Jean Froissart
Von dem Leben u. Sterben des Grafen Gaston Phöbus von Foix u. von dem traurigen Tode seines Kindes Gaston
Jean Froissart

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Von dem traurigen Tode des Kindes v. Foix Er begann auch seine Erzählung folgendermaßen : Es ist wahr, daß der Graf von Foix und Madame de Foix, seine Gemahlin, nicht wohl einverstanden sind, noch es je lange gewesen, und rührt das Mißverständnis unter ihnen von dem König von Navarra her, welcher der Bruder dieser Dame war; denn dieser wollte den Seigneur d'Albret, den der Graf von Foix gefangenhielt, um die Summe von 50 000 Franken auslösen. Der Graf, welcher den König von Navarra als falsch und hinterlistig kannte, wollte ihm diese Summe nicht borgen, worüber die Gräfin sehr unwillig gegen ihren Gemahl wurde, und sagte sie zu ihm:

»Mein Herr und Gemahl, Ihr traget wenige Achtung zu meinem Herrn Bruder, wenn Ihr ihm nicht 50 000 Livres borgen wollt, auch wißt Ihr, daß Ihr mir mein Witwengeld von 50 000 Franken anweisen und sie zu den Händen meines Herrn Bruders stellen müßt, also könnet Ihr nie übel bezahlt werden.« –

»Ihr sagt die Wahrheit«, sprach er; »aber wenn ich sorgte, der König von Navarra solle die Zahlung verschieben, nie würde mir der Sire d'Albret von Ortais wegkommen, bis ich zu dem letzten Heller bezahlt wäre. Doch weil Ihr mich darum bittet, so will ich es tun, nicht aus Liebe zu Euch, sondern aus Liebe zu meinem Sohn.«

Auf dieses sein Wort und das Handschreiben des Königs von Navarra, der sich für ihn verschuldete, ward Sire d'Albret frei, verheiratete sich mit der Schwester des Herzogs von Bourbon und bezahlte dem König von Navarra die 50 000 Livres, für die er sich verpflichtet hatte. Aber dieser schickte sie keineswegs dem Grafen; da sagte der Graf zu seiner Gemahlin:

»Bei Gott, Ihr müßt nach Navarra zu Eurem Bruder gehn und ihm sagen, daß ich sehr unzufrieden mit ihm bin, wenn er mir nicht sendet, was er mir schuldig ist.«

Die Dame antwortete, daß sie sehr gern gehen würde, und reiste von dem Grafen mit den Ihrigen ab und kam nach Pampeluna zu ihrem Bruder, der sie fröhlich empfing. Da sie aber bei dem König nichts ausrichten konnte, wagte sie es auch nicht, zurückzukehren, denn sie kannte die wilde Gesinnung ihres Gemahls, wenn er irgendeinen Unmut gefaßt. So blieb es.

Gaston, der Sohn meines Herrn, wuchs heran und ward ein schönes Kind, und wurde er mit der Tochter des Grafen d'Armagnac versprochen. Der Jüngling mochte fünfzehn bis sechszehn Jahre haben, aber er war ein sehr schöner Ritter und sah an allen Gliedern seinem Vater ähnlich. Ihm kam der Wunsch, nach Navarra zu gehen, seine Mutter und Oheim zu besuchen; das war wohl zum Unglück seiner und dieses Landes. Man bewirtete ihn wohl in Navarra, und blieb er eine Zeitlang mit seiner Mutter, dann nahm er Abschied, konnte sie aber mit keiner Rede bewegen, ihn nach Foix zu begleiten; denn als sie ihn fragte, ob sein Vater ihm aufgetragen, sie zurückzubringen, mußte er wohl sagen, daß davon keine Rede gewesen sei. Also blieb sie zurück, und er begab sich nach Pampeluna, sich seinem Onkel zu empfehlen. Der König hielt ihn sehr gut über zehn Tage lang und machte ihm und seinen Leuten schöne Geschenke. Das letzte Geschenk aber, das der König von Navarra ihm machte, das war der Tod des Kindes, und nun hört, wie und warum.

Als die Zeit kam, daß er abreise, nahm ihn der König in seine Stube allein und gab ihm ein Beutelchen voll Pulver, und es war keine lebendige Kreatur, die nicht von dem Anrühren oder Essen dieses Pulvers ohne alle Hülfe hätte sterben müssen.

»Gaston«, sagte der König, »schöner Neffe, Ihr sollt tun, was ich Euch sage. Ihr seht, wie der Graf von Foix mit Unrecht Eure Mutter, meine Schwester, höchlich haßt, was mir sehr mißfällt, und das muß es Euch auch tun. Vor allem, um die Sache gutzumachen, und daß Eure Mutter sich wieder wohl mit Eurem Vater befinde, so müsset Ihr eine Messerspitze dieses Pulvers bei Gelegenheit auf das Fleisch, welches Euer Vater ißt, streuen, aber hütet Euch, daß Euch niemand sehe, und sobald er davon gegessen, wird er kein anderes Verlangen haben, als Eure Mutter, seine Gattin, bei sich zu sehen, und werden sie sich sodann dermaßen lieben, daß sie sich nie mehr trennen wollen. Alles das müßt Ihr nun sehr wünschen, aber hütet Euch, nur irgend jemand davon zu vertrauen, sonst kommt Ihr um Euren Anschlag.«

Das Kind, welches aber glaubte, was der König, sein Onkel, ihm gesagt, antwortete und sprach: »Gar gern.«

Nun verließ er Pampeluna und kam nach Ortais zurück. Der Graf, sein Vater, empfing ihn freudig, fragte ihn um Neuigkeiten aus Navarra und um Geschenke und Kleinodien, die man ihm gegeben. Dieser sagte: »Sehr viel' schöne Geschenke« und zeigte sie ihm alle, außer dem Beutlein, worin das Pulver war.

Nun war es aber in dem Schlosse von Foix gewöhnlich, daß Gaston und Ivain, sein natürlicher Bruder, in einer Stube schliefen, und liebten sie sich, wie junge Brüder es tun, und kleideten sie sich in die nämlichen Wämser und Kleider, denn sie waren ohngefähr von einer Größe und einem Alter, und kam es, daß sich einstens, wie bei Kindern wohl geschieht, ihre Kleider vermischten, und die Jacke des Gaston kam auf Ivains Bett, und dieser, der schlau genug war, fühlte das Pulver in dem Beutlein und fragte Gaston:

»Was ist das, das du immer auf deiner Brust trägst?«

Gaston ward dieser Worte nicht froh und sprach: »Ivain, gib mir meinen Wams wieder, du hast nichts mit ihm zu tun.«

Ivain warf ihm seinen Wams zu, Gaston legte ihn an und war den ganzen Tag nachdenklicher als je.

Nun traf es sich drei Tage nachher, da Gott der Herr den Grafen von Foix retten und behüten wollte, daß Gaston sich über seinen Bruder im Ballspiel erzürnte und ihm einen Backenstreich gab. Der Knabe, darüber erbittert, trat ganz weinend in die Stube seines Vaters und fand ihn zur Stunde, da er eben die Messe gehört hatte.

Da der Graf ihn weinen sah, sprach er: »Ivain, was fehlt dir?« –

»Daß sich Gott erbarm´, mein Herr«, sagte er, »Gaston hat mich geschlagen, aber es ist wohl ebensoviel oder wohl mehr an ihm zu schlagen als an mir.« –

»Warum?« sprach der Graf, der sogleich in den Verdacht einging.

»Mein Treu«, sagt er, »Herr, seitdem er von Navarra zurückgekommen, trägt er stets auf seiner Brust ein Beutlein ganz voll Pulver, aber ich weiß nicht, wozu man's braucht, oder was er mit machen will, nur, daß er mir ein- oder zweimal gesagt, seine Frau Mutter werde bald wieder in Eurer Gnade stehen und viel höher, als sie jemals darin gestanden.« –

»Ha«, sagte der Graf von Foix, »schweig still und hüte dich wohl, irgendeinem lebendigen Menschen hievon weiter ein Wort zu sagen.« –

»Mein Herr«, sagte das Kind, »das will ich gern tun.«

Nun ward der Graf von Foix ganz nachdenklich und bedeckte sein Haupt bis zur Stunde des Mittagsmahls und wusch sich und setzte sich wie an den andern Tagen in seinen Saal zur Tafel; Gaston, sein Sohn, hatte das Amt, ihn mit allen seinen Gerichten zu bedienen und all seine Fleischspeisen vor ihm zu kosten; sobald er seine erste Schüssel vor den Grafen gesetzt und getan hatte, was er sollte, warf der Graf, seiner Sache ganz versichert, seine Augen auf ihn, da sah er die Quasten des Beutleins an der Jacke seines Sohnes, sein Blut ward erregt, und sprach er:

»Gaston, tritt näher, ich will dir etwas ins Ohr sagen.«

Das Kind näherte sich zu dem Tisch, nun öffnete ihm der Graf den Busen, tat seine Jacke auseinander, nahm sein Messer und schnitt ihm das Beutlein ab. Das Kind war ganz erschrocken und gab keinen Laut von sich, aber ward gar bleich unter seinen Augen vor Furcht und begann sehr stark zu zittern, denn es fühlte sich schuldig. Der Graf öffnete das Beutlein und streute ein wenig des Pulvers auf ein Stück Brot, rief einen Hund und gab es ihm zu fressen; sobald der Hund den ersten Bissen verschluckt, verdrehte er die Augen und starb.

Als der Graf dies gesehen, ward er gar erzürnt und hatte wohl Ursach', und stand vom Tisch auf, nahm sein Messer und wollte es nach seinem Sohne werfen, aber die Ritter und Hofdiener sprangen ihm in den Weg und sprachen: »Herr, um Gottes willen übereilt Euch nicht und unterrichtet Euch zuvor von der Sache, ehe Ihr Eurem Sohne Übels tut.«

Und das erste Wort, was der Graf sagte, sprach er in seiner gascognischen Mundart: »Ha, Gaston Verräter, um dich und um dein Erbe zu vergrößern, habe ich Krieg gehabt und Haß gegen den König von Frankreich, von England, von Spanien, von Navarra und von Arragon, und gegen sie habe ich mich gut gehalten und tapfer, und du willst mich nun ermorden, das kommt dir aus verfluchtem Blut und aus böser Natur, wisse, darum sollst du sterben, nun, nun.«

Da sprang er über den Tisch mit dem Messer in der Hand und wollte ihn töten, aber die Ritter und Hofdiener warfen sich ihm zu Füßen und weinten vor ihm und sagten:

»Ach, unser Herr, um Gottes willen tötet nicht Gaston. Ihr würdet kein Kind mehr haben, laßt ihn gefangensetzen und unterrichtet Euch von der Sache, denn vielleicht wußte er nicht, was er trug, und hat keine Schuld an dieser Schandtat.«

»Nun dann«, sagte der Graf, »setzt mir ihn in den Turm und bewacht ihn so, daß Ihr mir für ihn gutsteht.«

Da ward das Kind von Stund an in den Turm gesetzt. Der Graf ließ nun eine Menge von jenen, die seinen Sohn bedienten, gefangennehmen, aber er fing sie nicht alle, denn viele entflohen; so auch ist der Bischof de Lescalle noch außer Lands, der mit im Verdacht stand, wie andre mehr. Aber er ließ ihrer wohl an fünfzehn sehr schrecklich ermorden; die Ursache davon war, daß sie seines Kindes Heimlichkeit hätten wissen und ihm hätten sagen sollen: »Unser Herr Gaston trägt ein Beutlein auf seiner Brust, der und der Art«; aber davon taten sie nichts, und darum starben sie schrecklich, und es war wohl ein Jammer um mehrere dieser Hofleute, denn in ganz Gascognien waren keine so wohl versehen, als diese es gewesen, denn immer war der Graf von Foix von guter Dienerschaft umgeben.

Gar sehr nahm sich der Graf diese Sache zu Herzen und zeigte es wohl; denn er ließ eines Tages alle Edelleute und alle Prälaten von Foix und Bearn und alle ansehnliche Leute dieses Landes zusammenrufen gen Ortais, und als sie gekommen waren, erklärte er ihnen, warum er sie gerufen, und wie er seinen Sohn in solcher Schuld und so großem Verbrechen befunden habe, daß es sein Entschluß sei, daß er sterbe, und daß er den Tod verdienet.

Alles Volk antwortete auf diese Rede einstimmig: »Herr, haltet uns zu Gnaden, wir wollen nicht, daß Gaston sterbe, er ist Euer Erbe, und Ihr habt keinen mehr.« Als der Graf sein Volk für seinen Sohn bitten hörte, bezähmte er sich ein wenig und entschloß sich, ihn mit Gefängnis zu strafen; er wollte ihn zwei oder drei Monate innehalten und ihn dann zwei oder drei Jahre irgend auf Reisen schicken, bis daß er seine Tat vergessen und das Kind zu besserem Verstand und heller Einsicht gekommen sei. So gab er seinem Volk den Abschied, aber die aus der Grafschaft von Foix wollten nicht eher aus Ortais ziehen, bis der Graf ihnen verspreche, daß Gaston nicht sterben würde; also liebten sie das Kind. Da er ihnen dieses zugesagt, verließen diese Leute aller Art die Stadt, und blieb Gaston zu Ortais gefangen.

Diese Sache verbreitete sich an mehreren Orten und auch nach Avignon, wo damals sich Papst Gregor Xl. aufhielt. Er schickte sogleich den Kardinal von Amiens als Legat nach Bearn, aber dieser war kaum nach Bessières gekommen, als er die Nachricht erhielt, daß es ihm nicht not tue, nach Bearn zu gehen, denn Gaston, der Sohn des Grafen von Foix, sei tot.

Nun will ich Euch sagen, wie er gestorben ist, weil ich nun einmal schon so viel davon geredet. Der Graf hielt ihn in einem Gemach des Turms von Ortais gefangen, wo wenig Licht hineinfiel, und war er da zehn Tage. Wenig trank er und aß er, denn er wollte nicht, soviel Speise und Trank man ihm auch täglich brachte, und wenn das Fleisch kam, so schob er es beiseite und wollte es nicht essen, und einige wollen sagen, daß man alle die Speisen, die man ihm gebracht, unversehrt gefunden, und es sei ein Wunder, wie er so lang habe leben können, aus vielerlei Ursachen. Der Graf ließ ihn dort ohne irgendeine Wache, die bei ihm in der Stube gewesen wäre und ihm geraten und ihn getröstet hätte, und blieb das Kind stets in denselben Kleidern, wie er hineingekommen, und so ward er gar traurig und tiefsinnig, denn er war das nicht gewohnt. Auch verfluchte er die Stunde, in der er empfangen und geboren worden, um zu solchem Ende zu kommen.

Den Tag seines Todes brachten die, welche ihn bedienten, ihm das Fleisch und sagten: »Gaston, sehet, hier ist Fleisch für Euch.«

Gaston achtete nicht darauf und sprach: »Stellet es hin.«

Da sah der Diener in dem Gefängnis alle das Fleisch, welches er ihm in den vorigen Tagen gebracht, hie und da verstecket; darum schloß er die Stube und kam vor den Grafen von Foix und sprach:

Herr, um Gottes willen gebt acht auf Euren Sohn, denn er verhungert sich in dem Gefängnis, wo er liegt, und glaube ich, daß er noch nicht gegessen, seit er darinnen, denn ich habe alles, was ich ihm noch gebracht, beiseite geworfen gefunden.«

Über diese Rede erzürnte der Graf und ging, ohne ein Wort zu sagen, aus der Stube und kam zu dem Gefängnis, wo sein Sohn lag, und hatte zum Unglück ein kleines Messerlein in der Hand, womit er sich seine Nägel schnitt und reinigte; er ließ die Türe des Gefängnisses öffnen und kam zu seinem Sohn und hielt die Klinge des Messers so nahe an der Spitze, daß er nicht mehr als die Dicke eines Silbergroschen davon außer den Fingern hervorstehen hatte. Zum Unglück, als er diese kleine Spitze in den Hals seines Sohnes stieß, verletzte er ihm ich weiß nicht was für eine Ader und sagte: »Ha, Verräter, warum ißt du nicht?«

Und hierauf begab sich der Graf sogleich hinweg, ohne weiter etwas zu sagen und zu tun, und kehrte in seine Stube zurück.

Das Kind war erschrocken und erschüttert durch die Ankunft seines Vaters, auch war er gar schwach durch Fasten, und da er die Spitze des Messers sah oder fühlte, die ihn, so klein sie auch war, in den Hals verwundete (aber es war wie in eine Ader), so wendete er sich zur Seite und starb da; der Graf war kaum zu seiner Stube zurückgekehrt, als ihm der Diener seines Sohnes die Nachricht brachte und ihm sagte: »Mein Herr, Gaston ist tot.« – »Tot?« sagte der Graf.–

»So wahr als Gott lebt, Herr.«

Der Graf wollte es nicht glauben und sendete einen seiner Edelleute hin, der an seiner Seite war; der Ritter kam zurück und sagte, daß er wirklich tot sei. Da ward nun der Graf von Foix höchlich erschüttert und bejammerte seinen Sohn gar sehr und sagte:

»Ha, Gaston, welch elend Geschick ist hier dir und mir; zu böser Stunde gingst du nach Navarra, deine Mutter zu sehn. Nie mehr werde ich solche Fröhlichkeit empfinden, als ich sonst wohl empfangen.«

Dann ließ er seinen Bader kommen und ließ sich sein Haar abscheren und kleidete sich in Schwarz und alle die seines Hauses, und ward der Leichnam des Kindes unter Tränen und Geschrei zu den Minoritenbrüdern zu Ortais getragen und dort begraben. Und so wie ich Euch von dem Tod erzählt habe, so hat Gaston de Foix durch seinen Vater den Tod erlitten, aber der König von Navarra hat ihn ermordet.

Die traurige Geschichte von dem Tode dieses Sohnes des Grafen zu hörend zog ich mir sehr zu Herzen, und beklagte ich ihn gar sehr aus Liebe zu dem trefflichen Grafen, seinem Vater, den ich von so hoher Gesinnung, so edel, freigebig und höflich erfunden hatte, und auch aus Liebe zu dem Land, das durch den Mangel eines Erben sehr betrübet war, und nahm ich nun Abschied von diesem Edelmann und dankte ihm, daß er mir also gefällig die Sache erzählet habe.


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