Jean Froissart
Von dem Leben u. Sterben des Grafen Gaston Phöbus von Foix u. von dem traurigen Tode seines Kindes Gaston
Jean Froissart

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Sehr wunderbar und nachdenklich ist eine Sache – und ich werde, solange ich lebe, sie nicht vergessen –, welche mir ein Hofmann erzählte, der mir auch die unglückliche Schlacht bei Juberoth erzählt hatte; es ist ganz wahr, wie er mir sagte, daß den Tag nach dieser Schlacht der Graf von Foix schon darum wußte, und war ich höchlich erstaunt, wie das möglich sei, und den ganzen Sonntag und Montag und den folgenden Dienstag war er auf seinem Schloß zu Ortais so still und betrübt, daß man kein Wort aus ihm bringen konnte; auch wollte er in diesen drei Tagen seine Stube nicht verlassen noch mit einem Ritter oder Hofdiener sprechen, so vertraut er ihm auch gewesen sei, und ließ er deren welche zu sich kommen, aber redete nicht mit ihnen.

Den Dienstag abend ließ er seinen Bruder Arnauld Guillaume rufen und sagte ihm ganz leise: »Unsre Leute haben zu schaffen gehabt, worüber ich gar traurig bin, denn dieser Heerzug ist ihnen so bekommen, wie ich es ihnen bei der Abreise wohl vorhergesagt habe.«

Arnauld Guillaume, der ein sehr kluger Mann ist und die Art und Beschaffenheit seines Bruders wohl kannte, schwieg ein wenig, und der Graf, der seinen Mut aufheitern wollte – denn nur gar zu lang hatte er seinen Verdruß mit sich herumgetragen –, nahm das Wort von neuem und sprach lauter als vorher: »Bei Gott, Messire Arnauld, so ist es, wie ich Euch gesagt, und werden wir bald Nachricht davon hören. Aber niemals noch hat das Land Bearn seit hundert Jahren an einem Tag so viel verloren als diesmal in Portugal.«

Mehrere Ritter und Hofdiener, die zugegen waren und diese Rede des Grafen hörten, getrauten sich nicht zu sprechen und machten ihre Anmerkungen im stillen darüber. Zehn Tage nachher hörte man die Wahrheit wohl von denen, die dabei gewesen waren, und die gern jedem erzählten, der es hören wollte, wie es zu Juberoth hergegangen war. Da erneute sich die Trauer des Grafen und aller derer, welche dabei ihre Brüder, Anverwandte, Kinder oder Freunde verloren hatten.

»Heilige Maria«, sagte ich zu dem Hofmann, der mir die Geschichte erzählte, »aber wie ist es nur möglich, daß der Graf von Foix eine solche Nachricht so schnell wissen oder erraten kann, als von heut auf morgen?« –

»Meiner Treu«, sagte er, »er wußte es wohl, wie es sich zeigt« –

»So muß er denn ein Wahrsager sein«, sagte ich, »oder er hat Boten, die auf dem Wind reiten, oder er hat irgendeine Kunst.«

Der Hofmann lachte und sagte: »Wahrscheinlich muß er es durch irgend Zauberei erfahren, aber wir wissen eigentlich hierzuland nicht, wie er es machte und haben darüber nur eine Vermutung.«

Da sagt ich zu dem Hofmann: »Und diese Vermutung, wollt Ihr mir sie wohl sagen? Und wenn es eine Sache ist zum Verschweigen, so will ich sie wohl verschweigen und niemals, solang ich auf der Welt oder in diesem Land bin, den Mund darüber auftun.« –

»Ich bitte Euch drum«, sagte der Hofmann, »denn ich wollte nicht gern, daß man es wüßte, wie Ihr es von mir erfahren; doch spricht man wohl unter seinen Freunden davon.«

Nun zog er mich in einen Winkel der Kapelle im Schloß Ortais und begann feine Erzählung folgendermaßen:

»Es sind wohl ohngefähr zwanzig Jahre, daß in diesem Lande ein Baron lebte, der sich Raymond Seigneur de Corasse nannte; Corasse, damit Ihr mich recht versteht, ist eine Stadt, sieben Stunden von dieser Stadt Ortais; der Seigneur de Corasse hatte damals einen Prozeß zu Avignon vor dem Papst, wegen der Zehnden der Kirche in seiner Stadt, gegen einen Pfaffen von Castellogne, der sehr reich fundiert war. Dieser klagte, daß er ein groß Recht auf die Zehnden von Corasse habe, die wohl eine Einnahme von hundert Gulden betrugen, und das Recht, das er darauf hatte, zeigte und bewies er. Denn durch ein letztes Urteil vor dem ganzen Konsistorium verdammte der Papst Urban V. den Baron und entschied für den Pfaffen. Dieser nahm eine Abschrift des Urteils und ritt so schnell als möglich nach Bearn, zeigte seine Bullen und Briefe und ließ sich kraft derselben in Besitz des Zehenden setzen. Der Baron, der sich wohl der Geschäfte des Pfaffen vermutete, ging ihm entgegen und sagte zu ihm: »Meister Peter oder Meister Martin«, wie er dann hieß, »denkt Ihr dann, daß ich durch Eure Briefe mein Erbe verlieren soll? So viel Mut traue ich Euch wohl nicht zu, daß Ihr irgendeine Sache nehmet oder aufhebt, die mein ist, und tut Ihr es, so komm' ich Euch ans Leben; drum geht und suchet anderswo Gefälle; ich sage Euch einmal für allemal: Von meinem Erbe werden Ihr nichts kriegen.«

»Der Pfaffe hütete sich vor dem Ritter, denn er war grausam, und bestund nicht weiter darauf. Doch entschloß er sich, nach Avignon zurückzukehren, und kam vor seiner Abreise zu dem Seigneur de Corasse und sprach: »Mit Eurer Gewalt und nicht mit Recht nehmet Ihr mir die Gerechtigkeiten meiner Kirche, wodurch Ihr Euch in Eurem Gewissen schwer versündiget; ich bin in diesem Lande nicht so stark als Ihr, aber wißt, daß ich Euch, so bald als möglich, einen solchen Gesellen schicken will, den Ihr mehr fürchten sollet als mich.« Der Sire de Corasse gab nichts auf seine Drohungen und sprach: »Geh mit Gott, geh, mache, was du kannst, ich fürchte dich mehr tot als lebendig, und um deine Reden werde ich mein Erbe nicht verlieren.«

So reiste der Pfaffe ab und vergaß nicht, was er versprochen hatte. Denn als der Ritter am wenigsten dran dachte, ohngefähr drei Monate nachher, in seinem Schloß zu Corasse, wo er in seinem Bett neben seiner Gemahlin schlief, ließen sich unsichtbare Gäste spüren, welche alles, was sich in dem Schlosse befand, umzuwenden anfingen, und schien es, als wollten sie alles zusammenschlagen, und gaben sie solche Schläge an die Kammertüre des Herrn, daß die Dame, die darin schlief, höchlich erschrocken war. Der Ritter hörte das alles recht gut, aber er wollte kein Wort davon sagen, um nicht den Mut eines furchtsamen Menschen zu zeigen. Auch war er mutig genug, jegliches Abenteuer abzuwarten. Dieser Lärm und Unruh dauerte in verschiedenen Teilen des Schlosses eine ziemliche Zeit und hörten denn auf.

»Den folgenden Morgen kamen alle Diener des Schlosses zusammen und begaben sich zu dem Herrn, als er aufgestanden war, und fragten ihn: »Herr, habet Ihr nicht gehöret, was wir heut nacht gehört haben?« Er verstellte sich und sagte: »Nein, was habt Ihr dann gehört?« Da erzählten sie ihm, wie es die ganze Nacht im Schlosse gelärmt, alles umgekehrt und in der Küche alles Geschirr zerbrochen habe.

Er lachte und sagte, es sei ein Traum und nichts als der Wind gewesen. »Um Gottes willen«, sprach die Dame, »ich hab' es wohl gehört.« In der folgenden Nacht machten es die Ruhestörer noch ärger als vorher und schlugen dermaßen an die Türe und Fenster vor des Herrn Stube, daß der Ritter aus dem Bett sprang und sich nicht enthalten konnte, zu fragen:

»Wer ist es, der also zu dieser Stunde an meine Stube anpocht?«

Da antwortete es ihm sogleich: »Ich bin's.« –

»Und wer schickt dich«, sagte der Ritter, »hierher zu mir?« –

»Mich schickt der Pfaffe von Castellogne, dem du groß Unrecht getan und ihm das Seinige entzogen, auch werde ich dich nicht eher in Ruh' lassen, bis du ihm alles wiederersetzet.« –

»Wie heißt du denn, daß du ein so guter Bote bist?« –

»Man heißt mich Orthon.« –

»Orthon«, sagte der Ritter, »der Dienst eines Pfaffen taugt dir nicht, wenn du mir glauben willst, er wird dich gewaltig plagen, ich bitte dich, lasse ihn laufen und diene mir, ich werde dir es gar wohl gedenken.« »Orthon hatte sich bald entschlossen, denn er hatte sich in den Ritter verliebet, und sagte: »Wollt Ihr das?«–

»Ja«, sagte der Ritter, »aber du darfst niemand von nun an Leides zufügen.« –

»Ei bewahre«, sagte Orthon, »auch vermag ich niemand Übels zu tun als nur, daß ich die Leute aufwecke und im Schlaf turbiere.« –

»Tue nur, was ich dir sage« sprach der Edelmann, »wir wollen uns gut zusammen stehen, und laß den bösen Pfaffen laufen, bei dem du nichts holen kannst als Müh' und Arbeit.« –

»Weil du es dann willst«, sagte Orthon, »ich bin es zufrieden.«

Da verliebte sich dieser Orthon dermaßen in den Seigneur de Corasse, daß er ihn sehr oft nachts besuchte, und wenn er ihn schlafend fand, so zupfte er ihn am Kopfkissen oder schlug an das Fenster und die Tür mit großen Schlägen.

Der Ritter, welcher erwachte, sprach zu ihm: »Orthon, laß mich schlafen.«–

»Nein«, sagte Orthon, »ich muß dir erst was Neues erzählen.«

Da hatte die Gemahlin des Ritters solche Furcht, daß ihr alle Haare zu Berge standen, und wickelte sie sich in ihre Decke. Da fragte ihn der Ritter: »Was hast du dann gutes Neues, Orthon?« Orthon sagte: »Ich komme von England, oder von Ungarn, oder irgendeinem andern Ort, gestern bin ich da weggereist, und dieses und jenes ist allda geschehen.« So wußte der Sire de Corasse durch Orthon alles, was auf der Welt geschah.

Und blieb er wohl fünf Jahre in diesem sträflichen Umgang, konnte es auch nicht verschweigen und entdeckte sich dem Grafen von Foix folgendermaßen: Das erste Jahr traf er den Grafen zu Ortais oder anderwo und sagte ihm da, dieses oder jenes sei in England und Schottland oder sonstwo geschehen. Der Graf, der nachher erfuhr, daß es wahr gewesen, drang ihm einstens sein Geheimnis ab. Da war der Graf sehr froh und sagte zu ihm: »Sire de Corasse, haltet ihn ja lieb, ich wollte gar gern einen solchen Boten haben. Er kostet Euch nichts, und Ihr erfahret alles wahrhaftig, was geschieht.« Der Ritter sprach: »Herr, so will ich tun.« Ich weiß nicht, ob Orthon mehr als einen Meister hatte, aber er erschien dem Ritter nur alle Woche zwei- oder dreimal, und dieser schrieb die Neuigkeiten dem Grafen.

Einstens sprach dieser zu dem Seigneur de Corasse: »Habet Ihr noch niemals Euren Diener gesehen?« –

»Meiner Treu, niemals, habe es auch nicht begehrt.« –

»Das wundert mich«, sagt der Graf, »und stünde er so gut mit mir als Euch, so hätte ich ihn längst gebeten, sich mir zu zeigen; auch bitte ich Euch, bemüht Euch drum, ihn zu sehen, und erzählt mir, wie er gestaltet ist. Ihr habt mir auch gesagt, daß er so gut gascognisch spricht als ich und Ihr.«–

»Das ist die Wahrheit«, sagte der Ritter, »und weil Ihr es wünscht, will ich mich bemühen, ihn zu sehen.« Nun befand er sich die Nacht wie sonst in dem Bette neben seiner Gattin, die, schon gewohnt, den Orthon zu hören, sich nicht mehr fürchtete. Dann kam Orthon und zupfte am Kopfkissen des Ritters, der fest schlief. »Wer ist da?« fragte er, erwachend. »Ich bin's«, sagte Orthon. »Und wo kommst du her?« – »Von Prag in Böhmen.« – »Wie weit ist das wohl?« – »Sechszig Tagreisen«, sagte Orthon. »Und du bist so geschwind gekommen?« –»Ei ja doch, ich gehe so schnell als der Wind und wohl noch schneller.« –»Bist du geflügelt?« – »Nicht doch«, sagte er. »Wie kannst du denn so schnelle fliegen?« Orthon antwortete: »Was kümmert Euch das zu wissen?« – »Das kümmert mich wohl«, sagte der Ritter, »denn ich möchte gar zu gern sehen, wie du gestaltet bist, und wie du aussiehst.« Orthon antwortete: »Was kümmert Euch das, es zu wissen? Seid zufrieden, wenn Ihr mich hört und ich Euch allerlei Neuigkeiten bringe.« – »Bei Gott, ich würde dich viel mehr lieben, wenn ich dich gesehen hätte«, sagte Corasse. Orthon antwortete: »Wenn Ihr es denn wollt: die erste Sache, die Ihr morgen sehen werdet, wenn Ihr aufsteht, das bin ich.« – »Das ist gut«, sagte Corasse, »nun gehe, es ist genug für heute nacht.«

»Als der Morgen kam, stand er auf, seine Gemahlin aber hatte solche Furcht, daß sie die Kranke machte und sagte, sie werde heut nicht aus dem Bette aufstehn. Der Ritter wollte aber, sie sollte aufstehe »Sire«, sagte sie, »ich werde Orthon sehen, ich will ihn nicht sehen, so Gott will, auch niemals antreffen.« Da sagte der Sire de Corasse: »Ich will ihn gar gern sehen.« Da sprang er ganz lustig aus dem Bette und setzte sich auf den Rand und dachte, wie er nun Orthon in seiner eigentlichen Gestalt sehen werde. Aber er sah gar nichts, wobei er hätte sagen können: »Sieh da, Orthon.« Der Tag ging herum, und die Nacht kam; als der Ritter in seinem Bett lag, kam Orthon und sprach wie gewöhnlich.

»Geh«, sagte der Ritter, »du bist ein Lügner, du solltest dich mir zeigen, und du hast es nicht getan.« – »Nein«, sagte er, ich habe es getan.« – »Du hast es nicht getan.« – »Und saht Ihr nicht«, sagte Orthon, »als Ihr aufstandet, etwas?« Und der Ritter dachte ein wenig nach und sagte dann: »Ja, als ich auf meinem Bett saß und an dich gedachte, sah ich zwei Ratzen auf dem Boden, die sich miteinander drehten und spielten.« – »Das war ich«, sagte Orthon, »diese Gestalt hatte ich angenommen.« –

»Das ist mir aber nicht genug«, sagte der Ritter, »und ich bitte dich, nimm eine solche Gestalt an, in der ich dich sehen und kennen kann.« Orthon sagte: »Gebet acht, Ihr werdet mich verlieren, denn Ihr treibt es zu weit mit mir.« – »Du wirst nicht von mir gehen«, sagte Corasse; »wenn ich dich einmal gesehen, würde ich dich nicht wiedersehen wollen.« Orthon sagte ihm da: »Gib morgen acht; was du zuerst siehst, wenn du die Stube verläßt, das bin ich.« – »Gut«, erwiderte der Ritter, »ich gebe dir Urlaub, ich will jetzt schlafen.« Orthon verließ ihn.

Den andern Morgen stand der Ritter auf, kleidete sich an, verließ die Stube und ging auf einen Platz, der in den Hof sah; da warf er seine Augen hinab, und das erste, was er erblickte, war die größte Sau, die er jemals gesehen, aber sie war dabei so mager, daß man nichts als Haut und Knochen an ihr sah, und hatte sie lange, hängende und gefleckte Ohren, ihr Rüssel war lang und spitzig und gar ausgehungert. Der Sire de Corasse verwunderte sich sehr über diese Sau, aber er sah sie nicht gern und befahl seinen Leuten: »Nun lasset die Hunde los, ich will, daß diese Sau getötet und gefressen werde.« Da eilten die Diener und öffneten die Hundeställe und hetzten sie auf die Sau, welche einen lauten Schrei tat und zu dem Sire de Corasse in die Höhe sah, der oben an einem Fenster stand, und nie sah man sie wieder, denn sie verschwand, und weiß niemand, was aus ihr geworden.

»Der Ritter begab sich wieder in seine Stube, ganz nachdenklich, denn er gedachte an Orthon. »Ich glaube, Orthon, meinen Diener, gesehen zu haben; es reut mich, daß ich meine Hunde auf ihn gehetzt. Es sollte mich sehr wundern, wenn ich ihn je wiedersähe, denn er hat mir oft gesagt, ich würde ihn verlieren, wenn ich ihn erzürnte.«

Er sagte die Wahrheit. Nie kehrte er mehr in dem Schloß Corasse ein, und der Ritter starb ein Jahr darauf.

Nun habe ich Euch von Orthon erzählt, der dem Sire de Corasse die Neuigkeiten brachte«, sagte der Hofmann.

»Ja«, sprach ich, »aber ist der Graf von Foix auch von einem solchen Boten bedient?« –

»Meiner Treu«, sagte er, »das glauben viele Leute in dem Lande Bearn, denn er erfährt und weiß alles, was vorgeht, wenn man es sich am wenigsten versieht. So ist es auch mit den Nachrichten, die er von den zu Juberoth erschlagenen Rittern dieses Landes hatte. Diese Habe und der Ruf derselben bringt ihm manchen Nutzen, denn man verlöre hier nicht den Wert von einem goldenen oder silbernen Löffel, daß er es nicht gleich wüßte.«

Nun nahm ich Abschied von dem Hofmann und dankte ihm für seine Erzählung und ging in andre Gesellschaft, mit der ich mich vergnügte; doch aber prägte ich mir diese Geschichte, so, wie ich sie hier erzählt, fest in das Gedächtnis ein.


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