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Erzählung.
Dicht vor dem Thore der Festung M. lag die Villa der Frau von Matten. Das nicht große, aber außerordentlich freundliche Gebäude hatte bereits die Aufmerksamkeit manches Fremden erregt, denn halb versteckt unter den schattigen Zweigen hoher Linden lag es still da, unberührt von dem Geräusche und dem Treiben der lebhaften Stadt. Und stiller noch war es in dem großen und sorgfältig gepflegten Garten, welcher sich hinter der Villa ausdehnte. Weite Rasenplätze und prächtige Baumgruppen wechselten mit einander ab, dazwischen schimmerten Beete mit duftigen Blumen.
Auf der offenen Veranda der Villa, welche nach dem Garten zu gelegen war, saß die Besitzerin dieses reizenden Grundstückes, die Frau von Matten, eine bereits bejahrte Dame, deren weißes Haar ihrem Gesichte einen würdigen und zugleich milden Ausdruck verlieh. Sie schien leidend zu sein, denn sie war in eine Decke gehüllt, welche sie gegen jeden Luftzug schützte. Ihr Gesicht war bleich und abgezehrt, dennoch erhielt es durch das freundliche Lächeln, welches den Mund umspielte, einen angenehmen Ausdruck. Die Züge verriethen, daß sie einst sehr hübsch gewesen sein mußten, die Jahre und ein bewegtes Leben hatten indeß längst den letzten Hauch der Jugend aus ihnen verweht.
Frau von Matten hatte in demselben Hause einst das glücklichste Leben geführt. Von ihrem Manne geliebt, von drei Kindern umspielt, reich und geachtet, war ihr kaum ein Wunsch übrig geblieben. Da hatte ihr der Tod in rascher Folge erst die Kinder und dann auch den Gatten geraubt. Sie war dem Schmerze fast erlegen, die Zeit hatte indeß auch an ihr ihre mildernde und heilende Kraft bewährt. Nur eine stille, wehmüthige Trauer war ihr geblieben.
Wenn sie allein dasaß auf der Veranda und in den Garten blickte, dann kehrten ihre Gedanken in eine längst vergangene Zeit zurück. Die Gänge und Rasenplätze belebten sich, muntere Kinder sah sie darauf spielen, und unter den Bäumen hervor sah sie die hohe, schlanke Gestalt eines Mannes treten, der ihr freundlich zunickte. Es waren dies die Bilder der Vergangenheit.
Auch jetzt gab sie sich diesen Lieblingserinnerungen hin und wurde nicht gewahr, daß der Abend rasch hereingebrochen war und unter den Bäumen bereits Dämmerung herrschte Erst als ein junges Mädchen auf die Veranda trat und sich, ihr näherte, richtete sie sich aus ihrer träumenden Stellung empor und blickte die Nahende freundlich an.
»Bist Du noch nicht fort, Thekla?« fragte sie.
Die Genannte mochte kaum 20 Jahre zählen, eine mittelgroße zarte Gestalt. Die Züge ihres hübsche, Gesichts waren fein geschnitten, die großen, braunen Augen blickten lebhaft – es lag ein besonderer Glanz in ihnen. Eine leichte Röthe hatte ihre Wangen bedeckt.
»Nein, nein,« entgegnete sie fast hastig, mit Mühe eine innere Erregung verbergend. »Ich wollte nicht früher fortgehen, als bis Sie sich zur Ruhe begeben haben.«
»Du bist ein gutes Mädchen,« fuhr die alte Dame fort und streckte Thekla die Hand entgegen. »Was sollte ich beginnen, wenn ich Dich nicht hätte! Du pflegst mich, als wenn ich Deine Mutter wäre – ja, liebevoller hätte auch meine Tochter nicht für mich sorgen können,« fügte sie in Gedanken versinkend hinzu.
Thekla hielt die Hand der alten Frau noch in der ihrigen. Sie war schon seit Jahren in dem Hause der Frau von Matten und hing an ihr wie an einer Mutter.
»Wollen Sie sich nicht auf Ihr Zimmer begeben? Der Abend ist bereits hereingebrochen,« fragte sie.
»Laß mich noch kurze Zeit hier,« gab die Greisin zur Antwort. »Die Luft ist so mild und lau, ich fühle mich heute so wohl – komm, setz' Dich zu mir.«
Thekla rückte einen Stuhl an die Seite der alten Dame und ließ sich neben ihr nieder.
»Ja, Kind,« fuhr Frau von Matten fort, »Du bist die einzige Freude meines Alters und ohne Dich würde ich ganz zerlassen dastehen. Meinen Verwandten lebe ich bereits zu lange – ich weiß es sehr wohl. Wie selten kommt mein Neffe zu mir! Und ich bin fest überzeugt, daß er gar nicht kommen würde, wenn ich nicht reich wäre und er mich zu beerben hoffte.«
»Sollte er wirklich nur deshalb kommen?« warf Thekla ein.
»Kind, ich kenne die Menschen besser als Du, die meisten haben nur ihr Interesse im Auge. Du allein machst eine Ausnahme, ich werde es Dir indeß Dank wissen, ich werde in meinem Testamente Deiner so gedenken, daß Du eine sorgenlose Zukunft hast. Bis zu meinem Tode mußt Du indessen bei mir bleiben, in Deinen Armen will ich sterben …«
»Sprechen Sie nicht von Ihrem Tode,« unterbrach Thekla sie bittend.
»Wer ein Leben mit so vielen Schmerzen hinter sich liegen hat, wie ich, der fürchtet den Tod nicht,« fuhr die alte Dame fort. »Er erscheint mir wie eine Erlösung, wie eine Wiedervereinigung mit Denen, welche mir vorausgegangen sind.« –
Der Abend machte sich bemerkbar, ein kühlerer Luftzug strich über die Veranda hin. Die Kranke zog die Decke höher empor.
»Es wird zu kühl für Sie,« mahnte Thekla.
»Du hast Recht,« entgegnete Frau von Matten, indem sie sich langsam erhob. »Ich habe auch ganz vergessen, daß Du Deine Freundin heute Abend besuchen willst. Sie wird Dich bereits erwarten – nun geh, Kind, ich werde mich allein auf mein Zimmer begeben, ich fühle mich heute ja sehr wohl. Sage Louisen, daß ich ihrer beim Auskleiden nicht bedarf, ich will allein sein und werde schellen, wenn ich ihrer benöthigt bin.«
Thekla erbot sich, so lange zu warten, bis die alte Dame sich zur Ruhe begeben habe.
»Nein, nein!« wehrte diese ab. »Ich quäle Dich armes Mädchen ohnehin genug, nun geh und sei recht heiter!«
Sie ließ sich von Thekla nur bis zu ihrem Zimmer geleiten, küßte sie auf die Stirn und drängte sie dann sanft fort.
Die Brust des jungen Mädchens athmete erleichtert und frei auf. Thekla liebte die Frau von Matten, sie pflegte dieselbe mit der größten Freude; dennoch hatte es sie an diesem Abende mit der größten Ungeduld fortgetrieben und sie war kaum im Stande gewesen, ihre sich steigernde Erregung zu verbergen. Sie eilte auf ihr Zimmer, nahm ein schon bereitgehaltenes Bündel unter ihr Tuch und verließ rasch damit das Haus.
Der Abend war völlig herein gebrochen und der so heitere Tag sollte noch sehr unfreundlich endigen. Der Wind hatte sich erhoben, der Himmel sich außerordentlich rasch mit grauen Wolken überzogen, so daß der Regen Thekla bereits in das Gesicht schlug, als sie auf einem nur durch wenige Bäume geschützten Wege dahin eilte. Der Regen that ihr wohl, er kühlte ihre glühenden Wangen und für ihr Vorhaben hätte sie kein günstigeres Wetter wünschen können.
Keine Furcht überkam sie, als sie allein in der Dunkelheit und auf dem einsamen Wege dahin eilte, ihre Gedanken waren nur auf einen einzigen Gegenstand gerichtet. Es galt die Rettung ihres Geliebten, welcher als Gefangener auf der nahen Citadelle saß.
Seit zwei Jahren war sie mit demselben, einem jungen Arzte Namens Fortmann, heimlich verlobt. Auf einer Reise hatte sie ihn kennen gelernt und ihre Herzen hatten sich schnell gefunden. Nur ihr Bruder, ein junger Beamter, und eine alte Frau, welche einst in dem Hause ihrer Eltern gedient hatte, wußten um das Geheimniß, selbst Frau von Matten hatte keine Ahnung davon.
Da hatte Fortmann, ein feuriger, leidenschaftlicher Kopf, im Jahre 18** sich in eine politische Verbindung eingelassen, es waren Briefe bei ihm gefunden, welche ihn sehr blosstellten, er war verhaftet, des Hochverraths angeklagt und zu zehn Jahren Festungsstrafe verurtheilt. Eine harte Strafe für eine That, die nicht mehr war als eine jugendliche Schwärmerei oder Thorheit.
Mit wunderbarer Charakterstärke hatte Thekla jeden Schmerz über das Geschick ihres Geliebten zurückgehalten und verborgen, sie war kaum weniger heiter erschienen, Tag und Nacht hatte sie indeß der eine Gedanke beschäftigt, ihren Verlobten zu befreien.
Sie hatte ihren Bruder in ihr Geheimniß gezogen, derselbe besaß indeß zu wenig Muth, um sie thatkräftig zu unterstützen. Da hatte ihre frühere alte Dienerin Doris sich erboten, ihr beizustehen. Sie besaß einen Verwandten auf der Citadelle, einen Wärter, und hatte deshalb täglich freien Zutritt in den Festungsraum. Durch sie erhielt Fortmann von Thekla Nachricht, daß sie ihn befreien werde, durch sie empfing er Instrumente, um die eisernen Gitterstäbe seiner Kasematte zu durchsägen, und ein Seil, an dem er sich von der hohen Mauer hinablassen konnte.
Alles war bis dahin geglückt und dieser Abend war für Fortmann's Flucht bestimmt. Mit bangem Herzpochen hatte Thekla den Abend hereinbrechen sehen und deshalb schlug ihr Herz leichter, als der Wind ihr den Regen in das Gesicht trieb, weil dies Wetter die Flucht ihres Geliebten erleichtern mußte …
Doris befand sich in der Citadelle bei ihrem Verwandten, um die Aufmerksamkeit von dem Gefangenen abzulenken. Theklas Bruder erwartete diese an einer vorher bestimmten Stelle, um Fortmann, wenn seine Flucht von der Citadelle gelungen war, bei seinem weiteren Entkommen behülflich zu sein. Nach diesem Orte eilte Thekla. Unter ihrem Tuche trug sie die Kleidungsstücke, durch welche ihr Geliebter sich unkenntlich machen sollte.
Sie erreichte den Ort, wo ihr Bruder sie erwartete. Aufgeregt schritt derselbe auf und ab, Thekla erkannte ihn sofort und eilte zu ihm.
»Heinrich, es ist gut, daß Du hier bist!« sprach sie, die Hand des Bruders erfassend. »Der Himmel selbst scheint unserem Vorhaben günstig zu sein, denn dieser Wind und Regen muß Fortmanns Flucht erleichtern, die Wachen werden weniger aufmerksam sein, der Sturm übertönt jedes Geräusch.«
»Ich bereue, daß ich mich in diese Gefahr begeben habe,« versetzte Heinrich, der seine Unruhe nicht verbergen konnte.
»In welche Gefahr?« fragte Thekla.
»Wenn die Flucht entdeckt oder wenn Fortmann wieder verhaftet wird, dann sind auch wir verloren,« fuhr der junge Mann fort. »Ich verliere meine Stellung und komme vielleicht selbst dann auf die Festung; es ist eine Thorheit gewesen, daß ich Deinen Bitten nachgegeben habe!«
»Heinrich, Du wirst nicht entdeckt werden,« entgegnete Thekla. »Oder glaubst Du, daß Fortmann Dich verrathen würde, wenn seine Flucht mißlingen sollte? Du kennst ihn nicht, sonst würdest Du wissen, daß er eher sein Leben opfern, als diejenigen, welche ihn befreien wollten, verrathen würde. Oder traust Du mir zu, daß ich je Deinen Namen nennen würde?«
»Nein, nein,« versetzte Heinrich, dessen Aufregung durch diese Versicherung nicht beruhigt war. »Wir sind indeß nicht die Einzigen, welche um die Flucht wissen.«
»Nur Doris weiß noch darum und auch ihr Mund wird Dich nie verrathen, sie ist zuverlässig und klug.«
Heinrich zuckte mit der Schulter, er schritt noch immer unruhig auf und ab.
»Weshalb hat Fortmann sich in ein so thörichtes, ja wahnsinniges Unternehmen eingelassen!« fuhr er fort. »Hat er irgend etwas dadurch erreicht? Sein Lebensglück hat er dadurch vernichtet und auch das Deinige und er wird vielleicht auch noch Andere in sein unglückliches Geschick mit hineinziehen!«
»Heinrich, laß uns nicht über das einmal Geschehene rechten,« unterbrach ihn Thekla. »Nenne seinen Schritt, den ich nie gebilligt habe, eine Thorheit – er hat sie bereits schwer genug büßen müssen. Du kennst nicht seinen leicht erregbaren, leidenschaftlichen Sinn, er mag verblendet gewesen sein, allein seine Absicht ist eine edle gewesen. Soll er deshalb hinter jenen Mauern verkommen? – Zehn Jahre in der dumpfen, feuchten Kasematte würden ihm den sicheren Tod gebracht haben, er hätte sie nicht überwunden, weil ich weiß, wie glühend sein Herz für die Freiheit schlägt.«
»Du überschätzest die Gefahr,« bemerkte Heinrich. »Er würde sich an die Gefangenschaft gewöhnt haben, wie sich schon so mancher hat daran gewöhnen müssen.«
»Er hätte sich nie daran gewöhnt!« unterbrach ihn Thekla. »Du bist nicht immer so herzlos gewesen! Du bringst für Fortmann ein Opfer – ich werde es nie vergessen, allein nicht einen Augenblick lang würde er gezögert haben, dasselbe für Dich zu thun!«
Ein Geräusch in dem mit Wasser gefüllten Festungsgraben, welcher die Citadelle umgab, unterbrach sie. Hastig eilte sie an den Rand des Grabens. Deutlich war zu vernehmen, daß sich Jemand durch das Wasser durcharbeitete.
Mit angehaltenem Athem hatte Thekla sich vornüber gebeugt, ihr Ohr lauschte, ihr Auge suchte die Dunkelheit zu durchdringen.
»Georg – Georg!« rief sie mit leiser Stimme.
»Du wirst uns verrathen – sei still!« unterbrach sie Heinrich, indem er sie zurückzuziehen versuchte.
Thekla schob den Arm des Bruders zur Seite; sie hörte seine Worte kaum. Das Pochen ihres Herzens verrieth ihr, daß der Geliebte in der Nähe war, obschon sie ihn noch nicht sah.
»Georg!« rief sie aufs Neue und etwas lauter.
»Ich bin es!« tönte eine Stimme aus dem Graben zurück.
»Gerettet! Gerettet!« jauchzte Thekla auf. Sie folgte der Stimme, die ihr aus dem Graben entgegengetönt war, sie warf ein Seil, welches sie mitgebracht hatte, hinab, sie befestigte es an der Einfriedigung und schon wenige Minuten später sah sie eine dunkle Gestalt an dem Seile langsam emporklimmen.
Alles vergessend, eilte sie auf ihn zu; sie zog ihn empor und umschlang ihn mit beiden Armen.
»Georg! Georg! Gerettet!« waren die einzigen Worte, welche sie hervorzubringen vermochte. Tage- und Wochenlang hatte sie sich beherrscht, jeden Schmerz, jede Aufregung zurückgedrängt, sie hatte gelächelt, während ihr Herz geblutet, jetzt war ihre Kraft dahin, heftig schluchzend ruhte ihr Kopf an der Brust des Geliebten.
»Thekla – Dir verdanke ich mein Leben – meine Freiheit!« sprach der Gerettete und küßte sie auf Mund und Stirn. Seit langer Zeit hielt er die Geliebte zum ersten Male wieder mit seinen Armen umschlungen; in mancher trüben Stunde, wenn er von der Verzweiflung gepackt war, hatte er bereits die Hoffnung, sie je wieder zu sehen, aufgegeben.
Die Sorge um den Geliebten gab Thekla schnell die Fassung zurück.
»Dem Himmel sei Dank, daß Deine Flucht gelungen ist!« sprach sie. »Noch ist sie nicht entdeckt, die Nacht ist Dir günstig, nun zögere nicht länger, Dich aus der Nähe dieser Mauern zu entfernen. Georg, wohin willst Du Dich wenden?«
»Ich weiß es nicht, wohin das Geschick mich werfen wird,« erwiderte Fortmann, durch diese Frage an seine traurige Lage erinnert, denn er besaß nichts als die einfache, durchnäßte Kleidung, welche er trug. »Wenn es mir gelingt, das Land zu verlassen, dann werde ich Amerika zu erreichen suchen. Schwere Tage werden mir bevorstehen, ich will indeß jeden bangen Gedanken von mir scheuchen und die Freiheit, welche ich Dir verdanke, mir zu erhalten suchen.«
»Fliehe nach Amerika!« bat Thekla. »Hier hast Du ein Mittel dazu. Hier ist Geld und Kleidung, Georg, biete Alles – Alles auf, um Dich zu retten.«
Einen Augenblick lang zögerte der Flüchtling, das Geld, welches Thekla ihm reichte, anzunehmen.
»Nimm – nimm, Georg!« fuhr Thekla drängend fort. »Wenn Du einst einen sicheren Zufluchtsort erreicht hast, dann folge ich Dir dorthin, denn mein Herz läßt nicht von Dir und auch das Deinige wird mir treu bleiben.«
»Ewig, ewig!« rief Georg und umschloß sie noch einmal mit den Armen.
Hastig legte er die ihm von Thekla gereichte Kleidung an, Heinrich, welcher hinzugetreten war, drängte zur Flucht und doch zögerte er. Er hielt die Hand der Geliebten fest in der seinigen und er konnte sie noch nicht loslassen. Wußte er, ob er sie je wieder berühren würde? Er hatte Thekla so viel zu sagen und doch kam kein Wort über seine Lippen. Das Gefühl der Freiheit, die Freude, die Geliebte wiederzusehen und der Schmerz des Abschiedes stürmte durch sein Brust hin. Er war ein fester und entschlossener Charakter und doch rannen ihm die Thränen über die Wangen. Welches Glück hatte er durch seine Thorheit verscherzt! Er preßte die Hand vor die Stirne – es gab keine Macht, um das einmal Geschehene ungeschehen zu machen.
»Georg – wir müssen scheiden!« sprach Thekla endlich.
»Benutze die Zeit, ehe Deine Flucht entdeckt wird. Oh, wenn ich mit Dir fliehen könnte, mein Herz würde leichter sein, ich könnte für Dich wachen und sorgen.«
Auch Heinrich drängte zur Eile.
Georg raffte sich gewaltsam zusammen. öù
»Thekla – Thekla, bleib mir treu!« rief er. Er umfaßte sie leidenschaftlich, küßte sie wieder und wieder, riß sich dann endlich von ihr los und eilte fort in die dunkle Nacht.
»Georg, wir sehen uns wieder!« rief Thekla ihm nach, sie stand regungslos da, so lange sie noch seine Gestalt sehen konnte, dann war es ihr, als ob sie ihn für immer verloren habe und halb bewußtlos brach sie zusammen.
Heinrich sprang ihr zu Hülfe.
»Fasse Dich – komme, ehe wir hier entdeckt werden,« sprach er. »Seine Flucht kann nicht lange verborgen bleiben, man wird ihn suchen und uns hier finden.«
Thekla hörte ihn kaum. Nun Georg gerettet war, hatte sie keine Furcht mehr. Mochte es entdeckt werden, daß sie ihn befreit hatte, mochte die Strafe sie ereilen – freudig würde sie dieselbe für ihn ertragen haben.
Mühsam richtete sie sich empor. Sie wollte dem Bruder folgen, ihre Kraft verließ sie.
»Verlaß mich – eile zur Stadt zurück,« bat sie. »Ich werde allein zurückkehren – nur wenige Minuten lang will ich mich noch erholen.«
Heinrich gab ihrer Bitte nach und verließ sie, die Besorgniß um die eigene Sicherheit war überwiegend. Er suchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß er ohnehin die Schwester nur eine kurze Strecke hätte begleiten können. Aengstlich waren seine Augen auf die dunkeln Mauern der Citadelle gerichtet, jeden Augenblick glaubte er auf denselben eine Kanone aufblitzen zu sehen, welche das Zeichen gab, daß ein Gefangener entflohen war.
Thekla war allein zurückgeblieben, zusammengekauert auf einem Steine saß sie da. Der Regen schlug ihr in das Gesicht, sie empfand es nicht, ihre Gedanken begleiteten den Geliebten, der durch die stürmische Nacht dahin eilte, und in ihrem Innern rief eine Stimme leise: »Du hast ihn befreit! Ohne Dich würde er verkümmert und verkommen sein dort hinter jenen dunklen Mauern!«
Sie wußte selbst nicht, wie lange sie dort gesessen hatte – durchnäßt, fröstelnd richtete sie sich endlich empor und eilte heim. Es war bereits spät am Abende, denn auf der Straße sah sie nur noch wenige Menschen.
Leise schlüpfte sie in das Haus und in ihre Stube.
An der Thür des Schlafzimmers der Frau von Matten horchte sie – es war Alles still, die alte Dame schien ruhig zu schlafen. Auch sie begab sich zur Ruhe, allein kein Schlaf senkte sich auf ihre Augen. Sie hörte auf den Regen, welcher an das Fenster schlug, und lauschte, ob nicht der dumpfe Ton der Kanone, welcher das Entspringen eines Gefangenen von der Citadelle verkündete, zu ihr dringe. Stunden waren bereits seit der Flucht Georgs verschwunden und noch war dieselbe nicht entdeckt. Sie berechnete im Geiste, welchen Vorsprung der Flüchtling während dieser Zeit erlangt hatte, sie sah ihn im Geiste mit Stumm und Regen kämpfen allein er war frei – frei!
Der Morgen nahte schon, als die Ermüdung endlich den Sieg über ihre Aufregung davon trug und sie einschlief. Im Hause war noch Alles still. Der Tag war bereits hereingebrochen, als sie durch den dumpfen Ton von drei Kanonenschüssen erweckt wurde. Erschreckt fuhr sie empor. Jetzt war Georgs Flucht entdeckt, sie wußte, daß dieselbe unmöglich länger geheim bleiben konnte, und doch durchzuckte sie ein banges Gefühl. Vielleicht waren in diesem Augenblicke bereits Häscher auf seiner Spur.
Nur der Gedanke beruhigte sie, daß er die ganze Nacht Zeit zur Flucht gehabt hatte, vielleicht war er bereits so weit, daß seine Verfolger ihn vergebens suchten.
Sie erhob sich und kleidete sich an. Niemand durfte errathen, was in ihr vorging; jetzt war die Verstellung für sie indeß unendlich leichter, als zu der Zeit, wo sie ihren Schmerz gewaltsam hatte zurückhalten und verbergen müssen.
In dem Zimmer der Frau von Matten war es noch still. Thekla horchte an der Thür, ohne einen Laut drinnen zu vernehmen. Sollte die alte Dame, welche so früh wach zu sein pflegte, noch schlafen? Sie wollte vorsichtig die Thür öffnen, dieselbe war von innen verschlossen, sie rief leise den Namen der Alten, keine Antwort erfolgte. Ein banges Gefühl bemächtigte sich ihrer, sie suchte es zurückzudrängen. Als indeß eine Stunde vergangen war und drinnen immer noch Alles still blieb, als auf ihr Pochen an der Thür keine Antwort erfolgte und selbst der Dienerschaft der lange Schlaf ihrer Herrin bereits aufgefallen war, vermochte sie die Befürchtung, daß der alten Dame ein Unfall zugestoßen sei, nicht länger zurückzuhalten.
Alles Rufen und Pochen an der Thür blieb ohne Antwort. Da kam der Diener aus dem Garten und theilte mit, daß ein Fenster in dem Schlafzimmer der Frau von Matten offen stehe. Thekla erschrak noch heftiger, sie kannte die Vorsicht der alten Dame – es mußte etwas Außerordentliches vorgefallen sein.
Auf ihren Befehl stieg der Diener vom Garten aus durch das Fenster in das Zimmer, um die Thür zu öffnen.
Angstvoll harrte Thekla vor derselben. Endlich wurde die Thür geöffnet – das bestürzte Gesicht des Dieners ließ sie das Schlimmste befürchten.
»Sie scheint todt zu sein,« sprach der Diener.
»Todt – todt!« rief Thekla erbleichend und stürzte in das Zimmer zu dem Bette. Erschreckt taumelte sie einen Schritt zurück, als ihr die todten und starren Züge der alten Frau entgegenblickten. Sie hielt sich an einem Tische, um nicht umzusinken. Noch hielt sie es nicht für möglich, allein aus den weitgeöffneten, glanzlosen Augen der Daliegenden sprach kein Leben mehr.
Die Dienerschaft hatte sich ihr nachgedrängt in das Zimmer – sie bemerkte es kaum, zu gewaltsam stürmte das Geschehene auf sie ein.
»Hier ist ein Verbrechen geschehen – die Herrin ist ermordet!« rief der Diener.
Thekla blickte sich um. Erst jetzt bemerkte sie die im Zimmer herrschende Verwirrung. Der Secretär der alten Dame, in welchem sie ihr Geld und ihre Werthsachen barg, war erbrochen, Papiere lagen zerstreut am Boden umher … der Diener hatte Recht, es blieb kaum ein Zweifel übrig.
Noch vermochte Thekla den entsetzlichen Gedanken nicht zu fassen. Sie ergriff die kalte Hand der Todten, sie rief laut deren Namen – der Mund, der so manches freundliche Wort zu ihr gesprochen hatte, blieb geschlossen.
Der Eindruck war für Thekla ein zu gewaltiger, mit einem Aufschrei brach sie bewußtlos zusammen.
Die Nachricht des Geschehenen hatte sich sofort unter allen Bewohnern des Hauses verbreitet. Der Diener war fortgeeilt zur Polizei, und als Thekla wieder zu sich kam, traten bereits zwei Polizeibeamte in das Zimmer.
Die Todte wurde untersucht; blaue, dunkle Flecke an dem Halse derselben verriethen deutlich, daß sie ermordet war, sie war erdrosselt. Das verriethen auch die starren, noch geöffneten Augen der Todten, die krampfhaft zusammengeballten Hände.
Den beiden Polizeibeamten folgte nach kurzer Zeit ein Polizeikommissar. Nachdem auch er von dem Thatbestande sich überzeugt hatte, begann er nach den näheren Umständen zu forschen. Der Diener erzählte, was er wußte, daß er durch den auffallend langen Schlaf seiner Herrin besorgt geworden sei und dann das geöffnete Fenster bemerkt habe.
Thekla saß noch immer regungslos da, wirre Gedanken stürmten durch ihren Kopf hin. Ihre Herrin war ermordet, während sie nicht im Hause gewesen war. Wenn die Polizei nachforschte, wo sie gewesen war, konnte nicht leicht entdeckt werden, daß sie Georg befreit hatte? Schwer lag die Angst auf ihrer Brust, sie suchte nach einem Auswege, ohne ihn zu finden.
»Wann hat die Frau von Matten sich gestern Abend zur Ruhe begeben?« fragte der Kommissar.
Der Diener deutete ihm an, daß Thekla allein ihm genaue Auskunft darüber geben könne. Der Kommissar wiederholte noch einmal seine Frage und richtete sie an Thekla.
Nur mit dem Aufgebote aller Kräfte vermochte die Gefragte zu antworten; sie wußte kaum, was sie sprach.
»War das Fenster verschlossen, als die alte Dame sich zur Ruhe begab?« forschte der Kommissar Eichner weiter.
»Ja,« gab Thekla zur Antwort.
»Wissen Sie dies genau?«
»Ich hatte selbst die Fenster kurze Zeit zuvor geschlossen.«
»Waren Sie zugegen, als Frau von Matten sich ins Bett legte?«
»Nein. Ich begleitete sie nur bis zur Thür.«
»Weshalb nur bis zur Thür?«
Thekla zögerte mit der Antwort.
»Frau von Matten lehnte meine weitere Unterstützung ab. Sie wollte mich nicht länger zurückhalten, da ich eine Freundin zu besuchen beabsichtigte.«
»Haben Sie dies ausgeführt?«
»Ja.«
»Und wann sind Sie zurückgekehrt?«
»Es war spät geworden, es mochte ungefähr elf Uhr sein?«
»Sie schlafen in dem Zimmer nebenan?«
Thekla bestätigte es.
»Haben Sie während der Nacht irgend ein Geräusch vernommen?«
»Nein. Es war Alles still – ich habe noch lange Zeit gewacht, ohne irgend etwas zu hören.«
»Es war sehr stürmisch – wäre es nicht möglich, daß das Geräusch durch das Heulen des Windes übertönt wäre?«
»Ich weiß es nicht.«
»Dann würde also aller Wahrscheinlichkeit nach der Mord und die Beraubung während der Zeit, in der Sie bei Ihrer Freundin weilten, ausgeführt sein?« –
Thekla vermochte hierauf keine Antwort zu geben. Ihre Angst und Befangenheit hatte sich mit jeder Minute gesteigert. Was sollte sie beginnen, wenn es bekannt wurde, daß sie ihre Freundin nicht besucht? Welchen Grund für die ausgesprochene Unwahrheit sollte sie anführen? – Sie hörte kaum auf die Fragen des Kommissars, da ihre Gedanken eine ganz andere Richtung genommen hatten.
Der Kommissar untersuchte prüfend die Räumlichkeiten des Zimmers.
»Es ist zweifellos, daß der Mörder durch das Fenster entkommen ist,« sprach er, »wie ist er indeß in das Zimmer gelangt, wenn das Fenster verschlossen war? Es zeigt keine Spur, daß es mit Gewalt erbrochen ist. Wissen Sie auch ganz zuverlässig, daß Sie das Fenster verschlossen haben?«
Die Fragen und der forschende Blick machten das arme Mädchen immer verwirrter. Sie hatte versichert, es gethan zu haben, jetzt wußte sie es selbst nicht mehr genau.
»Ich glaube, es gethan zu haben,« erwiderte sie.
»Vorhin sprachen Sie es mit Bestimmtheit aus,« warf Eichner ein.
»Dann ist es auch so – meine Gedanken verwirren sich,« gab Thekla zur Antwort. Sie strich mit der Hand über die Stirn hin. Der Mann drang so unerbittlich in sie und sie vermochte das Geschehene noch nicht einmal zu fassen. Sie war so heftig erregt, daß sie zitterte und alle Anstrengung, sich Fassung zu erringen, vergebens war. Hätte sie nur eine einzige Stunde Ruhe gehabt. Die Befreiung des Geliebten, die Flucht desselben, die Besorgniß um ihn, der Schreck über die entsetzliche That – Alles hatte in einem so kurzen Zeitraume auf sie eingewirkt!
Der Kommissar wandte der Todten noch einmal seine volle Aufmerksamkeit zu, da fiel ihm ein Stückchen Zeug auf, welches die Todte in der fest zusammen geschlossenen Hand hielt. Mit Mühe zog er dasselbe aus den erstarrten Fingern es war ein Stückchen helles Zeug, vielleicht ein Stück von einem Tuche. Die unglückliche Frau schien sich mit der Kraft der Todesangst gegen ihren Mörder gewehrt zu haben, ihre Hand hatte das Stück Zeug erfaßt, abgerissen und im Tode fest gehalten. Es war dieses kleine Stück Zeug vielleicht ein wichtiger Gegenstand, um den Mörder zu entdecken und seine Schuld zu beweisen.
Sorgfältig barg es Eichner in seiner Brieftasche. Dann untersuchte er den erbrochenen Secretair. Mehrere Goldsachen und Werthpapiere lagen noch in demselben, nur das baare Geld und die Banknoten und Kassenscheine waren verschwunden.
»Wissen Sie, ob die Ermordete eine größere Summe hier im Secretair aufbewahrt hatte?« wandte er sich fragend an Thekla.
»Ich weiß es nicht,« gab Thekla zur Antwort. »Sie hatte indeß stets viel Geld im Hause.«
»Haben Sie den Secretair durchsucht, ehe ich kam?« forschte der Kommissar weiter.
»Nein – es hat Niemand einen Gegenstand angerührt. Es liegt Alles noch so, wie wir es fanden, als wir das Zimmer betraten.«
»Der Mörder ist sehr vorsichtig gewesen,« fuhr Eichner fort. »Die Werthpapiere und Schmucksachen, welche zu seiner Entdeckung führen konnten, hat er unberührt gelassen. Es scheint übrigens Jemand die That begangen zu haben, der hier im Hause nicht unbekannt war, er scheint gewußt zu haben, daß das Geld im Secretair lag, denn nur er ist erbrochen. Hegen Sie gegen irgend Jemand einen Verdacht?«
»Gegen Niemand – ich weiß nicht, wer eine so entsetzliche That begangen haben kann.«
»Wo pflegten Sie die Abende zuzubringen, wenn die alte Dame sich zur Ruhe begeben hatte?«
»In meinem Zimmer.«
»Sind Sie des Abends oft fortgegangen?«
»Nein – nur sehr selten, ich mochte meine Herrin nicht gern allein lassen.«
»Der Mörder scheint gewußt zu haben, daß Sie fortgegangen waren – haben Sie vorher über Ihren Besuch bei Ihrer Freundin gesprochen?«
»Nur zu der Frau von Matten und zu der Dienerin, als ich fortging.«
»Wußte die Dienerin, wann Sie zurückkehren würden?«
»Nein. Ich hatte ihr gesagt, daß sie mich nicht erwarten möge, weil ich den Hausschlüssel mitgenommen hatte.«
Der Kommissar verhörte nun den Diener, der, wie sämmtliche Dienstboten, seit einer Reihe von Jahren in dem Dienste der alten Dame sich befand.
Steffen – dies war der Name des Dieners – wußte wenig anzugeben. Nur auf Eins machte er Eichner aufmerksam, was vielleicht nicht ohne Bedeutung war. Die auf die Veranda führende Thür wurde selten verschlossen, weil weder in dem Garten, noch in dem Hause seit langen Jahren ein Diebstahl geschehen war. Von der Veranda konnte deshalb leicht Jemand in das Haus und durch Thekla's Zimmer in das Schlafgemach der Ermordeten gelangen.
Die Vermuthung, daß der Mörder auf diesem Wege in das Haus gedrungen sei, hatte viel für sich. Der Mörder hatte dann die Thür des Schlafgemaches von innen verschlossen und war aus dem Fenster gesprungen.
»Hatten Sie die Thür Ihres Zimmers verschlossen, als Sie fortgingen?« fragte Eichner Thekla.
»Nein, ich pflege es nie zu thun,« gab die Gefragte zur Antwort.
Der Kommissar blickte zum Fenster hinaus in den Garten. Vielleicht war auf dem Sandwege unter dem Fenster noch eine Spur zu bemerken? – Die Füße des Dieners, welcher durch das Fenster in das Zimmer gestiegen war, hatten dieselbe leider verwischt. In diesem Augenblicke fuhr von der Villa ein leichter Wagen vor und ein noch junger Herr, welcher selbst gefahren, warf die Zügel dem hinten sitzenden Kutscher zu, sprang von dem Wagen herab und eilte schnell in das Haus.
Es war der Herr von Mahlo, der nächste Verwandte und Neffe der Ermordeten. Er mochte ungefähr dreißig Jahre zählen. Auf den ersten Blick erkannte man in ihm den vornehmen reichen Mann. Seine Kleidung war gewählt, fein und etwas stutzerhaft, an seinen Händen glänzten helle Glacéhandschuhe und selbst in diesem erregten Augenblicke – denn durch einen Boten war ihm sofort das Geschehene gemeldet – fehlte das goldene Lorgnon nicht auf seiner Nase.
Die Züge des Herrn von Mahlo waren regelmäßig und sogar hübsch zu nennen und dennoch machten sie keinen angenehmen Eindruck. Das hellblonde Haar, der etwas dünne blonde Bart, die hellblauen und etwas matten, fast verschwommenen Augen verliehen seinem Gesichte einen weichlichen, fast weiblichen Ausdruck. Sein Auftreten widersprach freilich dem Ausdrucke seines Gesichtes, denn es war gewandt und sicher. Durch Uebung und das Leben schien er sich errungen zu haben, was ihm ursprünglich versagt war.
Hastig trat er in das Zimmer, in welchem die Todte lag. Die Diener machten ihm sofort Platz.
»Es ist also wirklich wahr?« rief er. »Meine Tante ist todt – nein, es ist nicht möglich!«
Der Kommissar deutete auf das Bett.
Der, Herr von Mahlo trat an dasselbe heran, den Blick auf die Todte geheftet. Einen Augenblick lang stand er regungslos da, dann fuhr er mit dem Schnupftuche flüchtig über die Augen hin, als ob er eine Thräne verwische.
»Ich habe viel an ihr verloren,« sprach er mit weicher Stimme. »Erst vor wenigen Tagen war ich bei ihr. Wenn ich damals geahnt, daß ich sie lebend nicht wiedersehen würde! So heiter reichte sie mir die Hand zum Abschiede!«
»Es konnte Niemand ihren Tod voraussehen,« bemerkte Eichner.
»Herr Kommissar, und es ist wirklich wahr, daß sie ermordet ist!« fuhr Mahlo fort. »Ich kann es nicht glauben, ich vermag den Gedanken nicht zu fassen! Die alte, gute Frau!«
Eichner zuckte mit der Achsel.
»Es ist leider wahr!« entgegnete er. »Es bleibt nicht einmal ein Zweifel übrig, daß die alte Dame ermordet und beraubt ist, sie ist erdrosselt!«
»O Gott! die arme Frau!« rief Mahlo. »Sie hat nie einem Menschen ein Leid zugefügt und hat trotzdem eines so entsetzlichen Todes sterben müssen! Hier ihre Dienerschaft wird bezeugen können, wie gut sie war, wie selten ein unfreundliches Wort aus ihrem Munde kam.«
Die bestürzten und traurigen Gesichter der Dienerschaft bestätigten die Wahrheit seiner Worte, denn der Charakter der alten Dame war ein freundlicher und milder gewesen.
»Herr Kommissar, wer hat die entsetzliche That begangen?« fuhr Mahlo fort, indem er sich an Eichner wandte.
»Ich weiß es nicht,« gab der Gefragte zur Antwort.
»Haben Sie noch keine Spur des Mörders entdeckt?«
»Noch nicht.«
»Sie müssen dieselbe entdecken! Eine solche entsetzliche That darf nicht unbestraft bleiben. Sie sagten, daß meine Tante zugleich beraubt sei, ihr Vermögen scheint also die Ursache ihres Todes geworden zu sein.«
»Alle Anzeichen sprechen dafür,« gab Eichner« zur Antwort. »Der Secretair ist erbrochen –, wie viel daraus entwendet ist, vermag ich noch nicht anzugeben, vielleicht geben die Papiere der Todten darüber Aufschlüsse.«
»Und wenn Sie das Geld wiedererlangten, meine Tante würde doch dadurch nicht in das Leben zurückgerufen?« sprach Mahlo, »hätte sie lieber ihr ganzes Vermögen verloren und lebte noch! Ich hoffe indeß, daß das Geraubte Sie auf die Spur des Mörders führen wird.«
»Der Mörder ist sehr vorsichtig gewesen, denn er hat nur das baare Geld genommen,« warf Eichner ein. »Noch habe ich weder einen Verdacht noch eine Vermuthung, nur dafür scheinen mehrere Beweise zu sprechen, daß er hier im Hause nicht fremd gewesen ist.«
»Woraus schließen Sie dies?« fragte Mahlo.
»Er hat gewußt, daß die alte Dame ihr Geld in diesem Secretair aufbewahrte, denn nur er ist erbrochen,« gab Eichner zur Antwort. »Er hat aller Wahrscheinlichkeit seinen Weg durch das Zimmer des Fräuleins genommen, er muß also gewußt haben, daß das Fräulein gestern Abend nicht zu Hause war.«
»Fräulein Belitz. Sie waren nicht zu Hause?« fragte Mahlo, sich an Thekla wendend, welche an das Fenster getreten war.
»Ich besuchte eine Freundin,« erwiderte Thekla.
»Wußte meine Tante darum?« forschte Mahlo weiter.
»Gewiß. Ohne ihre Einwilligung würde ich das Haus nicht verlassen haben.«
»Und wann sind Sie heimgekehrt?«
»Es mochte elf Uhr sein.«
»Herr Kommissar, ist es erwiesen, daß die That während der Abwesenheit des Fräuleins geschehen ist?« fragte Mahlo.
»Erwiesen nicht, allein alle Anzeichen sprechen dafür,« entgegnete Eichner. »Das Fräulein hat während der Nacht nicht das geringste Geräusch vernommen und, wie ich bereits bemerkt habe, der Mörder scheint durch das Zimmer des Fräuleins gedrungen zu sein.«
»War dasselbe nicht verschlossen?«
»Nein.«
Herr von Mahlo bewegte halb zweifelnd und halb bedenklich den Kopf.
»Es ist mir unbegreiflich,« sprach er halb zu sich selbst. »Meine Tante war äußerst vorsichtig, sogar ängstlich, wie alte, alleinstehende Damen gewöhnlich zu sein pflegen. Sollte sie sich zur Ruhe begeben haben, wenn die Thür zu ihrem Zimmer nicht verschlossen war?«
Eichner vermochte darauf nichts zu erwidern, er hatte die alte Dame nur sehr flüchtig gekannt. Er theilte Mahlo Alles, was sich durch die vorläufige Untersuchung ergeben hatte, mit.
Mahlo winkte ihn zur Seite.
»Herr Kommissar, haben Sie wirklich keinen Verdacht?« fragte er mit leiser Stimme, so daß von den Umstehenden Niemand seine Worte hören konnte. »Bitte, sprechen Sie sich gegen mich ganz offen aus.«
»Ich habe noch keinen Verdacht,« entgegnete Eichner.
»Dann bitte ich Sie, auf die Dienerschaft ein scharfes Auge zu haben!« fuhr Mahlo fort.
Eichner blickte ihn fragend an.
»Ich will Niemand beschuldigen,« sprach Mahlo, den fragenden Blick bemerkend, »ich kann auch Niemand beschuldigen, aufgefallen ist mir indeß, was Ihnen selbst nicht entgangen ist, daß der Mörder die Verhältnisse und auch die Räumlichkeiten des Hauses genau gekannt haben muß. Meine Tante hatte sehr wenig Umgang, es kamen selten Fremde zu ihr und von denen, welche sie besuchten, ist natürlich Niemand eine solche That zuzutrauen.«
»Sie vermuthen also, daß Jemand von der Dienerschaft die That begangen habe?« fragte Eichner. »Soviel mir bekannt ist, stehen alle bereits seit Jahren in dem Dienste der Ermordeten.«
»Sie fassen meine Worte zu scharf auf,« bemerkte Mahlo. »Ich will durchaus Niemand beschuldigen, sondern spreche gegen Sie nur das offen aus, was sich mir aufgedrängt hat, – Sie sind ja ein zu erfahrener Mann, als daß Sie sich irgend wie dadurch würden beirren lassen. Ist es so unmöglich, daß einer der Dienerschaft Verwandte oder Bekannte hat, welche mit den Verhältnissen dieses Hauses bekannt geworden sind und nun dieselben benutzt haben? – Kann dies nicht ohne Wissen der Dienerschaft geschehen sein? –
Herr Kommissar, bieten Sie Alles, was in Ihren: Kräften steht, auf, um den Mörder zu entdecken, Sie dürfen auf meine volle Dankbarkeit rechnen. Ich bin der nächste Verwandte der unglücklichen Frau und halte es für meine Pflicht, Alles zu thun, damit ihr Tod nicht ungesühnt bleibt. Vor längerer Zeit machte meine Tante mir den Vorschlag, zu ihr zu ziehen. Ich lehnte es ab, weil ich glaubte, hier nicht Raum genug zu haben und offen gestanden auch, weil ich befürchtete, das tägliche und engere Zusammenleben könne unser gutes Einvernehmen beeinträchtigen, jetzt mache ich mir Vorwürfe, denn wenn ich hierher gezogen wäre, würde diese entsetzliche That jedenfalls nicht geschehen sein. Wie konnte ich ahnen, daß es so kommen werde.«
»Sie gehen zu weit,« bemerkte Eichner beruhigend. »Seien Sie übrigens versichert, daß von meiner Seite nichts versäumt werden wird.« –
Mahlo trat an das Fenster und blickte in den Garten.
»Sie haben mir gesagt, daß der Mörder durch das Fenster entsprungen ist,« sprach er. »Haben Sie den Garten bereits durchsucht, ob sich irgend eine Spur darin findet?«
»Ich habe es noch nicht gethan, befürchte indeß, daß der Regen der letzten Nacht die Spuren bereits verwischt hat. Jedenfalls werde ich sorgfältig nachforschen.«
»Darf ich Sie dabei begleiten?« warf Mahlo ein.
»Gewiß,« gab Eichner zur Antwort.
»Noch Eins,« sprach Mahlo, indem er sich bereits der Thür zuwandte. »Ich weiß nicht, ob meine Tante ein Testament gemacht hat – da ich indeß ihr nächster Verwandter und wahrscheinlich auch ihr Erbe bin, so tritt die traurige Pflicht an mich heran, für die Todte Sorge zu. tragen. Darf ich schon heute in ihre Rechte hier eintreten?«
»Die Todte muß durch den Gerichtsarzt erst untersucht werden,« gab Eichner zur Antwort. »Ferner muß ich bitten, daß ihr Zimmer vorläufig noch unberührt bleibt, bis Alles genau aufgezeichnet ist. Ich müßte es versiegeln lassen, allein ich werde fürs Erste einen der Polizeidiener als Wache zurücklassen. Ueber alles Weitere habe ich nicht zu bestimmen. Sie werden indeß sofort auf dem Gerichte erfahren können, ob Frau von Matten ein Testament gemacht hat.«
»Ich bin mit Ihren Anordnungen vollkommen einverstanden,« versicherte Mahlo. »Ich sehe vorläufig noch Alles als Eigenthum meiner Tante an und es war nur mein Wunsch, dasselbe zu schützen und ihr das Begräbniß zu bereiten, welches sie verdient. Nur zu gern würde ich diese Sorge einem Anderen überlassen, wenn ich wüßte, daß Alles mit der größten Sorgfalt und Liebe ausgeführt würde, es ist ja eine traurige, sehr traurige Pflicht, welche ich übernehmen muß.«
Der Kommissar begab sich in den Garten, Mahlo begleitete ihn. Der Regen hatte die Spuren, welche der Fuß des Mörders vielleicht hinterlassen, längst verwischt und das scharfe Auge Eichners vermochte nichts zu entdecken.
»Welche Schritte werden Sie jetzt unternehmen, um den Verbrecher zu entdecken?« fragte Mahlow.
»Ich habe noch keinen Entschluß darüber gefaßt,« gab der Kommissar zur Antwort. »Es würde auch voreilig sein, denn zunächst muß ich die Untersuchung des Gerichtsarztes abwarten. Es wäre doch möglich, daß durch dieselbe noch Näheres an den Tag gefördert würde. Ich werde ferner noch einmal die Dienerschaft verhören, welche jetzt noch zu sehr unter dem erschütternden und erschreckenden Einflusse steht um sich an Alles klar zu erinnern.«
»Sie werden begreifen, Herr Kommissar, wie viel mir an der Entdeckung des Mörders gelegen sein muß,« fuhr Mahlo fort, »ich selbst bin in solchen Angelegenheiten zu unerfahren, um selbst mit thätig einzugreifen – würde es gegen Ihre Pflicht verstoßen, wenn Sie, sobald Sie eine sichere Spur aufgefunden haben, mir davon Mittheilung machten?«
Eichner zuckte ausweichend mit der Achsel.
»Darüber vermag ich noch nicht zu entscheiden!« gab er zur Antwort. »Es ist möglich, daß meine Pflicht es gestattet und die Klugheit es dennoch verbietet. Ich will Ihnen offen gestehen, daß ich Andere nicht gern in den Gang der Untersuchung einweihe, weil der Erfolg derselben nur zu leicht dadurch gefährdet werden kann.«
»Sie befürchten, daß auch Unberufene dann davon Kenntniß erhalten könnten?« warf Mahlo ein.
Eichner nickte zustimmend mit dem Kopfe.
»Die Befürchtung würde bei mir überflüssig sein,« fuhr Mahlo fort. »Ich verstehe zu schweigen, überlasse es indeß ganz Ihnen, wie weit Sie mich des Vertrauens für würdig halten. Wenn Sie zum Zwecke der Untersuchung irgend eine Unterstützung bedürfen, so rechnen Sie vollständig auf mich.«
Eichner geleitete Mahlo bis an die Villa, wo der Wagen auf ihn wartete. Leicht sprang Mahlo auf das elegante Fuhrwerk, ergriff die Zügel und fuhr in raschem Trabe davon.
Eichner blickte ihm nach. Er kannte den Herrn von Mahlo seit Jahren, obschon er selten mit ihm zusammengetroffen war, er empfand ein Gefühl der Abneigung gegen ihn und suchte vergebens nach einer Begründung desselben.
Der um Vieles jüngere Mann war ihm stets mit der größten Artigkeit entgegen getreten, obschon einem schärferen Blicke nicht entgehen konnte, daß in dieser Artigkeit etwas Herablassendes lag und ein innerer Hochmuth sich hinter ihr verbarg. Vielleicht gründete sich die Abneigung auf den Widerspruch, der in Mahlo's Wesen zu liegen schien. Zu seinem fast weiblichen Aeußern paßte nicht sein rascher und entschiedener Sinn; er suchte sich den Schein der Weichheit zu geben – würde er dies gethan haben, wenn er nicht irgend einen innern Mangel dadurch hätte verdecken wollen?
Mahlo galt für sehr reich, wenigstens führte er ein Leben, welches einen bedeutenden Reichthum voraussetzte. Sein Vater hatte in einer entfernten Gegend ein großes Gut besessen, nach dem Tode desselben hatte Mahlo das Gut verkauft und sich in M. niedergelassen. Das Leben in der Stadt schien sowohl ihn wie seiner noch jungen Frau besser zu behagen. Sie machten ein großes Haus und verkehrten nur in den feinsten Kreisen.
Mahlo's Gattin war die Tochter eines verstorbenen Generals; sie war eine viel gefeierte Schönheit gewesen und galt mit vollem Rechte noch immer für schön. In ihrem Wesen bildete sie fast das Gegenstück zu ihrem Gatten, sie war stolz und kalt, ohne sich die geringste Mühe zu geben, beides zu verbergen. Sie machte fast den Eindruck einer schönen Amazone, groß und schlank, äußerlich kalt und doch im Innern glühend und leidenschaftlich.
Wenn sie mit ihrem Gatten spazieren fuhr, liebte sie es, selbst die Zügel zu führen und sie hielt dieselben so fest und sicher wie eine erprobte Männerhand. Der Kutscher seufzte freilich stets im Stillen, denn sie nahm nie die geringste Rücksicht auf die Pferde. Nur wenn dieselben im tollsten Galopp dahin stürmten, schien sie befriedigt zu sein.
Eichner ließ noch einmal die Worte des Herrn von Mahlo in seiner Erinnerung vorüber ziehen. War es nur eine unbegründete Vermuthung, die ihn bewogen hatte, seine Aufmerksamkeit auf die Dienerschaft zu lenken, oder hatte er gewichtigere Gründe, welche er noch verbarg? Er mußte die Dienerschaft freilich genauer kennen, da er in dem Hause seiner Tante öfter verkehrt war.
Eichner schritt durch den Garten, um in das Haus zurückzukehren, ein alter Mann trat zu ihm, es war der Gärtner der Frau von Matten, welcher ein kleines an die Villa stoßendes Haus bewohnte. Eichner kannte den Alten und wollte mit flüchtigem Gruße an ihm vorübergehen, jener hielt ihn zurück.
»Nur einen Augenblick schenken Sie mir, Herr Kommissar,« sprach er. »Dies entsetzliche Unglück überlebe ich nicht. Ueber zwanzig Jahre habe ich hier gelebt und während der ganzen Zeit habe ich nie ein böses Wort aus dem Munde der Frau von Matten gehört. Erst vor wenigen Tagen sprach sie zu mir: ›Wir werden beide alt, Böttcher! Nun wir werden zusammen noch aushalten!‹ Sie war um Jahre jünger als ich und nun hat sie doch eher sterben müssen! Ich kann es noch nicht fassen.«
Eichner suchte den Alten mit einigen Worten zu beruhigen und wollte sich entfernen, da er die Geschwätzigkeit des Alters kannte.
»Herr Kommissar, ich habe Sie mit Absicht aufgesucht,« fuhr der Gärtner fort. »Ich war soeben im Hause, ich habe meine arme Herrin gesehen und habe von dem Diener gehört, daß der Mörder aus dem Fenster gesprungen sei, denn das Fenster habe heute Morgen offen gestanden. Ist dem so?«
»Ganz recht. Die Thüren des Zimmers, in welchem das Verbrechen geschehen ist, waren von innen verschlossen, der Mörder muß also durch das Fenster entflohen sein.«
Der Alte trat noch näher an Eichner heran.
»Und wann – wann ist das Verbrechen ausgeführt?« fragte er.
Eichner zuckte mit der Achsel.
»Die Zeit ist noch nicht erwiesen, aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch gestern Abend vor elf Uhr. Die Gesellschafterin der Frau von Matten, welche neben dem Zimmer derselben schläft, hat während der Nacht nicht das geringste Geräusch gehört. Sie ist erst um elf Uhr von einem Besuche heimgekehrt, wahrscheinlich ist da die That bereits geschehen gewesen.«
Aus den Augen des Alten leuchtete eine unverkennbare Aufregung.
»Herr Kommissar, ich habe gestern Abend eine Person aus dem Fenster springen sehen,« sprach er.
»Sie?« unterbrach ihn Eichner überrascht.
Der Alte nickte bejahend mit dem Kopfe.
»Und das sagen Sie mir erst jetzt?« fuhr Eichner fort.
»Ich habe ja soeben erst erfahren, daß der Mörder aus dem Fenster entsprungen ist. Ich hatte ja von dem Allen keine Ahnung.«
»Wann haben Sie das gesehen? Erzählen Sie!« drängte Eichner ungeduldig.
»Ich saß gestern Abend in meinem Zimmer,« erzählte der Alte, »es mochte ungefähr neun Uhr sein, draußen stürmte und regnete es, da erinnerte ich mich, daß ich ein Fenster in dem Treibhause zu schließen vergessen hatte. Ich befürchtete, daß der Wind dasselbe zertrümmern werde und begab mich in den Garten, um es zu schließen. Als ich dies, gethan hatte und zurückkehrte, sah ich eine Person aus dem Fenster springen und rasch durch den Garten eilen.«
»Folgten Sie ihm nicht?« warf Eichner ein, für dessen Ungeduld der Alte viel zu langsam erzählte.
»Gewiß,« fuhr Böttcher fort. »Ich wollte sehen, wo die Person blieb. Sie eilte so schnell, daß ich sie bald aus den Augen verlor, indeß sah ich noch, daß sie über die Mauer, welche den Garten umgiebt, kletterte.«
»Und was thaten Sie dann?« forschte Eichner weiter.
»Ich kehrte in meine Wohnung zurück.«
»Sie machten nicht einmal in dem Hause davon Anzeige? Sie ließen nicht sofort nachforschen?«
»Herr Kommissar, die Person war ja ein Frauenzimmer,« gab der Alte zur Antwort. »Ich dachte an nichts Schlimmes, ich glaubte, es sei eine der Dienerinnen, welche eine Liebschaft habe und war nur erstaunt, daß sie sich nicht einmal durch das schlechte Wetter zurückhalten ließ. Ich wollte heute Morgen nachforschen und der Frau von Matten Alles mittheilen.«
Mit wachsendem Erstaunen hatte Eichner dem Gärtner zugehört. Er überlegte das Gehörte, ehe er antwortete.
»Ein Frauenzimmer?« wiederholte er dann immer noch zweifelnd. »Haben Sie sich auch nicht getäuscht?«
»Nein,« versicherte der Alte. »Ich habe es genau gesehen, die Person trug ein helles Kleid.«
»Und Sie haben dieselbe aus dem Fenster des Schlafzimmers der Frau von Matten springen sehen?«
»Auch das.«
»Es mußte Ihnen doch auffallen, daß sie aus dem Zimmer sprang, in welchem die Frau von Matten schlief?«
»Ich wußte nicht, daß dieselbe sich bereits zur Ruhe begeben hatte. Konnte die gnädige Frau nicht noch im Salon sein? Ich war fest überzeugt, daß es sich um ein Liebesabenteuer handelte und mochte deshalb so spät am Abende keine Unruhe mehr in das Haus bringen.«
»Wußten Sie, daß das Fräulein – die Gesellschafterin fortgegangen war?«
»Nein.«
»Haben Sie die Größe der Person deutlich gesehen?«
»Auch das nicht, es war zu dunkel, außerdem hatte die Person es sehr eilig.«
»Ist Ihnen irgend eine Aehnlichkeit in der Gestalt oder in der Haltung aufgefallen?«
»Nein,« gab der Alte zur Antwort.
Eichner schwieg. Die Mittheilung des Gärtners hatte ihn im höchsten Grade überrascht, er konnte an der Wahrheit seiner Worte nicht zweifeln, denn Böttcher war ein ehrenwerther Mann. Das Gehörte paßte indeß nicht zu seinen übrigen Wahrnehmungen. Sollte das Verbrechen von einem Frauenzimmer ausgeführt sein? Er konnte es kaum glauben. Die alte Dame war mit den Händen erdrosselt, – die Spuren an ihrem Halse verriethen dies deutlich – besaß ein Frauenzimmer dazu den Muth und die Kraft? Es erschien ihm unwahrscheinlich, allein er mußte sich selbst gestehen, daß die Möglichkeit durchaus nicht ausgeschlossen war.
»Hat die Person Sie gesehen?« fragte er den Alten.
»Ich weiß es nicht,« gab dieser zur Antwort.
»Schien Ihnen die Person jung oder alt zu sein?«
»Auch darüber kann ich Ihnen nichts Bestimmtes anheben. Ich weiß nur, daß sie sehr schnell lief, und ich meine, eine alte Person vermag nicht so gewandt über die Mauer zu klettern.«
Eichner nickte zustimmend.
»Wissen Sie genau, daß es um neun Uhr war?«
»Um die Zeit war es. Als ich wieder in mein Zimmer trat, zeigte die Uhr auf ein Viertel auf zehn Uhr; länger als eine Viertelstunde habe ich mich keinenfalls im Garten aufgehalten, das Wetter war zu unfreundlich.«
»Haben Sie bereits darüber gesprochen, daß Sie ein Frauenzimmer aus dem Fenster haben springen sehen?«
»Nein, ich wollte erst Ihre Ansicht hören.«
»Es ist gut. Schweigen Sie vorläufig gegen Jeden darüber. Es darf noch Niemand erfahren, ich mache Sie dafür verantwortlich.«
»Ich werde schweigen,« versicherte der Alte. »Es ist ja auch möglich, daß das Frauenzimmer unschuldig war und mit der entsetzlichen That nicht das Geringste zu schaffen hatte.«
»Das Alles wird die Untersuchung ergeben,« fuhr Eichner fort. »Haben Sie irgend einen Verdacht oder eine Vermuthung, wer die Person gewesen sein könnte?
»Nein.«
»Könnte es eine der Dienerin der Frau von Matten gewesen sein?«
Der Alte sann nach.
»Ich wüßte es nicht,« erwiederte er. »Einer solchen That ist indeß keine derselben fähig. Die gnädige Frau war zu allen gleich gut – nein, so schlecht kann Niemand sein! Wer die alte Frau kannte und ihr näher stand, der wünschte ihr auch ein langes Leben. Sie hat viel Gutes gethan und namentlich den Armen geholfen, wo sie konnte. Sie wird schwer vermißt werden, denn ich glaube kaum, daß die, welche ihr Vermögen erben, sich der Armen so annehmen werden.«
»Wissen Sie, wer ihr Erbe ist?« warf der Kommissar ein.
»Nein. Ich denke indeß der Herr von Mahlo, der ihr Neffe ist. Nöthig hat er es freilich nicht, denn er ist ohnehin reich genug. Die gnädige Frau hat wohl einmal die Aeußerung gegen mich gethan, daß sie ein Testament machen und uns alle in demselben bedenken werde, ob sie es indeß gethan hat, weiß ich nicht. Ich habe meist für mich gelebt, mit der Dienerschaft wenig verkehrt und deshalb oft nicht einmal erfahren, was in dem Hause vorging.«
Eichner verließ den Alten; ehe er in das Haus trat, schritt er durch den Garten hin, um das Gehörte zu überlegen. Er konnte an Böttchers Worten nicht zweifeln, die Untersuchung hatte durch dieselben eine ganz unerwartete Wendung genommen, denn nimmermehr würde er vermuthet haben, daß der Mord durch ein Frauenzimmer ausgeführt sei. Er mußte jedenfalls mit der größten Vorsicht verfahren.
Er sah den Diener auf der Veranda stehen und winkte denselben zu sich heran. Er knüpfte ein Gespräch mit ihm an, ohne seine Absicht durchleuchten zu lassen. Mit leichter Mühe erfuhr er, daß es außer Thekla nur zwei Dienerinnen in dem Hause gab, das Kammermädchen und die Köchin.
»Wo waren Sie denn gestern Abend?« fragte er dann.
»Auf meinem Zimmer,« gab der Diener zur Antwort.
»Allein?«
»Nein, das Kammermädchen und die Köchin leisteten mir Gesellschaft.«
»Am ganzen Abende?«
»Ja. Die kamen zu mir, als das Fräulein fortgegangen war und blieben bis nach zehn Uhr, weil sie glaubten, das Fräulein werde früher zurückkommen.«
»Wann ging das Fräulein fort?«
»Gegen acht Uhr.«
»Wissen Sie das genau? Es kommt mir darauf an, festzustellen, um welche Zeit das Verbrechen ausgeführt ist.«
»Ich weiß bestimmt, daß es noch nicht acht Uhr war als sie das Haus verließ.«
»Und das Kammermädchen und die Köchin waren dann fortwährend bei Ihnen?«
»Ja. Wir plauderten, um uns die Zeit zu vertreiben.«
»Vernahmen Sie während der Zeit kein Geräusch im Hause?«
»Nicht das geringste, ich würde sonst nachgeforscht haben. Mein Zimmer liegt freilich an der dem Schlafzimmer der Frau von Matten entgegengesetzten Seite.«
»Und das Kammermädchen hat während der ganzen Zeit nicht nach seiner Herrin gesehen?«
»Nein, das Fräulein hatte ja gesagt, die gnädige Frau wünsche ungestört zu bleiben, sie werde schellen, wenn sie Etwas wünsche.«
»Wann sagte das Fräulein dies?«
»Ehe sie fortging.«
»Das Fräulein ging allein?«
»Ja.«
»Waren Sie noch auf, als sie zurückkam?«
»Nein. Sie hatte gesagt, daß wir sie nicht zu erwarten brauchten, da sie den Hausschlüssel mit sich genommen habe.«
Eichner wurde durch einen Polizeidiener in das Haus gerufen, weil der Gerichtsarzt gekommen war, um die Todte zu untersuchen.
Während er dem Hause zuschritt, richteten sich seine Gedanken unwillkürlich auf Thekla. Sie hatte, als er sie vernahm, eine Unruhe und Aufregung gezeigt, welche er jetzt zu begreifen glaubte. Er sträubte sich gegen den Gedanken, daß sie eine solche That ausgeführt haben könne. Die Züge ihres Gesichtes waren mild und weich, allein konnten diese Züge nicht lügen? Wurde der Verdacht, der in ihm aufgetaucht war, nicht durch mehrere Zeichen bekräftigt? Sie hatte dem Kammermädchen gesagt, daß Frau von Matten nicht gestört zu werden wünsche – konnte dies nicht in der Absicht geschehen sein, das Kammermädchen fern zu halten? Sie hatte ferner ausdrücklich bemerkt, daß der Diener nicht nöthig habe, sie zu erwarten – sie hatte vielleicht bei ihrer Rückkehr von ihm nicht gesehen werden wollen. Sie kannte die Verhältnisse der alten Dame, wußte, wo dieselbe ihr Geld barg, sie war vielleicht nur deshalb aus dem Fenster gesprungen, um auf eine falsche Spur zu lenken.
Immer bestimmter setzte sich dieser Verdacht in dem Kopfe des Kommissars fest.
Er trat in das Haus zu dem Gerichtsarzte, der die Untersuchung bereits beendet hatte.
»Die Todte ist durch Erstickung gestorben,« sprach der Arzt. »Sie ist erdrosselt, wie die Zeichen an ihrem Halse sehr deutlich verrathen, und zwar in der Weise, daß der Mörder der Unglücklichen mit den Händen den Hals gewaltsam zusammen gepreßt hat.«
»Haben Sie auch hierfür sichere Anzeichen gefunden?« warf Eichner ein.
»Gewiß!« versicherte der Arzt. »Die Untersuchung hat sogar noch mehr ergeben, einen Punkt, der für Sie vielleicht von großer Bedeutung ist: der Mörder hat lange und schmale Nägel gehabt. Sehen Sie, dieselben haben sich an einigen Stellen sehr scharf eingedrückt.«
Ueberrascht trat Eichner zu der Todten und nahm deutlich die Zeichen wahr, auf welche der Arzt ihn aufmerksam gemacht hatte. Konnten dies nicht die Nägel einer Frauenhand gewesen sein?
»Gehört viel Kraft dazu, um einen Menschen zu erdrosseln?« fragte er.
Der Arzt zuckte die Achseln.
»Die Frage ist schwer zu beantworten,« erwiderte er. »Es kommt natürlich ganz auf die Lebenskraft an, auch auf die Zeit, binnen welcher die Erstickung eintritt. Diese Dame zu erdrosseln, war sicherlich keine große Kraft erforderlich, sie war alt und kränklich und daher nicht im Stande, einen kräftigen Widerstand entgegenzusetzen.«
»Diese Antwort genügt mir, denn ich hatte nur diesen Fall im Auge,« bemerkte Eichner. »Glauben Sie, daß der Tod schnell erfolgt ist?«
»Ja, denn die Zeichen am Halse beweisen, daß der Mörder sein Opfer sehr kräftig erfaßt hat, kräftiger, als vielleicht nöthig war.«
Eichner zog den Arzt zur Seite.
»Halten Sie es für möglich, daß ein Frauenzimmer die That ausgeführt haben kann?« fragte er leise.
»Weshalb nicht? Wie kommen Sie indeß zu dieser Frage? Haben Sie bereits einen Verdacht?«
»Nein,« gab der Kommissar zur Antwort. »Es stieg nur zufällig diese Frage in mir auf.«
Er mochte noch nicht gestehen, daß er in der That bereits einen bestimmten Verdacht hegte. Unwillkürlich suchte er die einzelnen Umstände damit in Zusammenhang zu bringen. Dicht an der Seite des Bettes befand sich ein Klingelzug, die alte Dame hatte, als sie im Bette lag, nur nöthig gehabt, den Arm auszustrecken, um den Klingelzug zu erfassen. Würde sie dies nicht gethan haben, wenn ein Fremder in das Zimmer getreten wäre? Sie hatte nicht geschellt, vielleicht deshalb nicht, weil der Mörder eine ihr sehr bekannte und nahestehende Person gewesen war, deren Absicht sie unmöglich errathen konnte.
»Wohin führt diese Klingel?« fragte er den Diener.
»Auf den Korridor.«
»Direct?«
»Nein, der Draht geht durch das Zimmer nebenan, in welchem das Fräulein schläft,« lautete die Antwort.
Eichner trat in dies Zimmer, sein Auge verfolgte den Leitungsdraht – derselbe war durchschnitten. Der Mörder war also sehr vorsichtig gewesen, er hatte Vorkehrungen getroffen, um bei seinem Verbrechen nicht gestört zu werden.
Thekla trat in diesem Augenblicke in ihr Zimmer ein. Sie sah sehr leidend aus, denn wie viel hatte sie in den letzten vier und zwanzig Stunden durchlebt! Der Schmerz um ihre Herrin hatte sie gewaltig erschüttert, dazu gesellte sich die Angst um den Geliebten, denn sie hörte den Diener erzählen, daß in der Nacht ein Gefangener von der Citadelle entflohen sei, daß man indeß bereits seine Spur entdeckt habe und ihn verfolge. Sprach er die Wahrheit? Sie wagte nicht zu fragen, sie mußte alle Kräfte zusammennehmen, um nicht zu verrathen, welch inniges Interesse sie an dem Flüchtlinge nahm.
Eichner hatte bei ihrem Eintreten unwillkürlich den Blick auf ihre Hände gerichtet, und ein leises Lächeln zuckte um seinen Mund hin – Thekla hatte lange und schmale Nägel.
Ohne zu verrathen, was in ihm vorging, begann er mit Thekla ein Gespräch.
»Der Mörder ist aller Wahrscheinlichkeit nach durch Ihr Zimmer hier gedrungen,« sprach er, »ich muß deshalb hier genau nachforschen, vielleicht hat er irgend eine Spur hinterlassen.«
Thekla wandte sich ab, ohne zu antworten, es schien ihr die Durchsuchung nicht angenehm zu sein. Um so sorgfältiger nahm Eichner dieselbe vor. Neben dem Bette standen ein Paar Schuhe, welche stark beschmutzt waren, auf dem Stuhle lag noch ein Tuch, welches naß und gleichfalls beschmutzt war. »Das sind die Spuren der Mauer, über welche sie geklettert ist!« rief es in dem Kommissar.
Sein Blick flog durch das Zimmer, um das Kleid zu entdecken, von dem er ein Stück in der Tasche trug – er fand es nicht. Konnte die Mörderin zu dem Zwecke nicht ein besonderes Kleid angezogen haben.
»Wie heißt die Freundin, bei welcher Sie gestern Abend waren?« fragte er.
Thekla zuckte sichtbar zusammen – sie zögerte mit der Antwort, ihrer Brust schien der Athem zu fehlen. Ihr entging die Gefahr nicht, wenn sie einen Namen nannte, und doch konnte sie der Frage nicht ausweichen. Sie nannte den Namen ihrer Freundin – ihre Stimme zitterte bei den wenigen Worten. Die Angst, daß die Befreiung Fortmanns durch sie entdeckt werde, daß sie ihren Bruder mit in das Unglück hineinziehen werde, erdrückte sie fast, sie war nahe daran, kraftlos zusammen zu brechen.
Dem Kommissär entging dies Alles nicht und er faßte es anders auf.
»Ich bin genöthigt, Sie für heute aus diesem Zimmer zu entfernen,« sprach er. »Ich muß Sie bitten, keinen Gegenstand hier mehr anzurühren, sondern Alles zu lassen, wie es jetzt ist.«
»Weshalb?« sagte Thekla angstvoll.
»Weil immer noch die Möglichkeit vorliegt, eine Spur des Mörders hier zu entdecken,« gab Eichner zur Antwort und ertheilte einem der Polizeidiener den strengen Befehl Niemand in das Zimmer zu lassen.
»Sie bürgen mir dafür, daß mein Befehl streng ausgeführt wird,« fügte er hinzu. »Jeder, selbst der geringfügigste Gegenstand bleibt hier unberührt.«
Dann winkte er den Polizeidiener zur Seite.
»Achten Sie genau auf das Fräulein,« sprach er leise. »Sie darf indeß nicht wahrnehmen, daß sie beobachtet wird – nur wenn Sie das Haus verlassen will, treten Sie ihr entgegen, ich werde bald aus der Stadt zurückkehren.«
Er eilte fort. Am Thore nahm er sich einen Wagen, dann fuhr er direkt zu dem jungen Mädchen, deren Namen ihm Thekla genannt hatte, bei der sie nach ihrer Angabe am Abende zuvor gewesen war.
Kaum eine Stunde später fuhr er vor der Villa wieder vor, hastig trat er in das Haus ein.
»Wo ist das Fräulein?« fragte er den Polizeibeamten.
Der Gefragte deutete auf ein Zimmer, in welchem Thekla Erholung gesucht hatte.
Rasch trat Eichner ein.
Thekla saß am Fenster, den Kopf auf die Hand gestützt. Aus ihrem Zimmer vertrieben, erschöpft durch die Aufregung, durch die Angst und den Schrecken, hatte sie hier Zuflucht gesucht. Noch immer vermochte sie das Erlebte nicht zu fassen und zu bewältigen. Wurde ihr Geliebter wirklich bereits verfolgt – hatte man seine Spur entdeckt, wie sie gehört hatte? Er war in diesem Augenblicke vielleicht schon wieder verhaftet. Dieser Gedanke trieb sie fast zur Verzweiflung. Und dann wieder mußte sie an ihre eigene Zukunft denken. An der Frau von Matten hatte sie eine Beschützerin und Mutter verloren; verlassen stand sie nun wieder im Leben da und wer wußte, welche neuen Schmerzen das Geschick ihr brachte.
Eichner trat zu ihr.
»Sie haben mir mitgetheilt, daß Sie gestern Abend bei einer Freundin gewesen seien,« sprach er. »Weshalb haben Sie mir die Unwahrheit gesagt? – Sie sind nicht dort gewesen.«
Erschreckt zuckte Thekla zusammen, sie vermochte nicht zu antworten, angstvoll war ihr Auge auf den vor ihr stehenden Kommissar gerichtet.
»Wo sind Sie gestern Abend gewesen?« fragte er mit strengem Blicke.
Die Unglückliche suchte vergebens nach einem Ausweg, sie durfte die Wahrheit nicht gestehen, weil sie ihren Bruder und ihre alte treue Wärterin dadurch verrathen haben würde, lieber wollte sie selbst Alles über sich ergehen lassen.
»Ich bin spazieren gegangen,« erwiederte sie, kaum wissend, was sie sprach.
Ueber das Gesicht des Kommissars zuckte ein spöttisches Lächeln hin.
»In dem Regen und dem Sturm?« warf er ein. »Sie sollten in dem Wetter länger als drei Stunden spazieren gegangen sein? Die Zumuthung, Ihnen dies zu glauben, ist etwas zu stark!«
Thekla blickte nieder, erst jetzt begriff sie, welche Thorheit sie durch diese Antwort begangen habe.
»Und weshalb haben Sie mir heute Morgen nicht die Wahrheit gesagt?« forschte Eichner weiter. Er sah die Angst der Unglücklichen, allein er fühlte kein Mitleid mit ihr, weil er sie für eine Verbrecherin hielt.
»Ich weiß es nicht!« stieß Thekla mit Mühe hervor und rang verzweiflungsvoll die Hände.
»Ich weiß es und ich will es Ihnen sagen,« fuhr Eichner fort. »Sie verließen das Haus, Sie trafen alle Vorkehrungen, um ungestört Ihre Herrin und Wohlthäterin zu ermorden und zu berauben. Sie haben Frau von Matten ermordet!«
Thekla blickte ihn mit starren Augen an, sie hatte die sie so schwer beschuldigenden Worte gehört, allein noch vermochte sie dieselben nicht zu fassen. Es war ja nicht einmal der Gedanke in ihr aufgestiegen, daß auf sie ein solcher Verdacht fallen könne – um so vernichtender wirkte die offen ausgesprochene Beschuldigung.
Ihre Lippen zuckten, als ob sie antworten wollten, ihr ganzer Körper zitterte.
»Gestehen Sie Ihre Schuld offen ein,« sprach Eichner. »Es liegen bereits so viele Beweise gegen Sie vor, daß das Leugnen Ihnen nimmermehr helfen wird.«
Thekla richtete sich mühsam empor, ihre Hand hatte krampfhaft fest den Stuhl erfaßt, um sich zu halten. »Ich bin nicht schuldig!« rief sie. »Allmächtiger Gott – ich, ich eine Mörderin!«
Bewußtlos sank sie auf den Stuhl zurück.
Einen Augenblick lang blieb Eichner ruhig vor der Ohnmächtigen stehen. Ihre lieblichen, milden Züge sahen allerdings nicht aus wie die einer Verbrecherin – durfte er sich von denselben täuschen lassen? hatte es nicht Giftmischerinnen gegeben, welche durch die Weichheit und Lieblichkeit ihrer Züge Alle entzückt? Er rief den Polizeidiener und ließ durch ihn und den Diener die noch immer Ohnmächtige in den Wagen bringen, der sie dann sofort nach dem Polizeigefängnisse führte. Es war am besten für sie, wenn sie das Haus verließ, ehe sie zum Bewußtsein zurückkehrte.
Er selbst blieb noch in der Villa zurück. Er durchforschte auf das Genaueste Theklas Zimmer nach dem Kleide, welches sie am Abende zuvor getragen, und von welchem ein Stück in der Hand der Tante zurückgeblieben war. Er fand das Gesuchte nicht und vergebens zeigte er dem Diener und dem Kammermädchen das Stück Zeug – beide hatten nie ein ähnliches Kleid bei Thekla bemerkt.
In Theklas Sekretär befand sich nur eine geringe Geldsumme, wo hatte sie das der Ermordeten geraubte Geld gelassen?
Der Gärtner hatte nur eine Person aus dem Fenster springen sehen, sollte Thekla trotzdem das Verbrechen allein begangen haben? Sollte der Entschluß zu dieser That in ihr ohne fremden Einfluß entstanden sein? Es war kaum wahrscheinlich, da nach Aussage der Dienerschaft die Frau von Matten gegen sie stets sehr freundlich und liebevoll gewesen war. Wo hatte Thekla das geraubte Geld und das Kleid gelassen? Immer mehr drängte sich Eichner die Ueberzeugung auf, daß Mehrere um das Verbrechen gewußt hatten, es mußte deshalb seine nächste Aufgabe sein, nachzuforschen, mit wem Thekla in der letzten Zeit verkehrt hatte.
Er wollte die Villa verlassen, als der Wagen des Herrn von Mahlo vorfuhr.
»Ist es wahr, daß Sie die Mörderin bereits entdeckt haben?« fragte Mahlo, indem er hastig eintrat.
»Ich hoffe es,« entgegnete Eichner, nicht ohne ein Gefühl freudiger Genugthuung.
»Wer – wer hat die entsetzliche That begangen?« fuhr Mahlo fragend fort. »Mir wurde in der Stadt erzählt, daß das Fräulein verhaftet sei – ich kann es nicht glauben.«
»Sie haben die Wahrheit gehört,« gab der Kommissar zur Antwort. »Fräulein Belitz habe ich verhaften lassen, weil ich hinreichende Beweise habe, daß sie die That begangen hat.«
Mahlo schien durch diese Worte überrascht und erschüttert zu sein.
»Ihr hätte ich am Wenigsten zugetraut, daß sie ein Verbrechen begehen könne,« sprach er. »Sie erschien mir stets so ruhig und sanft, meine Tante hing mit so großer Liebe an ihr. Ich vermag diese Undankbarkeit nicht zu fassen. Weshalb hat sie meine Tante ermordet?«
»Soviel ich vermuthe, um sie zu berauben,« bemerkte Eichner. »Es wäre freilich auch möglich, daß die alte Dame ein Testament zu ihren Gunsten gemacht und daß sie eine mögliche Aenderung hat verhüten wollen.«
»Nein, nein!« fiel Mahlo ein. »Ich bin auf dem Gerichte gewesen – meine Tante hat kein Testament gemacht. Hat Thekla die That eingestanden?«
»Nein.«
»Welches sind die Beweise, welche gegen sie sprechen?« fragte Mahlo weiter.
»Ich kann Ihnen vorläufig noch nichts weiter mittheilen,« gab der Kommissar zur Antwort. »Wahrscheinlich hat sie Mitwisser der That gehabt, und diese zu entdecken, wird meine Aufgabe sein. Wissen Sie, mit wem sie Umgang hatte?«
»Nein,« erwiederte Mahlo. »Ich habe mich um die Dienerschaft meiner Tante nie bekümmert. Wenn ich den Verdacht gegen Sie aussprach, daß das Verbrechen von einem der Dienerschaft ausgeführt sei, so hatte sich mir derselbe dadurch aufgedrängt, daß nur Jemand, der mit den Verhältnissen des Hauses genau bekannt war, die That begangen haben konnte. Meine Vermuthung hat sich als richtig erwiesen – mehr weiß ich nicht.«
Er fuhr wieder fort und auch Eichner verließ die Villa.
– – – – – – –
Die Ermordung der Frau von Matten, die Verhaftung ihrer Gesellschafterin und die Flucht Fortmanns aus der Citadelle hatten die ganze Stadt im höchsten Grade überrascht. Die Polizei war in der vollsten Thätigkeit. Früh am Morgen war entdeckt, daß Fortmann die eisernen Gitterstäbe seiner Kasematte durchfeilt, und an einem Seile an der hohen Mauer sich herabgelassen hatte. Durch wen hatte er die Feile und das Seil erhalten? Die sofort angestellten Nachforschungen blieben erfolglos. Man wußte nicht, ob Fortmann in der Stadt irgend einen Bekannten gehabt hatte.
Sein Wärter war zuverlässig. Es wurde zwar ermittelt, daß Theklas alte Wärterin, Doris, an dem Abende in der Citadelle gewesen war, auf sie konnte indeß um so weniger Verdacht fallen, weil sie schon seit Jahren ihre Verwandten auf der Citadelle öfter besuchte. In welcher Verbindung hätte sie auch mit dem Entflohenen stehen sollen?
– – – – – – –
Als Heinrich die Verhaftung seiner Schwester erfuhr, erschrak er auf's Heftigste. Der erste Gedanke, welcher sich ihm aufdrängte, war die Befürchtung, daß die Befreiung Fortmanns bereits entdeckt sei, und dieser Gedanke raubte ihm jede Fassung. Er war ein schwacher unentschlossener Charakter, das geringste Mißgeschick vermochte schon seinen Muth zu lähmen. Wenig befähigt, hatte er sich durch Fleiß und Gewissenhaftigkeit bis zum Registrator beim Gerichte emporgeschwungen und diese Stellung genügte seinen bescheidenen Ansprüchen. Fortwährend war er indessen in Angst, daß er sie verlieren könne, denn er fühlte, daß er nicht die Kraft besaß, sich eine andere Lebensstellung zu erringen.
Er begriff selbst nicht mehr, wie er sich hatte verleiten lassen können, Thekla bei der Befreiung Fortmann's zu unterstützen, denn er hatte gewußt, wie strafbar er war, wie leicht er seine Stellung verlieren konnte. Die Liebe zu seiner Schwester hatte ihn dazu getrieben, denn er war nur selten im Stande, ihr eine Bitte abzuschlagen. Nach dem Tode seiner Eltern war sie sein einziger Halt gewesen, obschon sie um Jahre jünger war als er.
Durch seine Stellung wurde es ihm leicht, zu erfahren, weshalb Thekla verhaftet war, und er athmete erleichtert auf, als ihm der auf ihr ruhende Verdacht mitgetheilt wurde. Für ihn war keine Gefahr mehr vorhanden und da er nicht einen Augenblick lang an der Unschuld Thekla's zweifelte, so hegte er auch die feste Zuversicht, daß ihre Unschuld bald erwiesen werden müsse. Er kannte nicht die Beweise, welche gegen sie sprachen und durch eine unheilvolle Verkettung von Zufälligkeiten hervorgerufen waren.
Kaum hatte Thekla's alte Wärterin von der Verhaftung gehört, als sie außer sich vor Schmerz zu Heinrich eilte. Sie wußte am Besten, daß Thekla eine solche That nicht begangen haben konnte, denn sie kannte sie von Jugend auf und die, für welche sie jeden Augenblick ihr Leben hingegeben haben würde, war wie eine Verbrecherin verhaftet. Sie vermochte den Gedanken kaum zu fassen.
»Sie muß heute noch wieder in Freiheit gesetzt werden!« rief sie. »Nicht eine Stunde darf sie mehr im Gefängnisse sitzen!«
»Ihre Unschuld muß ja erwiesen werden,« entgegnete Heinrich.
»Sie müssen dieselbe beweisen, denn Sie können es!« fuhr Doris fort. »Sie sind gestern Abend mit ihr zusammen gewesen und gestern Abend soll die alte Frau ja ermordet sein! Warum haben Sie dies nicht sofort der Polizei angezeigt!«
Erschreckt fuhr Heinrich zurück. Mußte dann nicht entdeckt werden, daß er bei Fortmann's Flucht behülflich gewesen war?
»Nein, nein!« rief er, »Es darf Niemand erfahren, daß ich mit Thekla gestern Abend zusammen gewesen bin.«
»Weshalb nicht?« warf die Alte ein.
»Dann würde es entdeckt werden, daß wir Fortmann zur Flucht verholfen haben,« gab Heinrich zur Antwort. »Auch ich würde dann bestraft werden, ich würde meine Stelle verlieren – es darf Niemand erfahren!«
»Und deshalb soll Thekla unschuldig im Gefängnisse sitzen?« rief Doris entrüstet. »Sie soll sich dort ängstigen, soll als eine Verbrecherin angesehen und behandelt werden.«
»Sie kann nicht verurtheilt werden, weil sie unschuldig ist!« bemerkte Heinrich. »Sie muß freigesprochen werden, ich werde ja Alles für sie aufbieten!«
»So gestehen Sie, daß Sie mit ihr gestern Abend zusammen gewesen sind!« rief Doris.
»Unmöglich! Ich würde dadurch eine andere Schuld auf sie laden, sie würde bestraft werden, weil sie einen Gefangenen befreit hat und auch Sie würden bestraft werden, Sie vor Allen!«
»Und welche Strafe würde uns treffen?« fragte Doris.
»Gefängniß – Gefängniß bis zu drei Jahren!«
Die Alte blickte Heinrich forschend an, sie mißtraute seinen Worten. Sie wußte, daß sie eine strafbare Handlung begangen hatte, nimmermehr hätte sie geglaubt, daß die Strafe eine so harte sei. Nicht für sich war sie indeß besorgt. Was that es, wenn sie die wenigen Jahre, welche sie noch zu leben hatte, im Gefängnisse zubrachte, denn sie brauchte sich der That nicht zu schämen und ohne Bedenken würde sie dieselbe zum zweiten Male begangen haben. Sie dachte jedoch an Thekla! Leistete sie derselben einen Dienst?
Sie wußte nicht mehr, was sie thun sollte. Der einzige Weg, um Thekla sofort zu befreien, war unmöglich geworden und doch fühlte sie, daß sie die Unglückliche nicht verlassen dürfe. Daß Thekla zu diesem Mittel nicht greifen werde, wußte sie nur zu gut, eher würde sie das Schuldig über sich haben aussprechen lassen, ehe sie ihren Bruder und sie verrathen hätte.
»Was wollen Sie thun, um Ihre Schwester zu retten?« fragte sie endlich.
»Ich weiß es noch nicht!« entgegnete Heinrich, mit der Hand über die Stirn hinfahrend. Die Angst hatte ihm jede Ruhe zur Ueberlegung geraubt. »Doris, Sie dürfen zu Niemand ein Wort darüber sprechen. Thekla muß ja wieder freigelassen werden. Ich Thor, daß ich mich durch sie habe verleiten lassen, sie bei der Befreiung eines Mannes zu unterstützen, der sein Geschick selbst verschuldet hatte! Mein ganzes Lebensglück habe ich vielleicht dadurch vernichtet.«
Die Alte verließ ihn kopfschüttelnd. Sie würde ohne Bangen die That noch einmal begangen haben, und er bereute dieselbe. Sie kannte freilich seinen schwachen Charakter. Schon als Knabe hatte er mehr einem Mädchen geglichen, und war von seinen Spielkameraden deshalb viel geneckt. Sie strengte vergebens ihren alten Kopf an, um ein Mittel zu Theklas Befreiung zu ersinnen. Konnte nicht auch sie fliehen, wie ihr Geliebter von der Citadelle entflohen war, gern würde sie ihr die Hand dazu geboten haben. Sie ging zu dem Gefängnisse, wohin Thekla zur Untersuchungshaft gebracht war, weil sie hoffte, dieselbe sprechen zu können; natürlich wurde sie zurückgewiesen.
Heinrich war in größter Unruhe zurückgeblieben. Er schritt im Zimmer auf und ab und rang nach Fassung. Wie viel hatte er aufs Spiel gesetzt! Er war verlobt, in wenigen Wochen hoffte er mit seiner Braut für immer verbunden zu werden, und auch dies Glück hatte er gefährdet.
Es pochte an die Thür, besorgt richtete er das Auge darauf und hatte kaum den Muth »Herein« zu rufen. Konnte es nicht schon bereits entdeckt sein, daß er Fortmann bei der Flucht unterstützt hatte? Erschreckt wich er zurück, als er den Kriminalkommissar Eichner eintreten sah. Das Blut schwand aus seinen Wangen und beengte seine Brust. Er kannte Eichner, war oft mit ihm in Berührung gekommen, dennoch erfüllte ihn Furcht vor diesem Manne. Schon in dem ernsten, forschenden Blick desselben glaubte er sein Geschick zu lesen: er war verrathen – verloren.
Mit Mühe raffte er sich so viel zusammen, um den Eingetretenen begrüßen zu können.
Sein Erbleichen und Erschrecken war Eichner nicht entgangen, ein Lächeln glitt über sein Gesicht hin.
»Ich habe nur wenige Fragen an Sie zu richten, Herr Registrator,« sprach er. »Auf Ihrem Büreau traf ich Sie nicht mehr und mußte Sie deshalb hier aufsuchen.«
Heinrich wollte antworten, allein er war nicht im Stande ein Wort hervorzubringen.
»Herr Belitz,« fuhr Eichner fort. »Sie haben gestern bei dem Banquier Buchner diese Actie verkauft.«
Heinrichs Augen waren starr auf das Papier gerichtet, welches Eichner ihm zeigte. Er hatte es für seine Schwester gethan, welche Fortmann das Geld zur Flucht gegeben.
Konnte er es leugnen? Konnte nicht Buchner als Zeuge gegen ihn auftreten?
»Ja,« erwiederte er, das Wort mit Mühe hervorsprechend.
»Woher haben Sie diese Actie,« forschte der Kommissar weiter.
Heinrich zögerte mit der Antwort, durfte er seine Schwester verrathen? Er suchte vergebens nach einem Auswege, es war, als ob die Angst alle seine Gedanken gelähmt hätte.
»Ich habe sie von meiner Schwester erhalten,« entgegnete er endlich.
Eichner schien das Geständniß kaum erwartet zu haben.
»Und woher hat Ihre Schwester die Actie?« fragte er.
»Von der Frau von Matten – ich weiß es nicht,« gab Heinrich, dessen Gedanken sich immer mehr verwirrten, zur Antwort.
»Sicherlich hat Ihre Schwester mit Ihnen darüber gesprochen,« fuhr der Kommissar fort. »Weshalb hat Ihre Schwester die Actie nicht behalten?
»Ich weiß es nicht.«
»Haben Sie dieselbe aus eigenem Entschlusse bei dem Banquier verkauft?
»Nein, meine Schwester wünschte es.«
»??Weshalb?«
»Sie hat es mir nicht mitgetheilt.«
»Und Sie haben nicht gefragt?«
»Nein.«
»Es mußte Ihnen doch auffallen, daß Ihre Schwester die Actie zu verkaufen wünschte.«
Heinrich schwieg. Was sollte er auf diesen Einwurf entgegnen?
»Es ist mir nicht aufgefallen,« erwiederte er endlich.
»Wo haben Sie das gelöste Geld gelassen?«
»Ich habe es meiner Schwester gegeben.«
»Wann?«
»Gestern.«
»Um welche Zeit?«
»Gestern Abend.«
»Sie waren also gestern Abend mit Ihrer Schwester zusammen?«
Heinrich wurde gewahr, daß er sich immer mehr verrieth, und doch war es schon zu spät um inne zu halten.
»Ja,« erwiederte er mit gepreßter Stimme.
»Wo haben Sie Ihre Schwester getroffen?«
»Ich wollte zu ihr gehen, um ihr das Geld zu bringen – ich traf sie auf dem Wege zur Villa der Frau von Matten.«
»Um welche Stunde war dies?«
»Es mochte acht Uhr sein.«
»Sie waren dann mit Ihrer Schwester noch länger zusammen?«
»Nein.«
»Wo haben Sie den Abend zugebracht?«
Heinrich zögerte mit der Antwort. Diese Frage hatte er am meisten befürchtet. Gab es denn keinen Ausweg mehr für ihn?
»Ich bin spaziren gegangen,« erwiederte er.
»In dem Regen und in dem Sturm?« warf Eichner lächelnd ein.
»Ja, ich hatte den ganzen Tag über gearbeitet und sehnte mich nach frischer Luft.«
»Sonderbar!« fuhr Eichner fort. »Ihre Schwester behauptet auch, spazieren gegangen zu sein, obschon das Wetter nicht dazu einlud, wäre es dann nicht wenigstens am Natürlichsten gewesen, daß Sie Ihren auffallenden Spaziergang zusammen unternommen hätten?«
»Meine Schwester sagte, daß sie eine Freundin besuchen werde,« bemerkte Heinrich.
»Wirklich!« warf Eichner ein. »Sie haben mit Ihren Ausflüchten wenig Glück, denn dieselben tragen das Gepräge der Unwahrheit zu offen an der Stirn. Wo hat Ihre Schwester das von Ihnen erhaltene Geld gelassen, bei ihr ist nichts gefunden.«
»Ich weiß es nicht,« gab Heinrich zur Antwort.
»Nun, Ihr Sekretär giebt mir vielleicht darüber eine nähere Auskunft« sprach Eichner, und trat an den Sekretär heran.
Erstaunt blickte Heinrich ihn an, denn er begriff ihn nicht. Wollte er wirklich nach dem Gelde suchen? Was hatte dies mit der Flucht Fortmanns zu thun? – Ruhig ließ er den Kommissär die Durchsuchung vornehmen.
»Ah!« rief Eichner, der einen Kasten aufgezogen hatte.
»Hier ist ja noch eine zweite und gleiche Actie! Woher haben Sie dieselbe?
»Von meiner Schwester.«
»Als Geschenk?«
»Nein, sie bat mich, die beiden Actien zu verkaufen, diese habe ich behalten und ihr den Werth von meinem Ersparnisse gegeben, ich würde auch die andere behalten haben, wenn ich so viel Geld gehabt hätte.«
Eichner schien auf diese Worte wenig Werth zu legen, denn ohne zu hören suchte er weiter. Er fand indeß nur noch eine geringe Geldsumme, auch die sorgfältige Durchsuchung des Zimmers und der anstoßenden Kammer blieb ohne Erfolg. Er schien mehr erwartet zu haben.
»Herr Belitz, ich bin genöthigt, Sie zu verhaften!« sprach er.
Erschreckt fuhr Heinrich zurück. Noch war seine Schuld ja nicht erwiesen – sollte Thekla ihn dennoch verrathen haben?
»Weshalb?« rief er.
»Ich glaube, die Antwort auf diese Frage können Sie sich selbst am Genauesten geben,« erwiederte Eichner. »Frau von Matten ist ermordet und beraubt, und in Ihrem Besitze befindet sich eine der geraubten Actien!«
Heinrich blickte den Kommissar starr an. Erst in diesem Augenblicke errieth er den Grund seiner Verhaftung. »Ich habe die Actie ja schon seit mehreren Tagen in Händen!« rief er. »Ich kann es beweisen, wie können sie geraubt sein, da die Beraubung erst gestern Abend stattgefunden hat!«
Eichner zuckte ruhig mit der Achsel.
»Und wenn Frau von Matten nun ermordet wäre, damit sie nicht entdecke, daß sie bestohlen sei?« warf er ein.
»Die Actien sind nicht gestohlen!« rief Heinrich noch einmal, seine Worte machten indeß wenig Eindruck, weil seine unverkennbare Angst zu verrathen schien, daß er sich schuldig fühlte.
Er widersetzte sich der Verhaftung nicht, sondern folgte ohne Weigerung dem Kommissar zum Gefängnisse. Er glich einem Menschen, der vollständig gebrochen, in dessen Brust auch nicht die geringste Hoffnung übrig geblieben ist.
Das Geschick schien sich gegen ihn und Thekla verschworen zu haben. Thekla hatte eingestanden, daß Frau von Matten ein Kleid von dem Stoffe, aus dem das Stück Zeug bestand, welches in der Hand der Ermordeten gefunden war, besessen habe, dadurch schien der letzte Zweifel an ihrer Schuld zu schwinden.
– – – – – – –
Herr von Mahlo, der bereits am Nachmittage dieses Tages einen Trauerflor um seinen Hut getragen, hatte für den Abend eine große Gesellschaft eingeladen. Natürlich hatte sein Diener sofort nach der Kunde von der Ermordung seiner Tante die Gesellschaft absagen müssen, da er unmöglich an diesem Tage Gäste bei sich sehen konnte. Zwar kamen manche seiner Freunde, um ihm ihre Theilnahme an dem Geschicke, welches ihn betroffen, auszudrücken – er empfing sie mit der Miene eines Mannes, der alle Kräfte aufbietet, um das mit Fassung zu tragen, was er unabänderlich tragen muß.
Er saß an dem Abende allein mit seiner Frau auf deren Zimmer. Der Diener hatte den Thee aufgetragen, allein ohne das Essen anzurühren, saß die schöne Frau in eine Ecke des Divans zurückgelehnt. Sie schien verstimmt zu sein. Ihre feine weiße Hand zupfte an einer Quaste des Divans, allein selbst in dieser harmlosen Bewegung der Finger verrieth sich eine innere Unruhe und Ungeduld. Die Nähe ihres Mannes, welcher halb besorgt den Blick über sie hinschweifen ließ, schien sie kaum zu bemerken.
Mahlo, welcher im Zimmer auf und abschritt, trat an sie heran.
»Elwire, Du bist aufgeregt,« sprach er.
Die Lippen der stolzen Frau zuckten halb unwillig, halb spöttisch, mit der Hand machte sie nur eine abwehrende Bewegung.
»Was fehlt Dir?« fuhr Mahlo fragend fort. »Deine Unruhe macht mich besorgt.«
»Nichts – nichts fehlt mir – ich bin nur gelangweilt!« unterbrach ihn ungeduldig Elwire. »Du weißt, daß ich für die Gesellschaft heute Abend vielfache Vorkehrungen getroffen – ich hatte mich auf sie gefreut!«
»Beste Elwire, Du mußt begreifen, daß es unmöglich war, heute Gäste bei uns zu sehen,« bemerkte Mahlo.
»Gewiß begreife ich dies!« fuhr die Frau fort, welche durch die beruhigenden Worte ihres Gatten nur noch mehr erregt zu werden schien. »Ich spreche nicht von dem Opfer des heutigen Abends, sondern denke an die unangenehme Zukunft, welche uns hier bevorsteht. Es ist mir peinlich, Trauerkleidung zu tragen, ich soll eine betrübte Miene zeigen, während ich nicht betrübt bin. Ich habe ja mit Deiner Tante nie sympathisirt!«
Es lag in ihren Worten etwas Kaltes, Herzloses. Die entsetzliche That schien wenig Eindruck auf sie gemacht und nicht einmal ein Gefühl des Mitleids hervorgerufen zu haben. Von Jugend auf verwöhnt, aufgewachsen unter den Zerstreuungen einer großen Stadt, von Herren umschwärmt und gehuldigt, fand sie nur in Vergnügungen Befriedigung und der Gedanke, daß sie eine Zeitlang diese Vergnügungen entbehren solle, verstimmte sie.
»Du brauchst Dir ja nur für wenige Wochen den Zwang aufzuerlegen,« warf Mahlo ein. »Wir sind diese Rücksicht meiner Tante schuldig und uns selbst.«
Die schöne Frau blickte ihren Gatten halb überrascht an.
»Du verräthst heute zum ersten Male eine besondere Neigung zu Deiner Tante,« bemerkte sie.
Eine leichte Röthe schoß über Mahlos Gesicht hin.
»Elwire, wir müssen den Anstand wahren,« sprach er.
»Gewiß,« fuhr Elwire fort, indem sie sich erhob, »ich glaube, wir würden dies thun, wenn wir die Stadt verließen. Jedenfalls würden wir in irgend einem Badeorte freier und weniger beengt leben können.«
»Ich kann noch nicht fort,« entgegnete Mahlo. »Die Beerdigung meiner Tante, die Regelung der Erbschaft erfordert, daß ich hier bleibe.«
Elwire war an das Fenster getreten und blickte durch dasselbe in den dunklen Garten, welcher sich darunter ausbreitete.
»Ich habe geglaubt, dies Alles würdest Du durch einen Andern besorgen lassen können,« warf sie ein, ohne ihren Mann anzublicken.
»Es geht nicht,« erwiederte Mahlo.
»Es geht nicht?« wiederholte Elwire, indem sie sich umdrehte und den Blick auf ihn richtete. »So täusche ich mich dennoch nicht, wenn ich vermuthe, daß Dir die Erbschaft Deiner Tante mehr am Herzen liegt, als Deine Frau?«
»Elwire!« rief Mahlo, sie unterbrechend. »Du machst mir Vorwürfe, obschon Du Dir selbst gestehen mußt, daß sie ungerecht sind. Ich habe Dir bereits so unendlich viele Opfer gebracht, daß ich auch dies nicht scheuen würde, wenn es mir möglich wäre!«
Die stolze Frau hatte sich hoch aufgerichtet, ihr Auge leuchtete, ihre Lippen zuckten. Die Worte, daß er ihr Opfer gebracht habe, hallten in ihr wieder und verletzten sie tief.
Worin bestanden die Opfer? Ja, sie hatte kein Vermögen besessen, als sie ihm die Hand gereicht; hatte sie ihm nicht hundertmal mehr geopfert? Sie hatte ihn nicht geliebt, ihr Herz gehörte bereits einem Verwandten, der indeß nicht reich genug war, um sie zu heirathen. Sie hatte gehofft, diese hoffnungslose Liebe zu überwinden und zu vergessen, sie hatte sich in Vergnügungen gestürzt, um in dem Rausche derselben ihr Herz zum Schweigen zu bringen. Ihr Bemühen war vergebens gewesen. Sie erschien kalt und abstoßend, ihr Stolz gestattete nicht, zu verrathen, was in ihrem Innern vorging, dort glühte es mehr denn je.
Sie hatte ihren Gatten nicht lieben gelernt, ja, es gab oft Augenblicke für sie, in denen sie ihn nicht einmal sehen konnte, in denen seine Nähe beängstigend auf sie wirkte. Der Gedanke, für immer an ihn geknüpft zu sein, lag wie ein schwerer Druck auf ihr. Das Leben bot ihr keine Freude mehr, sondern nur das Verlangen, zu genießen, sich zu berauschen, zu vergessen.
Dies Alles fuhr durch ihren Kopf hin, der lange zurückgehaltene stille Groll drohte hervorzubrechen, sie verstand es indeß, sich zu beherrschen.
Stolz wandte sie ihm den Rücken zu und schritt der Thür zu, um das Zimmer zu verlassen.
Mahlo trat an sie heran und versuchte, ihre Hand zu erfassen. Sie zog dieselbe zurück.
»Ich bitte Dich, mich fortgehen zu lassen,« sprach sie mit kalter Ruhe. »Ich verzichte auf den Wunsch, den ich ausgesprochen hatte, denn ich will nicht, daß Du mir ein neues Opfer bringst – ich werde hier bleiben.«
Ihre Worte klangen fest, bestimmt. Sie verließ das Zimmer.
Mahlo stand regungslos da, mit auf einander gepreßten Lippen blickte er ihr nach. Er zitterte leise vor Erbitterung; dieser Stolz, diese Kälte seiner Frau peinigte ihn und doch besaß er nicht den Muth, ihr entgegen zu treten. Er hatte ihr in der That größere Opfer gebracht, als sie ahnte. Um ihren Wünschen, ihrem Verlangen nach Vergnügungen und Luxus nachzukommen, hatte er in kurzer Zeit sein Vermögen verschwendet und was hatte er durch das Alles erreicht? Sie war gegen ihn nicht anders geworden. Er hatte sie leidenschaftlich geliebt, er liebte sie noch, allein oft wußte er selbst kaum, ob seine Liebe nicht in Haß übergegangen war.
Daß sie ihren Vetter geliebt, war ihm kein Geheimniß geblieben und sein Auge war zu scharf, um nicht zu erkennen, daß diese Liebe noch immer in ihrem Herzen lebte.
Eine glühende Eifersucht hatte ihn erfaßt. Der Gedanke, daß ihr scheinbar so kaltes Herz für einen anderen schlagen könne, trieb ihn fast zur Verzweiflung. Es erschien ihm wie ein Hohn, daß er für sie sein Vermögen geopfert hatte und daß dennoch ein Anderer von ihr geliebt wurde.
Mit den Augen der Eifersucht hatte er sie bewacht, noch hatte er indeß keinen Beweis gefunden, daß sie mit ihrem Vetter noch in Verbindung stand. Dies war nicht im Stande, ihn zu beruhigen, denn er kannte ihre Klugheit und Vorsicht. Konnte hinter ihrem Wunsche, in ein Bad zu reisen, nicht die Absicht versteckt liegen, mit ihrem Vetter, der nicht in M. lebte, zusammen zu treffen?
Er haßte diesen Vetter, einen jungen Baumeister Namens Arthur Träger, denn er allein stand seinem Glücke im Wege; er konnte nicht an ihn denken, ohne daß ihn eine innere Erregung erfaßte. Diese Erregung veranlaßte ihn auch jetzt im Zimmer auf und ab zu schreiten, um sein heißes Blut zu beruhigen. Da fiel zufällig sein Blick auf den halb geöffneten Nähtisch seiner Frau. Ein Brief lag in demselben.
Rasch trat er hinzu und nahm den Brief in die Hand, derselbe enthielt nur wenige, flüchtig geschriebene Worte, sie lauteten.
»Ich komme in wenigen Tagen nach M. Elwire, ich muß Dich sehen und sprechen.
Dein Arthur.«Mahlo's bleiche Wangen schienen noch blässer zu werden, seine Hand zitterte, seine sonst matt blickenden Augen nahmen einen fast starren Ausdruck an.
Seit langer Zeit hatte er nach einem solchen Beweise gesucht und jetzt hielt er denselben in der Hand. War dies der erste Brief, den seine Frau von dem früheren Geliebten empfangen hatte? Diese Frage stieg in ihm auf und peinigte ihn.
Er wollte die Zeilen in der Hand zerknittern, rasch besann er sich indeß eines Anderen. Ein spöttisches Lächeln glitt um seinen Mund, während er den Brief in den Nähtisch zurücklegte, dann verließ er das Zimmer. Er war nicht mehr in Zweifel, was er zu thun habe. Die Worte, welche er gelesen hatte, enthielten kein Unrecht. War es etwas Unerlaubtes, wenn Träger seiner Cousine schrieb, daß er sie zu sprechen wünsche? Konnte Elwire, wenn er ihr dies sagte, ihm dies nicht erwidern? Er wollte sich erst überzeugen, ob das Zusammentreffen wirklich ein harmloses war. Er glaubte nicht daran, allein er wollte Gewißheit haben, eher er weiter handelte.
Nun er wußte, daß Träger nach M. kam, konnte es ihm nicht schwer werden, ihn und Elwire überwachen zu lassen. Eine Schwierigkeit hatte ihn nie zurückgeschreckt, wenn er einmal einen Entschluß gefaßt hatte. Auf seinem Zimmer angelangt, schellte er dem Diener. Wohl zögerte er einen Augenblick, als derselbe eintrat, es war ihm peinlich, denselben in das, was er vorhatte, einzuweihen, und doch konnte er die Unterstützung desselben nicht entbehren, da der Tod seiner Tante ihn selbst für die nächsten Tage vielfach in Anspruch nehmen mußte. Schnell scheuchte er jedes Bedenken von sich, denn nicht zum ersten Male hatte er den Diener als Vertrauten benutzt und so wenig er auch der Ehrlichkeit desselben traute, so wußte er doch, daß er auf sein Schweigen und seine Klugheit sich fest verlassen konnte.
»August,« sprach er zu dem Eingetretenen, indem er denselben näher an sich heran winkte. »Du kennst den Vetter meiner Frau?«
Der Diener, eine mittelgroße, fast schmächtige Gestalt, hatte ruhig dagestanden, nur sein kleines Auge war fragend und lauernd auf seinen Herrn gerichtet. Aus seinen nichts weniger als hübschen Zügen sprach ein verschmitzter Ausdruck. In halb vertraulicher Weise nickte er bestätigend mit dem Kopfe, sein Lächeln verrieth, daß er bereits mehr wußte, als Mahlo glaubte.
»Es liegt mir daran zu erfahren, ob meine Frau mit ihm zusammen kommt,« fuhr Mahlo fort, ohne den Diener anzublicken. »Glaubst Du, dies erforschen zu können?«
»Ich hoffe,« entgegnete der Diener ziemlich kurz. »Sie wünschen es vor der Zusammenkunft zu wissen?«
»Ja,« gab Mahlo zur Antwort. »Ich weiß, daß ich mich auf Dein Schweigen verlassen kann und Du weißt, daß ich einen Dienst gut zu bezahlen pflege. Meine Frau darf nicht ahnen, daß ich um die Ankunft ihres Vetters weiß.«
»Ich hoffe, Sie sollen mit mir zufrieden sein,« gab der Diener zur Antwort. Er hatte bereits weit schwierigere Aufgaben für seinen Herrn erfüllt und war zu Allem bereit, was ihm Geld brachte.
Mahlo winkte ihm mit der Hand sich zu entfernen. Er wollte allein sein und sich von dem Gefühle der Beschämung, welches ihn dem Diener gegenüber erfaßt hatte, befreien.
Mahlo brachte die folgenden Tage in größter Unruhe hin. Das Begräbniß der Frau von Matten fand auf seine Anordnung mit dem größten Luxus statt, er besuchte Eichner, um sich nach dem Ergebniß seiner Thätigkeit zu erkundigen und ihm zugleich für Thekla's und Heinrich's Verhaftung ein werthvolles Geschenk zu überbringen.
»Ist die Schuld der beiden Verhafteten vollständig erwiesen?« fragte er.
»Ja,« gab der Commissar zur Antwort. »Sie leugnen freilich hartnäckig, dies wird ihnen indeß nicht nützen. Es sind schon Viele verurtheilt, gegen welche weniger Beweise sprechen!«
»Sie werden vor das Geschwornengericht gestellt werden?« forschte Mahlo weiter.
»Gewiß, und die Geschworenen werden am Wenigsten sich den Beweisen verschließen. Zudem hoffe ich noch, daß die beiden Verhafteten ihre rettungslose Lage einsehen und ihre Schuld gestehen werden. Sie sind noch zu wenig Verbrecher, sonst würden sie vorsichtiger gewesen sein.«
»Ich vermag noch immer nicht zu fassen, wie sie auf den Gedanken gekommen sind, der alten guten Frau das Leben zu nehmen!« warf Mahlo ein. »Wer meine Tante kannte, mußte sie lieb gewinnen.«
»Ich glaube auch nicht, daß es von Anfang an ihre Absicht gewesen ist, die alte Dame zu ermorden,« entgegnete Eichner. »Ich vermuthe, sie sind durch ein anderes Vergehen dazu gedrängt. Die Verhaftete hat ihrer Herrin die Actien entwendet, Frau von Matten hat dies entdeckt und um der Bestrafung zu entgehen, hat sie den Mund der alten Dame für immer zum Schweigen gebracht. So wird es wahrscheinlich gekommen sein.«
»Sie werden Recht haben,« bemerkte Mahlo. »Es ist ja natürlich, daß ich überhaupt nicht zu begreifen vermag, wie Jemand eine solche That ausführen kann. Hätte die unglückselige Person lieber ihr Vergehen meiner Tante offen eingestanden, sie würde ihr verziehen und das Geld sogar geschenkt haben, ich kannte ja ihr gutes und weiches Herz.«
Mahlo hatte die Erbschaft seiner Tante bereits angetreten und ließ in der Villa große Veränderungen vornehmen, um dieselbe zu beziehen. Er fand dadurch indeß wenig Beruhigung, denn die Eifersucht peinigte ihn. Noch schien Träger nicht in M. angelangt zu sein, allein konnte er nicht jeden Tag kommen? Konnte seine Frau, während die Geschäfte ihn fern hielten, nicht ungestört mit dem früheren Geliebten zusammen treffen? Sein Diener versicherte ihn, daß dies noch nicht geschehen sei, in seiner Unruhe mißtraute er sogar der Klugheit desselben, obschon er diese in verschiedenen Fällen hinreichend erprobt hatte.
Dazu kam, daß Elwire gegen ihn kälter und zurückhaltender war als je. Sie konnte den Blick so fest und forschend auf ihn richten, daß er nicht im Stande war, denselben auszuhalten.
Der Diener hatte nichts versäumt, um Mahlo's Auftrag zu erfüllen. Er hatte Zeit, um Elwire seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen und war klug genug, dies geschickt zu verbergen. Zudem lag es in seinem eigenen Interesse, Elwire sorgfältig zu beobachten. Jemehr er in die Geheimnisse des Hauses eingeweiht wurde, um so fester war Mahlo an ihn gebunden. Er konnte ihn bereits nicht mehr entfernen, wenn er sich irgend ein Vergehen hatte zu Schulden kommen lassen, weil er zu viel verrathen konnte.
In schlauer Weise hatte August berechnet, daß seine Herrin, wenn sie mit ihrem Vetter zusammen kommen und diese Zusammenkunft geheim halten wollte, dies nicht ohne fremde Hülfe thun könne. Sie bedurfte einer Vermittlerin und die einzige Person, deren sie sich bedienen konnte, war ihr Kammermädchen Johanna. Diese war nichts weniger als hübsch und er hatte sich stets über sie lustig gemacht, weil er eine stille Liebe des Mädchens zu sich entdeckt hatte. Seit einigen Tagen hatte er indeß sein Benehmen gegen Johanna verändert, er erwies ihr Aufmerksamkeiten, suchte sich ihr zu nähern und es konnte ihm nicht schwer werden, das Vertrauen des harmlosen Mädchens zu gewinnen. Ein einziges hingeworfenes Wort, daß er noch einige Zeit dienen werde, um seine Ersparnisse zu verwerthen, daß er dann eine kleine Wirthschaft miethen werde, und hoffe, Johanna werde dann nicht unfreundlich gesonnen sein, hatte in dem Herzen des Mädchens Hoffnungen erweckt, welche sie bisher kaum zu hegen gewagt hatte.
Er war zu klug, um irgend eine Frage über ihre Herrin an sie zu richten; nun er ihr Vertrauen besaß, mußte es ihm ja leicht werden, Alles zu erfahren, was er wünschte.
Seit Tagen hatte er sie sorgfältig beobachtet, da sah er sie mit einem Briefe in der Hand aus dem Zimmer ihrer Herrin treten. Scherzend näherte er sich ihr.
»Johanna, Sie werden mit jedem Tage jünger,« sprach er, während er den Brief in ihrer Hand kaum zu bemerken schien. Durch einen einzigen flüchtigen Blick hatte er den Namen Träger auf der Adresse bereits gelesen.
Die Geschmeichelte erröthete und suchte ihre Hand, welche er erfaßt hatte, zurückzuziehen.
»Ich träume jetzt Tag und Nacht von einer glücklichen Zukunft,« fuhr August fort, indem er die erfaßte Hand fest hielt. »Johanna, sagen Sie mir offen, ob ich dann eine Frage an Sie richten darf, deren Bejahung mich glücklich machen wird – unendlich glücklich!«
Die Gefragte erröthete noch mehr. War dies nicht bereits ein Geständniß seiner Liebe? Sie vermochte nicht zu antworten.
»Ihr Schweigen läßt mich hoffen!« rief August leise, indem er den Arm um sie schlang. »Johanna, ich danke Ihnen, von dieser Stunde an stehe ich Ihnen näher und ich hoffe, Ihnen manchen kleinen Dienst erweisen zu können. Ich sehe, daß Sie einen Brief besorgen sollen, geben Sie her, ich muß ohnehin zur Post.«
»Ich soll den Brief selbst besorgen – nicht zur Post,« gab Johanna zur Antwort. »Die gnädige Frau hat es befohlen – ich muß eilen!«
Sie wollte sich seinem, Arme entwinden, lachend zog August sie in sein Zimmer.
»Der Brief wird nicht solche Eile haben!« rief er. »Johanna, zum ersten Male habe ich Ihnen verrathen, was längst mein Herz erfüllt. Gönnen Sie mir das Glück, in Ihr Auge schauen zu können!«
Er hatte ihr den Brief aus der Hand genommen, auf den Tisch geworfen und ihre beiden Hände erfaßt. Mit dem Ausdrucke der zärtlichsten Liebe blickte er sie an.
»Warum haben wir uns nicht schon früher gefunden – wir hätten so manche glückliche Stunde zusammen verleben können,« fuhr er fort. »Sehen Sie, ich bin böse auf Sie gewesen, ich habe Ihnen gegrollt, weil ich glaubte, ich sei Ihnen ganz gleichgültig. Das ärgerte mich.«
»Sie sind mir nie gleichgültig gewesen!« flüsterte das glückliche Mädchen.
»Johanna, die gnädige Frau hat gerufen!« rief August.
»Daß man auch nicht zehn Minuten ungestört sein kann!« fügte er hinzu, indem er unwillig mit dem Fuße auf die Erde stampfte.
Johanna hatte nicht gehört.
»Eilen Sie!« drängte August. »Sie wissen, daß die stolze Dame nicht gerne zum zweiten Male ruft!«
Johanna wollte den Brief erfassen – August drängte sie zur Thür.
»Eilen Sie – den Brief können Sie ja nachher holen!« sprach er und schob das halb verwirrte Mädchen sanft zur Thür hinaus.
Leise schloß er die Thür hinter ihr, ein spöttisches Lächeln glitt um seinen Mund. Die Thörin glaubte und vertraute ihm, sie hatte keine Ahnung, daß er sie nur benutzen wollte!
Er nahm den Brief vom Tische und prüfte ihn vorsichtig. Er hatte sich nicht geirrt, die Adresse lautete an Arthur Träger. Das Couvert war mit dem Siegel der Frau von Mahlo verschlossen. Einen Augenblick zögerte er und stand lauschend an der Thür – außen war Alles still. Dann entfernte er vorsichtig und gewandt das Siegel mit einem scharfen, dünnen Messer. Hastig öffnete er den Brief und durchflog ihn, sein Auge leuchtete, er schien zu finden, was er gesucht hatte.
Ebenso schnell schloß er den Brief wieder und befestigte das Siegel – schon hörte er draußen Tritte. Rasch warf er den Brief wieder auf den Tisch und eilte zur Thür.
Leise schloß er sie auf. Kaum eine Secunde später trat Johanna ein.
»Die gnädige Frau hat mich nicht gerufen,« sprach sie.
»Ich habe es doch deutlich gehört!« versicherte August und machte ein so harmloses Gesicht, daß selbst ein schärferes Auge aus seinen Zügen nichts zu lesen vermocht hätte.
»Sie müssen sich geirrt haben,« fuhr Johanna fort. »Die gnädige Frau machte mir Vorwürfe, daß ich den Brief noch nicht besorgt habe – wo ist er?«
August blickte sich so unbefangen suchend um, als habe er an den Brief gar nicht weiter gedacht.
»Dort liegt er ja!« rief er, auf den Tisch deutend. »Johanna, bleiben Sie ruhig noch etwas hier, eine solche Eile wird wohl nicht nöthig sein. Die Herrschaften sind durch uns selbst verwöhnt, selbst bei der geringfügigsten Sache verlangen sie sofortige Ausführung!«
»Verrathen Sie nicht, daß Sie den Brief gesehen haben,« bat Johanna. »Ich sagte der gnädigen Frau, daß ich ihn auf mein Zimmer gelegt habe.«
»Johanna, ich würde Sie nicht verrathen und wenn ich mein Leben damit erkaufen könnte!« versicherte der Diener.
»Was kümmert mich übrigens der Brief! Ich weiß nicht einmal, an wen er gerichtet ist und ich will es auch nicht wissen – ich denke nur an unsere Zukunft!«
Er umfaßte Johanna, die sich ihm sanft entzog und aus dem Zimmer eilte, um den Brief zu besorgen.
Lachend blickte er ihr nach. Einen Augenblick überlegte er, ob er das, was der Brief enthielt, nicht doppelt verwerthen könne; schnell gab er diesen Gedanken indeß auf, denn er verhehlte sich nicht, daß dieß zu gewagt sein würde.
Der Wagen des Herrn von Mahlo fuhr vor und er beeilte sich, seinem Herrn beim Aussteigen behülflich zu sein.
»Ich habe Ihnen etwas mitzutheilen,« sprach er leise.
»Dann komme auf mein Zimmer,« entgegnete Mahlo. »Warte indeß, bis ich schellen werde.«
Rasch eilte er in sein Gemach. Er war unruhiger, als er zeigen mochte und schritt im Zimmer auf und ab, um seine Ruhe wieder zu gewinnen. Dann schellte er.
Der Diener trat ein.
»Was hast Du mir mitzutheilen?« fragte Mahlo hastiger als seine Absicht war.
»Daß mir Ihr Auftrag gelungen ist,« gab August zur Antwort.
»Meine Frau ist mit ihrem Vetter zusammen getroffen!« rief Mahlo.
Seine Lippen zuckten, es war ihm unmöglich, die Leidenschaft, welche ihn erfüllte, zurückzuhalten.
»Noch nicht,« erwiderte der Diener. »Sie wird indeß heute Abend mit ihm zusammen treffen«
»Wo?«
»Im Garten – in dem kleinen Pavillon.«
»Um welche Zeit?«
»Um neun Uhr.«
Mahlo's Gesicht erschien etwas verzerrt. Er schwieg, als wäre er über das, was er thun sollte, noch unschlüssig.
»Heute Abend, sagst Du?« fragte er noch einmal.
»Heute Abend,« versicherte der Diener.
»Woher weißt Du dies?«
August erzählte, daß er den an Träger gerichteten Brief gelesen habe.
»Wie ist dies möglich gewesen?« warf Mahlo ein.
»Johanna sollte ihn besorgen.«
»Und sie hat ihn Dir gegeben?«
»Nein,« erwiderte August. »Sie ist zu ehrlich dazu. Es hat viel Mühe gekostet, ihr den Brief abzunehmen.«
Er erzählte, auf welche Weise er dies ausgeführt hatte.
Mahlo's matte Augen waren fest auf ihn gerichtet. Die Gefährlichkeit dieses Menschen kam ihm erst in diesem Augenblicke zum vollen Bewußtsein. Konnte derselbe seine Schlauheit nicht benutzen, um ihn selbst zu überwachen? Er suchte in den Zügen des Dieners zu lesen, das Lächeln desselben verrieth ihm nichts. Gewaltsam drängte er die in ihm aufgestiegenen Gedanken zurück, der Diener hatte ja in seinem Auftrage gehandelt.
»Es ist gut – gut!« sprach er. »Weshalb hast Du den Brief nicht abgeschrieben? Der Wortlaut würde mich interessirt haben.«
»Ich hatte nicht Zeit dazu,« entgegnete August. »Der Brief enthielt nur wenige Zeilen.«
»Mahlo durchschritt erregt das Zimmer. Gedanke auf Gedanke drängte sich durch seinen Kopf hin, sein Blut schien zu glühen, seine Hände zitterten. Dann gab er dem Diener eine Geldrolle.
»Du schweigst!« sprach er. »Heute Abend trägst Du Sorge, daß keiner der Dienerschaft den Garten betritt, es wird Dir an einem Grunde, sie fern zu halten, nicht fehlen. Nun geh!«
Der Diener verließ das Zimmer.
Mahlo warf sich in einen Fauteuil, seine Brust rang nach Athem, jetzt konnte er ungestört der Leidenschaft der Eifersucht Raum geben. Bis jetzt hatte er dennoch gezweifelt, ob Elwire dem Verlangen ihres Vetters nachgeben werde. Dieser Zweifel war von ihm genommen, am Abende wollte sie ihn allein in dem Pavillon treffen – sie liebte ihn also noch!
Sein halb geschlossenes Auge blickte starr vor sich hin, der weiche Zug seines Gesichtes war geschwunden. Er wollte Zeuge der Zusammenkunft sein – und dann – und dann? darüber war er mit sich noch nicht einig. Sein Haß gegen Träger würde ihn zum Schlimmsten getrieben haben, allein er fühlte, daß er sich beherrschen müßte, er durfte sich von der Leidenschaft des Augenblicks nicht hinreißen lassen. Und er verstand es, sich zu beherrschen.
Einige Zeit lang saß er noch regungslos da, dann sah er nach der Uhr, strich mit der Rechten das Haar aus der Stirn zurück, erhob sich, warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel und begab sich mit einer scheinbar heiteren Miene in das Zimmer seiner Frau.
Elwire saß am Fenster und blickte in Gedanken versunken durch dasselbe in den Garten. Sie richtete den Kopf empor, als sie ihren Gatten eintreten sah und schaute ihn mit kalter Ruhe an. Mahlo erbitterte diese Ruhe; sie war schuldig und wagte noch, mit Stolz auf ihn zu blicken. Kein Zug seines Gesichts verrieth indeß, was in ihm vorging.
»Elwire, ich wollte Dich bitten, heute Abend mit mir das Theater zu besuchen,« sprach er mit freundlichem, harmlosen Gesichte, »ich habe die Billets bereits besorgen lassen, leider ist eine Störung dazwischen gekommen, die es mir unmöglich macht. Ein Freund hat mir geschrieben, daß er heute Abend hier eintrifft und mich im Hotel erwartet, weil er morgen früh wieder abreist. Derselbe schuldet mir aus früherer Zeit eine nicht unerhebliche Summe und ich möchte deshalb diese Gelegenheit benutzen, um die Angelegenheit mit ihm zu ordnen. Es ist also wirklich eine Geschäftssache, die mich für heute Abend in Anspruch nimmt.«
Elwire schien auf seine Worte kaum gehört zu haben.
»Ich danke Dir,« entgegnete sie. »Ich hätte Deine Freundlichkeit indeß ohnehin ablehnen müssen, weil ich mich heute sehr angegriffen fühle. Mein Kopf schmerzt.«
»Du solltest zum Arzte schicken,« warf Mahlo ein.
»Du weißt, daß ich die Aerzte nicht besonders liebe.«
»Ich kenne allerdings Deine Abneigung gegen sie,« fuhr Mahlo lachend fort, »deshalb können sie Dir jedoch immerhin nützen. Du solltest mehr die frische Luft genießen.«
Ungeduldig schüttelte Elwire mit dem Kopfe.
»Ich sehne mich nach Ruhe, weil ich fühle, daß sie mir am wohlsten thut,« entgegnete sie. »Wem ich ganz allein bin, wird mein Zustand besser.«
»Dann wirst Du es entschuldigen, wenn ich heute Abend vielleicht etwas spät nach Hause komme,« bemerkte Mahlo. »Ich habe meinen Freund seit Jahren nicht gesehen und befürchte, daß es spät werden wird, ehe er mich fortläßt.«
»Ich werde Dich am wenigsten in Deinen Vergnügungen beeinträchtigen,« erwiederte Elwire. Ihre Worte klangen gleichgültig, kalt.
Mahlo preßte die Lippen auf einander. Die innere Erregung, in der sich seine Frau befand, ließ sie schöner erscheinen, als je, auf ihren regelmäßigen, edlen Zügen schien ein leiser, schwermüthiger Hauch zu liegen. Ob sie des Wiedersehens mit dem früheren Geliebten gedachte und der Trennung, welche diesem Wiedersehen folgen mußte? Er beherrschte sich.
»Du weißt, daß jedes Vergnügen ohne Dich nur den halben Reiz für mich hat,« sprach er. »Morgen früh wirst Du Dich hoffentlich wohler fühlen.«
Er erfaßte Elwirens Hand, beugte sich auf dieselbe hinab und küßte sie. Mit lächelndem Gruße verließ er das Zimmer.
Die schöne Frau blickte ihm nach. Ihr scharfes Auge schien errathen zu haben, daß diese Freundlichkeit eine erzwungene war. Was bewog ihn dazu?
Eine Zeitlang beschäftigten sich ihre Gedanken mit dieser Frage, dann kehrten sie zu dem Gegenstande zurück, der sie vor dem Eintreten ihres Gatten in Anspruch genommen hatte. Sie dachte an die Zusammenkunft mit Träger. War es klug, daß sie ihm diese Zusammenkunft bewilligt hatte?
Sie fühlte, daß sie ihn noch leidenschaftlicher liebte als früher; durfte sie ihm dies zeigen? Besaß sie die Kraft, es ihm zu verbergen, wenn sie seine Stimme wieder hörte, wenn er ihre Hand erfaßt hatte? –
Ein fast banges Gefühl erfaßte sie. Wohin konnte diese Zusammenkunft führen? Hieß es nicht das Geschick herausfordern, indem sie die alte Leidenschaft noch einmal anfachte? Mußte sie sich dann an Mahlo's Seite nicht noch viel unglücklicher fühlen?
Sie stützte den Kopf auf die Hand und blickte starr vor sich hin. Ihr ganzes Leben erschien ihr als ein verfehltes, als ein hoffnungsloses. Traf sie allein die Schuld? Ein bitteres Gefühl tauchte in ihr auf. Weshalb war Träger arm gewesen, weshalb hätte sie nicht die Seinige werden können, denn an seiner Seite würde sie glücklich gelebt haben! …
Der Abend dämmerte bereits und mahnte sie, daß die Zeit, in der sie den Geliebten wieder sehen sollte, nicht mehr fern war. Unruhig erhob sie sich und schritt im Zimmer auf und ab. –
Mahlo war fortgefahren, heiter, lachend. In einem Hotel stieg er ab und schickte den Kutscher zurück; er wollte seine Rolle getreu durchführen. Bald darauf verließ er das Hotel wieder und schritt in einen Mantel gehüllt auf Umwegen, durch Nebengassen zu seiner Wohnung zurück. Der Abend erleichterte sein Vorhaben.
Als er an der Mauer angelangt war, welche den zu seiner Wohnung gehörenden Garten einschloß, schwang er sich gewandt über dieselbe und eilte, sich hinter Gebüsch verbergend, zu dem kleinen Pavillon. Er lauschte vorsichtig, als er sich demselben näherte. Alles war still. Noch war freilich nicht die Stunde, in welcher die Zusammenkunft stattfinden sollte, herangerückt.
Leise öffnete er ein Fenster des Pavillons, so daß von ihm jedes Wort, welches in demselben gesprochen wurde, gehört werden mußte, dann ließ er sich hart an der Mauer, hinter Gebüsch versteckt, nieder.
Er rührte sich nicht, sein Auge vermochte kaum zwischen den Zweigen und Blättern des Gebüsches hindurchzublicken, um so schärfer lauschte sein Ohr; kein Laut konnte ihm entgehen.
Früher als er erwartet hatte, hörte er sich nahende Schritte. An dem leichten Gange und dem Rauschen des Kleides erkannte er Elwire. Ihre Ungeduld schien die festgesetzte Stunde nicht haben erwarten zu können. Sie trat in den Pavillon, verließ denselben, als sie ihn leer fand sofort wieder und schritt erregt, ungeduldig vor ihm auf und ab.
Mehrere Male schritt sie so nahe an Mahlo vorüber daß er nur den Arm hätte auszustrecken nöthig gehabt, um sie zu erfassen. Er rührte sich nicht, er hielt sogar den Athem an, als befürchte er, daß dieser ihm verrathen könne.
Endlich kam Träger. Elwire eilte ihm entgegen, der Jugendgeliebte umschloß sie mit beiden Armen und sie ließ es geschehen. Es war ja die einzige glückliche Minute nach so vielen öden, trüben Tagen. Dann zog sie ihn mit sich in den Pavillon.
Mahlo hatte die Zweige des Gebüsches auseinander gebogen und Alles gesehen; jetzt richtete er sich langsam empor, bis sein Kopf das geöffnete Fenster berührte.
Er konnte keinen Blick in das Innere des Pavillons werfen, die Worte indeß, welche er vernahm, verriethen ihm Alles, was dort vorging.
»Habe Dank, Elwire, daß Du mir diese Zusammenkunft bewilligt hast!« rief Träger.
»Ich habe geschwankt,« entgegnete Elwire. »Es wäre vielleicht für uns beide besser gewesen, wenn ich Deine Bitte nicht erfüllt hätte, ich konnte indeß mein Herz nicht bezwingen. Es wäre eine Lüge, wenn ich Dir verhehlen wollte, daß es Dich noch ebenso innig liebt wie früher, es würde mir als Verrath an dieser Liebe erschienen sein. Wir sind ja getrennt, wir können einander nicht gehören, ich bin die Frau eines Andern, allein wer kann mich hindern, daß mein Herz für Dich schlägt, meine Gedanken bei Dir weilen!«
»Elwire, bald wird uns auch ein weiter Raum trennen,« bemerkte Träger.
»Du willst fort, willst das Land verlassen?« fragte Elwire und der Ton ihrer Stimme klang ängstlich und traurig.
»Ja,« gab Träger zur Antwort. »Ich habe in Rußland die Stellung als Direktor einer großen Fabrik angenommen. Deshalb mußte ich Dich noch einmal sehen, um Dir zu sagen, daß meine Liebe dieselbe geblieben ist, und daß sie es bleiben wird, wo ich auch weilen mag. Wer weiß, ob wir uns je wieder sehen werden!«
»Arthur, sprich nicht so!« unterbrach ihn Elwire. »Deine Worte nehmen mir das Einzige, worauf ich noch hoffen kann. Wenn ich glauben müßte, Dich heute zum letzten Male zu sehen, so würde ich das Leben nicht länger ertragen! Du ahnst nicht, wie qualvoll und öde es für mich ist, – ich selbst habe mir jede Hoffnung abgeschnitten.«
Mahlo hörte seine Frau leidenschaftlich weinen, er hatte noch nie eine Thräne in ihrem Auge gesehen. Krampfhaft ballte er die Hand – diese Thränen waren ihm der Beweis von der Tiefe und Leidenschaft ihrer Liebe. Er hätte laut, höhnend auflachen mögen.
Träger suchte die Schluchzende zu beruhigen.
»Die Zeit wird Dich ruhiger machen,« sprach er.
»Nein, nein!« rief Elwire. »Du begreifst meine Pein nicht, Du bist frei, ich dagegen bin für immer an einen Mann geschmiedet, den ich nicht liebe und nie lieben kann.«
Mahlo zuckte zusammen. Unwillkürlich suchte seine Hand nach einer Waffe, er hatte indeß absichtlich eine solche nicht mitgenommen, weil er befürchtete, daß er sich durch die Leidenschaft und Erbitterung würde hinreißen lassen. Er wollte seine Kräfte zusammenraffen, um noch länger zu lauschen es war ihm unmöglich. Seine Stirn glühte, der Gedanke, daß der Mann, den er so glühend haßte, seine Frau in diesem Augenblicke umfangen hielt, trieb ihn fast zum Wahnsinn.
Rasch trat er aus dem Gebüsche hervor und in den Eingang des Pavillons. Er hatte sich nicht getäuscht. Elwire ruhte an der Brust des Geliebten. Hastig sprang er hinzu, mit der Kraft der Verzweiflung umfaßte er Trägers Hand, riß ihn los und stieß ihn von sich.
»Zurück, Erbärmlicher!« rief er. »Diese Stunde sollst Du mir schwer bezahlen!«
Ein leiser Aufschrei hatte sich aus Elwirens Brust gerungen, sie hatte ihren Gatten erblickt, sie kannte die Leidenschaft desselben. Einen flüchtigen Augenblick lang drohte sie zusammenzusinken, dann raffte sie sich zusammen und trat vor Mahlo hin, um den Geliebten zu schützen.
»Ich habe ihn gebeten, hierher zu kommen, ich!« sprach sie – ihre Stimme zitterte.
»Ich weiß es,« erwiderte Mahlo höhnend. »Ich werde indeß Sorge, tragen, daß er nicht zum zweiten Male hieher kommt!«
»Arthur, flieh!« rief Elwire.
»Nein,« entgegnete Träger, indem er entschlossen vortrat, »ich werde Dich nicht allein lassen, ich fürchte ihn nicht!«
Die beiden Männer, die sich gegenseitig haßten, standen einander gegenüber. Nur das Leuchten ihrer Augen vermochte man zu sehen. Mahlo faßte sich zuerst, denn er war weniger überrascht.
»Ich würde Genugthuung von Ihnen verlangen, wenn ich nicht befürchtete, daß Sie sich derselben feige entziehen würden.« sprach er.
»Ich werde sie geben,« entgegnete Träger.
»Arthur – Arthur, Du darfst es nicht!« rief Elwire.
»Ich habe Ihr Wort,« fuhr Mahlo fort. »Ich werde Sie zu finden wissen und wie einen Buben züchtigen, wenn Sie sich dieser Genugthuung entziehen. Nun fort, damit ich nicht genöthigt bin, meinen Diener zu rufen!«
Träger rang mit sich, ob er Elwire allein lassen dürfe.
»Eile – eile!« rief sie halb flüsternd.
Hastig erfaßte er ihre Hand, drückte sie und stürzte fort aus dem Pavillon und dem Garten.
Elwire hatte sich an die Wand gelehnt, um nicht umzusinken; als sie Arthur forteilen sah, richtete auch sie sich empor und schritt langsam, schweigend, an Mahlo vorüber dem Hause zu.
Mahlo folgte ihr und begab sich auf sein Zimmer. Es war ihm lieb, daß er sich beherrscht hatte, um so sicherer konnte er sich an Träger rächen. Er wußte, daß derselbe ihm Genugthuung geben und nichts im Stande sein werde ihn das einmal gegebene Wort brechen zu machen. Darauf hatte er seinen Plan gebaut. Er selbst war ein vorzüglicher Schütze, auf fünfzig Schritte traf er mit dem Pistol einen Thaler. Wer konnte ihm einen Vorwurf machen, wenn er den Gegner im Duelle erschoß oder schwer verwundete? Er hatte Verbindungen genug, so daß er fest darauf rechnen konnte, daß sogar seine Strafe die mildeste wurde, welche das Gesetz zuließ.
Sein Gesicht war bleich, seine Hände zitterten noch vor Aufregung, dennoch glitt ein spöttisches Lächeln um seinen Mund, als sein Blick auf die an der Wand hängenden Pistolen fiel. Mit ihnen war er fest vertraut, auf sie konnte er fest bauen. Hatte er jetzt den verhaßten Mann nicht sicher in seiner Gewalt? Er wußte, daß seine Hand nicht zittern werde, wenn er auf der Mensur ihm gegenüber stand.
Und nicht einen Tag Frist wollte er Träger gönnen. Früh am folgenden Morgen wollte er ihm die Forderung übersenden und ehe die Sonne sich neigte, mußte das Duell entschieden sein. Er ließ sich am Schreibtische nieder und schrieb flüchtig an einen Freund einige Zeilen, in welchen er ihn bat, ihm als Secundant beizustehen und Träger am folgenden Morgen die Forderung zu überbringen.
Da trat Elwire in das Zimmer. Sie trug den Kopf aufrecht wie immer, allein die Blässe ihrer Wangen verrieth, wie viel sie gelitten. Seit langer Zeit hatte sie das Zimmer ihres Mannes nicht betreten.
Mahlo erhob sich, er wußte, was sie zu ihm trieb, rasch steckte er den Brief, der seinen Entschluß enthielt, in die Tasche – ihn sollte nichts von seinem Vorhaben abbringen.
»Du erräthst vielleicht, weshalb ich zu Dir komme,« sprach Elwire, sie stützte sich mit der Rechten auf die Lehnen eines Stuhles, um ihre Schwäche zu verbergen.
»Nein,« entgegnete Mahlo. »Ich hoffe indeß, es wird kein anderer Grund sein, als das Verlangen, mir über das Geschehene Aufklärung zu geben.«
»Bedarf es deren noch?« warf Elwire ruhig ein. »Du weißt, daß Arthur mich zu sehen und zu sprechen wünschte, um Abschied von mir zu nehmen, weil er auf lange Zeit, vielleicht für immer das Land verläßt.«
»Dazu schien sowohl der Ort wie die Zeit mir übel gewählt!« bemerkte Mahlo bitter.
»Wer hat uns dazu gezwungen?« fuhr Elwire fort. »Arthur weiß, daß Du ihn haßt – er kennt Deine Eifersucht.«
»Ist dieselbe vielleicht unberechtigt?« warf Mahlo ein.
Elwire schwieg einen Augenblick. Ihr stolzer Sinn gestattete nicht, daß sie die Unwahrheit sagte.
»Nein!« entgegnete sie. »Arthur liebt mich und ich liebe ihn. Hat Dich dies vielleicht überrascht? Hast Du es nicht längst gewußt, wußtest Du es nicht bereits, als Du mich um meine Hand ersuchtest?«
Das Blut stieg in Mahlos Wangen.
»Dies wagst Du mir so offen zu sagen!« rief er.
»Weshalb nicht?« erwiderte Elwire. »Welchen Vorwurf willst Du mir daraus machen? Habe ich Dir je gesagt, daß ich Dich liebe? Du hast meine Hand verlangt, – sie gehört Dir! Ich hoffte allerdings damals, daß die Zukunft sich anders gestalten, daß ich vergessen lernen und selbst vielleicht, daß ich Dich lieben lernen werde – ich habe es nicht gelernt!« –
Mahlo preßte die Lippen aufeinander. Dies Alles wußte er längst, trotzdem erbitterte es ihn tief, daß sie es ihm sagte.
Sein Auge zuckte – jetzt würde er eher gestorben sein, ehe er seinen Entschluß, Träger zu fordern, aufgegeben hätte.
»Ich will jetzt nicht rechten, wen die Schuld an dem Geschehenen trifft,« fuhr Elwire fort. »Es ist schlimm genug, daß außer unserem Glücke noch das eines dritten Menschen vernichtet ist. Du hast von Arthur Genugthuung verlangt, er hat versprochen, sie Dir zu geben und ich weiß, daß er seinem Worte nicht ausweichen wird, ich bitte Dich, von der Forderung zurückzustehen.«
Mahlo schien auf dies Wort nur gewartet zu haben, innere Freude, die Bitte abschlagen zu können, erfüllte ihn, es war die Genugthuung für die Kälte, mit der seine Frau ihn stets behandelt. Sie liebte ihn ja nicht. Hatte sie ein Recht, die Erfüllung dieser Bitte von ihm zu verlangen?
»Ich werde ihn fordern!« erwiederte er. »Glaubst Du, ich werde meine Ehre ruhig beleidigen lassen? Ich würde dies von Niemand dulden, am Wenigsten von ihm. Ich hätte ihn vielleicht sofort züchtigen sollen, – ich habe es nicht gethan, ich hoffte, Du würdest mir dafür dankbar sein.«
Elwire war noch bleicher geworden, sie schien die Ablehnung ihrer Bitte kaum erwartet zu haben.
»Mich trifft die ganze Schuld,« sprach sie. »Ich habe ihn zu der Zusammenkunft aufgefordert.«
»Ich weiß, daß er Dich zuerst darum ersucht hat,« warf Mahlo ein. »Du bist außerordentlich besorgt um ihn, besorgter als um Deinen Mann.«
»Ja, ich bin besorgt um ihn, weil ich ihn liebe!« fuhr Elwire fort, die ihre Aufregung nicht länger zurückhalten konnte. »Ich fürchte für ihn, weil ich Deine Gesinnung gegen ihn kenne und weiß, daß Du ihn nicht schonen wirst!«
Mahlo zuckte mit der Achsel.
»In einem Duelle stehen beide Gegner sich gleich!« bemerkte er. »Er hat vielleicht das Glück, mich zu tödten.«
Elwirens Lippen zuckten, sie fühlte, daß sie durch ihre Bitten nichts erreichen werde – sie mußte indeß den Geliebten retten, da sie Mahlos Ueberlegenheit in den Waffen konnte.
»Du wirst das letzte Band, welches uns verknüpft, zerreißen,« sprach sie. »Du nimmst mir die letzte Hoffnung, daß die Zeit unser Verhältniß freundlicher gestalten könne …!«
»Haha! Du erinnerst mich zur unrechten Zeit hieran!« unterbrach sie Mahlo. »Du erinnerst mich daran, wen die Schuld trifft, daß mein Traum des Glückes vernichtet ist.«
Elwire schien mit sich zu kämpfen, dann richtete sie den Blick fest auf ihren Gatten. Es lag etwas Durchdringendes in diesem Blicke.
»Mag mich die Schuld treffen!« rief sie leidenschaftlich. »Ich will nur die eine Frage an Dich richten, ob Du Dir keiner Schuld bewußt bist, nicht gegen mich, sondern gegen eine Andere?«
Mahlo versuchte vergebens den Blick auszuhalten, es war ihm, als ob derselbe bis in sein tiefstes Innere dränge.
Lächelnd, mit der erzwungenen Miene der Unbefangenheit wandte er sich ab.
»Ich verstehe Deine Frage nicht, weil ich mir keiner Schuld bewußt bin,« entgegnete er. »Doch, genug hierüber. Das Duell wird stattfinden, wenn – wenn Dein Geliebter es nicht vorzieht, demselben feige auszuweichen.«
Noch immer ruhte Elwirens Auge fest und durchdringend auf ihm, kein Wort kam über ihre Lippen; schweigend, den Kopf hoch aufgerichtet verließ sie das Zimmer, in ihrer Brust war aber ein Entschluß aufgekeimt, der jetzt noch fester stand, als der ihres Gatten.
Mahlo blickte ihr nach, er schien durch ihren Blick beunruhigt zu sein, schnell scheuchte er diese Empfindung indeß von sich. Er schellte dem Diener und trug ihm auf, den Brief an seinen Freund sofort zu besorgen. Prüfend blickte August ihn an, er wollte eine Frage an Mahlo richten, schon hatte dieser ihm indeß den Rücken zugewandt als Zeichen, daß er sich entfernen möge.
– – – – – – –
Früh am andern Morgen erschien Mahlo's Secundant bei Träger, um ihm die Forderung zu überbringen. Dieser hatte sie erwartet und war deshalb nicht überrascht. Mit wenigen Worten einte er sich über den Platz und die Zeit, das Duell sollte noch an demselben Tage stattfinden.
Nach der Aufregung am Abend zuvor hatte er eine schlaflose Nacht gehabt, denn Elwirens Geschick hatte seine Gedanken unablässig beschäftigt. Erst jetzt ahnte er, wie sehr dieselbe an Mahlo's Seite litt. Für den Leichtsinn, mit dem sie dem Manne, den sie nicht geliebt, durch dessen Reichthum sie verblendet war, ihre Hand gereicht, war sie schwer bestraft, denn vor ihr lag ein Leben ohne Hoffnung. Hatte sie es nicht offen ausgesprochen?
Und so viel er sann, er fand keinen Weg, um sie zu retten, er konnte sie nicht bewegen, Mahlo zu verlassen, denn das Leben hatte sie zu sehr verwöhnt, als daß sie im Stande gewesen wäre, Entbehrungen zu ertragen.
Ohne Bangen sah er dem Duell entgegen, obschon er den Ernst desselben sich nicht verhehlte, denn er kannte Mahlo's Haß und seine Fertigkeit im Schießen. Was verlor er, wenn des Gegners Kugel seinem Leben ein Ende machte? Das Glück, nach welchem er einst gestrebt hatte, war für ihn unerreichbar verloren, fortwährend hatte er mit den Widerwärtigkeiten des Geschickes gerungen, und er hatte kein Ziel, welches ihn wieder aufrichtete.
Der Gedanke an den Tod erfaßte ihn wie ein wehmüthiges Gefühl, ohne Bangen. Dann war alles vorüber. Wohl dachte er an Elwirens Schmerz – er setzte sich nieder, um ihr zu schreiben und sie zu beruhigen – nach seinem Tode sollte sie den Brief erhalten.
Da wurde die Thür geöffnet und die, welche seine Gedanken beschäftigte, trat ein. Er sprang auf und eilte ihr entgegen. Hatte sie sich bereits von Mahlo getrennt und kam, um bei ihm Schutz zu suchen? Die Heftigkeit ihrer Erregung ließ ihn dies vermuthen.
Er erfaßte ihre Hand und preßte sie an seine Lippen.
»Arthur, hat Mahlo Dir bereits die Forderung gesandt?« fragte sie hastig.
Träger nickte bejahend mit dem Kopfe.
»Du darfst sie nicht annehmen,« fuhr Elwire fort. »Er haßt Dich, er ist Dir in den Waffen überlegen, er kennt kein Erbarmen und wird Dich tödten!«
»Es ist zu spät!« entgegnete Träger. »Ich habe die Forderung angenommen und ich mußte sie annehmen, da ich ihm Genugthuung versprochen habe!«
»Nein, es ist noch nicht zu spät!« fiel Elwire ein. »Fliehe – fliehe! Dieser Schmuck wird Dich retten, wenn Du von Mitteln entblößt bist. Nimm ihn – es ist das Einzige, was ich Dir geben kann!«
Sie hatte ihm ein Kästchen in die Hand gedrückt und ihr Auge hing erwartungsvoll, ängstlich auf seinem Gesichte.
»Ich darf nicht fliehen!« sprach er. »Ich habe meine Ehre zum Pfande eingesetzt, und sie ist das Einzige, an dem das Geschick noch nicht zu rütteln vermocht hat.«
»Arthur, ich überlebe es nicht, wenn er Dich tödtet!« rief Elwire. »Ich habe dann das Letzte verloren, was mich noch an das Leben fesselt! Du mußt Dich retten – thue es meinetwegen!«
Erschüttert stand Träger da. Er sah die Thränen in den Augen des geliebten Wesens, er hörte ihre Bitten, er wußte, welchen namenlosen Schmerz er ihr bereitete, und dennoch konnte er ihrer Bitte nicht nachgeben, seine Ehre hielt ihn.
Vergebens suchte er sie zu beruhigen, vergebens stellte er ihr vor, daß für sein Leben keine Gefahr vorhanden sei – er glaubte selbst nicht an seine Worte, sie blieben deshalb ohne Eindruck. Es war ein schwerer Kampf für ihn und er bedurfte seiner ganzen Kraft, um fest zu bleiben.
Als Elwire ihn endlich trostlos und kaum im Stande, sich noch aufrecht zu halten, verlassen hatte, brach er selbst kraftlos zusammen und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Der Gedanke, daß er sie zum letzten Male gesehen habe, hatte sich ihm fest eingeprägt.
Allmälig wurde er ruhiger. Er glich einem Menschen, der vollständig mit dem Leben abgeschlossen hat und über die kleinen Sorgen gleichgültig hinweg sieht. Er suchte einen Bekannten auf, um ihn zu bitten, ihn als Secundant zu unterstützen.
Der Bekannte, ein junger Arzt, Namens Strasser, blickte ihn überrascht an, da er von seiner Liebe zu Elwire keine Ahnung hatte.
»In welcher Weise bist Du mit Mahlo aneinander gerathen?« fragte er.
»Ich bitte Dich, mir die Antwort zu erlassen,« entgegnete Träger. »Es ist nicht Mangel an Vertrauen, allein es ist noch eine dritte Person dabei betheiligt und ihretwegen muß ich schweigen.«
»Ist keine Aussöhnung mit Mahlo möglich?« fragte Strasser weiter.
»Nein,« gab Träger zur Antwort. »Ich würde sie nicht versuchen – und Mahlo würde sie auch nicht annehmen.«
»Du kennst Mahlo näher?«
»Ja.«
»Weißt Du, daß er ein vorzüglicher Schütze ist?«
»Ich weiß es.«
Der junge Arzt schwieg einen Augenblick.
»Träger, ich darf Dir nicht verhehlen, daß ich nicht ohne Besorgniß bin,« sprach er endlich. »Auch ich kenne Mahlo, sein weiches, fast weibliches Gesicht steht mit seinem Charakter im Widerspruche, schlimme Leidenschaften glühen in seinem Innern – Du wirst kaum Schonung von ihm zu erwarten haben.«
»Ich erwarte sie nicht und bin auf Alles vorbereitet,« entgegnete Träger. »Es ist nichts mehr zu ändern, ich verhehle mir nicht, daß ich vielleicht nur noch wenige Stunden zu leben habe, diese will ich mir nicht durch trübe und unnütze Gedanken verbittern. Wenn es Deine Zeit gestattet, dann laß uns hinauseilen vor das Thor, ich möchte ohnehin gern der erste auf dem Kampfplatze sein.«
Strasser kam dem Wunsche nach. Zusammen verließen sie die Stadt und schritten langsam dem Walde zu, in welchem das Duell stattfinden sollte. Träger verrieth durch nichts eine innere Unruhe, nur zuweilen stockte die Unterhaltung und dann blickte sein Auge starr auf den Weg.
Sie langten auf dem Kampfplatze an, ein stiller, von hohen Buchen überschatteter Ort.
»Wir sind die ersten und mehr als pünktlich!« sprach Träger lächelnd, indem er nach der Uhr sah. »Noch länger als eine Stunde haben wir Zeit.«
Sie ließen sich auf dem Rasen nieder. Strasser konnte seine Erregung kaum verbergen, unwillkürlich richtete er den Blick auf den Freund, der so ruhig da saß. Wie war es nach einer Stunde?
Mahlo erschien in Begleitung seines Secundanten und des Zeugen früher, als er erwartet war. Er schien sehr unangenehm überrascht zu sein, als er seinen Gegner bereits antraf. Um der Erste zu sein, war er selbst sehr zeitig aufgebrochen. Er warf einen Blick der tiefsten Erbitterung auf Träger, der sich langsam, ruhig erhoben hatte.
Mahlo sprach mit seinem Secundanten, dieser trat an Strasser heran und fragte, ob Träger zu dem Duelle bereit sei, obschon die festgesetzte Stunde noch nicht gekommen sei.
»Ich bin bereit,« entgegnete Träger ruhig.
»Laß mich zuvor noch einen Versöhnungsversuch machen,« bat Strasser.
»Nein,« gab Träger entschieden zur Antwort.
Der Anblick Mahlo's, das spöttische Lächeln auf dem Gesichte desselben hatte auch ihn erbittert und er fühlte, daß er mit diesem Manne sich nie versöhnen könne.
Die Mensur wurde abgemessen und bezeichnet, die Pistolen wurden geladen und Träger zur Auswahl gereicht.
Arthur hatte all seine Kräfte zusammengerafft, um ruhig zu bleiben, dennoch zitterte seine Hand leise und die Waffe erschien ihm so schwer, daß er kaum den Arm zu heben vermochte. Er dachte an Elwire, an ihren Schmerz, das machte ihm die letzten Minuten so schwer.
Mahlo war bereits auf die Mensur getreten, hastig schritt auch Träger auf dieselbe zu. Die Secundanten stellten sich zur Seite – Alles war zum Beginne des Zweikampfes bereit.
Mahlo hatte die Augen halb geschlossen, sein Mund war zum Lächeln verzogen. Da bemerkte er hinter Träger's Rücken in einiger Entfernung ein helles Kleid. Er zuckte leise zusammen, denn nicht einen Augenblick lang war er in Zweifel, daß dasselbe Elwire gehörte. Schon sah er ihre Gestalt zwischen den Bäumen, sie eilte so schnell, als sie konnte, sie winkte mit der Hand. Noch hatte sie weder einer der Secundanten noch der Zeuge bemerkt.
Unwillig gab Mahlo dem Zeugen das Zeichen zum Beginnen – Träger hatte den ersten Schuß.
»Eins, – zwei – drei!« ertönte das Kommando des Zeugen.
Träger erhob rasch den Arm, er schien nicht zu zielen, sein Pistol blitzte auf – der Schuß hallte im Walde wieder, – die Kugel hatte ihr Ziel verfehlt.
Mahlo hatte nicht gezuckt – er wußte, daß sein Gegner ein ungeübter Schütz war. Ein höhnendes Lächeln glitt über sein Gesicht hin. Schon hob er langsam, sicher das Pistol.
»Halt! Halt!« ertönte es hinter Träger laut – es war Elwirens Stimme.
Die Secundanten blickten überrascht zur Seite, auch Träger hatte sich etwas gewandt.
Mahlo hatte nur einen flüchtigen Blick auf seine Frau, die kaum noch zwanzig Schritte entfernt war, geworfen, da blitzte auch sein Pistol auf und getroffen sank Träger nieder.
Aufschreiend stürzte Elwire herbei und warf sich neben dem Geliebten nieder, das Blut strömte aus seiner Brust, den Kopf hatte er matt erhoben.
»Arthur! Arthur!« rief Elwire, Alles vergessend, indem ihre Arme den Kopf des Verwundeten umfaßten.
Ueber Träger's Lippen kam kein Wort, seine großen Augen ruhten auf dem Gesichte der Geliebten.
Auch Strasser war neben Träger niedergekniet, um die Wunde zu untersuchen. Auf seinem Gesichte lag Bestürzung und Schrecken. Seine Hand zitterte, als sie die Kleidung von Trägers Brust entfernte. Erst als er die Wunde sah und mit einer Sonde dem Laufe der Kugel folgte, athmete er etwas erleichtert auf.
»Die Verletzung ist nicht tödtlich,« sprach er. »Ich hoffe ihn zu retten. Nur Ruhe bedarf er und muß deshalb so bald als möglich zur Stadt zurück.«
»Der Wagen, in dem ich gekommen bin, hält am Saume des Waldes,« entgegnete Elwire. »Lassen Sie ihn holen – ich werde bei dem Verwundeten bleiben. Bieten Sie Alles – Alles auf, um ihn zu retten, zählen Sie auf meine Hülfe, ich bin zu Allem bereit!«
Hülfe suchend blickte Strasser sich um, er mochte an Mahlo's Secundanten oder an den Zeugen nicht die Bitte richten, den Wagen zu holen – beide waren ja Mahlo's Freunde.
»Ich werde selbst den Wagen holen,« sprach er leise zu Elwire, nachdem er die Wunde flüchtig verbunden hatte, um die Blutung zu stillen. »Bleiben Sie hier, halten Sie Alles von ihm fern, was ihn erregen könnte – selbst die Scene der Aussöhnung, sie mag später erfolgen, nur jetzt nicht.«
»Eilen Sie!« flüsterte Elwire.
Sie hielt Träger's Hand in der ihrigen. Ihr Auge, in welches keine Thräne gekommen, war mit unsagbarer Angst auf die bleichen Züge des Geliebten gerichtet, der die Augen geschlossen hatte und nicht mehr wahrzunehmen schien, was um ihn vorging.
Strasser eilte fort.
Mahlo stand kaum zehn Schritte davon entfernt, die Lippen fest aufeinander gepreßt, das Pistol mit der Rechten noch krampfhaft umschlossen. Erbittert glitt sein Auge über Elwire hin. Ihre Dazwischenkunft hatte er nicht erwartet – er wußte nur zu gut, was sie hergetrieben hatte. Nicht die Sorge um ihn, sondern um den Mann, den er noch ebenso glühend haßte, obschon derselbe bewußtlos dalag. Konnte sie ihn mehr bloßstellen, als sie es in diesem Augenblicke that?
Er hätte das Pistol zur Erde schleudern mögen, weil es seine Absicht vereitelt; ohne Elwirens Erscheinen würde er sein Ziel nicht verfehlt haben. Weshalb sollte er länger Rücksicht nehmen? Durfte er dulden, daß seine Frau neben seinem Gegner kniete, daß sie dessen Hand in der ihrigen hielt, während sie für ihn noch nicht einmal einen Blick gehabt hatte?
Rasch trat er auf Elwire zu, sie sah ihn nicht. Er legte seine Hand auf ihre Schulter – langsam richtete sie den Kopf empor und blickte ihn starr an.
»Ich ersuche Dich, sofort heimzukehren,« sprach er mit vor Aufregung zitternder Stimme. »Hier ist nicht der Platz für Dich – Du scheinst Deine und meine Ehre ganz vergessen zu haben.«
»Deine Ehre?« wiederholte Elwire, als wären die Worte wie etwas Fremdes in ihr Ohr gedrungen. »Ich werde hier bleiben, denn es gilt, ein Menschenleben zu retten!«
»Du wirst sofort heimkehren!« rief Mahlo, der nicht länger im Stande war, sich zu beherrschen. »Ich habe ein Recht, es von Dir zu verlangen und ich verlange es!«
»Du verlangst es!« wiederholte Elwire langsam, jedes Wort betonend. Sie erhob sich und trat an ihn heran, ihr Auge war fest. durchdringend auf ihn gerichtet. Leise sprach sie einige Worte zu ihm.
Bestürzt wich Mahlo zurück, seine Wangen waren erbleicht, er bewegte die Lippen, allein kein Wort kam über dieselben, seine ganze Gestalt erzitterte.
Der Wagen war herangekommen. Strasser und der Kutscher hoben Träger in den Wagen, Elwire setzte sich zu ihm, Strasser nahm auf dem Bocke Platz und schnell fuhr der Wagen davon.
Mahlo hatte regungslos daneben gestanden – erst jetzt fuhr er mit der Hand über die Stirn hin und wandte sich langsam zu seinem Secundanten und den Zeugen. Er wollt ruhig erscheinen, sein Gesicht hatte sich zu einem Lächeln verzogen; es erschien verzerrt dadurch.
Als der Secundant, dem seine Veränderung nicht entging, ihn fragte, was vorgefallen sei, lachte er bitter an und schritt, ohne ein Wort zu erwidern, rasch davon.
Elwire war mit Arthur zu dem Hotel gefahren, in welchem derselbe wohnte. Nachdem der Verletzte, noch immer bewußtlos, auf sein Zimmer getragen, ward auf Elwirens Verlangen noch ein zweiter Arzt zu Rathe gezogen und erst als auch dieser nach vorgenommener Untersuchung erklärte, daß keine Gefahr vorhanden sei, wurde sie ruhiger.
Sie hatte den festen Entschluß gefaßt, Arthur nicht zu verlassen, sie fürchtete ihren Mann und dessen Zürnen nicht mehr. Seitdem sie sein spöttisches Lächeln erblickt, als er sie im Walde herbeistürzen sah, seitdem sie bemerkt, wie hastig er geschossen, damit sie nicht Zeit gewinne, Arthur zu Hülfe zu eilen, seit dieser Minute fühlte sie sich von jeder Pflicht gegen ihn entbunden. Dazu kam noch ein Verdacht, der schon seit Tagen in ihr aufgestiegen war und sich ihr mehr und mehr zur Gewißheit gestaltet hatte. Sie wußte jetzt, daß sie Mahlo nie – nie lieben konnte, daß sie ihn haßte.
Die Aerzte hatten Arthur verlassen, er war zum Bewußtsein zurückgekehrt und lag still im Bette. Elwire saß neben ihm. Seine Rechte hielt sie in ihrer Hand, ihr Auge war nicht ohne Besorgniß auf seine Wangen gerichtet, welche sich von dem sich einstellenden Wundfieber leise geröthet hatten.
Träger strich mit der Linken langsam über die Stirn hin.
»Fühlst Du Schmerzen?« fragte Elwire besorgt.
Der Verletzte schüttelte verneinend mit dem Kopfe.
»Arthur, Du suchst mir etwas zu verschweigen,« fuhr Elwire fort. »Hast Du nicht mehr dasselbe Zutrauen zu mir, wie einst?«
»Doch, doch!« entgegnete dieser, indem er sich ein wenig empor richtete und die Hand der Jugendgeliebten drückte. »Ich möchte Dir gerne verbergen, was mich bekümmert, und doch kann ich es nicht. Ich fühle die Schmerzen meiner Brust kaum, es ist mir gleichgiltig, daß ich die Stellung in Rußland, auf welche ich so viele Hoffnungen gebaut hatte, nicht erhalten werde, denn ich sollte dieselbe sofort antreten, und jetzt werde ich wohl wochenlang auf diesem Lager zubringen müssen. Dies betrübt mich nicht, denn mein Leben ist ohnehin ein verfehltes. Was liegt daran, ob ich noch einmal von vorne beginne? Aber was soll aus Dir werden, Elwire? Ich fühle, daß Du mit Mahlo nicht mehr leben kannst und doch bist Du an ihn gebunden. Er liebt Dich, er ist eifersüchtig und wird Dich nie freigeben.«
»Laß, laß, Arthur,« unterbrach ihn Elwire. »Denke nicht an mein Geschick. Ich habe es gewählt – ich habe es verschuldet und werde es deshalb mit Ruhe tragen.«
»Mahlo verbirgt hinter seinem freundlichen Aeußern einen leidenschaftlichen heftigen Sinn,« bemerkte Arthur.
»Ich kenne ihn, allein ich fürchte ihn nicht,« gab die junge Frau zur Antwort. Ihr Auge leuchtete auf, es sprach Stolz und Entschlossenheit aus demselben. »Er wird nicht wagen, mir schroff entgegen zu treten und wenn er es thäte, würde seine Schroffheit mir noch lieber sein, als seine Aufmerksamkeit und Liebe.«
»Weiß Mahlo, daß Du hier bist?« fragte Arthur.
»Er kann es vermuthen! Er weiß ja, daß ich Dich liebe,« gab Elwire zur Antwort.
»Dann kehre heim,« fuhr Träger bittend fort.
Die junge Frau schüttelte abwehrend mit dem Kopfe.
»Elwire, unser Geschick ist bereits traurig genug, mein Herz ist so schwer, daß es brechen möchte, mache es nicht noch schwerer, durch den Gedanken, daß Du um mich leiden sollst; ich bitte Dich, kehre heim.«
»Ich kann Dich nicht allein und hilflos liegen lassen,« gab die junge Frau zur Antwort.
»Strasser hat versprochen, zurückzukehren und die Nacht über bei mir zu bleiben. Ich werde ruhiger sein, wenn ich weniger für Dich besorgt zu sein brauche. Ich bleibe ja wochenlang hier und wir haben uns heute nicht zum letzten Male gesehen!«
Elwire erhob sich, um die Bitte des Kranken zu erfüllen.
»Morgen werde ich Dich wiedersehen,« sprach sie, indem sie sich zu Arthur niederbeugte und ihn auf die Stirn küßte. Dann verließ sie das Zimmer.
Der Abend war bereits hereingebrochen. Langsam schritt sie über die Straße hin, die Aufregung war vorüber und sie mußte alle Kraft zusammenraffen, um nicht niederzusinken. Arbeiter, welche von der Arbeit heimkehrten, begegneten ihr. Vor ihr schritt ein Mann, ein Arbeiter, an jeder Hand einen Knaben. Die Kinder hatten ihn von der Arbeit abgeholt und glücklich lächelnd blickte er auf sie nieder.
Sie hatte stets mit Stolz auf die Arbeiter und Armen herabgeblickt, jetzt beneidete sie den Mann in der einfachen Bluse. Er war glücklich, das verrieth sein Blick und sein Lächeln, mit seinen Kindern eilte er heim und sicherlich fand er dort ein Glück, welches sie bis jetzt vergebens gesucht hatte. Gern hätte sie in diesem Augenblicke allen Reichthum von sich geworfen, wenn sie dafür ein zufriedenes, glückliches Leben hätte eintauschen können.
Bei dem Gedanken, zu Mahlo zurückzukehren, zuckte sie zusammen, unwillkürlich stand sie zögernd still, dann schritt sie entschlossen weiter.
In ihrer Wohnung angelangt, begab sie sich auf ihr Zimmer; in dem Gemache ihres Mannes hatte sie Licht bemerkt, derselbe war also daheim. Erschöpft warf sie sich auf das Sopha und stützte den Kopf müde auf die Hand. Wie viel Angst und Sorge hatte ihr dieser eine Tag gebracht, es war ihr, als ob Wochen an ihr vorübergegangen wären! Dann kehrten ihre Gedanken wieder zu Träger zurück. Hatten die Aerzte sie nicht dennoch getäuscht? War wirklich für den Verletzten keine Gefahr vorhanden?
Da wurde die Thür ihres Zimmers geöffnet und Mahlo trat ein. Sein Gesicht war bleich wie gewöhnlich, aber ein freundliches, unbefangenes Lächeln lag auf demselben, als ob nichts vorgefallen wäre.
Erstaunt blickte Elwire ihn an.
Er trat auf sie zu und erfaßte ihre Hand, um dieselbe zu küssen. Unwillig entzog sie ihm dieselbe.
»Du zürnst mir, Elwire,« sprach er und seine Stimme hatte wieder den weichen, einschmeichelnden Klang. »Ich gestehe Dir zu, daß ich heute sehr erregt und leidenschaftlich war, ich will Dir keine Vorwürfe machen, allein ein Theil der Schuld trifft Dich. Stände es jetzt noch in meiner Macht, so würde ich anders handeln und Träger die Hand zur Versöhnung reichen. Leider habe ich zu spät erfahren, daß er gekommen war, um von Dir Abschied zu nehmen, weil er nach Rußland zu reisen beabsichtigt. Aus Strasser's Munde weiß ich, daß nicht die geringste Gefahr für ihn vorhanden ist, das beruhigt mich.«
Schweigend hatte Elwire ihn angeblickt. Sie glaubte ihn genau zu kennen, dennoch begriff sie ihn nicht. Sollten seine Worte wirklich ehrlich gemeint sein? Sie vermochte es nicht zu begreifen. Ein Zucken seines Auges verrieth ihr, wie sorgfältig er sie beobachtete, um wahrzunehmen, welchen Eindruck seine Worte machten.
»Ich bin erschöpft und bitte Dich, mich allein zu lassen,« erwiderte sie.
»Verkenne meine Absichten nicht, ich meine es wirklich ehrlich!« fuhr Mahlo fort. »Wenn für Träger nicht gehörig gesorgt ist, so werde ich es thun, denn ich habe Verschiedenes gegen ihn gut zu machen.«
»Es ist für ihn gesorgt,« gab Elwire zur Antwort.
»Und nun noch Eins. Du thatest heute eine Aeußerung gegen mich, dieselbe erschreckte mich, weil ich nicht geglaubt hatte, daß Du je einen Verdacht gegen mich hegen könnest. Elwire, wie hast Du die Worte aussprechen können! Ist es möglich, daß Du nur für einen Augenblick einen solchen Verdacht hast fassen können!«
Er stand ruhig da, kein Zug seines Gesichtes verrieth eine innere Aufregung, er erschien unbefangen, fast harmlos.
Die junge Frau hielt fest den Blick auf ihn geheftet, er hielt denselben aus.
»Sollte mein Verdacht völlig unbegründet sein?« sprach sie langsam, jedes Wort scharf betonend.
»Natürlich!« rief Mahlo lachend, heiter. »Sieh, nun ich ruhiger bin, muß ich darüber lachen, wie über eine thörichte Grille, welche sich in Deinem Kopfe festgesetzt. Nur das Eine möchte ich wissen, wie Du überhaupt auf diese Thorheit gekommen bist! Gesteh, daß Du mich in dem Augenblicke nur kränken wolltest, ich werde Dir deshalb nicht grollen, es ist ja jetzt Alles vorüber!«
»Laß uns hierüber schweigen,« sprach Elwire ernst.
»Nein, nein!« fiel Mahlo heiter ein, indem er auf's Neue versuchte, die Hand seiner Frau zu erfassen. »Du siehst, ich lache jetzt über Deinen Verdacht, weil ich weiß, daß in Deinem kleinen Kopfe nie eine tollere Idee aufgetaucht ist. Morgen, wenn Du ruhiger geworden bist, wirst auch Du darüber lachen. Nun noch eine Bitte: Schweige über das Duell, Träger sowohl wie ich, wir würden beide strafbar sein. Es war eine Uebereilung von mir und deshalb wünsche ich, daß Niemand davon erfährt!«
Er nickte seiner Frau freundlich zu und verließ mit leichten Schritten das Zimmer.
Elwire blickte ihm schweigend nach. Einen Augenblick lang sann sie, ob sie ihn recht verstanden hatte. Dann nahmen ihre Gedanken wieder eine andere Richtung und ihr Auge blickte halb träumend durch das Fenster in das Dunkel des Abends.
An demselben Abende saß die alte Doris an dem Bette eines armen Mädchens, einer jungen Nätherin Namens Anna Vogel, welche eine Treppe über ihr ein kleines Dachstübchen bewohnte und schwer erkrankt darnieder lag.
Schon seit Tagen war Anna erkrankt. Niemand hatte sich um sie bekümmert, sie stand allein im Leben da und war arm. Der Wirth, von dem sie das Zimmer gemiethet, hatte, als er von ihrer Erkrankung gehört, mit den Achseln gezuckt und erwidert, er könne sich nicht darum bekümmern, da Anna ihrer Erkrankung wegen nichts verdienen könne, sei es ohnehin noch zweifelhaft, ob er die Miethe von ihr erhalten werde. Er war einer von den Vielen, die für sich selbst sehr gut zu sorgen wissen, für Andere indeß kein Herz haben.
Da hatte Doris sich der Unglücklichen angenommen, obschon sie dieselbe wenig kannte und für ihren eigenen Unterhalt Sorge tragen mußte.
»Sie kann doch nicht hülflos zu Grunde gehen!« hatte sie gerufen. »Sie ist noch jung und hat ein Anrecht auf das Leben, obschon sie arm ist!«
Sie hatte einen Arzt geholt. Derselbe hatte die Kranke sehr flüchtig untersucht, ihr Ruhe und gute Pflege anempfohlen, war dann fortgegangen und nicht wiedergekommen. Es war ja ein armes Mädchen, zu dem man ihn gerufen hatte. Nun saß Doris bereits eine Nacht und einen Tag bei der Kranken und legte kühlende Umschläge auf die Stirn des stark fiebernden Mädchens. Sie rechnete nicht darauf, Lohn für ihre Mühe zu empfangen, das Mitleid trieb sie dazu, denn auch sie war arm und stand allein da, und dachte daran, wie traurig es sein würde, wenn sie selbst verlassen und krank darnieder läge.
Die ganze Nacht hatte sie durchwacht, dennoch kam kein Schlaf in ihre Augen. Das Herz war ihr so schwer, daß sie laut hätte weinen mögen, denn Thekla saß immer noch im Gefängnisse. Von Tag zu Tag hatte sie auf die Befreiung der Unglücklichen gehofft, vergebens; sie hatte versucht, sie im Gefängnisse zu besuchen, schroff war sie zurückgewiesen. Dann hatte sie sich an den Untersuchungsrichter gewandt und ihm Thekla's Unschuld betheuert, mit Thränen hatte sie ihm Theklas Charakter, ihr weiches Herz geschildert. Dies Alles war ohne Erfolg geblieben. Durch eine unglückliche Verkettung der Verhältnisse sprachen die Beweise gegen die Verhaftete.
Sie wußte nicht, was sie thun sollte, um ihren Liebling zu retten, ihr alter Kopf schien von all dem Sinnen schwach geworden zu sein, und dennoch quälte sie ihn stets auf's Neue, ohne etwas zu erreichen. Den Gedanken, anzugeben, daß Thekla an dem Abende ihren Geliebten Fortmann gerettet habe, hatte sie schwinden lassen, weil sie sich bei ruhiger Ueberlegung gesagt hatte, daß Theklas Unschuld dadurch noch nicht erwiesen sei …
Die Nacht brach herein, regungslos saß sie bei der Kranken, welche schon seit Stunden in einem bewußtlosen Zustande sich befand und sie nicht mehr kannte. Das Fieber hatte die bleichen Wangen Anna's geröthet, ihre Augen blickten starr, aber glanzlos. Von Minute zu Minute wurde sie unruhiger. Die beruhigenden Worte, welche Doris zu ihr sprach, hörte sie nicht, mit Gewalt versuchte sie sich empor zu richten.
»Laß mich zu ihm!« rief sie, indem sie ohne Bewußtsein, Doris Hand, welche sie zu halten versuchte, zurückstieß.
»Ich weiß, daß er mich nicht mehr liebt, aber er selbst soll es mir sagen. Haha! er weicht mir aus, – er kennt mich nicht mehr – ich bin verloren und verlassen!«
Voll Mitleid blickte Doris das hübsche Mädchen an. Es war noch so jung, und hatte doch schon den herbsten Schmerz des Lebens erfahren – betrogen und verlassen! Sie strich mit der Hand über die glühende Stirn der Kranken hin.
»Wo ist er?« fuhr Anna nach einiger Zeit fort, indem ihr Blick im Fieberwahn suchend durch das Zimmer glitt. »Wo ist er? Er hat ja so oft neben mir gesessen und ich liebe ihn noch. Rufe ihn, sage ihm, daß ich ganz still sein und nicht weinen will, ich will ihn nur fragen, weshalb er sich verkleidet hat. Haha! Ich habe ihn ja erkannt, obschon er ein Frauenkleid trug. Hat er eine neue Geliebte?«
Doris horchte auf. Ein Verkleideter hatte Frau von Matten ermordet – lag die Annahme so fern, daß Derjenige der Mörder sei, von dem Anna im Fieberwahne sprach, der sie geliebt und verlassen hatte? Vielleicht wußte die Kranke um das Geschehene? Nein, dies war nicht möglich, ihre Züge waren so weich und kindlich!
Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit lauschte Doris auf jedes Wort, welches Anna in den Fieberphantasien sprach, sie hoffte, daß dieselbe den Namen des Mannes, mit dem ihre Gedanken sich beschäftigten, nennen werde, doch vergebens. Viel würde sie darum gegeben haben, wenn Anna zum Bewußtsein zurückgekehrt wäre, um sie fragen zu können. Von dem einen Namen hing vielleicht Theklas Befreiung ab.
Die Gedanken Annas richteten sich auf einen andern Gegenstand; sie sprach viel von den gewöhnlichen Verhältnissen ihres Lebens, von der Noth und den Sorgen, von den Mühen um das tägliche Brot und dem vergeblichen Hoffen, sich aus der Armuth emporzuringen.
Für Doris hatte dies wenig Interesse. Mit der Armuth war sie selbst zu innig vertraut, und sie wußte, wie viel bittere und schwere Stunden dieselbe brachte.
Plötzlich rief die Kranke wieder: »Sag ihm nicht, daß ich das Kleid, welches er versteckt hatte, zu mir genommen habe. Er wird es suchen – laß ihn, laß ihn, weshalb hat er sich verkleidet!«
»Wer hat sich verkleidet?« fragte Doris, ganz vergessend, daß die Kranke sie nicht verstand.
»Er weiß nicht, daß ich ihm folgte und ihn beobachtete, als er über die Mauer sprang,« fuhr Anna fort. »Ob er nie wieder zu mir kommt? Ob er mich ganz vergessen hat? Ich will ihn nicht mehr lieben, – ich will vergessen – vergessen, daß ich – –«
Ihre Worte wurden so undeutlich, daß Doris sie nicht mehr verstand.
Doris suchte in dem kleinen Zimmer nach dem Kleide, von welchem Anna gesprochen, ohne es zu finden. Der Zustand der Kranken wurde schlimmer und schlimmer. Mit unsagbarer Angst dachte Doris daran, daß sie sterben und das Geheimniß, welches Thekla die Freiheit verschaffen mußte, mit sich ins Grab nehmen könne.
Die Unglückliche athmete schwer und schnell, sie riß die kühlenden Umschläge von der Stirn und lachte laut, sie sprach unablässig, allein ihre Worte waren abgerissen, zusammenhangslos und meist unverständlich. In der Stille der Nacht klangen sie doppelt unheimlich.
Doris pochte eine Frau in dem Hause wach und schickte sie zum Arzte; sie selbst mochte die Kranke nicht verlassen, weil sie hoffte, dieselbe werde den Namen, der für sie wichtig war, noch aussprechen.
Der Arzt kam nicht. Es war eine lange Nacht. Als der neue Tag endlich zu grauen anfing, wurde die Kranke ruhiger und sank endlich in Schlaf. Doris blieb neben ihr sitzen. Die Frau, welche sie zum Arzte geschickt, wollte sie ablösen; sie lehnte es ab. Sie selbst wollte Anna pflegen und über sie wachen, denn das Leben derselben hatte jetzt einen doppelten Werth für sie.
Schon malte sie sich in Gedanken aus, daß sie Thekla retten werde, ihre Geduld sollte indeß noch auf eine harte Probe gestellt werden. Der Arzt hatte zwar erklärt, daß in Anna's Krankheit während der Nacht die Krisis eingetreten sei und daß die Kranke sicher genesen werde, wenn sie tüchtige Pflege habe, Anna selbst, deren Bewußtsein zurückgekehrt, war jedoch so schwach, daß sie kaum ein Wort zu sprechen im Stande war.
Doris' Gutmüthigkeit gestattete nicht, irgend eine Frage, welche sie aufregen konnte, an sie zu richten; hatte sie jetzt doch die Gewißheit, daß Anna genesen werde. –
Tage waren vergangen. Anna hatte sich soweit erholt, daß sie im Bette aufrecht sitzen konnte. Ihre Wangen waren bleich und eingefallen, ihre dunkelen Augen ruhten dankend auf ihrer Pflegerin, welche neben ihrem Bette saß. Sie wußte, wie viel sie derselben zu danken habe, denn eine Mutter hätte nicht besser für sie sorgen können.
»Ihnen verdanke ich mein Leben,« sprach sie mit matter Stimme. »Wenn Sie nicht gewesen wären, würde sich kein Mensch meiner angenommen haben, allein und verlassen wäre ich hier gestorben.«
»Laß, – laß Kind!« wehrte die Alte den Dank zurück. »Der Mensch soll den Menschen nicht verlassen, ich weiß selbst, wie schlimm es ist, wenn man allein ist. Daß ich Dich gern gepflegt habe, weißt Du, mir wäre es lieb, wenn ich mehr für Dich hätte thun können.«
Anna hatte die Hand der Alten erfaßt und drückte sie fest.
»Der Arme versteht den Armen ja am Besten,« fuhr Doris fort. »Auch ich bin arm wie Du, auch ich weiß, wie schwer die Sorgen drücken und Du hast schon mehr erlebt als das, auch Du bist schon getäuscht und betrogen.«
Anna blickte ihre Pflegerin überrascht an, eine leichte Röthe schoß über ihre bleichen Wangen hin. Sie antwortete nicht.
»Hast Du nicht schon geliebt und bist von dem Manne, den Du liebtest, verlassen?« fragte Doris.
»Woher wissen Sie dies?« fiel Anna fast ängstlich ein.
»Du selbst hast es verrathen,« entgegnete die Alte, »in jener Nacht, als Du ohne Bewußtsein dalagst und im Fieber laut sprachst.«
Die Genesende fuhr langsam mit der Hand über die Stirn hin.
»Es war ein Traum,« gab sie zur Antwort.
»Nein, Kind, so träumt der Mensch nicht,« fuhr Doris fort. »Was Deinen Geist beschäftigte, war aus Deinem Leben – der Mann, den Du liebtest, hat Dich betrogen und verlassen, sieh, auch die Röthe Deiner Wangen verräth, daß Du die Wahrheit gesprochen, sie ist ehrlicher als Dein Mund. Oder hast Du kein Vertrauen zu mir, weil Du es mir nicht gestehen magst?«
Anna bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und ihre Thränen drangen gewaltsam hervor.
»Doch – doch!« rief sie. »Ich vertraue Ihnen, wie ich nur einer Mutter vertrauen kann, allein ich darf den Namen des Mannes nicht nennen. Ich habe ihm versprechen müssen, seinen Namen zu verschweigen. Noch habe ich gegen Niemand ein Wort darüber gesprochen, daß er mich geliebt; gegen meinen Willen hat mein Mund es im Fieberwahne verrathen.«
»Bist Du noch verpflichtet, Dein Versprechen zu halten, da er Dich verlassen hat?« warf Doris ein.
Anna schwieg, sie schien nachzusinnen.
»Ja,« sprach sie dann. »Darf ich ebenso handeln wie er? Bin ich dadurch meines Versprechens entbunden, daß er schlecht an mir gehandelt hat? – Mir ist am wohlsten, wenn ich seinen Namen nicht höre, denn ich muß ihn ja vergessen.«
»Kind,« fiel Doris ein. »Täusche Dich nicht selbst. Du liebst ihn noch, Du hoffst, daß er zurückkehren wird. Ich weiß, daß das Herz nicht so schnell vergessen kann, wie der Kopf ihm gebietet, es hat seinen eigenen Willen und seine eigenen Hoffnungen. Oder denkst Du nicht an ihn, wenn Du allein bist, rufst Du Dir nicht seine Worte ins Gedächtniß zurück? – Das ist nicht der Weg, um zu vergessen? Wo hast Du ihn kennen gelernt?«
»Eines Sonntags im Walde. Ich war allein spazieren gegangen und hatte mich verirrt. Schon fing der Abend an zu dämmern, Angst erfaßte mich, ich suchte den Ausgang des Waldes zu gewinnen und gerieth immer tiefer hinein. Da trat er mir entgegen. Er erschien mir als mein Retter, ich kannte ihn nicht, ich hatte ihn nie gesehen, allein er war so freundlich und aufmerksam, sein Auge blickte so ehrlich. Er führte mich aus dem Walde und geleitete mich bis vor das Haus. Als ich ihm für seine Freundlichkeit dankte, bat er mich, ob er mich nicht besuchen dürfe. Ich durfte seine Bitte nicht gewähren, und doch that es mir wehe, dieselbe abzuschlagen, denn seine Stimme klang so weich und flehend. Ich versprach, am folgenden Abende wieder im Walde zu sein, er war bereits dort als ich erschien, und dort haben wir uns im Anfange oft getroffen, jeden Abend, wenn ich von der Arbeit kam und das Wetter es gestattete, dann besuchte er mich hier. Mehr als hundertmal versicherte er, daß er mich liebe und ich glaubte ihm, ich vertraute ihm so vollständig, daß ich nicht einmal nach seinem Namen fragte. Ich war ja glücklich, wenn er kam, wenn er des Abends bei mir saß! Er hatte mir gesagt, daß besondere Verhältnisse ihm nicht gestatteten, sich offen mit mir zu zeigen und ich forschte nicht näher nach. Da sah ich ihn eines Tages mit einer Dame auf der Straße fahren, es schien sein eigener Wagen zu sein und zum ersten Male wurde ich gewahr, daß er ein vornehmer Mann war. Ich fragte einen Bekannten, wer er sei und erfuhr seinen Namen. Am Abend kam er zu mir, freundlich, unbefangen wie immer, ich nannte seinen Namen und er schien zu erschrecken. Schnell faßte er sich indeß und nahm mir das Versprechen ab, Niemand seinen Namen zu nennen. Er gestand mir, daß er verheirathet sei, er schwor mir, daß er mich aufrichtig liebe, sein Geständniß hatte mir indeß einen tiefen Stich in das Herz versetzt und all meine Hoffnungen vernichtet. Ich hatte fest geglaubt, daß er es ehrlich mit mir meine, und seine Geliebte mochte ich nicht sein, deshalb war ich schroff gegen ihn, wenn er kam, und lehnte seine Geschenke ab. Nach kurzer Zeit blieb er fort. Jetzt erst wurde ich gewahr, wie innig ich ihn geliebt hatte. Wachend und träumend dachte ich nur an ihn. Ehe ich ihn kennen gelernt, hatte ich mich glücklich gefühlt, ich war es nicht mehr. Dies Zimmer erschien mir Abends, wenn ich von der Arbeit zurückgekehrt war, so eng und klein, daß ich es in ihm nicht mehr auszuhalten vermochte. Jeder Gegenstand erinnerte mich an ihn, ich wiederholte mir seine Worte und rief mir in das Gedächtniß zurück, wie gut und lieb er stets gegen mich gewesen. War es möglich, daß er mich vergessen hatte? Liebte er mich nicht mehr? – Ich suchte mir Gewißheit zu verschaffen und mehr als einmal belauschte und folgte ich ihm des Abends; ich wußte, daß mein Herz ihm entgegengeflogen sein würde, wenn er zurückgekehrt wäre.«
Mit Spannung war Doris der einfachen Erzählung des Mädchens gefolgt; es war die Geschichte so manchen jungen Herzens, das die Welt und die Menschen noch nicht kennt, das liebt, hofft und vertraut, bis es zu spät gewahr wird, daß es betrogen.
»Hast Du ihn nicht wieder gesprochen?« fragte Doris.
»Nein. Es ist auch am Besten, wenn ich ihn nicht wiedersehe, obschon ich mich nach ihm sehne. Ich weiß, daß ich ihn vergessen muß, und doch wird es mir so schwer.«
»Die Zeit wird Dir zu Hülfe kommen,« suchte die Alte sie zu beruhigen. »Anna, Du hast im Fieber mir noch mehr mitgetheilt, Du sprachst von einer Verkleidung, von einem Kleide, in welchem Dein Geliebter über eine Mauer gesprungen – wo war das?«
Betroffen blickte Anna die Alte an.
»Ich bitte Dich, mir Alles offen mitzutheilen,« fuhr Doris fort. »Thue es, Kind, es hängt vielleicht mehr davon ab, als Du ahnst. Wo hast Du das Kleid? – Der Mann hat es versteckt, Du hast es zu Dir genommen, wo ist es?«
Die Alte war zum Diplomaten verdorben. Anna würde ihr arglos vielleicht Alles mitgetheilt haben, die unverkennbare Hast, mit der Doris fragte, fiel ihr auf und machte sie betroffen.
»Ich weiß es nicht,« gab sie ausweichend zur Antwort.
»Kind, Du mußt mir das Kleid geben,« fuhr Doris fort. »Weißt Du, daß Du damit vielleicht zwei unschuldige Menschen retten kannst? Seit Tagen und Nächten habe ich Dich gepflegt, ich verlange keinen andern Dank von Dir, als daß Du mir das Kleid giebst, daß Du sagst, wer es getragen und wo der Mann, der Dich betrogen, in ihm über die Mauer gesprungen ist!«
Aengstlich war Annas Blick auf ihre Pflegerin gerichtet; die Befürchtung, daß sie dem Manne, den sie noch immer liebte, dadurch Schaden zufüge, drängte sich ihr auf.
»Ich weiß es nicht,« erwiederte sie, indem sie mit der Hand über die Stirne hinstrich. – Es ist mir entfallen!«
»Du mußt Dich daran erinnern!« rief Doris, die ihre Ungeduld und Unruhe nicht länger verbergen konnte. »Ich will Dir sagen, wo der Mann über die Mauer gesprungen ist: draußen vor dem Thore, wo die Villa der Frau von Matten steht. Weißt Du, daß diese alte Dame ermordet ist, daß der Mörder ein helles Kleid getragen? Auf zwei unschuldige Menschen ist der Verdacht gefallen, daß sie das Verbrechen begangen, sie sind beide verhaftet und sitzen im Gefängnisse. Ich weiß, daß sie unschuldig sind, und doch war ich nicht im Stande, ihre Unschuld zu beweisen, jetzt kann ich es; der Mann, der Dich betrogen und verlassen, er hat die Frau von Matten ermordet!«
Anna war erbleicht, starr ruhten ihre Augen auf der Alten, hatte sie denn Alles im Fieber verrathen? Ueber die Mauer zu der Villa der Frau von Matten war der Mann, den sie liebte, in der That in der Verkleidung gesprungen, von dort hatte sie ihn zurückkommen sehen; aber war es möglich, daß er eine solche That begangen, daß er ein Mörder war?
»Nein! Nein!« rief sie laut. »Er ist kein Mörder! Er kann es nicht gethan haben!«
Sie preßte die Hand vor die Stirn, welche ihr zu zerspringen drohte. Sie hatte sich bereits unwohl gefühlt, als sie von der Ermordung der alten Dame gehört; mehr hatte sie nicht erfahren. Nicht der geringste Verdacht gegen ihren früheren Geliebten hatte sich ihr aufgedrängt, jetzt, mit einem male war derselbe in ihr wach gerufen. Wenn die Alte die Wahrheit gesprochen, wenn Frau von Matten durch einen verkleideten Mann ermordet war – dann – dann –!
Die Aufregung hatte ihre noch schwachen Kräfte vollständig erschöpft, halb ohnmächtig sank sie auf das Bett zurück. Doris sprang ihr zu Hülfe und suchte sie zu beruhigen.
Regungslos, mit geschlossenen Augen blieb sie liegen nur das hastige Athmen ihrer Brust verrieth, wie sehr sie durch das eben Gehörte beunruhigt war. Als sie nach Stunden endlich wieder die Augen aufschlug, erfaßte sie die Hand ihrer Pflegerin.
»Schweigen Sie,« bat sie mit matter Stimme. »Ich will ihn selbst erst fragen und sprechen. Ich kann nicht denken, daß er ein Verbrecher ist, aber in seinen Augen werde ich die Wahrheit lesen, und wenn, – wenn er die alte Frau wirklich ermordet hat – dann will ich selbst als Zeugin gegen ihn auftreten, dann will ich Ihnen das Kleid geben, früher nicht!«
Doris versprach zu schweigen, und sie hielt ihr Wort, weil sie Niemand die Freude, Thekla und Heinrich die Freiheit zu verschaffen, gönnte. Freilich wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt, denn Tage vergingen, ehe Anna zum ersten Male wieder das Bett verlassen konnte.
– – – – – – –
Die Untersuchung gegen Thekla und Heinrich war wenig weiter gediehen. So gravirend die Beweise gegen Beide auch zu sein schienen, so hatten sich dem Untersuchungsrichter doch einige Bedenken aufgedrängt, über welche hinwegzugehen er zu gewissenhaft war. Der Mord war offenbar mit größter Vorsicht und sorgfältigster Vorbereitung ausgeführt und Thekla machte nicht den Eindruck, als ob sie solcher That fähig wäre. Sie war sich in ihren Aussagen von Anfang an gleich geblieben und stellte, ebenso wie ihr Bruder, das Verbrechen entschieden in Abrede. Gegen sie sprach freilich, daß sie jede Auskunft darüber verweigerte, wo sie an dem Abende gewesen war; daß sie bei dem schlechten, stürmischen Wetter nicht einen Spaziergang gemacht, lag auf der Hand.
Der Staatsanwalt und der Criminalcommissar boten Alles auf, um neue Beweise herbei zu schaffen, namentlich das Kleid aufzufinden, von dem ein Stück in der Hand der Todten zurückgeblieben war; ihre Bemühungen blieben ohne Erfolg. Da sie fest von Thekla's und Heinrich's Schuld überzeugt waren, behielten ihre Nachforschungen einen einseitigen Charakter. Namentlich ließ Eichner keinen anderen Gedanken aufkommen. Er war stolz darauf, daß ihm die Entdeckung des Mörders so schnell gelungen war und er wies deshalb jeden Gedanken, daß er sich dennoch geirrt haben könne, mit Entschiedenheit zurück.
Thekla selbst befand sich in einer verzweiflungsvollen Lage. Abgeschnitten von allen Menschen, allein in der engen Zelle, im Verdachte eines schweren Verbrechens, während sie unschuldig war, fühlte sie sich oft der Verzweiflung nahe. Es kamen Stunden, in denen sie die Hände rang und laut um Hülfe rief, weil die Enge des Raumes sie zu erdrücken drohte. Und dann wieder saß sie stundenlang regungslos da, die Augen starr auf einen Punkt gerichtet, mit den Gedanken weit hinausschweifend aus den engen Mauern, welche sie umgaben. Sie dachte dann an den Geliebten, dem sie zur Flucht behülflich gewesen. War derselbe gerettet, oder war er bereits in die Hände seiner Verfolger gerathen? Sie hatte nichts über ihn gehört, und wagte selbst ihren Wörter nicht danach zu fragen.
Ruhiger ertrug Heinrich die Haft. Trotz seines schwachen Charakters tröstete er sich damit, daß er bald wieder in Freiheit gesetzt werden müsse, weil es unmöglich war, ihm ein Verbrechen zu beweisen, welches er nicht begangen hatte.
Mahlo war verschiedene Male bei Eichner gewesen, um sich nach dem Stande der Untersuchung gegen Thekla und Heinrich zu erkundigen. Es schien ihn mit Ungeduld zu erfüllen, daß die Untersuchung immer noch nicht beendet war.
»Wozu soviel Umstände, da das Verbrechen klar bewiesen ist!« rief er dem Commissar zu. »Ich würde sicherlich Bedenken tragen, einen Menschen zu verurtheilen, weil sich mir stets die Befürchtung aufdrängen würde, daß ich ihm doch Unrecht thun könne; allein in diesem Falle würde ich nicht eine Minute zögern. Ich bin kein Richter, trotzdem sehe ich ein, daß die Beweise mehr als ausreichend sind.«
»Mich trifft keine Schuld,« entgegnete der Commissar. »Ich habe Alles, was in meinen Kräften steht, gethan.«
Gegen seine Frau zeigte Mahlo eine auffallende Aufmerksamkeit und Freundlichkeit. Jeden ihrer Wünsche suchte er zu errathen und zu erfüllen, ehe er ausgesprochen war. Er wußte, daß Elwire jeden Tag mehrere Stunden bei Träger zubrachte, um ihn zu pflegen, da dessen Zustand doch schlimmer geworden war, als die Aerzte vermuthet hatten; die glühendste Eifersucht verzehrte seine Brust, allein mit keiner Miene verrieth er dieselbe, er erschien Elwire gegenüber vollständig heiter und unbefangen.
Elwire hatte sich durch die Freundlichkeit ihres Gatten nicht einen Augenblick lang täuschen lassen, sie empfand tiefe Verachtung gegen ihn und hatte Mühe dieselbe zu verbergen. Soviel es möglich war, wich sie ihm aus, um allein zu sein und über ihr verfehltes Glück und Leben zu sinnen.
Sie war bei Arthur gewesen und kehrte betrübt heim, denn der Arzt hatte ihr mitgetheilt, daß noch Wochen vergehen könnten, ehe der Verwundete im Stande sein werde, das Bett zu verlassen. Ohne daß der Diener sie bemerkte, trat sie in ihre Wohnung ein, der Abend dämmerte bereits.
Müde ließ sie sich in dem Empfangszimmer in einer Fensternische nieder. Die halb zugezogene Gardine verbarg sie.
Es that ihr wohl, ganz allein und ungesehen dazusitzen und ihren Gedanken ungestört freien Lauf lassen zu können.
Da kam Mahlo nach Hause.
»Ist meine Frau bereits zurückgekehrt?« fragte er den Diener.
Dieser verneinte es.
Mahlo trat in das Empfangszimmer, Elwire zuckte leise zusammen, dennoch rührte sie sich nicht. Seit langer Zeit hatte sie nicht so sehr das Bedürfniß, allein zu sein, empfunden; sie konnte mit Mahlo jetzt nicht sprechen und in der Hoffnung, daß er sich bald wieder entfernen werde, bog sie sich tiefer in die Fensternische zurück.
Mahlo schritt langsam im Zimmer auf und ab, ohne sie zu bemerken. Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt und den Blick auf den Boden geheftet.
Der Diener trat ein und meldete, daß ihn ein junges Mädchen zu sprechen wünsche.
»Wie heißt es?« fragte Mahlo kurz.
»Es hat seinen Namen nicht genannt, sagte indeß, daß es Sie auf jeden Fall sprechen müsse,« gab der Diener zur Antwort.
Mahlo schwieg und schien zu überlegen.
»Laß es eintreten!« sprach er endlich. »Es wird eine Bettlerin sein, nichts weiter.«
Der Diener entfernte sich.
Elwire hatte die Worte gehört, sie befand sich in einer peinigenden Lage. Gern würde sie das Zimmer verlassen haben, sie mochte ihrem Manne nicht zeigen, daß sie schon so lange dort gesessen.
Die Thür wurde geöffnet, ein junges Mädchen trat schüchtern ein.
»Was wünschen Sie?« fragte Mahlo, indem er der Eingetretenen entgegen schritt. Plötzlich blieb er überrascht stehen.
»Anna, Du bist es!« rief er mit gedämpfter Stimme. »Wie kommst Du hierher? Was willst Du?«
»Ich muß Sie sprechen,« entgegnete die Eingetretene – es war Anna.
Mahlo zog sie tiefer in das Zimmer.
»Was willst Du?« wiederholte er und seine Stimme klang sehr unwillig. »Dein Kommen ist eine Thorheit, Du bereitest mir die größte Unannehmlichkeit dadurch. Du siehst bleich aus!«
»Ich bin krank gewesen,« gab Anna zur Antwort.
»Und nun geht es Dir schlecht,« fuhr Mahlo fort. »Du kommst, damit ich Dich unterstütze. Als Du es nicht nöthig hattest, warst Du schroff und zurückweisend gegen mich. Ich will Dir Geld geben, Du mußt mir indeß versprechen, nie wieder hierher zu kommen.«
»Nein, nein, ich verlange kein Geld,« unterbrach ihn Anna, die durch den schroffen Ton des Mannes, der ihr früher so oft seine Liebe versichert hatte, tief betrübt war. »Nicht deshalb bin ich gekommen, nur eine Frage will ich an Sie richten.«
»Sprich – sprich, ich habe wenig Zeit!« rief Mahlo ungeduldig.
»Ich will nur wissen, weshalb Sie vor einigen Wochen des Abends – es war ein stürmisches Wetter, als Frau verkleidet über die Mauer zu der Villa der Frau von Matten gesprungen sind?«
Mahlo fuhr erschreckt zurück.
»Ich – ich – –!« rief er, er vermochte nicht mehr Worte über die Lippen zu bringen. Sein Auge fuhr scheu durch das Zimmer, ob auch Niemand die Worte gehört habe, seine Rechte hatte die Lehne eines Stuhles erfaßt, um sich daran zu halten.
Elwire hörte, wie seine Brust keuchend Athem holte.
Endlich schien er sich zu fassen.
»Ich?« wiederholte er. »Welche Thorheit Mädchen! Wie sollte ich dazu kommen! Wer hat Dir dies erzählt?«
Er wollte unbefangen erscheinen, dennoch zitterte seine Stimme.
»Ich selbst habe Sie gesehen,« gab Anna zur Antwort.
»Du – Du!« sprach Mahlo, indem er dicht an Anna herantrat und fast flüsterte. »Du hast Dich geirrt, ich habe nie ein Kleid getragen, wie bist Du nur auf die thörichte Vermuthung gekommen, daß ich es gewesen sei?«
»Sie sind es gewesen,« entgegnete Anna. »Ich folgte Ihnen an jenem Abende, ich sah, wie Sie in der Nähe der Villa das Kleid überzogen, wie Sie über die Mauer sprangen. Ich wußte nicht, was Sie vorhatten und wartete. Da sah ich Sie nach einiger Zeit zurückkehren, Sie schienen es sehr eilig zu haben, denn hastig zogen Sie das Kleid ab, Sie versteckten es in der Nähe der Mauer hinter einem Steine – und dort habe ich es gefunden.«
Mahlo erfaßte des Mädchens Hand und zog es dicht an sich heran.
»Schweig – schweig!« rief er. »Durch Deine Thorheit kannst Du mir schaden – ich bin es nicht gewesen. Wem hast Du dies bereits erzählt?«
»Niemand,« gab Anna zur Antwort.
»Sprich die Wahrheit, Mädchen! Ich will es wissen. Die Wahrheit!«
Mahlo's Worte klangen fast drohend.
»Ich habe noch zu Niemand darüber gesprochen,« wiederholte Anna.
»Und weshalb kommst Du erst jetzt? Weshalb hast Du es mir nicht sofort gesagt?«
»Ich war krank. An jenem Abende habe ich mich erkältet und habe wochenlang krank darnieder gelegen. Ich dachte ja nichts Böses; erst als ich vor wenigen Tagen hörte, daß an jenem Abende die Frau von Matten ermordet sei, daß ihr Mörder ein Kleid getragen hat, erst da erfaßte mich eine namenlose Angst. Ich konnte nicht glauben, daß Sie eine solche That begangen haben und beschloß, Sie selbst zu fragen.«
»Du hast recht gethan,« fiel Mahlo ein. »Es ist gut, daß Du geschwiegen hast und selbst gekommen bist. Du scheinst nicht zu wissen, daß der Mörder der alten Dame bereits entdeckt ist; es ist ein junges Mädchen, welches sie zu sich genommen, dasselbe sitzt bereits im Gefängnisse. Die Frau von Matten war meine Tante, ich liebte sie, ich würde für sie mein Leben gelassen haben, und ihr hätte ich ein Leid zufügen sollen! Sieh Anna, Du bist ein gutes Mädchen und ich liebe Dich noch immer; Du armes Kind siehst so elend aus, ich werde Dich indeß reich beschenken, Du sollst gute Tage haben, aber schweige – schweig' gegen Jeden. Dir kann ich mich offen anvertrauen. Ja, Du hast mich an jenem Abende in einem Kleide gesehen, ich bin über die Mauer gesprungen. Haha! es galt einen Scherz, ich hatte das Kammermädchen meiner Tante kennen gelernt und wollte sie überraschen, deshalb hatte ich ein Kleid angezogen. Es sollte mich Niemand erkennen. Hätte ich ahnen können, daß meine gute Tante während der Nacht ermordet würde! Ihre Mörderin hat ein Kleid getragen, weil sie ein Mädchen war. Du wirst nun begreifen, wie unangenehm es mir sein würde, wenn entdeckt würde, daß auch ich an jenem Abende in einem Kleide in dem Garten der Villa gewesen bin. Der Verdacht, eine solche That begangen zu haben, könnte mich freilich nie treffen, allein ich könnte mit in die Untersuchung gezogen werden, mein Name könnte leiden. Ich habe die Thorheit bereits hundertmal bereut, es war eine übermüthige, tolle Laune; denn ich liebe das Mädchen nicht, ich liebe noch immer Dich. Ja, Anna, ich habe mich täglich nach Dir gesehnt, das Herz hat mir geblutet, weil Du so schroff gegen mich warst, mein Herz gehört Dir für immer – für immer, Du mußt wieder mein werden und deshalb wirst Du auch schweigen.«
Er hatte zärtlich den Arm um Anna geschlungen und suchte sie an sich zu ziehen.
Die Unglückliche drängte ihn sanft von sich. Ihr Herz gehörte ihm noch immer, durfte sie ihrem Herzen indeß nachgeben? Hatte er sie nicht bereits einmal getäuscht und verlassen?
»Anna, schwöre mir, daß Du schweigen willst,« fuhr Mahlo fort. Seine Stimme hatte alles Schroffe verloren, sie klang wieder weich, einschmeichelnd. »Versprich es mir. Denke daran, wie glückliche Stunden wir zusammen verlebt haben, sie müssen wiederkehren, ich komme wieder zu Dir, Du wirst wieder mein.«
Er hatte Annas Hand erfaßt und sie wagte nicht, ihm dieselbe zu entziehen. Sie zitterte leise, ihr Herz schlug hörbar laut, mit seiner einschmeichelnden Stimme hatte er sie gleichsam wieder berauscht.
»Ich werde schweigen,« wiederholte Anna.
»Du sollst es nicht bereuen!« rief Mahlo, das Mädchen an sich ziehend. »Ich will für Dich sorgen immerdar. Sieh, ich bin glücklich, nun ich weiß, daß Du mir wieder gut bist; ich kannte ja Dein Herz und wußte, daß es mich nicht ganz vergessen konnte. Hundertmal hat es mich zu Dir getrieben, ich hatte indeß nicht den Muth zu kommen, jetzt lasse ich Dich nicht wieder. Anna, denkst Du noch daran, wie ich Dich zum ersten Male im Walde traf? Du hattest Dich verirrt und zitterst vor Angst, Du armes Mädchen warst bereits Stunden lang umhergeirrt. Du fragtest mich nach dem rechten Wege und ich begleitete Dich. Von der Stunde an gehörte Dir mein Herz. Und wie oft haben wir uns dann im Walde getroffen, wie glücklich sind wir gewesen. Ich bin später oft an dieselbe Stelle geeilt und habe mir Alles in die Erinnerung zurückgerufen. Anna, dort im Walde müssen wir uns wiedertreffen, bald, heute noch. Der Abend ist so mild und schön, erfülle mir diese eine Bitte!«
Anna schwieg zögernd.
»Schlag mir diese Bitte nicht ab!« rief Mahlo. »Du weißt nicht, wie glücklich Du mich dadurch machst, komm, komm!«
»Ja, ich werde kommen!« sprach Anna.
»Du bist mein gutes, mein liebes Mädchen,« fuhr Mahlo schmeichelnd fort. »Nun bist Du wieder mein. Dort im Walde, wo die beiden Wege sich scheiden, dort unter der Eiche erwartest Du mich und noch eine Bitte habe ich, bring mir das Kleid dorthin mit. Du hast es ja hinter dem Raine, wo ich es versteckt hatte, aufgefunden und zu Dir genommen. Versprich mir, es mitzubringen, für Dich hat es ja keinen Werth, drei neue Kleider werde ich Dir dafür schenken.«
Wieder zögerte Anna mit der Antwort, denn ein Gedanke war in ihr aufgetaucht. Wenn er ihr nur deshalb schmeichelte, um das Kleid zurückzuerhalten? Wenn er sie nachher wieder verließ? Wenn er ihr dennoch nicht die Wahrheit gesagt, wenn seine Verkleidung einen anderen Zweck gehabt hätte, als den das Kammermädchen der Frau von Matten zu überraschen? Weshalb war er so heftig erschreckt, als sie gesagt, daß sie ihn in der Verkleidung gesehen? Besaß sie in dem Kleide nicht ein Pfand, welches ihn dauernd an sie fesselte?
Mahlo schien zu errathen, was in ihr vorging.
»Anna, Du schweigst,« sprach er. »Wenn Du mir diese Bitte abschlägst, so hast Du mich nie geliebt; es ist ja so wenig, was ich von Dir verlange, thu es, mein Mädchen, eile heim, hole das Kleid und dann komme mit ihm in den Wald, ich werde Dich dort erwarten. Früher brauchte ich Dich nicht so dringend zu bitten, da zog Dich Dein Herz noch zu mir – liebst Du mich gar nicht mehr? Hat Dein Herz mich ganz vergessen?«
Er zog sie an sich und umschlang sie mit beiden Armen.
Anna war zu schwach, um seinen Bitten zu widerstehen, ihr Herz überwand jedes Bedenken, welches in ihr aufgestiegen war, denn sie liebte ihn ja.
»Ich werde es Ihnen bringen,« gab sie zur Antwort. »Wenn Sie mich aber je wieder verlassen würden – ich könnte es nicht ertragen!«
»Nie, nie, ich schwöre es Dir!« rief Mahlo, durch die Antwort sichtbar erfreut. »Anna, Du wirst Niemand sagen, daß Du in den Wald gehst, daß ich Dich dort erwarte; Du kennst ja die Verhältnisse, welche mich zwingen, es geheim zu halten. Ich würde stolz sein, wenn ich mich öffentlich mit Dir zeigen könnte – ich darf es nicht. Wenn Dir mein Diener begegnet – sage ihm nicht, daß Du mich kennst, sage ihm, Du seiest ein armes Mädchen und habest mich gebeten, Dich zu unterstützen, sage dies ihm – und nun eile, ich kann den Augenblick nicht erwarten, wo ich Dich im Walde wieder umfasse!«
Sanft drängte er Anna zur Thüre hinaus.
Regungslos hatte Elwire dagesessen und jedes Wort vernommen. Was als Verdacht in ihr aufgestiegen war, das war ihr jetzt zur Gewißheit geworden und das Blut schien in ihrer Brust erstarrt zu sein. Sie wollte sich erheben und vor Mahlo, der im Zimmer auf- und abschritt, hintreten, sie war nicht im Stande, sich zu rühren. Der Mann, dem sie die Hand gereicht, dessen Namen sie trug ein Verbrecher! Dieser eine Gedanke erfaßte sie immer und immer wieder, sie wollte ihn verscheuchen, vergebens. Sie wollte aufspringen und ihrem Manne entgegenrufen: »Mörder!« – sie vermochte kaum die Hand zu rühren.
Mahlo verließ das Zimmer. Elwire hörte, wie er den Diener rief und ihm sagte, er möge seiner Frau, wenn sie heimgekehrt sei, mittheilen, daß er sich in den Klub begeben habe und vielleicht erst spät wiederkehre. Sie hörte, daß er dies mit ruhiger Stimme sagte, daß er dann das Haus verließ.
Wie gebrochen saß sie da. Ihr Stolz bäumte sich auf, sie wollte den Mann, der zum Verbrecher geworden, sofort verlassen, allein der Stolz schwand vor dem Gefühle des Elendes, welches sie erfaßte. Sie, die aus Stolz vielleicht ihr ganzes Lebensglück verscherzt, die Gattin eines Mörders!
Sie hätte laut aufschreien mögen und vermochte keinen Laut über die Lippen zu bringen. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe und mußte alle Kräfte zusammenraffen, um sich aufrecht zu erhalten.
Lange Zeit saß sie in dumpfem Brüten da; endlich fuhr sie empor. Hatte Mahlo das unglückliche Mädchen nicht in den Wald bestellt? Sollte er dies nur gethan haben, weil er sie wirklich noch liebte? Das Kleid, den Beweis seiner Schuld, wollte er zurückhaben, um es zu vernichten; wollte er nicht auch den Mund, der als Zeuge gegen ihn auftreten konnte, vernichten?
Sie sprang auf, warf hastig ein Tuch um und eilte aus dem Hause. – –
Mahlo befand sich im Walde an der Stelle, wohin er Anna bestellt hatte. Der Abend war völlig hereingebrochen und unter der Eiche herrschte tiefes Dunkel. Niemand konnte ihn dort sehen, an den Stamm gelehnt, stand er da, sein Ohr lauschte auf jeden Ton, sein Auge suchte das Dunkel zu durchdringen. Er rührte sich nicht, er schien äußerlich völlig ruhig zu sein, allein in seinem Innern stürmte es aufgeregt. Bange Befürchtungen erfaßten ihn. Wenn Anna nicht kam, wenn sie ihren Entschluß geändert, wenn sie an der Aufrichtigkeit seiner Versicherung zweifelte, wenn sie dennoch nicht geschwiegen hätte? Die Brust war ihm so beklommen, daß er kaum zu athmen im Stande war. Nach seiner Berechnung mußte Anna längst da sein. Weshalb kam sie nicht? That er nicht besser, wenn er zu ihr eilte, wenn er ihr das Kleid gewaltsam entriß? Er mußte es haben und er war entschlossen, vor keinem Mittel zurückzuschrecken, um sich in den Besitz desselben zu setzen.
Seine Ungeduld steigerte sich von Minute zu Minute.
Endlich sah er eine dunkle Gestalt zwischen den Bäumen sich nähern, es mußte Anna sein, allein er war zu vorsichtig, ihr entgegenzueilen, ehe er sie erkannt hatte. Als sie kaum noch zehn Schritte entfernt war, erkannte er deutlich ihre Gestalt; jetzt trat er hastig zu ihr.
»Du kommst spät – Du hast mich lange warten lassen!« sprach er.
»Ich konnte nicht früher kommen,« gab Anna zur Antwort.
»Hast Du das Kleid?« fuhr er, ohne auf ihre Worte zu hören, fort.
»Ich habe es.«
»Wo? Wo? Gieb her!«
Er entriß Anna ein Bündel, welches sie in der Hand trug. Hastig öffnete er es, der Stoff eines hellen Kleides schimmerte ihm entgegen. Seine Hand zitterte, es war ihm, als ob eine schwere Last, welche ihn zu erdrücken gedroht hatte, von seiner Brust gewälzt werde.
»Du hast doch Niemand gesagt, daß ich Dich hier erwarte?« fuhr Mahlo fort.
»Niemand,« versicherte Anna.
»Ist Dir Jemand begegnet, als Du hierherkamst?«
»Nein.«
»Sprich die Wahrheit, ich will es wissen!«
»Niemand,« wiederholte Anna. »Es war schon so dunkel hier im Walde, daß ich mich fürchtete.«
»Weshalb willst Du Dich fürchten, ich bin ja bei Dir!« rief Mahlo. Seine Stimme hatte ihren weichen, einschmeichelnden Ton verloren. »Es ist gut, daß Du gekommen bist, ich habe wenig Zeit und muß zur Stadt zurück.«
»Nachdem wir uns kaum wiedergesehen haben?« warf Anna ein. »Mein Herz hat mich hierhergetrieben, ich hätte vielleicht nicht kommen sollen. Bleiben Sie noch. Als ich erkrankt darniederlag, waren meine Gedanken immer bei Ihnen, ich wollte Sie vergessen und ich konnte es nicht.«
»Ich muß zur Stadt zurück,« sprach Mahlo kurz. »Morgen Abend oder übermorgen wirst Du mich hier wiedertreffen, dann werde ich länger bleiben. Komm, ich geleite Dich zurück, aber nicht auf demselben Wege, auf dem Du gekommen bist. Komme, wir gehen über die Brücke.«
»Es ist ein Umweg,« bemerkte Anna.
»Für mich nicht. Ist es Dir zuviel, wenn ich neben Dir gehe? Wir sind so oft hier gegangen, auf stillen Wegen, damit uns Niemand begegne und störe.«
Er erfaßte Anna's Hand und zog sie mit sich.
Ein Gefühl der Angst erfaßte das Mädchen, es blieb stehen.
»Lassen Sie mich allein zur Stadt zurückkehren,« bat sie.
»Nein, ich begleite Dich. Hast Du mir nicht gesagt, daß Du wieder mein sein willst! Komm, ich gehe mit Dir!«
Anna schritt neben ihm; er trug das Bündel, in welchem das Kleid enthalten war, in der Hand. Kein Wort der Liebe und Zärtlichkeit kam über seine Lippen, welche sonst so beredt waren, rasch, aufgeregt schritt er dahin, sein Auge suchte die Dunkelheit zu durchdringen.
Sie näherten sich der Brücke, welche Mahlo genannt hatte, dieselbe führte über einen tiefen und schnell fließenden Fluß, der sich wie über ein Wehr ergoß und unterhalb der Brücke einen schäumenden Strudel bildete. Das Rauschen des Wassers hörte man schon von fern.
»Anna, geh schneller, ich habe wenig Zeit,« sprach Mahlo, er erfaßte Anna's Hand und zog sie mit sich.
Auf der Brücke angelangt stand er still und schleuderte das Bündel über das Geländer in den Fluß hinab.
»Sie haben das Kleid in den Fluß geworfen!« rief Anna.
»Ja, und auch Dich werde ich hineinwerfen, Dein Mund muß stumm sein!« rief Mahlo, erfaßte die Unglückliche, hob sie empor, schwang sie über das Geländer und stieß sie hinab.
Ein lauter Schrei drang durch die Stille des Abends dann rauschte unten das Wasser auf.
Mahlo hatte sich über das Geländer gebeugt und blickte der Unglücklichen nach. Er glaubte einen dunklen Körper aus dem Wasser auftauchen und dann wieder untergehen zu sehen, da legte sich eine Hand auf seine Schulter. Bestürzt zuckte er zusammen und wandte sich um – Elwire stand vor ihm.
»Zweifacher Mörder!« rief sie.
Mahlo erfaßte das Geländer, weil er zusammen zu brechen drohte, er zitterte heftig. Wie ein Gespenst erschien ihm seine Frau, ihr Wort »Mörder« hallte in seinem Ohr wieder, laut, wie ein Strafgericht. Der Athem stockte in seiner Brust. Da blickte er wild um sich, er würde vor einem dritten Verbrechen nicht zurückgeschreckt sein, aber seine Kraft reichte nicht aus.
»Ich wollte die Unglückliche retten, ich bin zu spät gekommen!« rief Elwire. »Eile hinab zum Flusse, vielleicht, ist sie noch zu retten.«
Mahlo hörte die Worte kaum, seine Kraft und Fassung war dahin, regungslos stand er da.
In der Nähe am Flusse wurden Stimmen laut.
»Komm – komm!« rief Mahlo und stürzte davon, der Stadt zu.
Elwire vermochte nicht, ihm zu folgen. Langsam schwankte auch sie zurück. Der Angstschrei des unglücklichen Mädchens gellte ihr im Ohre wieder, ihr Mann ein zweifacher Mörder – sie mußte alle Kräfte zusammenraffen, um nicht niederzusinken.
So langte sie endlich in ihrer Wohnung an und begab sich auf ihr Zimmer. Sie hatte nicht den Muth, zu fragen, ob ihr Mann bereits heimgekehrt sei, denn es war ihr unmöglich auszusprechen: »Mein Mann.« Sie schreckte nicht vor dem Gedanken zurück, daß er sich das Leben genommen haben könne, sie wünschte es sogar, denn es erschien ihr unmöglich, daß er länger leben könne. Sich selbst wünschte sie den Tod.
Auf einem Stuhle saß sie, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend. Sie fuhr schaudernd bei dem Gedanken zusammen, daß sie die Gegenstände berührte, welche Mahlo's Hand – die Hand eines Mörders vielleicht kurze Zeit zuvor berührt hatte.
Ihre Dienerin trat ein, mit einer Bewegung der Hand wies sie dieselbe zurück. Das Licht in ihrem Zimmer erschien ihr grell und doch fürchtete sie sich vor der Dunkelheit.
Da trat Mahlo ein. Sie fuhr zurück, sie bedeckte die Augen mit der Hand, sie konnte seine bleichen, verzerrten Züge nicht sehen – es waren die Züge eines Mörders.
Mahlo erschien gefaßt.
»Elwire,« sprach er, »es wäre Thorheit, wenn ich Dir gegenüber aus dem, was ich gethan, ein Geheimniß machen wollte – ich komme, um über unsere Zukunft zu reden!«
»Unsere Zukunft!« rief Elwire, sich abwehrend. »Nenne meinen Namen nicht wieder, aus Deinem Munde kann ich ihn nicht hören!«
Mahlo zuckte mit der Schulter.
»Das einmal Geschehene ist nicht zu ändern,« sprach er. »Es kommt nur darauf an, wie wir es tragen wollen.«
»Ich kann es nicht ertragen!« fiel Elwire ein.
»Und doch mußt Du es! Oder willst Du hingehen und meine That dem Gerichte anzeigen? Thu' es! Verrathe Deinen Mann, man wird mich verhaften, verurtheilen, vielleicht zum Tode, ich glaube nur, daß man sich auch von der Frau eines Mörders mit Abscheu abwenden wird.«
Elwire befand sich in einer verzweiflungsvollen Lage, sie krümmte sich vor Schmerz, sie vermochte noch nicht zu fassen, wie sie im Stande sein werde, das Leben zu ertragen.
»Fliehe, fliehe, ehe Dein Verbrechen entdeckt wird!« rief sie.
»Nein,« entgegnete Mahlo äußerlich ruhig. »Ich will Dir gestehen, daß ich Anfangs denselben Gedanken hatte, ich habe ihn aufgegeben, weil ich ihn für thöricht halte. Durch die Flucht würde ich mich verdächtig machen, man würde mich verfolgen und vielleicht auch erreichen. Ich halte es für sicherer, wenn ich hier bleibe. Noch hat sich nicht der geringste Verdacht gegen mich gerichtet, – die einzige Zeugin meiner That ist todt! Wer kann sagen, daß sie durch mich gestorben ist. Sie kann aus Versehen in den Fluß gestürzt sein, sie kann sich selbst das Leben genommen haben – wer will es entscheiden, da Niemand die Todte fragen kann.«
Elwire schauderte vor der Ruhe und Kälte, mit der Mahlo von seinem Verbrechen sprach. Sie hatte ihn bisher beherrscht, jetzt fürchtete sie sich vor ihm. Konnte er nicht auch sie tödten, damit kein Zeuge, der gegen ihn auftreten konnte, mehr lebe?
»Und das unglückliche Mädchen und ihr Bruder, welche unschuldig verhaftet sind!« rief sie. »Sollen sie für Dich büßen?«
»Ich kann sie nicht retten,« entgegnete Mahlo. »Wenn es die Selbsterhaltung betrifft, halte ich das Mitleid mit Anderen für Thorheit!«
Unwillkürlich hatte er sich Elwire genähert. Abwehrend streckte sie die Hand aus.
»Zurück – zurück!« rief sie, denn der Gedanke, daß er sie berühren könne, erfüllte sie mit Entsetzen. »Dein Verbrechen hat uns für immer getrennt, das Geschick hat mich dadurch, daß ich die Deinige geworden bin, unsagbar hart bestraft!«
Ueber Mahlo's Gesicht glitt ein spöttisches Lächeln hin.
»Und doch bin ich Deinetwegen zum Verbrecher geworden,« entgegnete er. »Ich habe Dich geliebt, ich konnte Dir keinen Wunsch abschlagen, ich gab Deiner Neigung zur Verschwendung nach und hatte nicht den Muth, Dir zu gestehen, daß ich weniger reich war, als Du glaubtest. Es wäre vielleicht Vieles anders gekommen, wenn ich dies zur rechten Zeit gethan hätte, ehe es zu spät war. Ich will Dir keinen Vorwurf machen, daß Du sehr theure Neigungen hattest, denn ich wußte es, ehe ich Dich bat, die meinige zu werden. Ich hoffte allerdings, Du würdest Dich ändern, ich hoffte auch, daß meine Tante, die sehr kränklich war, bald sterben würde – alle Hoffnungen haben mich getäuscht. Mein Vermögen war in kurzer Zeit dahin, ich bat meine Tante, deren Erbe ich ja war, mir einen Theil dieser Erbschaft vorher zu geben – sie schlug es ab. Ich mußte Schulden machen, obschon ich wußte, wie gefährlich dies war. Wenn meine Tante dies erfuhr, so mußte ich befürchten, daß sie mich enterbte, denn sie hatte thörichte Ansichten in dieser Beziehung. Was sollte ich beginnen?«
»Hättest Du mir dies Alles zur rechten Zeit gestanden!« unterbrach ihn Elwire.
»Du würdest es jedenfalls ganz anders aufgenommen haben als jetzt, und was hätte es geändert! Wärst Du im Stande gewesen, Dein bisheriges Leben aufzugeben? Ich selbst würde es nicht gekonnt haben. Das Leben hatte nur Werth für mich, wenn ich es in meinen Gewohnheiten, in Reichthum fortführen konnte. Sollte ich mit einem Male zum armen Mann hinabsteigen? Sollte ich den Kreis, in dem ich bis dahin gelebt hatte, aufgeben? Ich konnte es nicht und würde es Deinetwegen auch nicht gethan haben. Ich würde meiner Tante nie ein Leid zugefügt haben, die Verhältnisse drängten mich dazu. Ich habe mich wochenlang mit dem Gedanken getragen. Anfangs schreckte ich davor zurück, dann wurde ich vertrauter mit ihm, ich versuchte noch einmal meine Tante zu bewegen, mir Geld zu geben, sie lehnte es ab; es erfaßte mich eine verzweiflungsvolle Stimmung, Erbitterung gegen meine Tante; meine Kasse war vollständig erschöpft, was sollte ich beginnen? Da führte ich die That aus, ich hatte sie mit größter Sorgfalt vorbereitet, es konnte kein Verdacht auf mich fallen. Ich hatte meinen Zweck erreicht. Wie viel ich nach der That gelitten habe, weiß Niemand, auch Du nicht. Ich mußte unbefangen erscheinen, ruhig und in mir zitterte jeder Nerv vor Aufregung. Ich schlief kaum, weil selbst im Traum das blasse Bild meiner Tante mich verfolgte, weil ich befürchtete, im Traume mich verrathen zu können. Ich habe qualvolle Tage und Stunden gehabt, erst nach der That habe ich kennen gelernt, was es heißt, einen Mord begangen zu haben. Es gelang mir, mein Gewissen zu beschwichtigen, allein die innere Unruhe wich nicht von mir. Erst als Wochen vergangen waren, als ich sah, daß auch nicht der geringste Verdacht auf mich gefallen war, wagte ich, etwas freier aufzuathmen – da trat das unglückliche Mädchen zu mir und sagte mir, daß es mich an dem Abende gesehen habe, daß es das Kleid aufgefunden, welches ich angezogen, um sofort den Verdacht auf eine andere Spur zu lenken. Es lebte also ein Zeuge meiner That, ein Wort des Mädchens konnte mich verrathen – dieser Zeuge durfte nicht leben bleiben. Das erste Verbrechen drängte mich zum zweiten, ich fragte in meiner Verzweiflung nichts danach, ob zwei Menschenleben auf meinem Gewissen hafteten – deshalb hat das Mädchen sterben müssen!«
Er schwieg. Mit gesteigerter Aufregung hatte er Alles erzählt, seine Kräfte schienen erschöpft zu sein, denn er sank auf einen Stuhl und fuhr mit der Hand über die Stirn hin, auf welcher kalte Schweißtropfen standen.
Elwire saß still da, die Augen starr vor sich hingerichtet.
Keins seiner Worte war ihr entgangen, noch vermochte sie dieselben indeß nicht zu fassen.
Mahlo sprang wieder auf, er fand keine Ruhe.
»Zwei Menschenleben habe ich vernichtet!« rief er. »Soll dies Opfer vergebens gewesen sein? Ich will leben, und müßte ich zum dritten Male zum Mörder werden. Schlimmer können die Furien mich auch dann nicht hetzen.«
Sein Auge blickte wild.
Unwillkürlich wich Elwire vor ihm zurück.
»Dir werde ich kein Leid zufügen!« rief er. »Aber wehe Dir, wenn ein Wort meiner That über Deine Lippen kommt!«
»Fort – fort, oder ich rufe um Hülfe!« rief Elwire, mehr vermochte sie nicht hervorzubringen.
Mahlo verließ das Zimmer. Elwire sprang auf, verschloß die Thür hinter ihm, dann sank sie ohnmächtig nieder.
– – – – – – –
Um dieselbe Zeit wurde Anna von zwei Männern zur Stadt getragen. Dieselben waren zufällig in der Nähe der Brücke gewesen, als Mahlo das unglückliche Mädchen in den Fluß hinabgestoßen, sie hatten den Angstschrei und das Aufrauschen des Wassers gehört und waren noch zur rechten Zeit hinzugesprungen, um Anna, die bereits das Bewußtsein verloren, zu retten.
Für wenige Minuten war Anna aus der Ohnmacht aufgewacht, hatte den Namen ihrer Wohnung genannt und hatte dann das Bewußtsein verloren.
Die Männer trugen sie zu der angegebenen Wohnung.
Da sie Niemand weiter in der Nähe der Brücke gesehen hatten, glaubten sie, Anna sei in den Fluß gesprungen, um sich das Leben zu nehmen, die bleichen eingefallenen Wangen des Mädchens schienen diese Annahme zu bestätigen. Schon manche Unglückliche war durch Noth und Sorgen zu diesem Schritte getrieben.
»Wir haben ihr vielleicht einen schlechten Dienst erwiesen, indem wir sie gerettet haben,« sprach der eine der Männer zu seinem Kameraden. »Ihr Gesicht verräth nicht, daß sie viel gute Tage erlebt hat, und in ihren Jahren stirbt man nicht gern.«
»Und doch wird sie es uns vielleicht einst danken, wenn sie einsieht, daß sie eine Thorheit begangen,« erwiderte der Andere.
Schweigend trugen sie die Ohnmächtige die Treppen hinauf, Doris hörte es, trat mit einem Lichte aus ihrem Zimmer und eilte bestürzt auf Anna zu.
Mit wenigen Worten theilten die Männer ihr mit, daß sie Anna aus dem Flusse gezogen.
»Von der Brücke herab hat sie sich in den Fluß gestürzt,« sprachen sie.
»Nein, sie hat sich nicht das Leben nehmen wollen, ich kenne sie zu genau!« rief Doris.
»Ueber das Gelände kann Niemand aus Versehen stürzen,« warfen die Männer ein.
Doris hörte auf den Einwurf kaum, ihre ganze Aufmerksamkeit und Sorgfalt war jetzt der Unglücklichen zugewendet. Sie ließ Anna auf ihr Zimmer tragen und wandte Alles auf, um sie zum Bewußtsein zurückzurufen. Die Männer entfernten sich.
Doris rieb Anna die Stirn und die Schläfen, sie rief laut ihren Namen und endlich schlug Anna die Augen auf.
Langsam richtete sie sich empor, einen Augenblick lang blickte sie sich überrascht um, dann schien das Geschehene in ihre Erinnerung zurückzukehren, denn ängstlich fuhr ihr Blick durch das Zimmer hin.
»Wo ist er? Schützen Sie mich!« rief sie.
»Wer? Wer, Kind?« fragte Doris. »Sei ruhig, es ist Niemand hier, ich bin bei Dir und ich werde Dich schützen.«
Angstvoll klammerte Anna sich an ihre Pflegerin fest.
»Wen fürchtest Du?« forschte Doris weiter.
»Ihn – ihn, der mich in den Fluß gestoßen hat, der mich ermorden wollte!« rief Anna.
»Kind, Du bist noch aufgeregt,« suchte Doris sie zu beruhigen. »Gieb mir Deine Hand – so! Nun sei ruhig und erzähle mir, was geschehen ist.«
Es währte einige Zeit, ehe Anna sich so weit beruhigt hatte, daß sie auf Doris Fragen Antwort geben konnte.
»Er hat mich ermorden wollen,« sprach sie. »Ich war zu ihm gegangen, ich hatte ihn gefragt, weshalb er sich verkleidet habe, er schmeichelte mir, bat mich, in den Wald zu kommen, wo ich ihn zuerst kennen gelernt hatte, und das Kleid mitzubringen. Ich that es – ich glaubte ihm, und da warf er das Kleid in den Fluß und dann mich – mich!«
»Wer hat dies gethan? Nenne seinen Namen!« rief Doris, welche aus den wenigen Worten den ganzen Zusammenhang errieth.
Anna nannte Mahlo's Namen.
»Der Herr von Mahlo, der Neffe der Frau von Matten?« rief Doris.
Anna nickte bejahend. Sie mußte der Alten noch einmal Alles auf das Genaueste erzählen.
»Und Mahlo liebte Dich früher?« fragte Doris.
»Ja.«
Die Alte hätte aufjubeln mögen. Nun konnte sie Thekla befreien und auch nicht eine Stunde wollte sie säumen. Sie theilte Anna mit, daß sie sofort der Polizei von dem Geschehenen Anzeige machen werde.
»Noch heute Abend, ehe er die Nacht benutzt, um zu entfliehen,« fügte sie hinzu. »Weiß er, daß Du gerettet bist?«
Anna vermochte keine Auskunft darüber zu geben.
Einige Augenblicke lang sträubte sich ihr Herz dagegen, daß Mahlo's That zur Anzeige gebracht werde, Doris verscheuchte indeß bald jedes Bedenken.
»Willst Du noch einen Mörder in Schutz nehmen?« rief sie. »Sollen seinetwegen zwei unschuldige Menschen im Gefängnisse schmachten? Du hast noch ein Gefühl des Mitleids mit ihm, obschon er Dich getäuscht und betrogen, obschon er Dich sogar hat ermorden wollen! Er verdient kein Mitleid und keine Schonung!«
Sie eilte fort, um von dem Verbrechen Anzeige zu machen. Auf der Polizei trat ihr der Polizeicommissar Eichner entgegen. In Hast erzählte sie ihm das Geschehene.
Eichner lächelte, er hielt Alles für einen Traum der Alten, er hatte ja die Mörderin der Frau von Matten längst entdeckt. Als ihm Doris indeß noch mehrere Einzelheiten mittheilte, welche keinen Zweifel übrig ließen, fuhr er bestürzt zurück. Einen Augenblick lang beschlich ihn ein Gefühl der Erbitterung, weil er sich geirrt hatte, dann erfaßte er mit um so größerem Eifer das Mitgetheilte.
»Wo ist Anna?« fragte er.
»In ihrer Wohnung,« gab Doris zur Antwort.
»Wie heißen die Männer, welche sie gerettet haben?«
Die Alte kannte sie nicht.
»Weiß Mahlo, daß sie gerettet ist?«
Auch hierauf vermochte Doris keine Antwort zu geben.
Eichner begleitete Doris zu Anna, nachdem er einige Polizeidiener beauftragt, Mahlo's Wohnung sorgfältig zu beobachten, ihm zu folgen, wenn er das Haus verlassen sollte, und ihn zu verhaften, sobald er den Versuch zu entfliehen mache.
Noch einmal ließ er sich von Anna Alles genau erzählen.
»Gab Mahlo zu, daß er sich verkleidet habe, als Sie zu ihm kamen?« fragte er.
»Er stellte es Anfangs in Abrede, dann gab er es zu und behauptete, er habe das Kammermädchen der Frau von Matten überraschen wollen.«
»Er bat Sie, ihm das Kleid zurückzugeben?«
»Ja.«
»Schien ihm viel daran zu liegen?«
»Ja, denn er ließ nicht nach, mich darum zu bitten, er versprach mir ein reiches Geschenk dafür.«
»Glaubten Sie ihm denn, daß er nur das Kammermädchen habe überraschen wollen?«
»Ich weiß es selbst kaum, er sprach so überzeugend und ich konnte auch nicht denken, daß er ein Mörder sei,« gab Anna zur Antwort; sie mochte Eichner nicht gestehen, daß sie Mahlo geliebt habe.
»Würden Sie das Kleid wohl wiedererkennen, wenn Sie es sähen?« forschte Eichner weiter.
»Gewiß.«
»Gut, hatte es vielleicht einige Aehnlichkeit mit diesem Stück Zeug?«
Eichner zog das Stück Zeug aus der Tasche, welches er in der Hand der ermordeten alten Dame gefunden hatte. Sein Blick war prüfend auf Anna gerichtet.
»Es war genau so!« rief Anna, als sie kaum das Stück Zeug erblickt hatte.
Des Commissars Auge leuchtete freudig – nun blieb kein Zweifel mehr übrig.
»Haben Sie vielleicht bemerkt, ob das Kleid zerrissen war?« fragte er.
»Ja, der eine Aermel war zerrissen, es fehlte ein Stück desselben.«
»Wie benahm sich Mahlo, als Sie ihm das Kleid zurückgaben?«
»Er griff so hastig danach, daß er es mir fast entriß. Als er es in der Hand hielt, wurde er schroffer und kalt. Sein Benehmen war so eigenthümlich, daß ich mich fürchtete, ohne zu wissen, weshalb.«
»Er hatte bereits die Absicht, Sie zu tödten, weil Sie gegen ihn zeugen konnten,« sprach der Commissar. »Nun begreife ich, weshalb er so sehr drängte, daß die Untersuchung gegen die beiden Verhafteten beendet werde; er glaubte nichts mehr zu befürchten zu haben, wenn sie verurtheilt sein würden.
Unschuldige hätte er für sich büßen lassen!
»Wird Thekla nun in Freiheit gesetzt werden?« fragte Doris.
»Gewiß,« versicherte Eichner.
»Wann, wann?« rief die Alte.
»Morgen schon werde ich dafür Sorge tragen.«
»Darf ich zugegen sein und sie aus dem Gefängnisse abholen?«
»Auch das,« entgegnete der Commissar. »Ich habe die beiden Verhafteten bis zu dieser Stunde für schuldig gehalten, und vermag auch jetzt noch nicht zu begreifen, wie so viele Beweise gegen sie sprechen konnten. Ich hoffe, daß auch dies jetzt aufgeklärt werden wird.«
Eichner entfernte sich. Er begab sich zu dem Hause, in welchem Mahlo wohnte. Vor demselben, im Schatten der gegenüberliegenden Häuser, standen die Polizeidiener, welche beauftragt waren, das Haus zu beobachten.
»Hat Mahlo das Haus verlassen?« fragte er.
»Nein,« lautete die Antwort.
»Wissen Sie, ob er im Hause ist?«
»Ja, wir haben ihn am Fenster gesehen, dort in jenem Zimmer, dessen Fenster erhellt sind. Er ist lange Zeit in demselben auf- und abgegangen, jetzt scheint er sich zur Ruhe begeben zu haben.«
»Oder er ist mit dem Plane und den Vorbereitungen zur Flucht beschäftigt,« bemerkte Eichner. »Vielleicht besitzt er auch die Dreistigkeit, hier zu bleiben. Wenn das unglückliche Mädchen todt wäre, wer würde gegen ihn zeugen können!«
»Wollen Sie ihn nicht sofort verhaften lassen?« warf der eine der Polizeidiener ein.
»Nein,« gab Eichner zur Antwort. »Ist es möglich, so werde ich es erst dann thun, wenn das Kleid aufgefunden ist. Er muß sich sehr sicher gefühlt haben, sonst würde er diesen Zeugen gegen ihn sichrer vernichtet haben. Im Flusse muß das Kleid wieder aufgefunden werden, ich hoffe sogar, es zu finden, noch ehe der Morgen hereinbricht. Der schlaueste Verbrecher begeht doch immer eine Thorheit, welche man nicht begreift und welche mit seiner sonstigen Klugheit im Widerspruche steht.«
Ohne Zögern begab er sich mit mehreren Polizeidienern an den Fluß. Mit Fackeln in den Händen suchten sie Schritt für Schritt an beiden Ufern des Flusses.
»Das Bündel wird bereits bis zu der Mühle hinabgetrieben sein, dort werden die Schütten es aufhalten,« sprach Eichner und seine Vermuthung traf in der That ein, die Schleuse hatte es aufgehalten.
Er hätte aufjubeln mögen, als er das Bündel in der Hand hielt, das Kleid herauszog und auf den ersten Blick dasselbe erkannte. Wie lange hatte er nach diesem Kleide geforscht! Er untersuchte es genauer, der Aermel war zerrissen, hastig zog er das Stück Zeug aus der Tasche – es war das aus dem Aermel gerissene Stück. Mehr Beweise bedurfte es nicht – Mahlo war der Mörder! Dieser einzige Beweis reichte hin, ihn zu verurtheilen.
Der Morgen war bereits hereingebrochen – Eichner eilte zum Staatsanwalte und theilte ihm Alles mit, dann rüstete er sich, Mahlo zu verhaften. Er hatte ihm eine solche That nicht zugetraut, jetzt wußte er, daß er auf seiner Hut sein mußte. Ein Mensch, der mit solcher Schlauheit seine Tante ermordete, um deren Vermögen zu erhalten, der so ruhig an der Leiche gestanden, der vor einem zweiten Morde nicht zurückgeschreckt war, um eine Zeugin zu vernichten, dem war das Schlimmste zuzutrauen. Er wählte deshalb tüchtige Leute, auf die er sich verlassen konnte, zur Verhaftung. Mit ihnen schritt er zu Mahlos Wohnung. Von den aufgestellten Wachen erfuhr er, daß Mahlo sich noch im Hause befand. Auf den Vorflur hieß er die Polizeidiener stehen bleiben, er wollte allein zu Mahlo gehen, ein einziger Ruf genügte, um seine Leute herbeizurufen.
Der Diener trat ihm entgegen.
»Ist Herr von Mahlo zu Hause?« fragte Eichner.
Der Diener bejahte es.
»Dann melden Sie mich Ihrem Herrn,« fuhr Eichner fort. »Ich wünsche ihn zu sprechen.«
»Mein Herr ist so früh des Morgens nie zu sprechen,« gab der Diener zur Antwort.
»Melden Sie mich und fügen Sie hinzu, daß ich Herrn von Mahlo sehr Wichtiges mitzutheilen habe,« sprach der Commissar kurz, befehlend.
Der Diener gehorchte.
Eichner lauschte mit angehaltenem Athem, als der Diener in Mahlo's Zimmer trat; er hatte kaum Eichners Namen genannt, als Mahlo in das Vorzimmer trat. Er war angekleidet, ein Blick auf seine Kleidung genügte indeß, um zu sehen, daß er die Nacht über sich nicht zur Ruhe gelegt hatte.
Sein Gesicht war auffallend bleich, fast grau, seine Züge waren verzerrt, seine fest geschlossenen Lippen zuckten.
Er versuchte zu lächeln und unbefangen zu erscheinen, als er Eichner erblickte; seine große Kunst, sich zu verstellen, ließ ihn aber im Stiche.
»Ah, Herr Commissar, so zeitig!« sprach er, seine Stimme zitterte leise.
»Es thut mir leid, Sie so früh stören zu müssen,« erwiderte der Commissar. »Ich habe indeß nur wenige Fragen an Sie zu richten.«
»Fragen? Und dieselben hatten nicht Zeit?« warf Mahlo ein, der sich bereits mehr gefaßt hatte. »Ich bin nicht gewöhnt, des Morgens so früh gestört zu werden.«
»Es ist nicht meine Schuld,« bemerkte Eichner kurz. »Kennen Sie ein junges Mädchen Namens Anna Vogel?«
Unwillkürlich trat Mahlo einen Schritt zurück. Seine Rechte erfaßte die Lehne eines Stuhles, um sich daran zu halten.
»Nein,« erwiderte er dann mit ziemlich fester Stimme.
»Und doch war sie gestern Abend bei Ihnen, Sie bestellten sie in den Wald, damit sie Ihnen ein gewisses Kleid bringe. Sie erfaßten die Unglückliche, die in einer anderen Sache gegen Sie zeugen konnte, und stießen sie über das Brückengeländer in den Fluß, um sie zu ermorden. Zum Glück ist sie gerettet und lebt!«
Mahlo's Züge hatten sich während dieser Worte zur Unkenntlichkeit verändert, seine Augen traten starr aus dem Kopfe hervor, seine Brust rang nach Athem.
»Nein – nein!« rief er dann laut. Er stieß die Worte mühsam hervor.
Eichner ließ auf einer kleinen Pfeife einen schrillen Pfiff ertönen, das Zeichen für seine Leute.
Mahlo zitterte, seine ganze Gestalt schwankte, dann raffte er sich auf und stürzte in sein Zimmer. Ehe Eichner noch hinzu springen konnte, hatte er bereits die Thüre hinter sich verschlossen. An ein Entrinnen war nicht zu denken, denn jeder Ausgang des Hauses war besetzt.
Des Commissars Leute erschienen. Mit Gewalt versuchten sie die Thür zu sprengen – da ertönte drinnen ein Schuß.
»Zu spät!« rief Eichner unwillig, denn er war keinen Augenblick darüber in Zweifel, daß Mahlo sich durch den Schuß das Leben genommen habe.
Die Thür wurde gesprengt. Mahlo lag auf dem Boden seines Zimmers – ein Schuß in das Herz hatte seinem Leben ein Ende gemacht.
Bestürzt traten die Polizeibeamten an ihn heran. Die Dienerschaft eilte herbei, auch Elwire. Sie kam nur bis zur Schwelle des Zimmers, da sah sie ihren Mann todt am Boden liegen. Einen Augenblick lang war ihr Auge starr auf ihn gerichtet, dann wollte sie in das Zimmer treten, ihre Kräfte reichten jedoch nicht aus, lautlos sank sie zusammen.
Eichner und die Dienerschaft trugen sie in das Nebengemach und legten sie auf dem Sopha nieder. Sie war nicht ohnmächtig, allein das Zittern ihres ganzen Körpers verrieth ihre gewaltige Erregung. Eichner war in peinlicher Lage, er wußte nicht, wie er ihr das Geschehene mittheilen sollte.
Endlich richtete sich Elwire langsam empor, sie gab der Dienerschaft mit der Hand ein Zeichen, sich zu entfernen.
»Gnädige Frau, suchen Sie sich zu fassen,« sprach Eichner. »Sie werden das Geschehene nicht begreifen und es wird mir schwer, es Ihnen mitzutheilen.«
»Lassen Sie, ich weiß Alles,« unterbrach ihn Elwire.
»Daß ich hier bin, um Ihren Gatten zu verhaften?« fragte Eichner.
Elwire nickte bejahend.
»Sie wissen auch, weshalb ich ihn verhaften wollte?« fuhr Eichner fort.
»Auch das. Ich habe es gestern Abend erfahren, denn ich hörte eine Unterredung, welche er mit einem jungen Mädchen hatte, er bestellte sie in den Wald, ich befürchtete Schlimmes und eilte ihm nach – ich kam zu spät, um die Unglückliche zu retten. Er hat sie ermordet, um ihren Mund stumm zu machen.«
»Sie ist gerettet,« bemerkte Eichner.
»Gottlob!« rief Elwire. »Es lastet also nur ein Mord auf ihm!«
»Gnädige Frau, ich bin in der schlimmen Lage, einige Fragen an Sie richten zu müssen,« fuhr Eichner fort. »Ich würde Sie gern schonen – meine Pflicht gestattet es nicht.«
Elwire machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung.
»Fragen Sie,« sprach sie kurz.
»Sie wissen, daß Ihr Mann seine Tante, Frau von Matten ermordet hat?«
»Ich weiß es.«
»Hat er Ihnen die That eingestanden? Sie wissen, daß zwei Unschuldige verhaftet sind, es handelt sich darum, ihre Unschuld zu beweisen, damit sie möglichst bald in Freiheit gesetzt werden.«
Elwire richtete sich noch mehr empor, sie schien all ihre Kräfte zusammenzunehmen.
»Er hat sie mir gestanden,« gab sie zur Antwort, »gestern Abend, als ich ihn in dem Augenblicke, in welchem er das unglückliche Mädchen von der Brücke herabstieß, überraschte.«
»War es seine Absicht zu fliehen?«
»Nein, er glaubte, daß sein Verbrechen unentdeckt bleiben werde, denn ich konnte nicht als Zeuge gegen ihn auftreten, ich war zum Schweigen verurtheilt weil – weil ich seine Frau bin.«
»Weshalb hat er seine Tante ermordet?«
»Um in den Besitz ihres Vermögens zu gelangen, sein eigenes Vermögen war aufgezehrt, er befand sich in Verlegenheit.«
»Wußten Sie dies?«
»Nein – nein!« rief Elwire. »Ich hatte keine Ahnung davon, weil ich ihn für sehr reich hielt, nur deshalb hatte ich ihm meine Hand gereicht. Erst gestern Abend hat er es mir mitgetheilt; hätte ich es früher erfahren, das Entsetzliche würde nicht geschehen sein. Er hat mir den Vorwurf gemacht, daß ich zu verschwenderisch gelebt habe. So weit meine Schuld reicht, will ich sie nicht in Abrede stellen, ja, ich habe mich in Vergnügungen gestürzt, weil ich Manches dadurch zu vergessen hoffte – allein mein Mann hat mir nie gesagt, daß unser Aufwand seine Kräfte übersteige. Dies ist die volle Wahrheit.«
»Ich schenke Ihnen vollen Glauben,« versicherte Eichner. »Es ist auch nicht einen Augenblick lang der Verdacht aufgestiegen, daß Sie an der That irgend welchen Antheil gehabt haben könnten.«
»Gestatten Sie mir eine Frage,« sprach Elwire. »Ist es bereits bekannt, daß Mahlo – der Mörder ist?«
»Es wissen außer mir nur wenige Menschen darum,« gab Eichner zur Antwort.
»Ist es möglich, daß es ein Geheimniß bleibt?« fuhr Elwire fort. »Durch den Tod, den er sich selbst gegeben, hat er sich der Bestrafung entzogen, die Schmach seines Verbrechens trifft nicht ihn mehr, sondern mich, sie wird auf mir lasten bleiben, wird mich erdrücken, obschon ich ohne Schuld bin.«
»Es ist unmöglich!« versicherte Eichner. »Ich begreife Ihre Lage, ich empfinde Ihnen nach, allein meine Pflicht gestattet nicht, Ihre Bitte zu erfüllen. Das eine Versprechen gebe ich Ihnen indeß gern, daß ich so viel als möglich Schonung gegen Sie üben will. Sie malen sich die Zukunft zu schwarz aus, Niemand wird Ihnen zur Last legen, was Ihr Mann gethan hat!«
»Ich trage seinen Namen und auf diesem Namen ruht die Schmach. Es ist eine Demüthigung für mich, wie ich sie mir nie so entsetzlich habe vorstellen können; noch weiß ich nicht, ob ich im Stande sein werde, sie zu ertragen.«
Eichner suchte Elwire zu beruhigen. Er hatte sie früher nur als stolze, hochmüthige Frau gekannt, jetzt schien sie eine ganz Andere geworden zu sein, das Unglück hatte einen wohlthuenden Einfluß auf sie ausgeübt.
»Noch Eins,« sprach sie, als Eichner sich entfernen wollte, »Sie erwähnten der beiden Unglücklichen, welche unschuldig wochenlang in Haft gesessen haben – sagen Sie ihnen, daß ich an ihnen die Schuld meines Mannes zu sühnen versuchen würde, so weit es in meinen Kräften steht.«
Eichner versprach es.
Mahlo's Leiche wurde aus dem Hause fortgeschafft, Elwire selbst schien es zu wünschen. Nun das Verbrechen ihres Mannes nicht geheim gehalten werden konnte, wollte sie den Bestimmungen des Gesetzes in keiner Weise in den Weg treten.
Vor dem Gefängnisse, in welchem Thekla in Haft saß, stand die alte Doris bereits seit mehreren Stunden. Sie konnte nicht begreifen, daß Thekla, nachdem ihre Unschuld erwiesen, nicht schon in Freiheit gesetzt war, denn sie kannte die Förmlichkeiten nicht, welche das Gesetz vorschreibt. Sie hatte sofort zu Thekla eilen wollen, der Gefängnißwärter hatte sie indeß zurückgewiesen und auf all ihre Versicherungen, daß Thekla unschuldig sei und unfehlbar aus der Haft entlassen werde, keine Rücksicht genommen. Er wollte es nicht einmal übernehmen, der Verhafteten mitzutheilen, daß der Mörder der Frau von Matten endlich entdeckt sei.
So ungeduldig hatte das Herz der Alten nie geschlagen, jede Minute schien sich ihr zu Stunden auszudehnen. Endlich erschien Eichner mit dem Gefängnißinspector. Doris eilte ihm entgegen.
»Werden die Verhafteten noch nicht in Freiheit gesetzt?« fragte sie.
»Doch – jetzt,« gab Eichner zur Antwort.
Der Inspector gab einem Unterbeamten den Auftrag Thekla und Heinrich herbeizuholen.
»Darf ich mit ihm gehen? fragte Doris. Aus meinem Munde soll Thekla zuerst erfahren, daß sie frei ist, daß nun alles Leid endlich ein Ende hat.«
Der Inspector wollte die Bitte ablehnen, Eichner kam ihm zuvor.
»Lassen Sie die Alte,« sprach er. »Sie kennt die Verhaftete von Jugend auf, sie ist die alte Wärterin derselben, sie hat Alles aufgeboten, ihr die Freiheit zu verschaffen, ich gönne es ihr, daß sie ihr zuerst die Nachricht ihrer Entlassung bringt.«
Doris eilte dem Wärter fast voraus, es währte ihr zu lange, bis die Thür zu Theklas Zelle aufgeschlossen wurde, ungeduldig pochte sie an dieselbe.
»Thekla, Thekla!« rief sie. »Ich komme, ich bringe Dir die Freiheit!«
Die Thür wurde geöffnet. Thekla saß auf dem hölzernen Schemel und blickte die Eintretende starr an. Sie schien dieselbe auf den ersten Blick nicht zu erkennen, erst als Doris ihren Namen rief, sprang sie auf und warf sich ihrer alten Wärterin mit lautem Schrei an die Brust. Sie schluchzte heftig.
»Du bist frei – Du bist frei!« sprach die Alte, indem sie ihrem Lieblinge schmeichelnd mit der Hand über die Wangen strich. »Ich bin gekommen, um Dich zu holen, mit mir verläßt Du das Gefängniß, endlich, endlich ist Deine Unschuld erwiesen! Ich habe von Anfang an gesagt, daß Du unschuldig seiest, denn ich wußte ja, daß Du nicht im Stande warst, eine solche That zu begehen; man hat mir indeß nicht geglaubt!«
Thekla blickte sie zweifelnd an. Seit Wochen hatte sie jede Stunde gehofft, daß die Thür ihrer Zelle sich öffnen würde, um ihr die Freiheit zu geben, endlich hatte sie zu hoffen verlernt und nun endlich der ersehnte Augenblick gekommen war, konnte sie an die Möglichkeit desselben nicht mehr glauben.
Unsagbar qualvolle Stunden hatte sie verlebt. Anfangs hatte das Gefühl ihrer Unschuld sie aufrecht erhalten, die engen grauen Wände, die Einsamkeit hatten sie endlich der Verzweiflung nahe gebracht. Immer und immer hatten ihre Gedanken denselben Kreislauf genommen, bis sie zuletzt selbst nicht mehr wußte, ob sie schuldig war oder nicht.
»Du bist frei!« wiederholte Doris. »Der Mörder der Frau von Matten ist endlich entdeckt, ihr eigener Neffe, der Herr von Mahlo hat sie ermordet!«
»Von Mahlo!« rief Thekla.
Hundert und hundert Mal hatte sie sich die Frage vorgelegt, wer das Verbrechen begangen haben könne, sie war nicht im Stande gewesen, sich eine Antwort darauf zu geben; mehr als einmal waren ihre Gedanken indeß auf Mahlo gerathen, dessen hellblondes Haar und wasserblaue Augen, dessen weiche Stimme und dessen stets freundliches Lächeln nie im Stande gewesen waren, ihr Vertrauen einzuflößen.
»Ja, er hat es gethan,« fuhr Doris fort. »Um in den Besitz ihres Vermögens zu gelangen, ist er zum Mörder geworden und um den Verdacht von sich abzulenken, hat er sich verkleidet und ein Frauenkleid angezogen. Heute Morgen sollte er verhaftet werden – da hat er sich erschossen!«
Thekla vermochte vor nervöser Erregung nur zu weinen.
Doris hatte erwartet, daß sie mit Freude das Gefängniß verlassen würde, jetzt sank sie erschöpft auf den hölzernen Schemel zurück und bat, ihr noch kurze Zeit zur Ruhe zu gönnen, bis sie Fassung und Kraft gewonnen habe.
Doris stand neben ihr und hielt sie umfaßt.
»Wird auch mein Bruder in Freiheit gesetzt?« fragte Thekla.
»Natürlich!« rief die Alte. »Er ist ebenso unschuldig wie Du. Zusammen werdet Ihr dies Haus verlassen.«
»Und ist Fortmann wieder verhaftet? Hat man ihn wieder auf die Festung gebracht?« fuhr Thekla leise fragend fort.
»Nein. Man hat ihn verfolgt, hat alle Kräfte aufgeboten, um seiner wieder habhaft zu werden – vergebens! Jetzt wird er längst in Amerika sein,« gab Doris zur Antwort.
Diese Antwort gab Thekla ihre Fassung und Kraft zurück.
»Jetzt laß' uns gehen!« sprach sie, indem sie sich erhob.
Es war, als ob sie all' die überstandenen Leiden mit einem Male von sich abgestreift habe.
Der Gefängnißwärter geleitete sie in das Zimmer des Inspectors, wo Eichner sie erwartete. Heinrich traf sie dort bereits an. Schweigend reichte sie ihm die Hand. Heinrichs Wangen waren bleicher geworden, aus seinen Augen leuchtete unverkennbare Freude. Auf ihn hatte die Haft einen weniger tiefen Eindruck gemacht, denn er hatte sich stets mit dem Gedanken beruhigt, daß seine Unschuld doch endlich erwiesen werden müßte, und jetzt war seine Hoffnung wahr geworden; er empfand ein Gefühl der Genugthuung, sich nicht getäuscht zu haben.
Eichner trat Thekla nicht ohne eine Empfindung der Befangenheit entgegen. Er hatte sie mit vollständiger Bestimmtheit als die Schuldige erklärt und mußte sich jetzt doch gestehen, daß er sich geirrt hatte. Zugleich erfaßte ihn Mitleiden, als er Theklas bleiche, eingefallenen Wangen erblickte, sie schienen ihn anzuklagen.
»Ich haben Ihnen schwere und trübe Stunden bereitet,« sprach er. »Auf meine Veranlassung sind Sie verhaftet, denn ich hielt Sie für die Schuldige. Nicht ohne Beschämung muß ich Ihnen gestehen, daß ich mich geirrt habe, allein eine wunderbare Verknüpfung von Verhältnissen ergab die Beweise, welche gegen Sie sprachen. Sie selbst verstärkten den Verdacht gegen sich, weil Sie jede Auskunft verweigerten, wo Sie jenen Abend zugebracht haben. Ihre Unschuld ist jetzt erwiesen, Sie sind frei und ich habe keine Macht, Sie länger in der Haft zurückzuhalten. Mahlo hat die Frau von Matten ermordet, es liegen die schlagendsten Beweise vor und er selbst hat es seiner Frau gegenüber eingeräumt. Sie haben jetzt nichts mehr zu befürchten und jetzt darf ich wohl die Frage an Sie richten: wo sind Sie an jenem Abend gewesen?«
Unwillkürlich richtete Thekla den Blick auf ihren Bruder, sie glaubte einen besorgten Ausdruck auf dem Gesichte desselben zu lesen.
»Ich muß auch jetzt wiederholen, was ich früher in dem Verhöre gesagt habe, daß ich spazieren gegangen bin,« gab sie zur Antwort.
Eichner schüttelte unwillig mit dem Kopfe.
»Ich glaubte, Sie würden jetzt, wo Sie nichts mehr zu befürchten haben, die volle Wahrheit sagen,« sprach er. »Ich habe Ihnen eingestehen müssen, daß ich mich geirrt habe und ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß mir dies nicht leicht geworden ist, nimmermehr werde ich indeß Ihrer Aussage Glauben schenken. Sie trugen ferner, als sie das Haus der Frau von Matten verließen, ein Packet: was war darin enthalten?«
»Nichts, was mit der Ermordung meiner Herrin in irgend einem Zusammenhange steht,« gab Thekla zur Antwort.
Eichner war kaum im Stande, seinen Unwillen zu verbergen.
»Sie verkennen vielleicht die Absicht meiner Fragen,« fuhr er fort. »Nicht die Neugierde treibt mich zu denselben. Ich suche nach der Lösung eines Räthsels. Fast alle Beweise sprechen gegen Sie und ich möchte die Verkettung von Zufälligkeiten kennen lernen, welche dies zu Stande brachte. Es liegt für mich eine Lehre darin, welche ich nicht unberücksichtigt lassen werde. Ihr Bruder hat am Tage vor der Ermordung ein Werthpapier für Sie eingewechselt, das Geld ist nicht bei Ihnen gefunden, wo haben Sie dasselbe gelassen?«
»Auch hierauf kann ich Ihnen keine Antwort geben,« erwiderte Thekla. »Frau von Matten hat mir zwei Werthpapiere geschenkt, schon vor Monaten, ich habe dem Untersuchungsrichter Alles der Wahrheit gemäß angegeben. Sie dürfen mir vollen Glauben schenken. Wenn ich Ihre Fragen beantworten könnte, so würde ich es thun.«
»Haben Sie geahnt, daß Mahlo der Verbrecher war?« fragte Eichner.
»Nein. Zuweilen habe ich wohl an ihn gedacht, sein Benehmen ist mir oft befremdend erschienen. Er war außerordentlich freundlich gegen seine Tante und doch wußte ich, daß er sie nicht liebte. Auch Frau von Matten liebte ihn nicht.«
»Wußten Sie, daß er sein Vermögen vergeudet hatte?«
»Einzelne Aeußerungen der Frau von Matten deuteten darauf hin, ich hielt ihn für sehr reich und schenkte deshalb den Worten der alten Dame wenig Glauben.«
»Wie war Mahlo gegen Sie?«
»Er hat selten mit mir gesprochen, sein Benehmen war artig, aber kalt; er behandelte mich wie eine Dienerin seiner Tante.«
»Haben Sie ihn je beleidigt?«
»Nie, ich habe auch nie eine Veranlassung dazu gehabt.«
»Und doch hat er zuerst meinen Verdacht auf Sie gelenkt, allerdings sehr vorsichtig. Nun begreife ich, weshalb er so sehr auf Ihre Verurtheilung hindrängte, dann glaubte er sich gegen Verdacht gesichert. Ohne Mitleid hätte er Sie für sich büßen lassen, obschon er am Besten wußte, daß Sie unschuldig waren. Ich habe mir bisher auf meine Menschenkenntniß viel eingebildet, an diesem Manne ist sie gescheitert: ich hielt ihn für schwach und charakterlos – er hat das Gegentheil bewiesen.«
Thekla und Heinrich verließen das Haus, in welchem sie so manche verzweiflungsvolle Stunde durchlebt. Wie in eine fremde Welt trat Thekla, denn sie hatte kein Daheim, wohin sie sich wenden konnte.
»Du kommst mit mir!« rief Doris und führte ihren Liebling wie im Triumphzuge heim. In ihrer kleinen Wohnung war Alles für Theklas Empfang bereitet
»Sieh,« sprach sie, als sie in dem Zimmer angelangt waren, »ich habe mich wie ein Kind darauf gefreut, Dich wieder pflegen zu können, und ich lasse Dich nicht früher fort, als bis Deine Wangen wieder geröthet sind.«
Thekla strich langsam mit der Hand über die Stirn hin. Noch erschien ihr die Freiheit wie ein Traum und sie erzitterte bei dem Gedanken, daß sie wirklich nur ein Traum sein könne.
»Es wird lange währen, bis ich das Erlebte überwunden habe – vergessen werde ich es nie!« erwiderte sie.
»Du wirst es auch vergessen,« bemerkte Doris beruhigend, indem sie ihre Hand erfaßte und drückte. »Wie viel habe ich in meinem Leben bereits überwinden und vergessen müssen! Auch ich habe geglaubt, es sei unmöglich, und es ist doch möglich gewesen, die Zeit heilt unendlich viel!«
»Doris, Du ahnst nicht, wie unsagbar ich gelitten habe!« rief Thekla, indem sie sich schluchzend an die Brust ihrer alten Pflegerin warf. »Immer und immer allein mit meiner Angst, mit meinen Gedanken. Nicht für mich allein habe ich gebangt. Was war aus Fortmann geworden, was aus meinem Bruder, dessen schwachen Charakter ich kannte? Ich habe im Anfange so viel geweint, daß meine Thränen versiegt waren, um so zehrender nagte ein dumpfer Schmerz in mir. Ich würde es nicht ertragen haben, wenn man mir ein Instrument, um mir das Leben zu nehmen, gelassen hätte, denn der Tod erschien mir als die größte Wohlthat. Anfangs hegte ich noch Hoffnung und ich suchte mich an dem Bewußtsein meiner Unschuld emporzurichten, allein auch dies schwand zuletzt und ich hatte nichts – nichts mehr!«
»Hätten sie nur ein einziges Mal geduldet, daß ich zu Dir gekommen wäre, ich würde Dich beruhigt haben,« entgegnete Doris: »Ich bin mehr als einmal hier gewesen, habe sie gebeten und zu ihnen gefleht, es war vergebens. Kalt wurde ich zurückgewiesen, – ich glaube, ich war die einzige, welche fest, fest an Deine Unschuld glaubte.«
Doris erzählte nun, auf welche Weise Mahlo's Verbrechen entdeckt war.
»Anna verdankst Du Deine Befreiung,« fügte sie hinzu. »Ich zittre bei dem Gedanken, was aus Dir geworden wäre, wenn sie nicht gerettet wäre. Vielleicht wäre Mahlo's Schuld nie entdeckt!«
»Sei still – sei still!« rief Thekla. »Ich hätte die Haft nicht lange mehr ertragen – ich wäre gestorben.«
Doris rief Anna herbei, Thekla eilte ihr entgegen und erfaßte die Hand ihrer Retterin. Sie wollte sprechen, ihr danken, allein ihre Lippen vermochten kein Wort hervorzubringen. Die beiden Mädchen standen einander gegenüber und blickten sich in die Augen. Beide hatten viel erduldet, ihre bleichen Wangen verriethen es. Sie sahen sich zum ersten Male im Leben und waren doch einander schon so nahe getreten, derselbe Mann hatte sich an beiden versündigt.
Thekla blieb bei Doris und schon nach einigen Tagen war sie soweit wieder beruhigt, daß sie zu lächeln vermochte.
Heinrich genoß das Glück der Freiheit ungestört. Er freute sich, nun doch seine Stellung zu behalten.
Unsagbar hatte Elwire während der wenigen Tage gelitten. Sie hatte sich abgeschlossen von allen Menschen. Mußte nicht Jeder, der ihr begegnete, ihr zurufen: »Sieh, die Frau eines Mörders!« Mit Stolz hatte sie früher auf alle ärmeren Menschen herabgeblickt, jetzt erschien ihr der Aermste glücklicher als sie, denn auf seinem Namen haftete nicht eine solche Schmach. Sie dachte daran, die Stadt für immer zu verlassen, aber durfte sie von Arthur gehen, der noch immer nicht außer Gefahr war und ihrer Pflege bedurfte? An ihn klammerte sich jetzt ihr ganzes Herz. Seit mehreren Tagen, seitdem Mahlo sich erschossen, hatte sie ihn nicht gesehen, weil sie nicht den Muth besessen, über die Straße zu gehen. Endlich vermochte sie dem Sehnen nach ihm nicht länger zu widerstehen, Mahlo war beerdigt, ein Bekannter hatte die ganze Besorgung des Begräbnisses übernommen und in ihrer Wohnung war es still, ganz still geworden. Diese Stille hatte sich beruhigend auf ihr Gemüth gelegt.
Das Gesicht mit einem Schleier dicht verhüllt, um von Niemand erkannt zu werden, begab sie sich zu Arthur. Als sie in sein Zimmer trat, saß er aufrecht im Bette. Einen Augenblick lang blieb sie zögernd an der Thür stehen, dann flog sie ihm entgegen, breitete die Arme aus, umfing ihn und preßte seinen Kopf an ihre Brust. Sie war frei, hatte ein Recht, ihn zu umfassen, Niemand konnte jetzt mehr zwischen sie und den Mann treten, dem ihr Herz immer gehört hatte.
Sie hatte Niemand gehabt, dem sie sich hätte vertrauen können, jetzt brachen ihre Thränen gewaltsam hervor und sie weinte leidenschaftlich.
»Du bist hart geprüft, Elwire!« sprach Arthur. »Der Mann, dem Du Deine Hand geschenkt, hat Dir schlecht gelohnt.«
»Du weißt Alles?« unterbrach ihn Elwire.
»Alles. Du weißt, daß ich ihn nie geliebt habe, eine solche Schlechtigkeit hätte ich ihm dennoch nicht zugetraut.«
»Er ist von Sünde zu Sünde getrieben!« bemerkte Elwire. »Er selbst hat mir offen gestanden, daß er auch vor einem dritten Verbrechen nicht zurückschrecken werde, um das erste zu verbergen. Ich kannte ihn besser als Du, daß er kein Herz hatte, wußte ich längst. Ich besaß viel Macht über ihn, dennoch erfaßte mich oft in seiner Nähe ein heimliches Bangen.«
»Du kannst, nun er todt ist, ruhiger leben, Glück hast Du doch nie durch ihn genossen,« sprach Arthur. »Es ist, als ob er über Alle, mit denen er in Berührung gekommen, Unheil gebracht. Seine Hand ist es, die mich hier auf das Krankenlager fesselt. Heute habe ich aus Rußland Antwort erhalten.«
»Wie lautet dieselbe?« fragte Elwire hastig.
»Die Stelle, welche mir zugesichert war, wird ein Anderer erhalten, weil ich sie nicht zur rechten Zeit antreten kann. Ich hatte gehofft, man würde auf die Verhältnisse Rücklicht nehmen, diese Hoffnung ist vernichtet. Es ist nicht die erste in meinem Leben, welche gescheitert ist, dennoch werde ich, sobald ich genesen bin, nach Rußland gehen und mir eine andere Stellung zu erringen suchen.«
»Arthur, das ist, Dein Ernst?« rief Elwire.
»Gewiß. Deutschland ist meinem Glücke nicht günstig, vielleicht gedeiht dasselbe auf einem andern Boden besser. Du weißt, daß ich es nicht an Fleiß habe fehlen lassen, um mich emporzuringen, was hat es geholfen?«
»Arthur, Du mußt hier bleiben!« unterbrach ihn Elwire, »Wird es Dir so leicht, mich zu verlassen?«
»Elwire, muß ich Dir darauf antworten? Du weißt, daß Dir mein Herz gehört und immer gehören wird.«
»Dann bleibe hier!« rief Elwire. »Dem Manne, der zum Verbrecher geworden, bin ich keine Treue und kein Andenken schuldig; werde mein! Ich erbe Mahlos Vermögen, ich werde reich, vielleicht blüht uns beiden noch das Glück, auf welches wir bis jetzt vergebens gehofft haben.«
Sie hatte Trägers Hand erfaßt und blickte ihn bittend in die Augen, ihre Stimme klang weich.
Träger schwieg, das raschere Athmen seiner Brust verrieth, daß er mit sich kämpfte, der Entschluß schien ihm schwer zu werden.
»Du schweigst!« rief Elwire. »Du hast auf meine Bitte keine Antwort? Du hast mir soeben gesagt, daß Dein Herz mir immer gehören werde und dennoch zögerst Du mein zu werden?«
»Elwire, deute mein Schweigen nicht falsch,« fiel Arthur ein. »Du weißt, daß es der höchste Wunsch meines Lebens gewesen ist, Dich zu besitzen, freilich unter anderen Verhältnissen. Ich würde der glücklichste Mensch der Erde sein, wenn ich jetzt eine Stellung besäße und zu Dir sagen könnte, werde mein, wenn ich für Dich sorgen und Deine Wünsche erfüllen könnte – ich kann es nicht. Das Geschick hat es nicht gestattet, daß ich mich emporgerungen. Begreifst Du nicht den Stolz des Mannes, der sich dagegen sträubt, von dem Vermögen der Frau zu leben?«
»Arthur – Arthur, unterdrücke jeden Stolz!« rief Elwire. »Du siehst, wie schwer ich für meinen Stolz bestraft bin. Die bescheidenen Verhältnisse, welche Du mir bieten konntest, genügten mir nicht, ich wollte reich sein, wollte glänzen, ich habe es erreicht und wie viel Elend habe ich damit errungen.«
»Du begreifst die Liebe des Mannes nicht,« sprach Träger. »Sie will den geliebten Gegenstand nicht allein besitzen, ihr Glück beruht darin, dafür zu sorgen, sich sagen zu können, du hast ihr das Alles bereitet, deine Arbeit, deine Mühen sind für sie. Ich halte dies für das seligste Gefühl und diese Seligkeit soll ich nie kennen lernen. Und noch Eins, kann auf dem Reichthum, welcher der Deinige wird, Segen ruhen, da er durch ein Verbrechen erworben ist?«
»Halt ein!« unterbrach ihn Elwire. »Nicht ich habe ihn durch ein Verbrechen erworben, aber ich will ihn von mir werfen, ich will auf ihn verzichten, ganz arm will ich sein, die bescheidensten Verhältnisse sollen mir genügen, nur werde mein, mein!«
»Elwire, Du unterschätzest die Macht der Gewohnheit; es ist Dir nicht mehr möglich, in einfachen Verhältnissen zu leben, Du würdest Dich in ihnen nie glücklich fühlen und nimmermehr würde ich ein solches Opfer von Dir annehmen.«
»Arthur, Du weisest meine Hand zurück!« rief die junge Frau verzweiflungsvoll. »Ach! Du hast mich doch nie geliebt – es war Alles – Alles nur ein Traum!«
Sie preßte die Hand vor die Augen.
Einige Secunden lang ruhte Arthur's Blick auf ihr, sein Herz schlug schnell. »All Deine Bedenken sind Thorheit!« rief es ihm zu. »Erfasse das Glück, welches sich Dir bietet, erfasse es!«
Langsam zog er ihre Hand von den Augen.
»Ich will Dein sein!« sprach er.
Elwire umschlang ihn mit beiden Armen, ihre Brust dehnte sich, als ob sie zerspringen wollte, vergessen waren in diesem Augenblicke alle Leiden der Vergangenheit, zum ersten Male in ihrem Leben fühlte sie sich ganz glücklich.
»Mein, mein!« rief sie.
Die Aufregung hatte Träger mehr angegriffen, als seine Kräfte gestatteten, erschöpft sank er zurück, allein Elwirens Hand hielt er fest in der seinigen und glücklich ruhte sein Auge auf ihrem Gesichte.
Wieder waren einige Wochen verflossen. Arthur war bereits soweit genesen, daß er an Elwirens Seite kleine Spaziergänge unternehmen konnte. Das Glück hatte unendlich viel zu seiner Genesung und Kräftigung beigetragen.
»Sieh,« sprach er zu Elwire, »mein Leben gleicht einem Tage, dessen Morgen trübe und stürmisch ist. Finstere, graue Wolken hängen an ihn, die Sonne sucht vergebens hindurch zu dringen. Schon ist jede Hoffnung auf einen heiteren Tag geschwunden, da öffnen sich plötzlich die Wolken, der blaue Himmel schimmert durch, die Sonne strahlt und in kurzer Zeit sind alle Wolken verschwunden.«
Elwire lächelte selig. Ihr ganzes Wesen war ein anderes geworden, ihr Stolz war geschwunden. Ihre Züge welche früher einen hochmüthigen Ausdruck gehabt hatten, erschienen milder, weich. Sie hatte die Macht des Unglückes kennen gelernt und nahm jetzt das Glück, welches ihr zu Theil geworden, als ein gütiges Geschenk des Geschickes auf.
Thekla hatte schon wenige Tage nach ihrer Entlassung aus der Haft einen Brief von Fortmann erhalten, in welchem er seine glückliche Ankunft in Amerika meldete. Auch auf sie hatte diese Nachricht wunderbar gewirkt, das Erduldete schien ihr mit einem Male ferner zu treten, sie brauchte nicht mehr um den Geliebten zu bangen, die Hoffnung keimte wieder in ihr und schon fing sie an, die Zukunft in lieblichen Bildern an sich vorüberziehen zu lassen. Ihre Wangen hatten sich bereits schwach wieder geröthet.
Sie wohnte noch immer bei Doris, welche sie nicht von sich lassen wollte. Es gewährte der Alten das größte Vergnügen, ihren Liebling zu pflegen und zu sehen, wie derselbe sich mit jedem Tage mehr erholte. Mit Anna war Thekla innig befreundet geworden. Auf das einfache Mädchen hatte das Erlebte den tiefsten Eindruck gemacht. Eine stille Trauer lag auf ihr, die in Tiefsinn auszuarten drohte.
Mahlo war der erste Mann gewesen, den Anna geliebt hatte, und von ihm war sie verlassen und betrogen, er hatte sie sogar ermorden wollen! Sie hatte den Glauben an die Liebe und auch an die Menschen verloren. Elwire war zu ihr gekommen und hatte sowohl ihr wie Thekla ein reiches Geldgeschenk gemacht, sie war indeß kaum im Stande gewesen, sich darüber zu freuen. Was sollte sie mit dem Gelde? Noch vor wenigen Wochen würde sie sich reich bedünkt haben, jetzt ließ es sie kalt.
Thekla und Doris boten Alles auf, um sie zu beruhigen und zu zerstreuen. Sie nannte Mahlo's Namen nie, dennoch dachte sie unablässig an ihn, sobald sie allein war. Sie rief sich sein Bild, die Versicherungen seiner Liebe in das Gedächtniß zurück und fragte sich immer wieder, wie es möglich gewesen sei, daß er sie hatte ermorden wollen.
Thekla und Anna saßen in Doris Zimmer, die Alte erzählte ihnen aus ihrer Jugend: es waren fast die einzigen Lichtpunkte ihres Lebens und unauslöschlich hatten sich dieselben ihrer Erinnerung eingeprägt. Da erhielt Thekla einen Brief und auf den ersten Blick erkannte sie aus der Aufschrift den Absender.
»Von Fortmann!« rief sie erfreut.
Hastig erbrach sie ihn und ihre Hand zitterte vor freudiger Aufregung. Als sie ihn las, rötheten sich ihre Wangen und Thränen drängten sich in ihre Augen.
»Fortmann bittet mich, sofort zu ihm nach Amerika zu kommen,« sprach sie. »Das Glück ist ihm günstig gewesen, denn er hat bereits eine gute Stelle als Arzt gefunden, welche seine Zukunft sichert.«
Doris hatte sich oft mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß sie Thekla verlieren werde. Nun die Ausführung so unerwartet schnell an sie herantrat, erschrak sie dennoch.
»Du willst ihm folgen?« fragte sie.
»Natürlich!« gab Thekla zur Antwort. »Gehöre ich nicht ihm? Hat er nicht ein Recht, von mir es zu verlangen? Und ich würde ihm gerne folgen, wäre der Weg auch noch zehnmal so lang!«
Doris weinte.
»So leicht wird es Dir, mich zu verlassen?« sprach sie.
Thekla eilte zu ihr und schloß sie in die Arme.
»Nein, nein!« rief sie. »Ich will Dich ja nicht verlassen, Doris; Du begleitest mich, Du reisest mit mir, Du sollst immer bei mir bleiben. Ich habe Dir so viel zu verdanken, wie eine Mutter hast Du für mich gesorgt, nun will ich Dir Deine letzten Lebenstage erleichtern. Bei mir sollst Du wohnen, Du sollst Zeuge meines Glückes sein, ich will nun auch einmal für Dich sorgen!«
Einen Augenblick lang schien sich die Alte dem Gedanken, Thekla zu begleiten, hinzugeben. Zu glückliche Bilder hatten deren Worte in ihr hervorgerufen. Sie sollte Zeuge des Glückes ihres Lieblinges sein, sie sollte bei ihm wohnen? Stand sie hier nicht ganz allein und verlassen?
Dann schüttelte sie ablehnend mit dem Kopfe.
»Es geht nicht,« sprach sie.
»Weshalb nicht?« warf Thekla ein. »Was verlierst Du hier?«
»Nichts, nichts! gab Doris zur Antwort. »Und dennoch geht es nicht. Ich, ein altes welkes Gewächs, welches es nicht mehr verträgt, wenn es in fremden Boden verpflanzt wird. Ich würde bald völlig absterben und Dir zur Last werden!«
»Ich will Dich pflegen, wie Du mich so oft gepflegt hast!« tief Thekla. »Fortmann wird sich sehr freuen, wenn ich eine alte, treue Mutter aus der Heimath mit zu ihm bringe.«
Doris blieb bei ihrer Weigerung.
»Anna, würdest Du mich begleiten?« fragte Thekla die Freundin.
»Ja, ich gehe mit Dir,« gab Anna zur Antwort.
»Dies ist Dein Ernst?« rief Thekla freudig.
»Es ist mein Ernst.«
Beide Mädchen bestürmten nun die Alte mit Bitten, sie zu begleiten. Sie machten Doris das Herz nur noch schwerer, als es bereits war. Nur zu gern wäre sie mit ihrem Lieblinge gegangen, aber der Gedanke, ihm zur Last zu fallen, hielt sie zurück.
»Laßt – laßt!« sprach sie endlich. »Mein Entschluß, hier zu bleiben, steht fest. Wieviel Tage habe ich noch zu leben? Laßt sie mich hier in Ruhe hinbringen. Ich bin zu alt, um mich in ein neues Land und ein neues Leben einzufügen – hier bin ich geboren und hier will ich auch in die Erde gelegt werden.«
Dabei blieb sie trotz aller Bitten.
Die folgenden Tage verflossen rasch unter den Vorkehrungen zur Abreise. Thekla und Anna waren zu sehr damit beschäftigt, als daß sie hätten bemerken sollen wie Doris stiller und stiller wurde, so sehr sie sich auch zu beherrschen bemühte.
Der Tag der Abreise kam endlich. Doris wollte Thekla und Anna zum Bahnhofe geleiten, als sie indeß ihr Zimmer verließen, war die Kraft der Alten erschöpft, fast ohnmächtig brach sie zusammen und mußte zurückbleiben. Noch einmal schloß sie beide in die Arme, dann drängte sie sie von sich und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Es war ein schwerer Abschied, denn Doris wußte, daß sie die beiden Scheidenden nie wieder sah.
Nur Heinrich geleitete Thekla und Anna zum Bahnhofe.
»Heinrich, ich werde Dir bald schreiben,« sprach Thekla. »Und wenn sich dort eine gute Stellung für Dich findet, dann kommst Du nach.«
»Ich bleibe hier,« gab Heinrich zur Antwort. Er war ja vollständig zufrieden gestellt mit seiner Stellung, denn sie genügte seinen Wünschen und Bedürfnissen.
Thekla gab ihm noch ein reiches Geschenk für Doris.
»Gieb es ihr, wenn ich fort bin,« bat sie. »Wenn ich es ihr selbst gegeben, so würde sie es nicht angenommen haben. Und wenn sie zu krank wird oder in Noth geräth, – Heinrich, dann sorge für sie, verlaß sie nicht, Du weißt, wie viel sie für mich gethan hat!«
Heinrich versprach es.
Da trat der Criminal-Commissar Eichner an Thekla heran. Unwillkürlich erschrak sie.
»Fürchten Sie mich nicht,« sprach Eichner lächelnd. »Ich weiß, wohin Sie reisen und wollte Ihnen Adieu sagen.«
Er winkte Thekla etwas zur Seite.
»Sie zürnen mir vielleicht, weil Sie durch mich verhaftet wurden und so schlimme Tage erlebt haben,« fuhr er fort. »Ich bedaure, daß es geschehen ist, allein ich glaubte, nur meine Pflicht zu erfüllen. Es sprachen zu viele Beweise gegen Sie. Lange Zeit habe ich vergebens über die Verkettung von Zufälligkeiten, durch welche Sie als die Schuldige erschienen, nachgesonnen; Sie selbst verweigerten ja über Verschiedenes jede Auskunft. Jetzt ist mir Alles klar.«
Thekla erbleichte.
»Seien Sie ohne Sorge,« sprach Eichner. »Ich weiß, weshalb Sie die Werthpapiere umsetzen ließen, und wo Sie an jenem Abende waren. – Sie waren Fortmann zu seiner Flucht behülflich! Sie haben sich dadurch strafbar gemacht, allein ich denke, Sie haben hinlänglich dafür gebüßt durch Ihre Verhaftung. Nun reisen Sie glücklich!«
Er streckte Thekla die Hand entgegen.
»Hat mein Bruder nichts zu befürchten?« fragte sie.
»Nichts,« entgegnete Eichner. »Ich bin der Einzige, der darum weiß und ich werde schweigen. Sagen Sie ihm indeß nicht, daß ich davon Kenntniß habe, würde es bekannt, so wäre ich als Beamter verpflichtet, dem Staatsanwalt Anzeige zu machen. Nun leben Sie wohl, ich hoffe, daß Sie in Amerika bald Alles vergessen werden.«
Er drückte Thekla die Hand.
Der Zug fuhr vor. Thekla und Anna stiegen ein und wenige Stunden später schon fuhren sie dem fernen Westen entgegen.
* * *