung nur auf die große Schuld …
Wenn man das so ansah und verglich – war es denn nicht eine empörende Ungerechtigkeit: durch den Zufall seiner Geburt lebenslang in weitem, warmem Schlosse der eine, im Überfluß seiner Güter, sorglos umgeben von den sorglosen Seinen, gekühlte Würzluft dieser seiner Parkwälder atmend; der andere durch das Unheil angestammter Armut in finstere feuchte Schlucht verbannt, von freudloser Jugend auf gehungert und geschunden, all seinen Lebensadern in schillernd aufblähenden Glasfluß verblasen, dörrenden Schmelzglast Tag um Tag, jahraus jahrein in wunde Brust eingesogen, die Heimat gelassen, die Fremde ertragen, für all das sein schmales Brot noch verloren, sein Brot, seine Lieben, eins nach dem anderen, seinen Gott, sein Vertrauen, den morschen Boden unter den Füßen … Nur, weil man schuldlos, ungefragt ins Elend geboren worden … Wo gab es da einen Himmel, wo eine gütige Allweisheit, Allbarmherzigkeit, Ungerechtigkeit? …
Alles Betrug. Alles brüchiges Glas. Spiegelglas.
Und dann noch eins, das Letzte, das Schwerste: die Berta. Die Berta.
Aber er meinte es ja gut, der Herr Graf; für seine Herkunft und sein Erbe, daß es ihn gerade auf Flaum gebettet und andre auf Disteln, dafür konnte er schließlich auch nichts.
Jener nicht und er selbst nicht, keiner von beiden, arm und reich, war das Schicksal.
Nicht zwar mit Gott, doch aber mit Kirche, Priester und Gewohnheit hatte der alte Grabert seinen Frieden gemacht. Nach vielen heidnischen Jahren die erste heilige Messe in Brokat und Lichterglanz, nach vielen finsteren verbissenen Lästerungen in Sünd und Gift die erste Beichte und der sühnende Leib des Herrn … Der Kaplan da mit seinem lateinischen Spruch und Segen, der blasse Bissen geweihten Brotes, gaben sie ihm sein Kind, sein letztes zurück? …
Die Berta. Seine Berta.
So hübsch, so fein und rein, blank und buselig war sie gewesen, der Mutter nachgeraten mit ihrem dunklen schimmernden Haar und den klaren tiefen Augen, ein Wunder unter all der krüppligen geblähten Brut da hinten in der gruftigen Schlucht … Und dann kam das Ende von Werk und Lohn, dann konnte er sein Volk nicht mehr ernähren, dann hieß es eines Tages, in der Stadt, in Agram drunten gäbe es Nachfrage und sicheren Verdienstes genug. Beim Konfin das Tal hinunter musterte eine behäbige vertrauenswürdige Alte das saubere Mädel an, einige seltene Briefe brachten Nachricht von gutem Ergehen und leichtem Brot, dann noch einmal ein kurzer Weihnachtsgruß mit einer Photographie aus Esseg, ein verwehter Osterwunsch aus Csakathurn oder Nagy Kanisza oder irgendsolcheinem ungarischen Nest, und von da an nichts mehr. Nichts, wie abgeschnitten. Keine Zeile, kein Wort, keine mündliche Botschaft. Aus.
Die anderen starben weg, die Mutter schwand dahin in Gram und Schwäche, sie alle ruhten geborgen in der einzig barmherzigen Erde – das kleine, glattbläulich schimmernde, geknickte, befleckte Bild nur blieb, und die Erinnerung, die Sehnsucht, die Unruhe.
Die Berta. Seine Berta.
Und nachdem er Hunderten schon in banger törichter Hoffnung das arme Bild gezeigt, nachdem er von Hunderten nichts anderes erhalten als ein Achselzucken, ein flüchtiges Lob, einen leeren gedankenlosen Trost, behielt er es ganz für sich, für seine einsamen verrieselnden Stunden zwischen aufwürgender Bitterkeit und Ergebung.
Fein, fein war sie geworden, nach dem, wie sie sich da zeigte in ihrem noblen Kleide vor dem betroddelten Samtvorhang; voll und groß, und wie sie lieb und zufrieden lächelte, und ein Ringelchen blinkte auch an ihrem Finger … Wohl Geschenke das, Gewand und Schmuck, dergleichen kann ein Dienstbot sich nicht zusammensparen; mußten schon gute, wohlhabende Leute sein, bei denen sie untergekommen, ein wahrer Segen … Vielleicht gar hatte sie inzwischen geheiratet, einen Herrn oder einen Beamten, und schämte sich jetzt vor dem Manne ihrer armseligen Herkunft; war am Ende schon Mutter gesunder, hübscher, runder Kinder, Frau und Meisterin in einem sorglosen, blitzblanken, gedeihlichen Haushalt … Möcht es ihr an Leib und Seele lebenslang besser ergehen als ihren Eltern; und wenn sie dabei nur glücklich war, ehrlich und brav, dann seien ihr Schweigen und Schmerzen verziehen …
War ja all das nun bald überstanden; konnte lange nimmer währen, dann war auch er daheim in der allbarmherzigen Erde, bei den Seinen …
Vielleicht auch bei ihr? … Wer wußte, ob sie nicht gestorben? … Besser immerhin als verdorben, tausendmal besser als schleppendes Elend, Krankheit oder Schande …
Ja, die Berta; seine Berta. –
Aus der Heimat her verstand der alte Grabert sich auf die geduldsame Kunst, Christi Leiden, Kreuz, Leiter, Speer, Hammer, Nägel, Schwamm, Dornenkrone, Geißel, Schweißtuch, Würfel, Rohrzepter samt Petri Gockelhahn, zierlich geschnitzt und säuberlich geordnet, in einer enghalsigen Glasflasche zum Gedenkmal der Schädelstatt aufzubauen, ein schwieriges bängliches Wunderwerk. Nun die gräfliche Familie über Wochen verreist, meinte er mit solch überraschendem Schaustück an das Fräulein Komtesse oder die Frau Gräfin einen Teil wenigstens seiner Dankschuld abzuleisten.
Beim Schloßtischler versah er sich mit schneidsamem Schwarzlindenholz, aus dem Bestand der Rumpelstube mit einer geeigneten Flasche. Langsam im durchwärmenden Sonnenschein der Kammer, von häufigen, das ganze Spiel gefährdenden Hustenstößen unterbrochen, mit Drahtschlingen, Messer und dünnem Leim rückte die halbverlernte, entwöhnte Arbeit vorwärts. Gedanken und Wünsche hatten nebenher ihren eigenen Weg, oft stürzte die mühselige Gruppe ein, eines der zarten Martergeräte zerbrach, mußte behutsam aus dem Hauf herausgefischt und durch neue Nachbildung ersetzt werden, und über solcher Hingabe vergaß man doch auch wieder wohltätig seiner vergänglichen irdischen Leiden und Süchte.
Jetzt nahte schon die Heimkehr der Herrschaft; aus dem Flaschenhals ins Innere der wölbig umglasten heiligen Folterkammer hinein stand an schmalem darübergelegtem Steg hangend das Kreuz mit aufgeleimten Schweißtuch und Dornenkranz in der Vierung, Leiter und Lanze, schwammspießender Speer und Rohr lehnten in gut gefestigter Ordnung gegen die Balken, nach dem früher bereits umsichtig eingebrachten Gockelhahn tauchte jetzt an all dem heiklen Gestänge vorbei die Drahtzange in der Rechten, der lange dünne Klebepinsel in der Linken, auch ihm seinen Sitz im Altargebild auf der Leitersprossen einer zu bestimmen: – da ging die Türe, und herein trat, von der mißgelaunten Leutköchin gewiesen, Emil Eiselt, der Former, frech, falsch, faul, ein Steiger und Säufer noch mit seinen alten elenden Jahren, unter allen Landsleuten und Schicksalsbrüdern in der finsteren Hütte drin seit jeher der mindestbeliebte.
»Guten Tag, Grabert. Mußte doch einmal nach dir sehen, nicht wahr. Dir geht's gut. Fein, fein, so möcht man's auch überm Kopfe und unterm Hintern haben.« Er sah sich bewundernd in der kahlen hellen Kammer um und deutete dann spöttisch überrascht auf die eingeglaste Passion. »Na, was denn das? Als großer Herr von Grafen Gnaden willst du hausieren gehen?«
Unwillig und doch erfreut über die sonst verschmähte Ansprache hatte der Alte seine Arbeit unterbrochen; behutsam schob er das werdende Werk außer Bereich.
»Man muß sich irgendwie beschäftigen. Für das Fräulein Komtesse oder die Frau Gräfin, verstehst du. Ich habe doch hier einen schönen Austrag umsonst.«
Eiselt nickte oberflächlich. »Wie du meinst.« Er hockte sich krumm auf die ärmliche Koffertruhe an der Wand. »Erlaubt doch? … Ja, der Himmel ist's freilich da für dich, im Vergleich zu drinnen …«
Der Kranke seufzte. »Ja, ja. Schon, schon. Ein Himmel von ehrlicher, sicherer Arbeit und Gesundheit wär mir aber doch lieber.«
Der Former ließ seine unsteten Augen wandern.
»Geschmackssache. Ich bin mehr fürs billige, wenig schinden, gut leben, bald verrecken … Nämlich – wenn man all die Gebäude und Meierhöfe und was weiß ich, da draußen sieht: im Grunde könnte dein Herr Graf uns alle miteinander bei sich bequartieren. Ganz bequem sogar; gerade und genau so gut wie dich.«
Vater Grabert hustete mißtrauisch erregt. »Bist du vielleicht deshalb gekommen?«
Der andere lachte heiser auf.
»Wär dir wohl gar nicht recht, was? Ja, ja, Kameradschaft! … Nein, deswegen bin ich auch nicht gekommen.« Er sagte es mit lauerndem Nachdruck. »Ich meine nur.«
»Könnte auch nichts dagegen haben und hätt nichts dagegen. Du verstehst nicht. Der Herr Graf, wie ich ihn kenne, wär bald dazu imstande. Aber böses Blut gäbe das.«
Eiselt pfiff auf dem morschen Zahnstumpen. »Versteh ich sehr wohl. Die Herren und Damen Dienstboten! … Merkt man, weiß man gleich. Die sauren Gesichter, wie ich drunten nach dir gefragt hab! … Denken vielleicht, ich bin der zweite.«
Der Alte faltete die mageren Hände. »Kein Wunder, schließlich kein Wunder. Ein Überflüssiger, der sie nichts angeht; ein Fremder, unheimlich und zuwider.« Er lenkte ab. »Der Herr Graf, der wäre sowieso nicht zu Hause. Und ihr?«
»Wir? Ha.« Eiselt rückte mit der Koffertruhe unter sich näher an den Tisch heran. »Wir? Heißt jetzt so etwas von Abschub und Verteilung … Vielleicht, daß die neue Stockfabrik ein paar übernimmt, ein paar auch die Ziegelei gegen Samobor hinunter … Der Meixner und der Koulhanek, stell dir vor, haben sich zur Straße verdungen, brechen und kratzen Steine … Hunger her oder hin, ich tu da nicht mit; lieber noch einmal einen Bombenrausch, und dann gleich ganz krepieren … Aber was ich eigentlich hab sagen wollen …« Er stand auf und zerrte die Koffertruhe in vertrauliche Nähe heran, »Was ich hab eigentlich sagen wollen –«
Vater Grabert hob abwehrend die Hand. »Sag's schon lieber nicht. Ich hab kein Geld, Eiselt; ich hab einfach keins. Und wenn du mich und meine Habseligkeiten da umdrehst. Ich hab's nicht.«
Der Former spitzte nachdenklich die Lippen.
»So; also nicht? Schade; ich dachte. Kannst dir auch keines beschaffen?«
»Beschaffen, woher?«
»Nun so, von den Leuten hier. Pumpen, Wie ich von dir.«
»Wo denkst du hin, Eiselt? … Bist du ganz …? Das fehlte noch zu allem anderen. Das wär das Schönste.«
»Gott, Gott, wäre schließlich nicht gar so was furchtbares. Na, dann also auch das nicht, schön, schön. Ein verflucht heißer Sommer nämlich; und der viele Kalkstaub vom Straßenbau; und grad vor die Nase hin haben sie uns die Kantine gebaut … Aber nun, was ich eigentlich habe sagen wollen; und weswegen ich eigentlich gekommen bin …« Der Besucher räusperte sich. »Du, Grabert, hör mal: – du hattest da doch immer so eine Photographie.«
»Photographie?« Der Alte erschrak, »Was für eine Photographie?«
»Na, die gewisse. Du weißt schon. Ich will dich nicht kränken, nicht wahr.« Der Former starrte wie rücksichtsvoll überlegend zwischen seine Knie hinab und spuckte sorgfältig aus. »Ich meine: – hast du die noch?«
»Warum?« Der Kranke zitterte vor Aufregung, »Wie – wie kommst auf einmal du darauf?«
»Nun so. hast du sie, hier bei der Hand? Dann gib doch einmal für einen Augenblick her, ja?«
»Ja, aber … Nu freilich, im Koffer da, grad unter dir … Aber nur, sag einmal, wozu? … Ich verstehe gar nicht …«
Eiselt erhob sich sogleich. »Gib nur er her. Bloß einmal etwas sehen.«
Schwer atmend, mit flattrigen Fingern, kramte Grabert in der aufgerissenen Truhe. Der Mensch da mit seinem verkniffen lauernden Gesicht, was wollte er nur, ihn narren, ärgern, quälen, ängstigen? … Das obenauf gleich gefundene kleine Heiligtum schon in Händen, zögerte er zurück.
»Hör, Eiselt, man hat mich schon so oft … Du mußt begreifen … Sag doch wenigstens …«
»Geh, nu mach keine so langen Geschichten. Gib.«
Herrisch, höhnisch entriß der andre ihm das Bild; nach flüchtigem Blick warf er es verächtlich aufpfeifend beiseite.
»Natürlich, wie ich mir's gleich gedacht hab. Stimmt.«
»Was? … Was stimmt?«
»Das, wovon ich mich hab überzeugen wollen. Stimmt. Man hat doch seine Augen.«
»Ei – Eiselt! … Du – du – weißt etwas von ihr?«
»Kann schon sein.«
»Eiselt!«
»Ja, ja. Schöner Eiselt, lieber Eiselt, guter Eiselt. Haha. Mehr weiß ich von ihr, als du von mir wissen willst.«
»Weißt von ihr …«
»Von ihr und über sie.«
»Lebt?«
»Lebt? … Und wie sie lebt!«
»Eiselt!«
»Und nicht einmal weit von hier!«
»Eiselt!«
»Ganz nahe sogar!«
»So heiße ich. Ja. Bisher vermutet, und jetzt weiß ich's bestimmt. Kein Zweifel.« Der Former schlug den Koffer nebensächlich zu, rückte auf wieder eingenommenem Sitz noch vertraulicher heran und deutete dem fassungslosen Alten mit spitzem Finger aufs Herz. »Und das ist's, weswegen ich also eigentlich gekommen bin. Gehst doch gleich hinunter zum Vater Grabert, hab ich mir gesagt, und erzählst es ihm brühwarm. Ich, Emil Eiselt, jawohl. Ich bin nämlich nicht so.«
»Mein letztes bißchen Leben lang werd ich's dir danken, Eiselt – –«
»Bitte, bitte. Keinen Dank für erfüllte Pflicht. Und da du schon keinen Viertelgulden für mich übrig hast … Aber wie gesagt, ich bin nicht so, nicht wahr. Also da hast du alles beisammen: lebt, lebt sehr frisch und fröhlich sogar, nicht einmal weit von hier, sondern ganz nah, und – – wenn du willst, kannst du sie in einer Stunde haben, sehen und – –«
Der Kranke krallte ordentlich nach der Hand des anderen. »Wo? … In einer Stunde! … Ich bitt dich, Eiselt, ich bitte dich: wo?«
Jener lachte überlegen. »Tja! … Da wirst du dich doch noch stark wundern, wenn du das erfährst! … Kennst ihn gut, den Ort … Bist in deinen besseren Tagen oft genug da gewesen … Bist vielleicht sogar vor ein paar Wochen erst an ihr vorübergefahren; wenn sie damals schon dort war …«
»Eiselt! …«
»Ja. Vielleicht auf keine zehn Meter, geh, was red ich, auf keine sechs Meter an ihr vorübergefahren … Ein Ort also an der Straße; ein einzeln stehendes, einsames Haus … Grabert! … Kommst noch immer nicht drauf? … Soll ich dir's sagen? … Beim Konfin ist sie, bei der Horvatitschka! … Wenn du's selber nicht errätst. Bei der Horvatitschka.«
Der Alte starrte betäubt. »Beim Konfin? … Bei der Horvatitschka? … Dort, bei der?«
»Ja. Hab's selber nicht gewußt, bis vor ein paar Tagen. Jetzt, wo sie die Kantine aufgestellt haben, kommt man noch weniger heraus aus dem Loch. Und weißt, wer sie zuerst erkannt hat? Der Meixner. Der mit seinem Wochenlohn von der Straße ist hinunter zum Konfin, sich einmal einen besseren Sonntag machen, und wen findt er da rund und fett als das neueste Fräulein Nichte? … Kennst sie ja, die Kunststückln von der Alten, immer nur alles in Ehren und unangreifbar, war damals schon so und ist so noch heut … Hast ja grad durch sie, wenn ich mich recht erinner, das Mädel in Dienst gebracht? … Hat natürlich zum Meixner ganz fremd getan, die feine Madmasell, ditto zu mir; geht überhaupt, daß du's weißt, unter anderem Namen, Ljubitza scheint mir, oder so irgendwie; stellt sich, als ob sie überhaupt kaum ein Wort Vaterdeutsch verstünd … Aber da laß ich mir nichts vormachen, nicht wahr; und jetzt nach dem Bild da erst recht nicht. Also sie ist's.«
Grabert wiegte benommen, verstört, verloren den dünnbehaarten Kopf; hohl arbeitete die Brust, Lippen und Nüstern rangen. »Aber ich verstehe das nicht; ich verstehe das alles nicht. Geht unter anderem Namen?«
Der Former stand auf, trat ans Fenster, machte sich mit dem fortgeschobenen, vergessenen Passionswerk zu schaffen. »Nu ja; nu also sieh her, Grabert – –«
»Tut fremd zu dir und zum Meixner, alten Bekannten in der eigenen Heimat …«
»Tja, Gott, weißt du, Grabert – also nämlich, das wirst du doch wissen – –«
Der Kranke, taub vor steigender Erregung, ließ nicht ausreden. »Und vor allem: kümmert sich nicht um mich – sucht mich nicht auf – fragt nicht nach mir? … hat sie denn nicht wenigstens nach mir gefragt?«
Eiselt winkte ab. »Wohlweislich. Sieh einmal, Grabert – –«
»Hast ihr denn nicht von mir geredet? … Oder der Meixner?«
»Ich? Nein. Der Meixner, ich weiß nicht … Denn, versteh doch, Grabert, die Geschichte – –«
Der Alte sank schwerkeuchend zurück. »Dann ist sie's nicht. Dann kann sie's gar nicht sein …«
Der Former nickte kurz und überzeugt. »Ist's. Ist's. Du kannst dich drauf verlassen. Ist's. Wenn du mich nur einmal –«
Der Gequälte hob beschwörend die mageren Totenhände.
»Aber wie soll sie's dann sein, wie? … Die Berta, meine Berta, mein Kind! … Soll leben, soll heimgekehrt sein, soll hier sein in der Gegend, und nicht –«
Eiselt schlug mit ungeduldiger Hand auf die Tischplatte; im leis erklirrenden Flaschengehäus stürzte die zart verleimte Passionsgruppe zusammen.
»Grabert, wenn du mich bloß einmal wolltest ausreden lassen. Nämlich, zur Neuigkeit gehört noch so einiges dazu.«
»Einiges noch – dazu?«
»Ja. Wenn du den Reim auf Konfin und Horvatitschka nicht selber findest – –«
»Konfin – und –+?«
»Herrgott na. Soviel wirst du doch noch von früher her wissen, daß bei der Alten drin grad keine verhungert ist, im übrigen aber – –«
»Wie?«
»Nu ja. Ein Straßenwirtshaus mit seinen Gästen, nicht wahr. Und daß man da keine Rosenkränze betet – daß besonders die Horvatitschka ihr Geschäft aus dem Grunde versteht, schon darum, weil sie früher selbst – –«
Grabert sprang auf. »Du meinst doch nicht – soll das heißen, daß – –«
Der Former zuckte die Achseln. »Doch schließlich nichts dabei, nicht wahr. Wie wir selber noch junge Kerle waren … Nun, und begreifst du jetzt, da möchte sie doch lieber unerkannt, unter anderem Namen – grad auch um deinetwillen – so denk ich mir's …«
Der Alte wankte, die Faust auf dem Herzen.
»Eiselt: ist das – ist das dein Ernst?«
»Ernst, was Ernst. Ich sag dir's, wie mir's vorkommt, das Ganze, und sag dir's lieber gleich. Ein Beruf wie ein anderer, uns hergeben und hingeben müssen wir alle, der eine die Lunge, der andre das Herz, der dritte den Kopf … Was für eine Dienstvermittelung damals das gewesen ist, kann man sich an den fünf Fingern abzählen; und woher die Horvatitschka ihre hübschen Fräulein holt, wird auch nicht schwer zu erraten sein. Das hängt alles zusammen … Hier hat's ein Mädel ja noch golden gegen die Stadt, gesunde Luft, leichten Dienst, tägliches Brot … Ein Luder ist sie wohl, die Alte, das hat noch kein Mensch bezweifelt. Aber gescheit: – die Kuh, die sie melkt, schlagt sie nicht … Angenehmer Verkehr, Aussichten: ein junger fescher Jäger von deinem Herrn Grafen der Haupthofierant; ein Morlak vom Straßenbau der zweite Liebhaber; mit dem Sohn, dem Bankert von der Horvatitschka selbst – ein Herr Ingenieur, ich bitte, ja so verdient man im Konfin – wird auch fleißig sperenzelt … Glänzende Partie, Titel, Erbe … Auch der Jäger schließlich nicht ganz zu verachten; feste Anstellung bei deinem Herrn Grafen … Was tust du?«
Vater Grabert, halberstickt, wühlte wild in der Koffertruhe.
»Ich gehe.«
»Was? … Jetzt gleich? … Zum Konfin?«
Der alte Mann warf sich in seinen abgeschlissenen Rock. »Ja. Jetzt. In dieser Stunde. In diesem Augenblick.«
»Tja. Na. Ich will dir nicht dreinreden. Aber, du, Grabert: soll ich dich nicht vielleicht begleiten?«
»Kein Mensch. Keinen Menschen will ich sehen. Keinen, außer ihr.«
»Du, Grabert: es wäre am Ende doch besser –«
»Wenn ich sage: kein Mensch! Niemand! …Allein muß ich sein; ganz allein …«
»Tja; wenn du also nicht magst. Hätte ohnehin noch einen anderen Weg …«
Grabert stand bereit; mit fliegenden Fingern, den knotig gewundenen Wanderstock unterm Arm, faßte er den Former am Westenschluß.
»Eiselt! … Und jetzt, auf Ehr, Leben und Seligkeit, sag mir's noch einmal: das alles ist wahr, was du da gesprochen hast?«
»Soweit ich weiß wenigstens, soweit ich sehen kann: ja.«
»Sie ist's, meine Tochter, mein Kind, die Berta?«
»Das wollt ich jederzeit beschwören.«
»Sie verleugnet ihren Namen?«
»Rufen laßt sie sich anders.«
»Sie hat nach niemand gefragt?«
»Mich nicht.«
»Auch nicht nach ihrer Mutter? … Nach ihren Geschwistern? … Ob sie leben? … Wo? … Wo sie begraben liegen?«
»Mich nicht. Aber bedenk, durch die Horvatitschka wird sie ja alles sowieso wissen.«
»Und sie ist also mit einem Wort, was man so sagt, eine – –«
Eiselt wand sich. »Herrgott, nu ja, Grabert, so muß man's auch nicht gleich nehmen und nennen, nicht wahr … Wo sie doch schon daheim ihr Brot nicht gehabt hat, nicht wahr … Und wenn du denkst, bei uns selber dahinten in der Hütte, da ist auch manches …«
Der Alte, loslassend, setzte wie verloschen abgewendet hart den Stock auf. »Es ist gut. 's ist gut. Ich bin fertig. Geh.«
Der Former versuchte noch einen Einwand. »Grabert, solltest vielleicht doch lieber – jetzt, in der ersten Aufregung –«
Unerbittlich stampfte der Stock, »Fertig, sag ich. Fertig. Geh.«
Der andere gehorchte. Sorgfältig schloß Grabert die Kammer ab. Leiter und Lanze, Speer und Zepter, Würfel und Gockelhahn, schuldlos durcheinandergestürzt, blieben traurig vergessen und aufgegeben, bekrochen und umsurrt von einer eingedrungenen Fliege, im sonnenflinkernden Glasgehäus zurück.
*
Und nun saß er toderschöpft da im heißen weißen Staubmittag vor dem Konfin, ballte die kralligen Fäuste und rang mit seinem Gebläs, und die Horvatitschka, vom ersten sträubenden Jähschreck erholt, ließ alle Hähne süßester Säfte springen und überlegte in geübtem Doppelgangwerk von Wort und Gedanken fliegendschnell Abwehr, Ausflucht, Täuschung und Versteck.
»Jesus, der Herr Werkmeister! … Also wirklich der Herr Werkmeister, die Freude! … wie lange wohl hab ich den Herrn Werkmeister nicht gesehen? … Viele, viele Jahre nicht! … Aber bald hätte ich den Herrn Werkmeister gar nicht erkannt! … Jesus, na freilich, die bösen schlechten Zeiten, die wir haben überstehen müssen, alle miteinander! … Gott, Gott in deinem Reich!« … Hinten irgendwie hinaus mußte die Ljubitza fortgeschickt werden, ein Glück nur, daß nicht grad sie unversehens sich vor dem Hause gezeigt … »Gott, Gott ja in deinem Reich, nazarenischer Heiland! … Wie ich da herunterkomm' die Stiegen: wer sitzt denn da, denk ich mir, kennst ihn doch, den Herrn und kennst ihn nicht, hast ihn doch schon gesehen und kommt dir doch fremd vor …« Und daß die Ljubitza etwas hörte und erfuhr, mußte unbedingt verhütet werden, nicht einmal ahnen durfte sie's, wenn sie auch gescheit war, es konnte am Ende doch … »Und jetzt ist es wirklich der Herr Werkmeister Grabert, und wie viele Jahre haben wir uns nicht gesehen! … Ja, diese schlimmen Zeiten mit der Glashütte, Gott, Gott! … Und jetzt, wo's für die Alten zu spät ist, jetzt fangen sie von neuem an! … Geht ja mir grad so: jetzt, wo ich gebrechlich bin und keine Freud mehr hab an Geschäft und Leben, jetzt kommt die Straße, die ich früher blutig gebraucht hätt, jetzt! … Ja, ja, was haben wir zwei alles erlebt in dem Tal, der Herr Werkmeister und ich, Gutes und Böses! … Die alten Arbeiter sollen ausgewiesen werden aus der Hütte, wie man hört, ist denn das nicht eine Ungerechtigkeit? … Und der Herr Werkmeister, wie ich erfahren hab, ist jetzt beim Herrn Grafen auf dem Schloß im Austrag? … Ja ja, unser guter Herr Graf, nicht wahr; wenn der nicht wär, wenn wir den nicht hätten, was täten wir alle miteinander? … Und womit könnt ich dem Herrn Werkmeister aufwarten? … Der Herr Werkmeister bleibt doch ein wenig? … Daß wir doch einmal nach so langen Jahren von unseren Erinnerungen reden können, von damals! … Drüben vielleicht lieber in der Laube? Da ist's hübsch kühl und schattig von den Felsen her.«
Der Kranke, endlich seiner mächtig, hob den hohl eingekapselten, angstvoll starr stechenden Blick. »Wo ist – wo ist meine Tochter? …« Neue Stöße aus erregter Tiefe herauf lähmten ihn, wild zwischen Sticknöten bellte er hinaus, »Wo – wo ist – die Berta! …« Seine toten Augen in den bleifahlen Lidern rollten, die Finger griffen nach Luft. »Die Berta« …
Das war gefährlich. Da mußte sogleich etwas geschehen. Die Horvatitschka stand wie zerstreut, wie von einem anderen Gedanken beunruhigt auf. »Wie meint der Herr Werkmeister? … Jesus, wie es den Herrn Werkmeister aber hat! … Ja, die schlechten Dünste drin in der Hütte! … Der Herr Werkmeister muß nur für einen kleinen Augenblick entschuldigen, nicht wahr. Ich komme gleich wieder, nur soviel, daß ich die Milch wegstell vom Feuer, daß sie mir nicht überläuft und anbrennt … Immer noch hat man Arbeit auf seine müden Tag … Wird sich der Herr Werkmeister derweil ein bisserl erholen …«
Schwerfällig eilte sie. Den alten Zuwidrian da auf dem Halse, das konnte man grad zu allem übrigen brauchen! … Und der war imstand und belferte dem Grafen die Ohren voll, und dann kam einem gar noch der aufgerückt, mit dem Pfarrer vorn und zwei Gendarmen hinten! … Nichts, so leid es ihr tat, das Mädel mußte aus dem Hause; solange der unbequeme Verrecker da lebte, wenigstens. War vielleicht überhaupt gescheiter, schon wegen dem frechen Saububen, dem Branko; all das erwogen über die zwölf Stufen zum Pergel hinauf. War denn sie schuld? … Sollte sie jeder Agramer Vettel von Seelenfängerin die Beichte abhören? … Konnte sie dafür, daß das Mädel nicht ausgerissen, sondern bei ihrem Brot geblieben, dem Brot, das sie offenbar doch recht gut und mühlos genährt? … Daß die einmal auf dem Lande unerkannt, unbelästigt sich erholen, wenn die, vernünftig genug, von ihrem unnützen Anhang nichts wissen wollte? … Trotzdem, besser war besser. Unschädlich machen für den Augenblick, und dann unter irgendeinem Vorwand … Im Flur begegnete sie ihr. »Du, Ljubitza.«
Die Junge stand wie wartend. »Was ist?«
»Du, Ljubitza, ich hätt' einen Weg für dich. Ich mit meinen schweren Füßen, weißt ja …« Die Horvatitschka keuchte. »Zum Gevatter hinunter, wegen einer Fuhre morgen nach Sambor, wird dir doch nicht zu weit sein? … Du, Ljubitza, und was ich noch hab sagen wollen …«
Jene winkte nachlässig ab. »Strengt's Euch nicht an. Der Vater.«
Die Wirtin schlug sich die fette Hand vor den Mund. »Du weißt?«
»Einmal hat's kommen müssen. Und jetzt, nachdem die zwei von der Hütte da hereingeschnüffelt haben, der Meixner und der andre, der Eiselt – –«
»Und was willst machen?«
»Was? Nichts. Hinuntergehen halt. Ihn begrüßen und erledigen, fertig.«
»Erledigen?«
»No ja. Abfertigen. Glaubt's Ihr, ich fürcht' mich? Hab ich ihn in die Welt gesetzt ohne Salz und Schmalz, oder umgekehrt? Hab ich ihn hinausverdingt in die Stadt, oder er mich? Bin ich Rechenschaft schuldig? … Wem? … Ihm? … Also.«
»Recht hast freilich, hast ja schon recht, aber –«
»Was denn aber? … Braucht ein Arbeiter eine Frau zu haben und so viele Kinder zu machen, zu nichts anderem, als zum Hungern und Sterben oder Verderben? … Das werd ich ihm ins Gesicht hinein sagen, wenn er mir von der Seiten anfangen sollt; hab mir's längst vorgenommen.«
»Ja; ja; gut; wenn wir's bloß mit ihm zu tun hätten. Mußt aber doch bedenken –«
»Der Graf? … Dem von mir aus auch! … Ha. Geht's den was an? Roßfeigen und Dreck geht's den an. Kenn sie, die Herren Grafen. Meint's Ihr, da hätt ich Respekt? … Graferln und Barondeln genug in Csakathurn und Esseg beim Regiment, soviel eine ihrer gewollt hat. Auch nix anders und besser.«
Die Horvatitschka schlich flüsterleis auf den Pergel hinaus und spähte zwischen den Stöcken von Nelken, Rosenkraut und Rosmarin nach der sonnprallen, mittagseinsamen Bank hinunter.
»Dorten sitzt er noch immer, siehst ihn? Jetzt ist er still, aber wie's ihn vorhin geschüttelt und gehoben hat, Jesus, Jesus! … Siehst ihn?«
Ljubitza schürzte verächtlich den roten Mund. »Könnt's wirklich noch erwarten. Aber je eher je besser; damit er's einmal hört und weiß seinen Bescheid und laßt mich in Ruh. Ah was, ich geh gleich und mach's ab. Ihr?«
»Jesus nazarenischer! Wirklich willst?«
»Damit ein Anfang ist und ein End, ja. Hab mir so immer schon gedacht, daß es einmal kommt. Tut's Ihr Euch gar fürchten? … Was kann er denn, mich fressen nicht, höchstens – –«
»Fürchten, fürchten woher, ich mich fürchten, wann hätt ich mich noch je geforchten? Nur, man tut sich schwer mit so einem Hascher und Fretter, geschieht was, gleich könnt's dann heißen …« Die Konfinka seufzte. »In Gottesnamen. Wenn's ihn nur nicht wieder so grauslich packt, nicht zum Anhören, rein träumen könnt man davon. Na, werd halt ich zum Ganzen so ein bisserl einen Honig dazugeben, weiß schon wie, komm.«
»Zu was? Was brauchst da lang Umreden und Zuckern und Schmalzen? Ich selber, wie ich da bin, das ist das Einfachste und Beste; die harte Wahrheit, ist dir's nicht recht: Schluß.« Die Junge lachte bitter unbesorgt. »Und ich träum' auch nicht so geschwind. Bleibt nur Ihr, laßt's meine Sach sein.«
Entschlossen trat sie die erste Stufe hinab; allein die Horvatitschka hielt sie hastig zurück.
»Nein, nein du, wart. Wart. Nicht so. Das machen wir anders.« Sie räusperte sich laut. »Scheint gar, daß er eingeschlafen ist.« Sie hustete. »Herr Werkmeister!« Keine Antwort, kein Zeichen. »Herr Werkmeister Grabert! …« Der graue Gast, auf den Tisch vornübergesunken, blieb still.
Sie gingen rasch hinunter. »Da, und nun bring ich dem Herrn Werkmeister eine große Überraschung … Eine große – –«
Die Konfinka ergriff den Schläfer an der Schulter. »Herr Werk–mei–ster! … Da ist jemand, der …«
Der Körper fiel schlaff zur Seite; der Blick starrte verglast; der hohle Mund klaffte.
»Jesus, du!« Die Alte, jäh zurückgeprallt, wies stockend nach dem Toten. »Du! …«
Die Ljubitza nickte gelassen. »Ja. Ich seh. Hab's eher noch gesehen als Ihr. Ist halt anders gekommen. Was will man?«
»Himmlischer Heiland, nein, also so was, so was. In dieser Zeit, diesen drei Augenblicken; wo's keine fünf Vaterunser her ist, seit was ich mit ihm … So was, so was …«
»Warum nicht? … Immer, überall, wo's und wann's einen grad trifft … Alt; krank; der Weg; die Aufregung … Gott na – bleibt uns allen etwas erspart …«
Die Horvatitschka, Arme in die Hüften gestemmt, wackelte ratlos mit rotgedunsenem Kopf.
»Wo erspart, was erspart? … Tot ist er. Was glaubst? Was jetzt? Das wird dir schöne Zuwidrigkeiten geben.«
Die andere schob geringschätzig die Schultern. »Woher? Weniger; gar keine. Jetzt kräht kein Hahn. Leb ja nicht auf falsche Papiere. Werd' halt meinen wahren Namen tragen, fertig. Mir liegt an nichts.« Verloren lächelte sie auf den schattig einfallenden Toten hinab. »Denkt's, ich hätt ihn überhaupt erkannt? … Mein Vater? Komisch. Wie ein fremder Mensch. Das Beste so für ihn; ihm ist geholfen und gut … Wenn Ihr eine Bettstatt hättet und eine Kerze, daß wir ihn derweil aufbahren? …«
*
»Madonna!« schrie Angelo Danielis und schlenkerte wütend die verletzte Hand; »bist du besoffen oder was, daß du nicht aufpaßt?«
Schorman stand in starrer Bestürzung. Sein schwerer Hammer hatte des anderen Hand vom Meißelschaft weg gegen den Felsen geschmettert. Sie blutete heftig und schwoll sogleich an.
Betäubt ließ Ilija die Schelte des Partieführers auf sich einhageln. Er schwieg, und seine Gedanken waren nicht einmal beim Geschehenen.
Ein anderer trat an den Bohrmeißel, Ilija Schorman nahm seine Arbeit von neuem auf. Er straffte sich zusammen und achtete genau auf den Fall des Hammers, aber es kostete ihn Mühe, die Augen offen zu halten.
Bleiern das Herz, schlaff und schläfernd die Glieder: mit Morgengrauen erst war er in das Arbeiterlager zurückgekehrt.
Jeder Schlag dröhnte wieder in seinem Kopfe; der eherne Rückprall drohte ihm den Schädel zu sprengen.
Stichgrad sengte die Sonne auf die ansteigende Trasse herab. Die Luft kochte zwischen den eisern durchglühten Bergen.
Heute Abend würde er die Flinte in ihrem hohlen Baume lassen; und morgen und übermorgen auch.
Fünf Gulden klapperten ja nun schon in seinem Schatz, fünf besondere Gulden. Dreie, die er für den ersten Bock und die gefundenen Hörner, zwei, die er gestern für das Reh erhalten hatte. Fünf Gulden, ein schönes Extrageld für einen armen Primurzen aus Grischane ob dem gesegneten Vinodol.
Höher oben an der Grenze, wo der Strich zwischen Stangen und Dickung gegen den Bergsattel stieg, hatte er die Ricke erbeutet. Aber das, nein, das würde er sobald nicht, würde er vielleicht sein Leblang nimmer vergessen …
Vertraut mit ihren zwei Kitzen zog die Geiß durch das Holz. Munter sprangen die fleckigen Kleinen hinter der Mutter her, stießen sie mit den schwarzen Nasen ins Gesäug: da brach der Schuß.
Das Reh flüchtete, wurde noch in Sicht des Schützen langsamer, krümmte den Rücken, trat mühsam weiter und tat sich nach schmerzlich unschlüssigem Stehen nieder.
Als Ilija hinzutrat, schnellte es auf und floh dumpf durch den Wald, in dem noch der blaue Qualm hing.
Aber nicht lange, so fiel es abermals in Schritt, zog den Rücken krumm und bettete sich.
Diesmal war der Wilderer vorsichtiger.
Das kranke Reh im Auge, lud er seine Flinte von neuem, setzte das rote Kapse! auf, schlich behutsam auf weichen Opanken näher und feuerte.
Die Geiß prellte hoch, aber auf die Läufe kam sie nicht wieder. Sie waren ihr unterm Rumpfe zerschmettert worden.
Schorman sprang vor. Die Lauscher steil zurückgesträubt, schleifte die Ricke sich über die Nadelstreu, setzte verzweifelt zum Sprunge an, brach jedesmal auf splittrigen Stümpfen ein … Die Kitze äugten aus der Nähe zu und riefen angstvoll mit ihren feinen Stimmchen.
Als nun der Wilderer sich dem Opfer auf den Rücken setzte, begann es gellend zu kreischen. Ilija zückte die Klinge und zog sie dem gemarterten Tiere durch den Hals, ein-, zweimal. Rot wälzte sich's über die hellbraune Nadelstreu. Die Arbeit war beendet.
Schorman ergriff die Ricke an den Läufen und zerrte sie nach der Dickung, begleitet von den dünnen Angstrufen der Kleinen. Wie er dann das Stück herumwendete, zeigte sich die Spinne strotzend prall, daß die Zitzen straff abstanden. Und immer noch schrien die Kitze mit ihren stechendfeinen Stimmen. Ein Häher warnte. Schorman packte die Geiß und floh tiefer in die schwüle Dickung.
Nein, eine Ricke wollte er nicht mehr schießen, oder eine solche nur, die keine Kitzlein führte. Das grelle Angstgekreisch des gequälten Tieres schrillte ihm in den Ohren, im Herzen nach; das scharfe Zirpen der Kleinen verfolgte ihn den ganzen Tag lang. Böcke wollte er fürder schießen, große, schwere, alte Böcke. Den Nebelbock …
Wie aber dann erst die zwei harten Gulden in seiner Hand klimperten, vergaß er aller Vorsätze.
Und vergaß mehr noch in dieser Nacht.
Eine schwüle, durstige Nacht, diese Nacht.
Fern über den Bergen spielte Wettergeleucht, fahlblauer Schein streifte die Wälder. Manchmal murrte es hinter den Höhen. Die Luft war still, kein Tau fiel in den Grund.
Als er gehen wollte, fand er, die er gesucht, die er all dieser Tage vor seinen Sinnen gesehen, die sich immer wieder vor seine Gedanken gedrängt. Und wenn er sich das weiße Haus mit der rebenumrankten Bogenlaube vorstellte, lag sie im Fenster und wartete auf ihn; lachte ihm mit ihren frischen Zähnen entgegen, lockte ihn mit dem Blick ihrer quellklaren feuchten Augen …
Komm – wir werden allein sein …
Nicht seine Duscha: die Ljubitza.
Nun war sie da.
Sie stand im schwülen Gewitterdunkel auf der oberen Treppenrast und schmiegte sich ihm wie von ungefähr entgegen.
»Willst wirklich den weiten, einsamen Weg nach Hause gehen? Es ist doch schon so spät. Es blitzt. Mitternacht.«
Er sagte nichts. Es fiel ihm gar nichts ein, was er hatte sagen können. Wellen purpurner Trunkenheit schwollen an ihm herauf. Einer Trunkenheit, die schwächte und doch erhob, lähmte und doch beschwingte. Er sagte nichts. Er stand wie ein schwerer, starker Baum, der das Wunder des Tausturmes an sich geschehen läßt und vom Aufdrang befreiter Säfte bis in seine Krone erschauert …
»Schau, bleib doch, du. Du gefällst mir. Mir ist so bang. Es ist einer gestorben, ein Toter gelegen hier im Haus vor wenigen Tagen … Bleib.«
Ilija Schorman blieb.
Eine Sommernacht – was liegt an einer Sommernacht? Was überhaupt am ganzen elenden Leben, an der Seele, am Tod, an der Ewigkeit? … Leben und Gestorbensein, Zeit und Ewigkeit, Seligkeit und Verdammnis, sind doch begriffen und beschlossen all in dem einen … Schon Gottes Wille so, daß er hierhergekommen …
Der Bach rauschte; Donner murrten; schwül im Gedüft schlug die einsame Nachtigall. –
Und nun stand Ilija Schorman am schweren Hammer, und der eherne Rückprall, Schlag für Schlag, drohte ihm den Kopf zu sprengen.
Das Gewitter war ausgeblieben, kein Tau gefallen. Lanzengrad stach die Hochsonne auf die ansteigende Trasse herab. Der Kessel der Berge glühte eisern. Die Luft kochte.
*
Mußten doch Wilderer um die Wege sein.
Auf dem Grenzstrich knallte es ab und an, bald im Abendgrauen, in blasser Vorfrühe bisweilen.
Trieben wohl im Ärarischen drüben ihr Handwerk, beruhigte sich Koschutnik. Aber dann wurde ihm die Unruhe verdächtig und er nahm seine Umwege über die gefährdete Gegend.
Die Umwege zum Konfin …
War vielleicht auch nur ein neuer Förster, der den Füchsen und Habichten die Pässe schärfer visierte.
Aber von einem solchen Wechsel hätte er erfahren müssen: dort, wo man verläßlich alles vernahm, wo alles irgend Geschehene abgeladen, gesammelt, besprochen und weitergegeben wurde, wo er jetzt häufiger und immer häufiger, täglich fast schon und ohne Scheu verkehrte, beim Konfin.
Warum auch nicht? Wo er nur seine Pflicht versah, Wald und Wild getreulich mit seiner Arbeit, mit seiner Lebenszeit diente, wen ging er solange etwas an? Niemand; auch den Grafen, seinen Herrn, nicht. Herrn? Wer Diener brauchte und bezahlte, war der gleich eines Menschen Herr? Und wenn schon Herr, war er seines Dieners Vormund? … Wo Pflichten, da auch Rechte; wo Tage, da auch Nächte … Zu Wald und Wild gehört nun einmal als drittes das Weib; das war so seit es Jäger in den Bergen gab und Jungfern in den Tälern, Schützen und Schürzen, Hahnspiel auf den Hüten und Rosmarein vor den Fenstern: und würde immer so bleiben und mit keinen Litaneien geändert … Und töricht auch noch nebenbei, dieser verbissene, blinde Haß gegen ein Haus, gerade nur, weil es ein Grenzwirtshaus war wie manches andere auch, und weil da vorzeiten vielleicht einmal irgend etwas geschehen … Aber wie so alte Leut eben verrannt sind, von keinem Punkt aus war das ganze Revier besser zu überschauen, zu überlauschen, überfühlen als grad vom Konfin: wie das fängische Spinnennetz aus der empfindlichen Ecke. Hier sogar noch, beim Wein mit den Fuhrleuten, in gutem Einvernehmen mit den Frauenzimmern, tat man auf seine Art Dienst, und nicht den dümmsten und schlechtesten … Viper, Kreuzspinne, hatte der Herr Graf gesagt, und was nicht weiter alles; mochte ja wahr sein, als ob sie ihr Leben auf Wallfahrten just und im Beichtstuhl zugebracht, danach sah die dicke Vettel, sah selbst die griffige, saftige Junge, die Ljubitza, und die schon am allerwenigsten, aus … Nun, war man eben gescheit, machte sich's zunutze, legte sich zur Schlange auf die Lauer, verkroch sich zur Spinne in den Hinterhalt; und wenn schon nichts anderes, so gab das auf alle Fälle einen Trost und eine brauchbare Ausrede. –
Eines Tages, eben auf Sankt Veit, als Primus längs der Grenze hinaufbirschte, trat ein Reh vor ihm weg. Er sprach es sogleich als guten Bock an; hoch über den Lauschern fackelten die eng gegeneinander gewölbten Sprosse.
Der Bock zeigte sich merkwürdig vertraut. Er stand lange unschlüssig in den braunen Stangen; schlug nur matt nach den Fliegen; trug das Haupt schwer und traurig gesenkt. Ein Abgekämpfter, der einen bösen Stoß erhalten? Noch war die Brunftzeit bei weitem nicht im Gange, ihrer fünf Wochen gut währte es noch bis dahin.
Primus birschte kunstgerecht heran. Nicht ein Reislein knasterte unter seinen leichten Sohlen. Allein solcher Vorsicht hätte es kaum bedurft. Der Bock äugte stumpf vor sich hin. Er schien sehr abgekommen zu sein. Jetzt tat er sich behutsam nieder, mühsam, als wollte er Schmerz vermeiden. Aber nicht lange hielt es ihn im schwülen Bette. Unter sichtlicher Anstrengung wurde er wieder hoch; nun stand er auf steilen Läufen da, den Rücken qualvoll gekrümmt. Koschutnik kam zu seinem Entschlusse. Der Bock war ohne Zweifel schwerkrank. Ruhig stieg der Lauf der Büchsflinte, noch einmal spähte der Jäger über Kimme und Korn halbschräg von hinten ins hohe Gehörn, dann brach der Schuß. Der Bock, auf den Halsgrat getroffen, schlug im Blitz zusammen.
Ein Hauptkerl, das sah Koschutnik auf den ersten Blick, als er überm Erlösten die kalte, blanke Patrone ins warmschmauchende Rohr schob. Engstarrende, lange und doch wuchtige Stangen, der rechte Kampfsproß wohl vierzöllig, die Rosen tief über die Stirnhöcker herabgeschmolzen. Aber wie sah das Stück aus: hohl, abgemagert, struppig, ein Jammergebild; keine vierzig Pfund wog es in der Hand des Jägers. Und nun entdeckte Primus auch die Wunde, das bräunlich nässende Schrotmal in der Flanke. Gehässig ballte er den Faustknorren gegen die Grenze: Aasbande!
Am liebsten hätte er den Bock verscharrt, Elendgeripp, das er war. Aber das ging nicht an. So schränkte er ihn auf und trug die freudlose Beute in Gottesnamen nach dem Schlosse hinunter.
Unterwegs rastete er beim alten Voglenz, dem herrschaftlichen Köhler, der in Bosnien drunten, wo er als Landflüchter an seine dreißig Jahre Pottasche gebrannt, zum Sonderling und Weltfeind geworden. Eingehend prüfte der finstere Waldmann die starke Krone; dann schüttelte er den struppigen Kopf.
»Was ist dir nicht recht dran?« fragte Koschutnik giftig; grün glomm ihm der Zorn zu den Augen heraus, heut hätt' er mit jedem angebunden, mit dem Klabautermann, mit dem Peter Klepetz oder mit dem bocksfüßigen Tschatesch selbst. »Was ist dir nicht recht, alter Maulwurf, hä? Sollen für dich vielleicht Extrahörner wachsen, oder? Wirst mir vielleicht weismachen, daß da hinten in deinem berühmten Bosnien bessere zu haben sind?«
Der Waldmann drehte das Haupt des Rehbocks nach allen Seiten, betastete die hohen, schroff geperlten Stangen und wiegte abermals den pechigen Schädel.
»Also, heraus mit der Farb', was ist dir nicht recht dran?«
»Schon recht,« sagte Voglenz; »aber er ist es nicht.«
»Welcher Er?« fragte Primus gereizt.
»Der gewisse.«
»Geh, halt ein' andern zum Narren!« herrschte Koschutnik den Köhler an; »du mit deinen alten Geschichten, das kennt man schon.«
»Kennst sie, was fragst?« gab der Alte ruhig zurück; »der Meglnjak, der Nebelbock, ist's halt nicht.«
Der Jäger lachte auf. »Nebelbock, damit du Kinder schrecken, ja.«
Er hatte schon vom Gespenst vernommen, das in diesen Bergen umgehen sollte. Der alte Johann, Geheimnissen aus mancherlei Gründen nicht abhold, hatte davon erzählt, im Wirtshaus war davon die Rede gewesen, Arbeiterinnen auf dem Felde hatten ihn mit dem Nebelbock geneckt. Wird auch was Rechtes sein, derselbige Nebelbock, spottete er bei sich, ein armseliger Schatten seines heimischen Zlatorog vielleicht, des goldgehörnten Gamskönigs, damit die vom Unterland auch was zu fürchten und zu rühmen haben! … Aber aus geheimsten Tiefen stieg ihm dann doch ein leisbehagliches Grauen an, und auch jetzt, da er den Waldmenschen in seinem schwarzen Aberglauben verhöhnte, lief es mit dünnen Spinnenbeinen über seinen Rücken herauf.
»Schau nur, daß er dich nicht schreckt,« warnte Voglenz; »wünsch dir's.«
»Hast ihn denn schon gesehen, deinen Nebelbock?« fragte Primus; aber seine Kehle war mit einmal eng, der Ton gelang ihm nicht recht.
»Hab so manches gesehen,« beschied jener kurz; »wer schweigt, der schaut.«
»Oft?«
»Beim drittenmal bedeutet's den Tod, fertig. Was fragst? Der ist's einmal nicht.«
»Wird sich auch grad totschießen lassen, ein Nebelbock.«
»Tot nicht, aber lebendig,« erklärte der Alte; »wer ihn schießt, der hat ihn erlöst. Der erbt den großen Schatz, der hier in den Bergen verschüttet liegt. Du schon nicht; weil du nicht glaubst. Ohne Glauben ist nichts.«
Zur Erholung von so viel weitschichtigen Geredes führte Voglenz zwischen die gelben Zahnstümpfe einen mächtigen fünffingrigen Priem, herzhaft bespült mit erschütternd herbem Kranebitter. Befriedigt stieß er auf. »Ohne Glaube ist nichts.«
»Dann hätt' er's ja leicht, das Erlöstwerden,« meinte Koschutnik; »braucht sich bloß hinstellen, so auf ihrer hundertzwanzig Schritt – aus ist's, und die arme Seel hat eine Ruh.«
»Und du redst wie ein Urlauber so grün und frech,« verwies der Köhler; »das ist's ja, daß keiner ihn kriegen kann, keiner. Nur einer, ein Besonderer. Wär' ja sonst kein Gespenst, der Nebelbock.« Er stand von seiner Frührast auf und wischte sich das Maul. »Aber sehen tut ihn manchmal einer. Und dann – bedeutet's was.«
Unbekümmert um den zögrigen Aufbruch des Jägers machte er sich ans Weiterschlichten der Scheiter um die aufrechtstehenden Quandeln; einmal nur, als jener, den starren Bock farnunterlegt auf der Schulter, die Büchsflinte über die andere Achsel warf, sah er kurz aus seiner Arbeit.
»Hast du gestern geschossen, in der Gegend um den Schwärzersteig?«
Der Oberkrainer horchte.
»Ich schon nicht.«
»Dann halt ein anderer,« sagte der Aschenbrenner gleichgültig und baute weiter an seinem Kegel.
»Um welche Stunde?« fragte Primus.
»Traurig, wenn du's selber nicht hörst. So in der ersten Frühe, vor der Sonne.«
»Dann war's doch ich,« log Koschutnik dreist; »aber nicht am Schwärzersteig, mehr gegen den alten Kalkofen zu. Der Wind wird ihn vertragen haben, den Knall.«
Eingestehen, daß er nichts vernommen, nichts gesehen, daß er um diese Zeit nicht einmal im Revier gewesen? … Gestern, in erster Frühe, vor der Sonne? … Dieser Bock hier?
Der Alte fertigte ihn mit einem kalten Blick ab.
»Wenn du meinst? … Wirst's ja wissen.«
Und damit wendete er sich endgültig seinem stillen, waldeinsamen Geschäfte zu. –
Primus Koschutnik aber ging unter allerhand schweren Gedanken. Schuß am Schwärzersteig? Nebelbock? … Ach was, Gered von solchen halbvertrottelten Einschichtern, wollen immer was Besonderes herausbeißen, tun gescheit und heimlich, und dann ist gewöhnlich nie was dahinter … Allein der feine Dorn haftete und bohrte und brannte sich ein, und nun kam auch noch der Herr Graf daher mit seinen blitzblau strenggütigen Augen und machte ihm das Fegfeuer heiß.
»So, angeschweißt krank an der Grenze, das will ich dir glauben. Schad; ein Guter. Aber mit dir ist auch was nicht in Ordnung, Primus, bist auch nimmer so frisch und rein. Schau mich an. Das war früher ein andres Gesicht. Stehst auch so irgendwie angeludert an irgendeiner Grenze; und Grenze heißt bei uns zu Land Konfin. Man hört so allerhand; hört mit der Zeit alles, auch wenn man nicht jedesmal redet. Sowieso wahrscheinlich umsonst. Wie du willst. Einmal reißt's halt und bricht, schreib's dann dir selber zu.«
Koschutnik war froh, als ein Wagen dumpf zur Schloßbrücke hereinrollte und der ergraute Simon seinen Herrn zu eingetroffenen Gästen nach der Turmhalle rief.
Verloren, scheu, auf klirrenden Nägeln, schlich er die gefliesten Flure hinab. Wie anders damals, an jenem glücklichen Winterabend mit seinem verheißenden neuen Anfang! Aus der gewölbten Küche her juchten die Mägde ihm zu. Weiberpack. Möcht doch nur umschäkert und in den Hintern gekniffen sein. Nein, heut war er zu allem anderen aufgelegt. Faust über Gewehrmündung, Hahnspiel schief auf veränderlich, drückte er sich in zornigverlegener Hast vorbei.
Vielleicht, daß auch die es schon wußten und in ihren Töpfen umrührten, auf Strudeltüchern breitwalkten und ihr Eigengewürz dreinstreuten … Ihn hinzen, sich an ihm lustieren wollten … Weibsgesindel. Schürzenpack.
Schweren Kopfes, das Herz voll schwüler Unruhe, ging er durch weiße Mittagsglut nach den schattenden Wäldern hinauf.
Weiberpack, jawohl.
Recht hatte er schon auch, der Herr Graf; in seiner Art gewiß tausendmal recht. Am schönsten, damit wär's nun abgetan und für immer überstanden.
Alles von den verdammten kirren Weibern und ihrer Witterung.
Daß man nicht solch hübsches glattes Stück in Ruhe, bis zur Sättigung für sich allein haben konnte ohne Drum und Dran, Vorher und Hinterdrein, Stich und Stank.
Wo man es doch, herrschaftssakerment, brauchte, und die ganze Geschichte von Gott oder Teufel, gleichgültig von welchem, aber nun einmal so und nicht anders eingerichtet war …
Daß man's nicht aushielt ohne die Brut und ihr Gift, fünf Sechstel des Jahres wenigstens, wie der Bock, wie der Hirsch …
Wie würde man dann nüchtern und sauber seinen Dienst versehen, wie wollte man gerne in Ehren und Treuen seine vorgeschriebenen Ehejahre abwarten!
Die verfluchten Weiber mit ihrer Unentbehrlichkeit. Und daß sie es noch obendrein wußten, das war die Gemeinheit.
Aber nein, und nun grad nicht, und nun versuchte er's einmal in allem Trotz und Ernst dagegen: gegen die Natur, gegen Durst, gegen diese Ordnung und Unordnung. Damit ein Fried war nach inwendig und außen, daß man seine helle Sonntagsfreud hatte an sich selber, an Wald, Wehr und Wild … Alles hinschmeißen, verludern und verlieren wegen so einer Schlampen, solch einer Flitschen? Noch schöner, könnt man grad brauchen. Mitnehmen ja, soviel sich nur bot und als Wegzehrung schmeckte, dazu war man ein Oberkrainer Jäger aus Zirklach im Zayerfeld und gedienter Siebzehner, und hatte sich einmal in der Hitz dem gewissen anderen verschworen und ließ sich von keinem Menschen was sagen; aber schaden durfte es hienieden wenigstens nicht, das gehörte auch zum Vertrag, haben, ja, aber nicht besessen werden; brauchen, ja, aber nichts bezahlen; belieben, aber nicht verlieben. Der Herr bleiben im Hause und den Herrn zeigen, und justament! … Und die da drunten, wenn die sich vielleicht was einbildete, die konnte lange warten auf ihn. Merken sollte sie, daß ihm schon gar nichts an ihr lag. Freiheit und Jagd und Leben, das ließ er sich von so einer schon nicht verderben.
Schwor sich's auf seine Büchse und ging jetzt mit einmal ganz anders erfrischt durch den Wald, leicht, stark, gehoben, vor sich im Glanze erneute Welt und Weite. Man würde ja sehen. Er tat, was er wollte. Und er wollte sein Brot, seine Jägerseligkeit und seine Ruh.
Und grad mit boshaftem Fleiß setzte er sich gegen Abend auf den Grat der Fuchsburg, die mit bleichen Felsen jach in den grünen Buchenwald hinabsprang.
Da drunten standen klein, in steiler Kürzung zu schauen, die spielhaften Kieswagen, die Hühner scharrten unter der Treppe, jetzt kam sie, die Ljubitza, von der Laube her und verschwand im Keller. Hehe, und er blockte hier oben und hatte von nun an ein gut Gewissen und pfiff sich und der und allen zusammen eins. Ganz kühl und kräftig fühlte er sich nach den letzten schwächend-schwülen Tagen.
Heil brachte ihm die Stunde noch obendrein. Eine starke Wildkatze kam mit der Dämmerung grau aus den Felsen heraufgeschlichen und blieb unterm Hagelblitz liegen.
Primus sprang zu, schwenkte die Beute an der Lunte gegen das Tal und stieß einen seiner alten übermütigen Bergschreie aus, daß der Grund weitaushallend widerklang bis in seine innersten Schluchten und Gräben. Joho, ein Jäger zu sein, und nichts zu tun zu haben mit denen da drunt, oder so viel grad nur, als man selber wollte und befahl! …
Ja, da stand sie nun unter der Treppe und starrte nach der Fuchsburg hinauf, ob er denn nicht zur Nacht niedersteige zu ihr in die lauschige, sehnsüchtige Tiefe. Hehe, da konnte sie lange warten. Primus schärfte der erlegten Räuberin die Lunte ab; der haarende Sommerbalg war ohnehin nicht zu gebrauchen. Dann ergriff er den schlaffen Körper an zusammengefaßten Hinterläufen und schleuderte ihn in schwerem Schwung mit grimmem, grellgellendem Wildjuch über die Klippenmauer der Burg hinaus.
Ja, so geht man mit Weibskatzen um. Beutezeichen behalten, Rest als Aas wegwerfen …
Zufrieden mit dem beschlossenen Tagwerk trat er den Heimweg an, geleitet von mattem Schein der Sommersterne, Leisrauschen im Grunde, Schnurren und Spinnen schwärmender Nachtschatten.
Und da stieg ihm mit einmal ein wehes Lied der Heimat zu Herzen, daß er wie getroffen stillstand; Stimmen raunten im Laub, der Sprosser schlug, aus flüstrigem Dunkel duftete das bräutlich bleiche Johanniskraut. – –
... Bewahr mir ein treues Gedenken,
Ob dein Herz auch ein anderer fand;
Um Liebe nicht will ich dich fragen,
Noch bitten dich je um die Hand,
Will dich im Herzen nur tragen,
Auch wenn zerreißt, was uns band …
Nachtwind kühlte die Höhen; nackter, feuchter Ruch der Maronenblüte zog über die Wälder; die Geister woben, die Seelen spannen, ein Stern fiel in glimmendem Bogen und versank hinter den schlummernden Bergen …
Immer noch stand der Jäger auf dem Kreuzweg; das Lied klagte in seiner Seele, Tränen strömten heißgelöst über seine Wangen, und er wußte selbst nicht warum.
*
»Gib Geld. Ich brauch welches.«
»Aber Branko, Branketz mein, schon wieder, himmlischer Heiland? Hast doch vor einer Woche erst achtzig oder neunzig Gulden mit dir genommen.«
»Vor einer Woche. Das war vor einer Woche, heut beginnt eine andre Woche. Nicht jedesmal diese langen Geschichten; du weißt.«
»Aber Brankitschek mein – –«
»Geh, geh, schenk ihn dir schon, den Brankitschek mein und dein, schenk ihn dir auch, von Herzen gern, der hat für mich keinen Wert. Tätst mich ja doch am liebsten in einem Schnapsglas ersäufen. Also, also.«
»Bub, nein, wie du sprichst, wie du dich versündigst. Jesus. Jesus.«
»Versündigst, sehr gut … versündigst. Die Wahrheit sprech ich und sonst nichts; ich, und du nicht. Also, gib schon her, gib.«
»Ja, aber Branketz! Soll denn das immer so fortgehen?«
»Natürlich immer. So wie ich's brauch.«
»Ja aber, was tust denn da droben, was fängst denn um Christiwillen an mit dem vielen schönen Geld? … Kannst es ja gar nicht ausgeben, für was?«
»Weißt du das? Und geht das jemand was an? Ich brauch's und will's, fertig. Also sperr dich schon nicht, nutzt ja doch nichts, nicht wahr.«
»Aber, nazarenischer Heiland! Das ist ja zehnmal so schlimm wie zur Studentenzeit.«
»Soll's auch sein. Ein Ingenieur ist auch zehnmal soviel als ein Student. Was hast's mich werden lassen? Jetzt bezahl's!«
»Ich? Damit du dir selber als ein Herr dein Brot verdienen kannst! Dazu – –«
»Wenn's einmal dahin kommt, nicht wahr; und darüber hab ich dann auch keine Rechenschaft – –«
»– – und nicht dafür, daß ich für deinen Stand jetzt noch und ins Unendliche weiterbüßen soll – –«
»Für den vielleicht nicht; zu büßen gibt's noch anderes.«
»Was anderes? Redest du so zu deiner Mutter, die dich im Leibe – –«
»Den du dafür auch schon verflucht hast, samt meiner.«
»Soll man nicht, bei solchen Kindern, für solchen Dank! Und nirgends steht das geschrieben, daß ich oder irgendwer dich in deinen Beruf hinein weiter erhalten muß. Nirgends. Es gibt noch Gesetze. Es gibt noch Gerichte. Nirgends steht das geschrieben.«
»Ja, freilich gibt es Gerichte; gibt es Gesetze; gibt es Gendarmen. Möcht' aber lieber nicht zuviel davon reden. Lieber Geld holen; dorther, wo's liegt, Kassa oder Keller.«
»Keller, woher Keller, wieso Keller, was denn immer mit deinem verrückten Keller – –«
»– – oder stell halt wieder Reusen; warst ja immer eine geschickte Fischerin. Oder schaff's mit Wucherzinsen und Weibertrankeln; oder mit Kuppelei und Hurenhandel; hast vielleicht auch wieder einmal Glück mit einem alten Zigeunerhauptmann oder einem Zollwächter – –«
»Du! … Bist wohl ganz närrisch?«
»Keine Spur; ganz klar. Gelingt dir am Ende wieder einmal so ein Hauptfang – –«
»Jesus Maria! … wenn den Unsinn jemand hört!«
»Dürft man's denn nicht?«
»Was dürfen? Von mir aus die ganze Welt. Deine Sach, wenn du von Sinnen bist. Aber wie die Leute schon sind –«
»Nicht wahr; und die Gendarmen besonders.«
»Gendarmen, was gehen mich die Gendarmen an, wenn nicht als Gäste. Ich bin eine arme alte Frau, die sich ehrlich und mühselig weiterbringt. Aber was du da zusammenschwatzt, rein zum Davonlaufen, der Wahnsinn. Hast Narrenschwammerln gefressen oder Tollkirschen?«
»Wart höchstens darauf, daß du mir welche vorsetzt. Aber geträumt hab ich einmal was, als Bub noch, vor Jahren: du und der Stermelz, ihr redetet da von solchen Dingen, von einem Zigeunerhauptmann, von einem Finanzwächter – den nanntet ihr immer den »Grünen« – von vielem versteckten Geld. Zecchinen. Dukaten. Taler. Geträumt, hier, in diesem Haus. Also nun, gib schon, gib; ich will weiter, schad um die Zeit. Oder willst mich abfertigen? Zwölftausend Gulden. Zwölftausend Gulden, schau, das ist billig: für einen Zigeunerkapetan, einen »Grünen«, so viele gebrochene Hälse, so viele einträgliche Ungeborene, so viele auf meinen Namen und mein Dasein abgepreßte Tausender … Zwölftausend Gulden; willst? Das nächstemal sind es fünfzehn …«
*
Das ging nicht weiter so. Etwas mußte geschehen. Entledigen mußte sie sich des Würgers, und nicht mit ihrem geliebten guten Geld. Daß er dann wiederkam und in Ewigkeit weiter drosselte und schraubte! … Was wußte er? … Wieviel? … Seit wann? … Er allein? … Etwas mußte geschehen. – –
»Du, Ljubitza!«
»Was ist?«
»Der, na, du verstehst schon wer? … Mr scheint, mir scheint, du, der hat Absichten mit dir.«
Die Junge lachte hellauf, »Werden schon recht welche sein! … Die Mannsbilder. Die Hosen. Das kennt man.«
»Nein, nein, ohne Spaß.« Die Horvatitschka, vertraulich herangerückt, flüsterte heiser. »Weil wir grad einmal so schön in Ruhe beisammen sind. – Kennst dich ja aus, Ljubitza, schau; brauch dir nichts vorzumachen, hab vor dir kein Geheimnis. Weißt doch, nicht wahr, wie's um ihn steht, und um mich, und um uns beide zusammen? … Himmlischer Heiland, wie das so ist im Leben; schau dich selber an; eine Dummheit ist bald geschehen, eine Nacht lang währt die Freud, und bis an sein Ende büßt man … Jesus na, wozu ist man einmal jung und hübsch und die Witwe nach einem alten Mann, Gott hab ihn selig, und keine Nonne? … Alsdann, Ljubitza – oder jetzt bist ja wieder die Berta, ich vergeß, Gott, wenn ich so denk: die kleine Berta von damals, das waren noch schöne Zeiten – na alsdann, und ich sag so: wenn's wirklich wär und er tät dergleichen und rückte mit sowas heraus – ich sprechet nicht nein.«
Die andere hörte gesenkten Kopfes zu; die Nadel blinkte; der breite Kater schnurrte.
An dergleichen gedacht hatte sie ja schon selber. Frau Ingenieur; Wirtin zum Konfin; viel geheimen Geldes im Hintergrund; und ehrlich werden und zu seinen menschlichen Rechten kommen, irgendwohin gehören nach all den eklen unsteten Jahren der Schande …
Ihn dranzukriegen, ihn kirr zu ködern, ihm den Stachel ins Fleisch zu setzen, des hätte sie sich schon unterfangen.
Lief ihr ja ohnehin auf Schritt und Tritt nach, der widerwärtige unreine Mensch.
Aber dann sah sie das Bild des anderen vor sich, des Starken von den Höhen, des schmucken Schmeidigen in seinem Gleichmaß von Kraft, mit den freien herrischen Jägeraugen und dem federnden Schritt, mit dem zwingenden Griff und der betörenden einschmeichelnden Stimme …
Zwei- oder dreimal unter all dem Wechsel von Willfährigkeiten war sie verliebt, ehrlich verliebt gewesen: und jedesmal getäuscht, getrogen, verschmäht, verworfen. Nie wieder würde sie ihre Seele an solch grausames Mannstier hängen, das hatte sie sich geschworen; hatte ihren Schwur gehalten bis in diesen Pfingstsommer; hatte genommen ohne zu geben, gegeben ohne zu nehmen; und jetzt? …
Aber nein, verliebt war sie schon nicht, vernarrt, verbrannt. Gefallen tat er ihr, der Jäger, und gefallen ließ sie sich ihn. Anders als so viele andere: immer doch etwas von Eigenem dabei …
Den heiraten, wenn er wollte, ja; auf der Stelle; und ihm die kleine Wirtschaft führen, bei ihm, mit ihm zu Haus sein droben in der Einsamkeit der Berge …
Wenn er dann so zu ihr heimkehrte von seinem Dienstwege, und sie empfing ihn nach einem ganzen langen sehnsüchtigen Tag …
Das heißt, wenn man das aushielt. Man war es nicht gewohnt. Und nach erschöpftem Spiel sehnt man sich doch wieder heim zur Gewohnheit.
Sie wußte das. Einmal hatte ein Offizier, ein Strafuni-Leutnant, sie nach Bosnien hinein verschleppt auf seinen Han zu den Wölfen und Bären. Acht Tage lang war das sehr schön gewesen; am neunten langweilig zum Sterben; am zehnten schlug sie sich nach Serajewo durch und von da zurück nach Slawonien.
Irgendwen lieb haben, das konnte sie vielleicht gar nicht mehr: alles versumpft und verdorben. Und nicht der Mühe wert, darüber nachzudenken; war doch vollkommen gleichgültig. Man lebte sich eben so durch …
Aber ein anderer war der Jäger schon als der Herr Ingenieur, der Herr Bankert, der zukünftige Herr dieses Hauses, der Erbe.
Anfangs war er ihr gar nicht so vorgekommen. Nun graute ihr vor ihm, vor seinen Zudringlichkeiten, vor seiner gemeinen Lüstrigkeit, vor seinem narbigen, pockigen, verseuchten Studentengesicht. Sie kannte die Sorte.
Aber hier war das Geld, der Wohlstand, die Macht, die Möglichkeit; und vielleicht lebte das Gewächs nicht lange, so sah der Kerl aus. Und dann war man Witwe, wie es einst die Alte gewesen. Und schließlich, wenn man auch heiratete, sich zur Ehe kaufen ließ von so einem: – die Straße, die Berge, ein Wirtshaus, Grenzwirtshaus mit seinem Zuspruch …
Gehörte ja schon so zum Konfin.
Lieber freilich wär ihr der andre selbst gewesen, der gutmütige halbwilde Morlak mit seinem täppisch gierigen Zugriff und seinen treuherzigen armseligen Groschen …
Was sie nur wollte, die alte Vettel, dreimal gesalbte? Aushorchen? Abklopfen? Die Werberin machen?
Sie, die ihren Bankert für zu gut befunden, daß er sich einließ mit solch einer Schlampen, solch einer Flitschen, so einer, die grad nur da war und gehalten wurde für die Gäste, wie der Wein im Keller, wie eine Zeitung, wie ein Musikspielkasten mit Zehnerlschlitz …
Und wenn der Herr Liebling und Mustersohn wirklich den Konfin kriegte, warum dann hatte die Mutter ihn studieren lassen? …
»Sprechet nicht nein,« fuhr die Horvatitschka in heimlichem Eifer fort; »schau, ich hab mich an dich gewöhnt; hab doch deinen Vater, Gott geb ihm die ewige Ruh und das ewige Licht leuchte ihm, gut gekannt; hab mit dir zusammen das Unglück neulich da erlebt, hab mit dir zusammen ihn aufgebahrt und an seiner Leiche das Vaterunser gebetet; bin auch, ohne meinen Willen, ein klein bissel Schuld an seinem Tod und – na – an der ganzen Sach mit dir und mit ihm – war ja alles und immer gut gemeint auf meiner Seiten, aber, na, wie's halt dem Menschen ausschlagt; und, mit einem Wort, wie ich dich jetzt kenn, du hättest das Zeug. Du wärst die Rechte auf meinem Platz und an meiner Stelle. Darum: ich saget nicht nein.«
Berta hob langsam den dunklen Blick.
»Ist mir aber doch ganz so, als hättet Ihr's einmal schon gesagt. Und nicht wegen so etwas Ernsthaftem. Damals, erinnert Euch.«
»Damals!« Die Alte wehrte wegwerfend mit schmalziger Hand. »Damals, weiß! … Damals! … Da war's ganz was andres. Da hab ich dich noch nicht so gekannt. Und – grad dasjenige, das ohne Ernst und Ehre – – das hab ich nämlich nicht dulden wollen. Nicht zwischen dir und ihm. Grad zwischen euch nicht, verstehst? … Das hat mich gezürnt; da ist mir's so herausgefahren in der Hitz … Nein, nein; das von damals, was du da vielleicht gehört hast, das darfst mir nicht nachtragen … Gott Jesus, eine arme alte Frau mit ihren Sorgen; wär Zeit, daß Ersatz kommt, und für mich die ewige Ruh …«
»Eure Sorgen! … Das gute Geschäft, der – junge Herr ausstudiert und in Stellung … Die Sorgen möcht man auch haben, wenn nicht – –«
Die Horvatitschka horchte, ahnte und griff schnell ablenkend ein.
»Ja, wenn nicht, wenn nicht, hast wohl recht. Gutes Geschäft sagst, hat sich was, gutes Geschäft; wenn nicht dies und das noch dabei wär, die Teuerung, die Steuern, die hundert Sekkaturen … Die vielen Ansprüche … Kinder kosten Geld, Geld und noch einmal Geld – meine Liebe …«
Die Junge hielt ihr Nähwerk prüfend gegen das Licht. »Das weiß ich. Man muß verdienen, sparen, arbeiten. Nicht eine jede – –« Sie faltete das Stück, legte es beiseite und nahm ein anderes vor.
»Was hast sagen wollen: nicht eine jede – –+?«
»Ich mein: nicht eine jede hat das Glück, den Vater zu kennen … Und nicht jeder Vater laßt sich finden … Und nicht jeder Vater hat Geld …«
»Freilich, freilich … Wo hast es denn eigentlich?«
»Bei Leuten,« beschied die andere ablehnend kurz; »bei Leuten.«
»Und wenn – ich sag: wenn – was wär damit? … Könnt ja auch ein andrer kommen, nicht wahr; was damit?«
Berta zuckte lässig die Achseln.
»Gott: was weiß man? … Eins so gut wies andre, nicht? … Wenn's sonst versorgt sein kann: besser gewiß als Unfried … Aber: wird schon keiner kommen, da bin ich beruhigt.« Sie lachte geringschätzig auf. »Wird schon eine andre Euren Platz, wie Ihr's nennt, einnehmen und Eure Stelle … Ich bin nicht so.«
»Wie: nicht so? … Denkst, du paßtst nicht? … Oder wär dir wohl gar nicht drum?«
»Ach Gott …« Die Junge spitzte den Zwirn zwischen gefeuchteten Fingern und fädelte gegen das Fenster; sie sprach langsam und wie zerstreut, mit der verschlossenen, wortkarg lauernden Überlegtheit nähender Frauen … »Ach Gott … Ich mein, ich dräng mich nicht; bin's keiner neidig … Einer anderen den Platz nicht und Euch nicht die Stelle …«
»Welche Stelle? Du bist aber seltsam. Seine Mutter kannst freilich nicht sein, und in meinen Jahren auch nicht. Stelle?«
Die Nähende betrachtete mit schiefem Kopf das Stück, übers Knie geheftet. »Die Stelle, an der ich nicht sein möchte, ums Ganze nicht. Die Stelle, an der Ihr Euch befindet. Eure Stelle.«
»Ljubitza – was sag ich, Berta – ich versteh dich auf einmal gar nicht. Woran denkst du?«
»Gott nun, wegen dem Neinsagen … Wenn er wirklich wollte, und ich mit ihm: Ihr könntet gar nicht … Müßtet … Das ist Eure Stelle …«
Die Alte erschrak und schwenkte rasch ab.
»Ja so, du glaubst, weil's nicht immer grad und glatt geht zwischen uns, weil wir uns manchmal hecheln? … Das kommt so, siehst. Die Jugend und das Alter, das versteht sich nicht bei allem. Die lange Trennung durch die Schul, die Entfremdung … Aber der ist wirklich nicht so, der Branketz. Hat nur ein bissel viel Wind mitgebracht aus der Stadt, aus der Lehr, von den Freunden, aus der Freiheit; das verfliegt sich, verfliegt sich. Er ist nicht so, der Branketz.«
Jene sah beharrlich auf ihre Arbeit hinab. »Nicht? … Könnt aber doch, scheint mir, bei Euch durchsetzen, was er will. Und weiß das und kennt seine Mittel. Nein?«
Das klang bedrohlich. Die Horvatitschka beugte sich tiefer in den Tisch.
»Ah was; einen harten Kopf hat er! … Und eine Meisterin braucht er! … So eine wie dich zum Beispiel. Siehst, das hat mir gefallen, wie du das damals hingenommen hast mit deinem seligen Vater, Gott geb ihm die ewige Ruh und das ewige Licht leuchte ihm; das hat mir gefallen. So eine gehört her. So eine paßt zu ihm. Natürlich, ich sag ja nur so. Ich weiß ja nicht. Ich denk mir nur manchmal das meine … Ich bin alt; ich bin müd; ich bin manchmal schwach …« Sie holte von neuem aus. »Aber da irrst dich, wenn du glaubst, der Branketz hätt so mir nichts dir nichts seinen Willen bei mir in allem. Da irrst dich. Mit einer anderen, die ich nicht kenn oder nicht mag, dürft er mir schon nicht kommen. Du bist eine Ausnahme. Dir vertraue ich's an. Sonst aber – – –«
Ein Wagen hielt; Gäste polterten; die Horvatitschka wußte genug.
Etwas mußte geschehen. Ihre Ruhe mußte sie sich verschaffen. Und die da, wenn die sich etwa einbildete …
Reizen durfte man sie nicht. Nicht vielleicht jetzt abschieben. Wenn sie etwas wußte, dann nur aus Erlauschtem, aus anderem Munde, und der – –
Die Maske bewahren. Fasching ohnehin, das Leben. Und das Mannsvieh ist ja so dumm – –
Aber das war ein schwüles Jahr. – –
Sommer kochte; in den Bergen blühten die Maronen, im tieferen Sonnwendschatten das brautblasse Johanniskraut. Selten noch in den kurzen Nächten schlug der Sprosser. Die Sense rauschte, der Wetzstein klang; droben im weißglühenden Kalk bohrte und pochte, schürfte und scharrte das wimmelnde Menschenwerk der Straße.
*
Das war wieder ein gesegneter Tag, Boga mi, Gott mir! … Die Sonne brannte auf die Trasse im steilen Hang herunter, die Felsen glosten, die Luft im brütenden Tale sott.
Ilija Schorman stand von Schichtbeginn am Hammer und wendete den Stiel von Schlag zu Schlag geduldig zwischen den schwieligen Händen. Schlag um Schlag, Linie um Linie: zollweis rückte der Straßenwurm den Berg hinauf.
Allein daran dachte Ilija Schorman nicht mehr, daß dieser Strang, den sie da zu zufallsverbrüderten Hunderten aus dem Kalk stuften und den Höhenfalten entlang über die Wälder führten, daß diese Straße einst, nach Meilen geschlungenen Niederstiegs, in seine Heimatsstraße einmünden sollte, in den tannumdüsterten, sturmgefegten Hochweg zum Meer. Ganz gleichgültig war es ihm, welchen Kilometerstein oder welchen Erdenfleck dieses neue Gleis sich zum Ziele nahm. Denn seine eigenen Wünsche kannten nur noch ein Ziel, das lag nah draußen im sommergrünen Tal, wo Bach und Straße in enger Schleife sich um die vorspringende Bergklinge winden; und ein Gut, einen Inbegriff: die Jagd.
Die Jagd. Die Jagd war ihm ins Blut geschlagen.
Und wenn die Alte drunten ihm nicht mehr als einen dünnen Fünfundzwanziger auf den Tisch gezählt hätte: dennoch wäre er immer wieder in die Versuchung gegangen, in die Gefahr, in den Abgrund.
Das war wie alter starker milder Wein, söffig, hebend, dürstig. Und wenn die süße Trunkenheit längst auch in allen Adern glühte, immer wieder mußte man von der Wunderwürze schlürfen, in immer volleren, gierigen Zügen, und jeder geleerte Becher mehrte nur noch das Verlangen.
Das Geld? … An das Geld dachte Ilija Schorman beinahe nicht mehr.
Seit er den starken Bock neulich in der Schlucht erlegt, seit der viel Stärkere drüben im Stangenholz, wo er vor Wochen die Ricke getötet, obwohl deutlich getroffen seiner ängstlich beschränkten Suche entgangen, seitdem fieberte er nach dem Schusse, nach der Beute, nicht mehr nach dem Erlös.
Wenn so das Wild heranzog, wenn es näher knisterte in der trockenen Streu, immer näher; wenn endlich die Tiergestalt sich aus braunem Grunde löste, das graue Haupt, die knorrige schwarze Krone; wenn die Spannung mit jedem Atemzuge stieg, die Fibern zu schlagen anhuben, das Herz betäubend laut bis in die Kehle, in die Ohren, bis in die Mündung der Flinte hinaus hämmerte, so schwerdröhnend schier wie hier sein ungefüges Alltagswerkgerät: – nichts fast auf Erden ließ diesem Rauschgenuß sich vergleichen, nichts auf Erden war an Wohlgefühl ebenbürtig diesem Kitzel, diesem Stachel, nichts ersetzte diesen verwirrenden Reiz, diese Erlösung, diese Stillung – nur das Eine: das Andre …
Mit dem Versuch war die Versuchung, mit dem Anreiz der Reiz über ihn gekommen.
Auch vor dem ersten Bocke hatte sein Herz geschlagen, seine Hand gezittert. Aber das war etwas ganz anderes gewesen, Angst eher als Freude, ein Bangen um den Erfolg. Jetzt, wenn er das Opfer gegen seine Waffe herantrollen sah, fieberte er nach dem Schuß, nach dem Sprung, nach dem Besitz, nach der Beute.
Damals, als sie sich im dunklen Flur an ihn geschmiegt, war es aus Tiefen her an ihm geschehen, daß er sich willenlos ergab; jetzt, da er von ihr getrunken, von ihr, die anders war als die anderen, begehrte und forderte er, mehr mit jedem Tage, nach jeder Nacht, und jeder Genuß und jeder Besitz verschärfte noch die Begierde.
Nur, daß gerade jetzt, wo er seine erste Befangnis verloren und einiges gelernt, das Wild sich lange nicht mehr so häufig, zahlreich und vertraut zeigte als vordem, da es für ihn unerlangbar gewesen; und daß nun, nachdem er seine Scheu abgetan und die Frucht geschmeckt, die Ljubitza ihn nicht mehr wie einst verführerisch ums Bleiben bat und lockte, sondern gebeten, gebettelt werden wollte und ihn manchmal spröd, feindselig beinahe abwies.
»Heut nicht, nein. Geh, es ist spät, hast noch einen weiten Weg.«
»Gott mir, warum? War es nicht auch spät damals, wo du gesagt, ich sollte bleiben, es wär Mitternacht?«
»Es könnt wer kommen.«
»Wer sollte jetzt noch kommen? Zu dir?«
»Heut nicht, geh.«
»Du hast mich nicht gern.«
»Red nicht dumm. Ich will nicht, mir paßt's nit, darum, einfach. Geh, laß.«
Und er gehorchte demütig und voll heimlicher Bekümmernis. Vor ein paar Tagen erst, als sie ihn darum angesprochen, hatte er ihr einen Gulden gegeben. Ein Gulden, das war viel Geld. Ein halbes Reh, neun Pakete vom mittleren Tabak und die Schwefelhölzer dazu … Aber was lag schon an dem? …
Und dann, auf dunklem Heimwege durchs gekühlte rauschende Tal, fiel ihm eine ein, die hatte einst Duscha Walput geheißen und hatte ihm Kinder geboren und war die Schönste gewesen im ganzen Litoral; und um sie und die Heimat, um das Heimathaus mit der rebenumschatteten Laube war er eigentlich hier …
Ja, ja doch, ja; und er beschleunigte seinen Schritt.
Und am nächsten Tag, um Liebste oder Jagd, hatte er's wieder vergessen.
Und in seiner Unruh um das Weib vertrat er das Wild, und der Groll um das Weib schmälerte ihm und verdarb ihm das Weib.
Manchmal, wenn er so zwischen Brunst und Jagd an seinem Alltagshammer stand, geschah es, daß eine seltsame Unrast ihn ergriff, ein Schatten neben ihm heraufstieg.
Dann drängte er wie mit abgewandtem Gesicht vorwärts, betäubte er die warnende Stimme mit verdoppelter sühnender Arbeit.
Natürlich, er mußte ja Geld verdienen, es war seine Pflicht, es war seine Absicht; und gewiß, im Herbste ruhte er wieder daheim bei seiner Duscha, und in zwei oder drei Jahren vielleicht würde das Haus stehen …
Wie Gott es wollte … Alles bei Gottes Willen …
Alò, Alò, delajte, delajte, jebal vas vrag i prasec – vorwärts, vorwärts, arbeitet, arbeitet, der Teufel fahre in euch Schweinebande! … Meint ihr, fürs Nichtstun und Gaffen werdet ihr bezahlt? … Glaubt ihr, die Regierung stiehlt das Geld so wie ihr dem Herrgott den Tag? … Vorwärts, vorwärts, frisch, frisch, ihr Teufelsbrut! … Denkt ihr, eurer Wehleidigkeit zulieb werden wir die Straße zu Weihnachten bauen? … Los, los, schafft, schafft, im Winter dann meinetwegen bei euren Alten könnt ihr euch strecken und kühlen …
Die Meißel knirschten, die Karste klirrten; auf den nacktbraunen rieselnden Rücken zogen und barsten die Blasen.
*
Der junge blasse Mensch mit den schwarzgefaßten Gläsern vor den Augen und der schwarzen Hängeschnur hinterm Ohr, beim Konfin häufig zu sehen, unterwegs nicht selten zu begegnen, wer war das? Zu Anfang der Arbeit war er noch nicht hier gewesen, und jetzt kommandierte und kuranzte er mit einem dicken Taschenbuch die Trasse auf und nieder herum, nicht offen und grob wie die rohen Partieführer, sondern immer irgendwie heimlich und bissig und herrisch, trotz einem Herrn Oberingenieur.
»Sie, Partieführer, Aufseher, wie heißt der Mann?«
»Schorman Ilija, Herr Indschenir.«
»So.« Der Junge zog die Uhr. »Zwanzig Minuten zu spät angetreten, was soll das heißen? Na, der Herr Oberbauleiter wird sich ja wundern.«
Und auf Ilija wurde es abgeladen.
»Schwein du, verdammtes, teufelsträchtiges, hast du's gehört? Was hast dich immer in den Wäldern und Wirtshäusern herumzutreiben, hä? Und ich darf's dann ausfressen! … Verflucht sei deine Mutter, ja bassama teremtete! … Noch einmal, und – –«
Ein schwerer Faustschlag traf Ilija Schorman zwischen die Schultern. Rot schoß es ihm vor die Augen. Aber es war wahr, er hatte sich verspätet, und nicht der Partieführer hatte ihm den Hieb versetzt, sondern der andere. –
»Partieführer, den Mann dort aufschreiben. Wie heißt er gleich, kommt mir bekannt vor.«
»Schorman Ilija.«
»Diesen Schorman Ilija aufschreiben und melden. Seine Mütze her! Hat unter der Arbeit heimlich geraucht, hab's deutlich gesehen, wenn Sie schon keine Augen haben. Her die Mütze.« Aus dem Falz der widerwillig gereichten blauen Kappe zog der Hilfsgestrenge die frisch ausgedrückte verbogene Zigarette. »Da. Noch warm. Und dort liegt das Pulver mit der Zündschnur. Sie passen ja ausgezeichnet auf.« Und der genaue junge Herr brannte sich selbst eine Zigarette an und stolzierte weiter die Trasse hinauf.
»Du Schwein, du dreckiges, teufelbe... schon wieder Stank wegen dir! … Wart, ich werde dir – ja bassama teremtete! …« Aber vor dem stillen Blick des anderen ließ der Partieführer den erhobenen Stock sinken. »Mußt denn durchaus rauchen, zu jeder Tages- und Nachtzeit? … Dann laß die Arbeit liegen und geh, verflucht sei deine Mutter … Und vor so jungen Stänkrern nimmt man sich halt in acht, zum Satan, wenn man schon weiß, wie solche nasse Lauser immer kratzen und bohren …«
Ilija Schorman glättete betrübt die mißhandelte alte Mütze und auch den verächtlich fortgeworfenen Stumpf las er sorgsam aus dem weißen Kalkstaube auf und barg ihn daheim im Falz.
Weil er sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte vor Hitze und hohler Übernächtigkeit, darum hatte er geraucht. Um der Pflicht, um der Arbeit willen.
»Dein Teilhaber!« bemerkte Vid Filek, der Tscheche, mit einem Wink nach dem gehässigen, stöckchenwirbelnd durch all die Arbeitsglut spazierenden Verfolger. »Dein Teilhaber!«
»Wieso Teilhaber?«
Der Tschech lachte.
»No, wie? Bei der drunten. Meinst, bist Einziger im Nest? Sind da noch viele, viele andre. Außer dem durten und dir.«
Schorman stand gelähmt.
»Wie, viele andre? … Viele andre?«
»No, wie? Viele andre eben, wie ist so mit sulchene. Bildest dir vielleicht ein, hättest du gepachtet? Jäger von Herrschaft ist gleich einer. Und welche von uns, wahrscheinlich. Nu, und der da, feiner Herr, heut mit Madeln in Stojdraga, murgen unten in Konfin …«
Schorman war starr. Das konnte ja nicht wahr sein. Gefährlich hob er den schweren Hammer.
»Gott mir, daß du lügst!«
Der Tschech wich wiehernd zurück.
»No, no, hoho! … Was lug ich? … Frag andre … Hast nit selber erzählt, hast Frau und Kinder?« Er rief hinüber zur nächsten Gruppe. »Schurman Primurz glaubt, ist Einziger bei Madel. Bräutigam. Verheirateter Bräutigam!«
Und das Gelächter scholl breit über die sommerglühende Trasse.
Schorman stand wie ein Stier, geballt, gespannt, mit weißen blindwilden Augen. Und dann brüllte der Partieführer und er schwang den Hammer und ließ ihn bös eingezogenen Blicks auf den erklirrenden Meißel fallen.
Alò, Alò, was zankt ihr da, was säumt und jucht und gafft ihr, ja bassama teremtete, Schweinebrut ihr vom Teufel! … Arbeiten, arbeiten, fürs Blöken und Fluchen werdet ihr nicht bezahlt …
Und der Hammer schütterte und die Klaue bohrte, und Schorman sprach an diesem Tage weiter kein einziges Wort.
Auf den Abend blieb er im Barackendorf, abseits verbrütet. Todmüd schlaflos wälzte er sich auf dumpfem Lager. Die bleiche Taufrühe kam, die glückbringende Stunde. Er blieb, zu erschöpft, zu wirr, zu beirrt. Und arbeitete. Weiter, weiter, einholen, verdienen; die Blasen bissen, die Schwielen brannten. Es war nicht wahr. Auch an diesem Abende ging er nicht fort. Wenn er schon Glück hatte und schoß ein Stück, was dann, wohin damit? Nach dem Konfin hinunter getraute er sich nicht. Schmachtete, lechzte nach ihr, und fürchtete die Wahrheit, den blossen Argwohn, sich selbst …
War vielleicht doch nicht wahr?
Tag für Tag jetzt hockte er irgendwo abseits der Baracken in den Halden oder am Bache, da er sich sonst vom letzten Hammerschlag weg in die Wälder gestohlen; wühlte, würgte und blieb.
Auch das andere, die Jagd, hatte jetzt keinen Sinn mehr; keinen rechten Reiz mehr; kein Ziel. Jagd und Ljubitza, das gehörte zusammen. Beides, eins durchs andre, war ihm mit einem Schlag verdorben.
Als der Tabak ihm ausging, faßte er neuen Vorrat in der Kantine.
Die Kameraden, mit seinen früheren Wegen vertraut, stießen sich an, deuteten nach ihm, grunzten einander bedeutsam zu. Er kehrte sich nicht daran, schwieg wie er immer geschwiegen, bewahrte dumpfen Gleichmut und machte sich hart.
Einmal aber brachte der frech stichelnde Tschech die verblockte Mine zur Entladung.
»No, Bruder Primurz, wus is? … Oppetit verluren auf stinkete Fleisch?«
Schorman fühlte es wie eine rote Welle in den Kopf schießen, die Lohe fuhr aus ihm heraus. Er griff das Nächste, ein schweres Brecheisen, barst auf den Stänker los. Man riß ihn an den Armen zurück und bändigte ihn, der schäumte, schnob und zitterte, mit strenger Gewalt.
»Laß den Tschechen,« mahnte Rok Ban, der gutmütige Tschitsche; »ist ja bei dem bloß der Neid.«
»Neid, jo!« grinste Filik; »war sich wus zum neidig sein! Damit siehst, daß ich nix neidisch: wünsch sie dir, Bruder Primurz, sull dir immer treu sein, wie du deiniger.«
Schorman, neu auflodernd, wollte ihm nachstürzen, die umkreisende Übermacht wehrte es ihm. Schließlich brüllte und knüppelte noch der Partieführer drein, und Ilija mußte sich harten Schimpf wegen seiner Händelsucht gefallen lassen.
Von da an ließ man ihm Frieden, spottete nur von weitem an ihm vorbei. Es war ja auch zu heiß, der Alltag zu staubig und schwer, es war ja auch alles gleichgültig … Er aber machte sich stumpf und taub und arbeitete gleichmütig, mit dem trägen Fleiß eines Lasttieres drauf los: Hieb um Hieb, Zoll um Zoll, Schicht um Schicht …
Für wen? … Wofür? … Er wußte es selbst nicht mehr.
*
Ein kurzes frisches Gewitter war gekommen und ein kühlender Nachregen. Schorman hielt es nicht mehr aus. Sehen wenigstens mußte er nach der achtkantigen Flinte im hohlen Baum. Auf diesen Abend noch schoß er ein schwaches Reh im Grenzwiesengrunde und schleppte es unter spätem Dunkel heimlich hinab zum Konfin.
Zerstreut und doch mäklig genau löste die Horvatitschka ihm die Beute ab.
»Lebst noch? hab schon gemeint, du wärst gestorben. Zwei Gulden für so ein Stückel, nichts wie Haut und Knochen, keine fünfzehn Kilo dran? So haben wir nicht gerechnet, Gevatter. Da sind zwei Fünfundzwanziger und ein Gulden, überreichlich für solch ein armseliges dürres Viech. Fleisch muß dran sein, danach und dafür wirst bezahlt, nicht nach dem Kopf.«
Und wenn nur fünfzig Kreuzer: Ilija erhob keinen Einwand. Nun war er wieder hier, genug. Er nahm das Geld und ging auf einen Liter in die Schankstube. Der alte Stermelz hockte still hinter seinem Schnaps, die Fliegen summten um die trübe Lampe, von der Ljubitza nichts zu sehen. Der Fuhrknecht winkte den späten Gast heran.
»Na, Gevatter? Hab ich recht gesprochen oder nicht? Schießt gut, die kurze Flinte, hä?«
Schorman setzte sich zu ihm hin.
»Schon, schon. Nicht schlecht ist es, das Gewehr.«
»Und die drei Kernschrote immer in der Mitte beisammen, was? … Ja, ja; wenn ich so in deinen Jahren noch einmal wär! … Das wievielte Stück gleich, das du heut lieferst?«
»Das vierte. Könnten sechse sein, Gott mir; aber einen Bock hat mir der Jäger mit seiner Kugel aus seinem vermaledeiten Mordgewehr da vor der Nase weggeschossen, der Teufel soll ihn reiten; und ein anderer ist mir durch, freß ihn der Satan, wird wohl irgendwo krepiert sein …«
»Ja, ja; laßt nicht aus, die Einläuferin mit ihrer Ladung, kurz und rostig wie sie ist; wo die hinsengt, da wachst kein Haar mehr. Wirst halt zu weit hingezwickt haben oder hast's verwackelt. Im Seloutz droben soll ein mordionischer Kampel von Bock seinen Wechsel haben, erzählen die Leut; aber was die so daherreden. Und da geh lieber nicht hin, da bist so geschwind nicht wieder über der Grenz …«
»Und der Nebelbock?«
»Ja, der! … Vielleicht grad derselbe? … Einmal wird er im Sprung gesehen, einmal auf dem Breitenstein, einmal im Bromberg … Wie sich's halt so herumredet …«
Schwer floß die späte Unterhaltung; die Ljubitza blieb aus. Von nebenan klang erregtes Gespräch. Eine scharfe, hohltrockene Stimme, die Ilija bekannt dünkte, dann die der Alten, manchmal ein entrüsteter Aufschrei. Auch der Stermelz horchte halb hingewandt. Die Fliegen sangen, die Lampe kochte, die wartenden Pferde scharrten, nah drüben unterm Berge rauschte der Bach. Jetzt kam die Horvatitschka heraus, fahl unter ihrer fetten Röte; heiser tuschelte sie dem Fuhrknecht ins Ohr, er stand auf, draußen im Flur hörte man die beiden flüstern. Nebenan wanderten Schritte. Die Wirtin kehrte zurück.
»Du, Gevatter; grad hab ich mich mit dem Stermelz besprochen: – könntest uns zu morgen Abend nicht noch ein Reh verschaffen? Bock oder Geiß, groß oder klein, alles eins, wenn's nur ein Reh ist, wir brauchen's dringend für Agram. Sollst eine Extrabezahlung haben; und komm's melden auf alle Fälle, auch wenn du nichts gekriegt hast, damit wir Bescheid wissen und nicht umsonst warten. Wirst entschädigt und freigehalten für den Weg. Magst?«
Schorman sagte zu. Das fügte sich ja gut. Vielleicht bot sich morgen bessere Gelegenheit. »Gut. Ich werde es eben versuchen. Wenn Gott will.«
»Ja, versuch's. Soll dein Schaden nicht sein, Gevatter. Also abgemacht.« Die Horvatitschka überlegte und besann sich. »Ja: und wenn ich grad nicht da wär, könnt geschehen, hab morgen verschiedene Wege, kann's nicht versprechen wann ich zurückkomme, vielleicht spät, vielleicht erst am Samstag – also für alle Fälle, die Ljubitza, kennst sie ja, das Mädel, kriegt Weisung und weiß dann schon Bescheid …«
Ilija sputete zum Aufbruch.
Der alte Stermelz bot ihm Platz auf seinem Wagen. Ungern nahm Schorman an. Lieber wäre er gelaufen, im Dunkel allein zu sein mit seiner Unruhe und Vorfreude.
Langsam knarrend fuhren sie durchs nachtkühle rauschende Waldtal unter den Sommersternen dahin. Ein Reh schallte. Die Johannisblüte duftete.
»Und ihr, ihr seid morgen auch nicht da?« fragte Ilija nach einer Weile vorsichtig; »ich meine nur so, wegen der Übernahme, falls …«
Der Fuhrknecht auf seinem Brettersitze schien in sich hinein zu lachen.
»Nein, ich auch nicht. Morgen ist wahrscheinlich niemand da. Fürchtest um deine Gulden? Sei ruhig, die Ljubitza, die kennt sich aus.«
»Ich meine ja nur,« sagte Schorman mühsam.
»Und was ist das eigentlich mit dem Nebelbock?« fing er nach längerem Schweigen von neuem an; »wo könnt man den treffen?«
»Da fragst viel,« versetzte Stermelz; »am besten gar nirgends. Überall, wo man ihn nicht erwartet. Sei froh, wenn du ihn nicht triffst.«
»Aber was hat es damit? Gott mir, daß ich schon so oft darüber nachgedacht hab, wenn die Hitz einen nicht schlafen laßt, oder droben auf der Jagd, in den Wäldern … Wenn jetzt so derselbige Nebelbock heraufgestiegen käm …«
Der Fuhrmann knallte dreimal hintereinander laut mit der Peitsche. »Beruf's nicht, du … Was es damit hat? Daß keiner ihn kriegt, das hat's damit. So lange man von ihm weiß und so viele es versucht haben auf ihn, keiner hat ihn bekommen, aber gestorben sind viele drüber. Dreimal zeigt er sich; bedeuten tut's jedesmal etwas. Wer ihn aber dreimal sieht und beim drittenmal nicht erlegt und erlöst, der ist hin. Stirbt übers Jahr, wird siech, wird schwermütig, verunglückt …«
Dem Morlaken lief es kalt über den Rücken.
»Wie: erlöst?«
»Weil sie sagen, es wär ein verwunschener Geist, die Seele von einem wilden Jäger, der vorzeiten einmal in diesen Wäldern gehaust hat …« Wieder klatschte Stermelz bannend mit der Geißel; scharf hallte es zwischen den ruhenden Hängen unterm schmalen blassen Sternenhimmel. »Soll etwan alle Schätze und Geheimnisse der Berge gekannt haben, derselbige; war der Geliebte einer Vila, einer Fee; hätte sie um der Jagd willen verlassen, sei einmal einem pechschwarzen Bock mit goldenen Hörnern im Nebel nachgegangen und für immer verschwunden … Ob der's ist oder der andere, der ihm erschienen und ihn in den Tod gelockt? … Gleich der Seloutz droben ist voll von Dolinen und geheimen Schlüften, da sind einst ein paar Junzen, Jungochsen samt Wagen und Führer eingebrochen und nie wieder gesehen worden; und im Berge Zirnik ist ein See, vor Gewittern und Erdbeben grollt und donnert der, da ist einmal ein Mann von solch einem Trichter verschluckt worden und drei Tage lang drin herumgeschwommen und schließlich ganz bei Malence drüben an der Gurk wieder an den Tag gelangt … Es gibt schon Geschichten; aber man spricht nicht gerne darüber. So wenig wie vom Peter Klepetz, den man auch nicht berufen soll …«
»Peter Klepetz, wer ist denn das?«
»Ein Riese, ein Schatten mit einem Baum zur Stange und hohen Schaftstiefeln, wie die Flößer sie tragen. Auf einmal, wenn man's nicht denkt, wird es dunkel und Sturm erhebt sich, und der Peter Klepetz wachst hinter einem über die Wälder hinaus und schreckt die Pferde, daß sie durchgehen und alles miteinander Hals und Bein bricht. Soll einst zu Türkenzeiten ein gewaltig starker Mann gewesen sein und sich mit seinen Siebenkräften auf die Ewigkeit vertrutzt und vermessen haben … Oder der Tschatesch mit dem Bocksfuß: wenn man den erzürnt, greift er in die Kette und sprengt sie oder hakt sie aus, oder er stoßt einem den Radschuh unter der Felge weg, oder er schlagt Feuer an den Bremsbaum, klemmt und verbiegt die Winde … Was solcher Sachen sind; ein Fuhrmann erlebt viel …«
Die Geißel knallte; der Alte versank in Schweigen. Der Bach rauschte, vom schlummernden Gatterwerk im Grunde, von den mattschimmernden Bretterstößen her wehte Herbduft frischwunden Holzes im kühlen Aushauch der Schluchten. Eine Grille schliff, Glühkäfer zogen über den schmalen Wiesen im silbrig schauernden Schwadengespinst …
»Da, bevor das da war, damals hättst hier sein sollen,« sagte Stermelz schläfrig mit lässigem Hindeut der Peitsche; »damals hat's dir Rehe gegeben, zu fünfen, zu achten gleich sind sie hier herumgestanden, wenn ich spätnachts wie heut hinaufgefahren bin nach der Hütte … Nicht einmal geschreckt haben sie sich vor dem Wagen, mit langen Hälsen zugehorcht haben sie mir, wenn ich so nach ihnen hingeklatscht hab mit dem Schmitz … Überhaupt, das waren Zeiten, da hat's Sachen gegeben …«
Um einen Felsbruch her fuhren sie in finstre Enge ein. »Da ist einmal so ein herrschaftlicher Jäger heiler Haut heruntergesprungen,« erklärte der Fuhrknecht weiter; »nach der Servitutenablösung war das, da hat er nichts anderes als ein paar Truthühner im Gräflichen zusammengefangen, und die Weiber aus den Dörfern droben hinter ihm her mit Zähnen und Besen und Gabeln und Harpen wie die Höll … Was ist ihm übrig geblieben, wollt er sie nicht in die trächtigen Bäuch schießen, sie hätten ihn gespießt und zerfleischt und sonst was … Und da drin ist einmal ein anderer Jäger stehenden Fußes, mit Gewehr und Hund, auf einem ganzen großen Stück Waldes abgefahren, nichts ist ihm geschehen, die Buchen sogar sind aufrecht weitergewachsen auf der abgegangenen Scholle … Und hier« – der Alte senkte die Stimme – »hier, das ist eine verrufene Stelle, da zuckt mitunter ein blaues Irrlicht, die Pferde sogar gehen nicht gerne drüber, – – schau, hörst, wie sie schnauben? … No ho ho … Da hat einmal einer einen anderen erschlagen.«
Ilija fröstelte. »Erschlagen?«
»Na, wie man eben so dafür sagt. Erschossen eigentlich. Umgebracht.«
»Erschossen, mit einem Gewehr?«
»Freilich, mit einem Gewehr.« Der Fuhrknecht lachte unheimlich. »Kennst es sogar, dasselbige Gewehr, sehr gut kennst es, so genau wie ich. Zwölf Körner auf die Ladung, drei Kernschrot immer zusammen in der Mitte …«
Der andere schauerte. »Das Gewehr, das ich – –+?«
»Dasselbige. Mit dem, ja. Hat früher so einem Glasbläser von der Hütte drin gehört, der war der Sohn von einem Waldhüter in Böhmen droben, hat's aus der Heimat mitgebracht. Wenn du lesen kannst …«
»Gott mir, daß nein.«
»Also, da könntest's noch jetzt auf dem Lauf sehen: Lebeda in Prag. Das ist nämlich, der das Gewehr gemacht hat. Und wenn man den Rost mit ein wenig Petroleum abreibt, kommt das Muster vom Eisen heraus: wie lauter Blumen, wie kleine Rosen ineinanderverwachsen, eine feine Arbeit … Ha, nach dem, nach diesem Glasmacher haben wir, die Konfinka und ich, die Flinte dann gekauft: für fünf Gulden, das ist sie noch heut wert … So, für gewisse Gelegenheiten; eine Waffe ist immer gut zu haben in einem einsamen Haus.«
»Nach ihm, wieso nicht von ihm?« fragte Schorman.
»Weil er selber« – Stermelz zögerte überlegsam – »er selber auf und davon ist nach der Geschicht', und kein Mensch hat je wieder was von ihm gehört oder gesehen.«
»Und der andere?«
»Welcher andere?«
»Na, der, den er – –. Wer war das? Warum?«
»Ah ja, richtig. Auch einer von der Hütte, ein Schreiber oder Buchhalter oder so; ein junger Mensch, aber hinter den Weibsbildern her wie der Bock, und boshaft dabei und tückisch und aufsässig wie der Teufel. Weil er nämlich ein wenig verwachsen gewesen ist; die sind immer so, die Gezeichneten. Hat ihn keiner von den älteren Arbeitern leiden können; waren alle froh, wie er hin gewesen ist; hat jeden immer gleich aufgeschrieben für nix und wieder nix, immer nur Abzüge gemacht, die Leut sekkiert und gezwiefelt. Eine Weibergeschicht dann halt; natürlich, was denn sonst? Ein Mädel, das dem in die Nasen gerochen hat; und just mit derselbigen ist der Glasmacher versprochen gewesen oder so irgendwie, vielleicht auch nur eine gewöhnliche Liebschaft; und das Frauenzimmer, natürlich, hat dem buckleten Satan nicht zuwillen sein mögen und hat sich bei ihrem Glasmacher über dem seine Nachstellungen beklagt; und darüber sind's aneinandergekommen, und der, was der Schreiber war, ist dem Glasbläser jetzt noch extra aufsässig geworden; hat ihn einmal bei irgendeiner Kleinigkeit erwischt, geht damit zum Mädel, droht und zwingt sie sich auf die Weis; verschwärzt den anderen hinterher trotzdem noch beim Direktor und erreicht seine Entlassung; no, und der Glasbläser, was tut der, nimmt die Flinten von seinem Vatern und paßt dem Hund auf dahier in der Engen, wo er nicht aus kann, und knallt ihn zusammen … Das war das Ganze … Da siehst, was es schon alles auf sich hat, dein Gewehr.«
Schorman holte tief Atem. »Gott mir, daß ja. Genug.«
»Und noch dumm ist er gewesen, der Glasbläser,« setzte Stermelz nach einer Weile mit trockenem Auflachen fort; »dumm wie ein Krebs in der Reuse. Wenn er sein Gewehr, die Praxen, nicht so oft gezeigt und sich damit geprahlt, und für Zeugen gesorgt hätt, daß er daheim im Bett war in selbiger Nacht – keiner hätt ihm was anhaben können. Ein Waldhüter, hätt man geglaubt, oder ein herrschaftlicher Jäger oder sonst wer: – der Schreiber mit seinen Weibergeschichten hat Feinde genug gehabt in der Gegend … Du selber hast die Flinten noch keinen sehen lassen?« fragte er in plötzlicher Besorgnis.
Ilija schien zu erwachen, wie aus Traum oder Trunkenheit. »Gott mir, daß nein.«
»Auch niemand was erzählt davon?«
»Gott mir, daß nicht. Wie werd ich?«
»Hat sonst jemand was gemerkt?«
»Daß ich hie und da in den Wald gehe, das wissen sie. Aber ich bringe immer etwas mit, Pilze oder Beeren.«
»Aha, wie damals, nicht wahr. Und hast die Flinte im hohlen Baum?«
»Gott mir, gewiß. Und den hab ich schon zwei- oder dreimal gewechselt.«
»Nun, dann ist's ja gut.« Ein Hund bellte, heisere Stimmen schallten, das Barackendorf mit einzelnen trüben Lichtern wuchs dumpf aus Tiefdämmerung des verengten Tales heran; die Halden schimmerten, hell im dunkelruhenden Berg schrägte drüber hinan die Trasse. »So, steig ab, Gevatter. Und schau halt, daß du für morgen was kriegst; die Ljubitza wird's dir schon in Ordnung abnehmen.«
Langsam auf ungefestigten Wegen knarrte der Wagen in die Finsternis des Talschlusses hinein. – – –
*
Ilija verbrachte eine schwüle, eine endlose Nacht.
Der Nebelbock; der Peter Klepetz; das blaue Irrlicht; Blutrost auf der Flinte … Und sie: Ljubitza.
Ljubitza. –
Ein Kind greinte, eine geschlagene Frau weinte, die Schläfer stöhnten im Dunst, Geröll klirrte die Halde herunter, ruhig droben wandelten und sanken die Gestirne. Eine letzte Nachtigall schlug drunten am träumenden Bach und verstummte; Frühling schied, der ernste Sommer kam still über die schlummernden Berge herauf. – –
Schorman im duftkühl taublauen Dämmer schlich auf leisen Opanken; in Gründen und Schoßen schwammen die Nebel, die Wälder schauerten; fern in hohen Morgenwiesen schliff und schurrte der Wetzstein.
Ilija aber war zerstreut; er konnte sich nicht sammeln, nicht zwingen, wie die Nachtschwalben über ihm schwärmten und spannen seine Gedanken. Ein Stück Wild brach lärmend weg vor ihm, ein zweites; war es der leichte Frühwind, der Witterung vor ihm herkräuselte? … Der Peter Klepetz regte sich und wuchs im Zwielicht mit drohender Flößerstange; der bocksfüßige Berggeist setzte in prasselnden Sprüngen über die Streu. Narrende Stimmen riefen und raunten, heimlich Gelächter meckerte; und wieder knackte ein Reis, rauh schreckte ein Reh, ein Schatten lief, Fittiche flügelten und rauschten schwer durchs Gezweig … Schon wollte Schorman die Jagd aufgeben.
Er hockte sich schließlich in Hinterhalt auf Vorpaß und hatte Glück: mit erster Sommersonne trollte ein Gabelbock ihm vors Mordrohr und brach im Bleistrahl zusammen. Noch wartete der Schütz seine Zeit ab; dann huschte er hervor, raffte die Beute und floh unter der leichten Last vor dem hereinstrahlenden Tage blindquer durch Hang und Holz hinab, als wäre dieses sein erstes Wagnis oder als dunkelte der Peter Klepetz ihm riesig im Rücken.
Plötzlich aber blieb er gebannt stehen; sein Blut starrte; Herz und Atem stockten.
In altverwachsenem Schlag, hinter tauglitzerndem Busch auf eine schmale Lichtung heraus, keine dreißig Schritte weit, trat ein starkes fahldunkles Reh, umschillert von sonnbuntem Blenddunst der Frühe. Goldbraun funkelte das urmächtige schwere Gehörn über finstrer Stirn, wie geschmolzen Gold gleißten die hohen blanken lodernden Enden. Furchtlos, ruhig überlegen äugte der gespenstige Bock den gebannten Menschen an, stampfte mit dem Lauf, schlug einmal mit der blitzenden Krone; und dann, in einem Wimperzucken, war er lautlos verschwunden, die Bloße leer.
Keine Gerte, die schnellte, keine Flucht, die dröhnte. Die Meisen zirpten, glührot schrillte der Specht, ein Häher krätschte über die Schlucht, in zarten Flocken schwebten die Nebel an hängen und Halden zum Morgen hinan und zerschmolzen aufgelöst in der Tiefe seliger Himmelsstille …
Der Nebelbock. Der verwunschene Bock. Der Nebelbock mit dem Goldgehörn …
Ilija hastete Schleichwege hinab. An den Aststumpf krummen Maßholderbaumes unter gestrüppigem Klippensturz hängte er die verschränkte geringe Beute.
Der Nebelbock. Der Nebelbock. Das Goldgehörn. Ljubitza. –
Und dann stand er wieder halbnackt am gluthauchenden Gefels, Hammer klirrte, Klaue bohrte, über der Trasse waberte blasig der Glast.
Der Nebelbock. Das Goldgehörn. Ljubitza.
Heut abend. Allein.
Nichts anderes. –
Der mit dem Spazierstöckchen und dem gehässigen Aufschreibebuch, der Neue, der – – aber es konnte ja gar nicht wahr sein – – der – der Feind kam an den Rotten heruntergespürt. Ilija fühlte seinen Blick im Nacken, sein Beobachten, Spannen, Lauern. Angestrengt sah er auf den Fall des Hammers.
»Du!«
Schorman arbeitete taub weiter.
»Du! … Du da, mit dem Hammer; dich, ja, meine ich.«
Nun war kein Ausweichen. Ilija trat mit ruhendem Gerät heran, rückte die Mütze und nahm widerstrebend Haltung.
»Ah, der Raucher und Zuspätkommer! Warum grüßt du nicht, wenn ich schon hinter dir stehen bleibe? Du hast zu grüßen, verstanden.«
»Gott mir, daß ich's nicht gesehen habe.«
»So so, nicht gesehen. Du trägst die Militärmütze. Du warst Soldat?«
Schorman reckte sich in erwachtem Bewußtsein.
»Gott mir, daß ja; drei Jahre lang; auch im Krieg.«
»So so; von mir aus. Dann weißt du aber auch, daß man dir beim Regiment das Sehen eines Vorgesetzten mit ein paar Tagen Kasernenarrest beibringen würde. Du bist mir bekannt. Vom Konfin her oder vom Wege dahin. Gehst du nicht öfter hinunter?«
»Gott mir, es kann sein, ich weiß nicht. Ja, dorten gewesen bin ich schon.«
»Weißt du, wer und was ich bin?«
»Ein Herr Indženir,« sagte Schorman bedrückt; »sonst weiß ich nicht.«
»Wirst es schon noch erfahren. Auf alle Fälle bin ich dein Vorgesetzter, den du zu grüßen hast, fertig. Du: bist du nicht auch derjenige, der die Wirtschaft drunten, den Konfin, hie und da mit Wildbret zur Lieferung nach Agram versorgt? Mir scheint stark, daß du das bist?«
Ilija erschrak ins Innerste hinein. »Gott mir, daß ich von solchem nichts weiß.«
Der junge Herr steckte sich hochmütig eine Zigarette an. »Nein? Nichts? Aber ich. Und was nicht, werde ich schon noch herausbekommen. Mir liegt ja nichts dran; ich meine nur. Wilddiebstahl ist Vergehen und kann Verbrechen sein. Man wird dafür eingesperrt. Also überleg dir's. Morgen frag ich noch einmal. Dein Schaden soll die Wahrheit nicht sein. Du bist's übrigens gar nicht, um den ich mich bei der Geschichte bekümmere. An dir und deinem Treiben ist mir gar nichts gelegen. Nur an der Wahrheit; und die will ich von dir erfahren. Also bedenk's.«
Der Feind ging; Schorman blieb bestürzt zurück.
Dann beruhigte er sich wieder, betäubte er sich mit drängender Arbeit.
Was konnte der schon wirklich wissen? … Was scherte er sich um den Konfin und seine Geschäfte? … Der und die Ljubitza, wie der boshafte Tschech wollte? Wo es von ihm hieß, daß er's in Stojdraga droben mit den Walachinnen wild treibe bis zum allgemeinen Ärgernis, daß er mit den anderen Herren vom Bau und selbst mit dem verführten Popen die Nächte hindurch spielte und soff … Ilija wurde es schwül; er rieb sich den Schweißbrei von der brandbraunen Stirne … Aber alles Geld auf dieser Welt, was war das gegen das Goldgehörn? … Und der da, so einer, der selber gar nie Soldat gewesen, der wollte ihn Disziplin lehren? … Schorman ballte die Faust. Aber heute Nacht – –
Der Nebelbock. Bas blaue Irrlicht. Die Engschlucht. Ljubitza.
Schlag auf Schlag, Linie um Linie, Zoll für Zoll. Erz klang. Gestein knirschte. Luft loderte.
Am frühen Nachmittag dann wurden die Bohrstollen geladen und verkeilt. Eilends vor den schmutzqualmig spuckenden Zündschnuren tummelten sich die Rotten in Bergung. Schwer schütterten die Schüsse durchs Gefels, Stürze rauschten riesig zu Tal; Vid Filek aber wankte mit einemmal, griff in die gewittrisch schweflige Brandlust und schlug vornüber aufs blutüberschwemmte Gesicht.
*
Wetter murrten tief in den Bergen; es blitzte, die Sterne schwanden.
Drei unverkürzte Gulden hatte die Ljubitza ihm für den Bock gegeben und gleich einen Doppelliter vom besten Roten aufgesetzt und frei Tabak und Zigaretten dazu, und alles im Auftrag der Horvatitschka. Und nun war sie allein bei ihm im verlassenen Haus und gehörte ihm und war dach zerstreut und horchte über ihn hinweg in die schwüle Nacht hinaus.
Kein Wagen, der knarrte, keine Peitsche, die knallte. Die Donner warnten, der Bach plätscherte, gegen das Blitzgeleucht über den Wäldern riefen heiser die jungen Eulen.
Und Ilija mit weinwirrem Kopf nahm und fragte nicht und war glücklich.
Plötzlich aber glitt sie aus seinem Griff. »Still. Jemand kommt.«
»Wer kommt? Wer sollte kommen? Das Wasser über den Steinen, der Wind vor dem Wetter.«
»Still …« Sie lauschte. Draußen lief es leicht und gewohnt die Treppe herauf. »Still; bleib.«
Es pochte. Eilends ordnete sie Haar und Hemd, nahm den Leuchter. »Still; bleib.« Sie huschte hinunter, Ilija starrte im Dunkel. Eine Mannsstimme. Mannsstimme, die er kannte, die er an diesem Tage, vor wenigen Stunden vernommen. Sein Herz schlug an, rot verfinsternd schoß es ihm zu Kopf. Er tappte nach. Er horchte. Er hörte.
»Wo ist die Alte?«
»Noch nicht zurück.«
»Wann wird sie kommen?«
»Ich weiß nicht, vielleicht morgen erst.«
»Was soll das heißen? Ich bin für diese Stunde bestellt. Glaubst, ein Spaß, der weite Weg da herunter?«
»Vielleicht kommt sie noch.«
»Hat sie nichts gesagt, was du mir ausrichten sollst?«
»Daß Ihr warten sollt, und daß sie's bringt.«
»Weißt nicht, wohin sie gefahren?«
»Zu irgendwelcher Kasse. Nach Agram wahrscheinlich.«
»Gut. Ich werde also warten. Kannst mir einen Liter Wein bringen. Und gib Zigaretten. Oder, noch lieber, du kochst mir einen Kaffee. Jemand sonst im Hause?«
»Niemand, wer sollte?«
»Weil es so nach irgendwem, irgendwas riecht. Ich werde überhaupt hier nächtigen. Bei dem nahen Wetter noch einmal den weiten Weg, ich danke. Ganz schön, einmal so, ohne die aufpasserische Alte. Und mit dir allein. Was meinst, Berta?«
Sie schwieg. Schorman hielt sich mühsam fest. Wie nannte er sie? Nicht Ljubitza?
»Ganz schön, ja, nicht? Du, Berta, komm her – –«
Es wurde still. Es währte. Ilija hinter der Tür griff würgend nach dem eigenen Halse.
»Ich will jetzt Kaffee kochen gehen, schau.«
»Ach was, das kannst später auch. Die Nacht ist noch lang.«
»Wein holen.«
»Brauch ich nicht, mag ich nicht. Du, Berta –«
»Nein, bitte nicht, Herr Branko …«
»Ach was, Herr Branko! … Branketz sag zu mir und sei lieb und sei gescheit …«
»Ich muß erst das Tor schließen …«
Und wieder ringende keuchende Stille; der Laurer duckte sich zum Sprung; er zitterte. Wenn er jetzt die Türe aufstieß; wenn er mit Augen sah … Er setzte an; hob schon den Fuß zum Tritt – –
»Geh, na, so komm.«
»Nicht, Herr Branketz.«
»Warum nicht? Was ist dabei?«
»Herr Branketz, nicht.«
»Geh, wo wir grad einmal so hübsch beisammen sind …«
»Und wenn dann die Frau auf einmal da ist …«
»Die hätt grad viel zu sagen, die …«
– – und Schorman zögerte und war mit einmal klar und gefährlich abgekühlt. Nichts hier, nichts jetzt; das machte man anders.
So wie die in den Schwarzen Bergen, so wie die Herzegowzen; so machte man das, so.
»Nicht, Herr Branketz, ich schrei.«
»So schrei; wird dir grad viel helfen im leeren Haus.«
»Ist vielleicht gar nicht so leer …«
»Schrei doch, da wird man's ja sehen. Ich werd übrigens mit jedem fertig. Sehr schnell und kurz. Meinst, nicht? Käm auf den Versuch an. Geh, was bist du so? Hab gemeint, du wärst klüger. Du, Berta –«
»Was ist? Lassen Sie mich schon los, Herr Branko; ich will den Kaffee aufsetzen.«
»Ja, immer willst und mußt du; und immer grad dann, wenn einmal ich etwas will und möchte. Nichts da; jetzt will und muß ich.«
»Was denn? Lassen Sie mich, Herr Branko, ich bitte.«
»Was? Dich haben!«
»Herr Branko, lassen Sie mich, ja?«
»Fallt mir gar nicht ein. Jetzt hab ich und halt ich dich. Du, schau einmal her, Berta – wenn ich dir nun sagen würde –«
»Was? Ich habe keine Zeit!«
»Natürlich nicht? Wann denn je? Hast aber Zeit zu haben, meine Liebe; gefälligst auch einmal für mich. Schau – hab dir's überhaupt längst einmal sagen wollen – – ich rate dir: stell dich mit mir gut. Es kann dein Glück sein, verstehst? Du weißt doch, bist doch kein heuriger Has – –«
»Was soll ich wissen? Woher soll ich etwas wissen?«
»Na na; was tust so unschuldig? … Für gar so vernagelt brauchst mich auch nicht zu halten. So, nicht wahr? … Die Alte, nicht wahr? … Und ich, nicht wahr? … Kannst mit ein bissel Verstand einen Platz finden und behalten für lange Zeit, fürs Leben; und bist und bleibst dumm, kannst morgen packen und gehen müssen ebensogut … Nämlich, damit du's weißt und dir aufschreibst: der Herr in diesem Hause bin ich. Ich. Verstanden.«
»Davon ist mir nichts bekannt.«
»So laßt dir's eben von jetzt an bekannt und gesagt sein. Und überleg dir's und richt dich danach ein. Weißt, ich komm aus der Stadt, bin's nicht gewohnt, hab keine Lust, hier auf dem Lande erst lange zu betteln. Und nun gar – –«
»Was: und nun gar? …«
»Na. So. Nicht wahr. Sollt ich vielleicht feierlich mit einem Blumenbuschen anhalten kommen oder dir einen Heiratsschwefel vormachen? Das wirst von mir nicht verlangen und erwarten. Oder? … Also. Geh, komm. Sei gescheit, was tust so?«
»Tu ja nicht so. Ein andermal. Morgen vielleicht. Morgen.«
»Warum erst morgen? Morgen könnt's vielleicht zu spät sein. Heut, jetzt, ist das nicht die schönste Gelegenheit? Hab schon lang darauf gespitzt, einmal so mit dir allein zu sein. Denkst, ich werd jede Nacht zu Fuß weite Liebesreisen machen wie ein Kater?«
»Morgen. Bestimmt. Morgen.«
»Ja, und morgen ist dann wieder nichts, und jedesmal eine andere Ausred. Jetzt. Komm.«
»Nein. Still! … Man hört etwas …«
»Was soll man hören? Donnern hört man, sonst nichts. Hör du lieber mich. Also?«
»Doch, ich hör was … Da, und der Wind steht auf! … Ich muß das Tor schließen und droben die Fenster …«
Kerzenschein sprang in den Flur; draußen vom Pergel an der Mauer hin tappte es schnell die Treppe hinab, wie tastend irrte, wie suchend schwankte das Licht im Hause umher; in der Stube hinter den dumpfen roten Fürhängen wanderte ein ungeduldiger Schatten.
Hohl vor dem Wetter brausten die geweckten Wälder; blauer Blitzhusch überflackte die hagere Wildgestalt im Weidendunkel am schwülsommernachtrauschenden Bach, ein böses Adlergesicht, ein paar brennender Augen …
Das machte man anders.
Die Donner wuchteten; Tropfen schlugen auf. Geheimnisvoll süß, giftwürzig unterm dunstenden Regenfall duftete die gespensterbleiche Johannisblüte. Von der letzten Kehre um den Berg sah der einsame Gänger noch einmal zurück. Die Lichter im Hause waren erloschen.
*
Ein Schuß? … Primus erwachte aus träumendem Starren. Ein Schuß um diese Stunde, im tiefsten Finster des Tales? …
Aber es war ja Sonnwendnacht. –
Sonnwendnacht, und auch er hatte seinen Kres, seinen Loderstoß auf der Hochwiese über der Hütte zusammengetragen, kundig geschichtet und angezündet, hatte den Göttern einen Schuß geopfert und über die Wälder hingejuchzt zu den grüßenden Feuern der Ferne, und nun saß er einsam vor dem sinkenden Brand und sann und spann und starrte.
Die Nachtgeister schwärmten; Fratzen spähten aus angestrahltem Busch; ein Reh schmälte über die Höhen; in den Gräben drunten zischten und krächzten heiser die jungen Käuze; ein Falter kam, taumelte in die aufleckende Flamme und verging.
In der Heimat beim Kres, bei Tanz, Sang und Sprung war es lustiger gewesen.
Aber Primus dachte nicht mehr gerne an die Heimat zurück. Er floh die Erinnerung; er scheuchte sie; sie war ihm lästig.
Nicht einmal mehr nach dem zackigen Zug der Alpen sah er hin, nach den seligen freien Planinen, dem Grintouz, der Ojstritza, der Škuta weit über Abendbergen und Gefilden im toten Vesperdunst. Er mied den Ausblick; er suchte Ruhe in düsterer Enge der Schluchten, was sollte er? Sein Herz war nimmermehr dort.
Das Lied, das verwünschte wehe Lied, das ihn so getroffen, daß er mitten auf bestem Wege stehenbleiben mußte, an die Brust wie nach einer aufbrechenden Wunde greifen und weinen …
»... Um Liebe nicht will ich dich fragen,
Nicht bitten dich je um die Hand:
Will dich in der Seele nur tragen,
Auch wenn zerreißt, was uns band …«
Ihre quellklardunklen Augen; ihre straffen warmen Brüste; ihr tiefeinschlürfender Kuß … Und eigentlich war sie doch auch nur ein armes Mensch, fremd hier und abhängig wie er selbst. Und hatte auf ihn gewartet und sich nach ihm, nach einem guten Wort, nach ein wenig Glück gesehnt; und er hatte sie gekränkt und verschmäht, und sie hatte vielleicht bis zur müden, silbernen Mitternacht gehofft und sich bis in den hellen Morgen gehärmt … Und in der nächsten Nacht war er doch wieder zu ihr gegangen, mit einem Buschen vom bleichen, schattenduftigen Johanniskraut und den zwei schillernden Flügeln einer Blaurake, die er einmal in diesem Frühling geschossen. Er hielt es ja in seiner Einsamkeit droben nicht aus ohne sie, mit ihrem heißen Geflüster im Ohr, mit ihrem schwimmendem Blick vorm Aug, mit dem brennenden, blutenden Lied in Sinnen …
Daß er sie doch nicht verlassen solle, hatte sie so bitterlich bittend gesagt. Und daß sie am allerliebsten gleich mit ihm hinauf nach seiner Hütte ziehen und bei ihm bleiben möchte, hatte sie gesagt. Und ob er nicht dann später sie mit sich in einen anderen Dienst würde nehmen wollen, hatte sie gesagt. Und daß ihr Vater vor kurzem gestorben sei und wie sie nun ganz allein und verlassen dastünde in der Welt, und wie es ihr von zarter Jugend auf hart ergangen und wie sie immer nur habe verdienen und sich heimatlos Herumstoßen lassen müssen von Ort zu Ort, und daß sie eigentlich gar nicht Ljubitza heiße, sondern anders … Und dazu das todwehe Lied im Herzen, und dazu die eigene Vereinsamung hier, die eigene Fremdnis, und diese Jahrzeit der Liebe und Sonnenwende, und die wie nacktfeuchte Weiberhaut duftende Maronenblüte, und der gestorbene Frühling und mit dem Sommer schon ein Sinken und erstes Schauern zum Herbst, zum Scheiden und Sterben …
Und morgen würde er vielleicht wieder bei ihr sein.
Was lag daran? … Wenn es schon die Fügung so wollte? … Wenn es ihn schon zu der geführt, damals mit den drei Schüssen, an jenem taublaßgoldenen Morgen dann mit dem Bock …
Mit dem Bock, auf den er sich so viel eingebildet …
Bock: wann wieder würde er einen schießen? … Wenn: dann einen nur, und wenn er dem nachbirschen müßt bis in die Unterwelt, bis hinab in die tiefste Höll.
Ihn, den er früher noch nie gesehen, gegen den alle, die er kannte, nichts waren; ihn, dem er neulich begegnet, droben im Dren, auf früheschauerndem, geisterfahlem Nebelpfade von ihr.
Ein Bock, dergleichen er nimmer geschaut, ein Sagenbock, wie er ihn kaum je geträumt: verdichtete sich mit eins aus Dunst und Dämmer, stand still und hoch im grauen Zwielicht auf dem Waldwege, und war lautlos, ohne das Dröhnen einer Flucht, ohne das Schnellen einer Ranke verschwunden.
Der Nebelbock. Der Spuk. Nun hatte er ihn wirklich gesehen. Er war da; er bestand; ihm konnte sich keiner vergleichen.
Sollte etwas vorbedeuten nach des alten finsteren Waldmanns Gemunkel, was?
Wie solche verdüsterte Einschichter eben daherreden aus ihrer eigenen Einbildung.
Aber erschienen war er ihm, der graue Gespensterbock. Und wenn das überhaupt ein natürlich Stück Wild war von Fleisch und Fell, dann – –
Nachthexen schwebten und spannen; Stimmen flüsterten, Rufe klagten, Gestalten zogen, bockshufige Sprünge setzten dumpf über die Halde hinab in den Grund … Funken verschwärmten sterbend gegen die ruhenden Berge, in taukühlem Aufhauch der Täler schwamm der nackte Menschenruch der Maronenblüte.
Sorgfältig vertrat Primus die letzte kriechende Glut; dann stieg er durch Leuchtkäfertanz unterm Wandel der hohen Sommergestirne zur einsamen Hütte hinab.
*
Seltsam schwellend Rollen und Grollen in der Tiefe schreckte den Jäger noch einmal aus schwülem Entschlummern.
Was war das? … War er daheim, und von den Planinen herab donnerten im juchenden Föhn die Lawinen?
Er besann sich, von den Rollwagen einer war mit letzter Abendfracht oben auf der Bahn stehengeblieben; nun hatte er durch irgendeinen Stoß oder Zufall den Halt verloren und jagte und eckte mit seiner Last ungebremst, führerlos die rauhe, mächtige Schlucht hinunter und würde aus dem Gleis springen, und in den Felsen zerschellen. –
Und morgen war er wieder bei ihr.