Friedrich von Gagern
Im Büchsenlicht
Friedrich von Gagern

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Jagd vorbei!

Eben stieg der sechste Toast – zu meinem Unwillen. Die erlesene Marke schweren Bordeaux', die uns der freigebige Jagdherr aufgetischt – es war ein Jahrgang des köstlichen St. Julien, der nur mehr in raren Privatkellerheiligtümern schlummert – war mir zu gut zu solcher Profanation. Und meine beiderseitige Tischnachbarschaft auch. Dazu war ich herzlich müde vom tagelangen Stolpern auf gefrorenem Sturzacker. Ein, zwei witzige, pointierte Tischreden – all right. Da klingen oft zwei Kelche voll inniger Beziehung aneinander; seltsame Blicke fliegen über den erhobenen Rand des Glases. Neues wird geahnt, Altes geschürt. Später aber weicht dies allgemeine Einverständnis gleichgültigem Zusammenklirren der Becher: die Feier ist entweiht . . . So gab ich mir gar keine Mühe, meinen Groll über die Stil- und Spielverderber zu verbergen, ja, rührte kaum das Glas, als der Redner irgendeinen Begriff aus irgendeinem unauffindbaren Grunde hochleben ließ.

Meine Nachbarin – die linke, interessantere war es; die rechte hatte ein reizend dummes Puppenlärvchen – merkte dies Manöver und lächelte zustimmend.

»Sie auch –?«

»Ich auch!«

»Daß alles gleich überlaufen muß.«

»Gehört zum guten Ton.«

»Sie scheinen mir überhaupt kein Salonheld zu sein?« 179

»Kommt drauf an. Nach einer Kreisjagd weiß ich Besseres.«

»Sie sind müde?«

»Fast.«

»Nun, hoffentlich haben Sie Lorbeeren – ich glaube, ihr Jäger nennt das ›Brüche‹ – geerntet. auf denen Sie ausruhen können.«

»Es ging so leidlich.«

»Also nicht einmal Jagdkönig?«

»Das allerdings nicht. Ich hätte mich überhaupt besser halten dürfen.«

»Ihr Männer seid doch nie zufrieden. Immer neidisch und eifersüchtig!«

»Zumal wir Jäger. Man kann's immer noch besser machen – mehr leisten.«

»Die Reue kommt gewöhnlich zu spät.«

»Leider. Gerade, als ich ins rechte Feuer kam, wurde abgeblasen.«

»Ich war ja auch bei der Strecke – die war doch wirklich hübsch. Wieviel fällt davon auf Sie?«

»Das weiß man nie genau bei großen Jagden. Ungefähr siebzig Stück. Hundert hätt' ich leicht erreichen können, bei etwas mehr Geschick . . .«

»Ja, ja.« Sie seufzte ein wenig. »Wenn er einmal kommt, der große Tag, auf den man sich schon die ganze Nacht zwischen Schlafen und Wachen gefreut, dann geht's immer anders, als man sich's eingebildet hat. Und dämmert's dann wieder, so wünscht man, das Dunkel stünde noch ein Weilchen still hinter den Bergen, damit man rasch ein Zipfelchen Zeit erhaschte, zum Bessermachen und Bessergenießen . . . Oder man möchte nochmals ganz neu beginnen, weise und vorsichtig, wie man's heute geworden. Aber dann kommt 180 sie doch, die unbarmherzige Nacht, und alles ist vorbei – zu spät . . .«

Ein reizendes Plaudermäulchen! Wie klug es daherphilosophierte! Doch die Tafel wurde eben gehoben. Noch ein Blick, dann kam die Verdauungskur, und die Gruppen verschoben sich. Einige Höflichkeiten tauschte ich noch bei Fleur d'Isabelle und Mokka – dem Jagdherrn zuliebe. Als meine neue Freundin nicht mehr aus dem Strome der Gesellschaft hervortauchte, überließ ich die Standhafteren den Schrecken der Hausmusik und eines Tänzchens.

Ich war so müde, daß mir nicht einmal die düsteren Ahnenporträts, so in dem großen Zimmer hingen, das übliche Grauen einflößen konnten. Ungemütlich blinzelten die alten Grandseigneurs freilich in das bang flackernde Kerzenlicht. Eine Fledermaus huschte in verzweifeltem Irrkreise durch den Raum; draußen im Schloßparke heulten die Käuze, und dazu war's erbärmlich kalt – kein Wunder hinter solchen Mauern, in solch einem Riesensaale. Aber das gehört nun einmal zur Feudalität . . . Rasch drehte ich mir noch eine Zigarette, und dann warf ich mich mit solcher Wucht in die morsche Klappe, daß sich ihrem Greisenkörper ein wehmütiges Ächzen entrang. Schon in wohliger Auflösung der Nerven, gerade als ich die Kerze auslöschen wollte, gewahrte ich mir gegenüber einen besonders wild aussehenden Kerl, mit Flinte und Hatzrüden konterfeit. Gespenstisch leuchtete seine bleiche Fratze über dem Spitzenkoller, und der dünne Satansschnurrbart schien höhnisch zu zucken. Dazu schielte der Bursche immerzu ganz verdächtig nach mir herüber aus seiner dunklen, runzligen Leinwand . . . He, Kamerad, hast dich auch nicht sattjagen können dein Leblang? 181 Immer nochmal von vorn, was? aber dann schlauer? Und schließlich doch von der Strecke weg ins kleine, hölzerne Bettchen, wo sich's so kühl und friedesam schläft . . .

Und nun schlief ich selber. Kühl zwar, doch nicht friedlich. Die Turmuhr dröhnte gerade weiß Gott welche Stunde, da jauchzte ein ungestümer Windzug gegen die Scheiben, daß die inzwischen beruhigte Fledermaus wieder ängstlich hervorschnurrte. Da draußen schien aber auch die wilde Jagd durchs Holz zu hetzen . . . Das stöhnte und wieherte, das war ein Johlen und Horridoh, daß ich meiner erlauchten Umgebung schleunigst die vorhin bezeugte Mißachtung abbat. Meine Versuche, Licht anzustecken – in solcher Bedrängnis liebe ich Klarheit – scheiterten kläglich; denn der Sturm pfiff durch alle Fensterritzen, und die Fledermaus flatterte mir hartnäckig gegen den gerade aufflammenden Docht. Endlich gelang es mir doch, meinen Willen durchzusetzen, und als die Kerze wieder ruhigen Schein verbreitete, schien der Spuk gebannt. Der lästige Handflügler verkroch sich hinter eines der schwarzen Bilder; draußen schwieg die Winternacht im Hag, und die Eulen jammerten wieder vom Parke herüber . . .

Gebannt . . . .?

Jetzt begann mich das Grausen erst recht zu schütteln. Die würdigen, alten Herren huben an, aus ihren Rahmen herabzusteigen, einer nach dem anderen, gravitätisch und gemessen, wie sich's für solche Seigneurs ziemt; zuletzt der grimme Weidmann mit seinen Saufindern. Und nun sah ich erst, daß sie da mitten in meinem Zimmer Strecke gelegt hatten: hauende Schweine, gewaltige Rothirsche mit vielzackigem 182 Geweih, Rehe und Hasen lagen da still auf grünem Nadelreisig; selbst Erzschelm Reineke leuchtete gelbrot dazwischen. Halt, das war ja nicht mehr mein Zimmer – ich lag ja mitten im Burghofe im Bette! Just vor dem Portale der Schloßkapelle hatten sie Strecke gereiht, die lederwamsigen Jäger. Durch die bunten Scheiben der Spitzbogenfenster schimmerte frommes Altarlicht, und immerzu marschierte noch ein bewehrter Weidmann die Treppen hinab, von eisigem Gruftgeruche umfächelt . . . Endlich schienen sie vollzählig: hohe Herren von kleiner Souveränität, Grafen und Edelleute, Maitressen und Burgfräuleins, der Waldmeistertroß mit schwelenden Fackeln und der greise Rüdemann. Dann winkte der finstere Jäger mit der bleichen Fratze – es war wohl der Jagdherr – gebieterisch einen schmucken Edeljunker heran. Der mußte sich bäuchlings über ein hauend Schwein legen, und drei wohlgewogene Pfunde wurden seiner Wildlederhose zugemessen . . . Aber keine frohe, lachende Strecke war das. Traurig standen sie alle um das gefällte Wild, sonder Prahlen und Neid. Und dann schien es, als ob sie schwer aufseufzten in heißer Sehnsucht; ja, der Bleiche schüttelte grimmig seine Knochenfaust gegen den schwarzen Nachthimmel und die fromme Kapelle. Da verlosch das rote Fackellicht, der Gesindetroß zerrann in Schatten, und lautlos schloß sich das Kirchenportal hinter den gespenstischen Weidmännern . . . Jagd vorbei!

Als ich mir Schlaf und Traum aus den Augen rieb, schlich gerade der graue Wintermorgen ins Land. Die ehrwürdigen Bilder hingen stumm an der Wand, und der Bleiche schielte ebenso tückisch wie gestern aus der Dämmerung hervor. Schon hatten Tisch und Stühle Umriß bekommen – eben heulte der Waldkauz zum 183 letzten Male. Das wilde Sturmgejaid aber hatte eine reizende Neue über das Gelände gestreut.

Rasch fuhr ich in meine Jagdkluft. Nach solchen Fährnissen lob' ich mir ein paar Stunden greifbaren Naturgenusses. Heut galt's den Entvögeln unten am Flusse; ich kannte die interessantesten Tümpelchen und Nebenarme schon seit Jahren. Zehn Minuten später stapfte ich voll kindlicher Freude durch den jungen Schnee talab. Das war besser als wirre Träume und üble Nachtgesellschaft.

Diana schien heute gut geschlafen und gefrühstückt zu haben. Bald hatte ich ein halb Dutzend Grünhälse im Rucksack, und ebenso viele trieben noch in der eisigen Flut.

Nachmittags weiter per Kahn. Für den armen Hund wär's doch zu arg.

Lange währte das Vergnügen nicht. Nach zwei Stunden wirbelte es wieder lustig vom bleiernen Himmel herab, alles Ferne, Vergangenheit und Zukunft liebevoll verhüllend. So stapfte ich denn wieder heim, einem behaglichen Breakfast in die Arme.

Ein Schlitten klingelte mir entgegen. Gute Rasse, klare Fesseln, flotte Gänge. Der vermummte Kutscher hinten auf dem Löffel, ein niedliches Pelzfigürchen im Sitze . . .

»Ah – Sie! Na, gestern haben Sie sich aber großartig aufgeführt! So zu verschwinden!«

»Ich hab's ohnehin schwer gebüßt. Heut nacht waren sämtliche Burggespenster bei mir zu Gast.«

»Und ich bin Ihnen nicht erschienen?«

»Eigentlich nicht. Aber die Geister fanden es für gut, über Ihre Nimmerwieder-Theorie zu philosophieren.«

»Sehen Sie – die Rächer. Aber Sie können Ihre 184 Ungezogenheit wieder gutmachen. Morgen ist Hauptjagd bei uns. Mein Mann würde sich sehr freuen . . .«

»Ihr Mann?! . . .«

»Ja, er ist ein großer Jäger, und unser Revier wird Ihnen vielleicht Ersatz bieten für Ihre gestrige Schlappe. Für uns gibt's ja vorläufig immer noch ein Morgen. Man soll's nie aufgeben, auch wenn das Wild einmal flüchtig wird oder in einem fremden Reviere steht . . . Also Sie kommen, ja? Adieu!«

Davon glitt ihr zierliches Gefährte. Das Klingeln erstickte in weißem Schweigen, und das tolle Wehen verwischte das keusche, jungfräuliche Geleis . . .

Jagd vorbei! – Jagd vorbei? 185



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