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Nur ein Diener.

Erzählung.


In dem Zimmer des Gutsbesitzers Lessen waren die Fenster dicht verhängt. Der alte Herr, wie der Gutsbesitzer gewöhnlich genannt wurde, lag schwer erkrankt darnieder und es war wenig Hoffnung vorhanden, daß er das Krankenzimmer je wieder verlassen werde. Es war still in dem Zimmer, so daß das Ticken der Wanduhr fast laut klang. Der Kranke rührte sich nicht, er schien zu schlafen, nur wenn man aufmerksam lauschte, vernahm man das langsame und schwere Athmen seiner Brust.

An dem Fenster saß eine noch junge Frau. Sie hatte den Vorhang ein wenig zurückgeschoben und blickte durch die schmale Oeffnung hinaus in den Garten und auf die Bäume, deren grüne Wipfel durch den Abendsonnenschein mit einem goldigen Hauche umgeben wurden. Es lag etwas Träumerisches, Sichhinaussehnendes in ihrem Blicke, und diesem Sehnen entsprach auch die Haltung ihres Kopfes, den sie auf die Hand gestützt hatte.

Die Frau konnte höchstens dreißig Jahre zählen, ihre Züge hatten bereits einen scharfen Ausdruck, dennoch war nicht zu verkennen, daß sie einst schön gewesen waren. Ihr dunkles Haar fiel in Locken bis halb in den Nacken herab, ihr Auge hatte in diesem Augenblicke einen träumerischen Ausdruck, allein es konnte auch scharf und durchdringend blicken. Was dem ganzen Gesichte einen harten Zug verlieh, das waren die fein geschnittenen, aber fest geschlossenen Lippen; es bedurfte nur eines leisen Zuckens derselben und das ganze Gesicht nahm einen spöttischen Ausdruck an.

Diese Lippen verriethen einen festen und entschlossenen Sinn und einen stark ausgeprägten Egoismus.

Der Kranke rührte sich und rief mit leiser Stimme:

»Pauline!«

Die Gerufene hörte es nicht. Ihre Gedanken hatten sie weit hinausgetragen aus dem Krankenzimmer über die Räume hinweg zu einer fernen Bergkuppe, welche zwischen den Wipfeln der Bäume hindurchschimmerte. Erst als der Kranke noch einmal und etwas lauter ihren Namen rief, schob sie schnell den Vorhang zu und ein unwilliger Zug, als ob sie nur ungern in ihren Gedanken gestört werde, glitt über ihr Gesicht hin, um indeß sofort wieder zu verschwinden, denn als sie sich erhob, um an das Bett zu treten, war ihr Gesicht ruhig und es lag die Fassung einer frommen Duldung auf demselben.

Sie reichte dem Kranken ein Glas Wasser und richtete ihn etwas empor, um seine Lage zu erleichtern.

»Fühlst Du Dich etwas wohler?« fragte sie und ihre Stimme hatte einen weichen Klang.

Der Kranke schüttelte ablehnend mit dem Kopfe. Es waren bleiche, abgezehrte Züge, welche zwischen den Kissen hervorblickten. Die kleinen Augen fuhren unruhig, wie suchend durch das Zimmer, und nicht die Ruhe eines Lebensmüden blickte aus ihnen, sondern der Groll mit den Geschicken, welches ihn auf das Krankenlager geworfen.

»Wohler?« wiederholte er in bitterer Stimmung. »Seit länger als zwei Monaten liege ich hier bereits und ich weiß, daß ich das Zimmer nicht wieder verlassen werde.«

»Du wirst wieder genesen,« warf die junge Frau beruhigend ein.

»Nein, nein!« unterbrach sie der Alte fast ärgerlich. »Mit diesen Worten hältst Du mich seit Wochen hin, allein ich glaube ihnen nicht mehr, weil ich fühle, daß ich nur noch kurze Zeit zum Leben habe. Scheint draußen die Sonne?«

»Sie ist im Untergehen begriffen,« gab die Frau zur Antwort.

»Für mich ist sie längst untergegangen,« fuhr der Kranke fort. »Schieb den Vorhang zurück – doch nein, lasse! Sie scheint auf so viele Tausende, welche sich des Lebens freuen, – ich will sie nicht sehen, weil ich mich nicht über sie freuen kann!«

»Die Sonne scheint für Alle,« bemerkte die junge Frau und ihr Gesicht nahm einen frommen Ausdruck an. »Das Geschick, welches Gott über uns Menschen verhängt, müssen wir in Geduld ertragen, denn wenn es uns auch noch so schwer erscheint, so ist es doch zu unserem Besten, unser Verstand ist oft zu schwach, um dies einzusehen, unser Herz darf indeß nicht daran zweifeln.«

Der Kranke machte eine unwillige Bewegung mit der Hand, die frommen Worte schienen auf ihn wenig Eindruck zu machen.

»Schweig,« rief er erregt. »Ich habe bis zum Aeußersten geduldet, verlange nicht, daß ich das, was mich so schwer peinigt, als eine Wohlthat ansehen soll. Ich weiß, daß ich sterben muß, weshalb ist mir der Tod nicht ohne diese Leiden beschieden?«

»Dieses Leben ist nur eine Vorbereitung für ein höheres und ewiges Leben,« warf die Frau ein.

Wieder machte der Kranke eine unwillige und ungeduldige Bewegung.

»Laß, laß!« rief er. »Ich will diese frommen Reden jetzt nicht mehr hören, weil sie mich noch mehr peinigen. Hast Du an meine beiden Söhne, an Paul und Hermann geschrieben?«

Sein Blick ruhte forschend auf dem Gesichte der jungen Frau, diese fühlte es, sie wandte den Kopf ein wenig zur Seite und eine leichte Röthe stieg auf ihren Wangen auf. Einen Augenblick schien sie mit der Antwort zu zögern, dann erwiderte sie: »Ich habe ihnen geschrieben.«

»Wann?«

»Schon vor Tagen.«

»Haben sie geantwortet?«

»Nein.«

»Hast Du ihnen mitgetheilt, daß ich nur noch kurze Zeit zu leben habe?«

»Ich habe ihnen geschrieben, daß Du bereits länger als zwei Monate krank danieder liegst.«

»Und dennoch kommen sie nicht!« rief der Kranke aufgebracht.

»Rege Dich nicht auf,« bat die junge Frau und erfaßte des Alten abgezehrte Hand. »Denk nicht daran; es kann Dich ja nicht in Erstaunen setzen, daß sie nach Allem, was vorgegangen ist, nicht kommen.«

Der Kranke richtete sich erregt empor.

»Ich bin ungerecht gegen sie gewesen,« fuhr er fort, »allein ich habe nicht geglaubt, daß Kinder so leicht ihren Vater vergessen könnten, daß sie nicht einmal kommen würden, wenn er sie an sein Sterbebett ruft. Es sind meine beiden einzigen Kinder und einst hing mein ganzes Herz an ihnen. Sollten sie das Alles vergessen haben? Sollten sie unversöhnlich sein!«

»Lessen, ich bitte Dich, rege Dich nicht auf,« fiel Pauline beruhigend ein, und strich ihm schmeichelnd mit der Hand über die Stirn. »Du verschlimmerst Deinen Zustand nur. Der Arzt hat Dir die größte Ruhe empfohlen, vergiß das Geschehene und Vergangene; sieh, ich werde in Treue bei Dir ausharren, wie es auch kommen mag, nicht eine Stunde werde ich von Dir scheiden. – Nun sei ruhig, nimm einige von diesen Tropfen, sie werden Dir wohlthun!«

Der Kranke, dessen Kräfte erschöpft waren, war in die Kissen zurückgesunken. Geduldig ließ er sich einige Tropfen einflößen, seine Gedanken blieben indeß an dem Gegenstande haften, der sie einmal beschäftigte.

»Ich bin ungerecht gegen sie gewesen,« fuhr er mit schwächerer Stimme fort. »Habe ich mich nicht losgesagt von ihnen, habe ich ihnen das Vaterhaus nicht verschlossen? Jetzt fällt es auf mich selbst zurück. Auch ich würde nicht an das Sterbebett meines Vaters geeilt sein, wenn er so an mir gehandelt hätte.«

»Lessen, Du bist ungerecht gegen Dich selbst,« warf die junge Frau ein, welche wohl fühlte, daß seine Selbstvorwürfe sie mittrafen. »Hatten sie ein Recht, sich Deiner Verbindung mit mir zu widersetzen? Kommt es den Kindern zu, dem Vater Vorschriften zu machen? Oder bereust Du, daß Du mir Deine Hand gereicht?«

Der Kranke schüttelte verneinend mit dem Kopfe.

»Ich habe Alles aufgeboten, um eine Versöhnung mit ihnen herbeizuführen, sie haben dieselbe zurückgewiesen,« fuhr Pauline eifrig fort. »Sie sind mir entgegen getreten, als ob ich ein Vergehen begangen hätte, und doch folgte ich nur meinem Herzen, als ich die Deinige wurde. Weil ich Dich liebte, wollt ich die Pflegerin Deiner alten Tage werden, es war mein einziger Wunsch und mein einziges Ziel, und deshalb grollen Sie mir und Dir. Gott ist mein Zeuge, dass keine andere Absicht mich geleitet hat.«

Der Kranke erfaßte ihre Hand und drückte dieselbe. Sie war ihm eine treue Pflegerin gewesen. Seine Söhne hatten kein Recht gehabt, sich seiner Wiederverheirathung zu widersetzen, dennoch konnte er ihnen deshalb nicht mehr grollen. Versöhnt ruhte alles Vergangene hinter ihm, und mit offenen Armen würde er sie empfangen haben, wenn sie zu ihm gekommen wären.

Wer den Tod bereits in sich fühlt, der scheidet gern versöhnt aus dem Leben, selbst dem Gegner streckt er noch die schwache Hand entgegen, er hofft auf Frieden, und eine friedliche Erinnerung wünscht er bei Allen zurück zu lassen.

»Urtheile nicht zu hart über meine Kinder,« sprach er halb bittend. »Was mir Paul damals, als ich mich mit Dir vereinen wollte, schrieb, ist in diesen schweren Tagen mir mehr als einmal in die Erinnerung zurückgekehrt, damals hörte ich nicht auf seine Worte, und doch hat er Recht gehabt, und ich befürchte, es ist zu spät, das einmal Geschehene wieder auszugleichen. ›Vater,‹ schrieb er damals, ›Du hast jetzt uns gehört und für uns gelebt. Durch Deine Wiederverheirathung wird Dein Herz uns entfremdet werden. Du willst eine Pflegerin für Deine alten Tage Dir gewinnen, würden Deine Söhne Dich je verlassen haben? Des Mannes Hand ist zu rasch und zu hart, um an dem Krankenbette zu pflegen, sie kann Dir wohl die Rechte ehrlich schütteln, aber nicht liebkosend über die Stirn hinfahren, allein Hermann und ich sind verheirathet, und unsere Frauen würden Dir gern eine Gattin und Tochter ersetzt haben!‹ Er hat Recht gehabt, mein Herz hat sich ihnen entfremdet, jetzt kann ich allein und von ihnen verlassen sterben.«

Er preßte die schwache Hand vor die Augen, um den Schmerz, der an ihm zehrte, zu verbergen.

Die Züge der jungen Frau hatten einen anderen Ausdruck angenommen. Ihre Lippen waren fest auf einander gepreßt, ihr Auge leuchtete, jeder Hauch frommer Ruhe und Duldung war daraus geschwunden. Nur flüchtig flog ihr Blick über den Kranken hin, allein dieser eine Blick verrieth, daß sie ihn nicht liebte, denn er war kalt, selbst ohne Mitleid.

»Bist Du allein und verlassen?« rief sie. »Gelte ich Dir nichts mehr? Ich hoffte, mir Dein Herz errungen zu haben, jetzt sehe ich, daß ich mich getäuscht habe und getäuscht bin. Du bereust es, dem Wunsche Deiner Söhne nicht gefolgt zu sein, Lessen, diesen Vorwurf habe ich wahrlich nicht verdient!«

Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte.

Nur zu gut kannte sie das Herz des Kranken, er konnte sie nicht weinen sehen. Er raffte die letzten Kräfte zusammen, um sich empor zu richten und ihre Hand zu erfassen.

»Pauline, ich wollte Dir nicht wehe thun!« sprach er. »Sei ruhig, weine nicht. Ich habe ja nur den Wunsch, meine Kinder noch einmal wieder zu sehen, hier an meinem Sterbebette hoffte ich Euch zu versöhnen, ich wollte sühnen, was ich an ihnen verschuldet habe. Sie mögen Unrecht gethan haben, allein ich trage die meiste Schuld, ich fühle es, deshalb verlangt mich nach Ihnen! – Sei ruhig! Du bist stets lieb und gut gegen mich gewesen, in Deinen Armen hoffe ich zu sterben, allein ich würde ruhiger scheiden, wenn ich mit meinen Söhnen versöhnt wäre. Weine nicht, Deine Thränen thun mir wehe!«

Er hatte ihre Hand erfaßt und sank zurück. Die Aufregung hatte ihn vollständig erschöpft. Pauline wurde ruhiger, da sie sah, daß ihr Einfluß auf ihn noch nicht geschwächt war.

Der alte Diener trat ein und meldete Paulinens Bruder, den Pfarrer Hake, an.

»Jetzt nicht, jetzt nicht!« sprach der Kranke mit schwacher, aber doch hastiger Stimme.

»Mein Bruder wird Dich beruhigen,« bemerkte die junge Frau. »Verschließ Dich den Tröstungen und dem Einfluße der Religion nicht, Du weißt, wie oft Dir in Deinem Leiden ein Gebet Ruhe und die Kraft sie zu tragen gegeben hat!«

»Jetzt nicht – ich bin zu erregt und fühle mich zu schwach!« warf der Kranke ein.

»Ich werde selbst mit meinem Bruder sprechen,« entgegnete Pauline und gab dem noch immer dastehenden Diener ein heftiges Zeichen mit der Hand, sich zu entfernen.

Sie legte noch einmal den Kopf des Kranken zurecht, flößte ihm einige Schluck Wasser ein und verließ dann das Zimmer.

In ihrem eigenen Gemache schritt der Pfarrer Hake langsam auf und ab. Es war eine mittelgroße, fast schmächtige Gestalt. Er mochte einige dreißig Jahre zählen und seine Züge besaßen eine auffallende Aehnlichkeit mit denen seiner Schwester, nur daß sie noch schärfer geschnitten waren. Seine kleinen dunkelen Augen hatten etwas Unruhiges, fast Scheues; ihr Blick war stechend und mit Mühe zurückgedrängte Leidenschaften leuchteten daraus hervor.

Der Pfarrer Hake gehörte zu den Frommen und schon seine äußere Erscheinung, das mitten auf dem Kopfe gescheitelte und an beiden Schläfen schlaff herabhängende Haar, der schwarze lange und bis unter den Hals zugeknöpfte Rock, das weiße steife Halstuch, dies Alles verrieth seine gläubige Richtung. Trotzdem trug er, als er in dem Zimmer auf- und abschritt den Kopf in einer fast herausfordernden Weise hoch und sein Blick glitt prüfend über jeden Gegenstand. In diesem Raum fühlte er sich ja so gut Herr wie in seinem eigenen Hause, denn seine Schwester mußte sich seinem Willen fügen, sie war ihm nur ein Mittel für seine eigenen Pläne.

Rasch schritt er auf sie zu, als sie in das Zimmer trat.

»Du läßt mich lange warten,« sprach er.

»Richard, ich konnte nicht früher kommen. Lessen ist heute zu erregt und zu schwach, um Dich zu empfangen.«

Der Pfarrer ließ den Blick einige Secunden lang forschend auf seiner Schwester ruhen, ehe er antwortete.

»Du willst also nicht gern, daß ich zu ihm gehe,« bemerkte er dann. »Ich bin neugierig, die Gründe zu erfahren, die Dich zu diesem Wunsche veranlassen.«

Es lag in dem Tone seiner Stimme etwas Spottendes.

»Es ist Lessens Wunsch, nicht der meinige;« entgegnete Pauline.

»Dann werde ich zu ihm gehen,« unterbrach sie der Pfarrer.

»Richard, er ist in der That heute sehr schwach,« fuhr die junge Frau fort. »Ich befürchte, daß jede Aufregung ihm schaden wird.«

Der Pfarrer schloß die Augen halb, als suche er zu verbergen, was in ihm vorging.

»Wer sich zu schwach fühlt, die Tröstungen der Religion zu vernehmen, der mag in seinen Sünden dahin fahren,« sprach er in schroffer, mitleidsloser Weise. »Pauline, es ist nicht das erste Mal in der letzten Zeit, daß er mich zurückweist, ich befürchte, es ist eine Aenderung in ihm vorgegangen. Worüber ist er erregt?«

»Weil seine Söhne nicht kommen.«

»Ich dachte es,« fuhr der fromme Pfarrer fort und ein spöttischer Zug glitt über sein Gesicht hin. »Du hast Dich doch nicht verleiten lassen, ihnen zu schreiben?«

»Nein. Er fragte mich indeß darnach.«

»Und was hast Du erwiedert?«

»Ich habe ihm gesagt, daß ich ihnen geschrieben hätte.«

»So ist es recht. Sie sollen nicht kommen und sie dürfen nicht kommen. Bei seinem schwachen Kopfe und Character wäre das Schlimmste zu befürchten, und Alles, was wir errungen haben, könnte wieder vernichtet werden. Bleibe nur fest. Es kann sich nur noch um wenige Tage handeln, länger kann er nicht mehr leben, dann mögen sie kommen und ich werde über ihre Entrüstung und ihren Zorn lachen, denn derselbe ist ohnmächtig.«

»Ich befürchte, er sendet in seiner Ungeduld einen Boten zu ihnen, um sie holen zu lassen,« warf Pauline ein. »Er bereut, daß er so hart gegen sie gewesen ist, er verlangt nach ihnen, um sich mit ihnen auszusöhnen.«

Der Pfarrer lachte.

»Befürchtest Du dies ernstlich?« fragte er. »Kann er einen Boten senden, wenn Du es nicht willst! Er hat keinen Willen mehr und ist machtlos, so lange Niemand zu ihm kommt als Du und ich. Ich sehe Dir an, wie sehr ich die Pflege angreift, Du hast ja Tag und Nacht wenig Ruhe, harre nur diese kurze Zeit noch aus, selbst Georg darf nicht allein zu ihm. Glaube mir, daß meine Vorsicht nicht zu weit geht!«

»Ich habe ganz nach Deinem Willen gehandelt,« bemerkte die junge Frau.

»Und Du wirst den Lohn dafür bald empfangen. Jetzt werde ich zu ihm gehen.«

»Richard, thu' es heute nicht,« warf Pauline ein. »Er ist sehr erregt und schwach, so daß ich das Schlimmste befürchte, wenn er noch mehr aufgeregt wird.«

Ueber das Gesicht des frommen Pfarrers glitt ein halb boshaftes, halb verschmitztes Lächeln, seine Augen schlossen sich fast gänzlich und mit der Rechten strich er über das glatt rasirte Kinn.

»Ich bringe ihm ja nur die Tröstungen der Religion,« sprach er und verließ das Zimmer, um sich zu dem Kranken zu begeben.

Die junge Frau blieb allein zurück. Einen Augenblick lang blickte sie ihrem Bruder nach, dessen Willen sie sich von jeher hatte fügen müssen. Sein Lächeln und der Blick seiner Augen waren ihr nicht entgangen, unwillkürlich wandte sie sich ab und von einem Gefühle der Unruhe erfaßt, schritt sie im Zimmer auf und ab. Ihr Gewissen regte sich und doch besaß sie nicht den Muth, ihrem Bruder hindernd entgegenzutreten.

Seit mehreren Jahren war sie mit Lessen verheirathet, nicht aus Liebe hatte sie dem kränklichen und mehr als sechzigjährigen Manne die Hand gereicht, sondern auf das Drängen ihres Bruders und aus Berechnung.

Lessen hatte früher eine große Fabrik besessen, dieselbe indeß schon vor einer Reihe von Jahren verkauft, da er sich zu schwach fühlte, um dem ausgedehnten Geschäfte länger vorzustehen. Dann hatte er das große und schöne Gut gekauft.

Seine erste Frau war früh gestorben und hatte ihm zwei Söhne hinterlassen, an denen einst sein ganzes Herz hing. Jetzt waren beide herangewachsen und hatten sich einen eigenen Heerd und eine selbständige Stellung gegründet. Der ältere der Söhne Paul, war Rechtsanwalt, der jüngere, Hermann, Kaufmann.

Schon als Beide das väterliche Haus verlassen hatten, hatte sich eine Spannung zwischen ihnen und ihrem Vater eingeschlichen. Lessen war reich, allein mit dem zunehmenden Alter war er geizig geworden und nur auf die Vermehrung seines Vermögens bedacht, welches er selbst am wenigsten genoß. Ohne Mittel war er einst in das Leben getreten und durch Fleiß und Sparsamkeit hatte er sich Alles, was er besaß erworben. Freilich hatte ihn das Glück getreu unterstützt.

Nach demselben Grundsatze wollte er seine Söhne erziehen, selbst sollten sie sich eine höhere Lebensstellung erringen und kaum hatten sie das erforderliche Alter erreicht, so entzog er ihnen jede Unterstützung.

Es würde sicherlich Jeder diesen Grundsatz für ehrenwerth erachtet haben, allein Lessen suchte hinter demselben nur seinen Geiz zu verbergen. Er konnte sich selbst von einem geringen Theile seines Vermögens nicht trennen und er war zu eigensinnig, um den Vorstellungen seiner Söhne nachzugeben, die sehr wohl einer Unterstützung bedurften, da ihnen das Glück nicht wie ihm zur Seite stand.

Das gespannte Verhältniß zwischen den Söhnen und dem Vater war nie vollständig wieder verschwunden, wenn schon sie noch fortwährend im Verkehre standen, denn Paul und Hermann waren ja die einzigen Erben.

Da war nach dem Dorfe, in welchem Lessens Gut lag, ein junger Pfarrer, Namens Hake, versetzt, dessen Schwester Pauline ihm den Haushalt führte. Beide gehörten der frömmsten Richtung an. Es fehlte nicht an Berührungspunkten zwischen dem Pfarrer und dem Gutsbesitzer und es gelang Hake bald, den alten Herrn vollständig für ihn einzunehmen. Unter dem Scheine der größten Uneigennützigkeit las er dem alten Manne täglich stundenlang vor, um ihn zu unterhalten, er fügte sich allen Launen des Kränklichen und erlangte auf diese Weise bald einen außerordentlichen Einfluß über ihn.

Mehr und mehr gewann er Lessen für seine fromme Richtung und immer tiefer schmeichelte sich Pauline in die Gunst des Alten hinein.

Nachdem er Jahre lang allein im Leben dagestanden, that es ihm wohl, von der Hand des jungen und hübschen Mädchens Aufmerksamkeiten zu empfangen, denen er längst entwöhnt war. Der Wunsch, sich in ihr eine Pflegerin für seine alten Tage zu gewinnen, keimte in ihm und gewann immer festeren Boden, bis er endlich den festen Entschluß faßte, sich mit Pauline für immer zu verbinden.

Bereitwillig gab Pauline ihm ihre Hand, denn diese Verbindung war von Anfang an das Streben ihres Bruders gewesen.

Vergebens hatten Paul und Hermann ihren Vater vor dieser Verbindung gewarnt, da sie den Plan des frommen Pfarrers sehr wohl durchschauten. Der alte Mann stand aber bereits zu sehr unter dem Einflusse des Pfarrers und Paulinens, als daß er auf die Stimme seiner Söhne gehört hätte. Es kam hinzu, daß er zu selbstsüchtig geworden war, um dem Wohle seiner Kinder einen ihm lieb gewordenen Wunsch zum Opfer zu bringen.

Er verband sich mit Pauline. Er fühlte sich glücklich an ihrer Seite, weil die Pflege ihrer Hand ihm wohlthat, und es war fast, als ob noch einmal ein kurzer Lebensfrühling ihm erblüht wäre, allein mit dem Tage seiner Verbindung hatte er den letzten Rest seiner Selbständigkeit aufgegeben und verloren. Er handelte nur noch, wie seine Frau und deren Bruder es bestimmten, und beide waren zu klug und handelten zu sehr nach einem verabredeten Plane, als daß er seine Abhängigkeit von ihnen je erkannt hätte. Er glaubte nach eigenen Entschlüssen zu handeln, während er nur ihrem Willen folgte.

Der Pfarrer und Pauline hatten Alles aufgewandt, um ihn vollständig mit seinen Söhnen zu entzweien und dies war ihnen nur zu gut gelungen. Lessen wollte seine eigenen Kinder nicht wiedersehen und verwies sie aus dem Vaterhause. Hake hatte das Gerücht ausgesprengt, Paul In der Vorlage: »Hugo«. [ Anm.d.Hrsg.] und Hermann könnten die Zeit nicht abwarten, bis sie in den Besitz ihres Erbtheils kämen und hätten wiederholt Erkundigungen eingezogen, ob der Gesundheitszustand ihres Vaters nicht bald dessen Tod hoffen lasse.

Der alte, schwache Mann hatte diesen Gerüchten vollen Glauben geschenkt und sich von seinen Söhnen, die er einst so sehr geliebt hatte, gänzlich losgesagt. Erst auf seinem Krankenlager, als er den Tod immer näher heranrücken sah, war der Wunsch, sich mit ihnen zu versöhnen, in ihm entstanden.

 

Pauline schritt noch immer in ihrem Zimmer auf und ab, ihre Unruhe war indeß geschwunden, ihre Gedanken weilten nicht mehr bei dem Kranken und dessen Erregung. Weit hinaus hatten sie dieselben getragen in eine glückliche Zukunft. Sie war frei von den Fesseln, welche sie an den alten und kranken Mann knüpften, sie war reich, Herrin des großen Gutes und frei konnte ihr Herz sich einen Genossen für ihr künftiges Leben wählen. Die wenigen Jahre, welche sie an Lessen's Seite hingebracht hatte, erschienen ihr als ein geringes Opfer, denn wie viel hatte sie dadurch erreicht. Sie war dadurch emporgehoben aus einem eingeschränkten Leben zur reichen Gutsherrin, um deren Hand sich vielleicht schon in wenigen Wochen Hunderte bewarben.

Immer mehr träumte sie sich in die glückliche Zukunft hinein, als sie durch ihren Bruder gestört wurde, der hastig und in unverkennbarer Aufregung in das Zimmer trat. Seine bleichen Wangen waren leicht geröthet, seine Lippen zuckten.

Unwillkürlich fuhr Pauline zusammen, denn aus seinen Augen und seiner Aufregung glaubte sie die Nachricht zu lesen, daß Lessen's Herz zu schlagen aufgehört habe.

»Richard, was macht er, – was ist geschehen?« rief sie, an ihren Bruder herantretend.

Der Pfarrer warf sich erschöpft in einen Sessel, sprang aber sofort wieder aufgeregt empor.

»Du hast mich getäuscht! rief er. »Lessen ist nicht so schwach, als Du mir sagtest, es steckt in ihm eine Zähigkeit, und Lebenskraft, die mir unbegreiflich ist. Ich finde ihn heute kräftiger als in den letzten Tagen – er kann noch Tage, ja selbst Wochen leben!«

Pauline schwieg.

»Woher ist die Aenderung in Lessen's Wesen gekommen?« fuhr der Pfarrer fort.

»Welche Aenderung meinst Du?« warf Pauline ein.

»Der Einfluß, den ich mit unendlicher Mühe auf ihn errungen hatte, ist so gut wie vernichtet, seine religiösen Ueberzeugungen sind schwankend geworden, er hört kaum auf meine Worte und beharrt unerschütterlich fest an dem, was er sich in den Kopf gesetzt hat! Woher ist dies gekommen?«

»Ich weiß es nicht,« gab Pauline zur Antwort. »Auch gegen mich ist er seit einigen Tagen anders als sonst. Der Wunsch, sich mit seinen Söhnen zu versöhnen, scheint die Veränderung hervorgebracht zu haben!«

»Er soll sich nicht mit ihnen versöhnen!« unterbrach sie der Pfarrer heftig. »Auch zu mir sprach er darüber. Er verlangt, daß sie kommen – Pauline, wir müssen Alles aufbieten, um sie fern zu halten. In seiner jetzigen Stimmung wäre er zu Allem fähig und wir könnten vielleicht in einer einzigen Stunde wieder verlieren, worum wir uns seit Jahren gemüht haben.«

»Sie wissen nicht, wie krank er ist,« warf die Frau ein, »und wenn sie es wüßten, so glaube ich kaum, daß sie kommen würden.«

Der Pfarrer schien diesen Einwurf ganz zu überhören.

»Ich traue Georg nicht!« fuhr er fort. »Es ist mir aufgefallen, daß er in der letzten Zeit, wenn ich Lessen besucht habe, jedesmal sich im Vorzimmer zu schaffen gemacht hat. Ich bin überzeugt, daß er mich belauscht.«

»Du weißt, daß auch ich ihm nicht traue,« bemerkte Pauline.

»So schaffe ihn fort!«

»Das steht nicht in meiner Macht. Lessen hängt an ihm, da er fast schon vierzig Jahre in seinen Diensten steht; Beide sind zusammen alt geworden und haben sich aneinander gewöhnt. Schon früher habe ich Lessen gebeten, ihn zu entlassen, er hat diese Bitte abgeschlagen.«

»Du hast es verkehrt angefangen. Du hättest ihn bewegen sollen, dem alten Lauscher das Gnadenbrot zu geben, dann konnte er nicht im Hause bleiben. Nun, ich hoffe, seine Zeit ist bald abgelaufen. Wenn Lessen die Augen schließt, darf er nicht einen Tag mehr im Hause bleiben. Halte ihn nur möglichst aus Lessen's Zimmer fern.«

»Auch dies kann ich nicht, da Lessen oft nach ihm verlangt.«

Der Pfarrer lachte spöttisch auf.

»Pauline, Dein Kopf scheint plötzlich sehr schwerfällig geworden zu sein,« bemerkte er. »Du verbietest Georg streng, das Zimmer zu betreten und wenn Lessen nach ihm fragt, so sagst Du ihm einfach, der Alte sei krank geworden.«

Die junge Frau schien Bedenken zu tragen.

»Und wenn Lessen dahinter käme? Wenn er die Täuschung erführe?« warf sie ein.

Der fromme Pfarrer trat unwillig mit dem Fuße auf den Boden.

»Er darf es nicht erfahren!« rief er. »Bist Du mit einem Male ihm gegenüber so machtlos geworden? Es ist nothwendig, daß Du von dieser Fessel bald befreit wirst, denn der schwache Charakter dieses Mannes scheint den Deinigen angesteckt zu haben. Noch vor kurzer Zeit warst Du entschlossener und fester!«

Es lag in dem Gesichte des Pfarrers ein fast diabolischer Ausdruck. Er hielt den Blick so fest auf seine Schwester geheftet, daß diese denselben nicht zu ertragen vermochte. Halb verwirrt sah sie nieder.

»Ich traue Georg nicht, allein ich glaube, Du überschätzst seine Bedeutung,« bemerkte sie. »Er hängt an seinem Herrn und ist für das Leben desselben sehr besorgt, weiter geht sein Streben nicht!«

»Meinst Du?« warf der Pfarrer mit spöttischen Lächeln ein. »Es ist gut, daß mein Blick schärfer ist, als der Deinige. Hat der schlaue alte Diener nicht stets das lebhafteste Interesse für Lessens Söhne an den Tag gelegt? Haben sie sich nicht wiederholt an ihn gewandt, wenn sie Auskunft über ihren Vater haben wollten? Er war schon in Lessens Hause, als sie geboren wurden, und er wird hundertmal mehr ihre Interessen vertreten als die Deinigen. Hat er in den letzten Tagen Briefe erhalten?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du sollst es aber wissen,« fuhr der Pfarrer fort. »Wenn ich hier im Hause wäre, würde es mir nicht entgangen sein; Du bist durchaus nicht so vorsichtig gewesen, als ich wünsche. Schicke Georg zu mir, und lasse mich kurze Zeit mit ihm allein.«

»Was willst Du beginnen?« warf die junge Frau fast besorgt ein.

»Ich will nur aus seinem eigenen Munde hören, ob er mit Lessens Söhnen noch in Verbindung steht,« gab der Pfarrer zur Antwort.

»Er wird es nicht sagen.«

»Liebe Pauline, überlaß das mir! Du darfst mir soviel Klugheit zutrauen, daß ich das, was ich zu erfahren wünsche, auch von ihm erfahren werde. Jetzt sende ihn hierher.«

Die junge Frau verließ das Zimmer und wenige Minuten später trat Georg ein. Es war eine hochgewachsene, greise Gestalt, die, obschon sie noch einige Jahre älter war als Lessen, sich noch immer grade hielt. Aus den Zügen des alten Gesichts sprach eine unverkennbare Gutmüthigkeit, allein die kleinen Augen, welche unter den weißen, buschigen Brauen hervorblickten, verriethen zugleich Klugheit und selbst einen Grad von Verschmitztheit.

Georg war fest in das Zimmer getreten und einige Schritte vor dem Pfarrer stehen geblieben, als erwarte er die Befehle desselben. Er wußte, welche Rücksichten er dem Schwager seines Herrn schuldig war und gerade gegen den Pfarrer hatte er dieselben nie außer Acht gelassen.

Hake's Gesicht hatte einen freundlichen und wohlwollenden Ausdruck angenommen, er trat auf den alten Diener zu, als wäre derselbe ihm ein väterlicher Freund.

»Georg,« sprach er, und er verstand es, seiner Stimme einen weichen und gewinnenden Klang zu geben, »ich wünsche mit Ihnen zu sprechen. Sie sind lange in dem Hause meines Schwagers gewesen und ich weiß, wie treu und uneigennützig Sie ihm stets gedient haben. Lessen sieht Sie fast als seinen Freund an, deshalb möchte ich eine Angelegenheit mit Ihnen berathen, über welche ich nur gegen Sie mich offen aussprechen kann.«

Er schwieg einen Augenblick und hielt den Blick auf den Alten geheftet dessen Gesicht vollständig ruhig blieb und nicht im Geringsten verrieth, was in seinem Innern vorging.

Nur die Augen hatte er ein wenig geschlossen, als wolle er schärfer beobachten und im Voraus lesen, was der fromme Pfarrer im Sinne hatte.

»Georg,« fuhr Hake fort und trat an den Diener noch näher heran, »ich muß mich ganz offen gegen Sie aussprechen. Es steht schlimm mit meinem Schwager, schlimmer als meine arme Schwester ahnt und ahnen darf. Auch Sie verkennen wahrscheinlich seinen Zustand. Er wird das Krankenlager nicht wieder verlassen. und ich glaube nicht, daß der Herr ihm noch mehr als höchstens einige Tage schenken wird. Er ist noch immer unausgesöhnt mit seinen Söhnen und ich möchte nicht, daß er in Hader mit ihnen in die Erde sänke. Wenn der Mensch stirbt, soll er nicht allein mit seinem Gotte, sondern auch mit den Menschen ausgesöhnt sein, er soll in Frieden scheiden. Lessen hat zwar den Wunsch, seine Söhne zu sehen nicht ausgesprochen, dennoch wäre es vielleicht Pflicht, sie herbeizurufen, was meinen Sie dazu? Sprechen Sie sich offen aus, denn ich weiß, daß Sie der treueste Freund des Kranken und schwer Geprüften sind.«

Kein Muskel hatte in dem Gesicht des Alten gezückt, obschon er die Absicht des Pfarrers errieth, nur seine Brauen hatten sich etwas zusammen gezogen.

»Herr Pfarrer,« sprach er, »ich bin Diener in diesem Hause und habe nie beansprucht mehr zu sein. Der Wille meines Herrn ist für mich stets Befehl gewesen, darüber hinaus bin ich nie gegangen.«

»Sie verstehen mich falsch,« warf Hake ein. »Ich will nur Ihre Ansicht, Ihren Rath hören.«

»Ich vertraue meinem Herrn vollständig und finde Recht, was er beschließt.«

»Er ist krank, Georg, und der Geist eines Kranken weiß oft nicht, was er thut. Fragt ein Arzt nach dem Willen eines Kranken? Er verordnet, was er für heilsam hält. Mein Schwager ist durch die lange Krankheit sehr erregt, und er geht in seiner Erregung zu weit. Von seinen Kindern soll ein jeder Mensch versöhnt scheiden. Ist dies nicht auch Ihre Ansicht?«

»Herr Pfarrer, das muß ein Jeder mit seinem eigenen Gewissen abmachen,« bemerkte der Alte.

Der fromme Mann schien ungeduldig zu werden, dennoch beherrschte er sich.

»Ist den Söhnen meines Schwagers die Krankheit ihres Vaters bekannt?« fragte er.

»Ich weiß es nicht.«

»Haben Sie es Ihnen nicht geschrieben?« fragte Hake fast erstaunt.

»Mein Herr hat mir keinen Auftrag dazu gegeben und es ist mein Grundsatz, mich in solche Angelegenheiten nicht zu mischen, denn es könnten Folgen daraus erwachsen, die ich nicht tragen möchte,« gab der Alte ruhig zur Antwort.

»Georg, Sie kennen Lessens Söhne von Jugend auf und haben auch gegen sie Pflichten. Was wollen Sie antworten, wenn der Herr meinen Schwager abberufen sollte und die Sohne Ihnen Vorwürfe machen, weil Sie ihnen die Krankheit ihres Vaters nicht angezeigt? Womit wollen Sie sich dann entschuldigen?«

»Ich werde ihnen offen erwidern, daß ich nur den Willen Dessen zu erfüllen habe, in dessen Dienst und Brot ich stehe. Will mein Herr seine Söhne sehen, so bedarf es nur eines Wortes von ihm und ich würde ihnen schreiben, ja ich würde mit meinen alten Beinen zu ihnen wandern, um sie zu holen – gegen den Wunsch meines Herrn thue ich nichts!«

Der Pfarrer wandte sich ab und schritt, um seine Unruhe zu verbergen, im Zimmer auf und ab. An diesem alten Kopfe scheiterte all seine Schlauheit. Sollte er jeden Versuch, ihn auszuhorchen, aufgeben? Vielleicht gelang es ihm, den Alten in Widersprüche zu verwickeln.

»Haben die Söhne meines Schwagers Ihnen nie geschrieben?« fragte er.

»Doch, Herr Pfarrer, allein es ist bereits lange her.«

»Und Sie haben ihnen geantwortet.«

»Ja.«

»Haben Sie das auch mit dem Willen Ihres Herrn gethan?« warf der Pfarrer lächelnd ein, als habe er den Alten gefangen.

»Nein, Herr Pfarrer,« erwiderte Georg mit Festigkeit. »Ich habe indeß auch nicht gegen seinen Willen gehandelt, denn er hat mir nie verboten, seinen Söhnen zu antworten wenn sie eine Frage an mich richteten. Mehr habe ich nicht gethan und das kann ich vor ihm und meinem Gewissen verantworten. Haben Sie mir noch irgend etwas zu sagen, Herr Pfarrer?«

Hake preßte erbittert die Lippen aufeinander und warf dem Alten einen Blick des tiefsten Hasses zu.

»Nein,« entgegnete er kurz. »Verlassen Sie mich!«

Der Diener schritt aus dem Zimmer.

Einige Augenblicke blieb Hake regungslos stehen, den Blick auf die Thür geheftet. An diesem alten Kopfe war all seine List zu Schanden geworden; ohne sich die geringste Blöße zu geben war Georg jeder seiner Fragen ausgewichen und doch war er fest überzeugt, daß derselbe die Wahrheit nicht gesprochen hatte. So viel Schlauheit hatte er dem Diener nicht zugetraut, um so mehr mußte er sich vor ihm hüten.

Verstimmt, unzufrieden mit sich selbst, erbittert auf den Alten, unwillig über seine Schwester, weil sie den verschlagenen Diener nicht längst durchschaut hatte, verließ er das Haus um sich zur Pfarrwohnung zu begeben.

Langsam, die Hände auf dem Rücken, schritt er den zwischen Gärten führenden Weg dahin. Der Abend brach bereits herein, es dämmerte und Niemand begegnete ihm. Ungestört konnte er seinen Gedanken nachhängen und diese warfen in entschlossener Weise jedes Hinderniß, welches sich seinen Plänen entgegenstellen konnte, nieder.


An dem Abende desselben Tages fuhr vor dem Försterhause, welches ungefähr eine halbe Stunde von dem Gute Lessens entfernt lag, ein Wagen vor. Der Förster Bellert, ein Mann von einigen fünfzig Jahren, eine große kräftige Gestalt, welche das Leben und Wind und Wetter gestählt hatte, trat überrascht vor die Thür, denn ein Wagen gehörte in dem einsam gelegenen Försterhause zu den größten Seltenheiten und er hatte keine Ahnung, wer ihm so spät am Abende diese Ueberraschung zugedacht hatte.

Er war sogar einen Augenblick unschlüssig, ob er an den Wagen eilen und die Thür öffnen sollte, es könnte irgend eine ihm unangenehme Persönlichkeit darin sitzen und er gehörte nicht zu den Charakteren, die mit Freundlichkeiten sehr freigebig sind. Dafür konnte aber auch Jeder um so fester auf ihn bauen, dem er die Hand entgegen streckte und schüttelte, denn ehrlich und fest wie sein Händedruck war sein Sinn und wenn es einem Freunde zu helfen galt, konnte er vollständig sein eigenes Interesse vergessen.

Noch stand er zögernd vor der Thür, als das Fenster des Wagens geöffnet wurde und eine ihm wohlbekannte Stimme rief:

»Guten Abend, Herr Förster!«

Nun sprang er freilich um so schneller die Stufen vor der Thür hinab und erfaßte die ihm aus dem Wagen entgegengestreckte Hand.

»Herr Advokat, Sie hatte ich wahrhaftig nicht erwartet!« rief er. »Um so herzlicher seien Sie indeß willkommen.«

»Nennen Sie mich immer noch Advokat!« entgegnete der im Wagen Sitzende, indem er hinaussprang. »Bellert, für Sie bin ich Paul und deshalb müssen Sie mich auch so nennen.«

Noch ein zweiter Mann sprang aus dem Wagen und reichte dem freudig überraschten Förster die Hand. Die beiden Angekommenen waren Lessens Söhne, Paul und Hermann.

»Bellert,« fuhr Paul fort. »Nun antworten Sie mir erst offen auf eine Frage, können Sie uns beide diese Nacht und morgen und vielleicht auch noch einen Tag länger beherbergen? Sagen Sie es offen.«

»Auf diese Frage antworte ich nicht!« rief der Förster. »Natürlich kann ich es, aber Sie dürfen nicht von ein oder zwei Tagen sprechen, so bald lasse ich Niemand fort. Nun kommen Sie! Wahrhaftig, das alte Försterhaus freut sich, daß es zwei so gute Freunde unter seinem Dache aufnehmen soll!«

Fast hastig in seiner Freude drängte er die beiden Gäste in das Haus hinein.

»Hier, hier,« rief er. »Ich weiß doch, daß es Ihnen in meinem Zimmer am Besten gefällt, es steckt ja ein Tropfen Waidmannsblut in Ihnen.«

Paul und Hermann traten in des Försters Zimmer ein und dieser Raum mußte in der That Jedem gefallen. An den Wänden hingen Büchsen und Jagdtaschen, darüber erhoben sich die herrlichsten Geweihe und Gehörne. Bellert war stolz auf diese Sammlung, denn die Thiere, welche sie einst getragen, hatte er sämmtlich mit eigener Hand erlegt und an jedes Stück knüpfte sich eine kleine Jagdgeschichte.

Erst jetzt, bei dem Schimmer des Lichtes, konnte man die beiden Brüder näher betrachten. Paul war der ältere, eine mittelgroße, sehr lebhafte Gestalt, aus deren Zügen Klugheit und ein entschlossener Sinn sprach. Die dunklen Augen glitten rasch durch das Zimmer hin, mit einem einzigen Blick schienen sie Alles erfaßt und sich eingeprägt zu haben, dabei blickten sie aber doch offen und ehrlich. Es lag kein Falsch in ihnen.

Hermann hatte dieselbe Gestalt, allein er war stiller und konnte noch immer ein verlegenes Gefühl nicht überwinden, wenn irgend eine neue Lebenslage an ihn herantrat. Paul nannte sich deshalb scherzend den Vormund seines Bruders, weil dieser selten etwas unternahm, ohne zuvor den erfahrenen Rath Paul gehört zu haben.

»Ich gebe zu,« fügte er wohl hinzu, »daß Hermanns Herz edler ist als das meinige, allein von meinem Kopfe habe ich eine bessere Meinung. Hermann sieht die Menschen an, wie er sie gern haben möchte und wie sie eigentlich auch sein müßten, wenn sie nicht zu frühzeitig aus dem Paradiese gejagt wären, ich betrachte sie, wie sie wirklich sind, daß heißt, ich bin der festen Ueberzeugung, daß sie alle nicht viel taugen und daß sich nur wenige Exemplare mit ehrlichen Gesichtern in die große Menge verirrt haben. Ich räume ein, daß ich bei dieser Anschauung mich weniger glücklich fühle, als mein Bruder, dafür werde ich auch weniger betrogen. Die meisten Menschen glauben genug gethan zu haben, wenn sie fremden Menschen gegenüber die Taschen zuknöpfen, ich knöpfe meine gegen innere Menschen zu, bis ich weiß, wo sie geboren sind, wie sie heißen und welche Mucken sie im Kopfe haben. Mein Bruder lernt die Menschen immer erst kennen, wenn er zweimal von ihnen angeführt und einmal betrogen ist.«

Noch einmal blickte er sich im Zimmer um.

»Wahrhaftig, hier muß man sich heimisch fühlen!« rief er. »Bellert, wenn Sie zum Advokaten taugten, so möchte ich wohl mit Ihnen tauschen! Diese herrlichen Geweihe sehen viel gemüthlicher aus, als die mit Staub bedeckten Actenhefte, und ich halte es für viel leichter einen guten Hirsch zu schießen, als einen schlechten Prozeß zu gewinnen.«

Der Förster hörte ihn nicht mehr, er war aus dem Zimmer geeilt und kehrte nach wenigen Augenblicken mit mehreren Weinflaschen im Arme zurück. Man sah seinen Augen die Freude an, ein paar liebe Freunde bewirthen zu können.

Wenige Minuten später und die drei Männer saßen am Tische und die Gläser klangen lustig an einander.

»Bellert, wie steht es mit meinem Vater?« fragte Paul endlich.

Unwillkürlich zogen sich die Braunen des Försters etwas zusammen.

»Sie sind noch nicht drüben gewesen?« warf er ein.

»Nein, noch nicht,« fuhr Paul fort, ernst in das vor ihm stehende Glas blickend. »Sie wissen ja, daß wir dort nichts weniger als willkommen sind, ich weiß auch noch nicht, ob ich hinüber gehen werde. Georg hat uns geschrieben, daß unser Vater sehr krank ist und hat uns aufgefordert, sobald als möglich zu kommen. Da haben wir nicht gezögert, denn der Alte meint es ehrlich mit uns!«

»Das thut er,« versicherte der Förster. »Ich wollte, ich brauchte kein Wort darüber zu sprechen, wie es drüben aussieht, allein ich bin Ihnen die Wahrheit schuldig. Es steht schlimm. Ich glaube nimmer, daß Ihr Vater mit dem Leben davon kommt, und die beiden Menschen, welche sich zwischen ihn und Sie gedrängt, haben ihn vollständig in der Gewalt. Es ist nicht meine Sache und es soll sich Niemand um Angelegenheiten kümmern, die nicht die seinigen sind, allein mehr als einmal hat es mich fast mit Gewalt getrieben, zu Ihrem Vater zu gehen und ihm die Augen zu öffnen über die beiden frommen Heuchler, die ihn vollständig gefangen halten!«

»Sie hätten es thun sollen!« warf Paul ein.

»Es würde mir wenig genützt haben,« fuhr der Förster fort. »Diese beiden Menschen sind klug und handeln im Einverständniß. Haben sie den alten Mann nicht soweit bethört, daß er sich von seinen eigenen Kindern losgesagt?«

»Ja, sie sind die einzige Ursache,« bemerkte Hermann.

»Ich weiß es,« bestätigte der Förster. »Doch lassen Sie uns darüber heute schweigen. Trinken Sie! Mir nagt es jedesmal hier in der Brust, wenn ich daran denke, wie sich ein Vater durch solche frommen Heuchler gegen seine Söhne hat einnehmen lassen können, wie er mit Blindheit geschlagen ist, um die Wahrheit nicht zu erkennen! – Wir wollen uns den heutigen Abend dadurch nicht verderben lassen! Stoßen Sie an!«

»Nein, Bellert,« entgegnete Paul ernst. »Ich kann eine Sache nicht aufschieben, weil sie mir peinlich ist, denn ich glaube, man thut am Besten, wenn man selbst einer Gefahr offen ins Auge sieht. Hat Ihnen Georg mitgetheilt, daß er uns geschrieben?«

»Nein. Ich habe ihn seit Tagen nicht gesehen,« gab der Förster zur Antwort. »Ich will auch offen gestehen, daß ich es in der letzten Zeit so viel als möglich vermieden habe, das Dorf zu betreten, weil ich dem frommen Pfarrer nicht begegnen mochte. Das Blut drängt sich mir in den Kopf, wenn ich diesen Mann sehe. Ich habe das Gotteshaus nicht wieder betreten, seitdem er hier Pfarrer ist. Es würde Alles anders sein, wenn er nie hierher gekommen wäre!«

Die Männer schwiegen einen Augenblick, denn zuviel unangenehme Erinnerungen drängten sich ihnen auf und immer und immer wieder traten Hake und dessen Schwester in denselben in den Vordergrund.

»Mein Vater ist schon lange krank?« fragte Paul endlich.

»Schon seit zwei Monaten. Während der ganzen Zeit ist Niemand zu ihm gekommen als seine Frau und der Pfarrer. Mit Absicht haben sie Jeden fern gehalten, selbst mit dem Arzte hat er nicht ein Wort allein sprechen können. Sie haben ihn ja in ihrer Gewalt und er muß nach ihrem Willen handeln. Vor wenigen Tagen hat er sein Testament gemacht und ich fürchte, ich fürchte der Pfarrer hat auch darin seine Hand.«

Paul sprang erregt auf.

»Mein Vater kann uns in unserem Rechte nicht verkürzen!« rief er. »Förster, ich glaube, Sie sehen etwas zu schwarz. Sie wissen, wie genau er seit Jahren war, er konnte sich von seinem Gelde nicht trennen. Hermann sowohl wie ich konnten früher eine Unterstützung sehr wohl gebrauchen, wir mußten uns durchkämpfen, als ob wir die Söhne eines armen Mannes wären. Ich spare für Euch, hat er mir mehr als einmal gesagt, wenn ich todt bin, werdet Ihr Alles erhalten!«

Der Förster schüttelte halb zweifelnd, halb bedenklich mit dem Kopfe.

»Bellert, Sie wissen mehr und tragen Bedenken es uns zu sagen,« fuhr Paul fort. »Seien Sie ganz offen.«

»Ich weiß nichts Bestimmtes,« gab der Förster zur Antwort. »Der Pfarrer hat freilich gesagt, seine Schwester sei in dem Testamente zur Haupterbin eingesetzt und erhalte das Gut – ich habe es nicht glauben wollen, allein ich traue dem Einflusse des frommen Heuchlers das Schlimmste zu.«

»Das kann nicht sein,« entgegnete Paul, mit Mühe seine Ruhe bewahrend. »Er mag die Frau, mit der er sich verbunden hat, in seinem Testamente bedacht haben, daß sie sorgenlos leben kann, ich werde kein Wort dagegen sagen, denn sie trägt einmal seinen Namen, mehr kann er nicht gethan haben. Wer hat das Testament aufgesetzt?«

»Der Notar Maks. Er ist ein Freund des Pfarrers. Stundenlang haben beide sich zuvor in der Stube des Pfarrers eingeschlossen und berathen und nachdem das Testament in Gegenwart des Pfarrers aufgesetzt ist, hat sich der Notar wieder zum Pfarrhause begeben und dort ist der Champagner geflossen bis spät in die Nacht, als ob ein großes Fest gefeiert werde. Glauben Sie, daß der fromme Mann seinen Wein geopfert haben würde, wenn das Testament nicht sehr zu Gunsten seiner Schwester wäre? Vielleicht ist auch für seine fromme Person etwas abgefallen!«

Paul schritt aufgeregt im Zimmer auf und ab. Durch diese Mittheilung waren Bedenken in ihm aufgestiegen, welche sich nicht zurückdrängen ließen.

»Können Sie Georg nicht holen lassen, er weiß vielleicht mehr,« sprach er endlich.

»Es ist schon spät am Abende,« warf der Förster ein. »Lassen Sie es bis morgen früh, die eine Nacht wird wenig ändern.«

»Es kann vielleicht Alles von einer einzigen Stunde abhängen,« fuhr Paul fort. »Ich muß Klarheit haben, muß wissen, wie es mit meinem Vater steht und ob es nicht möglich ist, eine Versöhnung mit ihm herbeizuführen. Wir sind ja nur durch Andere gewaltsam getrennt, es muß noch eine Stelle in seinem Herzen geben, die uns gehört!«

Der Förster zögerte noch, als die Thür geöffnet wurde und Georg eintrat.

Es war ein ergreifendes Wiedersehen zwischen ihm und den Söhnen seines Herrn, die er einst auf seinen Knieen geschaukelt und die er wie seine eigenen Kinder geliebt hatte. In die Augen des greisen Dieners drängten sich die Thränen und Alles vergessend schloß er Paul und Hermann in seine Arme.

»Es ist gut, daß Sie gekommen sind,« sprach er endlich mit der Hand über die Augen hinfahrend. »Ich wußte es, daß Sie meine Bitte beherzigen würden – nun kann vielleicht noch Alles anders werden: – Ich habe jede Stunde gezählt, seitdem ich Ihnen geschrieben, ich würde früher hierher gekommen sein, allein es sollte erst still werden auf dem Gute, denn es darf Niemand wissen, daß ich hierher geeilt bin.«

Noch von dem Wege erschöpft ließ er sich nieder, allein seine alten Augen glitten abwechselnd über die beiden Männer, die unter seinen Augen herangewachsen waren und an denen er auch einen Antheil zu haben glaubte. Ja, sie waren zu Männern gereift, in seiner Erinnerung lebten sie indeß noch immer als Knaben, welche sich stets zu ihn geflüchtet, wenn sie irgend einen tollen Streich ausgeübt hatten und ihren Vater fürchteten. Er hatte sie stets in Schutz genommen, denn er wußte, daß sie gut waren und jede Strafe, die sie erlitten, schnitt ihm tief in's Herz hinein.

Hermann hatte des Alten Hand erfaßt und hielt sie fest. Ihm war der alte Diener ein Freund, der treuer an ihm hing, als der eigene Vater.

»Georg, Du hast uns gebeten, sobald als möglich zu kommen,« sprach Paul, »steht es wirklich mit meinem Vater so schlimm?«

Der Alte nickte zustimmend mit dem Kopfe. Es wurde ihm schwer, dies einzugestehen und doch fühlte er, daß er die volle Wahrheit sagen müsse.

»Es steht schlecht,« erwiderte er. »Ich würde es Ihnen längst geschrieben haben, ich wagte es indeß nicht. Es ist nicht mehr in dem Hause des Vaters, wie es einst war; Sie wissen, daß ich es stets ehrlich gemeint habe, allein jetzt werde ich beobachtet, als wenn ich ein Feind Ihres Vaters wäre. Seit Wochen bin ich nicht eine Minute lang allein bei ihm gewesen. Sie glauben nicht, wie sehr ich dadurch gelitten habe. Es ist ein Fluch, daß die Frau in das Haus gekommen ist, und schlimmer noch als sie ist ihr Bruder, der Pfarrer!«

»Sie sind Heuchler und ihre Frömmigkeit ist nicht mehr, als eitler Schein,« warf der Förster ein.

»Sie sind nicht fromm,« bestätigte der Diener. »Ich habe lange Jahre in dem Dienste Ihres Vaters gestanden und ich kann mit ruhigem Gewissen versichern, daß ich nie gehorcht habe – jetzt habe ich es gelernt, denn ich wußte, daß sie schlimme Dinge im Sinne hatten, ich sah es ihren Augen an, und wenn es eine Sünde ist, daß ich sie belauscht habe, so werde ich sie getrost über mich nehmen, denn nicht meinetwegen habe ich sie begangen. Ja, ich darf es Ihnen nicht geheimhalten, wenn schon ich viel darum geben würde, wenn mein Mund es Ihnen nicht zu sagen brauchte. Diese Frau und ihr Bruder haben Ihren Vater gegen Sie eingenommen, sie haben ihn bethört, daß er zuletzt nicht ein Mal mehr einen eigenen Willen hatte, sie haben ihn unablässig gedrängt und gequält, bis er endlich ein Testament aufsetzte und in diesem Testamente sind Sie beide so gut wie enterbt. Nur das schuldige Pflichttheil, welches er Ihnen nach dem Gesetze nicht entziehen kann, sollen Sie erhalten, das schöne Gut und alles Uebrige erhält die Frau, denn sie ist die Universalerbin!«

»Georg, das ist nicht möglich!« rief Paul erschreckt aufspringend und vor den Alten hintretend. »So sehr kann mein Vater uns nicht verstoßen, denn wir bleiben doch immer seine Söhne und er hat uns einst geliebt!«

Der Alte hatte den Kopf auf die Brust gesenkt, es that ihm wehe, Denen eine so traurige Nachricht mitzutheilen, die er so sehr liebte.

»Es ist so,« erwiderte er, ohne aufzublicken. »Ich wußte, wie sehr sie meinen armen kranken Herrn gedrängt hatten, damit er ein Testament mache und als der Notar, der dasselbe aufnehmen sollte, kam, habe ich an der Thür gehorcht. Nicht ein Wort ist mir entgangen. Ihr Vater war so sehr erregt, daß er kaum sprechen konnte und der schreckliche Mann, der Pfarrer war dabei. Er sagte, daß er mit dem Willen meines Herrn bekannt sei, er dictirte fast das ganze Testament und der Notar schrieb es nieder. Es enthält die Bestimmungen, die ich ihnen genannt habe. Es trieb mich, in das Zimmer zu stürzen und meinen unglücklichen Herrn auf den Knieen zu bitten, nicht so ungerecht gegen seine Kinder zu sein – mir fehlte die Kraft dazu und es würde auch nicht geholfen haben. Ich hörte, wie der Notar Ihrem Vater das Testament noch einmal verlas und wie der Kranke es zu unterschreiben sich weigerte. Da fuhr der Pfarrer auf ihn ein, mit heftigen Worten, mit Drohungen, und der Schwache unterzeichnete es!«

»Ich werde die Giltigkeit des Testamentes anfechten!« rief Paul aufgebracht. »Georg, Du hast es gehört und kannst es bezeugen, daß mein Vater durch Drohungen zu der Unterschrift gezwungen ist – sie hat keine Geltung!«

»Ich werde es bezeugen,« versicherte der Alte entschlossen, »allein was wird mein Wort gegenüber der Aussage des Notars, des frommen Pfarrers und dessen Schwester vermögen? Alle drei haben im Einverständnisse gehandelt. Als der Notar das Haus verließ, sagte er zu dem Pfarrer, das Testament vermöge Niemand anzufechten, denn allen Formen und Anforderungen des Gesetzes sei genügt, der Kopf des tüchtigsten Advokaten müsse daran scheitern.«

»Ich werde sehen, ob mein Kopf scheitert!« warf Paul ein.

»Und ich kann es auch bezeugen und beschwören, daß der Pfarrer ein Heuchler ist!« rief der Förster, »und wenn der fromme Mann in das Gefängniß wandern müßte, würde ich mich mehr freuen, als wenn mir der schönste Achtzehnender schußgerecht käme!«

»Ich hoffe, es wird Alles noch anders kommen,« fuhr Georg fort. »Es ist Ihrem Vater durch den Kopf gegangen, daß er gegen Sie so ungerecht gewesen ist, er wagt es nicht auszusprechen, allein er verlangt nach Ihnen, weil er sich mit Ihnen auszusöhnen wünscht. Schon vor acht Tagen hat er die Frau gebeten, Ihnen zu schreiben, daß Sie kommen möchten, ich weiß, daß Sie es nicht gethan hat, dennoch hat sie ihm gesagt, daß sie geschrieben habe, daß Sie indeß nicht geantwortet hätten, weil Sie nicht kommen wollten. Deshalb habe ich geschrieben!«

Jetzt sprang auch Hermann entrüstet auf und der Förster versicherte, er werde der Frau, wenn er ihr, was er indeß nicht wünsche, je wieder begegnen sollte, offen in's Gesicht sagen, daß sie eine Lügnerin sei und ihr Bruder ein Heuchler.

Paul schien durch diese Mittheilung seine volle Ruhe wieder gewonnen zu haben.

»Georg, ich danke Dir!« sprach er, des Alten Hand erfassend. »Du hast uns einen Dienst erwiesen, dessen Größe sich noch nicht ermessen läßt, wie es indeß auch kommen mag, ich werde denselben nie vergessen. Mein Vater verlangt uns zu sehen und zu sprechen, jetzt soll uns Niemand mehr zurückhalten, noch in dieser Stunde werde ich zu ihm gehen und ich will den sehen, der mir in den Weg zu treten wagt.«

Fest entschlossen stand er da.

»Nicht heute,« bat Georg. »Stören Sie die Nachtruhe des unglücklichen Kranken nicht, denn er bedarf derselben sehr.«

»Und wenn ihn in dieser Nacht der Tod ereilte, so wäre Alles zu spät!« warf Paul ein.

»Er stirbt noch nicht,« versicherte Georg. »Ich habe es in seinen Augen gelesen, daß das Verlangen, Sie zu sehen, den schwachen Lebensfunken noch aufrecht erhält. Gönnen Sie ihm die wenigen Stunden Ruhe, denn die Nacht ist die im Zeit, wo er sie findet. Ich selbst würde Sie an sein Bett führen, wenn zu befürchten wäre, daß Sie ihn morgen nicht mehr am Leben treffen würden!«

Es war schwer, Paul zu bewegen, sich so lange zu gedulden.

»Mein Vater weiß also nicht, daß wir kommen?« fragte er.

»Er hofft es. Daß ich Ihnen geschrieben habe, weiß er nicht, denn es war mir unmöglich, es ihm mitzutheilen,« gab Georg zur Antwort. »Es darf, ehe Sie in das Haus treten, auch Niemand wissen, daß Sie kommen, sonst wird die Frau Alles aufbieten, um zu verhindern, daß Sie den Kranken sprechen.«

»Sei ohne Sorge, ich werde ihn sprechen,« versicherte Paul. »Nun ich weiß, daß mein Vater nach uns verlangt, soll uns Niemand zurückhalten, am wenigsten die Frau, die schon zuviel Zwist zwischen uns gesäet hat. Ich will sehen, ob sie den Muth besitzt, mir entgegen zu treten, in Gegenwart meines Vaters werde ich sie eine Lügnerin nennen, denn sie hat mir nicht geschrieben, und hoffentlich gelingt es mir, dem alten und bethörten Manne die Augen zu öffnen, ehe es zu spät ist. Georg, sag' mir die Wahrheit – hat sich mein Vater an der Seite dieser Frau glücklich gefühlt?«

»Ja,« gab der Alte zur Antwort. »Sie erwies ihm jede Aufmerksamkeit und hat ihn unablässig gepflegt, als er erkrankte. Aus Liebe hat sie es freilich nicht gethan, sondern um sich einzuschmeicheln in seine Gunst und ihn zu einem für sie günstigen Testamente zu bewegen. Nun sie ihren Zweck erreicht hat, ist es freilich anders geworden, denn jetzt scheint er ihr und ihrem Bruder zu lange zu leben.«

Er erzählte, wie der Pfarrer den Kranken mit seinen religiösen Tröstungen quäle, obschon dieser dieselben nicht wünsche und sich nach Ruhe sehne.

Der Förster gab aufs Neue seinem Unwillen gegen den Pfarrer lauten Ausdruck.

»Lassen Sie, Bellert,« entgegnete Paul. »Ich hoffe, daß es mir gelingen wird, auch mit diesem Manne Abrechnung zu halten, und dann darf er auf keine Schonung rechnen. Möge der Himmel meinen Vater nur noch einige Tage am Leben erhalten, dann wird noch Alles wieder gut werden.«

Noch spät in der Nacht saßen die vier Männer zusammen, bis Georg sich endlich erhob, um heimzukehren.

»Georg, ich bringe Sie bis zu dem Gute,« sprach der Förster.

»Nein, Bellert, dies werde ich thun!« warf Paul ein. »An der Hand dieses Alten bin ich oft gegangen, als ich noch ein kleiner Bursch war, nun will ich ihm zeigen, daß er sich fest auf den Arm des Mannes stützen kann. Komm, Georg, ich begleite Dich!«

Die Augen des alten Dieners glänzten. Es that ihm wohl, daß die Söhne seines Herrn, an denen noch immer sein Herz hing, ihn als Freund behandelten, er hatte in den letzten Jahren ja so wenig freundliche Worte gehört. Er wollte die Begleitung ablehnen, Paul ließ sich indeß nicht zurückweisen. Auf seinen Arm gestützt trat der Alte in die Nacht und den Wald hinaus.

Einige Minuten lang gingen sie schweigend neben einander.

»Wie ergeht es Ihnen und Hermann?« fragte Georg endlich. Diese Frage hatte er längst auf den Lippen gehabt und doch hatte er sie in des Försters Gegenwart nicht aussprechen mögen.

Unwillkürlich stand er still, allein er vermochte in der Dunkelheit nicht zu sehen, wie über Paul's Gesicht ein schmerzliches Lächeln hinzuckte, und wie er halb ausweichend leise mit der Schulter zuckte.

»Georg, Du weißt, daß wir beide in unseren Ansprüchen nie verwöhnt sind,« entgegnete Paul dann offen. »Es hat uns bis jetzt noch wenig Nutzen gebracht, daß wir einen reichen Vater haben, denn ohne seine Hülfe haben wir uns eine Lebensstellung erringen müssen. Das Glück hat uns wenig beigestanden. Ich klage indeß nicht, denn in meiner Frau und meinen Kindern besitze ich einen Schatz, den ich für alle Güter der Erde nicht hingeben möchte. Durch meine Arbeit erringe ich mir soviel, daß die Noth den Meinigen unbekannt ist, und wenn ich der Arbeit oft zu unterliegen drohe, so hilft mir mein heiterer Sinn wieder über Alles hinweg. Nicht für mich wünsche ich den mir zukommenden Theil von dem Vermögen meines Vaters, aber den Meinigen möchte ich gern das Leben leichter und freundlicher gestalten. Mit vollem Rechte durfte ich mich dieser Hoffnung hingeben, und um so schmerzlicher würde es mir sein, wenn ich darum betrogen würde. Hermann geht es weniger gut. Er ringt und ringt, und trotzdem will es ihm nicht gelingen, sich zu einer sorgenlosen Existenz durchzukämpfen. Du kennst sein weiches Herz, es fehlt ihm nicht an ernstlichem Bemühen, er arbeitet fast Tag und Nacht, allein er hat mit vielem Mißgeschick zu kämpfen gehabt. Da will ihm oft der Muth sinken, und ich muß Alles aufbieten, daß er den Kopf oben behält. Wenn er um seine Hoffnungen, an die er sich nur allzu fest angeklammert hat, betrogen würde, so befürchte ich, daß der letzte Rest seines Lebensmuthes vernichtet würde. Es liegt mir fern, gegen meinen Vater als Ankläger aufzutreten, allein den Gedanken, daß er unser Leben leichter und angenehmer hätte gestalten können, kann ich nicht verscheuchen. Was er besitzt, hat er sich selbst errungen, allein er hat vergessen, wie viel er dem Glücke verdankt, er weiß nicht, dass es nicht in des Menschen Macht liegt, sich die Gunst des Glückes zu erringen. Wer es am Meisten sucht, dem wendet es oft am Beharrlichsten den Rücken, und blindlings schüttet es über Andere, welche seiner Gaben am wenigsten bedürfen, sein Füllhorn aus. Doch, laß uns darüber schweigen. Sieh, die Sonnenstrahlen thun dem Menschen nie wohler, als wenn sie nach tagelangem Sturm durch die Wolken sich Bahn brechen, der Himmel erscheint dann doppelt schön, und so hoffe auch ich, daß über unserem Leben noch ein blauer und wolkenloser Himmel sich wölben wird. Es hat ja genug gestürmt und endlich muß die Sonne scheinen.«

Sie waren in der Nähe des Gutes angelangt, Georg blieb stehen, um sich von Paul zu trennen.

»Kehren Sie zurück,« bat er. »Es könnte Sie Jemand sehen und dadurch würde Ihnen vielleicht Manches erschwert. Morgen früh sehen wir uns wieder, vielleicht ist es mir möglich, Ihren Vater darauf vorzubereiten.«

»Thu das, Georg,« entgegnete Paul. »Ich werde zeitig kommen, vielleicht bricht morgen schon die Sonne durch.«

Er schüttelte dem Alten die Hand und kehrte nach dem Försterhause zurück.

 

Lessen hatte eine unruhige Nacht gehabt und fühlte sich schwächer als am Tage zuvor. Hake, der am Tage zuvor gegen seinen Willen bei ihm eingetreten war, hatte seine Geduld bis auf's Aeußerste erschöpft und ihn heftig erregt. Dazu kam das stille Verlangen nach seinen Söhnen. Je näher der Tod an ihn herantrat, um so mehr brach sich die Erkenntniß Bahn, daß er allzu hart und ungerecht gegen sie gewesen war. War es nicht eine gerechte Strafe, daß er jetzt, von seinen Kindern verlassen, sterben sollte? Pauline hatte ihnen geschrieben und ihnen seinen Wunsch, sie zu sehen, mitgetheilt, und dennoch kamen sie nicht.

Er hatte sie in seinem Testamente enterbt, soweit das Gesetz dies zuließ, er war dazu überredet, aber schon hatte sich die Reue eingestellt. Alles hätte sich noch ändern lassen, wenn sie gekommen wären. Diese Gedanken hatten ihn unablässig beschäftigt und den Schlaf verscheucht.

Auch Pauline war während der ganzen Nacht nicht zur Ruhe gekommen. Sie saß am Fenster, durch dessen Vorhang die Strahlen der Morgensonne schimmerten. Der Kranke winkte sie zu sich heran.

»Gönne Dir Ruhe,« bat er, »nur wenige Stunden. Rufe Georg, er mag so lange bei mir bleiben.«

»Ich bin nicht müde,« entgegnete die junge Frau, obschon ihre abgespannten und ermüdeten Züge ihre Worte Lügen straften.

»Weshalb willst Du Georg nicht zu mir lassen?« fragte Lessen.

»Weil ich Dich selbst pflegen will,« gab die Gefragte zur Antwort. »Ist es Dir nicht am Liebsten, wenn ich bei Dir bin.«

»Ja, ja,« erwiederte der Kranke und doch ruhten seine Augen forschend auf dem Gesichte seiner Frau. War es wirkliche Liebe, die sie antrieb, ihn auch nicht auf eine Stunde zu verlassen, mochte sie aus Besorgniß seine Pflege nicht den bewährten Händen des alten Dieners anvertrauen?

Ihre Züge konnten oft so kalt sein. Noch vor wenigen Wochen würde er nicht an ihrer Liebe gezweifelt haben, die letzten Tage hatten manche Bedenken in ihm erregt.

»Pauline, Du hegst Mißtrauen gegen Georg,« fuhr er mit schwacher Stimme fort. »Er verdient dasselbe nicht, denn seit langen Jahren hat er sich bewährt. Er würde Alles für mich thun, wenn er dadurch mein Leben erhalten könnte. Ich sehe es seinen Augen an, wie sehr es ihn schmerzt, daß er mich nicht pflegen darf; thue es dem Alten zu Liebe.«

»Ich werde Deine Pflege Niemand überlassen,« erwiederte die Frau und ließ sich, nachdem sie dem Kranken Wasser gereicht hatte, wieder am Fenster nieder.

Lessen schwieg. Verstand er seine Frau nicht mehr? Hatte sie seine Bitte nicht mit kaltem, festen Tone abgeschlagen?

Der Lichtstrahl, der sich durch die Vorhänge schlich, fiel auf ihr Gesicht und beleuchtete dasselbe scharf. Es war bleich, die vielen schlaflosen Nächte standen darauf geschrieben, zugleich aber eine Kälte, die Lessen, der dieselbe nie in dem Grade bemerkte, fast zurückschreckte. Aus diesen starr blickenden Augen sprach nicht Mitleid und Schmerz über sein Geschick, sondern Verdrossenheit, an das Lager eines Kranken gefesselt zu sein, während draußen die Sonne schien und die Vögel sangen.

Pauline ahnte nicht, daß der Blick ihres Mannes forschend auf ihr ruhte, sie würde ihre Züge sonst mehr beherrscht haben. Sie blickte hinab in den Garten. Plötzlich zuckte sie erschreckt zusammen. Hastig riß sie die Vorhänge auseinander, um ungehinderter zu sehen, dann sprang sie erregt auf.

»Was ist geschehen?« fragte der Kranke, dem dies Alles nicht entgangen war.

»Nichts – nichts!« erwiederte sie erregt und eilte zur Thür.

»Wohin willst Du?« forschte Lessen weiter.

»Ich werde sogleich zurückkehren – es ist nichts, nichts; nachher werde ich es Dir sagen.«

Pauline eilte aus dem Zimmer. Sie war in einer Aufregung, in welcher sie kaum wußte, was sie that. Paul und Hermann hatte sie durch den Garten kommen sehen. Anfangs hatte sie ihren Augen mißtraut, zubald hatte sie sich indeß überzeugt, daß sie sich nicht täuschte. Sie eilte ihnen entgegen, mit dem festen Entschlusse, Alles aufzubieten, um sie von dem Kranken fern zu halten.

Woher kamen sie? Wer hatte sie gerufen? Diese Fragen schossen durch ihren Kopf hin, während sie durch die Vorzimmer eilte. Georg kam ihr entgegen und aus seinen Augen glaubte sie zu lesen, daß er die Söhne ihres Mannes herbeigerufen. Sie warf ihm einen Blick des tiefsten Hasses zu.

»Wohin wollen Sie?« fragte sie kurz, schroff.

»Dem Herrn die Nachricht überbringen, daß seine Söhne soeben angekommen sind,« entgegnete der Alte ruhig, denn aus ihren Mienen las er, daß sie die Kommenden bereits gesehen hatte.

»Zurück!« rief sie befehlend und streckte drohend die Hand aus. »Der Herr ist zu schwach – er kann Niemand sehen – Niemand!«

»Ich werde ihm nur die Nachricht überbringen,« bemerkte Georg, der die Frau nicht mehr fürchtete.

»Zurück,« wiederholte Pauline noch einmal und ihr ganzer leidenschaftlicher Sinn prägte sich auf ihrem Gesichte aus. Sie trat so drohend an den Alten hin, daß dieser unwillkürlich einen Schritt zurückwich. »Fort aus dem Zimmer – außen erwarten Sie meine Befehle!«

Georg zögerte noch, da traten Paul und Hermann bereits in das Vorzimmer.

Pauline zitterte, einen Augenblick lang schien sie die Fassung zu verlieren, dann raffte sie sich gewaltsam zusammen, denn von den nächsten Minuten hing unendlich viel für sie ab.

Mit äußerer Festigkeit schritt sie den Eingetretenen entgegen, den Kopf kaum zum Gruße bewegend.

»Ich errathe, weshalb Sie gekommen sind,« sprach sie, »der Kranke ist leider so schwach, daß er Niemand sehen kann. Der Arzt hat jede Aufregung streng verboten, kein Fremder darf zu ihm, er ist ohnehin auf Ihren Besuch nicht vorbereitet.«

Zum ersten Male seit Jahren stand Paul der Frau wieder gegenüber, die seinen Vater von ihm entfernt, die soviel Leid über ihn gebracht und die ihn mehr haßte, als irgend einen anderen Menschen. Wenn er über ihren Charakter noch in Zweifel gewesen wäre – in diesem Augenblicke konnte er denselben deutlich in ihren Zügen lesen.

Seine Augen ruhten fest auf ihrem Gesichte, allein sie hielt seinen Blick, ohne zu zucken, aus.

»Ich weiß, daß Sie die Söhne meines Vaters zu den Fremden zählen,« entgegnete er, »ich werde mich trotzdem nicht zurückhalten lassen. Mögen Andere sich zwischen das Herz des Vaters und Sohnes gedrängt haben, mein Anrecht ist das ältere und natürlichste und ich werde es geltend machen!«

Die Augen der Frau glühten, ihre Lippen zuckten, als such sie nach Worten und vermöge dieselben nicht zu finden.

»Das Krankenzimmer meines Gatten ist ein Heiligthum für mich und ich werde dasselbe durch Niemand ohne seinen Willen betreten lassen?« rief sie. »Es ist fern von mir, mich zwischen den Vater und die Söhne zu drängen, jetzt habe ich indeß einen Kranken zu schützen und vor jeder Aufregung zu bewahren. Er ahnt nicht, daß Sie kommen und Sie werden zum wenigsten den Willen eines Kranken soweit achten, daß Sie es allein von ihm abhängen lassen, ob er Sie sehen will.«

»Mein Vater will uns sehen, ich weiß, daß er nach uns verlangt hat,« warf Paul ein. »Oder wagen Sie vielleicht zu leugnen, daß er gegen Sie den Wunsch, uns zu sehen, ausgesprochen, daß er Sie gebeten hat, uns zu schreiben?«

Die Frau zuckte bei diesen Worten doch etwas zusammen und ihr Blick glitt flüchtig über Georg hin, welcher noch immer im Zimmer stand. Dann richtete sie sich empor, als vermöchte sie durch ihre Größe zu imponiren.

»Mein Herr, welche Sprache!« rief sie. »Vergessen Sie nicht, daß ich an Stelle meines kranken Gatten berechtigt bin, hier das Hausrecht zu üben! Er hat durchaus nicht den Wunsch, Sie zu sehen, gegen mich ausgesprochen!«

»Wollen Sie vielleicht den Söhnen die Thür weisen?« bemerkte Paul. »Zulange haben Sie meinen Vater bethört und getäuscht! Sie haben das Verlangen nach seinen Söhnen hintertrieben, jetzt wird endlich die Schranke fallen, welche Sie zwischen uns aufgerichtet haben, ich selbst werde meinem Vater sagen, daß Sie ihn betrogen, als Sie versicherten, daß Sie uns geschrieben!«

Er wollte auf das Zimmer zuschreiten, in welchem der Kranke lag, die entschlossene Frau vertrat ihm den Weg.

»Zurück!« rief sie heftig. »Ich werde Niemand in das Zimmer meines kranken Gatten lassen! Noch bin ich Herrin hier und werde nöthigenfalls jeden unberufenen Eindringling mit Gewalt entfernen lassen!«

In diesem Augenblicke rief der Kranke, der die Stimme seines Sohnes erkannt hatte: »Paul! Paul!« und Alles vergessend, schob der Gerufene die erbitterte Frau gewaltsam zur Seite und stürzte in das Zimmer des Kranken. Hermann folgte ihm.

Lessen hatte sich im Bette empor gerichtet und streckte die Arme seinen Söhnen entgegen und im nächsten Augenblicke hatten ihn beide mit ihren Armen umklammert.

Es war ein erschütterndes Wiedersehen. Ohne daß ein Mund ein Wort sprach, hatten die Herzen sich versöhnt und was zwischen ihnen gelegen, war entfernt und vergessen.

»Meine Kinder – meine Kinder,« sprach Lessen bewegt, während eine Thräne in seinem Auge schimmerte. »Es ist gut, daß Ihr gekommen seid, denn es würde mir schwer geworden sein, ohne Euch zu sterben.«

»Vater, Du wirst noch nicht sterben, noch nicht!« fiel Paul ein. »Du mußt noch leben, nachdem wir uns endlich wieder gefunden haben.«

»Der Tod läßt sich nicht aufhalten, jetzt fürchte ich ihn nicht mehr,« sprach der Kranke und sank erschöpft in die Kissen zurück.

Seine Kräfte waren solcher Aufregung nicht mehr gewachsen, allein ein Zug des Friedens und der Ruhe lag auf seinem Gesichte. In seinen Händen hielt er die Hände seiner Söhne und durch den leisen Druck derselben wiederholte er ihnen, daß sein Herz mit ihnen ausgesöhnt sei.

Es lag etwas feierlich Ernstes in dem Schweigen. Seit Jahren hatten Paul wie Hermann ihren Vater nicht gesehen, in ihrer Erinnerung hatte er noch als rüstiger Greis gelebt, jetzt blickten sie in ein abgezehrtes, bleiches Gesicht. Aber seine Augen ruhten wieder freundlich auf ihnen wie einst, als sie noch Knaben gewesen waren.

Der Kranke brach selbst zuerst das Schweigen wieder, es war, als ob er keine Minute verlieren wollte, um seinen Söhnen das zu sagen, was er ihnen noch mitzutheilen hatte.

»Ich habe Vieles an Euch wieder gut zu machen,« sprach er mit matter Stimme – jedes Wort schien ihm schwer zu werden und Schmerzen zu verursachen. »Ich bin hart und ungerecht gegen Euch gewesen, aber noch ist es nicht zu spät, um das Geschehene zu ändern. Ihr habt Euren Vater nicht vergessen – ich will Euch auch nicht vergessen!«

Er rang nach Athem.

»Vater, rege Dich nicht auf,« bat Paul. »Schone Dich. Wir bleiben bei Dir, so lange Du es wünschst – erhole Dich erst wieder, dann magst Du uns Alles sagen!«

Der Kranke schüttelte ablehnend mit dem Kopfe.

»Ich habe nur noch wenige Zeit,« fuhr er halb flüsternd fort. »Ich habe mich unendlich nach Euch gesehnt, weshalb seid Ihr nicht sofort gekommen, als meine Frau Euch geschrieben hat?«

»Sie hat uns nicht geschrieben,« gab Paul zur Antwort.

»Doch, doch,« versicherte Lessen. »Auf meinen Wunsch hat sie es gethan, ich ließ Euch bitten, zu kommen, und Ihr seid ja gekommen!«

»Sie hat uns nicht geschrieben« wiederholte Paul.

»Georg hat uns ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen mitgetheilt, wie krank Du seiest, und da haben wir keine Stunde gezögert, zu Dir zu eilen.«

»Sie hat Euch nicht geschrieben?« rief der Kranke und richtete sich empor, sein Blick ruhte auf dem Gesichte seines Sohnes, die Ahnung, daß er getäuscht und betrogen war, tauchte in ihm auf.

»Nicht eine einzige Zeile,« versicherte Paul. »Selbst heute wollte sie uns den Eintritt zu Dir verwehren, mit Gewalt haben wir uns denselben erzwingen müssen – es sollte uns Niemand mehr von unserem Vater trennen!«

Lessen bewegte die Lippen, allein er war zu erregt und zu bestürzt, um ein Wort hervorbringen zu können. Pauline wußte, wie sehr er sich nach seinen Kindern sehnte und dennoch hatte sie dieselben nicht zu ihm lassen wollen! Die heftigste Erbitterung stieg in ihm auf.

In diesem Augenblicke trat Pauline mit ihrem Bruder in das Zimmer. Das geröthete Gesicht des Pfarrers verrieth, wie rasch er geeilt war, seine Augen glühten und glitten flüchtig über den Kranken und dessen Söhne hin.

Ohne ein Wort des Grußes trat er an das Bett.

Lessen machte mit der Hand eine zurückweisende Bewegung.

»Laßt mich allein mit meinen Söhnen!« rief er. »Ich will mit ihnen allein sein!«

»Nein,« entgegnete Hake. »Es ist meine Pflicht, Sie vor jeder Aufregung zu schützen und ich sehe, daß Sie bereits allzu erregt sind.«

»Ich will allein sein mit meinen Söhnen!« wiederholte der Kranke noch einmal und der Widerspruch trieb ihm das Blut in die Stirn.

»Ich gehe nicht;« sprach der Pfarrer mit Festigkeit, »denn ich befürchte, daß ich hier sehr nöthig sein werde, um die Interessen meiner Schwester wahrzunehmen!«

»Fort! fort!« stöhnte der Kranke.

»Lessen, gelte ich Dir nichts mehr!« rief Pauline und streckte ihm die Arme entgegen.

Der kranke Greis wandte das Gesicht von ihr ab.

Jetzt sprang Paul empor.

»Fort!« rief er und trat drohend vor Hake hin. »Wenn Sie dem Befehle des Kranken nicht gehorchen, so werde ich Sie dazu zwingen!«

Der Pfarrer rührte sich nicht, er schloß die Augen halb und ließ sie durchdringend auf Paul ruhen. Er verrieth keine Furcht, weil er wußte, wie viel von diesem Augenblicke abhing.

»Ich werde hier bleiben,« entgegnete er mit Bestimmtheit.

Pauline war an das Bett geeilt und hatte des Kranken Hand erfaßt, er entzog ihr dieselbe. Die letzten Kräfte raffte er zusammen.

»Du hast meinen Söhnen nicht geschrieben, Du hast ihnen heute den Zutritt zu mir verweigert – Du hast mich betrogen – fort! fort!« rief er. »Jetzt erst durchschaue ich Dich, denn Du hast Alles aufgeboten, um meine Kinder von mir zu entfernen! Ich will ein neues Testament machen, nicht Du sollst erben, sondern meine Söhne ruft einen Notar – rasch – rasch, ich will, ich will …!«

Er hatte diese Worte laut und mit dem Aufgebote der letzten Kräfte gerufen, er konnte sie nicht beenden, denn die Stimme versagte ihm und kraftlos sank er zurück.

Hermann beugte sich über ihn und suchte ihn zu stützen. »Vater, beruhige Dich, beruhige Dich!« bat er.

Seine Worte kamen zu spät. Der Kranke bewegte die Lippen, als ob er gewaltsam noch einige Worte hervorbringen wollte, die Anstrengung trieb ihm Schweißtropfen auf die Stirn und zuckend fuhr seine Rechte in die Luft. Der Kampf des Todes trat ein, früher als er selbst geahnt hatte.

»Er stirbt, er stirbt!« rief Hermann erschreckt, Paul sprang hinzu und flößte ihm einige Tropfen ein – Menschenhülfe kam zu spät.

Den Blick fest auf seine Söhne geheftet, als könne er ihnen durch die Augen noch mittheilen, was sein Herz noch im letzten Augenblicke seines Lebens beschäftigte und was zu sagen sein Mund sich weigerte, lag Lessen da, seine Brust holte schwer Athem. Noch einmal versuchte er sich emporzurichten, dann sank er zurück, das Herz hatte zu schlagen aufgehört.

Hermann warf sich über den Todten und umfing ihn mit beiden Armen, Paul stand bestürzt da. Er konnte es nicht glauben, daß der Mund, der soeben noch zu ihnen gesprochen, für immer schweigen sollte, daß das Auge, aus dem ihm Versöhnung entgegengeleuchtet, gebrochen war. Und doch stand er an dem Lager eines Geschiedenen.

Pauline war auf einen Stuhl gesunken und hatte das Gesicht mit beiden Händen bedeckt.

Es liegt etwas Ergreifendes und schmerzlich Erschütterndes in dem Augenblicke, in welchem ein Menschenleben, das so viel gewirkt und geschaffen, das eine kleine Welt um sich selbst gebaut, vernichtet wird, in welchem ein Herz, das so viele Stürme ertragen, das von so mancher Freude und manchem Leid durchbebt, still steht, in welchem der Leib wieder in die Stoffe zerfällt, aus denen er entstanden. Es ist nur ein ewiger und nothwendiger Wechsel in der Natur, aber es ist auch zugleich ihre schönste Schöpfung, die mit dem Menschenleben vernichtet wird.

Paul blickte zuerst auf und sein Blick fiel auf den Pfarrer, dessen Auge prüfend durch das Zimmer glitt, aus dessen Zügen eine triumphirende Freude sprach. Sein Herz zuckte noch vor Schmerz, er hätte aufschreien mögen vor Weh, weil nach der so oft ersehnten Versöhnung ihm nur wenige Minuten in der Nähe seines Vaters vergönnt waren, dennoch erfüllte ihn der Anblick dieses Mannes mit der tiefsten Erbitterung. Die Heftigkeit der Aufregung hatte den Tod des Geschiedenen so schnell herbeigeführt und dieser Mann hatte ihn aufgeregt.

»Sie haben meinen Vater gemordet!« rief er. »Sie haben seinen Tod herbeigeführt!«

Hake blieb ruhig. Was hatte er jetzt noch zu fürchten! Das Ziel seiner Bestrebungen und Wünsche war erreicht – der Mund des Todten öffnete sich nie wieder, um die einmal in seinem Testamente getroffenen Bestimmung zurückzunehmen. Er konnte lachen über jeden Zorn, denn derselbe war ohnmächtig. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.

»Das sind Ansichten,« erwiderte er leicht mit der Achsel zuckend. »Wären Sie nicht gekommen, so würde mein Freund sicher noch am Leben sein; Sie sind es, der seine letzte Lebensstunde vergiftet hat.«

»Ruhig!« rief Paul sich mit Mühe beherrschend, denn er stand an dem Sterbelager seines Vaters. »Für diese Stunde werde ich Verantwortung und Genugthuung von Ihnen verlangen!«

Der Pfarrer lächelte spöttisch.

»Pauline,« sprach er zu seiner Schwester. »Nach dem Testamente Deines Mannes, welches Gottlob Niemand anzufechten vermag, bist Du die Erbin dieses Gutes und Hauses – weise diesen Herren die Thür, denn sie haben kein Recht mehr hier zu weilen. Jetzt bist Du hier die alleinige Herrin!«

Paul preßte die Lippen auf einander. Er mußte sich beherrschen, so schwer es ihm auch wurde.

»Sie werden diese Stunde bereuen,« sprach er. »Noch ist Ihre Schwester nicht Herrin, noch ist das Testament nicht eröffnet und hat deshalb auch noch keine Geltung, und Sie selbst haben aus dem Munde des Sterbenden gehört, daß er die Bestimmungen des Testaments widerrief, daß er meinen Bruder und mich als seine Erben nannte.«

»Haha! Stoßen Sie das Testament um, wenn Sie es vermögen,« entgegnete Hake spöttisch. »Sie sind ja ein Advokat. Hier möchte Ihre Kunst dennoch scheitern!«

Hermann hatte sich von dem Todten emporgerichtet und erfaßte den Arm des Bruders.

»Komm fort aus diesem Hause, von diesen Menschen!« rief er ängstlich.

»Nein, ich werde bleiben,« entgegnete Paul. »Hier ist unser Platz, denn es ist das Haus unsres Vaters!«

Der Pfarrer war an seine Schwester getreten und sprach flüsternd einige Worte zu ihr, dann verließen beide das Zimmer. Keiner von ihnen trat noch einmal an den Todten heran.

Paul und Hermann blieben allein zurück.

Erst jetzt wo sie von keinem fremden Auge beobachtet wurden, gab Paul sich ganz dem Schmerze hin. Mit welchen Hoffnungen hatte er dies Haus betreten und jetzt war Alles vernichtet! Sein Vater war todt und sein letzter Wunsch war unerfüllt geblieben! Deshalb hatte sein letzter Blick mit einem so schmerzlichen Ausdrucke auf seinen Kindern geruht. Er hatte gefühlt, daß er ihnen Unrecht gethan, und es hatte ihm die Kraft gefehlt, seine Bestimmungen zurück zu nehmen.

Paul war ein zu klarer Kopf, als daß er sich hätte verhehlen können, wie schwer die Giltigkeit des Testamentes anzutasten war, wenn dasselbe nach den Vorschriften des Gesetzes aufgenommen, und daß dies geschehen war, konnte er nicht bezweifeln.

Er fühlte die Kraft in sich, sich durch das Leben durchzukämpfen, allein das Geschick seines Bruders ging ihm zu Herzen. Noch empfand Hermann nur den Schmerz über den Verlust seines Vaters, allein dieser Schmerz mußte noch gesteigert werden, wenn er erfuhr, daß auch seine Hoffnungen vernichtet waren.

Es war sein Entschluß gewesen, in dem Hause zu bleiben und den Boden, auf dem er stand, mit aller Kraft zu vertheidigen, seines Bruders wegen gab er diesen Entschluß auf. Und was konnte ihm dieser Kampf nützen? Konnte er denselben schon beginnen, ehe noch die Erde den Körper seines Vaters deckte?

Er trat an den Todten heran und drückte ihm die Augen zu. Da trat Georg in das Zimmer. Schweigend trat er an das Sterbelager seines Herrn und Thränen rannen über seine alten Wangen. Lange Jahre hatte er Lessen gedient, er war in dem Dienste alt geworden und ergraut, er hatte gehofft, den Rest seines Lebens in diesem Hause in Ruhe zu beschließen, auch diese Hoffnung war mit dem Todten dahingestorben.

Paul trat an den Alten heran.

»Er ist zu früh gestorben, Georg, zu früh!« sprach er bewegt. »Auf dem Gewissen des Mannes, der den ersten Zwist zwischen meinen Vater und uns gesäet hat, lastet sein Tod. Er lächelt darüber, denn er hat sein Ziel erreicht. Ein einziger Tag würde vielleicht Alles umgestaltet haben. Mein Vater erkannte, daß er getäuscht und betrogen war, er gestand, daß er uns Unrecht gethan, er wollte das Testament ändern, wir sollten seine Erben sein, er hatte sich mit uns ausgesöhnt – er hat die Augen geschlossen, ehe er seinen Wunsch ausführen konnte.«

»Die Frau wird demnach Alles erben?« fragte Georg.

Zustimmend nickte Paul mit dem Kopfe.

Der Alte schwieg, aber fest preßte er seine Lippen auf einander. Was in ihm vorging, vermochte Niemand zu errathen.

»Komm,« sprach Paul zu Hermann. »Wir wollen dies Haus verlassen. Nicht durch uns soll der Unfriede in dasselbe hinein kommen – komm!«

Die Brüder drückten Georg schweigend die Hand und sie schieden.

 

Zum Försterhause kehrten sie zurück. Bellert hatte bereits die Nachricht von Lessens Tode erhalten und kam ihnen entgegen.

»Sie haben ihn noch am Leben getroffen?« fragte Bellert.

»Ja,« gab Paul zur Antwort. »In unseren Armen ist er gestorben – meine Hand hat ihm die Augen zugedrückt.«

Dann zog er den Förster auf die Seite und erzählte ihm Alles, was in dem Hause und an dem Sterbebette seines Vaters vorgefallen war, er schilderte ihm des Pfarrers Benehmen.

»Ha! dieser Fromme ist ein Schurke!« rief Bellert in seiner derben Weise. »Und dieser Mann will das Wort Gottes verkünden, und über Andere den Stab brechen. Er mag seine Wege so einrichten, daß sie die meinigen nicht kreuzen, sonst reißt mich mein gerechter Groll hin und ich behandle ihn, wie er es verdient.«

»Lassen Sie ihn,« warf Paul ein. »Auch er wird vielleicht einst seinen Lohn finden. Noch scheint Hermann nicht zu ahnen, wie viel wir verloren haben, lassen Sie uns heute darüber schweigen, damit nicht zu viel auf ihn einstürmt.«

Zustimmend nickte der Förster mit dem Kopfe.

Sie langten in dem Försterhause an, still, ein Jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Das Verlorene wagte Niemand zu berühren und die Stimmung war zu ernst, um über gleichgültige Gegenstände zu sprechen.

Wenige Stunden später langte auch Georg in dem Försterhause an, er war erregt, seine Wangen waren bleich. Die Thränen stürzten ihm aus den Augen, als er Paul und Hermann erblickte.

»Georg, was ist geschehen?« fragte Paul, dem die Aufregung des Alten nicht entging.

Der alte Diener versuchte einen Augenblick lang niederzukämpfen, was in ihm stürmte und zehrte – aber es ging nicht.

»Aus dem Hause haben sie mich gejagt wie einen Verbrecher!« rief er. »Wie einen Verräther haben sie mich behandelt und doch weiß Gott, daß es kein Mensch mit meinem Herrn ehrlicher gemeint hat, als ich!«

»Wer hat das gethan?« rief Paul entrüstet.

»Beide, beide!« gab der Alte zur Antwort. »Der Pfarrer sagte mir, ich möge mich entfernen, da ich in dem Hause nichts mehr zu suchen habe, und als ich auf jene Worte nicht hörte und mich abwandte, trat auch sie heran, warf mir den noch fälligen Lohn auf den Tisch und rief, ich sei mit dieser Stunde meines Dienstes entlassen und solle mich ohne Säumen entfernen, denn jetzt sei sie die Herrin im Hause. Ich möchte zu denen gehen, die ich im Geheimen herbeigeholt hätte, damit sie noch die letzte Lebensstunde ihres Mannes getrübt hätten, und ich möge nicht warten, bis sie durch ihre Leute mich aus dem Hause bringen ließe!«

»Georg, ich bringe Sie zurück, und ich will sehen, was sie mir sagen!« rief der Förster entschlossen. »Mich verlangt, mit ihnen zusammenzutreffen, denn ich werde ihnen die Wahrheit sagen, wie sie dieselbe vielleicht nie wieder aus einem Munde vernehmen!«

»Nein, ich kehre dorthin nicht zurück!« entgegnete der Alte. »Ich würde ohnehin noch heute das Haus verlassen haben, denn ich konnte es nicht länger ansehen wie ihre Blicke frohlockten, nun mein armer Herr, den sie so schändlich betrogen haben, todt ist. Selbst sie hat nicht eine Thräne um ihn geweint und doch war er ihr Mann, doch hat er ihr so unendlich viel Gutes erwiesen und sie zu seiner Erbin eingesetzt! Ich habe mich nie über sie getäuscht, ich wußte, daß ihr Herz keine Liebe zu ihm kannte, daß sie nur freundlich gegen ihn war, um sich in seine Gunst einzuschmeicheln. Ich wußte, daß sie falsch war und doch durfte ich es meinem Herrn nicht sagen, denn er war ja bethört durch sie und würde auch auf mich nicht gehört haben.«

»Georg, Du sollst auch in das Haus nicht zurückkehren,« warf Paul ein. »Ich weiß, was Du meinem Vater gewesen bist, und wenn ich Dir auch nicht vergelten kann, was Du gethan hast, so werde ich Dich doch nie verlassen.«

Er streckte dem Diener die Hand entgegen.

Georg erfaßte sie und hielt sie fest in der seinigen. Ablehnend schüttelte er mit dem Kopfe; was in ihm in diesem Augenblicke vorging, vermochte er nicht auszurücken.

»Ich danke Ihnen,« sprach er endlich bewegt; »für die wenigen Tage, welche mir noch beschieden sind, bin ich nicht besorgt. Ich stehe nicht verlassen da, da ich ja einen Sohn habe, ich hätte indeß gerne mein Leben bei meinem Herrn beschlossen!«

»Georg, wollen Sie hier bleiben, in dem Försterhause ist Platz genug!« rief Bellert. »Sie dürfen es annehmen, weil ich es ehrlich meine. Aus diesem Hause darf Sie Niemand vertreiben!«

Wieder schüttelte der Alte ablehnend mit dem Kopfe.

»Ich werde zu meinem Sohne gehen,« erwiderte er. »Mit Ihnen möchte ich jedoch noch einige Worte sprechen,« fügte er zu Paul gewendet hinzu.

Paul trat zur Seite.

»Nicht hier,« fuhr Georg fort. »Lassen Sie uns allein sein – im Walde wird uns Niemand hören.«

Sie verließen das Zimmer und traten in den Wald hinaus, welcher das Försterhaus rings umgab.

»Hier sind wir allein,« sprach der Alte endlich, indem er stehen blieb. »Nur wenige Fragen habe ich an Sie zu richten und ich weiß, daß Sie mir offen und wahr Antwort geben werden. Es ist der letzte Wunsch Ihres Vaters gewesen, sein Testament zu vernichten und Sie und Hermann als alleinige Erben einzusetzen?«

»Er sagte es,« versicherte Paul, »und ich zweifle nicht, daß er es gethan haben würde, wenn der Tod nicht zu schnell eingetreten wäre, denn er verlangte, daß sofort ein Notar herbeigeschafft werde. Es waren dies seine letzten Worte.«

»Hat der Pfarrer und dessen Schwester sie gehört?« forschte Georg weiter.

»Sie müssen die Worte gehört haben.«

»Können Sie auf Grund dieser Worte nicht auf Vernichtung des Testamentes antragen?«

»Nein. Mein Bruder und ich sind die einzigen Zeugen. Wer kann dem Pfarrer und dessen Frau das Gegentheil beweisen, wenn sie versichern, die Worte nicht gehört zu haben, und sie würden es versichern!«

»Ja, sie würden es sogar beschwören!« fiel der Alte ein. »Sie haben also keine Hoffnung, das Testament zu vernichten?«

»Nein.«

»Die Frau wird wirklich das Gut und den größten Theil des Vermögens erhalten?«

»Sie wird es erhalten, wenn das Testament diese Bestimmung enthält,« gab Paul zur Antwort.

Der Alte schwieg einen Augenblick. Man konnte sehen, wie heftig es in ihm gährte und wie sehr er kämpfte. Die, welche er liebte, sollten fast leer ausgehen, und die Frau, die dem Todten nicht einmal eine Thräne nachgeweint, sollte fast das ganze Vermögen erhalten!

»Es ist gut, daß Sie mir dies gesagt haben,« sprach er halb zu sich selbst.

»Georg, was hast Du im Sinne?« fragte Paul.

»Der Alte blickte auf, als ob er bei einem unrechten Gedanken betroffen werde.

»Nichts, nichts!« erwiderte er hastig, »Lassen Sie uns in das Haus zurückkehren, kommen Sie!«

Ohne Pauls Antwort abzuwarten, schritt er zu der Försterwohnung zurück. Nur wenige Augenblicke gönnte er sich Ruhe, dann erhob er sich um fortzugehen. Eine innere Unruhe schien ihn zu treiben.

»Georg, wohin willst Du? Was treibt Dich fort?« fragte Paul.

»Ich will zu meinem Sohne, er wohnt in der Stadt und ich darf nicht säumen, wenn ich diese heute noch erreichen will,« gab der Diener zur Antwort.

»Heute bleiben Sie hier!« fiel der Förster ein.

»Es geht nicht, erwiderte Georg. »Die Menschen werden sich wundern, daß ich meinem armen Herrn nicht einmal das letzte Geleit gebe, mir blutet das Herz, weil ich es nicht thun kann, ich bin indeß nicht im Stande, die Menschen noch einmal zu sehen, die über den Tod meines Herrn jubeln! Und was soll ich hier auch, da ich hier Niemand zu nützen vermag! – Sie werden hier bleiben, bis Ihr Vater in die Erde gelegt ist?« fügte er zu Paul und Hermann gewandt hinzu.

»Wir bleiben hier!« versicherte Paul.

»Ja, bleiben Sie – bleiben Sie!« fuhr der Alte fort. »Zeigen Sie den Menschen, daß Sie ausgesöhnt sind mit Ihrem Vater, daß Sie ihm nicht grollen, obschon er Sie in seinem Testamente fast enterbt hat! Wir werden uns ja in wenigen Tagen wieder sehen, denn wenn das Testament, welches auf dem Gerichte deponirt ist, eröffnet wird, müssen Sie zur Stadt kommen. Acht Tage nach dem Ableben soll es eröffnet werden, und diese wenigen Tage schwinden schnell dahin; wenn die Sonne heute Abend sinkt, ist der erste Tag entschwunden! – Nun leben Sie wohl.«

Er streckte Paul und Hermann die Hände entgegen.

»Bleib heute noch,« bat Hermann.

Der Alte schüttelte abwehrend mit dem Kopfe.

»Es geht nicht,« sprach er. »Ich habe hier auch nichts mehr zu suchen. Förster, ich habe den Auftrag gegeben, meine wenigen Habseligkeiten von dem Gute hierher zu bringen. Sie schicken mir dieselben wohl nach zur Stadt. Ich hoffe, auch wir sehen uns bald wieder. Nun, leben Sie wohl!«

»Ich begleite Dich,« fiel Paul ein.

»Lassen Sie mich allein gehen,« bat der Alte. »Das Herz ist mir so schwer, ich fühle, daß ich allein sein muß, um das Geschehene zu fassen und zu tragen. In meinem Alter drückt eine Last doppelt schwer. Hoffentlich werden die alten Schultern es aushalten!«

Noch einmal nickte er freundlich grüßend, dann verließ er schnell das Zimmer.

Durch das Fenster blickten Paul, Hermann und der Förster ihm nach. Seine große Gestalt schritt rasch dahin, obschon seine Beine zu schwanken schienen. Nicht ein einziges Mal sah er sich um, er wollte nicht zeigen, wie heftig er weinte. In wenigen Minuten war er zwischen den Bäumen verschwunden.

 

Paul und Hermann blieben bei dem Förster, bis ihr Vater beerdigt war. Lessen hatte nur wenige Freunde hinterlassen, denn die Zahl derjenigen, welche ihn zum Grabe geleiteten, war gering. Hake sprach am offenen Grabe, ehe der Sarg hineingesenkt wurde. Mit frommen Worten pries er die Tugenden des Geschiedenen. »Sein Herz war ganz dem Herrn geweiht,« sprach er, »deshalb war sein Sinn ein milder und seine Handlungen waren gerecht. Er suchte Gott mehr zu gefallen, als den Menschen, deshalb wird auch der Herr in seiner unendlichen Liebe und Gnade ihn zu denen stellen, die er auserwählt hat und denen der himmlische Frieden zu Theil wird!«

Nicht ohne Unwillen wurden diese Worte aufgenommen, denn es war bereits bekannt geworden, daß der Todte in jenem Testamente seine Söhne fast enterbt und seine Frau als die Haupterbin eingesetzt hatte. Pauline und ihr Bruder gebehrdeten sich auf dem Gute bereits als alleinige Herren, und warfen Manches, was dem Geschiedenen lieb gewesen war, mit schonungsloser Rücksichtslosigkeit über den Haufen. Das Urtheil der Menschen war ihnen nicht unbekannt, sie setzten sich indeß darüber hinweg, denn was sie erreicht hatten, galt ihnen mehr. Es war fast, als ob sie Alles aufböten, um das Andenken Lessens ganz auszulöschen.

Mit größter Spannung wurde der Eröffnung des Testamentes entgegengesehen, denn Manche hielten es doch für unmöglich, daß Lessen gegen seine Söhne so ungerecht gewesen sei, und fast kein Einziger gönnte Paulinen, deren Charakter sich jetzt offen zeigte, das reiche Erbe.

 

Der Tag, an welchem das Testament eröffnet werden sollte, war erschienen. Hake und Pauline, Paul und Hermann und auch Georg hatten sich in dem Gerichtszimmer eingefunden, um der Eröffnung beizuwohnen.

Es war ein peinliches Zusammensein. Pauline hatte die Söhne ihres geschiedenen Gatten kaum eines Blickes gewürdigt, nicht mit dem leisesten Kopfnicken hatte sie dieselben gegrüßt. Sie stand am Fenster und sah auf die Straße hinab. In ihr lebte der Wunsch, daß die Handlung erst vorüber sein möge, denn sie befürchtete einen heftigen Auftritt mit Paul und Hermann, und ihr Leben war nicht ein derartiges gewesen, daß sie jedem Vorwurfe ruhig entgegensehen konnte.

Paul, Hermann und Georg standen neben einander und unterhielten sich in ruhiger Weise. Sie wußten, was ihnen bevorstand, und waren entschlossen, das Unvermeidliche mit ruhiger Würde hinzunehmen und zu ertragen. Waren ihre Herzen doch dadurch einigermaßen versöhnt, daß ihr Vater in Frieden von ihnen geschieden war und daß das Testament nicht seinen letzten und wirklichen Willen enthielt. Sie sahen es als eine Fügung des Geschickes, welches ihnen noch so wenig Gunst in ihrem Leben bewiesen hatte, an, daß dieser Wille nicht zur Ausführung gelangt war.

Der Pfarrer schritt in dem Zimmer auf und ab. Auf seinem Gesichte lag die unverholene Freude, über die zu triumphiren, die er haßte. Ein spöttisches Lächeln zuckte um seinen Mund, und in herausfordernder Weise glitt sein Auge über Paul und Hermann hin. Beide beachteten ihn nicht. Wiederholt schritt er dicht an ihnen vorüber, als suche er einen Anknüpfungspunkt mit ihnen.

»Herr Advokat,« sprach er endlich, neben Paul stehen bleibend, »Sie wollten ja die Giltigkeit des Testamentes angreifen. Sie werden es bald thun müssen, sonst ist es zu spät!«

Paul warf nur einen verachtenden Blick auf ihn und wandte ihm den Rücken.

»Ich habe meine Schwester beredet,« fuhr der fromme Mann, der mit Absicht einen Streit herbeizuführen wünschte, fort, »daß Sie Ihnen den Theil des Vermögens Ihres Vaters, welcher für Sie bestimmt ist, sofort heute auszahlt, denn dann dürfte es wohl keinen weiteren Berührungspunkt zwischen ihr und Ihnen geben!«

Georg hatte Pauls Hand erfaßt und sein bittender Blick schien ihm zuzurufen: »Antworte ihm nicht! Verachte ihn, wie ich ihn verachte!«

Zu heftig war indeß Pauls Blut durch die höhnende Herausforderung erregt.

»Herr Hake,« entgegnete er mit lauter Stimme und das Auge fest auf den Pfarrer gerichtet, »Sie können ohne Besorgniß sein. Unsere Ehre ist uns zu lieb, als daß wir mit Ihrer Schwester oder Ihnen in irgend eine Berührung treten möchten und könnten. Sie scheinen meine stillschweigende Verachtung nicht verstanden zu haben, jetzt können Sie zum wenigsten über meine Gesinnung nicht mehr in Zweifel sein!«

Das Blut wich aus dem Gesichte des Pfarrers und unwillkürlich zuckte er bei diesen Worten zusammen. In seinem Hochmuthe hatte er geglaubt, durch seine Stellung das Recht zu haben, Andere zu beleidigen und gegen jede Erwiderung geschützt zu sein.

»Das wagen Sie mir zu sagen!« rief er sich emporrichtend und sich mit dem ganzen Nymbus seiner geistlichen Würde umgebend.

»Ja, ich sage es Ihnen, denn meine Worte sind an Sie gerichtet,« entgegnete Paul ruhig. »Ich habe nur ausgesprochen, was Sie im reichsten Maße verdienen und was die Ueberzeugung Aller ist, die Sie kennen. Sie sind mir zu verächtlich, als daß ich den Streit mit Ihnen fortsetzen möchte – deshalb ist dies mein letztes Wort!«

Er wandte sich ab.

Des Pfarrers Augen glühten, seine Lippen zuckten leise, als fänden sie die Worte noch nicht, die seine ganze Erbitterung ausdrückten.

»Richard! Richard!« rief Pauline mahnend.

Der Gerufene hörte sie nicht, er rang nach Athem und Kraft, um seinen Groll über Paul ergehen zu lassen, da trat der Gerichtsrath mit dem Protokollführer in das Zimmer, um die Amtshandlung der Testamentseröffnung vorzunehmen, und die Anwesenheit des Richters nöthigte dem Erbitterten Schweigen auf. Er tröstete sich damit, daß jetzt die Handlung erfolgen werde, welche ihn mehr rächte, als er durch Worte vermochte; in wenigen Minuten mußten ja Paul und Hermann vernehmen, daß sie von dem großen Vermögen ihres Vaters nur einen geringen Theil erhielten.

Der Gerichtsrath überzeugte sich, daß die Erbberechtigten sämmtlich anwesend waren und der Protocollführer mußte die Namen derselben in das Protocoll aufnehmen.

Dann schloß er den in dem Zimmer stehenden eichenen Schrank auf, in welchem die Erbschaftsdocumente aufbewahrt wurden, um das Testament herauszunehmen.

Das Innere des Schrankes war in Fächer abgetheilt, welche nach dem Alphabet geordnet waren. Vergebens suchte er in dem Fache, über welchem der Buchstabe L. stand, Lessens Testament. Staunen prägte sich in seinem Gesichte aus, denn er selbst hatte das Testamentsdocument in dieses Fach gelegt und außer ihm kam Niemand zu dem Schranke, dessen Schlüssel in seinen Händen war.

Seine Verlegenheit wuchs, je länger er suchte, denn das Gesuchte fand er nicht. Sämmtliche Schriften, welche sich in dem Fache befanden, nahm er hervor und durchsuchte sie sorgfältig auf dem Tische – vergebens.

Er konnte die Unruhe, die ihn erfaßt hatte, nicht länger verbergen.

»Es ist mir unbegreiflich, wo das Testament geblieben ist, denn ich selbst habe es in dieses Fach gelegt,« sprach er. »Es ist nur eine Möglichkeit vorhanden, die, daß es aus Versehen in ein anderes Fach gerathen ist.«

Auf Paulinen's und Hake's Gesichtern hatte sich bereits die größte Unruhe ausgeprägt, als der Gerichtsrath das Testament nicht sofort fand. Bei seinen Worten überzog Blässe ihr Gesicht, sie schienen zu ahnen, was ihnen bevorstand. Ihre Brust war kaum im Stande zu athmen und der Pfarrer trat näher an den Schrank heran, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, ob das Gesuchte nicht vorhanden sei.

Mit größter Sorgfalt untersuchte der Gerichtsrath Fach für Fach, wohl zitterte seine Hand vor Erregung, dennoch konnte er das Testament nicht übersehen, da nach ihm der Protocollführer sämmtliche Papiere nachsah und des Pfarrers Auge auch das kleinste Schreiben nicht entging.

Bis zum letzten Fache waren sämmtliche Papiere vergebens durchsucht, noch einmal durchforschte der Gerichtsrath den Schrank, allein derselbe enthielt nicht einen einzigen Winkel, nicht eine Spalte, in welcher das Document versteckt sein konnte.

»Das Testament ist nicht vorhanden!« erklärte er endlich.

Ein halb unterdrückter Ruf des Schreckens preßte sich aus Paulinens Brust.

»Es muß vorhanden sein!« rief der Pfarrer und durchsuchte selbst den Schrank.

Der Gerichtsrath trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Es war der erste derartige Fall und vergebens strengte er den Kopf an, um denselben zu fassen.

»Ist Jemand vor dem Schranke gewesen?« wandte er sich fragend an den Protocollführer.

»Niemand,« versicherte dieser. »Es giebt ja nur einen Schlüssel zu dem Schranke und dieser befindet sich in Ihren Händen,« erwiederte der Gefragte.

»Der Schlüssel ist nicht eine Minute lang aus meinem Gewahrsam gekommen;« fuhr der Gerichtsrath fort. »Ich bewahre ihn in meinem Secretär und dieser ist stets verschlossen!

»Das Testament muß vorhanden sein!« rief Hake noch einmal, denn schon der Gedanke, daß es verschwunden sein könnte, trieb ihn fast zur Verzweiflung. »Es ist den Händen des Gerichtes übergeben, das Gericht trägt jede Verantwortung.«

Der Gerichtsrath untersuchte das Schloß des Schrankes, dasselbe war in bester Ordnung und zeigte keine Spur einer gewaltsamen Oeffnung. Ihm selbst wirbelte der Kopf, denn der Bedeutung, welche das Document hatte, war er sich wohl bewußt. Er strich mit der Rechten über die Stirn, ohne daß er dadurch eine Aufklärung fand. Aller Augen waren auf ihn gerichtet.

»Das Testament ist nicht vorhanden,« sprach er endlich. »Es giebt nur eine Möglichkeit für das Verschwinden desselben – es muß gestohlen sein!«

Pauline sank fast ohnmächtig auf einen Stuhl.

»Gestohlen! Gestohlen!« rief der Pfarrer laut, als enthielte das eine Wort sein Todesurtheil. Sein Gesicht war entfärbt und entstellt, seine Augen blickten angstvoll suchend umher, als befinde sich der Dieb noch in dem Zimmer und es wäre möglich, ihm das werthvolle Document zu entreißen.

Sein Blick blieb auf Paul haften. Unwillkürlich glitt über das Gesicht desselben, als er des Pfarrers Schrecken und entstellte Züge sah, ein Lächeln hin.

Hake sprang auf ihn zu und erfaßte ihn an der Brust.

»Sie – Sie haben das Testament gestohlen!« rief er laut.

Unwillig stieß Paul den halb Sinnlosen von sich.

»Sie alle sind Zeugen dieser Verleumdung und Mißhandlung,« sprach er. »Ich verlange, daß sie sofort in dem Protokolle aufgenommen und constatirt werden!«

»Sie haben es gethan!« wiederholte Hake, der immer mehr jede Fassung und Selbstbeherrschung verloren. »Nur Sie sind einer solchen That fähig!«

Der Gerichtsrath verwies ihn zur Ruhe und forderte ihn auf, seine Anschuldigung zu beweisen.

»In seinen Augen habe ich es gelesen – er hat es gethan!« rief Hake. »Er, sowie sein Bruder ist in dem Testamente so gut wie enterbt, nur das vom Gesetze bestimmte Pflichttheil sollten sie von dem Vermögen ihres Vaters erhalten, meine Schwester ist die Universalerbin – deshalb hat er das Testament gestohlen und vernichtet. Nur er kann es gethan haben – nur er!«

Er wußte kaum, was er sprach.

Noch einmal ermahnte ihn der Gerichtsrath zur Ruhe und Mäßigung.

Der hochmüthige Sinn des Pfarrers bäumte sich dagegen auf.

»Ich vertrete meine Schwester hier!« rief er. »Ich werde nicht schweigen und ein solches Unrecht, wie ihr geschehen ist, ruhig zulassen. Ich bin nicht gewohnt, mich zur Ruhe verweisen zu lassen und werde dies auch von Ihnen nicht dulden!«

Die Geduld des Gerichtsraths war erschöpft, er klingelte und befahl dem eintretenden Gerichtsdiener, Hake aus dem Zimmer zu entfernen.

Der Pfarrer zitterte vor Zorn und Erregung, denn er hatte nicht erwartet, daß der Gerichtsrath so weit gehen werde, in Paul's und Hermann's Gegenwart war er bloßgestellt und gleichwohl sah er ein, daß er sich fügen mußte und daß er seine Lag durch fortgesetzten Widerstand nur noch verschlimmerte. Mit fest auf einander gepreßten Lippen verließ er das Zimmer. Pauline wollte ihm folgen.

»Bleibe hier!« rief er. »Halte die Augen offen und gieb auf Alles Acht, denn es handelt sich um Deine Interessen. Ich werde sofort von dem Geschehenen Anzeige machen und ich hoffe, daß die Polizei bald den Dieb entdecken wird, dessen Hand das Testament gestohlen hat, um Dir die Erbschaft e entziehen!«

Der Gerichtsdiener schob ihn gewaltsam zum Zimmer hinaus.

Es bedurfte der Anzeige des erbitterten Pfarrers nicht, denn der Gerichtsrath schickte sofort zur Polizei und theilte dem gleich darauf erscheinenden Criminalcommissar der Polizei das Geschehene mit.

Der Commissar durchsuchte noch einmal den ganzen Schloß allein auch er fand nichts; dann prüfte er das Schloß und sein Auge war schärfer als das des Gerichtsraths.

»Hier ist ein Meißel oder ein Messer eingesetzt, um das Schloß gewaltsam zu öffnen,« sprach er. »Die Spuren sind nicht zu verkennen – das Testament ist gestohlen! Wann haben Sie dasselbe in diesen Schrank gelegt?«

»Vor ungefähr vierzehn Tagen!« gab der Gerichtsrath zur Antwort. »Ich entsinne mich indeß, daß ich es vor einigen Tagen noch gesehen habe.«

»Wissen Sie dies genau, Herr Gerichtsrath?«

»Ganz genau.«

»Sie selbst haben den Schlüssel zu dem Schranke?«

»Ja. Außer mir kommt Niemand zu ihm.«

»Vermissen Sie außer dem Testament noch andere Papiere?«

»Bis jetzt nicht. Es ist indeß nicht möglich, Alles so schnell zu überblicken – ich werde noch heute sämmtliche Papiere genau durchsehen.«

»Ich bitte Sie darum,« bemerkte der Commissar, »denn es liegt mir viel daran zu wissen, ob dieser Schrank nur in der Absicht, dieses Testament zu entwenden, geöffnet ist.«

Er schwieg einen Augenblick nachsinnend, dann wandte er sich fragend an Paul und Hermann: »Kannten Sie den Inhalt des Testamentes?«

»Nein,« gab Paul ruhig zur Antwort.

»Ihr Vater hat sich kurz vor seinem Tode gegen Sie darüber ausgesprochen?« fuhr der Criminalcommissar fragend fort.

»Er sagte nur, daß er uns Unrecht gethan habe, daß er das Testament umändern wolle, um uns zu seinen alleinigen Erben einzusetzen.«

»Weshalb hat er das Testament nicht verändert?«

»Der Tod hinderte ihn daran.«

»Sie wußten also, daß Sie nach den Bestimmungen des Testamentes wenig zu erwarten hatten. Sie wußten auch, daß der Geschiedene seine Frau, Ihre Stiefmutter zur Universalerbin eingesetzt hatte!«

»Herr Commissar,« erwiderte Paul nicht ohne leisen Ausdruck des Unwillens in seiner Stimme, »ich kann nicht zugestehen, daß wir dies wußten. Wir haben allerdings das Gerücht vernommen, daß mein Vater die Frau, mit der er sich vor wenigen Jahren verbunden, als Universalerbin eingesetzt habe, allein wir haben auf dies Gerücht nicht allzu großen Werth gelegt, weil wir nicht glauben konnten, daß unser Vater so ungerecht sein könnte!«

»Sie haben es gewußt!« rief Pauline.

Paul warf der Frau nur einen verachtenden Blick zu.

»Ich habe Ihnen mitgetheilt, worauf sich unser Wissen stützte,« wiederholte er zu dem Commissar gewendet.

»Sie lebten mit Ihrem Vater in Unfrieden?« fuhr der Commissar fragend fort.

»Ja. Wir sind indeß ausgesöhnt. Der Unfriede war nur die Saat dritter Personen, welche sich zwischen ihn und uns drängten und uns sein Herz zu entfremden suchten.«

»Hierauf wollte ich soeben kommen. Sie lebten auch mit Ihrer Stiefmutter in Unfrieden?«

»Ja wohl,« gab Paul offen zur Antwort. »Wir lieben einander nicht. Ich hoffe, Sie werden, da die Dame gegenwärtig ist, es mir erlassen, Ihnen zu erzählen, wodurch diese feindliche Stimmung entstanden ist.«

»Ich selbst will es sagen!« rief Pauline. »Es ärgerte Sie, daß Ihr Vater mich liebte, Sie befürchteten, daß er mich in seinem Testamente freundlich bedenken werde, Sie allein wollten seine Erben sein.«

Paul bewahrte seine volle Ruhe.

»Diese Angaben sind nicht ganz genau, Herr Commissar,« bemerkte er. »Ich befürchtete, daß mein Vater durch diese Verbindung in sehr intrigante Hände gerathen würde, deshalb rieth ich ihm ab. Ich habe mich leider nicht geirrt – ich hoffe, Sie werden nun unsere ganze feindliche Stimmung begreifen!«

Der Commissar nickte halb zustimmend mit dem Kopfe, Paulinens Aufregung, ihre erbittert blickenden Augen verriethen ihm deutlich genug, daß sie keine sehr liebenswürdige und versöhnliche Stiefmutter gewesen war.

»Es liegt mir nur daran, daß Sie selbst zugeben, das Verhältniß zwischen Ihnen und Ihrer Stiefmutter sei ein feindseliges gewesen,« erwiderte er. »Ehe ich hieher kam, war der Pfarrer Hake bei mir, um von dem Vorgefallenen Anzeige zu machen. Nach seiner Mittheilung sind Sie und Ihr Bruder die einzigen Personen, welche an dem Verschwinden des Testamentes ein Interesse haben.«

»Ich kann dies weder bejahen, noch verneinen, da ich den Inhalt des Testamentes nicht kenne,« gab Paul ruhig zur Antwort.

»Ich muß noch weiter gehen. Der Pfarrer Hake hat Sie unverhohlen gegen mich beschuldigt, das Testament entwendet zu haben.«

»Herr Commissar!« rief Paul, dessen Geduld endlich erschöpft zu sein schien. »Wegen dieser Verleumdung werde ich den Herrn Pfarrer gerichtlich belangen und werde deshalb noch heute mich an die Staatsanwaltschaft wenden.«

Der Commissar zuckte halb ausweichend mit der Achsel.

»Dies muß ich Ihnen allein anheimgeben,« erwiderte er. »Ich bin verpflichtet, auf Grund dieser Anschuldigung noch einige Fragen an Sie zu richten. Der Herr Gerichtsrath behauptet, vor wenigen Tagen das Testament noch in diesem Schranke gesehen zu haben. Wann sind Sie und Ihr Bruder hier in der Stadt angelangt?«

»Vor wenigen Stunden,« gab Paul zur Antwort. »Ich will Ihnen das Fragen etwas erleichtern. Wir können beide beweisen, daß wir erst vor wenigen Stunden hier angelangt, sofort zu dem Gasthofe zum Löwen gefahren sind und denselben nicht verlassen haben, bis wir uns hieher begeben. Wir können ferner beweisen, daß wir innerhalb der letzten vierzehn Tage nicht hier in der Stadt oder auch nur in der Nähe derselben gewesen sind. Unser Beweis des Alibi wird, hoffe ich, jeden Verdacht verscheuchen. Wir sind nie in diesem Gebäude gewesen, wir hatten keine Kenntniß, daß das Testament in diesem Zimmer und in diesem Schranke aufbewahrt wurde, es würde uns deshalb wohl unmöglich gewesen sein, die That auszuführen, selbst wenn wir die Absicht gehabt hätten.«

Der Commissar schien durch diese Mittheilung vorläufig befriedigt.

Pauline hatte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zugehört.

»Können Sie das Testament nicht durch einen Anderen haben entwenden lassen?« warf sie ein.

Paul konnte sich eines Lächelns nicht enthalten.

»Die Möglichkeit ist vorhanden,« bemerkte er. »Es kommt nur darauf an, daß Sie dem Herrn Commissar einige Beweise an die Hand geben.«

Der Commissar schwieg auf die Worte der Frau, da er die feste Ueberzeugung gewonnen hatte, daß weder Paul noch Hermann bei dem Entwenden des Testamentes irgendwie betheiligt waren.

»Wann werden Sie die Stadt wieder verlassen?« wandte er sich an Paul.

»Ich weiß es noch nicht,« erwiderte dieser. »Die Erbschaftsangelegenheit, welche mich hierher geführt, hat eine unerwartete Wendung genommen, ich werde deshalb vorläufig den weiteren Verlauf hier abwarten.«

Der Befund des Schrankes, sowie die Aussagen Pauls, welche Hermann bestätigt hatte, waren zu Protokoll genommen, das Weitere mußte den Nachforschungen der Polizei überlassen bleiben.

Paul und Hermann kehrten zu dem Gasthofe zurück, Georg begleitete sie. Die unerwartete Wendung der Testamentseröffnung, der sie nicht ohne Bangen entgegengesehen, hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht. Unwillkürlich hing jeder von ihnen seinen Gedanken nach.

Georg brach zuerst das Schweigen.

»Nun das Testament verschwunden ist, sind Sie die Erben Ihres Vaters,« sprach er.

Hermann konnte die Befürchtung nicht unterdrücken, daß das Testament wieder gefunden werde. Er war zu oft in seinem Leben getäuscht, als daß er sich einer Hoffnung ungetrübt hätte hingeben können.

»Mir ist das Ganze noch ein Räthsel,« warf Paul ein.

»Der Commissar hat ganz Recht, durch das Verschwinden des Testamentes ist nur uns beiden ein Liebesdienst erwiesen, denn nur wir Beide gewinnen dadurch. Da wir dasselbe nicht entwendet haben und ich auch nicht glauben kann, daß Jemand uns zu Liebe eine so gefährliche That auf sich genommen habe, so befürchte ich auch, daß das Testament nur verlegt ist und sich wieder finden wird.«

Georg schüttelte zweifelnd mit dem Kopfe.

»Der Commissar hat bestätigt, daß das Schloß des Schrankes gewaltsam geöffnet ist,« bemerkte er.

»Georg, darauf gebe ich nichts!« versicherte Paul. »Der Gerichtsrath hatte es nicht bemerkt, das Schloß schloß nach wie vor – kann die gewaltsame Eröffnung nicht schon vor Monaten, selbst vor Jahren erfolgt sein, um vielleicht eine ganz andere Urkunde zu entwenden? Ehe nicht festgestellt ist, daß kein anderes Papier aus dem Schranke fehlt, eher lasse auch ich nicht jede Besorgniß schwinden. Wer könnte das Testament überhaupt entwendet haben? Wem geschieht ein Dienst dadurch? Ich vermag es nicht zu fassen!«

»Werden Sie jetzt sofort in den Besitz Ihres Erbes treten?« fragte Georg.

»Nein. Auch wenn das Testament sich nicht wieder findet, kann es lange währen, ehe dies geschieht. Die Polizei wird vielleicht Jahrelang dem Diebe nachforschen, die Frau meines Vaters wird Einspruch dagegen erheben, daß das Vermögen unseres Vaters vertheilt wird, denn sie kann behaupten, das Testament könne noch gefunden werden und wer kann die Möglichkeit dieser Behauptung abstreiten? Es ist eine sehr verwickelte Geschichte!«

»Die Frau wird also vorläufig Herrin des Gutes und des Vermögens meines Herrn bleiben?« warf der Alte ein.

»Nein,« gab Paul zur Antwort. »Noch heute werde ich den Antrag beim Gerichte stellen, daß das Gut und ganze Vermögen meines Vaters gerichtlich verwaltet wird, bis die Erbschaftsangelegenheit entschieden ist. Sie ist nicht mehr Herrin auf dem Gute, ja ich werde verlangen, daß sie dasselbe verläßt. Ist sie damit nicht einverstanden, so mag sie ihre Einwilligung zur Theilung des Vermögens meines Vaters geben. Was ihr gesetzlich zukommt, will ich ihr nicht vorenthalten – sie wird indeß diese Einwilligung schwerlich geben.«

Sie waren vor dem Gasthofe angelangt.

»Komm mit uns,« bat Paul den Alten.

Dieser lehnte die Einladung ab.

»Sie bleiben ja noch hier,« entgegnete er. »Ich werde Sie sogar heute noch besuchen, jetzt lassen Sie mich heimkehren. Wer sein ganzes Leben hindurch still und in beschränktem Kreise gelebt hat wie ich, den greift eine einzige Stunde wie die heutige mehr an, als Sie vielleicht ahnen; gönnen Sie mir deshalb kurze Zeit zur Ruhe.«

Paul und Hermann traten allein in das Gasthaus ein.

»Paul,« fragte Hermann, als sie auf ihrem Zimmer angelangt waren, »glaubst Du wirklich, daß das Testament gestohlen ist?«

»Nein,« entgegnete der Gefragte mit Bestimmtheit. »Ich würde indeß viel darum geben, wenn es der Fall wäre; ich wüßte freilich nicht, wer uns einen solchen Liebesdienst hätte erweisen sollen!«


Um dieselbe Zeit befand sich Hake in dem Zimmer des Advokaten und Notars Maks. Beide waren Jugendfreunde, hatten zusammen studirt und noch immer das brüderliche Du bewahrt. Sie waren Freunde, wenn schon Maks über die Frömmigkeit des Pfarrers offen lachte und selbst spottete, denn nach seinem Sinn war die Frömmigkeit nicht.

»Freund, ich gebe zu, daß die Frömmigkeit zu Deinem Berufe, und Geschäfte gehört,« sprach er, wenn Hake über seine Bemerkungen wegwerfend mit der Achsel zuckte, »allein Du mußt mir doch einräumen, daß sie eine sehr lästige Zugabe zu der bequemen Stellung eines Pfarrers ist. Sein Gesicht fortwährend den Menschen gegenüber in fromme Falten legen, ist keine leichte Aufgabe, zumal wenn man Dich so genau kennt, wie ich Dich kenne. Du warst der flotteste Bursch auf der Universität, und nun schreitest Du so steif und ehrwürdig über die Straße hin, als wenn Du das Vaterunser schon mit auf die Welt gebracht hättest. Freilich hast Du zeitig eine Stelle bekommen und kannst noch einmal Consistorialrath werden, denn die Frömmigkeit lohnt sich immer!«

Hake erwiederte auf solche Worte in der Regel nur: »Ein Jeder muß wissen, was ihm am Besten frommt!« übrigens verstellte er sich dem Freunde gegenüber am wenigsten.

Maks war eine große, kräftige Gestalt. Sein Gesicht blühte fast zu viel in Folge des Weins, den er sehr liebte und der seine Vermögensverhältnisse nie hoch emporschwingen ließ. Er stand unter seinen Collegen nicht im besten Ruf, allein er war nicht der Mann, der sich dies sehr zu Herzen nahm, sein Gewissen war überhaupt sehr dehnbar. Mit allzuviel Kenntnissen hatte er seinen Kopf nie beschwert, es fehlte ihm indeß nicht an Anlagen und aus seinen wasserblauen Augen sprach ein verschlagener, listiger Sinn.

Er schritt im Zimmer aufgeregt auf und ab, während der Pfarrer, der ihm das Verschwinden des Testaments mitgetheilt hatte, im Sopha lehnte und ihm beobachtend mit den Augen folgte.

»Nein, nein!« rief Maks endlich mit lauter Stimme, »von den beiden Lessen hat keiner das Testament gestohlen!«

»Und weßhalb nicht?« warf der Pfarrer ein.

»Der Kaufmann ist zu schüchtern dazu und der Advokat zu klug.«

»Du meinst also, ein kluger Mann sei einer solchen That nicht fähig?« bemerkte der Pfarrer.

»Ich meine einfach, er ist zu klug, um sich selbst in solche Gefahr zu begeben,« berichtete Maks. »Uebrigens weiß ich genau, daß beide erst vor wenigen Stunden angelangt sind und in so kurzer Frist läßt sich eine solche That, wenn sie nicht vorbereitet ist, nicht ausführen. Es war eine Uebereilung von Dir, den Advokat offen anzuschuldigen; wenn er dem Staatsanwalte Anzeige macht, so wirst Du rettungslos verurtheilt und bestraft, denn den Beweis der Wahrheit kannst Du nicht führen.«

Hake machte mit der Hand eine abwehrende, unwillige Bewegung.

»Darum handelt es sich nicht!« sprach er. »Mir liegt nur daran, das Testament wieder herbeizuschaffen und es würde mir lieber sein, wenn Du mir darüber Deine Ansicht sagtest.«

»Ist es wirklich gestohlen, so ist es auch bereits vernichtet, denn nur in der Absicht kann es entwendet sein!« gab Mars zur Antwort.

Der Pfarrer sprang erregt auf.

»Es darf nicht vernichtet sein!« rief er, als wäre er im Stande, durch sein Wort das so wichtige Document zu retten. »Ich hoffte, Du würdest weniger gleichgiltig sein bei einem Verluste, der Dich auch berührt, denn Du weißt sehr wohl, daß, wenn das Testament nicht wieder herbeigeschafft wird, Pauline nur einen sehr geringen Antheil an dem Vermögen Lessens erbt. Ist Dir dies gleichgiltig?«

»Hake, wozu die thörichte Frage,« entgegnete Maks ruhig. »Es ist eine tolle Geschichte; durch Deine Aufregung wirst Du indeß am wenigsten erreichen, ein ruhiger und klarer Blick ist das erste Erforderniß. Wie faßt Pauline das Geschehene auf?«

Der Pfarrer warf dem Freunde einen erbitterten Blick zu. Der Vorwurf desselben ärgerte ihn um so mehr, je gerechtfertigter derselbe war.

»Pauline läßt Dir sagen,« entgegnete er langsam und mit stiller Genugthuung beobachtend, welchen Eindruck seine Worte machten, »daß sie nie die Deinige werde, wenn Du das Testament nicht wieder herbeischafftest!«

Schon vor Jahren hatte Maks um Paulinens Hand angehalten; er liebte sie und auch Paulinens Herz war ihm gewogen. Hake, der die Schwester vollständig beherrschte, hatte diese Verbindung hintertrieben, weil Paulinens Verheirathung mit dem reichen Lessen mehr seinen Wünschen und Plänen entsprach. Als Maks gerufen wurde, um Lessens Testament aufzunehmen, hatte er in dem Freunde wieder Hoffnungen auf dem Besitz seiner Schwester gemacht, um ihn vollständig seinen Absichten geneigt zu machen, und noch hatte Lessen die Augen nicht geschlossen, als Pauline, die ihn noch immer liebte, Maks das Versprechen gegeben, die Seinige zu werden.

Sie wußte nichts von den Worten ihres Bruders, dieser sprach dieselben indeß dreist aus, weil er seinen Einfluß auf die Schwester kannte.

»Unmöglich!« rief der Advokat erschreckt. »Das kann sie nicht gesagt haben, weil ihr Verlangen nicht in meiner Macht liegt!«

»Sie hat es gesagt,« wiederholte der Pfarrer noch einmal. Es setzte ihn nicht in Verlegenheit, daß er die Unwahrheit sprach. Er würde dem Freunde seine Schwester nicht zugesichert haben, hätte er dessen Hülfe nicht nöthig gehabt; nun das, was er erreicht zu haben glaubte, ihm wieder entrissen war, bereute er sein Versprechen.

Er war überhaupt keiner wirklichen Freundschaft fähig, die Menschen hatten nur so lange Werth für ihn, als er ihrer bedurfte.

»Ich werde Pauline selbst fragen,« entgegnete Maks. »Aus ihrem Munde will ich es hören, denn es ist eine Thorheit, mich für eine That verantwortlich zu machen, die ich nicht hindern konnte.«

Er schickte sich an das Zimmer zu verlassen.

Der Pfarrer trat ihm in den Weg.

»Bleib,« sprach er. »Sie macht Dich nicht für die That verantwortlich, allein sie erwartet von Deiner Klugheit, daß Du das Verlorene wieder herbeischaffen wirst.«

»Auch das kann ich nicht und dies Verlangen ist nicht weniger unbillig,« gab Maks zur Antwort.

Hakes Worte hatten einen tieferen Eindruck gemacht, als dieser vermuthet hatte. Halb beruhigend warf er deshalb ein:

»So laß uns wenigstens berathen, was zu thun ist. Sollen wir es ruhig geschehen lassen, daß uns das, was wir mit vieler Mühe errungen haben, wieder entrissen wird? Pauline hat mehrere Jahre ihres Lebens zum Opfer gebracht, der Lohn, den sie jetzt dafür erhalten würde, wäre zu gering. Nur von Lessens Söhnen kann die That ausgegangen sein und haben sie dieselbe nicht selbst ausgeführt, so haben sie Jemand dazu gedungen.«

»Ist das Testament in ihre Hände gelangt, so ist es sicher vernichtet!« bemerkte Maks, der sich leicht hatte beruhigen lassen.

»Um so härter müssen die Diebe bestraft werden!« warf Hake ein.

»Halt!« unterbrach ihn Maks plötzlich. »In Lessens Hause war ein alter Diener. Hast Du nicht erwähnt, daß derselbe an den Söhnen seines Herrn gehangen und Deine Schwester nur ungern im Hause saßen habe?«

»Ganz recht. Der Mensch hat sogar gegen meine Schwester intriguirt und auf mein Verlangen hat sie ihn sofort nach Lessens Tode aus dem Hause gewiesen. Weshalb fragst Du darnach?«

Der Advokat lächelte siegesgewiß.

»Wenn er nun das Testament entwendet hätte?« sprach er. »Wenn Lessens Söhne sich seiner bedient hätten!«

Der Pfarrer schüttelte zweifelnd mit dem Kopfe, er hatte eine andere Lösung erwartet.

»Georg hat es nicht gethan,« entgegnete er. »Du weißt, daß Lessen ihn in seinem Testamente bedacht und soviel vermacht hat, daß er den Rest seines Lebens sorgenlos genießen konnte, er wußte dies, denn als Lessen das Testament aufsetzte, hat er ihn belauscht, er würde sich also durch die Entwendung des Testamentes in das eigene Fleisch geschnitten haben.«

»Und wenn ihm Lessens Söhne nun das Doppelte und Dreifache versprochen hätten,« warf Maks ein. »Haha! Sie konnten ihm selbst das Zehnfache versprechen, denn sie sind nicht verpflichtet, ihr Wort zu halten. Der Alte hat kein Recht, sie zu mahnen, er muß im Gegentheil sich still verhalten, um sich nicht zu verrathen und dem Zuchthause zu entgehen.«

Noch immer stiegen in des Pfarrers Kopfe Zweifel auf. Obschon er Georg haßte, hielt er ihn doch einer solchen That nicht für fähig, da er seine Treue und Gewissenhaftigkeit kannte.

»Die That erfordert eine größere Schlauheit und Kühnheit, als ich dem Alten zutraue,« bemerkte er. »Woher sollte er sich die Kenntniß von dem Aufbewahrungsorte des Dokumentes verschafft haben und wie sollte er in das Gerichtsgebäude gelangt sein?«

»Du scheinst nicht zu wissen, daß sein Sohn auf dem Gerichte als Schreiber angestellt ist!« warf Maks ein.

Der Pfarrer fuhr überrascht empor. Dies hatte er in der That nicht gewußt, dieser Umstand verscheuchte aber auch sofort alle Bedenken und Zweifel, welche in ihm aufgestiegen waren. Mit einem Male glaubte er Alles klar zu überblicken. Georg oder dessen Sohn hatten die That in dem Auftrage der beiden Brüder begangen.

»Jetzt soll uns der Dieb nicht mehr entgehen!« rief er. »Mit ruhigem Gewissen würde ich beschwören, daß der Advokat den Alten zu der That bewogen hat, daß in seinem Kopfe der ganze Plan entstanden ist. Ich hatte Recht, als ich ihn offen beschuldigte und der Mensch hatte noch die Dreistigkeit, mir wegen Verleumdung mit einer Klage zu drohen!«

»Er wird seine Drohung wahrscheinlich auch ausführen, denn noch hast Du nicht die Beweise seiner Schuld in Händen,« warf Maks ein.

»Ich werde sie herbeischaffen,« fuhr Hake erregt fort. »Nun ich einmal die sichere Spur des Diebes gefunden habe, werde ich Sie verfolgen Schritt für Schritt!«

Der Advokat mußte über des Freundes Eifer lächeln.

»Ich glaube, Du thust besser, wenn Du dies Alles der Polizei überläßt!« bemerkte er.

»Noch ist das Testament vielleicht zu retten!« fuhr der Pfarrer fort, auf den Einwurf kaum hörend. »Sofort, in dieser Stunde muß bei Georg, bei dessen Sohne, bei den beiden Brüdern Haussuchung gehalten werden – ich eile zur Polizei – sie muß ohne Verzug einschreiten!«

Er eilte fort aus dem Zimmer, ehe Maks ihn zurückhalten und wiederholen konnte, daß das Testament sicherlich längst vernichtet sein werde.

 

Der Advokat war allein. Erst jetzt gewann er Ruhe über das Geschehene und namentlich über Paulinens Worte, welche Hake ihm mitgetheilt hatte, nachzudenken. Konnte sie dieselben wirklich im Ernste ausgesprochen haben oder waren sie nur ein Ergebniß ihrer erregten Stimmung? Er wollte das Letztere glauben und doch mußte er sich gestehen, daß seit Lessens Tode Pauline kälter gegen ihn geworden war und daß ihr Bruder ihn fast abweisend behandelt hatte. Er hatte dies nur für eine vorübergehende Laune gehalten, jetzt drängten sich ihm ernste Besorgnisse auf.

Er liebte Pauline. Hatten ihre Züge in den Jahren, in welchen sie mit Lessen verbunden war, an Frische und Reiz verloren, so war sie doch noch immer hübsch und hatte durch das Vermögen, dem sie entgegen sah, an Werth für ihn gewonnen. Er würde den Verlust ihres Besitzes verschmerzt haben, allein er hatte sich bereits zu sehr in den Gedanken, durch ihr Vermögen ein müheloses und lustiges Leben zu führen, hineingelebt, als daß er denselben hätte wieder aufgeben können.

Er hatte Alles aufgeboten, um Lessen zu dem für Pauline so günstigen Testamente zu bewegen, im Verein mit Hake hatte er so lange auf den schwachen Kranken eingeredet, bis derselbe halb unwillig, von dem Verlangen nach Ruhe getrieben, seine Zustimmung zu den Bestimmungen des Testamentes gegeben. Er hatte den Kranken sogar getäuscht, indem er ihm die Versicherung gegeben, der gesetzliche Theil der Erbschaft, auf welchen Lessen seine Söhne beschränkt hatte, sei größer, als derselbe wirklich war. Ohne seine Bemühung würde Lessen nie für Pauline so günstige Bestimmungen getroffen haben und jetzt wollte man ihn bei Seite schieben.

War es seine Schuld, daß das Testament gestohlen war, oder lag es in seiner Macht, dasselbe wieder herbeizuschaffen?

Aufgeregt sprang er empor. Auch ohne Lessen's Vermächtniß erhielt Pauline einen beträchtlichen Theil des Vermögens, sie war noch immer wohlhabend, und er war nicht gesonnen, sie aufzugeben. Aus ihrem eigenen Munde wollte er die Worte hören, welche ihn so sehr erregt hatten, er eilte deshalb ohne Zögern zu dem Hotel, in welchem sie mit ihrem Bruder abgestiegen war, vorbereitet auf einen heißen Kampf, aber auch entschlossen, nicht nachzugeben.

Er traf Pauline allein. Die Aufregung hatte der Abspannung Platz gemacht und mit Erbitterung dachte sie daran, daß sie Jahre ihres Lebens geopfert und dennoch ihr Ziel verfehlt hatte. Vielleicht wäre sie glücklicher geworden, wenn sie schon vor Jahren Maks geheirathet hätte! Damals hatte sie das Verlangen, reich zu werden, noch nicht gekannt, langsam hatte ihr Bruder dasselbe in ihr zum Erwachen gerufen und genährt, und nun sie sich vollständig in die Idee, die Herrin des Gutes zu sein, hineingelebt hatte, sollte sie dieselbe wieder aufgeben.

Sie grollte im Stillen mit ihrem Bruder. Erst jetzt empfand sie den ganzen sie beherrschenden, ja knechtenden Einfluß desselben. Sie hatte ihm Glauben geschenkt, er hatte ihr so oft gesagt, daß sie ihm allein ihr Glück verdanke; daß sie dasselbe indeß schon wieder verlieren könne, noch ehe sie es besessen – das hatte er nicht mit in Berechnung gezogen. Würde sie als Maks Gattin nicht eben so viel erlangt haben, als sie jetzt zu erwarten hatte?

Wohl hatte ihr Bruder oft über des Freundes Neigung zum Weine gespottet, in ihren Augen war Maks dadurch nicht gesunken, denn sie glaubte, er suche im Weine Vergessenheit, weil sie seine Bewerbung zurückgewiesen. Eine Frau verzeiht Alles, wenn sie weiß, daß es aus Liebe geschieht. Sie sehnte sich nach ihm, und freundlicher, als es sonst ihre Gewohnheit war, eilte sie ihm entgegen, als sie ihn eintreten sah.

»Es ist gut, daß Du kommst,« sprach sie. »Ich stehe allein da, denn Richard ist so erregt und erbittert, daß er am Wenigsten mir Beruhigung geben kann.«

Sie hatte Maks Hand erfaßt und blickte zu ihm auf. Forschend ließ er das Auge auf ihr ruhen. Verstand er sie nicht mehr? Sie hatte gedroht, ihr Versprechen, die Seinige zu werden, zurückzunehmen, und doch sprach Liebe und Vertrauen aus ihren Augen. Er war nicht im Stande, dies Räthsel zu lösen.

»Leopold, weshalb blickst Du mich so forschend an?« fragte sie. »Glaubst Du, ich sei auch eine Andere geworden, weil meine Hoffnungen sich umgestaltet haben?«

»Ich verstehe Dich nicht mehr,« entgegnete Maks und theilte ihr die Worte mit, welche ihr Bruder ihm gesagt hatte. »In Deinen Augen will ich lesen, ob Du sie wirklich gesprochen hast!« fügte er hinzu, »ich kann nicht eher daran glauben, bis Dein Mund sie mir wiederholt hat!«

Pauline war unwillkürlich zurückgefahren und das Blut war aus ihren Wangen entwichen.

»Er hat die Unwahrheit gesprochen!« rief sie leidenschaftlich erregt. »Er will uns wieder trennen, wie er uns einst getrennt hat; allein zum zweiten Male soll es ihm nicht gelingen, ich will nicht wieder Jahre meines Lebens seinen Planen opfern!«

Maks Brust dehnte sich erleichtert.

»Er hat mich betrogen!« sprach er. »Nach all den Diensten, die ich ihm erwiesen habe, glaubt er mich zur Seite schieben zu können, allein er hat sich auch in mir verrechnet, wennschon er sich dünkt unfehlbar zu sein. Ich lasse nicht wieder von Dir, Du hast mir Dein Herz und Deine Hand geschenkt, ich halte sie fest!«

»Ich werde die Deinige,« versicherte Pauline und schmiegte sich an ihn.

»Pauline,« fuhr Maks ernst fort, »Du mußt Dich losreißen von dem Einflusse Deines Bruders, er darf nicht mehr die Macht über Dich ausüben wie bisher, wo er Dich nur als ein Mittel betrachtete, um seine Pläne zu erreichen. Gieb mir die Hand und versprich, daß Du Dich nicht länger von ihm beherrschen lassen willst!«

Sie zögerte, ihre Rechte in die dargereichte Hand zu lesen, weil sie fürchtete, ihr Versprechen nicht halten zu können.

»Du zögerst!« rief Maks. »Pauline, Du bist kein Kind mehr, treibt es Dich nicht, endlich Deinem eigenen Willen und Herzen zu folgen? Jetzt bist Du nicht mehr abhängig von ihm, wenn Du es auch früher warst.«

»Ich fürchte ihn,« entgegnete die junge Frau. »Du weißt nicht, ein wie heißes und leidenschaftliches Blut in seinen Adern fließt, wie er aufbraust, wenn er seinen Willen nicht durchzusetzen vermag. Ich war noch ein Kind, als unsere Eltern starben, er sorgte für mich und sein Wille war mir Gebot. Ich fühlte, daß er mir geistig überlegen war und wenn ich auch oft den Entschluß faßte, meiner eigenen Ueberzeugung zu folgen, durch einen einzigen festen Blick, durch ein spöttisches und überlegenes Lächeln, welches um seinen Mund zuckte, vernichtete er denselben wieder!«

»Ich werde Dich schützen!« warf Maks ein. »Oder glaubst Du, daß Dein Bruder wirklich Dein Glück im Auge hat? Er ist ein Egoist und will Dich für seine Interessen benutzen, und er würde es thun, selbst wenn Du dadurch zu Grunde gingest!«

»Nein!« fiel Pauline ein. »Er liebt mich.«

»Er liebt Niemand als sich selbst,« versicherte Maks und nahm die Geliebte immer mehr gegen den Bruder ein. Er schilderte ihr dessen Charakter, sein Verlangen, sie zu beherrschen, seine Eitelkeit, die Niemand gerecht wurde.

»Sieh,« schloß er, »wenn Du erst die meinige bist, mußt Du Dich doch von seinem Einflusse befreien. Ich will Deinen freien Willen nicht beschränken, aber noch weniger werde ich dulden, daß Dein Bruder es thut. Thu es vorher, damit er nicht glaubt, ich habe Dich gegen ihn eingenommen, denn dann würde er seinen ganzen Groll auf mich werfen und Deinetwegen möchte ich mich mit ihm nicht verfeinden.«

Pauline stimmte ihm bei, da sie sich gestand, daß er nichts Unbilliges verlangte. Es that ihr wohl, zum ersten Male dem Manne, den sie liebte, ihr ganzes Inneres erschließen zu können, da sie dies gegen ihren Bruder nie gewagt hatte. Absichtlich hatte dieser über jede weichere Empfindung in ihrer Brust gespottet und ihr stets wiederholt, daß nur der Mensch allein richtig handle, der jedes seiner Worte, jede That nach ihrer Wirkung und Folge berechne, der nie sich durch Empfindungen hinreißen lasse, weil dieselben mit dem Verstande meistens im Widerspruche ständen.

Sie wurde ruhiger an Maks Seite, der Verlust des Testamentes erschien ihr weniger groß, da ihr Herz sich befriedigt fühlte.

Diese Stimmung verließ sie auch nicht, nachdem der Geliebte sie verlassen hatte. Wirkliches Glück hatte sie noch nicht kennen gelernt, denn ihre ganze Vergangenheit war nur ein Leben nach Berechnung gewesen, welches ihr Herz kalt und unbefriedigt gelassen hatte. Sie träumte sich hinein in eine Zukunft, welche ihr Alles das bot, was sie bisher vermißt und entbehrt hatte.

Da trat ihr Bruder ein. Sein Auge blieb forschend auf ihr haften, als sie ihm nicht wie sonst entgegentrat, sondern unwillkürlich den Kopf von ihm abzuwenden suchte. Er kannte sie zu gut, um nicht auf ihrem Gesichte zu lesen, was in ihr vorging.

»Maks ist bei Dir gewesen,« sprach er endlich.

Pauline nickte zustimmend mit dem Kopfe. Ein banges Gefühl erfaßte sie, nun ihr Bruder vor ihr stand und doch war sie fest entschlossen, das Joch, welches sie so lange getragen, abzuwerfen.

»Und was hat er Dir gesagt?« fragte der Pfarrer in seiner ruhigen, kalten Weise weiter, obschon sein Auge verrieth, daß sein Inneres nicht so ruhig war.

Einen Augenblick noch zögerte Pauline, dann richtete sie sich empor.

»Er war empört über die Unwahrheit, welche Du ihm gesagt,« entgegnete sie.

Der Pfarrer blickte sie überrascht an; es war ihm, als ob ein Knabe, der nur seinem Willen gehorchte, mit einem Male zum Manne gereift sei und nun selbstständig vor ihn hintrat. Er wollte aufbrausen, die Empörung gegen seinen Willen mit einem einzigen Worte niederschmettern, allein er beherrschte sich.

»Welche Unwahrheit?« fragte er ruhig.

»Daß ich nicht die Seinige werden würde, wenn er das Testament nicht wieder herbeischaffe,« gab Pauline zur Antwort.

Ein spöttisches Lächeln glitt über das Gesicht des Pfarrers hin.

»Und wenn dies nun mein Wille wäre!« warf er ein.

Pauline fühlte, daß dieser Augenblick für ihre ganze Zukunft ein entscheidender war und daß sie ihm nicht mehr ausweichen konnte. Wohl zitterte sie innerlich, allein sie raffte alle Kräfte zusammen und erwiderte:

»Es kann Dein Wille nicht sein, weil es von mir abhängt, ob ich Maks Frau werde oder nicht!«

Der Pfarrer lachte spöttisch auf. Hatte sie ihm gegenüber denn je einen Willen gehabt! War es möglich, daß sie mit einem Male anders handelte, als er wollte!

»Ich höre Maks Worte aus Deinem Munde,« sprach er mit wegwerfendem Tone. »Es setzt mich nur in Erstaunen, daß Du Dich durch Maks zu einer Thorheit überreden läßt. Eine Thorheit ist es, wenn Du mir plötzlich entgegentrittst,« fuhr er ernster und erregter fort. »Ich bin es, der bis jetzt für Dich gesorgt und gedacht hat und noch räume ich Niemand das Recht ein, über Dein Geschick zu bestimmen.«

»Dies Recht hat überhaupt kein Anderer als ich!« gab Pauline fest zur Antwort.

Der Pfarrer blickte sie fest, drohend an. Er glaubte sich verhört zu haben und doch hatte er ihre Worte nur zu deutlich verstanden.

»Niemand?« wiederholte er, die Augen halb schließend. »Also auch ich In der Vorlage hier und im Folgenden: »mir«– »Dir«, was syntaktisch jedoch keinen korrekten Bezug auf den Satz »Dies Recht hat überhaupt kein Anderer als ich« hat. [ Anm.d.Hrsg.] nicht?«

»Auch Du nicht!« lautete Paulinens Antwort.

Hake preßte die Lippen aufeinander, das Blut wich aus seinen ohnehin schon bleichen Wangen. Er hatte es nie für möglich gehalten, daß die Schwester ihm in solcher Weise entgegentreten könne; sie war in seinen Augen nur ein Werkzeug, ein Mittel gewesen und plötzlich hatte dasselbe Leben und Willen bekommen und stand ihm gleichberechtigt zur Seite.

Er wollte lachen, allein die Stimme versagte ihm.

»Auch dann nicht, wenn wir dadurch für immer geschieden würden?« fragte er endlich, die Worte mit Mühe hervorbringend.

Pauline schwieg. Ihr Entschluß stand noch fest, allein sie hatte nicht erwartet, zu solcher Entscheidung gedrängt zu werden.

»Gieb mir Antwort!« rief Hake heftig, als könne es ihm dadurch gelingen, den Sinn der Schwester umzustoßen. »Haha! Du bist ja bereits selbstständig genug geworden, daß Du auch vor dem letzten Schritte nicht mehr zurückzuschrecken brauchst. Ich bin Dir nichts mehr, weil ich Dir nie Etwas gegolten habe. Was ich für Dich gethan und erstrebt, war nicht der Mühe werth, war Thorheit!«

»Richard, ich werde nie vergessen, wie viel ich Dir verdanke,« entgegnete Pauline. »Du verkennst mich und deutest meine Worte falsch – –!«

»Gieb mir Antwort auf meine Frage!« unterbrach sie der Pfarrer. »Wirst Du mir auch dann nicht das Recht über Dein Geschick zu entscheiden, einräumen, selbst wenn wir dadurch für immer geschieden würden? Hierauf antworte?«

»Nein, auch dann nicht!« sprach Pauline. »Ich bin Dir immer gefolgt, Dein Rath wird mir auch stets werth sein, ob ich indeß Maks meine Hand reiche – das – das werde ich allein bestimmen!«

Der Pfarrer stand einen Augenblick regungslos da. Sie hatte das Wort, welches er für unmöglich gehalten, ausgesprochen und er wußte noch nicht, was er thun sollte. Brach er jetzt mit der Schwester, so war eine Versöhnung vielleicht für immer ausgeschlossen und er bedurfte ihrer noch. War es nicht klüger, wenn er sich ihr fügte und dieses Mal nachgab? Mochte sie auch endlich zur Selbstständigkeit erwachen, allen Einfluß, den er bisher auf sie ausgeübt, konnte sie doch nicht mit einem Male abstreifen!

Diese Gedanken schossen durch seinen Kopf hin. Er schritt im Zimmer auf und ab, um das stürmisch erregte Blut zu beruhigen und es gelang ihm, die volle Herrschaft über sich zu gewinnen, so schwer es ihm auch wurde.

»Pauline,« sprach er mit unbefangenem, halb scherzendem Tone, indem er vor der Schwester stehen blieb, »wir sind wie die Kinder, denn wir ereifern uns über ein Wort, welches ich nur im Scherze gegen Maks ausgesprochen. Es war eine scherzhafte Drohung von mir, um ihn zum größten Eifer beim Nachforschen nach dem Testament anzuspornen. Ich gebe zu, daß es unüberlegt von mir war, weil es zu einem Mißverständniß Anlaß gegeben und Maks die Worte als Ernst aufgefaßt hat. Du hast ihm Deine Hand versprochen und wirst natürlich Dein Versprechen halten, ich selbst wünsche es ja, denn ich bin überzeugt, daß Du mit Maks glücklich werden wirst. Wir haben uns ohne jeden Grund ereifert – haha! wir sind wahrhaftig noch Kinder!«

Lachend reichte er der Schwester die Hand. Pauline erfaßte sie mit aufrichtiger Freude, denn es entging ihr, wie seine halbgeschlossenen Augen leidenschaftlich funkelten, sie ahnte nicht, welche Erbitterung ihn erfüllte, weil er ihr gegenüber zum ersten Male nachgeben mußte, um nicht Alles zu verlieren.


Auf Hake's Antrag beim Staatsanwalt war noch an demselben Tage bei Paul und Hermann, sowie bei Georg und dessen Sohn Haussuchung gehalten, welche freilich durchaus erfolglos geblieben war.

Der auf Georg ruhende Verdacht war noch dadurch verstärkt worden, daß er einige Tage vor der Testamentseröffnung zweimal in dem Gerichtsgebäude gesehen war, auf Befehl des Staatsanwaltes wurde er deshalb verhaftet. Ohne Weigerung hatte sich der Alte gefügt.

Durch seinen Sohn erhielt Paul sofort von dem Geschehenen Kenntniß. Er hatte den Sohn des alten Dieners als Knaben oft gesehen, dann waren freilich lange Jahre vergangen, in denen er nichts von ihm gehört hatte.

»Streben, glauben Sie, daß ihr Vater die That begangen hat?« fragte er bestürzt.

»Nein,« erwiederte der Schreiber, welcher vielleicht zehn Jahre jünger war als Paul. »Sie kennen meinen Vater und wissen wie treu und ehrlich derselbe sein ganzes Leben hindurch gewesen ist. Sollte er am Abende seines Lebens noch die Schande eines solchen Verbrechens auf sich laden und seinen ehrlichen Namen für immer vernichten? Er kann es nicht gethan haben, denn er hat mir stets eingeprägt, mich nie an fremdem Eigenthum zu vergreifen, selbst wenn die bitterste Noth mich dazu treiben sollte.«

»Auch ich kann es nicht glauben,« fuhr Paul fort. »Ich war zugegen, als das Fehlen des Testamentes entdeckt wurde und habe nicht die geringste Verlegenheit bei ihm bemerkt. Ich kenne sein altes Gesicht zu gut und weiß, daß er nicht im Stande ist, sich zu verstellen – er hat diese Kunst nie gelernt. Wie ist es möglich, daß er verhaftet ist?«

»Er hat mich einige Male auf dem Gerichte, wo ich den Tag über als Schreiber beschäftigt bin, besucht,« gab Streben zur Antwort.

»Hat er sich von Ihnen das Zimmer zeigen lassen, in welchem das Testament aufbewahrt wurde?«

»Nein. Er hat allerdings über das Testament gesprochen und mir erzählt, daß die Frau seines Herrn als Universalerbin eingesetzt sei und daß Ihr Vater auch seiner freundlich gedacht habe, mehr hat er nicht darüber erwähnt. Nur die eine Frage richtete er an mich, durch wen das Testament eröffnet werde.«

»Sie haben ihm den Namen des Gerichtsraths genannt?«

»Ja.«

Paul eilte sofort zum Staatsanwalte, um die Freilassung Georg's zu erwirken, er schilderte die Treue und Redlichkeit desselben, seine Bemühungen blieben indeß ohne Erfolg.

»Er ist der That dringend verdächtig,« entgegnete der Staatsanwalt kurz. »Ich glaube zwar selbst nicht, daß er dieselbe aus eigenem Antriebe begangen hat, hoffentlich werden wir auch denjenigen entdecken, der ihn dazu verleitet hat.«

Paul wußte, daß diese Worte auf ihn bezogen waren, er blieb indeß vollkommen ruhig.

»Werden Sie ihn auch dann nicht freilassen, wenn ich Bürgschaft für ihn leiste?« fragte er.

»Auch dann nicht!« gab der Staatsanwalt zur Antwort. »Was treibt Sie dazu, Bürgschaft für ihn zu übernehmen, da er Ihnen so nahe nicht steht?«

»Er steht mir nahe,« versicherte Paul unwillig. »Ein Mann, der meinem Vater fast vierzig Jahre treu gedient hat, auf dessen Knien ich als Kind täglich gesessen habe, hat wohl ein Anrecht auf mein Interesse und meinen Schutz. Es giebt auch noch andere Bande als die des Blutes, welche die Menschen verbinden; der Alte war in dem Hause meines Vaters mehr ein Freund, als ein Diener.«

Noch einmal lehnte der Staatsanwalt Georgs Freilassung ab.

 

Tage verflossen.

Auf Paul's Veranlassung übernahm das Gericht die Verwaltung von Lessen's Vermögen. Hake war auf das Aeußerste erbittert darüber und protestirte im Namen seiner Schwester dagegen, indeß ohne Erfolg. Pauline, welche sich bereits als Herrin des Gutes angesehen hatte, verließ dasselbe und zog wieder in das Haus ihres Bruders, weil sie sich den Anordnungen des gerichtlichen Verwalters nicht fügen wollte.

Erst nach länger als acht Tagen wurde Georg zum ersten Verhöre vor den Untersuchungsrichter geführt. Die Polizei hatte diese Zeit benutzt, um über seine Anwesenheit in der Stadt und sein Verhältniß zu Lessen und dessen Söhnen die genauesten Nachforschungen anzustellen.

Mit ruhiger Festigkeit trat er in das Verhörzimmer. Seine große Gestalt hielt sich noch ebenso aufrecht, obschon seine Wangen bleicher geworden waren. Nichts in seinen Mienen verrieth Unruhe oder Aengstlichkeit.

Nicht ohne Interesse ließ der Untersuchungsrichter einen Augenblick lang das Auge auf ihm haften. Das waren nicht die Züge eines Verbrechers, der mit Aengstlichkeit eine That zu verbergen sucht, deren Bestrafung er fürchtet. So ruhig war ihm kaum je ein Verhafteter entgegengetreten und doch war Georg auf das Dringendste verdächtig, das Testament entwendet zu haben.

»Wie lange sind Sie in Lessen's Dienste gewesen?« fragte er.

»Fast vierzig Jahre,« gab Georg zur Antwort.

»Sie hingen an Ihrem Herrn und dessen Söhnen?«

»Gewiß!« versicherte der Alte. »Mein Herr behandelte mich fast wie einen Freund und seine Söhne hatte ich heranwachsen sehen, bis sie das väterliche Haus verließen, um sich durch eigene Kraft eine Lebensstellung zu erringen.«

»Ist Ihre Stelle in dem Hause bis zu Lessen's Tode immer dieselbe geblieben?«

»Ich bin bis zu dem Tode meines Herrn Diener in seinem Hause Hause gewesen.«

»Ich meine, ob Ihre Stellung zu Ihrem Herrn immer dieselbe geblieben ist?« bemerkte der Richter. »Sie selbst haben erwähnt, daß Ihr Herr Sie fast wie einen Freund behandelt habe.«

Georg schwieg einen Augenblick, ehe er antwortete. Unwillkürlich zogen sich seine Brauen zusammen, denn nicht ohne Schmerz gedachte er, wie dies Verhältniß während der letzten Jahre, seit Lessen's Wiederverheirathung getrübt war.

»Nein,« entgegnete er.

»Weshalb nicht?« fragte der Richter. »Wodurch wurde eine Veränderung hervorgerufen? Je älter Ihr Herr wurde, um so mehr war er doch auf Ihren Dienst und Ihre Unterstützung angewiesen?«

Wieder zögerte Georg mit der Antwort.

»Es wurde Alles anders, als er sich zum zweiten Male verheirathete,« sprach er. »Es war fast, als ob seine Frau eifersüchtig gewesen wäre auf die Dienste, welche ich ihm leistete, und mehr und mehr suchte sie mich von ihm zu entfernen.«

»Wie war dies möglich?« warf der Richter ein. »Sie wußte doch, wie lange Jahre Sie Ihrem Herrn gedient hatten und mußte von Ihrer Treue und Anhänglichkeit überzeugt sein!«

»Sie war davon überzeugt, aber sie war bemüht, allein einen Einfluß auf meinen Herrn auszuüben, und dies gelang ihr auch. Mein Herr war mehr als einmal so alt, als sie und sie pflegte ihn wie einen Vater, sie wußte aber auch seinen Sinn vollständig gefangen zu nehmen und zu beherrschen und ihr Bruder unterstützte sie darin. Er war täglich auf dem Gute.«

»Ihr Herr war mit seinen beiden Söhnen zerfallen?«

»Ja, jedoch erst in den letzten Jahren.«

»Wodurch war dies herbeigeführt?«

»Durch die Frau, welche Alles aufbot, um ihren Mann gegen dieselben einzunehmen.«

»Welches Interesse leitete sie dazu?«

»Die Söhne hatten ihrem Vater, als er sich wieder verheirathen wollte, von diesem Schritte abgerathen, das konnte sie ihnen nicht verzeihen.«

»Sie waren jedoch stets mit den Söhnen in Verbindung geblieben?«

»Sie haben sich in den Jahren nur einige Male brieflich an mich gewendet, um über das Leben und Befinden ihres Vaters Auskunft zu erhalten. In einer anderen Verbindung habe ich nicht mit ihnen gestanden.«

»Sie thaten dies ohne das Wissen Ihres Herrn?«

»Ja. Es war kein Unrecht, was ich that; ich kannte außerdem die beiden Söhne von Jugend auf und wußte, daß sie gut waren.«

»Ihr Herr machte wenige Tage vor seinem Tode ein Testament, in welchem er seiner Frau den größten Theil seines Vermögens vermacht haben soll, während seine Söhne nur mit geringen Summen bedacht waren.«

»Ganz recht,« erwiderte Georg.

»Woher kannten Sie den Inhalt des Testamentes?«

»Ich befand mich, als dasselbe aufgenommen wurde, im Vorzimmer.«

»Und dort hörten Sie Alles?«

»Ja.«

»Wurde so laut gesprochen, oder hatten Sie an der Thür gehorcht?«

Ueber das Gesicht des alten Dieners glitt eine flüchtige Röthe, es war beschämend für ihn, daß er gehorcht hatte, dennoch gestand er es ein.

»Es wirft kein günstiges Licht auf Sie, daß Sie Ihren Herrn behorchten,« bemerkte der Untersuchungsrichter. »Was veranlaßte Sie dazu?«

Der Alte holte tief Athem.

»Herr Richter,« entgegnete er. »Mein Herr war schon seit Wochen krank und während der ganzen Zeit war ich nicht eine einzige Minute lang allein bei ihm, seine Frau oder der Pfarrer suchten es stets zu verhindern. Tag für Tag plagten sie ihn mit frommen Gebeten, wie ich vermuthe, um seinen Sinn zu verwirren. Der Zustand meines Herrn wurde immer schlimmer und schlimmer. Da hörte ich eines Tages zufällig, daß der Pfarrer zu seiner Schwester sagte, es sei nun die höchste Zeit, den Kranken zu einem Testamente zu bewegen, und als sie erwiderte, daß er nichts davon hören wolle, rief er, er werde ihn dazu zwingen. Ich wußte, daß Beide Schlimmes im Sinn führten, denn nicht ohne Grund hatten sie Alles aufgeboten, um die Gunst des Kranken zu gewinnen, als deshalb der Pfarrer mit dem Notare, einem ihm befreundeten Manne, in das Haus trat, um das Testament aufzunehmen, horchte ich an der Thür.«

»Konnten Sie dort Alles hören?«

»Nicht Alles, aber doch genug, um zu wissen, wie unerbittlich und schonungslos Beide auf den Kranken und Schwachen eindrangen, um ihn zu bewegen, seiner Frau den größten Theil des Vermögens zu vermachen.«

»Sie theilten dies den Söhnen Ihres Herrn mit?«

»Nein, nicht sofort. Mein armer Herr schien über das, was er gethan hatte, Reue zu empfinden und sehnte sich nach seinen Söhnen, um sich mit ihnen auszusöhnen. Er bat seine Frau, ihnen zu schreiben, sie that es indeß nicht, obschon sie dem Kranken versicherte, geschrieben zu haben. Da schrieb ich ihnen und bat sie, sofort zu kommen, und als sie gekommen waren, theilte ich ihnen in dem Hause des Försters, wo ich sie zuerst sprach, mit, was ich über das Testament wußte.«

»Ihr Herr hat sich mit seinen Söhnen ausgesöhnt?«

»Ja.

»Er soll kurz vor seinem Tode den Wunsch ausgesprochen haben, das Testament zu verändern?«

»Es war seine Absicht – der Tod vereitelte dieselbe.«

»Das Testament ist verschwunden und, wie fest steht, gestohlen, es kann dies nur durch Jemand geschehen sein, der durch das Verschwinden gewann.«

Georg schwieg.

»Sie schweigen,« fuhr der Richter fort. »Haben Sie nichts darauf zu erwidern?«

»Nein,« gab der Alte zur Antwort. »Es mag sein daß Sie Recht haben – ich weiß es nicht.«

»Sie sind verdächtig, das Dokument entwendet zu haben.«

»Ich habe es nicht gethan.«

»Sie verließen sofort nach dem Tode Ihres Herrn, ohne die Beerdigung desselben abzuwarten, das Haus desselben und kamen hierher nach der Stadt.«

»Die Frau meines Herrn wies mich aus dem Hause, und ich kam hierher, weil mein Sohn hier wohnt. Es war mein einziger Zufluchtsort.«

»Der Förster Bellert bot Ihnen an, in seinem Hause zu bleiben. Sie lehnten es ab und verriethen sogar eine auffallende Eile, um die Stadt zu erreichen.«

»Ich wollte fort aus der Gegend, in welcher ich in den letzten Jahren so viel erduldet hatte, ich mochte auch die Frau und ihren Bruder nicht wiedersehen, die mich wie einen Verbrecher aus dem Hause meines Herrn stießen.«

»Sie sind mehrere Male hier im Gerichtsgebäude gewesen?«

»Ja, ich besuchte meinen Sohn.«

»Sie wohnten ja bei ihm und sahen ihn in seiner Wohnung täglich mehrere Male?«

»Ich fand im Hause wenig Ruhe, da ich an die Unthätigkeit nicht gewöhnt war, ich besuchte meinen Sohn, um die Zeit hinzubringen und auch den Ort und die Art und Weise seiner Thätigkeit kennen zu lernen.«

»Sie wollten die Räume dieses Gebäudes kennen lernen?«

»Nein, denn sie interessirten mich nicht.«

Der Richter schwieg einen Augenblick. Die ruhigen und bestimmten Antworten des Alten überzeugten ihn nicht von der Unschuld desselben, er erkannte indeß aus ihnen, daß er auf diesem Wege nicht zum Ziele gelangen werde.

»Ich will Ihnen einen gutgemeinten Rath geben,« sprach er endlich. »Gestehen Sie die That offen ein, denn Sie erwerben sich dadurch Anspruch auf ein milderes Urtheil. Schon Mancher hat hier geglaubt durch Leugnen sich retten zu können, allein er hat sich dadurch nur eine härtere Strafe erwirkt. Ich will gern glauben, daß Sie die That im Interesse der Söhne Ihres Herrn ausgeführt haben, daß Sie von ihnen dazu verleitet sind, ja daß sogar der Wunsch, den natürlichen Erben Ihres Herrn das Vermögen zu erhalten, Sie dazu getrieben hat. Sie allein sind im Stande gewesen, das Testament zu entwenden, und gestehen Sie es deshalb offen ein.«

Er hielt den Blick forschend auf den Alten geheftet, in dessen Gesicht sich nicht die geringste Veränderung zeigte.

»Ich habe es nicht gethan – ich weiß nichts davon,« gab Georg zur Antwort. »Mein Herr hat auch meiner in dem Testamente freundlich gedacht, um mir den kurzen Rest meines Lebens sorgenlos zu gestalten, ich würde mir selbst geschadet haben, wenn ich das Testament entwendet hätte, um es zu vernichten. Ich denke, dies wird am Besten meine Unschuld beweisen.«

Der Richter zuckte ungläubig mit den Achseln.

»Das Testament ist nicht vorhanden, ich kenne deshalb auch die Bestimmungen desselben nicht,« entgegnete er. »Wenn Lessen Ihnen indeß wirklich eine Summe vermacht hatte, so beweist das noch nichts zu Ihren Gunsten. Die Söhne Ihres Herrn könnten Ihnen weit mehr versprochen haben, denn sie gewinnen ja durch das Verschwinden des Erbschaftsdocumentes.«

»Weshalb sollten Sie mir das versprochen haben?« warf Georg ein.

»Um Sie zu der That zu bewegen.«

Der Alte richtete seine große Gestalt empor, seine Brauen zogen sich zusammen und sein gutmüthiges Gesicht nahm einen erzürnten Ausdruck an.

»Herr Richter!« rief er, und seine Stimme bebte, »mögen Sie mich für einen Verbrecher halten, allein die Söhne meines Herrn sollten gegen jeden solchen Verdacht geschützt sein. Sie kennen dieselben nicht, sonst würden sie wissen, daß solcher Gedanke selbst im Geheimen nicht einmal bei ihnen entstanden ist. Und mich, den Diener ihres Vaters, sollten sie zu einer solchen That veranlaßt haben! Sie sollten sich mit mir verbunden haben, um ein Verbrechen zu begehen! Ich kenne sie besser, als sie ihr eigener Vater gekannt hat und weiß, daß sie lieber auf Alles verzichten würden, ehe sie auch nur einen Thaler der Erbschaft auf unrechte Weise in ihren Besitz brächten!«

Die Entrüstung, die aus seinen erregten Worten und gerötheten Wangen sprach, trug das Gepräge der größten Wahrheit, und blieb selbst auf den Richter nicht ohne Einruck.

Er ließ ihn in seine Zelle zurückbringen. Mehrere Verhöre, welche an den folgenden Tagen mit ihm angestellt wurden, hatten nicht mehr Erfolg. Er blieb dabei, von dem Verschwinden des Testaments nichts zu wissen.


Wieder vergingen Wochen, ohne daß die Sachlage sich im Geringsten änderte. Georg saß noch immer in Untersuchungshaft und von dem Testamente hatte sich nicht die geringste Spur aufgefunden, trotz aller Bemühungen der Polizei und Hakes, der keine Mühe scheute und sogar Tage lang unter anderem Namen und durch einen Bart und eine Brille unkenntlich gemacht, in der Stadt, in welcher Paul und Hermann wohnten, sich aufhielt, um beide im Geheimen zu beobachten. Er entwickelte Anlagen, die ihn zu einem vortrefflichen Polizeibeamten geschaffen hätten und die es bedauern ließen, daß er Pfarrer geworden war.

Er erreichte indeß nicht mehr als die Polizei. Die beiden Brüder lebten ruhig ihrem Berufe und schienen in Geduld die Zeit abzuwarten, in der die Erbschaftsangelegenheit endlich geregelt werden mußte. Das freilich konnte ihm nicht entgehen, daß ihre Hoffnungen von Tage zu Tage wuchsen und sich mehr festigten.

In demselben Grade sanken die seinigen und es gab Stunden, in denen er seine Erbitterung kaum zu beherrschen vermochte. Auf Paul's Antrag war die Anklage wegen Verleumdung gegen ihn erhoben und wenn er auch noch nicht verurtheilt war, so war doch an seiner Bestrafung nicht zu zweifeln, da er den Beweis, daß er die Wahrheit gesprochen habe, nicht zu liefern vermochte. Die Bestrafung konnte indeß auch leicht für seine Stellung als Pfarrer Folgen nach sich ziehen, deren Tragweite er noch nicht abzusehen vermochte.

Es würde ihm dies wenig Sorgen bereitet haben, wenn das Testament wieder gefunden und Pauline Universalerbin geworden wäre, denn nicht ohne eigenes Interesse hatte er sich ihrer Angelegenheit so eifrig angenommen. Schon ehe er Lessen zu dem Vermächtniß bewogen, hatte er Pauline das schriftliche Versprechen abgenöthigt, ihm einen bedeutenden Theil des erhofften Erbes abzutreten, so daß er ohne Sorgen seine Stellung als Pfarrer aufgeben und ganz seinen Neigungen, die sich ohnehin wenig mit seinem Berufe vertrugen, hätte leben können.

Er hatte so wenig an das Scheitern seiner Pläne gedacht, daß er mit Pauline für den Fall, daß sie nur den ihr gesetzlich zukommenden Theil von Lessens Vermögen erhalten sollte, kein Abkommen getroffen hatte.

Deshalb hatte er versucht ein Zerwürfniß zwischen ihr und Maks herbeizuführen. Es hatte in seiner Absicht gelegen, sie vollständig zu trennen, weil er hoffte, auf die Schwester dann den früheren Einfluß ausüben und von ihrem Vermögen mit leben zu können.

Durch Paulinens Entschiedenheit war auch dieser Plan gescheitert, er hatte sich deshalb sowohl mit ihr wie mit Maks vollständig ausgesöhnt und versuchte durch Aufmerksamkeit und Freundlichkeit sein früheres Vertrauen wieder zu gewinnen.

 

So standen die Verhältnisse, als er Maks wieder besuchte. Der Advocat trat ihm überrascht entgegen, da er ihn nicht erwartet hatte.

»Heute wollte ich zu Euch kommen!« rief er. »Pauline hat mir gestern geschrieben, Deinen Besuch indeß nicht erwähnt.«

»Sie wußte noch nicht darum,« entgegnete Hake. »Es ist indeß gut, daß Du nicht gekommen bist, denn ich habe Verschiedenes mit Dir zu besprechen.«

»Konnten wir das nicht auch in Deinem Hause?« warf Maks ein.

»Es ist mir lieber, wenn es hier geschieht. Ich werde vielleicht einige Tage hier bleiben, dann reisest Du mit mir.«

Der Advocat hatte den Freund scharf beobachtet und obschon derselbe möglichst ruhig zu sein suchte, war ihm doch die innere Erregung und Ungeduld nicht entgangen.

»Was führt Dich zu mir?« fragte er.

Hake hatte sich auf dem Sopha niedergelassen, als wolle er alle Kräfte zu dem, was er vorhatte, sammeln.

»Noch nicht,« erwiederte er abwehrend. »Gönne mir noch kurze Zeit zur Erholung, denn ich bin abgespannt. Laß einige Flaschen Wein holen, der Wein erleichtert ja die Zunge und ich weiß, daß Du mir aufmerksamer zuhörst, wenn ein volles Glas vor Dir steht. – Hier!« fügte er hinzu, indem er seine Börse auf den Tisch warf. »Ich weiß ja, daß in Deiner Kasse fast ebenso oft Ebbe eintritt, als im Meere.«

»Du hast Recht!« rief Maks lachend. »Aber die Fluth tritt nur sehr selten bei mir ein. Das hat das Meer vor meiner Kasse voraus, daß Ebbe und Fluth sich regelmäßig ablösen. Heute ist indeß keine Ebbe bei mir, ich bedarf also Deiner Börse nicht, und Du sollst Wein trinken, wie er sich selten in den Keller eines Pfarrers verirrt, prächtigen Wein!«

In wenigen Minuten standen mehrere Flaschen Wein auf dem Tische. Maks schenkte ein und es schien ein ganz anderes Leben in ihn zu kommen, wenn man ihn bei dieser Beschäftigung erblickte. Er hielt die Flasche beim Einschenken so leicht und doch so fest und würde selbst im Dunkeln nicht einen Tropfen nebenbei gegossen haben.

»Nun trink,« sprach er, indem er dem Freunde das Glas zum Anstoßen entgegenhielt. »Trink, Du wirst sobald solchen Wein nicht wieder kosten!«

Er selbst führte das Glas langsam zum Munde und schien sich ganz darin zu versenken, seine Augen nahmen einen nach innen gekehrten Ausdruck an und all seine Gedanken schienen sich auf seiner Zunge vereint zu haben. Man sah ihm an, daß ein solches Glas Wein ihn der höchste Genuß war, den er kannte.

»Prächtig! Prächtig!« rief er.

»Der Wein ist gut,« versicherte Hake. Er hatte das Glas rasch geleert und füllte es wieder. Man konnte ihm nie ansehen, ob er guten oder schlechten Wein trank und selbst wenn er Wasser genoß, zeigte sein Gesicht denselben Ausdruck. Der Wein gehörte nicht zu seinen Leidenschaften und nie in seinem Leben war er berauscht gewesen.

»Du verstehst nichts vom Wein!« rief Maks. »Ihr Frommen bringt Eure Zunge durch die vielen frommen Sprüche, die sie sagen muß, um jeden guten Geschmack!«

Hake lächelte ruhig. Er kannte solche Scherze seines Freundes und fühlte sich nicht im Geringsten dadurch verletzt.

»Nun sage, was Du mir mitzutheilen hast,« fuhr Maks fort. »Ich bin jetzt in der Stimmung, um Alles zu hören!«

Hake richtete sich im Sopha empor und ließ forschend den Blick durch das Zimmer gleiten.

»Es kann uns doch Niemand belauschen?« fragte er.

»Niemand,« versicherte Maks. »Was hast Du? Du machst mich neugierig!«

»Höre mich ruhig an,« fuhr Hake fort. »Du weißt, wie es mit der Erbschaftsangelegenheit steht, was ist nach Deiner Ansicht aus dem Testamente geworden?«

Maks blickte den Freund überrascht an, denn er begriff den Sinn und Zweck dieser Frage nicht.

»Es ist gestohlen und vernichtet!« entgegnete er. »Ich kann mich nicht der Hoffnung hingeben, daß es je wieder aufgefunden wird. Wer es gestohlen hat, wäre der größte Thor, wenn er den Beweis seines Verbrechens nicht für immer aus der Welt gebracht hätte! Durch ein einziges Schwefelholz werden all unsere Hoffnungen vernichtet sein!«

Der Pfarrer nickte zustimmend mit dem Kopfe.

»Du hast Recht – dies ist auch meine Ansicht,« bemerkte er. »Das Testament ist vernichtet, allein es soll neu erstehen!«

»Ich verstehe Dich nicht! Lessen ist todt!« warf Maks ein.

»Du bist ein Thor!« fuhr Hake fort. »Haben wir vielleicht den Alten dazu nöthig? Ist das Testament in seinem oder in unserm Kopfe entstanden? Wir schaffen ein neues, denn ich vermag den Gedanken nicht zu überwinden, daß unsere Pläne so schändlich scheitern sollen, dass diese beiden Menschen, Lessens Söhne, in den Besitz des bedeutenden Vermögens kommen. Ich hasse sie, wie ich nie zwei Menschen gehaßt habe, denn nur auf ihre Veranlassung wurde das Testament gestohlen und ihr alter Genosse, der Georg, hat es gethan, mag er noch so hartnäckig leugnen.«

»Hake, ich begreife Dich in der That nicht,« bemerkte der Advocat.

»Du hast nie leicht begriffen,« unterbrach ihn der Pfarrer, »deshalb höre mich ruhig an. – Ich bin überzeugt, daß das Testament gestohlen und vernichtet ist, bewiesen ist dieß indeß noch durch Nichts. Du fertigst dasselbe noch einmal an – Du kennst es ja genau und wir lassen es durch irgend einen Zufall wieder auffinden.«

»Das ist unmöglich!« rief Maks.

»Ich bitte Dich, schweige noch,« fuhr der Pfarrer fort. »Wenn es unmöglich wäre, würde ich Dir den Vorschlag am wenigsten machen. Ich habe sehr reiflich darüber nachgedacht. Oder bist Du nicht im Stande, die Testamentsurkunde noch einmal aufzusetzen, mit Deinem Namen zu unterschreiben und Deinem Notariatssiegel zu versehen?«

»Was würde dies nützen, uns fehlt Lessens Unterschrift?« warf Maks ein.

»Die werde ich besorgen,« bemerkte der Pfarrer lächelnd. »Oder traust Du mir so viel Geschicklichkeit nicht zu? Sieh hier!«

Er zog ein Stück Papier aus der Tasche und reichte es dem Freunde.

»Das hat Lessen geschrieben!« rief dieser.

»Es ist von meiner Hand,« gab Hake ruhig zur Antwort. »Also Lessens Unterschrift würde ich besorgen, ebenso Lessens Siegel, da sein Petschaft in den Händen meiner Schwester sich befindet.«

»Es geht dennoch nicht! Der Betrug würde entdeckt werden!« rief Maks.

»Wodurch?« warf Hake ein. »Wird die Nachbildung dem Original nicht auf ein Haar gleichen? Kann Jemand gegen uns auftreten? Der Einzige, der es könnte, ist zum Schweigen verdammt, denn er kann nicht auftreten und gegen uns zeugen, weil er dann eingestehen müßte, daß er das Testament gestohlen habe. Mit dem Geständnisse würde er sich selbst dem Zuchthause liefern!«

»Auch wir würden ihm nicht entgehen, wenn unser Betrug entdeckt würde!« rief Maks.

»Bester Freund, ich hätte Dich für weniger schwerfällig gehalten!« entgegnete Hake ungeduldig. »Mit einem ›wenn‹ läßt sich Alles über den Haufen werfen. Vernünftige Menschen beurtheilen eine Sache indeß nicht nach einem ›wenn‹ und selbst nicht nach einer denkbaren Möglichkeit, sondern nach der Wahrscheinlichkeit und diese spricht durchaus dafür, dass unser Unternehmen gelingen wird. Ich glaubte, Dir würde am Meisten daran liegen, daß Pauline in den Besitz des ihr rechtmäßig vermachten Erbes gelangt. Ich bestreite auch, daß wir einen Betrug ausüben, wenn die That vom juristischen Standpunkte aus auch so beurtheilt werden mag. Wir thun nichts weiter, als daß wir ein Verbrechen in seinen Folgen ungeschehen machen und den Rechtsstandpunkt wieder herstellen. Für mein Gewissen hat unser Vorhaben keine andere Bedeutung und ich hoffe, daß auch Dein Gewissen sich einer ähnlichen Auffassung zugänglich zeigen wird, denn ich bin überzeugt, daß es sich schon noch größere Freiheiten gestattet hat!«

Die Bedenken in Maks waren noch keineswegs besiegt. Nicht sein Gewissen sträubte sich dagegen, sondern er fürchtete die Entdeckung und Bestrafung.

»Wie sollte das Testament in die Hände des Gerichts gelangen, ohne daß von vornherein Verdacht dagegen erweckt würde!« fragte er. »Der Schrank, in welchem die Erbschaftsurkunden aufbewahrt werden, wird jetzt doppelt vorsichtig verschlossen; hast Du auch darüber, bereits nachgedacht?«

Der Pfarrer lächelte.

»Dies ist der einzige vernünftige Einwurf, den Du machen kannst,« entgegnete er. »Natürlich habe ich darüber nachgedacht, denn der ganze Plan wäre ja nicht mehr als eine Thorheit, wenn wir das Testament nicht auf ganz unverdächtige Weise dem Gerichte in die Hände spielen könnten. Die Anfertigung der Urkunde nimmt ja kaum eine Stunde in Anspruch und verursacht wenig Mühe, Du wirst nie in Deinem Leben eine zweite Arbeit vollbringen, welche Dir bei so wenig Arbeit, so viel Gewinn bietet. Ich könnte Dir nun erwidern, daß ich das, was Dir am Schwierigsten erscheint, übernehmen werde, Du sollst indeß Alles wissen, damit das letzte Bedenken aus Dir verschwindet. Der Zufall oder das Glück hat mir die Hand geboten. Vor kurzer Zeit ist ein Gerichtsschreiber hierher versetzt, der mir von früher her sehr genau bekannt ist. Er arbeitet unter demselben Gerichtsrath, der die Eröffnung des Testamentes vollziehen sollte. Sein Name ist Spellerberg. Heute habe ich ihn gesprochen; natürlich hat er von unserem Vorhaben noch keine Ahnung, allein ich gehe jede Wette ein, daß er dazu bereit sein wird, selbstverständlich gegen eine entsprechende Belohnung. Der Mann ist des Lebens als Gerichtsschreiber herzlich müde, der Aktenstaub widert ihn an und sein ganzes Sehnen ist nach Amerika gerichtet, wo er einen Vetter hat, dem das Glück sehr günstig gewesen ist. Er versicherte, daß er hier mit Vergnügen Alles im Stiche lassen werde, wenn ihm Jemand einige hundert Thaler gäbe; er hat die feste Hoffnung, daß auch er in Amerika sein Glück machen wird, ich bin freilich überzeugt, daß er binnen zwei Jahren dort mit einem Stricke und einem Baumaste in engste Berührung kommen wird, denn seine Grundsätze sind sehr locker, das kümmert uns indeß wieder nicht. Fertige das Testament an und ich verspreche Dir, daß Spellerberg dasselbe in irgend ein Aktenheft legen wird, welches der Gerichtsrath in der nächsten Zeit in die Hand bekommt. Der Mann ist schlau und wird seine Sache vortrefflich machen, und dann will ich den sehen, der gegen das glücklich wieder aufgefundene Testament, welches mit Lessens Siegel verschlossen ist, welches Deinen Namen und Dein Notariatssiegel trägt, aufzutreten wagt. Das Gericht selbst wird am wenigsten Bedenken tragen und erfreut sein, daß es aus der unangenehmen Lage herauskommt, in welche es durch das Verschwinden des ihm anvertrauten Testaments gelangt ist. Nun wird auch wohl in Dir kein Bedenken mehr vorhanden sein!«

Maks rieb sich mit der Rechten die Stirn. Es war immerhin ein sehr gewagtes und gefährliches Unternehmen und wurde der Betrug entdeckt, so war er natürlich der Erste, den die Strafe betreffen mußte.

»Kennst Du die Strafe, die uns treffen würde, wenn man die Fälschung entdeckt?« warf er ein.

»Wieder Dein wenn!« rief der Pfarrer ungeduldig. »Ich begreife Deine Besorgniß nicht. Wenn es möglich wäre, würde ich mit Vergnügen die Verantwortung allein übernehmen! Wer soll die Entdeckung machen? Wer kann uns die Fälschung beweisen? Selbst wenn Jemand thöricht genug wäre, aufzutreten und zu behaupten, daß er das Testament gestohlen und vernichtet habe, wäre damit schon die Fälschung bewiesen?«

»Und wenn das Testament nun nicht vernichtet ist? Wenn es wieder zum Vorschein kommt!«

Der Pfarrer sprang ärgerlich auf.

»Maks, ich hätte Dich wahrhaftig für klüger und unternehmender gehalten!« rief er. »Du stellst so harmlose Fragen wie ein Kind, welches zum ersten Male die Schule besucht. Sobald unser Testament auf dem Gerichte gefunden ist, wird der Gerichtsrath sich beeilen, dasselbe zu eröffnen. Pauline wird Universalerbin und Niemand kann ihr das Vermögen streitig machen. Du magst meinetwegen noch an demselben Tage die Hochzeit mit ihr feiern und wenn Du dann noch ängstlich bist und Entdeckung befürchtest, so verkauft das Gut und geht mit dem Gelde in die Fremde. Ihr habt dann genug, um in jedem Lande angenehm leben können. Was später geschieht, kümmert Euch nicht!«

»Weiß Pauline um Dein Vorhaben?« fragte Maks.

»Noch nicht. Du bist der Erste, den ich ins Vertrauen ziehe, da von Dir die Ausführung zumeist abhängt. Ich werde es ihr indeß mittheilen und sie wird damit einverstanden sein, denn sie haßt Lessens Söhne zu sehr, um ihnen das Vermögen zu gönnen. Nun fasse endlich einen Entschluß.«

»Laß mir Zeit bis morgen!« bat der Advokat.

»Nicht eine Stunde lang!« rief Hake, der das Schwanken des Freundes benutzen wollte. »Ich habe Dir den ganzen Plan mitgetheilt, Deine Arbeit ist so gering, daß es keiner Zeit zum Ueberlegen bedarf. Hier ist meine Hand – schlag ein!«

Maks leerte hastig sein Glas, einen Augenblick lang schien er noch zu schwanken, dann erfaßte er des Freundes Hand.

»Ich will es thun!« rief er, »aber Dich trifft jede Verantwortung! Auf Dich werde ich die Schuld wälzen, wenn die That entdeckt wird!«

»Thu' es! Thu' es!« entgegnete Hake lächelnd. »Du siehst, wie ruhig ich bleibe, Deine Drohung schreckt mich nicht im Geringsten. Wenn Du indeß gerecht bist, wirst Du schon in kurzer Zeit mir eingestehen, wie viel Du mir verdankst, denn in Deinem schwerfälligen Kopfe würde ein solcher Plan doch nie entstanden sein!«

»Wann sollen wir es ausführen?« fragte Maks.

»So bald als möglich. Weshalb sollen wir zögern?« erwiderte Hake. »In wenigen Tagen muß das Testament wieder aufgefunden sein. Ich ertrage es nicht länger, daß Lessen's Gut, welches Pauline gehört, von fremder Hand verwaltet wird, daß weder Pauline, noch ich ein Wort auf demselben zu sagen haben. Wir allein tragen den Verlust, wenn der Werth des Gutes durch schlechte Verwaltung leidet. Mich verlangt auch danach, daß denen, welche das Testament gestohlen haben, die Hoffnung, in der sie sich wiegen, bald genommen wird. Fertige noch heute das Document an. Es liegt jetzt in unserer Hand, den Namen des alten Dieners fortzulassen, ihn zu enterben, wir wollen es indeß nicht thun, denn die geringe Summe, welche Lessen ihm vermacht hat, können wir entbehren. Setze das Testament auf, ich werde dann mein Gedächtniß zu Hülfe nehmen, Du weißt, wie sehr ich mich auf dasselbe verlassen kann!«

»Das Eine scheinst Du indessen vergessen zu haben,« warf Maks ein, »daß Du dann ohne Rettung wegen Verleumdung verurtheilst wirst!«

Der Pfarrer lachte.

»Ich werde die Strafe mit Vergnügen tragen! Sieh, wenn ich jetzt den Beweis in der Hand hätte, daß der Advocat das Testament entwendet hätte, so würde ich dennoch keinen Gebrauch davon machen. Ich würde ihm das Zuchthaus ersparen und uns das Vermögen retten! Wann wirst Du die Arbeit beendet haben?«

»Morgen früh.«

»Gut! Lessen's Unterschrift besorge ich in wenigen Minuten, sein Petschaft habe ich mitgebracht – hier ist es – nun werde ich zu Spellerberg gehen, um denselben für unser Vorhaben zu gewinnen.«

»Sei vorsichtig!« mahnte Maks.

»Ich kenne meine Leute,« erwiderte der Pfarrer unbesorgt. Er nahm eine Anzahl Goldstücke aus der Tasche und zeigte sie dem Freunde. »Sieh her! Glaubst Du, daß ein armer Gerichtsschreiber, der ein sehr weites Gewissen, wenig Lust zur Arbeit und ein großes Verlangen nach Amerika hat, diesen Geldstücken widerstehen wird? Für solch armen Teufel hat Geld einen ganz besonderen Klang, es ist Sirenenmusik für ihn!«

»Wenn er schlau ist, wird er dennoch widerstehen?« warf Maks ein.

»Weshalb?«

»Er braucht nur zu Lessen's Söhnen zu gehen, ihnen unseren Plan mittheilen und sie werden ihm sicherlich gern das Zehnfache geben.«

»Wahrhaftig Maks, Du hast Recht! Zum ersten Male in Deinem Leben!« rief der Pfarrer. »Sieh, ich habe von Deiner Klugheit nie eine besondere Meinung gehabt, jetzt sehe ich ein, daß ich Dich zu gering geschätzt habe! Spellerberg ist ein schlauer Kopf, er versteht so gut zu berechnen, wie irgend ein anderer Mensch! Hieran hatte ich nicht gedacht, ich gestehe es offen ein. Ich werde ihm den zwanzigfachen Betrag versprechen, wenn unser Vorhaben gelingt, ja noch mehr. Womit will er uns später zwingen, Wort zu halten? Auch ich werde nicht hier bleiben, denn ich halte es für eine Thorheit, sich auf einem Boden niederzulassen, von dem man weiß, daß ein Vulkan unter ihm schlummert! Nun entsage für heute dem Weine und mach' Dich an die Arbeit, denn Du befindest Dich jetzt in der besten Stimmung; wenn Du vollständig nüchtern bist, kannst Du doch nicht arbeiten. Maks bedenke, daß Du später immer solchen Wein trinken kannst, täglich zehn Flaschen, bis Du Dich todt getrunken hast.«

Lachend reichte er dem Freunde die Hand.

»Nun lebwohl!« fuhr er fort. »Morgen früh komme ich wieder zu Dir!«

In heiterer Stimmung schied er.

Maks blieb allein zurück. Er füllte sein Glas wieder, allein halb in Gedanken leerte er es. Er hatte Hake sein Wort gegeben, trotzdem waren nicht alle Bedenken in ihm geschwunden, denn er kannte das Strafgesetzbuch zu genau, um nicht zu wissen, welche Strafe ihn erwartete, wenn die Fälschung entdeckt wurde.

Weshalb setzte er sich solcher Gefahr aus, da Pauline auch im ungünstigsten Falle soviel erbte, daß sie davon leben konnte? Ein Gefühl der Reue überkam ihm.

Dann wieder hörte er Hake's beruhigende Stimme. Noch einmal ließ er all' die Worte, welche derselbe zu ihm gesprochen, in seinem Gedächtnisse vorüberziehen und er mußte sich gestehen, daß seine Besorgniß zu groß war. Er hatte schon geringerer Summen wegen Namen und Freiheit auf's Spiel gesetzt, das Glück war ihm indeß stets günstig gewesen. Weshalb sollte es ihn in diesem Falle verlassen?

Er konnte das Gut, sobald es in Paulinens Besitz gelangt war, verkaufen; was band ihn an diese Stadt und dieses Land? Wie glücklich konnte er mit dem Vermögen in der Ferne leben?

Die Phantasie malte ihm dies Leben immer verlockender aus und sie ist nie geschäftiger, als wenn sie weiß, daß sie einem geheimen Wunsche nachkommt. Die Bedenken schwanden mehr und mehr und der Glaube an das Gelingen des Vorhabens gewann festen Boden in ihm.

Entschlossen sprang er endlich auf. Er wollte es wagen. Die Fälschung konnte nicht entdeckt werden, wenn sie geschickt ausgeführt wurde und wurde sie wirklich entdeckt, so blieb ihm noch immer die Flucht offen, auf sie wollte er sich für alle Fälle vorbereiten.

Ohne Säumen setzte er sich an den Schreibtisch und entwarf ein Concept des Testamentes. Noch hatte er den Inhalt und selbst den Wortlaut desselben genau im Gedächtnisse, und kaum eine Stunde später lag die gefälschte Urkunde fertig vor ihm, sein Name und Siegel standen darunter, nur Lessen's Name fehlte noch.

Befriedigt überblickte er die Arbeit, die ihm vortrefflich gelungen war. Das Gericht konnte nicht an der Aechtheit zweifeln, wenn es sie in die Hand bekam.

Er schloß die Arbeit in seinen Sekretär ein und begab sich in einen Weinkeller. Tausende hatte er durch die eine leichte Arbeit gewonnen, jetzt durfte er sich Ruhe gönnen und ungestört dem Weine hingeben.

Bis spät in die Nacht hatte er gezecht und der Kopf war ihm schwer, als er am folgenden Morgen erwachte. Ein schwerer Kopf ist am leichtesten zu Bedenken geneigt und die früheren Befürchtungen stiegen in ihm wieder auf. Nur das Eine beruhigte ihn, daß er sein Versprechen noch zurücknehmen konnte.

Da trat der Pfarrer in das Zimmer. Er wollte aufspringen, allein Hake rief ihm entgegen: »Bleib liegen, denn ich sehe Dir an, daß Du auf Kosten von Paulinens Erbschaft gestern Abend gezecht hast! Freund, wie steht es mit Deinem Werke? Spellerberg ist zu Allem bereit. Der Mann geht für mich durch das Feuer, wenn es sein muß. Ich habe ihm die Zukunft so rosig geschildert, daß er Alles zu wagen entschlossen ist. Wo hast Du das Testament?«

»Ich bin mit der Arbeit noch nicht fertig,« entgegnete Maks zögernd

»Maks, Du solltest ein klügeres Gesicht machen, wenn Du mich täuschen willst!« fuhr der Pfarrer fort. »Glaubst Du wirklich, ich halte Deine Worte für wahr? Du hast das Werk beendet, nun zeige es mir, damit ich mich überzeuge, ob es brauchbar ist.«

»Ja, ich habe es beendet,« erwiderte der Advocat, »allein noch ist es in meinen Händen und ich nehme mein Wort zurück! Ich will mich einer solchen Gefahr nicht aussetzen!«

»Freund, Du bist ein Thor!« rief Hake. »Schlafe aus, damit Dein Kopf wieder klar wird. Ich habe es Dir stets gesagt, daß der Wein Dich ruiniren wird. Bleibe ruhig liegen, ich werde Deine Arbeit schon finden!«

Ruhig trat er an den Sekretär, wo die Fälschung lag. Maks sprang aus dem Bette, allein schon hatte der Pfarrer das Testament bereits in den Händen.

»Vortrefflich! Vortrefflich!« rief er. »Freund, in Dir steckt ein Genie! Dies übertrifft all' meine Erwartungen! Haha! Hundert Gerichtsräthe und Polizeicommissare werden hierin keine Fälschung entdecken! Ich brauche nur Lessen's Namen noch hinzuzufügen, dann ist Alles fertig!«

»Nein, ich will meine Hand nicht dazu bieten!« rief Maks und suchte dem Freunde das Papier zu entreißen.

»Maks, Du bist ein Narr!« entgegnete dieser ungeduldig. »Seit wann regt sich Dein Gewissen? Es fehlt Dir an Muth, Du kannst indeß ohne Sorge sein, denn wenn das Geschick Dich mit dem Gefängnisse in Berührung bringen wollte, so wirst Du ihm bereits mehr als einmal Gelegenheit dazu gegeben haben. Dem Muthigen gehört die Welt und Lessen's Vermögen. In vierzehn Tagen kannst Du bereits als ein reicher Mann mit Pauline auf dem Meere schwimmen nach Amerika, und wenn Du mehr gelesen hättest, würdest Du wissen, daß ein reicher Mann dort so angenehm leben kann, wie in irgend einem Winkel der alten Welt! – Nun sei endlich vernünftig! Wenn es Dich beruhigt, werde ich alle Verantwortlichkeit allein übernehmen und behaupten, daß ich dies geschrieben, daß ich Deine Handschrift nachgeahmt, ja ich werde sogar versichern, daß ich Dich nie gesehen habe. – Nun sei still und kleide Dich an!«

Noch einmal versuchte Maks, dem Freunde das Testament zu entreißen, ließ sich aber doch zuletzt beruhigen.

Hake schrieb Lessen's Namen darunter, mit dem Siegel des Todten wurde das Testament verschlossen, Maks schrieb die Aufschrift darauf und mit triumphirendem Lächeln steckte der Pfarrer das gefälschte Document in die Tasche.

»Nun gehört Lessen's Vermögen uns In der Vorlage: »unser«. [ Anm.d.Hrsg.]!« sprach er. »Der Gerichtsrath wird in den nächsten Tagen große Augen machen, wenn er das Verlorengeglaubte in irgend einem Actenhefte findet, er wird sich die Stirn reiben, weil er nicht begreift, wie das Testament dorthin gelangt ist, er wird uns auf's Neue zum Eröffnungstermine zusammenberufen und ich freue mich bereits auf einige bestürzte Gesichter. Jetzt werde ich Spellerberg dies kostbare Schriftstück übergeben. Ich kehre bald zurück und dann reisen wir zu Pauline!«


Einige Tage später saß der Gerichtsrath auf seinem Bureau. Um in einer Prozeßsache über die Vergangenheit einer Person nachzusehen, trat er in die Registratur und nahm aus einem der Fächer ein Aktenheft hervor. Seit langer Zeit schien keine Hand dasselbe angerührt zu haben, denn dicker Staub lag auf dem Hefte und vorsichtig klopfte er denselben ab.

Mit dem Aktenhefte in der Hand kehrte er in sein Bureau zurück. Ruhig blätterte er in den Acten, bis er plötzlich fast erschreckt zusammenfuhr. Ein versiegeltes Dokument fiel ihm in die Hand – das so viel gesuchte Testament Lessens. Er traute seinen Augen kaum, und doch konnte er sich nicht irren. Die Aufschrift lautete: Lessens Testament, mit dem Siegel des Verstorbenen war das Dokument verschlossen und das Siegel war unverletzt. Jetzt erinnerte er sich an die Gestalt des Dokumentes, an die Farbe des Papiers, ein Zweifel war nicht mehr zulässig, und doch begriff er nicht, wie das Testament in das Actenheft gekommen war. Vergebens strengte er sein Gedächtniß an – die Acten hatte er seit langer Zeit nicht in Händen gehabt, und doch mußte er sich irren, denn nur seine eigene Hand konnte das Testament aus Versehen dorthin gelegt haben.

Er strich mit der Hand über die Stirn hin, er versuchte seine ganze Thätigkeit während der letzten Wochen in seine Erinnerung zurückzurufen, sein Gedächtniß kam ihm nicht zu Hülfe. Freilich hatte ihm dasselbe bereits mehr als einen üblen Streich gespielt, denn die Unzuverlässigkeit desselben gehörte zu seinen schwachen Seiten.

Es war ihm im höchsten Grade unangenehm, daß ihm dies begegnet war. Wäre das Testament gestohlen, so würde ihn persönlich keine Verantwortung getroffen haben, denn der Schrank, in welchem die Erbschaftsdokumente aufbewahrt wurden, hatte sich nicht in seinen Händen befunden. Für die Verlegung des Testaments war er allein verantwortlich.

Hatte indeß nicht der Polizeicommissär die gewaltsame Eröffnung des Schrankes constatirt? Und kein anderes Dokument fehlte in dem Schranke.

Er stand vor einem Räthsel, welches zu lösen er sich vergebens bemühte. Noch einmal nahm er das Wiedergefundene zur Hand und prüfte es sorgfältig. Das war Lessens Siegel, das war die Hand des Notars Maks, welcher das Testament aufgenommen hatte! Hier war kein Zweifel mehr möglich!

Ein Gedanke stieg in ihm auf. Konnte er nicht jede Verantwortung von sich abwälzen, wenn er das Wiedergefundene im Ofen verbrannte? Wer wußte darum? Wer konnte gegen ihn auftreten? Alle glaubten, daß das Testament gestohlen und vernichtet sei, was er that, konnte nie an die Oeffentlichkeit gelangen.

Seine Gewissenhaftigkeit siegte über den flüchtig in ihm aufgestiegenen Gedanken. Er war ein durchaus rechtschaffener Charakter. Er durfte nicht ein Dokument vernichten, welches von der größten Tragweite war! Und saß der alte Diener Lessens nicht noch immer in Untersuchungshaft? Er würde es sich nie verziehen haben, die Haft des alten Mannes, dessen Unschuld nun ja deutlich bewiesen war, auch nur um einen Tag verlängert zu haben.

Wenn auch mit schwerem Herzen und nicht ohne Besorgniß wegen der Verantwortung, welche ihn treffen mußte, beschloß er, das Gefundene aufzubewahren und zu veröffentlichen.

Er rief den Gerichtsschreiber zu sich.

»Haben Sie diese Acten in der letzten Zeit in Händen gehabt?« fragte er.

Spellerberg trat unbefangen heran, um die Acten sich genauer anzusehen. Er hatte ja Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten.

»Nein,« entgegnete er ruhig. »Ich habe diese Acten nicht überhaupt noch nicht in Händen gehabt – ich kenne sie nicht.«

Der Gerichtsrath konnte an der Wahrheit dieser Worte nicht zweifeln. Hatte er nicht selbst den Staub von den Akten geklopft?

Er entließ den Gerichtsschreiber wieder, verschloß das Testament und begab sich zu dem Gerichtsdirector, um diesem von dem Geschehenen Anzeige zu machen. Es war für ihn eine sehr unangenehme Angelegenheit, da das Versehen indeß jedenfalls durch seine Schuld und Vergeßlichkeit geschehen war, so mußte er auch die Folgen tragen, mochten sie ihn noch so hart treffen.

»Herr Gerichtsrath, was wollen Sie machen, wenn Lessens Söhne, die in dem Testamente ohnehin zu kurz gekommen sein sollen, die Aechtheit desselben bestreiten? Wenn sie es nicht anerkennen?« warf der Gerichtsdirector ein. »Ich selbst würde es an ihrer Stelle vielleicht thun, denn das Testament ist dem Gerichte zur Aufbewahrung übergeben, bei dem Eröffnungstermine war es nicht vorhanden, das zufällig Aufgefundene brauchen sie nicht anzuerkennen.«

»Es ist an der Aechtheit nicht zu zweifeln, das Siegel ist durchaus unverletzt,« entgegnete der Gerichtsrath.

»Lessens Erben können immerhin bestreiten, daß es dasselbe Testament ist!« fuhr der Director fort. »Womit wollen Sie beweisen, daß es dasselbe ist. Erinnern Sie sich, es in das Actenheft gelegt zu haben?«

»Nein. Ich habe vergebens mein Gedächtniß angestrengt, ich weiß nur, daß ich das Dokument in den Schrank gelegt und es dort später noch gesehen habe.«

»Und doch müssen Sie es selbst herausgenommen haben!«

»Das gestehe ich zu, wenn schon es mir durchaus unbegreiflich ist.«

»Es ist ein Versehen, welches Sie trifft – ich befürchte, daß sehr unangenehme Conflicte daraus entstehen, und daß die Erben mit ihren Ansprüchen sich an Sie halten werden.«

»Herr Director, ich stehe vor einem mir unlösbaren Räthsel,« entgegnete der Gerichtsrath. »Ich fühle mich unschuldig, obschon ich selbst an meine Schuld glauben muß. Mir bleibt nichts übrig, als in Geduld abzuwarten, wie es kommen wird!«

»Auch ich werde dies thun,« gab der Director zur Antwort. »Es würde mir sehr unlieb sein, wenn ich genöthigt wäre, eine Disciplinaruntersuchung gegen Sie zu eröffnen. Ich werde dies von dem Ausgange abhängig machen. Schreiben Sie sofort für einen der nächsten Tage einen neuen Eröffnungstermin aus und setzen Sie die Erben ohne Verzug davon in Kenntniß. Ich wünsche Ihnen, daß die Erben das Testament anerkennen, obschon ich befürchte, daß sie es nicht thun werden. Sitzt Lessens Diener nicht noch in Untersuchungshaft, weil er verdächtig war, das Testament gestohlen zu haben?«

»Ja. Ich werde sofort zum Staatsanwalte eilen, um die Freilassung zu erwirken.«

»Auch er ist berechtigt, Entschädigungsansprüche an Sie zu erheben.«

»Ich werde sie ihm gerne geben, freiwillig, ehe er sie ordert.«

Noch in derselben Stunde theilte der Gerichtsrath Lessens Erben das Wiederauffinden des Testamentes mit und setzte einen neuen Termin zur Eröffnung desselben an. Dann eilte er zu dem Staatsanwalte, um ihn von dem Geschehenen zu benachrichtigen. –

 

Die Wiederauffindung des Testamentes blieb kein Geheimniß, verbreitete sich mit Schnelligkeit durch die Stadt und rief das größte Aufsehen hervor. Das Verschwinden war ja vielfach besprochen und Jedermann war neugierig zu erfahren, welchen Ausgang die Angelegenheit nehmen werde und in wie weit das Gericht, dem das Document anvertraut war, dafür verantwortlich gemacht werden konnte.

Diese Frage mußte ja einen Jeden interessiren, der einst in die Lage kam, selbst ein Testament zu machen, oder eine Erbschaft anzutreten.

Auch jetzt war man auf den Ausgang noch gespannt, jedenfalls war die Frage, ob das Testament noch seine volle Giltigkeit habe, durchaus noch nicht entschieden und die abweichendsten Ansichten wurden darüber laut.

Noch hatte der Staatsanwalt den Befehl zu Georgs Freilassung nicht gegeben, als des Alten Sohn die erfreuliche Nachricht von dem Wiederauffinden des Testamentes hörte. Nun war die Unschuld seines Vaters erwiesen und er selbst eilte zu ihm, um ihm zuerst die Kunde seiner Freilassung zu bringen und ihn selbst aus dem Gefängnisse abzuholen.

Es wurde ihm unter diesen Verhältnissen nicht schwer, den Eintritt in die Zelle seines Vaters zu erlangen. In der freudigsten Aufregung, athemlos trat er in die Zelle ein. Wohl bebte er erschreckt zurück, als er die greise Gestalt seines Vaters dasitzen sah. Wie hatten die wenigen Wochen an ihm gezehrt! Seine Wangen waren bleich, seine Züge eingefallen, seine ganze Gestalt schien zusammengebrochen zu sein. Doch nun war ja Alles vorbei, er war wieder frei, konnte sich erholen und er war entschlossen, Alles aufzubieten, um die Erinnerung an diese trübe Zeit zu verscheuchen

»Vater! Vater!« rief er und eilte auf den Alten zu.

Georg versuchte sich zu erheben, schon hatten ihn indeß die Arme seines Sohnes umschlungen.

»Heinrich, es ist gut, daß Du mich auch einmal besuchst,« sprach er und ein schmerzlicher Zug glitt über sein Gesicht hin. »Ich habe es mir freilich wohl denken können, daß sie es Dir früher nicht gestattet haben, denn daß Du mich nicht vergessen würdest, wußte ich.«

»Vater, ich habe Dich nicht vergessen!« rief Heinrich. »Und heute, – heute komme ich, um Dir die Freiheit zu verkünden! Mit mir wirst Du diese Zelle verlassen! Endlich ist Deine Unschuld erwiesen, so klar, wie ich es nie gehofft hatte – das Testament ist wieder aufgefunden!«

Der Alte richtete sich empor. Seine Augen waren starr, fragend auf seinen Sohn gerichtet. Träumte er, oder hatte ihn sein Ohr getäuscht?

»Das Testament ist wieder aufgefunden?« wiederholte er langsam, ohne den Blick von seinem Sohne abzuwenden. »Lessens Testament, sagst Du?«

»Ja, ja!« rief Heinrich erfreut. »Der Gerichtsrath selbst hat es heute wiedergefunden, in einem Actenhefte hat es gelegen. Deine Unschuld ist erwiesen – heute noch wirst Du in Freiheit gesetzt!«

»Lessens Testament ist wieder aufgefunden?« wiederholte der Alte noch einmal und er strich mit der Hand über die Stirn hin, um sich zu überzeugen, daß er wache. »Nein, nein! Das kann nicht sein!« rief er dann. »Man hat Dich getäuscht! Es ist unmöglich – es kann nicht sein!«

»Vater ich weiß es bestimmt!« entgegnete Heinrich und blickte nicht ohne Besorgniß seinen Vater an, weil er befürchtete, daß dessen Geist gelitten habe. »Deine Freilassung wird es Dir beweisen! Oh, ich wußte von Anfang an, daß Du die That nicht begangen haben konntest, daß Du nicht im Stande warst, auf Deinen Namen eine solche Schmach zu häufen!«

Der Alte stand regungslos. Die Worte seines Sohnes schienen ihm tief ins Herz einzuschneiden. Wie offen war dessen Freude, nun seine Unschuld erwiesen war, nun er ihn an seiner Hand aus dem Gefängnisse führen wollte. Durfte er diese Freude vernichten?

»Heinrich, Heinrich! Es kann nicht sein – oder das gefundene Testament ist ein gefälschtes!« rief er endlich.

»Es ist das ächte!« erwiederte Heinrich, der seinen Vater nicht zu fassen vermochte.

Der Alte schien nicht die Kraft zu besitzen, sich länger aufrecht zu erhalten, denn erschöpft ließ er sich wieder auf dem Stuhle nieder, den Blick starr vor sich hin auf die Erde gerichtet. Er hörte nicht die beruhigenden Worte, welche Heinrich zu ihm sprach, er fühlte nicht, daß derselbe seine Hand erfaßte, seine Gedanken beschäftigten sich mit einem ganz andern Gegenstande und seine Brust rang im schweren Kampfe.

Endlich richtete er sich empor und ein fester Entschluß sprach aus seinem Auge.

»Heinrich, Du hast mir die volle Wahrheit gesagt?« fragte er.

»Ja,« versicherte Heinrich.

»Dann gehe zum Untersuchungsrichter und sage ihm, daß ich ihn sofort sprechen müsse,« fuhr der Alte fort.

»Vater, was willst Du bei ihm?« warf Heinrich durch des Alten Ernst besorgt ein. »Du bist ja frei, Niemand kann an Deiner Unschuld mehr zweifeln.«

»Sage dem Untersuchungsrichter, daß ich ihn sprechen muß und eine wichtige Mittheilung zu machen habe,« wiederholte Georg. »Sieh mich nicht so erstaunt an, ich weiß was ich thue, mein Geist ist vollständig klar.«

Heinrich kam den Bitten seines Vaters nach. Schon nach wenigen Minuten kehrte er zurück.

Der Alte befand sich in einer Aufregung, die er mit Mühe zu verbergen suchte, seine Wangen hatten sich geröthet.

»Komm mit mir,« sprach er. »Du sollst hören, was ich dem Untersuchungsrichter mitzutheilen habe. – Heinrich,« fügte er hinzu, »ich begehe an Dir ein Unrecht, ich konnte indeß nicht anders handeln. Es hat mich einen schweren Entschluß gekostet. Ich wollte Dir den Schmerz ersparen, ich hoffte, daß es mir gelingen würde – die wenigen Tage meines Lebens würde ich gern dafür hingeben – es hat nicht sein sollen. Nun trage, was auch kommen mag, mit Ruhe und Fassung. Vergieb Deinem alten Vater den Schritt, den er gethan – ich konnte nicht anders!«

Fest aufgerichtet verließ er, von Heinrich begleitet, die Zelle und begab sich in das Zimmer des Untersuchungsrichters.

»Sie wollen aus meinem Munde Ihre Freilassung hören,« sprach der Richter, als er eintrat. »Der Staatsanwalt hat dieselbe bereits verfügt, da das Testament wieder aufgefunden ist. Es war ein unglückseliges Geschick, daß der Verdacht auf Sie fiel.«

Mit fest aufeinander gepreßten Lippen hatte Georg zugehört. Noch einmal schien in seiner Brust ein kürzer Kampf stattzufinden.

»Herr Richter, es ist also wahr, daß das Testament aufgefunden ist?« fragte er.

»Ja, heute hat es der Gerichtsrath selbst gefunden. Ihnen ist ein Unrecht widerfahren.«

»Es ist Lessen's Testament gefunden?« wiederholte der Alte.

»Gewiß. Es trägt die Aufschrift und Lessen's Siegel, – das Siegel ist noch unverletzt!«

Der Alte zitterte, dann richtete er sich hoch auf, als nehme er all seine Kräfte zusammen.

»Herr Richter!« rief er. »Dann ist das Testament nicht ächt – dann ist es gefälscht, denn Lessen's Testament, das habe ich – ich gestohlen!«

Erschöpft sank er nach diesen Worten auf einen Stuhl.

Der Untersuchungsrichter blickte ihn betroffen an; auch ihm drängte sich die Befürchtung auf, daß der Geist des Alten gelitten habe.

»Vater, Du – Du!« rief Heinrich bestürzt.

Der Alte blickte starr vor sich hin auf die Erde.

»Streben, Sie täuschen sich,« sprach der Richter beruhigend. »Der Verdacht, der auf Ihnen ruhte, hat sich Ihnen zur fixen Idee gestaltet. Sie sind krank. Fassen Sie Sich, in der Pflege Ihres Sohnes werden Sie wieder genesen!«

Georg schüttelte ablehnend mit dem Kopfe.

»Ich bin nicht krank,« gab er zur Antwort. »Ich habe Lessen's Testament gestohlen, in jenem Zimmer aus dem Schranke, ich habe den Inhalt desselben vernichtet und wenn jetzt das Testament aufgefunden ist, so muß es ein gefälschtes sein, denn eins hat mein Herr nur gemacht. Ich will meine That offen eingestehen. Ich habe sie nicht geleugnet, nicht weil ich mich vor der Strafe fürchtete, sondern um meinem Sohne den Schmerz und die Schmach zu ersparen – jetzt darf ich nicht mehr schweigen. Gönnen Sie mir nur wenige Augenblicke Ruhe, denn es wird mir schwer, schwer, das Alles zu sagen!«

Einige Minuten lang saß er regungslos da und schien sich noch einmal Alles in Gedanken zurecht zu legen.

»Herr Richter,« sprach er dann. »Fast vierzig Jahre bin ich als Diener in Lessen's Hause gewesen und habe den Willen meines Herrn stets als Befehl betrachtet. Ich kannte die Söhne meines Herrn von Jugend auf und hing ebenso sehr an ihnen, wie an meinem eigenen Sohne. Ich hatte es gut bei meinem Herrn. Das hörte indeß auf, als er sich wieder verheirathete. Seine Frau haßte mich, weil sie wußte, daß ich in Treue an meinem Herrn und dessen Söhnen hing – und ich habe sie auch nie geliebt. Es waren schwere Jahre für mich, denn ohne daß ich es hindern konnte, mußte ich ansehen, wie diese Frau und ihr Bruder, der Pfarrer, meinen Herrn immer mehr umstrickten und beherrschten. Nur ihr Wille galt. Da wurde mein Herr krank. Wenige Tage vor seinem Tode drangen seine Frau und der Pfarrer in ihn, ein Testament zu machen; er sträubte sich dagegen, allein er mußte sich ihrem Willen fügen. Ich hörte, wie das Testament aufgenommen wurde, wie diese beiden Menschen und der Notar den Kranken peinigten, damit er die Frau bevorzuge und seine Söhne zurücksetze. Es war ein zum Himmel schreiendes Unrecht, allein der Kranke gab nach, um endlich Ruhe zu finden. Ich kann es Ihnen nicht sagen, wie sehr es mich schmerzte, daß die Söhne meines Herrn, die auf das Vermögen ihres Vaters den größten, ja fast einzigen Anspruch hatten, so sehr zurückgesetzt waren. Mein Herr sah indeß noch ein, wie Unrecht er ihnen gethan; es war seine Absicht, das Testament umzustoßen und ihnen gerecht zu werden; der Tod ereilte ihn, ehe er seinen Entschluß ausführen konnte. An demselben Tage, an welchem mein Herr gestorben, wurde ich von seiner Frau und dessen Bruder aus dem Hause gestoßen. Die heftigste Erbitterung hatte mich erfaßt, denn ich hatte gesehen, wie sie triumphirten und sich über den Tod meines Herrn freuten. An demselben Tage faßte ich den Entschluß, das Testament zu entwenden und zu vernichten. Ich konnte es nicht ertragen, daß diejenigen um ihr Erbe betrogen würden, welche die gerechtesten Ansprüche daran hatten, ich erfüllte dadurch den Willen meines Herrn, der denselben nicht mehr hatte zur Ausführung bringen können, und ich befriedigte zugleich den Groll gegen die beiden Menschen, die mir so viel Schmerz bereitet, deren ganzes Bestreben es gewesen war, meinen Herrn zu täuschen und seine Gunst zu gewinnen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß sie das Vermögen genießen sollten. Ja, ich haßte sie, wie ich nie einen Menschen gehaßt!«

Er hielt erschöpft einige Augenblicke inne.

»Haben Sie zu irgend Jemand über Ihren Entschluß gesprochen?« fragte der Richter.

»Zu Niemand.«

»Auch nicht zu den Söhnen Ihres Herrn?« forschte der Richter weiter. »Was Sie vorhatten, lag ja im Interesse derselben.«

»Auch zu ihnen nicht,« gab Georg zur Antwort. »Sie hatten keine Ahnung von dem, was ich beabsichtigte, sie würden es auch nicht gestattet haben. Allein hatte ich den Entschluß gefaßt, allein wollte ich ihn ausführen, denn ich war darauf gefaßt, daß meine That entdeckt und ich bestraft werde. Die wenigen Tage, welche ich noch zu leben habe, konnte ich leicht zum Opfer bringen. Nur Eins machte mir den Entschluß schwer, der Gedanke an meinen Sohn. Ich wußte, daß ich ihm viel Schmerzen bereiten werde, ja ich beraubte ihn gewissermaßen, denn mein Herr hatte auch meiner in dem Testamente freundlich gedacht und wenn ich dasselbe vernichtete, verlor auch ich jedes Recht und jeden Anspruch darauf; ich blieb dennoch fest, weil ich wußte, daß die Söhne meines Herrn meinen Sohn nie verlassen würden, wenn er in Noth gerathen würde! – So kam ich hier in der Stadt bei meinem Sohne an. Er hatte keine Ahnung von dem, was ich beabsichtigte. Ich besuchte, ihn hier in diesem Gebäude, um mich mit den Räumlichkeiten bekannt zu machen, während er glaubte, daß ich nur gekommen sei, um ihn zu sehen. Mit Absicht forschte ich bei ihm nicht nach dem Orte, an welchem das Testament aufbewahrt wurde, um ihm später jede Unannehmlichkeit zu ersparen, nur nach dem Namen des Mannes, der das Testament eröffnen werde, fragte ich. Ich hatte hier keine Beschäftigung und den ganzen Tag brachte ich damit zu, Nachforschungen anzustellen, Erkundigungen einzuziehen und mir den Plan zurecht zu legen.

Der Tag, der für die Eröffnung des Testamentes bestimmt war, rückte heran. Ich mußte meinen Entschluß ausführen. Kaum war ich noch im Stande, meine Unruhe zu verbergen. Ich war mit meinen Vorbereitungen noch nicht zu Ende, ich war mir auch vollkommen bewußt, was ich vorhatte und wie viel ich wagte, allein ich hatte mich auch schon in Gedanken darauf vorbereitet, bei der That betroffen zu werden. Eines Nachts verließ ich die Wohnung meines Sohnes, ohne daß dieser eine Ahnung davon hatte, und begab mich hieher. In meiner Jugend, ehe ich Diener wurde, habe ich mehrere Jahre lang das Schlosserhandwerk erlernt und dies kam mir zu statten. Ich hatte mir die Thür, welche zu der Wohnung des Portiers führte, genau angesehen und mit einem Dietrich gelang es mir, dieselbe zu öffnen. Ohne große Mühe gelangte ich von der Wohnung des Portiers bis in diesen Theil des Gerichtsgebäudes; die Schlüssel steckten in den Thüren. Nur die Thür zu dem Zimmer, in welchem sich der Schrank befand, war verschlossen. Auch sie öffnete ich mit einem Dietrich. Ich stand vor dem Schranke, welcher das Dokument enthielt. Meine Hand zitterte, mein Ohr horchte, allein es blieb Alles still. Mit einem Meißel öffnete ich das Schloß. Bei dem Scheine der kleinen Laterne, welche ich mitgebracht hatte, suchte ich nach dem Testamente, – ich fand es und verbarg es in meinem Rocke, entschlossen, es sofort zu vernichten, wenn ich entdeckt werden sollte. Ich verschloß den Schrank und das Zimmer wieder, auf demselben Wege kehrte ich zurück, ohne von Jemand bemerkt zu werden. Wider Erwarten war mein Vorhaben glücklich gelungen. Erst als ich wieder in der Wohnung meines Sohnes war, brach ich erschöpft zusammen, ich hatte meinen Kräften zu viel zugetraut.«

»Was haben Sie mit dem Testamente begonnen?« fragte der Richter.

Der Alte schwieg einen Augenblick, seine Brust rang nach Athem.

»Ich wollte es vernichten und ich habe es vernichtet,« erwiderte er. »Doch nicht ganz. Ich wollte den Beweis in Händen behalten, daß ich das Testament vernichtet habe; ich habe deshalb die Siegel unverletzt gelassen, ebenso die Aufschrift und die Unterschrift meines Herrn und des Notars. Nur den Theil, der die Bestimmungen über das Vermögen enthielt, habe ich herausgeschnitten und verbrannt!«

»Und auf diese Idee sind Sie selbst gekommen?« warf der Richter ein. »Wozu wollten Sie den Beweis, der Sie ja sehr leicht verrathen konnte, aufbewahren?«

»Ich dachte nicht daran, daß das Testament nachgemacht werden könne, allein ich befürchtete, daß man den Söhnen meines Herrn die Erbschaft streitig machen werde, dann wollte ich den Ueberrest des Testamentes, der nichts mehr verrathen konnte, den Gerichten übergeben, ich wollte damit beweisen, daß auf ein Wiederauffinden des Testamentes nicht mehr zu hoffen sei.«

»Haben Sie diesen Theil des Testamentes noch?«

Der Alte nickte zustimmend mit dem Kopfe.

»Ich habe ihn sicher aufbewahrt und werde Ihnen den Ort angeben, wo er sich befindet. Er wird Ihnen den Beweis geben, daß das wiedergefundene Testament ein gefälschtes ist!«

»Wer könnte die Fälschung vorgenommen haben?« warf der Richter ein.

»Wer? Wer« rief der Alte erregt. »Die Frau und ihr Bruder, der Pfarrer! Sie sind einer solchen That fähig. In ihrem Interesse allein liegt es ja, daß das Testament wieder aufgefunden werde. – Ich will nun gern die wenigen Tage, die ich noch zu leben habe, im Gefängnisse zubringen, ich will nicht murren, nun es mir gelungen ist, ihr Vorhaben zu vereiteln!«

Seine Kräfte waren erschöpft, halb bewußtlos sank er zurück. Heinrich sprang zu seiner Unterstützung herbei und selbst der Richter konnte ihm seine Theilnahme nicht entziehen. War das, was er gethan hatte, auch ein Verbrechen, so war er doch durch eine edle Absicht dazu geleitet. Er schellte dem Gerichtsdiener und befahl ihm, für Georg eine Erfrischung zu bringen.

Der Alte hatte Heinrichs Hand erfaßt und ließ den Blick auf ihm ruhen.

»Heinrich, vergieb mir – ich konnte Dir den Schmerz nicht ersparen,« sprach er mit matter, flüsternder Stimme.

Heinrich suchte ihn zu beruhigen. Das Herz war ihm selbst so schwer, daß er kaum zu sprechen vermochte

Kurze Zeit gönnte ihm der Richter Ruhe. Dann forschte er nach dem Reste des Testamentes. Georg gab den Ort, wo er dasselbe versteckt hatte, genau an.

»Schicken Sie einen Gerichtsboten hin, damit er ihn hole – mein Sohn kann denselben begleiten,« fügte er hinzu.

»Und wo haben Sie den Dietrich und den Meißel gelassen, mit welchen Sie die Schlösser geöffnet haben?« fragte der Richter weiter.

»Ich habe beide in den Fluß geworfen, in der Nähe der Wohnung meines Sohnes.«

»Woher hatten Sie die beiden Instrumente?«

»Den Meißel habe ich mir hier in der Stadt gekauft und den Dietrich selbst aus einem Stück Draht angefertigt – ich bin ja Schlosser gewesen.«

»Sie haben Ihre That hartnäckig geleugnet, weshalb gestehen Sie heute Alles offen ein?«

»Weil ich von meinem Sohne hörte, ich solle die Freiheit wieder erlangen, weil das Testament wieder aufgefunden sei. Das ist eine Unmöglichkeit, deshalb muß es gefälscht sein. Die Frau und ihr Bruder allein können die Fälschung ausgeführt haben, und ich will nicht, daß sie in den Besitz von Lessens Vermögen gelangen.«

Der Richter konnte an der Wahrheit des Geständnisses nicht zweifeln, weil Georg bis in das Einzelste Alles erzählt hatte.

»Sind Sie sich klar bewußt gewesen, wie strafbar ihre Handlung ist?« fragte er.

»Ja,« gab der Alte fest zur Antwort. »Ich weiß, daß das Gefängniß mich erwartet und daß ich mein Leben darin beenden werde – es kann ja nicht lange mehr währen.«

Der Richter ließ Georg in die Zelle, welche er bereits seit Wochen bewohnt hatte, zurückführen. Dann sandte er zum Polizeicommissar, um durch ihn den Rest des Testamentes an dem bezeichneten Orte aufsuchen zu lassen und zugleich ließ er den Gerichtsrath bitten zu ihm zu kommen und das von ihm wieder aufgefundene Document mitzubringen.

Der Gerichtsrath hatte von dem Zwecke dieser Bitte keine Ahnung, dennoch kam er ihr ohne Zögern nach.

»Wollen Sie sich von dem Vorhandensein des Testamentes überzeugen, ehe Sie den alten Diener der Haft entlassen?« fragte er, als er in das Zimmer trat.

»Bitte, zeigen Sie mir das Testament,« entgegnete der Richter.

Der Gerichtsrath reichte ihm das Verlangte dar, und aufmerksam prüfend betrachtete er es.

»Sie halten dasselbe für ächt?« fragte er.

»Natürlich!« erwiderte der Gerichtsrath, über die Frage erstaunt. »Die Aufschrift ist von der Hand des Notars Maks. Hier ist Lessens Siegel, dasselbe ist unverletzt.«

»Und wenn dies Dokument dennoch gefälscht wäre?« warf der Richter ein.

»Ich begreife Sie nicht! Wie kommen Sie zu dieser Vermuthung?« entgegnete der Gerichtsrath. »Eine Fälschung ist ja kaum möglich!«

Der Richter theilte dem Ueberraschten Georg's Geständniß mit.

Wie vor einem Räthsel stand der Gerichtsrath, er traute seinen Ohren noch nicht, und dennoch löste sich eine schwere Last von seiner Brust.

»Das Testament ist also wirklich gestohlen?« rief er.

»Ich werde Ihnen sogleich den Beweis dafür mittheilen,« gab der Richter zur Antwort. »Hier liegt ein doppeltes Verbrechen vor, die Schuldigen werden uns hoffentlich nicht entgehen!«

Wenige Minuten später trat der Polizeicommissar ein. Er hatte das Gesuchte an dem Orte, den Georg bezeichnet, gefunden.

Hastig nahm der Gerichtsrath ihm das Papier, welches auch für ihn eine so große Bedeutung hatte, aus der Hand.

»Ja, dies ist das Testament Lessens!« rief er. Mit voller Bestimmtheit erkenne ich es wieder, hier unter der Aufschrift in einer Ecke habe ich mit eigener Hand den Tag der Uebergabe verzeichnet – es war mir entfallen, allein jetzt entsinne ich mich genau – ich erkenne meine Hand auf das Deutlichste wieder – dies – dies ist das ächte Testament.«

»Sie können beschwören, daß Sie diese kurze Bemerkung hinzugefügt haben?« fragte der Richter.

»Mit ruhigem Gewissen!« versicherte der Gerichtsrath.

Beide Documente wurden verglichen. Wie Georg bereits gestanden, hatte er die Siegel und Unterschriften unverletzt gelassen und nur den Theil ausgeschnitten und vernichtet, der die Bestimmungen Lessens über sein Vermögen enthielt.

Der Commissar prüfte das Aeußere der beiden Documente auf das Sorgfältigste.

»Die Aufschrift auf Beiden ist von einer Hand,« sprach er.

»Von der Hand des Notar Maks!« versicherte der Gerichtsrath.

»Beide Siegel sind vollständig gleich – sie sind mit ein und demselben Petschafte angefertigt,« fuhr der Commissar fort, »an dem Verbrechen dieser Fälschung sind also Mehrere betheiligt gewesen. Es ist nicht schwer, sie zu errathen: Maks, Lessens Frau und deren Bruder.«

Der Untersuchungsrichter wollte das gefälschte Testament öffnen, um den Inhalt desselben zu prüfen.

»Thun Sie dies nicht,« rieth der Commissar. »Lassen Sie uns dasselbe vorläufig dazu benutzen, um die Schuldigen herbeizulocken und um so sicherer zu ergreifen. Sie haben noch keine Ahnung, daß ihre Fälschung entdeckt ist, die Wiederauffindung des Testaments ist ihnen bereits mitgetheilt, sie werden sicher zu dem Eröffnungstermine kommen – dann ist es noch Zeit genug, das Testament zu öffnen und die Fälscher zu verhaften.«

Der Richter und der Gerichtsrath stimmten ihm bei.

»Freilich müssen wir bis dahin das größte Schweigen bewahren,« fuhr der Commissar fort. »Ich werde übrigens sofort die erforderlichen Anordnungen treffen, daß die Schuldigen genau überwacht werden, damit sie nicht, wenn sie dennoch einen Wink erhalten sollten, sich durch die Flucht uns entziehen. Auf welche Weise ist diese Fälschung übrigens in das Actenheft gekommen, wo Sie dasselbe gefunden haben?«

Der Gerichtsrath konnte darüber keine Aufklärung geben.

»Es kann dies nur durch eine auf Ihrem Bureau beschäftigte Person geschehen sein, welche genau wußte, daß Sie die Acten in die Hand bekommen würden,« fuhr der Commissar fort. »Ich glaube auch hierüber bereits im Klaren zu sein – Ihr Gerichtsschreiber Spellerberg hat es gethan!«

»Unmöglich!« rief der Gerichtsrath. »Er ist erst seit kurzer Zeit hier.«

Der Commissar lächelte zuversichtlich.

»Ich habe zufällig erfahren, daß er ein alter Bekannter des Pastor Hake ist,« bemerkte er. »Er hat außerdem seit einigen Abenden sehr flott gelebt und mehr Geld ausgegeben, als sein Gehalt als Gerichtsschreiber ihm gestattet –ich werde mich also wohl nicht geirrt haben! Auch ihn werde ich beobachten lassen! Sie haben es sehr schlau angefangen und ohne das offene Geständniß des Alten würde ihr Plan vielleicht gelungen sein, sie konnten freilich nicht vermuthen, daß der, welcher das wirkliche Testament entwendet hat, sich selbst anzeigen und damit dem Zuchthause überliefern würde!«


Schon wenige Tage später fand der Termin zur Eröffnung des Testaments statt. Hake und Pauline hatten sich schon am Abende vorher in der Stadt eingefunden, Paul und Hermann, deren Hoffnungen völlig darnieder lagen, langten erst an dem Morgen des Tages selbst an.

Paul suchte seinen Bruder zu beruhigen.

»Es hat nicht sein sollen,« sprach er. »Du weißt, ich gehöre nicht zu denen, die sich bei jeder Malice des Geschickes mit dem Gedanken zu betäuben suchen, daß es sicherlich so zu unserem eigenen Besten gekommen sei, denn ich vermag nicht einzusehen, welchen Schaden es uns gebracht haben würde, wenn wir eine stattliche Summe geerbt hätten, allein als vernünftiger Mann sage ich: was nicht zu ändern ist, muß man ertragen. Wenn wir den Kopf hängen lassen, gewinnen wir noch weniger, denn wir schaden dadurch nur uns selbst. Ich werde freilich den Versuch machen, gegen das Testament zu protestiren, einen großen Erfolg verspreche ich mir indeß nicht davon! Nun den Kopf hoch! Wenn das Geschick beschlossen hat, uns noch einmal zu reichen Männern zu machen, so können wir es auch ohne die Erbschaft werden.«

Alle seine Worte reichten nicht aus, um Hermann zu beruhigen, da derselbe eine getäuschte Hoffnung so leicht nicht zu verschmerzen vermochte.

 

Um dieselbe Zeit saß Maks auf seinem Zimmer und der Pfarrer trat bei ihm ein. Dieser war in der heitersten Stimmung.

»Nun, Freund, in wenigen Stunden sind wir am Ziele,« rief er. »Du bist dann ein reicher Mann und hast dies mir zu verdanken. Ich habe bereits in Betreff des Gutes mit einem Gutsbesitzer Unterhandlungen angeknüpft. Derselbe ist nicht abgeneigt, das Gut zu kaufen, da ich ihm sagte, Pauline wünsche ihren Wohnsitz künftig in der Stadt zu, nehmen.«

Maks war nicht so zuversichtlich und heiter gestimmt und nicht im Stande, dies zu verbergen.

»Ich wünschte, es wäre erst Alles glücklich beendet,« sprach er.

»Freund, tauchen wirklich in Deinem Kopfe wieder Grillen auf?« erwiderte der Pfarrer lachend. »Du bist ein Thor! Hätte man nur den leisesten Verdacht, so würde man sicherlich das Testament nicht eröffnen. Du trinkst zu viel, das macht Deinen Kopf schwerfällig! Selbst Pauline hegt nicht die geringsten Besorgnisse.«

»Der alte Diener sitzt immer noch in Haft,« warf Maks ein. »Weshalb setzt man ihn nicht in Freiheit, wenn man keinen Zweifel hegt, denn durch das Auffinden des Testamentes ist seine Unschuld doch bewiesen?«

»Maks, was kümmert uns der Alte!« rief der Pfarrer. »Meinetwegen mögen sie ihn für immer im Gefängnisse behalten, er hat es reichlich verdient, schon weil er stets gegen Pauline und mich intriguirt hat. Vielleicht haben sie ihn vergessen!«

Der Advokat schüttelte bedenklich mit dem Kopfe, eine bange Ahnung lag auf ihm und er war nicht im Stande, dieselbe zu verscheuchen.

»Ich war soeben bei Spellerberg,« fuhr der Pfarrer fort. »Er würde es jedenfalls wissen, wenn irgend ein Verdacht gegen unser Testament entstanden wäre. Er schilderte mir nur sehr spaßhaft das überraschte Gesicht des Gerichtsraths, als derselbe das verloren Geglaubte unerwartet in dem Aktenhefte gefunden hat. Es kommt uns sehr glücklich zu statten, daß die Zerstreutheit und Vergeßlichkeit dem Herren Gerichtsrathe schon mehr als einen Streich gespielt hat. Dieses Mal wird wohl eine Disciplinaruntersuchung folgen. Das geht ihm durch den Kopf.«

»Es würde mir lieber sein, wenn keine Untersuchung folgte,« gab Maks zur Antwort. »Es können Thatsachen dadurch an das Licht gefördert werden, die uns sehr unangenehm sind.«

»Du bist nicht zu überzeugen und auch nicht zu bessern!« rief Hake unwillig. »Glaubst Du mein Blick sei so begrenzt, daß ich ruhig sein würde, wenn nur die geringste Besorgniß vorläge! Ebenso ruhig als das erste Mal gehe ich zu dem Termine. Haha! Daß dieses Mal das Testament nicht wieder abhanden gekommen ist, dafür wird der Gerichtsrath gesorgt haben. Doch die Zeit drängt. Ich werde Pauline abholen zum Gerichte, in spätestens zwei Stunden werden wir Beide zu Dir kommen. Freund, dann sind wir reicher als jetzt!«

Er streckte Maks die Hand entgegen. Dieser schwieg, denn durch alle Besorgnisse vermochte er doch nichts mehr zu ändern, aber unwillkürlich richteten sich seine Gedanken, als Hake ihn verlassen hatte, wieder darauf, auf welche Weise er fliehen könne, wenn die Fälschung entdeckt werde.

Seine wenigen Habseligkeiten, welche er mit sich nehmen konnte, hatte er bereits für den Fall eingerichtet, nur mit Geld, welches er zur Flucht am Nöthigsten hatte, war er sehr spärlich versehen.

Hake hatte Pauline aus dem Hotel, in dem sie abgestiegen waren, abgeholt und in heiterster Stimmung begaben sich beide zu dem Gerichtsgebäude, zu der Testamentseröffnung.

»Ich bin gespannt, die Gesichter Deiner beiden Stiefsöhne zu sehen,« bemerkte der Pfarrer scherzend zu seiner Schwester. »Hat einer von ihnen das Testament entwendet, so werde ich es sicherlich in seinen Zügen lesen, denn ich begreife vollkommen, daß es sehr ärgerlich sein muß, eine so gefährliche That vollbracht zu haben, ohne einen Vortheil dadurch zu erlangen, zu wissen, daß eine Fälschung vorliegt und doch der eigenen Sicherheit wegen zum Schweigen verdammt zu sein!«

Sie langten in dem Gerichtsgebäude und in dem Zimmer an, in welchem sie schon einmal zu demselben Zwecke mit Paul und Hermann zusammengetroffen waren. Beide waren bereits zugegen, wandten sich indeß ab, als sie Hake und Pauline eintreten sahen.

Der Pfarrer warf seiner Schwester einen bedeutungsvollen Blick zu, schritt einige Male im Zimmer auf und ab und wandte sich dann an Paul.

»Es thut mir leid, Herr Advokat,« sprach er, »daß ich Ihnen in diesem selben Zimmer Unrecht gethan habe. Ich würde gern mein damals gesprochenes unüberlegtes Wort zurücknehmen, wenn ich nicht befürchten müßte, daß Sie sich damit nicht zufrieden erklären würden.«

»Sie wissen, daß über das, was zwischen uns Beiden vorliegt, das Gericht zu entscheiden hat,« gab Paul, sich abwendend, zur Antwort.

»Ich weiß es und murre nicht, wenn mich eine Strafe trifft,« fuhr Hake fort. »Ich glaube aber, es entspricht auch dem christlichen Standpunkte, wenn wir Unrecht gethan haben, es offen einzugestehen, denn das Testament ist ja wieder gefunden!«

Nur zu deutlich klang der Hohn aus seinen Worten hervor.

Paul würdigte ihn keiner Antwort.

Gleich darauf trat der Gerichtsrath ein. Mit kurzen Worten erzählte er, auf welche Weise er das Testament in einem Aktenhefte gefunden habe.

»Hier ist es,« fuhr er fort. »Das Siegel ist, wie Sie sich sämmtlich überzeugen werden, unverletzt; erkennen Sie Alle das Testament an?«

»Natürlich!« versicherte Hake mit lauter Stimme.

»Ich erkenne es nicht an!« warf Paul ein.

»Und weshalb nicht?« rief der Pfarrer mit stechendem, drohendem Blicke auf Paul.

»Ueberlassen Sie mir es, diese Frage an den Herrn zu richten,« bemerkte der Gerichtsrath. »Weshalb wollen Sie das Testament nicht anerkennen?«

»Es hat sich nicht an dem Orte gefunden, an welchem es deponirt werden mußte und an welchem Sie es nach Ihrer eigenen Versicherung niedergelegt haben,« gab Paul zur Antwort. »Das Siegel ist scheinbar unverletzt, ich kann indeß nicht wissen, ob es nicht trotzdem geöffnet ist. Ich weiß nicht einmal, ob es dasselbe Testament ist, welches aus der Hand meines Vaters hervorgegangen ist.«

»Es ist dasselbe!« rief der Pfarrer. »Ich habe es in den Händen gehabt, ehe es dem Gerichte übergeben wurde, ich erkenne es auf das Bestimmteste als dasselbe wieder!«

»An welchen Merkmalen?« warf der Gerichtsrath ein.

Der Pfarrer verrieth nicht die geringste Verlegenheit.

»An der Aufschrift von der Hand des Notars Maks,« erwiderte er, »an Lessen's Siegel, an dem Papier, an der ganzen Gestalt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Lessen's Testament ist.«

»Ein Merkmal vermisse ich dennoch,« warf der Gerichtsrath ein. »Als das Testament mir übergeben wurde, bemerkte ich mit eigener Hand den Tag der Uebergabe auf demselben – diese Bemerkung vermisse ich!«

Das Blut wich aus den Wangen des Pfarrers, der Athem stockte in seiner Brust.

»Davon weiß ich nichts!« rief er. Man hörte seinen Worten an, daß es ihn Mühe kostete, dieselben hervorzubringen.

Paul war näher herangetreten, denn diese Worte waren für ihn von der größten Bedeutung. Bis jetzt hatte er keine Ahnung gehabt, daß eine Fälschung stattgefunden, jetzt mit einem Male stieg der Verdacht in ihm auf.

Seine Augen waren auf das Gesicht des Gerichtsraths gerichtet, aus dessen Minen er die Bestätigung seines Verdachtes zu lesen glaubte.

»Das Testament ist nicht das ächte,« fuhr dieser mit fester Stimme fort, »es ist ein gefälschtes. Lessen's Testament ist aus diesem Schranke gestohlen und der dies gethan, hat seine That offen eingestanden, Lessen's Diener Georg hat es gethan!«

Hake war, unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten, seine Lippen waren fest auf einander gepreßt, seine Augen fuhren flüchtig, scheu durch das Zimmer hin, als suche er nach irgend einem Auswege, einem Wege der Rettung.

Pauline hatte einen Stuhl erfaßt, um sich darauf zu stützen, ihre ganze Gestalt zitterte sichtbar.

Beide fühlten, daß von diesem Augenblicke das Geschick ihres Lebens abhing.

Hake raffte alle Kräfte zusammen.

»Wodurch will der Diener beweisen, daß er die Wahrheit gesprochen?« rief er. »Er haßt meine Schwester, deshalb sucht er ihr zu schaden!«

»Er kann es beweisen,« gab der Gerichtsrath zur Antwort. »Nach seinem eigenen Geständnisse hat er die That begangen, um ein Unrecht, welches Lessen gegen seine Söhne begangen, ungeschehen zu machen, er hat nur den Theil des Testamentes vernichtet, welcher die Bestimmungen über das Vermögen enthielt – hier ist der andere Theil, er stammt von dem wirklichen Testamente, denn hier steht noch die Bemerkung von meiner eigenen Hand!«

Der Pfarrer zitterte. Gegen diesen Beweis vermochte all seine Klugheit nichts einzuwenden.

»Er hat ein Verbrechen begangen, welches er im Zuchthause büßen wird!« knirschte er.

»Er wird der Strafe, die er verdient, nicht entgehen,« fuhr der Gerichtsrath fort. »Hier liegt indeß noch ein zweites Verbrechen vor, welches nicht minder strafbar ist!«

Der Pfarrer hatte die zitternde Hand seiner Schwester erfaßt, um mit ihr das Zimmer zu verlassen.

»Bleiben Sie!« befahl der Gerichtsrath.

»Weshalb?« rief Hake. Es fehlte ihm nicht an Dreistigkeit, obschon sein bleiches Gesicht, das Zittern seiner Gestalt deutlich den Verbrecher verrieth.

»Ich wünsche von Ihnen Auskunft darüber, wer diese Fälschung vollzogen hat.«

»Ich weiß es nicht!« entgegnete Hake.

»Sie haben es gethan, der Notar Maks und Ihre Schwester!« sprach der Gerichtsrath mit fester Stimme.

Pauline brach ohnmächtig auf einem Stuhle zusammen.

Hake ließ sie los, weil er nur auf seine eigene Rettung bedacht zu sein schien.

»Ich habe es nicht gethan!« rief er und suchte den Ausgang des Zimmers zu erreichen.

Der Gerichtsrath klingelte, zwei Polizeidiener traten ein und dem Pfarrer entgegen.

»Verhaften Sie den Herrn dort und die Dame!« befahl der Gerichtsrath.

Hake wich bestürzt zurück, sein Auge glitt hülfesuchend durch das Zimmer, er eilte zum Fenster, ehe er dasselbe indeß noch erreicht hatte, war er von dem Polizeidiener schon erfaßt.

Auch jetzt leistete er noch verzweifelten Widerstand, seine Kraft reichte indeß nicht aus, in wenigen Minuten waren ihm die Hände auf dem Rücken zusammengebunden.

Seine Zähne nagten aus Erbitterung an der Unterlippe, es tropfte Blut aus derselben herab. Pauline wußte nichts von dem, was um sie vorging.

Der Gerichtsrath öffnete das gefälschte Testament und las dessen Inhalt. »Sie haben jedenfalls das Testament nicht zum Nachtheile Ihrer Schwester angefertigt,« bemerkte er. »Gestehen Sie Ihre Schuld ein.«

»Ich habe nichts einzugestehen,« entgegnete der Pfarrer. »Wenn das Testament gefälscht ist, so kann es nur Maks gethan haben, denn von seiner Hand ist es geschrieben.«

»Auch dieser Herr ist in diesem Augenblicke schon verhaftet,« versicherte der Gerichtsrath. »Wie ist das gefälschte Testament in das Aktenheft gelangt, in dem ich es gefunden?«

»Ich weiß es nicht – ich habe nichts damit zu schaffen gehabt,« erwiederte Hake, dann antwortete er auf keine Frage mehr.

Ehe er aus dem Zimmer geführt wurde, wurde er sorgfältig untersucht. In der Brieftasche, welche er in dem Rocke trug, fand sich die schriftliche Schenkung von Paulinens Hand über eine bedeutende Summe der Erbschaft, zugleich ein Blatt, auf welchem er sehr gelungene Versuche in der Nachahmung von Lessen's Hand gemacht hatte.

Da er auf keine Frage mehr Antwort gab, wurde er zur Haft fortgeführt. Auf dem Wege zum Gefängnisse machte er noch einmal einen Versuch zu entfliehen, derselbe mißlang jedoch und war für seine Wächter nur eine Mahnung, ein doppelt scharfes Auge auf ihn zu haben.

Auch Pauline wurde, sobald sie aus der Ohnmacht erwacht war, verhaftet. Sie war zu schwach, als daß sofort ein Verhör mit ihr hätte angestellt werden können.

 

Paul und Hermann hatten dem ganzen Vorgange wie ein paar Träumende zugehört. Sie schienen kaum zu begreifen, wie es gekommen war. Ohne Hoffnung waren sie gekommen und mit einem Male hatte ihr Geschick sich gewendet. Diejenigen, welche Alles aufgegeben, sie um ihre gerechten Ansprüche zu betrügen, waren verhaftet und in das Gefängniß geführt. Jetzt waren sie die Erben und es gab Niemand mehr, der ihre Ansprüche bestreiten könnte.

Paul begab sich zu dem Untersuchungsrichter und ließ sich Georgs Geständniß wiederholen. Erschüttert hörte er zu, denn kein Zweifel blieb ihm übrig, daß der Alte für ihn und Hermann die That vollbracht, daß er sich für sie geopfert.

»Darf ich ihn besuchen?« fragte er.

Der Untersuchungsrichter zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Er pflegte keinen Besuch zu gestatten, so lange die Untersuchungshaft währte, dennoch glaubte er in diesem Falle eine Ausnahme machen zu dürfen.

»Ich werde es Ihnen gestatten,« entgegnete er, »denn ich begreife, was Sie zu ihm treibt. Es ist während meiner langjährigen Erfahrung als Untersuchungsrichter der erste Fall, daß Jemand aus so edler Absicht, ohne sein eigenes Interesse im Auge zu haben, zum Verbrecher wird. Und doch muß der Richter seine That als Verbrechen ansehen und bestrafen, denn das Gesetz gestattet keine Ausnahme. Vielleicht kommt einst eine bessere und freier denkende Zeit, in der die Gesetzgeber nicht allein auf die Thatsachen und deren Folgen Rücksicht nehmen, sondern auch den Absichten, aus denen diese Thatsachen hervorgehen, die gebührende Bedeutung beilegen.«

Paul begab sich zu der Zelle, in welcher Georg saß.

Einen Augenblick stand er vor derselben still, ehe der Wärter dieselbe öffnete. Hinter der starken, mit Eisenblech beschlagenen Thür vernahm er langsame Schritte. Er kannte die Gewohnheit des Alten, wenn ihn innere Unruhe quälte oder er einen peinigenden Gedanken zu verscheuchen suchte.

Reute ihn That und sein offenes Geständniß? Hatte er zu spät an die harte Strafe, welche dieselbe nach sich zog, gedacht?

Paul winkte den Wärter zur Seite.

»Wie ist der Gefangene?« fragte er leise, um sich durch seine Stimme nicht zu verrathen.

»Ruhig,« gab der Wärter zur Antwort. »Freilich an die Luft in den engen Zellen gewöhnt sich nicht ein Jeder gleich schnell. Ich habe Verbrecher gekannt, die so ruhig und fest darin schliefen, als lägen sie daheim in einem Bette, während Andere Tag und Nacht keine Ruhe fanden. Die engen Wände schienen sie zu beängstigen und zu drücken, sie rüttelten verzweiflungsvoll an der Thür und dem Fenstergitter, nicht um zu entfliehen, sondern nur, um sich Luft zu verschaffen. Auch der Alte scheint sich schwer zu gewöhnen. Er hat freilich bessere Tage gehabt, an die mag er zurückdenken!«

Paul brach das Gespräch ab. Er ließ die Thür der Zelle öffnen und trat rasch ein.

Georg hatte in seinem Auf- und Abschreiten eingehalten, als er das Geräusch an der Thür vernahm. Er wandte den Kopf zur Seite und ein freudiger Zug glitt über sein altes bleiches Gesicht hin, als er den Sohn seines Herrn eintreten sah.

Paul eilte zu ihm und erfaßte seine Hand.

»Georg, Georg! was hast Du gethan?« rief er.

Der Alte blickte mit einem befriedigenden Lächeln auf Paul.

»Ich wußte, daß Sie kommen würden,« sprach er. »Ich habe nur den letzten Willen meines Herrn erfüllt, ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß Sie und Hermann um Ihr Erbe betrogen werden sollten. Mag man meine That auch als ein Verbrechen ansehen, sie ist es ja nach den Gesetzen, mein Gewissen macht mir keine Vorwürfe und ich hoffe sie auch vor dem vertreten zu können, der jede That nach ihrem wahren Werthe richtet!«

Erschüttert zog ihn Paul zu der einfachen Bank und ließ sich neben ihn nieder. Er mußte all seine Kräfte zusammen nehmen, um seine Fassung zu bewahren.

»Georg,« entgegnete er, »Du hast Eins nicht bedacht, die Strafe, vor der Dich Niemand erretten kann. Hättest Du es nicht gethan! Ich würde gern Alles hingeben, wenn ich Dir dies ersparen könnte!«

Die Augen des Alten leuchteten. Fest hielt er Pauls Hand in der seinigen.

»Ich habe daran gedacht,« erwiederte er ruhig. »Nicht einen Augenblick lang habe ich mir verhehlt, wie viel ich wagte und ich klage nicht, daß es so gekommen ist. Wenn ich jetzt mit einem einzigen Worte Alles ungeschehen machen könnte, ich würde es nicht thun! Ich fürchte die Strafe nicht, denn ich stehe am Ende meiner Lebensbahn und ich bin der festen Ueberzeugung, daß man auch im Gefängnisse ruhig sterben kann.«

»Nein, dahin darf es nicht kommen!« rief Paul. »Die Richter müssen Dich verurtheilen, ich werde mich an den Fürsten wenden und um Deine Begnadigung bitten.«

»Lassen Sie der menschlichen Gerechtigkeit ihren ruhigen Lauf,« warf Georg ein. »Ich habe die Strafe verwirkt So in der Vorlage. Eine solche Bedeutung des Wortes »verwirken« (sich etwas einhandeln) ist allerdings für die fragliche Zeit nicht belegt. [ Anm.d.Hrsg.] und werde sie ruhig tragen, lang wird sie für mich nicht werden. Kann jetzt noch irgend Jemand Ihre Ansprüche auf das Vermögen Ihres Vaters angreifen?«

»Niemand kann es mehr,« gab Paul zur Antwort.

»Sind die Fälscher des Testaments bereits entdeckt?« forschte der Alte weiter.

Paul erzählte ihm, daß Pauline, ihr Bruder und der Notar verhaftet seien und schilderte ihm den ganzen Vorgang in dem Zimmer des Gerichtsraths.

»Sie werden der Strafe nicht entgehen,« fügte er hinzu. »Dem Pfarrer wird all seine Frömmigkeit nichts nützen, denn er wird wohl der am meisten Schuldige sein!«

»Es geschieht ihnen nur das, was sie verdienen,« bemerkte Georg, halb in Gedanken vor sich hinsehend.

»Noch gerathe ich in Aufregung, wenn ich daran denke, wie diese Menschen meinen armen Herrn gequält haben, wie sie triumphirten, als er endlich die Augen geschlossen hatte. Ich kann mit ihnen kein Mitleid empfinden, denn auch sie haben keins gekannt, sie haben beide kein Herz, denn Ihren Vater haben Sie mit ruhiger Berechnung zu Tode gequält!«

Paul blickte den Alten an, die bleichen, eingefallenen Wangen schnitten ihm tief ins Herz hinein.

»Georg, kann ich nichts thun, um Dein Geschick zu erleichtern?« fragte er.

Der Alte schüttelte ablehnend mit dem Kopfe.

»Der Richter wird es gestatten, daß Dir mehr Bequemlichkeit gegönnt wird,« fuhr Paul fort. »Ich werde ihn bitten, daß Dir ein größeres und freundlicheres Zimmer angewiesen wird!«

»Lassen Sie das,« entgegnete Georg. »In den ersten Tagen wurde es mir freilich eng und bang in diesem Raume, jetzt habe ich mich indeß daran gewöhnt. Meine Gedanken können ja auch durch diese Mauern hindurch dringen, nur mein Körper muß hier bleiben und der bedarf wenig.«

»Georg,« fuhr Paul fort, »ehe ich hier eintrat, hörte ich Dich langsam auf und abschreiten. Ich kenne noch Deine Gewohnheit, Du thatest es nur, wenn Dich irgend ein Gedanke quälte!«

Der Alte schwieg und wandte den Kopf halb ab, er schien verbergen zu wollen, daß in seinem Innern etwas vorging, was ihn beunruhigte.

»Vertraust Du mir nicht mehr?« fragte Paul.

»Doch, doch!« entgegnete Georg fast hastig. »Ja, mich quält ein Gedanke. Immer und immer wieder drängt sich mir der Vorwurf auf, daß ich meinem Sohne ein Unrecht zugefügt habe. Wird ein Theil der Schmach, die ich meinem Namen zugefügt, nicht auch auf den seinigen fallen? Wird man nicht ihn entgelten oder doch fühlen lassen, daß sein Vater zum Gefängniß verurtheilt und darin gestorben ist? Er ist mir stets ein guter Sohn gewesen und ich hätte ihm gern dies ersparen mögen! Das hat mir Anfangs den Entschluß schwer gemacht, das quält mich auch jetzt noch!«

»Georg, wer Deine That kennt, wird sie auch würdigen,« gab Paul zur Antwort. »Deinem Sohn kann Niemand einen Vorwurf daraus machen.«

»Es denken nicht Alle so wie Sie!« fuhr der Alte fort. »Wenn die Menschen gerecht gegen Andere wären, würde Vieles anders und besser sein. Noch ein Anderes quält mich. In dem Testamente Ihres Vaters, welches ich vernichtet habe, hatte derselbe meiner freundlich gedacht, drei Tausend Thaler hatte er für mich bestimmt, um den Abend meines Lebens sorgenlos zu gestalten. Ich würde das Geld nicht gebraucht haben, allein ich freute mich, es meinem Sohne hinterlassen zu können. Jeden Anspruch darauf habe ich mit dem Testamente vernichtet, und jetzt verläßt mich der Gedanke nicht, daß ich meinen eigenen Sohn dadurch betrogen habe. Ich mag vielleicht zu weit gehen, wenn man indeß Tag für Tag allein ist und die langen Nächte schlaflos hinbringt, dann kommen solche Gedanken und quälen Einen und je mehr man sie verscheuchen will, um so fester setzen sie sich!«

»Sei ohne Sorge,« unterbrach ihn Paul. »Weder Hermann noch ich werden je vergessen, was Du für uns gethan hast von Jugend auf. Dir können wir es nicht mehr danken, aber Deinem Sohne werden wir zeigen, wie viel wir Dir schulden. Wir werden ihn nie verlassen. Mit Freuden werde ich ihm die doppelte Summe geben und ich weiß, daß Hermann ebenso denkt wie ich. Dieser Gedanke soll Dich nicht mehr beunruhigen, hier ist meine Hand darauf!«

Georg erfaßte die Hand. Er wollte sprechen, allein die Lippen versagten ihm den Dienst, langsam rannen Thränen über seine alten Wangen herab.

Er hatte es gewußt, daß die Söhne seines Herrn seinen eigenen Sohn nie verlassen würden und doch war es ihm schwer geworden, dies zu sagen.

»Nun ist Alles gut!« sprach er. »Nur die eine Bitte habe ich noch, gehen Sie zu ihm und sagen Sie ihm, daß er mir nicht zürnen möge. Sprechen Sie ihm zu, wenn er betrübt ist, und theilen Sie ihm mit, daß ich vollständig ruhig und mit meinem Geschicke zufrieden sei, daß ich keinen Wunsch mehr habe, nun auch seine Zukunft gesichert sei!«

Der Alte war erschöpft, sein Kopf sank auf die Brust herab, allein aus seinem Gesichte sprach Ruhe und Zufriedenheit.

Paul verließ ihn. Ohne Säumen begab er sich zu Heinrich, um ihm die Worte seines Vaters zu überbringen und ihn zu beruhigen.


Maks war um dieselbe Zeit verhaftet, in welcher Hake und Pauline in das Gefängniß geführt wurden. Der große und kräftige Mann hatte wie ein Kind gezittert und den Polizeibeamten, welche ihn verhafteten, nicht den geringsten Widerstand entgegengesetzt. Sein ganzer Muth war dahin und wie ein gebrochener Mann war er in dem Gefängnisse angelangt.

Der Gerichtsschreiber Spellerberg, welcher gleichfalls verhaftet werden sollte, schien von der ihn bedrohenden Gefahr rechtzeitig Kenntniß erlangt zu haben. Denn als die Polizei in das Zimmer, in welchem er arbeitete, trat, fand sie dasselbe leer; der schlaue Gerichtsschreiber hatte sich durch die Hinterthür bereits entfernt. Zwar bot die Polizei sofort Alles auf, seiner habhaft zu werden, es gelang ihr indeß nicht und der Flüchtige kam glücklich davon.

In der Wohnung Maks' wurde Haussuchung gehalten. Sein Petschaft paßte genau zu dem Siegel unter dem Testamente, seine Handschrift war dieselbe, selbst die Dinte der Schrift glich der bei ihm gefundenen. Die Beweise für seine Schuld waren so schlagend, daß sie keinen Zweifel übrig ließen.

Auch in des Pfarrers Wohnung war nachgeforscht, ehe die Untersuchung begann. Es war nichts von Bedeutung gefunden außer einigen Briefen von Spellerberg, welche die Bekanntschaft zwischen beiden bewiesen, und mehreren anderen Briefen, welche auf sein ausschweifendes Leben ein schlimmes Licht warfen.

Erst mehrere Tage nach seiner Verhaftung wurde Hake zum ersten Male vor den Untersuchungsrichter geführt. Er hatte Zeit genug gehabt, seine Lage zu überdenken, seine Hoffnungen abzuwägen und die Mittel zu seiner Vertheidigung zu überlegen, allein er war nicht glücklich in der Wahl seiner Mittel gewesen.

Fest trat er in das Verhörzimmer ein. Mit der vollen Würde eines Pfarrers hatte er sich umgethan und blickte dreist im Verhörzimmer umher. Er schien die Hoffnung zu hegen, durch diese Würde auch auf den Untersuchungsrichter einen Eindruck zu machen, darin hatte er sich freilich geirrt.

Seine Betheiligung an dem Verbrechen lag zu offen zu Tage, als daß ein Zweifel darüber hätte stattfinden können, dennoch versuchte er zu leugnen.

»Sie haben gewußt, daß das Testament gefälscht war?« fragte der Untersuchungsrichter.

»Welches Testament?« warf Hake ein, ohne auf die Frage zu antworten.

»Dasjenige, welches der Gerichtsrath in einem Actenhefte gefunden hat.«

»Ich weiß von keiner Fälschung. Ich behaupte, daß dieses Testament das ächte ist,« erwiderte Hake dreist.

Der Untersuchungsrichter blickte ihn erstaunt an, denn eine solche Dreistigkeit hatte er nicht erwartet.

»Wollen Sie vielleicht all' den Beweisen gegenüber noch leugnen?« entgegnete er. »Daß dies Testament gefälscht ist, unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, ebensowenig daß Sie an der Fälschung Theil genommen haben.«

»Ich muß diese Beschuldigung mit Entrüstung zurückweisen und glaubte, daß schon meine Stellung mich gegen solchen Verdacht schützen würde!« warf Hake ein, indem er seine Gestalt emporrichtete und dem Richter unerschrocken in's Auge schaute.

»Berufen Sie sich nicht auf Ihre Stellung als Pfarrer!« rief der Richter ungeduldig. »Sie haben bewiesen, daß Sie derselben nicht würdig sind!«

»Ich verlange Beweise dafür!« entgegnete Hake mit derselben Dreistigkeit.

»Ich werde sie Ihnen geben. Es sind in Ihrer Wohnung Briefe aufgefunden, welche Ihr Leben nicht in dem günstigsten Lichte zeigen.«

Der Pfarrer schloß die Augen halb.

»Ich glaube nicht, daß ich dem Gerichte für mein Privatleben verantwortlich bin, so lange dasselbe nicht gegen die Gesetze verstößt!« bemerkte er. »Sie kennen überhaupt die Beziehungen nicht, welche in diesen Briefen angedeutet zu sein scheinen. Es ist sehr leicht, nur dem Scheine nach zu verurtheilen.«

»Ich habe überhaupt kein Urtheil über Sie auszusprechen,« erwiederte der Richter, der nicht mehr im Zweifel war, daß ihm ein Mann gegenüberstand, der nicht das geringste Mitleid verdiente. »Das werden die Richter thun, vor denen Sie bald stehen werden. Es ist in Ihrer Brieftasche ein Blatt gefunden worden, auf welchem Lessens Name wiederholt und in der geschicktesten Weise nachgeahmt ist. Wozu diente dasselbe?«

»Die Namen hat Lessen selbst geschrieben,« gab Hake zur Antwort.

»In Ihre Brieftasche?«

»Ja wohl.«

»Wie kam er dazu?«

»Es war während seiner Krankheit, in der ich ihm täglich Gesellschaft leistete. Er behauptete, seine Hand sei durch die Krankheit so sehr geschwächt, daß er kaum seinen Namen werde schreiben können. Ich reichte ihm mein Notizbuch und er schrieb wiederholt seinen Namen auf jenes Blatt. Es schien ihm Vergnügen und Zerstreuung zu gewähren.«

»Die Züge sehen nicht aus, als ob sie von der Hand eines Kranken geschrieben wären.«

»Ich bin nicht dafür verantwortlich, wenn Lessens Hand noch fester war, als Sie erwarten.«

»Weshalb haben Sie dies Blatt aufgehoben?«

»Weil ich keine Veranlassung hatte, dasselbe zu vernichten. Ich liebe es nicht, Blätter aus meinem Notizbuche zu reißen.«

»Es sind mehrere daraus gerissen.«

Der Pfarrer zuckte fast wegwerfend mit der Achsel.

»Es ist möglich, jedenfalls werde ich wohl Gründe dazu gehabt haben. Ich kann mich indeß nicht entsinnen, es gethan zu haben.«

»Es ist ferner in Ihrer Brieftasche eine schriftliche Schenkung Ihrer Schwester über eine bedeutende Summe der Erbschaft gefunden,« fuhr der Richter fort. »Wie ist Ihre Schwester dazu gekommen?«

»Sie wollte mir dadurch Ihren Dank beweisen für all den Schutz und die Liebe, die sie durch mich genossen. Ich habe Jahre lang für sie gesorgt, habe sie in ihrem ganzen Leben bewacht und gehütet, und würde es auch ferner gethan haben, wenn das Glück sie weniger begünstigt hätte!«

»Und deshalb schrieb sie jene Zeilen, welche mehr die Form einer Verpflichtung haben, als einer Schenkung?«

»Deshalb!« gab Hake zur Antwort. »Ich gebe zu, daß meine Schwester eine andere Form hätte wählen können, ich habe indeß hierauf wenig Werth gelegt.«

»Sie sollten die Summe nur heben, wenn Ihre Schwester Universalerbin würde?«

»Natürlich, denn nur dann war sie im Stande, mich so reichlich zu belohnen, wie sie beabsichtigte.«

»Sie hatten also ein sehr lebhaftes Interesse, daß Ihre Schwester Universalerbin würde?«

»Gewiß. Das würde ich indeß auch gehabt haben, wenn sie mir nichts versprochen hätte.«

»Die Fälschung geschah also durchaus zu Ihrem Voreile?«

»Ich muß wiederholen, daß ich durchaus von einer Fälschung nichts weiß.«

»Die Thatsache der Fälschung liegt vor, ebenso ist es erwiesen, daß der Notar Maks daran Theil genommen, denn von seiner Hand ist das Testament geschrieben und sein Siegel steht darunter. Hat er die Fälschung allein vorgenommen?«

»Wenn eine solche vorliegt, so muß er es allein gethan haben.«

»Ohne Ihr Wissen?«

»Ich würde nie zu einer solchen Handlung meine Einwilligung gegeben haben.«

»Welches Interesse konnte Maks haben, dies zu thun?«

»Ich weiß es nicht, da er zu mir darüber nicht gesprochen.«

»Ist er nicht mit Ihrer Schwester verlobt?«

»Ja wohl.«

»Sein Interesse dürfte Ihnen also wohl bekannt sein.«

Der Pfarrer zuckte nur mit der Achsel.

»Es ist auffallend, daß Ihre Schwester schon wenige Wochen nach dem Tode ihres Mannes sich wieder verlobt hat!« fuhr der Untersuchungsrichter fort.

»Das betrifft meine Schwester und nicht mich. Ich habe ihr in solchen Angelegenheiten nie Vorschriften gemacht. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn sie noch einige Zeit gewartet, ehe sie wieder so über ihre Hand verfügt, etwas Strafbares liegt jedenfalls nicht darin.«

»Die Fälschung ist mit Lessen's Siegel versehen, wie ist dasselbe in die Hände des Notars gekommen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Er konnte das Petschaft nur durch Sie oder Ihre Schwester erhalten haben.«

»Ich habe es ihm nicht gegeben und in meinem Besitze ist es auch nie gewesen.«

»Der Gerichtsschreiber Spellerberg ist dringend verdächtig, die Fälschung in das Actenheft gelegt zu haben, damit sie dem Gerichtsrath in die Hände falle. Durch seine Flucht hat er diesen Verdacht zur Gewißheit gemacht!«

»Ich weiß nichts davon.«

»Sie waren mit ihm bekannt?«

»Ja.«

»Wann haben Sie ihn kennen gelernt?«

»Vor mehreren Jahren. Ich hatte als Candidat längere Zeit in dem Hause seiner Mutter gewohnt.«

»Sie haben ihn einige Tage, ehe das gefälschte Testament gefunden wurde, wiederholt besucht?«

»Ganz recht. Ich wußte, daß er hierher versetzt war und habe ihn aufgesucht, da ich mit ihm befreundet war und in dem Hause seiner Mutter manche Liebe genossen habe.«

»Spellerberg hat in den letzten Tagen viel Geld verthan, von wem hat er dasselbe erhalten?«

»Von mir nicht.«

»Sie wissen auch nichts davon?«

»Nein.

»Hat Ihre Schwester um die Fälschung gewußt?«

»Nein.«

»Woher wissen Sie das so bestimmt.«

»Weil sie mir jedenfalls davon gesagt haben würde, denn vor mir hatte sie kein Geheimniß.«

»Sie haben auch Maks in der letzten Zeit wiederholt besucht.«

»Natürlich, denn er war mein künftiger Schwager.«

»Sie leugnen Alles!« sprach der Untersuchungsrichter endlich ungeduldig. »Hoffen Sie wirklich, sich dadurch einen Dienst zu erweisen oder uns von Ihrer Unschuld zu überzeugen?«

»Ich gebe nur der Wahrheit die Ehre, mehr nicht und auch nicht weniger,« entgegnete der Pfarrer mit salbungsvollem Tone. »Es ist eine harte Prüfung, als eines Verbrechens Beschuldigter hier zu stehen, ich werde sie indeß mit Ruhe und Fassung ertragen, weil ich weiß, daß der Herr den züchtigt, den er liebt. Es ist eine Prüfung!«

»Treiben Sie keinen Spott mit dem Namen des Herrn!« unterbrach ihn der Untersuchungsrichter unwillig. »Ihre Frömmigkeit hat sich bereits in einem solchen Lichte gezeigt, daß Niemand mehr daran glaubt. Sie beharren also bei Ihrem Leugnen?«

»Ich beharre bei der Wahrheit! Es ist schon Mancher seines Glaubens wegen verspottet und verfolgt, selbst der Herr!«

»Schweigen Sie!« unterbrach ihn der Richter noch einmal. »Schon mancher Verbrecher hat, wenn er hier stand, geglaubt, durch Leugnen sich retten zu können, er hoffte die Richter zu täuschen und dachte nicht daran, daß er dadurch jede mildere Beurtheilung seines Verbrechens ausschloß. Dies thun auch Sie!«

»Ich will Niemand täuschen, denn ich spreche die Wahrheit!«

Der Richter klingelte.

»Bringen Sie den Verhafteten zurück in seine Zelle,« sprach er zu dem eintretenden Gerichtsdiener. »Sie werden dort vielleicht zu der Erkenntniß kommen, daß Sie sich durch ein offenes Geständniß am Meisten nützen,« wandte er sich an Hake. »Die Klugheit wird Sie dazu treiben, denn von Ihnen erwarte ich nicht, daß Sie Reue über ihre That empfinden!«

Mit demselben festen Schritte, mit welchem Hake eingetreten war, verließ er das Zimmer wieder. Er gab sich das Ansehen eines unschuldigen Dulders, der mit innerem Laute die über ihn verhängte Prüfung trägt. Nur sein dunkles, stechendes Auge verrieth seine Erregung und Erbitterung. Flüchtig blickte er sich um, als er in den zu dem Gefängnisse führenden Gang gebracht wurde, er schien einen Weg zur Flucht zu suchen, zu fest behielt ihn indeß der Gerichtsdiener im Auge, denn er hatte von dem frommen Herrn, der ein so schweres Verbrechen begangen hatte, nicht die beste Meinung.

An demselben Tage wurde auch Maks verhört. Er trat ängstlich, scheu auf. Das Bewußtsein seiner Schuld drückte ihn nieder, denn er hatte keine Hoffnung auf Rettung und kannte die Strafe, welche ihn erwartete, sehr genau.

Zwar versuchte auch er anfangs zu leugnen, als der Untersuchungsrichter ihm indeß mittheilte, daß Hake alle Schuld auf ihn geworfen, gewann seine Erbitterung auf den Pfarrer die Ueberhand, denn dieser allein war es, der ihn in das Verderben geführt hatte.

»Ja, ich habe die Fälschung begangen, ich will es offen eingestehen,« sprach er. »Aber nicht ich allein habe es gethan, sondern Hake hat dabei geholfen. In seinem Kopfe ist die Idee entstanden, er kam zu mir, um mich dazu zu überreden und so sehr ich mich auch sträubte, er verstand alle Bedenken in mir zu überwinden. Zu meinem Unglücke habe ich auf ihn gehört. Er hat Lessens Namen unterzeichnet, er brachte mir das Petschaft des Verstorbenen und hat das Testament Spellerberg übergeben, damit er dasselbe in ein Actenheft lege, welches der Gerichtsrath in die Hand bekommen mußte. Als ich die Fälschung bereits beendet hatte, gereute es mich, ich wollte sie wieder vernichten, allein fast mit Gewalt hat Hake sie mir entrissen. Ich weiß, daß dies meine Schuld nicht mildern wird, da er indeß die ganze Verantwortung mir aufzubürden sucht, so habe ich die volle Wahrheit gesprochen.«

»Verhält es sich wirklich so, wie Sie gesagt haben?« warf der Gerichtsrath ein.

»Ja. Ich habe nichts hinzugesetzt und auch nichts verschwiegen. Ich bin mit Hakes Schwester verlobt und war mit dem Erbe zufrieden, das ihr jedenfalls als Lessens Frau zu Theil werden mußte, er hat indeß das Verlangen nach mehr in mir erregt, weil seine eigene Habsucht ihn trieb. Er hat Lessen vorzugsweise überredet, seine Schwester als Universalerbin einzusetzen, er hat dem schwachen und kranken Manne sogar mit ewiger Strafe gedroht, wenn er sein Verlangen nicht erfülle, dafür hat die Schwester ihm einen so großen Theil ihres Erbes Versprechen müssen!«

»Wann haben Sie sich mit des Pfarrers Schwester verlobt?«

»Schon vor Jahren. Hake trennte uns damals, weil sie Lessen heirathen sollte. Als er meiner zum Anfertigen des Testamentes bedurfte, verhieß er mir wieder die Hand seiner Schwester, die ja bald frei werden mußte, da Lessen schon im Sterben lag.«

»Auch Sie sollen den Kranken überredet haben, zu Gunsten seiner Frau zu verfügen?«

Maks schwieg einen Augenblick und schien zu überlegen, ob ihm dies schaden könne.

»Ja,« erwiederte er dann. »Ich habe es auf Hakes Drängen gethan.«

»Bei der Fälschung des Testamentes ist auch Hakes Schwester betheiligt gewesen?«

»Nein.«

»Sie hat indeß darum gewußt?«

»Auch das nicht

»Weshalb wollen Sie in diesem Punkte die volle Wahrheit nicht eingestehen?«

»Ich spreche die Wahrheit.«

»Es ist durchaus unwahrscheinlich, daß sie nicht darum gewußt haben sollte, denn ihre Interessen wurden am meisten dadurch gefördert.«

»Sie hat nicht darum gewußt,« wiederholte Maks. »Hake wünschte, daß es für sie ein Geheimniß bleibe, da er befürchtete, daß sie dagegen sein werde.«

Er suchte Pauline zu retten, um später, wenn er die Freiheit wieder erlangt hatte, an ihr einen Stützpunkt zu gewinnen.

»Ihr Bruder brauchte deshalb wohl nicht so sehr besorgt zu sein,« bemerkte der Richter. »Ihr ganzes Benehmen während der Testamentaufnahme und nach dem Tode ihres Mannes ist nicht ein derartiges gewesen, daß ihr Charakter dadurch im besten Lichte erscheint. Sie hat ihrem Gatten nicht einmal eine Thräne nachgeweint, sondern unverhohlen ihre Freude über den Tod desselben gezeigt.«

»Ich bin bei Lessen's Tode nicht zugegen gewesen, ich glaube indeß, daß sie zu hart beurtheilt wird. Sie hat Lessen nie geliebt, sondern nur auf das Zureden ihres Bruders geheirathet; trotzdem hat sie den alten Mann treu gepflegt.«

»Um seine Gunst zu erwerben,« warf der Richter ein. »Sie hat nur aus Berechnung gehandelt. Als die Fälschung entdeckt wurde, war ihr Benehmen im höchsten Grade verdächtig.«

»Ich habe kein Urtheil darüber, da ich auch dabei nicht zugegen war.«

Pauline benahm sich bei ihrem Verhöre mit der größten Fassung und Ruhe. Sie spielte die unbefangene und Unschuldige und trug eine tiefe Trauer über das Vergehen ihres Bruders zur Schau.

»Es ist mir unbegreiflich, wie er dazu gekommen ist,« sprach sie, den Blick zu Boden geheftet und nur dann und wann langsam zum Untersuchungsrichter aufschlagend. »Es kann nur in einer Stunde der Verblendung geschehen sein, in der er vom Bösen heimgesucht ist.«

Ihre eigene Theilnahme an der Fälschung und auch die Kenntniß derselben stellte sie durchaus in Abrede.

»Es würde anders gekommen sein, wenn mein Bruder es mir mitgetheilt hätte,« bemerkte sie. »Nimmermehr hätte ich meine Einwilligung gegeben. Ich würde lieber auf Alles verzichtet haben, ehe ich mir auf unrechte Weise einen Thaler angeeignet.«

»Sie waren nicht so sehr bedenklich und zartfühlend, als Sie Ihren Mann mit seinen eigenen Söhnen entzweiten!« warf der Untersuchungsrichter ein. »Hat Lessen seine Söhne nicht fast enterbt? Dagegen scheint sich Ihr Gefühl und Gewissen nicht gesträubt zu haben!«

Eine leichte Röthe glitt über Paulinens Wangen hin, sie bewahrte indeß ihre volle Ruhe.

»Herr Richter,« sprach sie die Augen langsam aufschlagend. »Sie kennen die Verhältnisse nicht aus eigener Anschauung. Ich war meinem Gatten zu Dank verpflichtet, denn als er um meine Hand warb, war ich ein armes Mädchen und er war reich. Sein Wille war mir deshalb stets Gebot. Ich habe ihn nicht mit seinen Söhnen entzweit, sondern Alles aufgeboten, sie zu versöhnen. Sein Herz war gut, das Alter hatte ihn indeß eigensinnig gemacht. Ich selbst habe seine Launen stets mit der größten Geduld ertragen, ich wußte, daß es die Verstimmungen des Alters und seines geschwächten Körpers waren.«

»Ich kann Ihnen die Unwahrheit Ihrer Worte beweisen. Als Lessen sich mit seinen Söhnen zu versöhnen wünschte und nach ihnen verlangte, haben Sie ihn getäuscht, Sie haben ihm gesagt, daß Sie seinen Söhnen geschrieben hätten. – Dies war eine Unwahrheit. Ja, als dieselben gegen Ihren Willen und Ihr Erwarten kamen, suchten Sie dieselben fast mit Gewalt von ihrem Vater fern zu halten!«

»Ja, ich habe dies gethan, weil ich für das Leben meines Gatten besorgt war. Ich wußte, wie schwach er war und daß er eine solche Erregung nicht zu ertragen vermochte. Meine Befürchtung hat mich nicht getäuscht, sein Tod wurde durch die Aufregung hervorgerufen.«

»Durch die Aufregung, in welche Ihr Bruder ihn versetzt hat!«

»Mein Bruder hat nur versucht ihn zu beruhigen.«

»Gegen seinen Willen.«

»Er mag vielleicht geirrt haben, jedenfalls hat er es in der besten Absicht gethan!«

»Und als Ihr Mann todt war, weinten Sie nicht eine Thräne ihm nach!«

»Herr Richter, dem tiefsten Schmerze ist oft die Linderung der Thränen versagt. Es würde mir leichter ums Herz gewesen sein, wenn ich hätte weinen können.«

»Mit diesem Schmerze stimmt es wenig überein, daß Sie Ihre Hand schon wenige Tage später einem anderen Manne versprachen.«

»Ich habe Maks nur versprochen, die Seinige zu werden, wenn ich den Schmerz über den Tod meines Gatten überwunden habe.«

»Wenn das Gemüth von wirklichem Schmerze erfüllt ist, giebt man nicht solche Versprechungen.«

»Es mag sein, daß ich darin gefehlt habe, gewiß aber nicht aus bösem Willen!«

»An demselben Tage, an welchem Ihr Mann gestorben war, wiesen Sie den alten und treuen Diener desselben in der härtesten Weise aus dem Hause.«

»Ich entließ ihn aus dem Dienste, da ich seiner nicht mehr bedurfte.«

»Sie drohten, ihn durch Ihre Leute aus dem Hause werfen zu lassen, wenn er nicht sofort gehe.«

»Das habe ich nicht gethan, denn ich bin einer solchen Härte nicht fähig. Der alte Mann hat meine Worte vielleicht härter aufgefaßt, als sie gemeint waren. Ich glaubte ihm einen Dienst zu erweisen, indem ich ihn sofort von einer Verpflichtung entband.«

»Genug!« unterbrach sie der Richter unwillig über ihre fromme Duldermiene, mit der sie die größten Unwahrheiten sagte und ihr Unrecht noch zu einer guten Handlung zu stempeln suchte. »Sie verstehen es, vortrefflich sich den besten Schein zu geben, als ob Ihr Herz keines Unrechtes und keiner Härte fähig wäre. Ich bedaure, daß Sie auf mich nicht den geringsten Eindruck dadurch hervorrufen und daß ich Ihren Worten keinen Glauben schenken kann, denn die Thatsachen, welche vorliegen, beweisen das Gegentheil Ihrer Worte!«

Er klingelte und befahl dem eintretenden Gerichtsdiener die Verhaftete in ihre Zelle zurückzuführen.

Pauline wollte noch etwas erwidern, der Richter schnitt ihr indeß das Wort ab.

»Es ist hier nicht der Ort, um Komödie zu spielen,« sprach er ernst. »Die Maske, welche Sie tragen, ist etwas zu durchsichtig, vielleicht gefällt es Ihnen später, dieselbe abzulegen!«

Pauline warf ihm einen erbitterten Blick zu und verließ schweigend das Zimmer.


Die Voruntersuchung gegen Georg war beendet, der Staatsanwalt erhob die doppelte Anklage wegen schweren Diebstahls und Vernichtung einer Urkunde gegen ihn, der Termin, in welchem die Geschworenen über sein Verbrechen das Verdikt sprechen sollten, war anberaumt.

Der Tag erschien. Die That des Alten war viel besprochen und hatte das größte Aufsehen erregt. Es war eine Seltenheit, daß Jemand nur im Interesse eines Anderen zum Verbrecher wurde. Eine edle Absicht hatte den Angeklagten getrieben und doch war er ein Verbrecher geworden.

Der Schwurgerichtssaal war von Zuhörern gefüllt. Weniger die Neugierde als wirkliche Theilnahme hatte sie herbeigeführt, sie wollten den Mann sehen, der ein solches Opfer gebracht hatte. Paul hatte seine Vertheidigung übernommen.

Athemlose Stille herrschte, als Georg gebeugt, aber doch ruhig, auf die Anklagebank schritt. Das waren nicht die Züge eines Verbrechers, Wohlwollen und Zufriedenheit sprach aus seinem Gesichte.

Auf der Zuhörertribüne sprachen wohl Manche die Ansicht aus, die Geschworenen müßten ihn freisprechen, weil er durch seine That nur Gutes beabsichtigt und auch erreicht habe.

Die Verhandlung nahm ihren gesetzlichen Fortgang.

Nachdem die Anklage vorgelesen war, begann der Präsident das Verhör des Angeklagten. Georg legte ein offenes Geständniß ab, ganz in der ruhigen und eingehenden Weise, wie vor dem Untersuchungsrichter. Er verschwieg nicht, daß er Pauline und ihren Bruder gehaßt und ihnen die Erbschaft nicht gegönnt habe, deshalb würde er indeß das Verbrechen nicht begangen haben. Seine Absicht war gewesen, den letzten Willen seines Herrn zu erfüllen und den Söhnen desselben zu ihrem Rechte zu verhelfen.

»Sind Sie sofort auf diese Idee gekommen?« fragte der Präsident.

»Nein. Ich sann nur auf einen Weg, das Vermögen meines Herrn für dessen rechtmäßige Erben zu retten,« gab Georg zur Antwort. »Ich fand keinen andern Weg. Anfangs schreckte ich vor dem Gedanken zurück. Ich sollte ein Verbrechen begehen und mein ganzes Leben war ein rechtschaffenes gewesen, ich sollte meinen Namen beflecken, den ich immer rein erhalten. Ich dachte auch an meinen Sohn daß ich ihm Unrecht thue, und dieser Gedanke hat mir den Entschluß am Schwersten gemacht. Ich habe dennoch die That vollbracht, ich weiß, daß sie ein Verbrechen ist und als solches bestraft wird, dennoch bereue ich sie nicht, denn was ich durch sie erreichen wollte, habe ich erreicht.«

Da ein offenes Geständniß vorlag, war das Verdikt der Geschworenen nicht erforderlich. Der Staatsanwalt stellte den Strafantrag. Er erkannte selbst die edle Absicht an, welche den Angeklagten zu der That getrieben hatte, dem Gesetze mußte indeß Genüge geleistet werden. Er beantragte das geringste gesetzlich zulässige Strafmaß.

Paul erhob sich. Mit ergreifenden Worten schilderte er, welche Gefühle ihn erfüllten, indem er einen Mann vertheidigte, der ihm von Jugend an als ein Vorbild der Rechtschaffenheit und Treue vorgeschwebt habe, dessen ganzes Leben in unantastbarer Redlichkeit hingeflossen sei, der für ihn mit eine That begangen habe, welche das Gesetz als Verbrechen hinstelle. Er bedauerte, diese Thatsache zugeben zu müssen, da der Angeklagte sie selbst offen eingeräumt. Dann schilderte er das Leben Georgs in dem Hause seines Vaters, seine Treue und Hingebung, sein vollständiges Verwachsen mit den Interessen der Familie, seine Opferbereitwilligkeit, die sich in Tausend kleinen Zügen bewiesen habe.

»Ich kann dreist behaupten, daß er das, was er gethan, in dem Gefühle väterlicher Freundschaft gegen meinen Bruder und mich gethan hat, daß er sich berufen und verpflichtet fühlte, ein Unrecht nicht zuzulassen, welches gegen uns gerichtet war. Ja, er hat nach dem Sinne des Gesetzes ein Verbrechen begangen, allein in diesem Verbrechen gipfelt sich die Größe seiner Treue und Opferbereitwilligkeit. Seine Ehre, seinen Namen, sein Gewissen brachte er zum Opfer, um den letzten Willen seines Herrn zu erfüllen. Unter anderen Verhältnissen würde er durch einen Orden für seine Treue belohnt sein, das Gesetz nennt seine That ein Verbrechen, für mich ist sie der Beweis einer rührenden, treuen Liebe, die That eines edlen Herzens, möge der Gerichtshof dieselbe nicht härter beurtheilen und sich bewußt sein, daß er das Urtheil über einen edlen Mann ausspricht!«

Mit voller Begeisterung hatte er gesprochen. Er brauchte nur auszudrücken, was sein Herz empfand.

Ein lautes Bravo erschallte von der Tribüne, und der sonst strenge Präsident wies dasselbe nur mit einer abwehrenden Bewegung der Hand zurück, weil in seiner Brust ähnliche Empfindungen wohnten, welche Paul ausgesprochen.

Georg hatte still und regungslos dagesessen, langsam rannen über seine alten Wangen die Thränen herab. Er wußte, daß er zum Zuchthause verurtheilt werde, dennoch erschien ihm dieser Augenblick wie ein Triumph, da er sein Lob mit so begeisterten Worten aus Pauls Munde vernahm. Was galt ihm die Strafe gegen solche Genugthuung!

Er erfaßte Pauls Hand und hielt sie einige Augenblicke schweigend in der seinigen.

Der Gerichtshof zog sich zurück, trat indeß schon nach kurzer Zeit wieder in den Saal.

Der Präsident sprach offen sein Bedauern aus, daß er ein Urtheil über einen Mann aussprechen müsse, dem er, obschon derselbe als Schuldiger auf der Anklagebank sitze, seine volle Achtung und Theilnahme nicht versagen könne. Der Gerichtshof habe auf das mildeste Strafmaß erkannt, zugleich aber beschlossen, den Verurtheilten der Gnade des Fürsten zu empfehlen.

Trotzdem der Gerichtshof nicht mehr thun konnte, ertönte von der Zuhörertribüne ein Zeichen des Unwillens. Einzelne schienen doch erwartet zu haben, daß Georg freigesprochen werde.

Ohne mit einer Miene zu zucken hörte Georg das Urtheil an, er war auf diese Strafe gefaßt und fügte sich in Geduld. Nur als sein Sohn weinend zu ihm trat, war seine Ruhe für kurze Zeit dahin, erschüttert schloß er ihn in die Arme. Dann ließ er sich still durch den Gerichtsdiener fortführen.

 

Die Verhandlung hatte auf Alle, welche ihr beigewohnt, einen erschütternden Eindruck gemacht. Der Verurtheilte hatte das Unrecht eines bethörten Vaters zu sühnen gesucht, dafür mußte er die Strafe erleiden. Mehr noch als bisher richtete sich deshalb der allgemeine Unwille gegen diejenigen, welche Lessen bethört hatten, gegen den Pfarrer, gegen Pauline und Maks.

Auch gegen diese war die Voruntersuchung beendet und die Gerichtsverhandlung für wenige Tage später anberaumt.

Der Staatsanwalt hatte auch gegen Pauline die Anklage wegen Fälschung aufrecht erhalten, obschon kein directer Beweis gegen sie vorlag und ihre beiden Mitschuldigen sowohl ihre Theilnahme an dem Verbrechen wie ihre Kenntniß von demselben beharrlich leugneten.

Die Schwurgerichtsverhandlung, vor welcher diese drei Angeklagten standen, machte einen ganz anderen Eindruck, als diejenige, in welcher Georgs That entschieden war.

Wieder waren die Tribünen mit Neugierigen überfüllt und mit Zeichen des Unwillens empfingen sie die drei Angeklagten, als dieselben im Saale erschienen.

Hake trat fest und dreist auf. Unwillig fuhr sein Auge durch den Saal hin, als wolle er Ruhe gebieten und fast drohend blieb sein Blick einen Augenblick lang auf den Tribünen haften. Seine Wangen waren bleich, allein kein Zug der Reue war auf seinem Gesichte bemerkbar. Er hatte sich noch dieselbe Dreistigkeit, ja Frechheit bewahrt, mit der er zuerst dem Untersuchungsrichter entgegengetreten war. Sein ganzer innerer Hochmuth trat offen zu Tage.

Maks wagte kaum aufzublicken. Nur einmal glitt sein Auge flüchtig durch den Saal hin. Er war gebeugt und ängstlich. In seiner Brust schien keine Hoffnung mehr zu wohnen und er besaß nicht den Muth, das, was er selbst verschuldet, mit Fassung zu tragen. Die kurze Haftzeit hatte ihn fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt, denn sein Gesicht war eingefallen und bleich, ihm hatten die lustigen Stunden hinter dem Weinglase gefehlt und er besaß nicht die geringste moralische Kraft, selbst nicht einmal Trotz, wodurch er sich hätte aufrecht halten können. Er erregte mehr Mitleid als Unwillen, zumal es bekannt geworden, daß er nur ein Werkzeug des Pfarrers gewesen war.

Pauline trat mit niedergeschlagenen Augen, voll äußerer Demuth ein, sie spielte die Rolle der Frommen und Geprüften, die alle Leiden mit stiller Duldung über sich ergehen ließ, weiter.

Gegen sie und ihren Bruder richtete sich von vornherein der ganze Unwille des Publikums.

Es wurde eine bewegte, fast stürmische Verhandlung.

Nachdem die Anklage vorgelesen war, begann der Präsident das Verhör zuerst mit Hake. Fest, den Kopf emporgerichtet, stand dieser da, es war fast, als ob er der Präsident, nicht der Angeklagte sei. Er war in seinen Antworten dreist, sich überhebend und jede Rücksicht auf den Ort, wo er stand, vergessend. Mehr als einmal unterbrach ihn der laute Unwille des Publikums, der Präsident wies dasselbe in der strengsten Weise zur Ruhe und drohte sogar, die Tribünen räumen zu lassen, allein auch ihn ärgerte sichtbar das Benehmen des Angeklagten, denn auch ihm verwies er mehrfach sein dreistes Benehmen.

»Von Ihnen hätte ich am meisten Reue über Ihre That erwartet,« sprach er. »Da Ihre Stellung als Pfarrer Sie von einem Verbrechen nicht zurückgehalten hat, so sollte dieselbe Ihnen zum Wenigsten so viel Tact verleihen, daß Sie mit Bescheidenheit hier aufträten und in Demuth sich in Ihr selbst verschuldetes Geschick fügten!«

»Ich weise diese Worte auf das Entschiedenste zurück,« entgegnete Hake. »Ich habe keine Veranlassung zur Reue, denn mit der That, deren ich angeklagt bin, habe ich nichts zu schaffen gehabt. Ich füge mich nur dem Richter in Demuth, der allein im Stande ist, der Menschen Herzen und Nieren zu prüfen. Was Menschensatzungen anbetrifft, so sind sie menschlich und des Menschen Auge, wie sein Geist sind beschränkt. Ich beuge mich vor keiner Menschenmacht!«

»Ich werde Sie durch die Macht, welche in meine Hand gelegt ist, zwingen, hier bescheiden und wie es Ihnen als Angeklagter gebührt, aufzutreten!« rief der Präsident.

Hake blieb hartnäckig dabei, jede Theilnahme an dem Verbrechen der Urkundenfälschung zu leugnen. Seine Verblendung war nicht zu begreifen, denn außer dem offenen Geständnisse Maks lagen so viele Beweise für seine Schuld vor, daß eine freche Stirn dazu gehörte, trotzdem seine Unschuld zu versichern. Er konnte unmöglich hoffen, bei den Geschworenen und Richtern Glauben zu finden, es schien sein Leugnen mehr eine Folge seines Hochmuthes zu sein, der sich nicht bezwingen konnte, eine Schuld offen einzugestehen.

Den Anspruch auf eine mildere Beurtheilung verscherzte er sich selbst.

Maks gestand sein Vergehen offen ein. Er wiederholte dieselbe Aussage, welche er bereits vor dem Untersuchungsrichter gemacht hatte. Hake unterbrach ihn mehrere Male, bis der Präsident drohte, ihn fort in das Gefängniß zurück bringen zu lassen. Der zur Ruhe Gewiesene warf dem früheren Freunde die erbittertsten Blicke zu. Ob er erwartet hatte, daß dieser alle Schuld auf sich allein nehmen werde?

Maks hatte die volle Wahrheit gestanden, das dreiste Leugnen des Pfarrers erbitterte indeß auch ihn und er erzählte noch mehrere Thatsachen aus Hake's Leben, welche auf den Charakter desselben nicht das beste Licht warfen.

Jede Mitschuld Paulinens stellte er in Abrede.

Pauline leugnete wie ihr Bruder. Ihr Benehmen war indeß schüchtern, sie blickte nicht auf und sprach so leise, daß kaum der Präsident sie verstehen konnte.

Der Staatsanwalt hielt die Anklage gegen alle drei aufrecht, die Vertheidiger der Angeklagten hatten eine schwere Aufgabe, für ihre Klienten einzutreten, nur der Vertheidiger Paulinens sprach für deren Freisprechung.

Die Geschworenen zogen sich zurück und es währte lange, ehe sie ihre Berathung und Beschlußfassung beendet hatten. Das Publikum erwartete sie mit der größten Unruhe.

Endlich kehrten sie zurück und der Obmann derselben verkündete das Verdict: Dasselbe lautete auf Schuldig gegen Hake und Maks und auf Nichtschuldig gegen Pauline.

Das Publikum nahm diese Freisprechung sehr unwillig auf. Maks beugte sich zu der neben ihm Sitzenden und flüsterte ihr einige Worte zu. Paulinens Wangen hatten sich leicht geröthet, ihre Brust athmete rasch, sie schien selbst ihre Freisprechung nicht erwartet zu haben.

Der Staatsanwalt stellte den Strafantrag, der Gerichtshof zog sich zurück und der Präsident verkündete dann das Urtheil: es lautete gegen Hake auf zwei und ein halbes Jahr Zuchthaus, gegen Maks auf zwei Jahre. Die härtere Strafe, die den Pfarrer betroffen, hielt der Präsident gerechtfertigt, weil er der Haupturheber der Fälschung gewesen sei und durch sein hartnäckiges Leugnen und freches Auftreten jede mildere Beurtheilung selbst ausgeschlossen habe.

Mit halb geschlossenen Augen und fest aufeinander gepreßten Lippen hatte Hake das Urtheil angehört. Er zitterte leise und hielt sich mit der Rechten an der Brüstung der Anklagebank.

Der Präsident richtete noch die Mahnung an ihn, endlich in sich zu gehen und seine That zu bereuen.

»Das habe ich mit mir selbst und meinem Gotte abzumachen,« erwiderte er.

Die Verurtheilten wurden in das Gefängniß zurückgeführt und selbst Pauline wurde nicht augenblicklich in Freiheit gesetzt, da ein Theil des Publikums über ihre Freisprechung so sehr erbittert war, daß sie sicherlich mißhandelt wäre, wenn sie sofort das Gerichtsgebäude verlassen hätte.

Erst gegen Abend verließ sie heimlich den Ort, wo sie so lange Tage und Nächte zugebracht hatte.


Die Erbschaftsangelegenheit wurde nun endlich geregelt und entschieden. Paul und Hermann traten in ihre natürlichen Rechte als Erben ein und Pauline erhielt den Theil, der ihr gesetzlich als Lessen's Gattin zukam, derselbe war nicht unbedeutend, so daß sie einer sorgenlosen Zukunft entgegensah.

Paul übernahm das Gut, da Hermann keine Neigung dazu hatte und es ihm auch an Umsicht zur Verwaltung desselben fehlte.

»Ich hoffe, ein guter Oekonom zu werden,« sprach Paul zu dem Bruder. »Ich werde meine Unkenntniß Anfangs vielleicht ziemlich theuer bezahlen, allein der Mensch wird am Schnellsten durch Schaden klug und ich habe Lust zur Landwirthschaft. Es wird mir das größte Vergnügen bereiten, die Prozesse der Natur kennen zu lernen und ihr Gewinne abzuringen, die gerichtlichen Prozesse haben mir den Kopf oft genug warm gemacht und ich habe oft am Wenigsten verdient, wo ich im größten Rechte war.«

Das Geschick Georgs vergaß er nicht. Durch das richterliche Erkenntniß unterstützt, wandte er sich an den Fürsten, um Begnadigung Georgs und der Fürst setzte des Alten Strafe auf ein Jahr Gefängniß herab.

Georg war seit seiner Verurtheilung auffallend still und ruhig geworden, ebenso auffallend war aber auch sein Körper zusammengebrochen. Lächelnd nahm er die Nachricht seiner Begnadigung auf, als ihm Paul dieselbe überbrachte.

»Ich danke Ihnen,« sprach er, Paul's Hand drückend.

»Diese Begnadigung erfreut mich, weil ich daraus ersehe, wie milde meine That beurtheilt wird. Genießen werde ich sie freilich wohl nicht. Ein Jahr ist eine lange Zeit, so lange hält dieser alte Körper nicht mehr zusammen – ich sehne mich auch nach Ruhe!«

»Du sollst sie finden, aber bei mir auf dem Gute,« entgegnete Paul. »Dort soll Niemand Deinen Lebensabend stören und nicht als Diener, sondern als mein väterlicher Freund wirst Du dorthin zurückkehren. Der Tag Deiner Freilassung wird für uns der schönste Festtag werden!«

Des Alten Auge leuchtete, dennoch schüttelte er zweifelnd mit dem Kopfe.

»Sie meinen es gut mit mir, ich weiß es,« sprach er, »ich fühle indeß, daß es bald mit mir zu Ende geht. Ich bin zufrieden damit, denn ich weiß, daß diejenigen, welche ich liebe, meiner gern gedenken werden. Es wurde mir Anfangs schwer, stets allein in meiner Zelle zu sein, jetzt habe ich mich daran gewöhnt und fühle mich am Wohlsten, wenn ich allein bin. Es liegt ein langes Leben hinter mir und im Geiste lebe ich es noch einmal durch, das Alter hat ja ohnehin weiter keine Freude als die Erinnerung.«

Vergebens versuchte Paul, neue Lebenshoffnung in ihm zu erwecken, die Ahnungen Georgs hatten diesen nicht getäuscht. Schon nach wenigen Monaten verschied er ruhig und zufrieden.

 

Paul hatte sein Wort, welches er Georg einst in Betreff Heinrich's gegeben, gehalten, ebenso Hermann. Heinrich gab seine Stellung als Schreiber auf und fing eine Wirthschaft an. Das Glück war ihm günstig, denn Eins hatte er von seinem Vater geerbt, eine strenge Rechtschaffenheit.

Pauline hatte die Stadt verlassen und sich in einen entfernt gelegenen kleinen Ort zurückgezogen. Den Sturm, der so drohend an ihr vorübergegangen war, schien sie schnell vergessen zu haben. Das Schicksal, welches ihren Bruder betroffen, berührte sie sehr wenig, denn zum erstenmale seit Jahren empfand sie das Gefühl der Freiheit von seinem Joche. Sie athmete frei auf und sie war noch nicht alt genug, um auf die Freuden des Lebens zu verzichten.

Sie brauchte sich nicht einzuschränken und hatte ihre Wohnung in behaglichster Weise eingerichtet. Allein saß sie eines Abends in ihrem Zimmer, als die Thür leise geöffnet wurde und rasch die Gestalt eines Mannes eintrat.

Erschrocken führ sie empor. Sie wollte um Hülfe rufen, der Eingetretene kam ihr indeß zuvor.

»Still! Still!« rief er mit gedämpfter Stimme. Erkennst Du mich nicht?«

»Maks!« rief Pauline, bestürzt einen Schritt zurücktretend. Erst seine Stimme hatte ihn verrathen, an seinen eingefallenen Zügen würde sie ihn nicht erkannt haben.

»Ich bin es!« fuhr ihr früherer Verlobter fort. »Bist Du allein?«

»Ja,« gab Pauline geängstigt zur Antwort, denn die Augen des früheren Advokaten glitten scheu und suchend durch das Zimmer hin. Es lag ein Ausdruck in diesen Augen, der sie besorgt machte. »Woher kommst Du?« fügte sie fragend hinzu.

»Ich bin aus dem Zuchthause entflohen,« entgegnete Maks, indem er die Thür hinter sich abschloß. »Seit mehreren Tagen und Nächten irre ich wie ein gehetztes Wild umher, nur durch einen Zufall habe ich erfahren, daß Du hier wohnst. Sieh mich nicht so starr an! Ich weiß, daß ich mich verändert habe, oder glaubst Du, die Luft in einem Zuchthause sei sehr gesund? Glaubst Du, das Leben dort sei ein angenehmes? Und Deinetwegen habe ich das Alles ertragen!«

»Meinetwegen?« warf Pauline ein.

»Ja Deinetwegen und weil Dein Bruder mich verführt hat!« fuhr der Flüchtige fort. »Hättest Du nicht die Früchte genossen, wenn unser Plan geglückt wäre? Du scheinst schon vergessen zu haben, was ich für Dich gethan. Verdankst Du mir nicht auch Deine Freiheit?«

»Die Geschworenen haben mich freigesprochen,« erwiderte Pauline, welcher der Besuch immer unheimlicher wurde.

»Weil ich Deine Mitschuld verschwiegen habe. Oder glaubst Du, daß Du auch frei gesprochen sein würdest, wenn ich gesagt hätte, daß Du um die Fälschung gewußt und Deine Einwilligung gegeben hättest? haha! dann hättest Du die Luft im Zuchthause kennen gelernt!«

Pauline preßte die Lippen aufeinander und sann auf einen Weg, um Maks zu entfernen.

»Sei still,« sprach sie. »Ich habe es nicht vergessen, obschon Dein Zeugniß allein nicht gegen mich ausgereicht haben würde. Was willst Du jetzt beginnen?«

»Ich kann nur eins beginnen – fliehen! Ich glaube man ist mir bereits auf der Spur. Meine Flucht aus dem Zuchthause habe ich mit fast übermenschlichen Kräften durchgeführt, seit Tagen habe ich jede menschliche Wohnung vermieden, jetzt sind meine Kräfte erschöpft – ich fühle es. Kannst Du mich nicht wenigstens einen Tag hier verbergen, bis ich mich wieder erholt habe?«

»Unmöglich!« rief Pauline, schon vor diesem Gedanken zurückschreckend.

»Du fürchtest Dich, daß man Deinen früheren Verlobten bei Dir finde, Du schämst Dich seiner und hast doch das Zuchthaus verdient so gut wie er! Das ist der Dank! Ich kann heute indeß nicht weiter fliehen – ich werde hier bleiben, mag es kommen, wie es will!«

Erschöpft warf er sich auf einen Stuhl.

Pauline war in der peinlichsten Verlegenheit – was sollte sie beginnen? Die verschiedensten Gedanken schossen durch ihren Kopf hin. Ihr Herz empfand kein Mitleid mit dem Herabgekommenen, mit dem Manne, den sie einst geliebt. Sollte sie heimlich zur Polizei senden und seinen Aufenthalt verrathen? Sie würde es gethan haben, wenn sie nicht befürchtet hätte, daß er ihre Mitschuld verrathen werde.

»Du kannst unmöglich hier bleiben, schon Deiner eigenen Sicherheit wegen,« sprach sie. »Du mußt Deine Flucht fortsetzen, ich werde Dich mit Geld unterstützen, so wenig ich augenblicklich auch selbst habe!«

»Freilich Universalerbin bist Du nicht geworden!« fuhr Maks fort. »Es ist Schade, daß der Plan nicht gelungen, denn dann hättest Du in eigener Equipage spazieren fahren können, aber Du bist immerhin noch reich. Oder meinst Du, ich kenne Lessens Vermögen nicht und weiß nicht, wie viel Dir hat zufallen müssen? Ich bin nur hierher gekommen, um mir Geld zu holen, ich bin ja Dein Verlobter und Dein Retter, ohne mich säßest Du jetzt auch im Zuchthause – ich will sehen, wie hoch Du das Alles schätzest.«

Pauline war kaum im Stande ihre Verlegenheit zu verbergen. Sie begriff nicht, wie sie diesen Mann hatte lieben können, sie empfand einen Abscheu gegen ihn und sollte ihm obenein noch ein Geldopfer bringen.

»Ich werde Dir geben, soviel als ich habe,« entgegnete sie und trat an ihren Secretär. Eine Geldrolle nahm sie aus demselben und reichte sie Maks.

Der Flüchtige hatte jede ihrer Bewegungen mit den Augen verfolgt, er kannte sie und ihre Verlegenheit rief ein spöttisches Lächeln auf seinem Gesicht hervor. Sein Mund zuckte, als er die Rolle in die Hand nahm, hastig durchbrach er sie und seine Braunen zogen sich zusammen, als er bemerkte, daß sie nur Silber enthielt. Mit dieser geringen Summe, mit diesen wenigen Thalern wollte sie ihn abfinden? Dies war ihr Dank?

»Ist dies Alles, was Du mir giebst?« fragte er.

»Ich habe nicht mehr,« entgegnete Pauline, ihr Gesicht halb abwendend, damit es sie nicht verrathe.

Maks warf das Geld auf den Tisch.

»Hoffst Du wirklich, daß ich Dir Glauben schenke?« rief er. »Vor kurzer Zeit erst hast Du so viel erhalten und jetzt sollten nur diese wenigen Thaler in deinem Besitze sein? Du bist sehr freigebig!«

»Ich habe nicht mehr,« versicherte sie noch einmal. »Gieb mir Nachricht, wohin Du Dich wendest und ich werde Dir Geld schicken!«

»Nein!« rief Maks heftig, »ich bin nicht mehr ein solcher Thor, Dir Glauben zu schenken, denn ich sehe ja, wie kurz Dein Gedächtniß ist. Ich hätte es ahnen können, fließt doch dasselbe Blut in Deinen Adern wie in denen Deines Bruders. Er ist so schlecht, daß ich mich in Gedanken mit Abscheu von ihm abwende und Du bist nicht besser! Lessen war Euer Wohlthäter und Ihr habt ihn langsam gemordet, weil Ihr die Zeit nicht erwarten konntet, bis er todt war und Ihr sein Vermögen erbtet. Deinen Bruder hat das verdiente Geschick ereilt, es wird auch Dich noch treffen. Ich glaubte nicht nöthig zu haben, Dir gegenüber zu fordern, ich muß es aber thun!«

Pauline zitterte vor Aufregung. Seine Worte erbitterten sie, je mehr er Recht hatte.

»Fordern?« wiederholte sie. »Hast Du ein Recht zu fordern? Was ich Dir gebe ist ein Geschenk und hängt von meinem freien Willen ab.«

Maks unterbrach sie, indem er laut auflachte.

»Jetzt tritt Dein wahrer Charakter hervor!« rief er. »Wie fromm und demüthig Du warst, als Du vor den Geschworenen standest, als Dein Geschick von meinen Lippen abhing! Ich habe ein Recht zu fordern! Willst Du mir mehr geben?«

Pauline zögerte einen Augenblick mit der Antwort.

»Nein,« erwiederte sie dann trotzig.

»So werde ich mir nehmen was mir zukommt,« bemerkte Maks, sprang auf und eilte an den Secretär.

Pauline stürzte zu ihm, um ihn zurückzuhalten; mit überlegener Kraft stieß er sie zurück.

»Ich werde Hülfe rufen!« rief die Geängstigte, denn schon hatte er den Sekretär geöffnet.

»Thue es!« entgegnete Maks. »Man wird mich zum Zuchthause zurückführen, allein Du sollst mit mir gehen, Du sollst auch die Luft dort kennen lernen, so wahr ich hier vor Dir stehe!«

Ihr Mund verstummte. Noch einmal stürzte sie auf Maks zu, als derselbe eine Schublade öffnete, in der sie fast ihre gesammten Werthpapiere barg, die Kraft der Verzweiflung hatte sie erfaßt, allein auch ihn belebte dieselbe Kraft, als er den Reichthum vor sich erblickte, die nicht allein seine Freiheit rettete, sondern auch seine Zukunft sicherte.

Er stieß sie so heftig zur Seite, daß sie zurücktaumelnd niederfiel. Ihr Kopf schlug gegen den Tisch, sie wollte sich wieder emporraffen, ohnmächtig brach sie zusammen.

Maks bemerkte es nicht. Hastig raffte er die Werthpapiere und das Geld, welches vor ihm lag, zusammen und barg es im Rocke; dann trat er zurück. Er sah die, welche er einst geliebt, ohnmächtig am Boden liegen, ohne sich indeß um sie zu kümmern, stürmte er mit den Schätzen, die er bei sich barg aus dem Zimmer und dem Hause in die dunkle Nacht hinein. –

 

Erst nach geraumer Zeit kam Pauline wieder zu sich. Sie konnte sich des Geschehenen nicht sofort entsinnen, nur der Kopf schmerzte ihr heftig. Erst als ihr Blick auf den geöffneten Sekretär fiel, kehrte die Erinnerung zurück. Sie sprang empor und eilte an den Sekretär, mit einem lauten Aufschrei sank sie indeß auf einen Stuhl, als sie die Schublade, in der sie ihr Vermögen geborgen, leer sah.

Mühsam rang sie nach Athem und Fassung. Sie wollte dem Räuber nachstürzen, wohin hatte er sich gewendet? Sie wollte Hilfe rufen, der Polizei Anzeige machen, allein sie mußte seine Ergreifung fürchten, denn dann war auch sie verloren. Sie rang verzweiflungsvoll die Hände – das Verlorene war unrettbar verloren und ihr war kaum so viel übrig geblieben, daß sie davon ihr Leben fristen konnte. Das Glück hatte sich von ihr gewandt! –

Maks entkam glücklich nach Amerika. Pauline lebte still und beschränkt. All die Pläne für die Zukunft, welche sie aufgebaut hatte, waren vernichtet. Als nach Jahren ihr Bruder aus dem Zuchthause entlassen wurde, zog sie mit ihm nach der Residenz – dort sind sie verschollen!

* * *


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