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Der Schlossermeister Gerecke besaß das blühendste Geschäft in der kaum zwölftausend Einwohner zählenden, aber äußerst lebhaften Provinzialstadt. Er beschäftigte sechs Gesellen und einige Lehrburschen und konnte sich rühmen, daß die besten Arbeiten, welche in der ganzen Stadt gefertigt wurden, aus seiner Werkstatt hervorgingen. Man hielt ihn nicht ohne Grund für einen wohlhabenden Mann, und in der That hatte er seit einigen Jahren einen festen Grund zu seinem schnell heranwachsenden Wohlstande gelegt.
Erst seit einigen Jahren hatte sein Geschäft nämlich diese Ausdehnung genommen, während er bis dahin mit einem, höchstens mit zwei Gesellen nicht mehr erworben hatte, als zu einem ganz behaglichen Leben ausreichte. Da waren ihm mit einemmale Aufträge über Aufträge geworden und schnell hatte er seine Arbeitskräfte vermehren müssen. Man fand dies in der Stadt ganz nach Verdienst, weil Gerecke's Arbeiten die schönsten und dauerhaftesten waren und man bedauerte nur, daß man ihn früher nicht recht gewürdigt habe. Ließ er sich mit der Zeit seine Arbeiten auch besser bezahlen, so fand man das nur in der Ordnung: gute Arbeit – gutes Geld.
Meister Gerecke war ein echter Bürger nach dem alten Zuschnitte. Er war stolz auf sein blühendes Geschäft, von unerschütterlichem Eigensinn, wo es galt, seinen Willen durchzusetzen, von derber Grobheit, wenn es ihm passend erschien und in seinem Hause ein unumschränkter Herrscher, der sich Respect zu verschaffen wußte.
Je mehr sein Geschäft sich hob, um so mehr stieg auch sein Ansehen in der Stadt. Er wurde in den Rath der Stadt gewählt, und da er all' seine Mitbürger, welche mit ihm in demselben saßen, durch seine imposante Gestalt und laute Stimme überragte, bildete er sich nur zu bald ein, daß er auch der klügste von ihnen sei, und daß seine Meinung wie seine Stimme das meiste Gewicht habe.
Sagten ihm Andere Lobendes über die Ausdehnung seines Geschäftes und seine treffliche Arbeit, so nahm er das mit einer Miene an, als ob ihm dies Lob als ein sich von selbst verstehendes Recht gebühre, und wußte jedesmal hervorzuheben, daß er mit nichts als seinen beiden Händen angefangen habe und Alles sich selbst verdanke. – »Können meine Hände nicht mehr mit zugreifen« – pflegte er zu sagen – »und meine Augen nicht mehr über die Arbeit wachen, so ist mein Geschäft dahin, dann fehlt die Seele desselben.«
Im Stillen theilte er diese Ansicht indeß nicht ganz, eine so hohe Meinung er auch von sich selbst und seinen Vorzügen hatte. Es war ihm nicht entgangen, daß sein Geschäft sich fast seit dem Tage gehoben hatte, an welchem ein Gesell, der auch jetzt noch bei ihm war, in seine Arbeit getreten war. Derselbe war ein eigenthümlich stiller, fast verschlossener Mensch, aber er besaß eine Geschicklichkeit, einen Ueberblick in der Arbeit, um die sein Meister ihn nur zu oft beneidet hatte und die ihm Niemand nach seinem unscheinbar bleichen Aussehen zutraute.
Fast alle feinen, kunstvollen Arbeiten, welche aus Gereckes Werkstätte hervorgingen und seinen Ruf hervorgerufen hatten, waren von Georg Schröder's – so hieß dieser Gesell – Händen angefertigt oder nach seinen Entwürfen und Angaben gearbeitet. Er selbst schien feine Vorzüge kaum zu kennen, dafür verstand es Meister Gerecke aber um so besser, ihn für sich zu benutzen. Lief der Auftrag zu irgend einer schwierigen Arbeit ein, so lockte er gesprächsweise Georg's Ansicht und Entwurf darüber heraus, hatte alles Mögliche dagegen einzuwenden, stellte sie indeß nachher immer als seine eigene dar und gab Georg den Auftrag, die Arbeit nach diesen Entwürfen zu fertigen. Dieser ließ sich dies ruhig gefallen, arbeitete den ganzen Tag still für sich und schien ganz gleichgiltig dagegen, daß sein Meister alles Lob, welches ihm gebührte, ruhig für sich hinnahm. Er verdiente das Doppelte wie jeder andere Gesell, ja er nützte dem Meister Gerecke mehr als vier gewöhnliche Arbeiter, dennoch gab ihm dieser nicht mehr Lohn als jedem anderen seiner Gesellen, um ihm nicht selbst die Meinung beizubringen, daß er mehr sei und mehr sein könne. Gerade in seinem ruhigen, harmlosen Sinne sah er die Bürgschaft, daß er ihn noch jahrelang in seiner Werkstätte werde erhalten und durch ihn gewinnen können. Ohne diesen Gesellen konnte er sein Geschäft nicht in der bisherigen Weise fortführen, und in unheimliches, unruhiges Gefühl erfaßte ihn jedesmal, wenn er daran dachte, daß Georg ihn verlassen oder wohl gar Meister werden und sich in der Stadt niederlassen könne. Doch hieran schien jener nicht zu denken und das beruhigte ihn wieder.
Es war am Sonntag Mittag. Meister Gerecke saß mit seiner Familie, das heißt mit seiner Frau und einzigen Tochter, mit seinen sechs Gesellen und einigen Lehrjungen am Mittagstische. Es war eine ziemlich lange Tafel, an welcher der Meister präsidirte und er that dies in der Regel mit einer außerordentlichen Würde und einem gemessenen Ernste. Selten kam ein Gespräch bei Tische in Gang, schweigend wurde gegessen und damit Punktum!
Auffallender Weise war der Meister an diesem Tage sehr gesprächig und heiter. Er war in bester Laune, was nicht sehr häufig vorkam, und machte selbst mit den Gesellen einige Scherze. Der Grund zu dieser heiteren Stimmung war der am Morgen dieses Tages erhaltene Auftrag zu einer sehr umfangreichen Arbeit, die ihm viel Gewinn und noch mehr Ruhm verhieß. War die Arbeit auch schwierig und erforderte sie eine außergewöhnliche Geschicklichkeit, so hatte er sie doch ohne Bedenken übernommen – Georg konnte und mußte sie ihm herstellen. Dieser hatte von dem Auftrage noch keine Ahnung und war wie gewöhnlich still bei Tisch.
Das Essen war vorüber, die Tafel wurde abgeräumt, die Gesellen und Lehrjungen, selbst die Meisterin und deren Tochter verließen das Zimmer, um den gestrengen Hausherrn nicht zu stören, der täglich gleich nach der Mahlzeit einen kurzen Mittagsschlaf zu halten pflegte und Sonntags diesem Genuße mit größter Ruhe und Bequemlichkeit sich hingab – nur Georg war in dem Zimmer zurückgeblieben und blickte schweigend durch das Fenster auf die Straße.
Mit Verwunderung bemerkte der Meister dies Zurückbleiben und richtete fragend seinen Blick auf ihn. War das nicht eine Verwegenheit, ihn in seinem Mittagsschlafe zu stören, was selbst seine Frau nicht wagen durfte. Sein leicht erregbares Blut wurde schon unruhig und nicht länger im Stande, seinen Unwillen zurück zu halten, fragte er kurz: »Nun was gibt's? Was suchst Du noch hier im Zimmer?«
Georg wandte sich zu ihm und eine leichte Röthe bedeckte sein blasses, keineswegs unschönes Gesicht, das durch ein Paar große dunkle Augen einen einnehmenden Ausdruck erhielt.
»Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen, Meister« – erwiderte er mit ruhiger Stimme, aber doch innerlich aufgeregt.
»Hat es nicht Zeit bis nachher« – entgegnete Gerecke unfreundlich, denn diese Rücksichtslosigkeit seines Gesellen schien ihm ein offenbarer Mangel an Respekt zu sein.
»Nein« – gab Georg ruhig zur Antwort.
»So sprich!«
Einen Augenblick schwieg Georg noch, um sich zu sammeln, bis eine unruhige Bewegung des Meisters ihn zum Sprechen mahnte.
»Ich wollte bei Ihnen um die Hand Ihrer Tochter anhalten« – sprach er halb stotternd, verlegen – »Seit Jahren habe ich bei Ihnen gearbeitet und ich denke nicht, daß Sie einen Grund gehabt haben, mit mir unzufrieden zu sein.«
Dies hatte Gerecke nicht erwartet, denn verwundert blickte er den Sprecher an, richtete sich auf dem Kanapee, auf dem er zum Schlafen schon halb ausgestreckt lag, in die Höhe und wiederholte: »Meine Tochter? Marie?«
»Ja!« – erwiderte Georg, der immer mehr Ruhe gewann. – »Sie hat mich lieb, ich weiß es!«
»Du hast mit dem Mädchen schon gesprochen? Ohne mein Wissen« – rief der Meister. – »Glaubst Du, ich werde mein einziges Kind einem Gesellen zum Weibe geben?«
»Als Gesell verlange ich sie nicht« – antwortete Georg. – »Heute Morgen habe ich mich bei dem Altmeister der Innung zum Meisterstück gemeldet und werde morgen bei dem Rathe um das Bürgerrecht und das Gewerberecht hier in der Stadt nachsuchen.«
Diese Worte trafen Gerecke wie ein Schlag. Was er längst im Geheimen befürchtet, sollte eintreffen. Seinen besten und unentbehrlichen Gesellen sollte er verlieren, ihn als Meister neben sich anerkennen und erleben, daß er seine beste Kundschaft nach sich zog, seinen Wohlstand und Ruf untergrub. All' diese Gedanken stürmten mit einem Male wirr auf ihn ein und raubten ihm die Fassung.
»Noch bist Du nicht Meister und noch steht es dahin, ob Du es je wirst« – rief er aufgeregt.
Georg lächelte ruhig. – »Es kommt freilich Alles auf mein Meisterstück an, ich hoffe indeß alle Meister der Stadt und auch Sie dadurch zufrieden zu stellen. Sie wissen ja, daß ich die schwierigsten Arbeiten in Ihrer Werkstatt gefertigt habe und nach meiner Angabe sind fast alle Arbeiten ausgeführt. Ich habe mich nie damit gebrüstet, aber ich darf deshalb doch hoffen, daß mir auch das Meisterstück nicht zu schwer werden wird.«
Aufgeregt sprang Gerecke empor. – »Ha! Weht der Wind aus dem Loche!« – rief er und um seine Lippen zuckte ein bitterer Spott. – »Sag lieber, daß Du in meiner Werkstatt den Meister gespielt hast und daß ich mir bei Dir guten Rath geholt habe, das klingt noch besser. Mich wundert nur, daß Du nicht gar glaubst, ich habe von Dir erst gelernt, wie man den Hammer angreifen muß, nämlich am Stiel und nicht am Kopfe.«
Georg begriff nicht, weshalb sein Meister so aufgebracht war, denn ihn zu erzürnen hatte am wenigsten in seiner Absicht gelegen. Er suchte ihn deshalb zu beruhigen.
»Schweig!« – herrschte ihn Gerecke an. – »Du sollst nicht glauben, daß Du mir unentbehrlich bist. Such Dir von morgenfrüh an bei einem anderen Meister Arbeit, oder thu was Du willst, mir soll's gleichgiltig sein. Was indeß mein Mädchen betrifft, so will ich nicht, daß Du irgend etwas mit ihr zu schaffen hast, denn die Deine wird es nimmermehr, und ob Du hier Bürger und Meister wirst, wird sich finden – auch ich habe ein Wort dabei zu reden!«
Georg war erschrocken. Nimmermehr hatte er vermuthet, daß sein Meister so weit gehen werde, da er ihm in nichts zu nahe getreten war. Nie hatte er Streit mit ihm gehabt und jetzt sollte er sich auf diese Weise von ihm trennen!
»Meister« – sprach er und seine Stimme klang nicht ohne Bewegung – »soll dies mein Lohn sein für den Fleiß und die Treue, womit ich seit Jahren für Sie gearbeitet habe?«
»Lohn?« – wiederholte Gerecke. – »Hast Du einen Tag umsonst für mich gearbeitet? Glaubst Du zu wenig erhalten zu haben, gut, so will ich auch jetzt einige Thaler nicht ansehen. Mir soll Niemand nachsagen, daß ich ihm nicht gegeben habe, was er verdient hat!«
Georg blickte ihn starr an und schien seinen eigenen Ohren nicht zu trauen. Noch Niemand hatte sein Ehrgefühl auf diese Weise verletzt. Mit verachtendem Blicke wandte er sich ab und wollte schweigend das Zimmer verlassen, noch einmal wandte er sich indeß in der Thür zurück. – »Meister« – sprach er – »wenn einer von uns beiden diese Stunde einst bereuen wird, so werden Sie es thun …«
»Ja ich werde bereuen, daß ich Dich nicht zur Thür hinausgeworfen habe« – unterbrach ihn Gerecke, seiner Sinne kaum noch mächtig. »Ich werde es indeß noch thun, wenn Du mein Haus nicht sofort verläßt!«
Georg entfernte sich so rasch als möglich, um jeden ernstlichen Auftritt zu vermeiden, da er den heftigen und zum Jähzorn geneigten Sinn des Meisters kannte.
Gerecke schritt in größter Aufregung im Zimmer auf und ab. Er war erbittert auf den Gesellen, der es wagen wollte, ihn zu verlassen und Meister zu werden wie er selbst, um durch seine geschickte Hand sein Brot an sich zu ziehen, er war erbittert auf sich selbst, weil er ihn durch seine Heftigkeit sofort von sich gestoßen. Es wäre vielleicht noch ein Ausweg möglich gewesen, nun hatte er selbst Alles verdorben. Den Auftrag, der ihn noch vor einer Stunde in eine so heitere, zufriedene Stimmung versetzt hatte, konnte er jetzt nicht ausführen, denn auf Georgs Unterstützung hatte er vorzugsweise gerechnet, er sah sich im Geiste schon blamirt und ruinirt! Oder sollte er vielleicht dem Burschen nachlaufen und ihn bitten, bei ihm zu bleiben? Nimmermehr! Lieber wollte er zu Grunde gehen!
An den Mittagsschlaf dachte er nicht mehr. Seine Aufregung schwand nicht, weil er sich selbst, nur um den eigenen Vorwürfen auszuweichen, immer tiefer in die Erbitterung gegen Georg und selbst gegen seine Tochter hineinredete, nur weil sie ohne sein Wissen und seine Einwilligung ein Verhältniß mit jenem angeknüpft hatte. Sie trug nach seiner Ansicht einen Theil der Schuld, denn ohne sie würde es dem Gesellen nicht in den Sinn gekommen sein, sich von ihm zu trennen.
Als seine Frau endlich ins Zimmer trat, war sie nicht wenig erstaunt, ihren Gatten, den sie in heiterster Stimmung verlassen hatte, in solcher Aufregung zu finden. Sie forschte nach der Ursache derselben, wurde indeß mit den barschen Worten zurückgewiesen, daß sie das nicht kümmere. Meister Gerecke pflegte in solchen übelgelaunten Augenblicken weder auf seine Frau noch auf seine Tochter die geringste Rücksicht zu nehmen. Den Grund seines Zornes verrieth er indeß zum Theil durch die Vorwürfe, mit denen er seine Frau überhäufte, daß sie das Verhältniß seiner Tochter mit Georg ruhig geduldet und ihm verschwiegen habe. Alle Versicherungen der erstaunten Frau, daß sie nicht das Geringste davon gewußt, vermochten ihn nicht zu überzeugen, und je mehr sie ihn durch die Erwähnung, daß Georg ein tüchtiger, fleißiger Arbeiter sei und wohl selbst bald Meister werden und sich seinen eigenen Herd gründen könne, zu beruhigen suchte, um so mehr stieg sein Unwille.
»Schweig!« – rief er endlich. – »Kein Wort mehr von dem Menschen! Wo ist Marie? Sie soll zu mir kommen!«
Seine Frau theilte ihm mit, daß sie soeben mit einigen Freundinnen fortgegangen sei nach einem Vergnügungsorte vor dem Thore der Stadt.
»Will sie vielleicht dort mit dem Burschen zusammenkommen« – rief Gerecke, dem in solchen Augenblicken der geringste Umstand Verdacht zu erregen vermochte. »Ich will sehen, ob das Mädchen es wagt, und thut sie es, so will ich ihr und dem frechen Burschen eine Lehre geben, daß sie es nicht zum zweiten Male versuchen sollen!«
Für jeden beruhigenden Zuspruch seiner Frau unzugänglich, kleidete er sich an und verließ das Haus. Sein Verdacht, der ihn so oft getäuscht, hatte ihn diesmal nicht betrogen.
Marie war die einzige gewesen, die um Georgs Absicht, bei ihrem Vater um ihre Hand anzuhalten, gewußt hatte. Mit bangem, ahnungsvollen Herzen hatte sie diesem Augenblicke entgegen gesehen, da sie wußte, wie ungern ihr Vater diesen tüchtigen Arbeiter verlieren würde und seinen leicht aufbrausenden Sinn kannte. Da sie den Geliebten im Hause nicht ungestört sprechen konnte, hatte sie schon am Morgen eine Zusammenkunft für den Nachmittag an jenem Vergnügungsorte verabredet.
Sie hatte Georg nach der Unterredung mit ihrem Vater aus dem Zimmer treten sehen und sein trüber Blick, seine bleichen Wangen hatten ihr Alles verrathen. Sie konnte ihn jetzt nicht sprechen, um so schneller eilte sie dem verabredeten Orte zu, denn auf ihrem Herzen lag es so schwer, daß es ihr fast die Brust zu erdrücken drohte.
Früher als Georg traf sie ein, trennte sich von ihren Freundinnen und betrat einen schmalen, seitwärts führenden Waldpfad. Bald darauf kam ihr Geliebter; sie eilte ihm entgegen und warf sich laut weinend an seine Brust, denn jetzt vermochte sie nicht mehr zurück zu halten, was sie beängstigte. Auch Georg war noch aufgeregt. Fest drückte er das Mädchen an sich, als ob er sie nimmer wieder von sich lassen wollte.
»Der Vater hat seine Einwilligung nicht gegeben?« – fragte Marie endlich, wagte indeß nicht zu Georg aufzublicken, weil sie die Antwort im Voraus von seinen Lippen zu lesen fürchtete.
»Nein. – Er hat mich aus seinem Hause gewiesen.«
»Aus dem Hause gewiesen!« – wiederholte Marie erschreckt, denn aus diesen wenigen Worten begriff sie, welche gewaltige Schranke nun zwischen ihrer Liebe stand.
– »Du hast Dich mit ihm überworfen, Georg? Auch Du bist heftig geworden?«
»Nein« – erwiderte Georg ruhiger – »ich habe ihm keine Veranlassung dazu gegeben. Er war aufgebracht, weil ich mich selbständig machen, weil ich Meister werden und mich in dieser Stadt niederlassen will.«
»Du weißt, wie leicht er erregt wird, Du hättest bedenken sollen, daß unser beider Glück von ihm abhängt« – rief das Mädchen und schluchzte heftiger.
»Nur weil ich daran dachte, habe ich in Ruhe ertragen, daß Dein Vater mich gekränkt hat.« – entgegnete Georg. – »Sieh, Marie, Deinetwegen habe ich seit Jahren. Alles von Deinem Vater ertragen. Seit dem ersten Tage, an dem ich in sein Haus kam, habe ich Dich geliebt. Du warst fast noch ein Kind, zu jung für meine Wünsche, aber ich habe Alles, was in meinen Kräften stand aufgeboten, Dich mir zu erringen und mir das Wohlwollen Deines Vaters zu erwerben. Ich habe mich für ihn gemüht, habe für ihn gearbeitet, wie nie ein Gesell wieder für ihn thun wird. Ich weiß, daß er durch meine Arbeit wohlhabend geworden ist, ich weiß, daß er meine Arbeiten als die seinigen ausgegeben und sich dadurch einen guten Ruf in der Stadt erworben hat, stillschweigend habe ich es ertragen, ich bin stets mit dem Lohne eines gewöhnlichen Gesellen zufrieden gewesen, weil ich einen anderen Lohn als Geld von Deinem Vater erwartete. Dich wollte ich mir verdienen, sieh und jetzt hat er mich aus dem Hause gewiesen! Als ich ihn fragte, ob das der Lohn für meinen Eifer und meine Treue sein sollte, hat er mir erwidert, es solle ihm auf einige Thaler nicht ankommen – das hat mich zu tief gekränkt!«
»Du mußt Dich wieder mit ihm versöhnen, Du mußt es meinetwegen thun, oder Du hast mich nicht lieb!« rief Marie. – »Auch ich will ihn bitten, er hat Dich stets so gern gehabt – Ihr müßt Euch wieder versöhnen!«
»Versöhnen?« – wiederholte Georg. – »Glaubst Du, daß Dein Vater mir zuerst die Hand wieder reichen, daß er den ersten Schritt thun wird? Auch ich kenne ihn, Marie, er thut es nimmer mehr! Soll ich es thun, den er so bitter gekränkt hat? Sollte ich mich vielleicht mit Spott zurückweisen lassen? Ich kann es nicht, Marie! Aber Dich gebe ich nimmer auf. Ich weiß, daß wir vielleicht viel Unangenehmes zu ertragen haben werden, bleibe Du mir nur treu, ich will Dich erringen! Wenn ich Meister bin und mir ein blühendes Geschäft erworben habe, dann will ich wieder vor Deinen Vater hintreten und zum zweiten Male um Deine Hand anhalten, und dann hoffe ich nicht, daß er mich zurückweisen wird. Stehe ich aber erst auf eigenen Füßen, so will ich mir Tag und Nacht keine Ruhe gönnen, bis ich es dahin gebracht habe!«
»Darüber können Jahre hingehen« – schluchzte das Mädchen, das aus dieser fernliegenden Hoffnung keine Beruhigung zu schöpfen vermochte. – »Versöhne Dich früher mit meinem Vater, es wird ihn bald gereuen, daß er Dich von sich gestoßen hat. Thue es meinetwegen, Georg, ich ertrage eine solche jahrelange Ungewißheit nicht!«
Georg schwankte, die Liebe zu dem Mädchen schien zu siegen, er bemühte sich, seinen noch frischen Unwillen gegen ihren Vater zurückzudrängen. Da trat dieser plötzlich, hastig aus dem Holze hervor. Seine Wangen waren geröthet, seine Augen glühten. Erschrocken, mit einem halb unterdrückten Angstschrei fuhr Marie zurück und selbst Georg verlor die augenblickliche Fassung.
»Ha! treff ich Euch wirklich hier!« – rief Gerecke und seine Stimme erzitterte vor Aufregung. – »Hab' ich Dir, Bube, nicht gesagt, daß Du mit dem Mädchen nichts zu schaffen haben sollst! Wart! Ich werde Dir die Lust dazu vertreiben!«
Rasch trat er auf Georg zu und ehe dieser ihm ausweichen konnte, schlug er ihn mit schwerer Faust in's Gesicht. Georg taumelte einen Schritt zurück. Schnell faßte er sich wieder, das Blut schoß gewaltsam über diese Schmach in sein Gesicht und er war entschlossen, diese Gewaltthat nicht unerwidert zu lassen. Da warf sich Marie zwischen ihn und ihren Vater, flehend ihre Arme zu diesem ausgestreckt. Roh, sich in seiner Aufregung selbst nicht mehr kennend, stieß der Vater sie zurück. Diese Behandlung des geliebten Mädchens erbitterte Georg noch mehr als die ihm widerfahrene Schmach, er wollte sich auf die große Gestalt des Schlossermeisters stürzen, einige zufällig hinzu kommende Bürger hielten ihn indeß gewaltsam zurück.
»Laßt ihn!« – rief Gerecke – »Laßt ihn! Ich will dem Buben zeigen und geben, was er verdient! Er soll meinen Arm kennen lernen, daß ihn nicht zum zweiten Male darnach gelüstet!«
Die Bürger folgten seinen Worten indeß nicht, sondern suchten Georg, den sie bisher stets als einen stillen ruhigen Menschen kennen gelernt hatten, und der, wie sie zufällig gesehen, von Gerecke zuerst beleidigt war, möglichst zu beruhigen. Und es gelang ihnen. Nicht Furcht vor der überlegenen Körperkraft seines Meisters hielt ihn zurück – er kannte keine Furcht. Er dachte an Marie. Konnte sie ihn noch lieben, wenn er vor ihren Augen sich an ihrem Vater vergriff! Er besaß Selbstbeherrschung genug, diesem Gedanken nachzugeben,.
»Ihr werdet es bereuen!« – sprach er und ließ sich fast willenlos von den Bürgern fortziehen.
In aufgeregtester Stimmung kam Maria mit ihrem Vater heim. Sie wagte kaum die Augen aufzuschlagen, als sie an seiner Seite durch die Stadt hinschritt. Sie hatte sich nichts vergeben, aber er hatte sich öffentlich an ihr und ihrem Geliebten vergriffen, als ob sie ein Unrecht begangen hätten. Mußte die ganze Stadt dies nicht glauben, denn wer kante den wahren Grund, der ihren Vater so sehr erzürnt hatte! Er selbst würde ihn am wenigsten eingestehen.
Gerecke sprach kein Wort auf dem Heimwege. Nur dann und wann warf er einen erbitterten Seitenblick auf seine Tochter und murmelte einige unverständliche Worte. Noch war er nicht im Stande, wieder ruhig zu überlegen, so viel begriff er indeß, daß er etwas gethan, was seinem Ansehen und seiner Achtung einen gewaltigen Stoß versetzen mußte. Das konnte sein Stolz nicht ertragen. Zu Hause angekommen, warf er sich erschöpft, halb ohnmächtig auf einen Stuhl und wies allen Beistand seiner Tochter und seiner erschreckten Frau barsch zurück.
»Geh' mir aus den Augen, Du bist an Allem Schuld!« – rief er Marien zu, und das arme Mädchen, das sich keiner Schuld bewußt war, ging weinend fort.
»Was hast Du nur begonnen, Gerecke? Was fehlt Dir?« – forschte die Frau besorgt. Er war nicht gesonnen, ihr Aufklärung zu geben. – »Laß mich in Ruhe! Ich will allein sein!« – rief er heftig. – »Ihr bringt mich noch unter die Erde! Euch verdanke ich allen Aerger!«
Die Frau verließ eingeschüchtert das Zimmer. Gerecke war allein. Sein mächtiger Körper konnte manchen Stoß vertragen, solche Gemüthsaufregungen pflegten ihn indeß sofort umzuwerfen. Jetzt suchte er sich gewaltsam aufrecht zu erhalten, aber den verschiedenartigsten Befürchtungen, welche auf ihn eindrangen, vermochte er nicht zu wehren.
»Jetzt sprechen sie in der ganzen Stadt von dir« – bildete er sich ein. – »Jetzt heißt es überall, der Schlossermeister Gerecke hat sich mit seinem Gesellen geschlagen, er, der in dem Rathe der Stadt sitzt, der einer der angesehensten Bürger ist.« Und dann quälte ihn wieder der Gedanke, daß Georg sich an ihm rächen und erzählen werde, daß er diese und jene Arbeiten, die seinen Rus als geschickten Meister begründet hatten, angefertigt habe. Er konnte dies zwar als eine Unwahrheit erklären und er wollte es, aber mit der Zeit mußte es sich doch als wahr herausstellen. Und wenn es Georg nun wirklich gelang, Meister zu werden und sich in dieser Stadt niederzulassen, wenn er seine Kundschaft an sich riß – er war verloren, sein Ansehen erschüttert, sein Wohlstand vernichtet! Hätte er doch eingewilligt und ihm seine Tochter gegeben, es wäre vielleicht Alles anders gekommen!
Seine Kraft war dahin. Vergebens bemühte er sich, sie zusammenzuraffen, um stark und ruhig zu erscheinen. Er legte sich zu Bette, ohne daß er in ihm Ruhe fand.
In einigen Punkten hatte Meister Gerecke nicht zu viel befürchtet. In einer Stadt, die zwölftausend Einwohner zählt, gehört nicht viel dazu, daß ein Vorfall in wenigen Stunden in allen Häusern bekannt ist, zumal an einem Sonntage, wo die Leute nichts weiter zu thun haben, als zu schwatzen. Am Abend dieses Tages war es in der ganzen Stadt verbreitet, daß der Schlossermeister Gerecke sich im Holze an seiner Tochter und seinem Gesellen vergriffen hatte. Die verschiedenartigsten Vermuthungen knüpften sich daran. Daß zwischen den beiden jungen Leuten ein Liebesverhältniß stattgefunden, unterlag keinem Zweifel mehr, dies allein konnte indeß nicht der Grund sein, weshalb sich ein so angesehener Bürger so weit vergessen hatte. – Georg war allgemein als ein ordentlicher Mensch bekannt.
Georg selbst, der durch die Rohheit seines Meisters auf das Bitterste gekränkt war, gab die Aufklärung, indem er Alles offen erzählte, wie es gekommen war und nicht verschwieg, wie viel ihm Gerecke seit Jahren zu verdanken hatte.
Nun ging den Leuten mit einem Male ein Licht auf. Also daher die guten Arbeiten, die große Kundschaft und der Wohlstand Gerecke's, der es vorher in langen Jahren nicht weiter zu bringen vermocht hatte, als jeder andere Schlosser in der Stadt! Mit fremden Federn hatte er sich geschmückt und fürchtete nun seinen wohlfeilen Ruf einzubüßen!
Was Georg in der ersten Aufregung und zu seiner eigenen Rechtfertigung erzählt hatte, wurde von den zahlreichen Feinden Meister Gerecke's rasch weiter verbreitet und fand überall den bereitwilligsten Glauben. Der Gesell konnte es ja nicht erzählen, wenn es nicht wahr war. Er hatte ja vor, Meister zu werden, da mußte es sich zeigen, ob er wirklich ein so geschickter Arbeiter war. Er erregte die größte Theilnahme in der ganzen Stadt und schon jetzt nahmen sich Viele vor, ihm künftighin ihre Aufträge zukommen zu lassen, um zu prüfen, ob er die Wahrheit gesprochen habe.
Es lag bei Vielen dieser Theilnahme an Georg eine gewisse Schadenfreude gegen Gerecke, dessen rasch aufblühenden Wohlstand sie mit Neid betrachtet hatten, zu Grunde, und von verschiedenen Seiten wurde in ihn gedrungen, die Beleidigung seines Meisters nicht ungestraft zu lassen, sondern ihn deshalb zu verklagen. Georg war hierzu entschlossen. Die Hoffnung auf Mariens Besitz war jetzt so fern gerückt, daß er kaum noch daran zu glauben wagte.
Er kehrte nicht in Gerecke's Haus zurück, sondern ließ seine Sachen am folgenden Morgen von dort abholen. Auf der Herberge fand er ein Unterkommen, da er, um sein Meisterstück möglichst bald vollenden zu können, nicht Lust hatte, bei einem anderen Meister in Arbeit zu treten, obschon ihm mehre derselben solche angetragen hatten.
Es war am Abend des folgenden Tages, als ihm einer von Gerecke's Burschen einen Brief überbrachte. Ueberrascht erbrach er ihn, weil er im ersten Augenblicke dachte, er sei von dem Meister selbst und solle eine Versöhnung bewirken. Es waren einige flüchtig geschriebene Zeilen von Mariens Hand, in denen sie ihn bat, ihren Vater, der gebeugt und sehr angegriffen zu Bett liege, wegen der von ihm zugefügten Beleidigung nicht zu verklagen. Das Gerede der Leute über seine That sei Strafe genug für ihn, weil es seinen Stolz breche; müßte er deshalb vor Gericht erscheinen, so würde er diese Demüthigung nicht ertragen. Sie hoffe noch immer auf eine Versöhnung zwischen beiden, wenn sie auch einsehe, daß nach diesen Vorfällen ihr Vater zuerst die Hand dazu bieten müsse. Die Zeilen schlossen mit einer wiederholten Versicherung von Mariens Liebe und ihrer Treue.
Hatte Georg Anfangs über sein Vorhaben geschwankt, so gab er es jetzt gänzlich auf. Die Theilnahme, welche er von allen Seiten erhalten hatte, war Genugthuung genug für ihn. Eine eigenthümliche Veränderung war indeß durch diesen Vorfall in seinem ganzen Wesen hervorgerufen. Früher still, ruhig, fast verschlossen und gleichgiltig gegen seine eigenen Interessen, strebte er jetzt mit unruhiger Aufregung sein Ziel sobald als möglich zu erreichen. Er konnte erwarten, daß Gerecke ihm in der Erreichung seiner Wünsche nach Kräften entgegen sein werde, dennoch konnte er sie nicht verhindern trotz der Stellung, die er in der Stadt und im Rathe einnahm.
Sein erstes Streben war sein Meisterstück zu vollenden, weil er sich durch dasselbe am Besten vor der ganzen Stadt rechtfertigen konnte. Die Innung hatte ihm die Anfertigung eines künstlichen, geheim zu öffnenden Schlosses aufgegeben und er war aufs Höchste erfreut darüber, weil diese Aufgabe ganz seinen Wünschen entsprach.
Seit Jahren hatte er sich in seinen Mußestunden mit den Ideen, Entwürfen und Zeichnungen zu solchen Schlössern beschäftigt. Er hatte eine ganz neue Konstruktion derselben erfunden, die er nun zum ersten Male anwenden wollte, und so sicher war er seines Erfolges, daß er öffentlich erklärte, das Schloß solle als Meisterstück verworfen werden, wenn einer der Schlossermeister der Stadt dasselbe zu öffnen vermöge, ohne es zu verletzen.
Diese verwegene Sicherheit des Gesellen rief in der Stadt kein geringes Aufsehen hervor. So kühn hatte noch Niemand seine Richter herausgefordert, und Lalle waren gespannt auf den Ausgang. Siegte er, so konnte er mit Zuversicht darauf rechnen, daß er von dem ersten Tage an, wo er seine Werkstätte eröffnete, die Hälfte der Einwohner zu seinen Kunden zählen würde.
Dies sah Niemand deutlicher ein als die verschiedenen Schlossermeister selbst. Ihnen erwuchs in diesem jungen Manne ein Konkurrent, der ihnen allen den größten Nachtheil bringen konnte.
Georg arbeitete in dem Hause des Altmeisters in einer besonderen kleinen Werkstätte mit größtem Fleiße an seinem Meisterstücke. Tag und Nacht gönnte er sich keine Ruhe, und sein Werk war bereits tüchtig vorgeschritten. Er hielt es natürlich vor jedem Auge verborgen, um die neue Konstruktion nicht zu verrathen, und arbeitete deshalb auch bei verschlossener Thür.
Eines Morgens pochte es an derselben. Ueberrascht öffnete Georg, und als er den greisen Altmeister, einen Mann, der in der ganzen Stadt in der größten Achtung stand, eintreten sah, wollte er schnell seine Arbeit in einem Kasten verbergen.
Ruhig legte ihm der Altmeister die Hand auf die Schulter. – »Laß Deine Arbeit getrost liegen« sprach er. – »Glaubst Du, ich sei gekommen, Dir Dein Geheimniß abzulauschen? Du solltest mich besser kennen. Und wenn ich es wirklich sähe, ich würde es am wenigsten verrathen, meine Hand würde es bei der Prüfung nimmer zu öffnen versuchen, darauf nimm mein Wort. D'rum laß Alles liegen, wie es liegt. – Ich habe etwas mit Dir zu sprechen, Georg. Ich weiß, daß Du ein sehr geschickter Arbeiter bist, aber Du hast Dich vermessen, indem Du öffentlich erklärt hast, wenn einer der Meister Dein Schloß zu öffnen vermöge, so solle Dein Meisterstück verworfen sein. Weißt Du, daß Dein früherer Meister geschworen hat, er wolle Dich beim Wort nehmen, wenn es ihm gelänge, Du sollest nicht Meister werden, und sei das Schloß noch so meisterhaft gearbeitet. Gerecke kennt Deine Art und Weise zu arbeiten, nimm Dich in Acht, auch andere Meister hast Du Dir durch Deine unvorsichtigen Worte zu Feinden gemacht.«
»Ich fürchte sie nicht!« – rief Georg lebhaft. »Ich halte fest an dem, was ich einmal gesagt habe vermag einer von Allen mein Schloß zu öffnen, so soll mein Meisterstück verworfen werden. Und Gerecke kann es am wenigsten, ich weiß, wie weit sein Auge reicht!«
»Du scheinst Deiner Sache zwar sicher zu sein« erwiderte der Altmeister. – »Du könntest Dich aber dennoch leicht täuschen, und ich gönne Dir nicht, daß Deine Arbeit deshalb verworfen werde. Ich wollte Dich warnen, mehr darf ich nicht thun.«
»Ich danke Ihnen« – rief Georg aufrichtig, indem er des Alten Hand erfaßte. – »Sie sollen sehen, daß ich nicht aus Uebermuth jene Worte gesprochen habe, und Gerecke fürchte ich am wenigsten von Allen, das mögen Sie ihm getrost wieder sagen.«
Der Alte ging und Georg arbeitete mit demselben muthigen Eifer weiter.
Meister Gerecke hatte inzwischen nichts unversucht gelassen, um zu verhindern, daß Georg das Bürgerrecht und die Erlaubniß, ein Geschäft in der Stadt zu beginnen, erhielt. Alle seine Freunde hatte er aufgeboten, dies zu verhindern. Je weniger es ihm gelang, da gegen Georg keine triftigen Gründe sprachen, je näher der Tag heranrückte, an dem er sein Meisterstück zur Prüfung vorlegen sollte, um so unruhiger und unzufriedener wurde er. Keiner seiner Gesellen konnte ihm eine Arbeit zu Danke machen; mit seiner Frau und Tochter sprach er tagelang kein Wort, und dazu kam noch die Sorge um die Ausführung des von ihm angenommenen Auftrages, bei der er auf Georg's Hilfe so zuversichtlich gerechnet hatte. Weder er noch einer seiner Gesellen war im Stande, diese Arbeit in der gewünschten Weise auszuführen. Er hätte viel darum gegeben, hätte er den Auftrag nicht angenommen. Ihn jetzt noch zurückweisen, hieß eben so viel als eingestehen, daß er ihn nicht ausführen könne. Dies konnte und durfte er nicht thun, und gleichwohl sah er doch keinen Ausweg, den er, ohne sich eine Blöße zu geben, betreten konnte.
Selbst der Umstand verstimmte und quälte ihn, daß seit Georg's Fortgehen, seit dem öffentlichen Skandal mit ihm, der ihm in der Achtung bei seinen Mitbürgern so viel geschadet hatte, er kaum halb so viel Arbeit hatte, als früher. Er suchte dies zwar zu verbergen, hatte sogar an Georg's Stelle einen neuen Gesellen angenommen, aber er hatte nicht Beschäftigung genug für seine Arbeiter und mußte wöchentlich von seinem Vermögen zusetzen.
Dieser Verlust ärgerte ihn weniger; blieb es indeß so, wie es war, so mußte er sich entweder selbst zu Grunde richten, oder die Hälfte seiner Gesellen fortgehen lassen und dadurch seine Stellung als erster Schlossermeister der Stadt aufgeben. Diese Schmach konnte er nicht ertragen und doch sah er sie näher und näher heranrücken.
Unmuthig, meist finster und schweigend arbeitete er mit einem seiner Gesellen, einer mittelgroßen Gestalt mit kleinen stechendgrauen Augen und häßlichen Gesichtszügen, der von seinen Kameraden meist kurzweg der Nassauer genannt wurde, aber Franz Detloff wirklich hieß, in einer besonderen kleinen Werkstatt, wo Georg früher so manche geschickte Arbeit angefertigt hatte. Hieran mochte er denken, denn er schlug im stillen Grolle mit einer solchen Heftigkeit auf das geglühte Eisen, als ob er ein Grobschmied gewesen wäre.
Wiederholt warf der Gesell einen flüchtigen Seitenblick auf ihn und ein Lächeln zuckte um seinen Mund. – »Mir ist es, Meister« – sprach er endlich – »als ob wir weniger Arbeit hätten, seit Georg fort ist. Es ist schändlich!«
»Du wirst wohl noch genug haben, daß Du die Zeit nicht unnütz zu verschwatzen brauchst« – erwiderte Gerecke unwillig, ohne mit seiner Arbeit inne zu halten. »Reicht meine Arbeit für Dich nicht aus, so kannst Du gehen, wohin Du willst, ich bekomme zehn andere Gesellen an Deine Stelle.«
»So ist's nicht gemeint« – entgegnete der Gesell. – »Aber woher kommt es, daß es hier nicht mehr so ist wie früher? Weil der Georg durch sein ruhmrediges Großthun der ganzen Stadt weiß macht, er könne allein ein Schloß machen und die Leute nun alle darauf versessen sind, bei ihm arbeiten zu lassen, sobald er nur erst Meister ist! Ich sage Ihnen, Meister, wenn dem falschen Burschen, der alle Klugheit und Geschicklichkeit für sich gepachtet zu haben glaubt, nicht das Handwerk gelegt wird, ehe er es beginnt, so erleben Sie noch, daß er in kurzer Zeit mehr Gesellen in seiner Werkstatt stehen hat, als irgend ein Meister in der Stadt!«
»Dann magst Du auch zu ihm laufen, Ihr seid ja alte Kameraden!« – rief Gerecke.
»Ich, zu dem!« – rief der Gesell – »lieber will ich zeitlebens als Handwerksbursch in der Welt herumlaufen. Der wird als Meister noch hochmüthiger als es der Bürgermeister ist!«
»Noch ist er nicht Meister!« – erwiderte Gerecke durch des Gesellen Groll gegen den ihm verhaßten Menschen etwas milder gestimmt. – »Noch ist er es nicht! Sein Meisterstück soll ja nicht gelten, wenn einer von uns das Schloß zu öffnen weiß. Ha, Ha! Es muß ein wahres Zauberschloß sein, aber dennoch wäre es leicht möglich, daß meine Hand es öffnete, ich kenne seine Art und Weise, aber dann will ich ihn beim Wort halten, seine eigene Großthuerei soll ihm schaden, er mag dann zusehen, ob er auf dem nächsten Dorfe Meister wird? hier möchte es ihm verleidet sein!«
»Er ist seiner Sache sehr gewiß!« – warf der Gesell ein. – »Erst noch gestern hat er behauptet, daß er Sie am wenigsten fürchte und hat gewettet, daß keiner in der ganzen Stadt das Schloß öffnen könne.«
Diese Worte wirkten wie ein Schlag auf Gerecke ein. Das feste Vertrauen auf seine letzte Hoffnung war ihm genommen. Starr schweigend blickte er den Gesellen an, und nicht ohne Freude nahm dieser die Wirkung seiner Worte wahr. Die hatten ihn getroffen, wo sie treffen sollten.
»Und ich will und muß es öffnen!« – rief der Schlossermeister endlich heftig, indem er sich gewaltsam von seinen Gedanken losriß und durch diese lauten Worte seine eigene Besorgniß zu verscheuchen suchte. – »Käme er mit diesem Meisterstück durch, die Nase würde ihm noch höher wachsen, zu Narren würde er uns alle halten. Es soll und darf nicht sein!«
»Ja, wenn man das Schloß nur vorher einmal sehen könnte« – warf der Gesell halb für sich aber doch laut genug, daß der Meister es hören konnte, ein.
»Glaubst Du, daß er es zeigen wird?« – rief dieser. »Geh' zu ihm, er wird Dir vielleicht sein Geheimniß verrathen.«
»Sie verstehen nicht, Meister, was ich meine« antwortete der Gesell, indem er näher an ihn herantrat und seine Stimme mäßigte. – »Ich meine, man sollte« – und er flüsterte ihm einige Worte ins Ohr.
Gerecke fuhr überrascht und halb erschreckt zurück, während ihn der andere mit einem grinsenden, spöttischen Lächeln anblickte. – »Nein – nein, das geht nicht!« – rief er und verweilte doch mit wachsendem Wohlgefallen in Gedanken bei dem ihm zugeflüsterten Plane.
»Es geht nicht?« – wiederholte der Gesell lachend. – »Und weshalb nicht. Sie sind ängstlich, Meister. Es muß gehen, oder der freche Mensch lacht Sie und alle Schlossermeister in der Stadt aus. Ich weiß, daß schon jetzt Viele warten, bis er Meister geworden ist, um dann bei ihm arbeiten zu lassen. Er hat sich ja gerühmt, daß er die besten Arbeiten, die aus Ihrer Werkstatt hervorgegangen sind, angefertigt habe, und die meisten glauben ihm. Lassen Sie ihn hier nur erst einmal festen Fuß gefaßt haben, so wird es nicht lange währen und er ist wohlhabend und wird in den Rath gewählt.«
Gerecke war aufgeregt in der Werkstatt auf- und abgeschritten. Sein Gesicht war geröthet und seine Augen blickten wild. – »Das soll er nicht, bei meiner Seel', das soll er nicht!« – rief er aufgeregt. – »Der Mensch sollte mit mir im Rathe sitzen! Ha! Eher will ich zu Grunde gehen, ehe ich es dahin kommen lasse!«
»Sie können es nicht hindern, wenn er einmal Meister und Bürger ist« – warf der Gesell ein. – »Er hat Alles schlau genug berechnet. Wissen Sie, auf wen er es bis jetzt abgesehen hat? Auf des Bäckers Kramer Tochter. Das Mädchen bekommt zwölf bis fünfzehn Tausend Thaler Mitgift, und er will seine Werkstatt so groß und glänzend einrichten, wie keine hier in der Stadt ist. Er versteht es, die Leute für sich zu gewinnen, daß muß man ihm lassen. Und wie ich gehört habe, soll Kramer nicht abgeneigt sein, ihm seine Tochter zu geben!«
Diese Worte machten allem Schwanken des Meisters ein Ende. – »Der Bursch, Kramer's Tochter?« – rief er, der Gesell nickte bejahend. – »Nun dann mag es kommen, wie es will, aber Meister soll er nicht werden!«
»Sie gehen auf meinen Plan ein?« – fragte der Gesell leise.
»Ja! und wenn es mein Verderben wird! Heute Abend wollen wir das Nähere darüber sprechen. Wenn es aber mißlingt!«
»Pah!« – rief der Gesell. – »Es gelingt! Bleiben Sie nur ruhig. Kein Mensch darf Verdacht schöpfen!«
»Gut. Es bleibt dabei. Heute Abend nach der Arbeit erwarte im mich Garten« – erwiderte Gerecke und verließ die Werkstatt, um seine innere Aufregung zu verbergen.
Der Gesell blickte ihm mit einem halb spöttischen und halb verschmitzten Lächeln nach. Er hatte nicht erwartet, daß sein Plan ihm so leicht gelingen werde.
Georg hatte sein Meisterstück vollendet. Nie hatte er ein Werk mit solcher Lust gearbeitet, nie war ihm eine Arbeit so trefflich gelungen, und mit genugthuender Zufriedenheit betrachtete er es. Das Ganze sah so zierlich und sauber aus und war doch so fest und dauerhaft. Er war fest überzeugt, daß keiner der Meister, die es am folgenden Morgen prüfen sollten, das Geheimniß, wie es zu öffnen sei, errathen werde.
Es war Sonntag Nachmittag. Noch einmal hatte er das Schloß, das an einem Kasten befestigt war, der in der kleinen Werkstatt des Altmeisters stand, betrachtet, die Thür des Raumes fest verschlossen und den Schlüssel zu sich in die Tasche genommen. Es war ja ein Werk, das für ihn die größte Bedeutung hatte und das er nicht genug hüten konnte, weil seine Ehre, sein Ruf, fast sein ganzes Lebensglück davon abhing.
Was ihn indeß an diesem Nachmittage so heiter stimmte, war nicht der Gedanke allein, daß er nun endlich feinem Ziele so nahe sei – am Morgen dieses Tages hatte er heimlich von Marie einige Zeilen erhalten, in denen sie ihm einen Ort bezeichnete, wo er sie am Nachmittage ungestört treffen werde. Seit Wochen hatte er sie nicht gesprochen und er liebte sie leidenschaftlicher denn je. Er wußte, wie streng ihr Vater ihr jeden Umgang, jedes Zusammentreffen mit ihm untersagt hatte, daß sie dennoch ihm die Gelegenheit dazu gab, war ihm der sicherste Beweis für die Treue und Innigkeit ihrer Liebe.
Wieder war der Ort ihres Zusammentreffens jenes Holz, das schon einmal so verhängnißvoll für sie geworden war. Um jeden Verdacht zu vermeiden, hatte er durch das entgegengesetzte Thor die Stadt verlassen und auf weitem Umwege das Holz erreicht. Dennoch war die festgesetzte Zeit noch nicht gekommen. Ungeduld und Sehnsucht, die Geliebte wieder zu sehen, hatten ihm keine Ruhe gelassen.
Unter einen Baum ausgestreckt, beschloß er Marie zu erwarten. Alles ringsum war so still, so schattig unter den hochgewölbten grünen Bäumen. Er blickte auf zum Himmel, kaum daß er hier und dort einiges Blau durch die dichten Baumwipfel hindurch schimmern sah. Unwillkürlich verloren sich seine Gedanken in Träumereien. Was ihn in diesem Augenblicke beschäftigte, war nur ein Gegenstand – Marie. Die Schwierigkeiten, welche ihrem Besitze entgegengetreten waren, schreckten ihn nicht ab, von dessen Glück zu träumen, und welche Liebe hat je ganz hoffnungslos in die Zukunft geblickt! – Sein ganzes Leben mußte sich vom folgenden Tage an anders gestalten, und er bauete fest darauf, daß sich eine Gelegenheit bieten werde, sich mit Mariens Vater zu versöhnen. Er selbst dachte über die von ihm erfahrene Kränkung bereits ruhiger.
Da rauschte es plötzlich im Gebüsch – rasch wandte er den Kopf zur Seite – es war Marie. Er sprang empor und eilte ihr entgegen. Des Mädchens Wangen rötheten sich, als sie ihn erblickte und er sie ungestüm an seine Brust zog. Kaum war indeß ihre erste Aufregung geschwunden, so erschreckte ihn die Blässe ihrer Wangen. »Du bist krank, Marie?« – fragte er besorgt, indem er mit der Rechten ihren Kopf empor hob und ihr in die hellen Augen blickte.
Sie versuchte zu lächeln, dennoch war ein wehmüthig trauriger Zug in ihrem Gesichte nicht zu verkennen. »Mir fehlt nichts« erwiderte sie – »ich bin ganz wohl!«
Ihre Worte befriedigten Georg nicht. – »Du suchst mich zu täuschen!« – rief er – »Nie hast Du so blaß ausgesehen.«
Des Mädchens mit Mühe zurückgehaltene Thränen brachen gewaltsam hervor. – »Schon seit Wochen hat mein Vater kein freundliches Wort mit mir gesprochen« – schluchzte sie. – »In jedem Blicke, den er auf mich wirft, liegt ein Vorwurf und Unwille. Auch meine Mutter leidet durch seine üble, jetzt so leicht aufgebrachte Stimmung und auch sie mißt mir den größten Theil der Schuld zu.«
Vergebens suchte Georg sie zu beruhigen. – »Ich habe Deinen Vater nie beleidigt« – rief er. – »Kann er es mir verargen, daß auch ich endlich selbständig werden will, ich habe lange genug für ihn gearbeitet. Es war mein freier Wille, dennoch hätte ich einen anderen Dank von ihm erwartet. Er hat mich auf das Bitterste gekränkt und nur weil Du mich batest, habe ich ihn nicht zur Strafe gezogen.«
»Er hätte sie auch nicht ertragen« – schluchzte Marie.
»Auch mir ist es lieb, daß ich es nicht gethan habe« – fuhr Georg fort. – »Er muß einsehen, daß ich Alles zur Versöhnung aufbiete.«
»Und dennoch meint er, Du habest ihn nur deshalb geschont, um mit Deiner Großmuth prahlen zu können.«
»Habe ich ein Wort darüber gesprochen?«
»Ich weiß, daß Du es nicht gethan hast, aber er legt Alles, was Dich betrifft zum Schlechtesten aus. Er will mein Herz dadurch von Dir abwenden, er martert es dadurch auf das Grausamste und sieht nicht ein, daß es sich eher verzehrt, ehe es von Dir läßt.«
Lieb drückte Georg ihr die Hand. – »Sei nur ruhig, Marie, und bleibe mir treu« – bat er. – »Es soll bald Alles anders werden. Morgen werde ich Meister, in wenigen Tagen fange ich mein Geschäft an, an Arbeit wird es mir nicht fehlen, ich will Tag und Nacht arbeiten, um mir schnell emporzuhelfen, und wenn Dein Vater sieht, daß es mir wohl ergeht, wird er auch anders gegen mich gestimmt werden.«
Marie schüttelte mit dem Kopfe. – »Grade das wird er Dir am wenigsten vergeben« – erwiderte sie. »Sein Ehrgeiz fürchtet, daß Du es einst eben so weit und weiter als er bringen werdest – schon der Gedanke kränkt und erbittert ihn.«
»Gewiß will ich es weiter bringen!« – rief Georg. – »Ich will ihn wahrhaftig dadurch nicht kränken, aber auch ich besitze Ehrgeiz und ich weiß, wie viel ich leisten kann – mehr als Dein Vater und irgend ein Schlossermeister hier in der Stadt!«
»Morgen wird über Dein Meisterstück entschieden?« fragte Marie.
»Ja, Morgen!« – rief Georg freudig. – »Mit Ungeduld habe ich diesen Tag herbeigesehnt!«
»Und bist Du wirklich so sicher, das keiner das Schloß öffnen wird?« – warf Marie ein. – »Mein Vater hat geschworen, Deine Arbeit solle nicht gelten, wenn einer das Schloß öffnen könne!«
»Ich habe ja selbst diese Bedingung gestellt – sei ohne Sorge, ich würde mein eigenes Glück nicht so leichtsinnig aufs Spiel setzen, wenn ich meiner Sache nicht gewiß wäre!«
»Mein Vater kennt Deine Art und Weise zu arbeiten seit Jahren – darauf baut er« – sprach Marie.
»Grade deshalb wird es ihm am wenigsten gelingen« – unterbrach sie Georg. – »Mein Geheimniß ist ein ganz neues. Wo Dein Vater den eigentlichen Schlüssel suchen wird, dort findet er ihn am wenigsten.«
»Die Leute erzählen« – sprach Marie schüchtern und erröthend – »daß Du um die Tochter des Bäckers Kramer werbest.«
»Wer sagt das?« – fuhr Georg fast heftig auf.
»Vor einigen Tagen war bei Tisch die Rede davon.«
»Und Du hast es geglaubt?«
»Nein.«
»Sieh', Marie« – fuhr Georg fort, indem er ihre beiden Händen erfaßte – »so wahr ich jetzt vor Dir stehe, so wahr weiß ich selbst nichts davon. Ich kenne das Mädchen kaum von Ansehen und habe noch nie ein Wort mit ihr gesprochen. Du weißt ja, daß ich nur Dich haben will!«
»Dann ist es auch nicht wahr, daß Du Dir sogleich eine so große und prächtige Werkstatt einrichten willst?«
»Doch, das ist wahr. Du weißt, daß ich etwas Vermögen besitze, das will ich an meine erste Einrichtung wenden, weil ich hoffe, daß Alles gut werden und es mir an Arbeit nicht fehlen soll. Sehen die Leute, daß ich ziemlich groß anfange, so werden sie um so mehr Vertrauen zu mir gewinnen. Am Markte lasse ich mir meine Werkstatt einrichten, mitten in der Stadt, das ist die günstigste Lage.«
Marie war darüber nicht so erfreut, als sie es unter anderen Verhältnissen gewesen sein würde, denn sofort drängte sich ihr der Gedanke auf, daß ihr Vater dadurch um so erbitterter werden würde.
Mehr und mehr schwanden indeß ihre Besorgnisse und trüben Gedanken, als Georg mit der festesten und freudigsten Zuversicht von dem Glücke ihrer Zukunft sprach. Ein Theil seines frischen, freudigen Muthes ging auch auf sie über.
Wie im Fluge schwanden ihnen die Stunden dahin, bis Marie endlich zur Trennung trieb.
»Könnte ich Dich nur morgen Abend auf wenige Minuten sprechen« – rief Georg. – »Das Herz wird mir so voll Glück sein, daß ich mich aussprechen möchte.«
»Es geht nicht« – erwiderte Marie. – »Ich darf morgen das Haus nicht verlassen. Wo könnten wir uns auch ungestört sprechen?«
»Nur wenige Worte« – bat Georg. – »Sieh, morgen ist einer der schönsten Tage meines Lebens, da muß ich Dich sehen.«
Sie sann einen Augenblick nach. – »Gut, so komm morgen Abend, sobald es dunkel geworden, in den Garten meines Vaters, er beobachtet mich indeß stets genau und ich kann Dir deshalb nur wenige Minuten versprechen.«/
»Ich verlange auch nicht mehr« – rief Georg. »Nur sehen will ich Dich, nur einmal an mein Herz drücken!«
Der Abend war bereits hereingebrochen, als sie auf verschiedenen Wegen in die Stadt zurückkehrten. Georg fühlte sich so glücklich und von einem Muthe beseelt, der jedes Hinderniß aus dem Wege räumen zu können glaubte. Es war zu zeitig, um sich nach Haus und zur Ruhe zu begeben, zu der er nicht das geringste Bedürfniß in sich fühlte. Er ging in ein Wirthshaus und traf dort den Nassauer, mit dem er längere Zeit bei Gerecke gearbeitet hatte. Er fühlte sich keineswegs zu ihm hingezogen, als jener ihm indeß mit größter Freundlichkeit entgegenkam, mochte auch er ihn nicht zurückstoßen – lebte er doch mit Marie unter demselben Dache. Mehre andere Bekannte kamen hinzu und bald herrschte in dem Kreise die größte Heiterkeit. Sie that Georg wohl und aus des Nassauers Freundlichkeit glaubte er zu bemerken, daß sein Meister nicht so feindlich gegen ihn gesinnt sei, wie Marie ihn geschildert hatte. Vielleicht hatte sie Alles mit zu besorgtem und deshalb befangenem Auge angesehen.
Georg blieb länger und trank mehr als er sonst zu thun pflegte. Zum Abschiede reichte ihm der Nassauer die Hand und rief:, »Nun, ich wünsche Dir Glück! Morgen wirst Du Meister und kannst Dir Deinen eigenen Herd aufbauen; ich wünschte auch so weit zu sein, denn ich bin es müde, mich als Gesell in der Fremde umherzutreiben.«
»Mach' Dein Meisterstück und Du bist so weit wie ich« – erwiderte Georg aufrichtig. – »Daß Du es machen kannst, weiß ich. Weshalb willst Du länger zögern? Kann ich Dir beistehen, so sag' es mir.«
Er ging heim. Wie spät es war, wußte er nicht. Mit sorglosen Gedanken legte er sich zur Ruhe. Als er am folgenden Morgen erwachte, war es schon spät, die Stunde war fast herangerückt, in der die Meister zusammen kommen wollten, um seine Meister-Arbeit zu prüfen. Den Schlüssel zu dem Raume, in dem sie stand, trug er in seiner Tasche. Hastig sprang er auf und kleidete sich an. Ein Bote, den der Altmeister zu ihm sandte, verdoppelte seine Eile.
»Nun« – rief ihm der Altmeister entgegen, als er dessen Haus erreicht hatte – »Du läßt heute lange auf Dich warten. Ich muß gestehen, so ruhig war ich nicht an dem Tage, als einst mein Meisterstück zur Prüfung kam, und doch glaubte auch ich etwas gelernt und meine Arbeit nicht schlecht ausgeführt zu haben. Die Meister müssen jeden Augenblick kommen. Du hast den Schlüssel zur Werkstatt, schließ auf, wir wollen Deine Arbeit in mein Zimmer tragen.«
Arglos öffnete Georg die Thüre und trat ein. Sein erster Blick fiel auf den Kasten, an dem er sein Schloß befestigt hatte. Erschreckt wich er einen Schritt zurück, seine Wangen erbleichten. Er mußte sich getäuscht, seine Augen ihn betrogen haben – es war nicht möglich!
Ungestüm eilte er auf den Kasten zu, erfaßte ihn und sank mit dem Rufe: »Allmächtiger Gott!« halb ohnmächtig neben ihm nieder.
»Was ist denn? Was gibt es denn?« – rief der Altmeister, der diesen Vorfall noch nicht begriff, erstaunt und trat an Georg heran.
Dieser zeigte mit der Hand auf den Kasten und vermochte nur das Wort: »Das Schloß – das Schloß!« hervorzubringen.
Erst jetzt bemerkte der Altmeister, daß das Schloß von dem Kasten entfernt war, und sein Schrecken war ein kaum geringerer. – »Es ist gestohlen!« – rief er.
»Aus meinem Hause gestohlen! Das ist ein schändlicher Bubenstreich!«
Langsam hatte sich Georg erhoben. Seine sonst so kräftige Gestalt war wie gebrochen. Aller Muth schien ihm entflohen zu sein. Den Kopf auf die Brust gesenkt starrte er auf die Stelle, wo das Schloß gewesen war, und unwillkürlich traten Thränen in seine Augen. All' seine stolzen, freudigen Hoffnungen waren mit einem Male vernichtet.
»Georg!« – rief der Altmeister, indem er seine Hand erfaßte, – »das ist ein Bubenstreich, eine schändliche That, aber ich will nicht eher ruhen, bis ich entdeckt habe, wer sie vollbracht hat. In meinem Hause ist sie geschehen! Sieh' hier dies zerbrochene Fenster, hier ist der Bube, der das Schloß gestohlen hat, eingestiegen! Mein Haus, meine Stellung als Altmeister ist beschimpft!«
Georg schwieg und beharrte in seinem starren Brüten. Die gesprochenen Worte schien er kaum gehört zu haben. Wer die That vollbracht hatte, daran dachte er nicht, er fühlte nur, wie viel er durch sie verloren.
»Georg!« – rief der Alte, indem er ihn wachrüttelte – »hast Du keinen Verdacht, wer den Bubenstreich begangen hat?«
Der Gefragte blickte ihn starr an und erwiderte nur: »Ich soll hier nicht Meister werden, das will man!«
Ein Gedanke zuckte in dem Altmeister auf. Hastig hob er den Kasten empor und betrachtete prüfend die Stelle, von der das Schloß entfernt war.
»Ha!« – rief er. – »Wer es gestohlen, dessen Hand hat nicht zum erstenmale ein Schloß losgemacht! Sieh', sieh', jeder Andere würde den Kasten mehr verletzt haben! Hier liegen noch die Schrauben, mit denen es befestigt war, hier noch der Meißel, mit denen sie ausgezogen sind! Sieh' die Schrauben an! Keine ist beschädigt das hat eine geübte Hand – die Hand eines Schlossers gethan, oder ich will nichts von meinem eigenen Handwerke verstehen!«
Erst jetzt beachtete Georg all diese näheren Umstände genauer, sie bestätigten den Verdacht, der in ihm aufgestiegen war. – »Ja, ein Schlosser hat es gethan« erwiderte er. – »Keinem anderen hier in der Stadt konnte auch an dem Schlosse soviel gelegen sein.«
»Wen meinst Du?« – unterbrach ihn der Alte.
»Meinen früheren Meister!«
»Deinen früheren Meister?« – wiederholte der Alte erstaunt – »Gerecke? Nein, nein, Du irrst – es ist nicht möglich! Ich weiß, daß Gerecke Dir feindlich gesinnt ist und Dir möglichst entgegengetreten ist, er wird sich vielleicht im Innern freuen, wenn er den Bubenstreich erfährt, aber ihn selbst auszuführen, halte ich ihn nicht für fähig. Er ist Bürger und Rathsherr dieser Stadt, er steht in allgemeinem Ansehen und in Achtung, er hat ein blühendes Geschäft und es geht ihm wohl – sollte er dies Alles einer solchen That wegen auf das Spiel setzen, nur um einem Unwillen gegen Dich zu genügen. Es ist ein Diebstahl, der den Thäter, wenn er entdeckt wird, ohne Ansehen der Person ins Gefängniß bringt – das weiß Gerecke so gut wie wir, für einen geringen Preis kann und wird er nie so viel aufs Spiel setzen. Er ist stolz und ehrsüchtig und würde ihn seine Ehre von einer solchen That nicht zurückhalten, so würde es seine Klugheit thun! Gerecke hat es nicht gethan!«
Georg war durch diese Worte noch nicht überzeugt, sein Verdacht nicht geschwächt. »Ich kenne Niemand außer ihm, der mir so feindlich gesinnt ist, daß er mir gerade dies anthun könnte!« – erwiderte er. – »Wäre mir all' mein geringes Gut bis auf den letzten Pfennig gestohlen, es würde mir nicht so wehe gethan haben, wie dies. Das hat der Thäter wohl gewußt, denn das Schloß nützt ihm nicht, er kann es nicht einmal verkaufen, wenn er sich nicht selbst verrathen will. Nur um mein Meisterwerden und um mein Niederlassen hier in der Stadt zu verhindern, ist es geschehen, all meine Hoffnung ist dadurch vernichtet!« – Schmerzvoll bedeckte er die Augen mit den Händen.
»Du magst Recht haben, denn auch ich sehe keinen anderen Grund ein – aber Gerecke hat es nicht gethan, für ihn möchte ich einstehen, denn ich kenne ihn längere Jahre als Du! Weshalb glaubst Du aber Deine Hoffnungen vernichtet? Laß Dir durch diesen Bubenstreich den Muth nicht nehmen. In wenigen Wochen hast Du ein anderes Meisterstück angefertigt, dann bist Du doch am Ziele, so unangenehm Dir die Verzögerung auch sein mag.«
Georg schüttelte ablehnend mit dem Kopf. – »Ich mag mich nicht neuen Intriguen und Schändlichkeiten aussetzen.«
»Das sollst Du auch nicht« – unterbrach ihn der Alte. – »Hier in meinem Hause sollst Du Dein Meisterstück wieder machen und dann will ich mit meiner Ehre dafür einstehen! Doch ich sehe die Meister kommen, laß mich allein mit ihnen – auch Gerecke ist unter ihnen. Eile zum Gerichte und zeige den Diebstahl Deines Schlosses an.«
Georg verließ das Haus.
Das Erstaunen der Meister über den Vorfall war kein geringes. Mochten auch vielleicht einige im Stillen sich darüber freuen, weil ihre eigenen Interessen dadurch gefördert wurden, den Bubenstreich selbst verwarfen sie unverholen.
»Ich begreife das Ganze noch nicht« – sprach einer von ihnen. – »Das Schloß selbst hat ja keinen Werth, denn wer es gestohlen, darf es nicht einmal verkaufen. Schröder hat sich gerühmt, daß keiner von uns das Schloß werde öffnen können, sollte er zuletzt doch besorgt geworden sein und um sich eine solche Niederlage zu ersparen, selbst – – –«
»Was meint Ihr?« – unterbrach ihn der Altmeister unwillig. – »Glaubt Ihr, daß er sich selbst bestohlen hat? Ich kenne ihn besser, ich habe ihn gesehen, als er die Entdeckung des Bubenstreiches machte – so kann sich kein rechtschaffener Mensch verstellen. Ich habe auch das Schloß selbst gesehen, kenne zwar das Geheimniß desselben nicht, was indeß die Arbeit selbst anbetrifft, so hatte er nicht nöthig, sich ihrer zu schämen, keiner von uns würde sie besser gemacht haben!«
Diese Worte riefen eine unwillige Aufregung unter den Meistern hervor.
»Ihr nehmt Partei für ihn« – rief Gerecke.
»Das thu' ich!« – erwiderte der Altmeister entschieden. – »Jeder Rechtliche muß in diesem Falle auf Schröder's Seite stehen. Ich weiß, daß Ihr ihm nicht gewogen seid, habe Euch dies indeß nicht vorgeworfen, weil ich glaubte, daß Ihr Eure persönliche Stimmung bei Seite setzen würdet, wo es sich um Gerechtigkeit und die Ehre unsrer ganzen Innung handelt!«
Gerecke preßte die Lippen aufeinander, versuchte wegwerfend zu lächeln, dennoch verrieth er, wie sehr diese Worte ihn trafen und kränkten. – »Ich sehe nicht ein, was die Ehre unsrer Innung mit diesem Falle zu schaffen hat« – entgegnete er. – »Wäre Schröder's Arbeit bei der Prüfung verworfen, so hätte ihn, nicht uns die Schmach getroffen. Daß das Schloß gestohlen ist, kümmert die Innung nicht, mag es auch Euch noch so unangenehm sein, weil es in Eurem Hause geschehen ist.«
Das Auge des Alten ruhte einen Augenblick scharf fixirend auf Gerecke, er schien eine heftige Antwort bereit zu haben, bezwang sich indessen und erwiderte mit ruhigem Ernste: »Unsere Innung wird wohl dadurch berührt, weil alle Anzeichen dafür sprechen, daß das Schloß von der kundigen Hand eines Schlossers von dem Kasten getrennt und gestohlen ist! Ueberzeugt Euch selbst davon« wandte er sich an die übrigen Meister und zeigte ihnen die Spuren, die ihn zu diesem Verdachte geleitet hatten.
Keiner konnte sie in Abrede stellen.
»Wir müssen bei dem Gerichte Anzeige von dem Falle machen und den Thäter zu erforschen suchen« rief Gerecke. – »Unsere Ehre verlangt dies.«
»Nicht unsere Ehre allein, auch unser Gerechtigkeitssinn« – erwiderte der Altmeister, indem er ihn forschend anblickte. – »Die Anzeige ist bereits geschehen, an Schritten zur Entdeckung soll es nicht fehlen, die vorhandenen Anzeichen weisen auf eine Spur, die uns leicht zum Thäter führen dürfte.
»Habt Ihr Verdacht auf Jemand?« – warf Gerecke fragend ein.
»Verdacht nützt uns wenig. Nur die Entdeckung und Bestrafung des Thäters kann uns rechtfertigen Soviel ist deutlich, daß der ganze Bubenstreich nur darauf abgesehen ist, dem jungen Manne das Meisterwerden zu erschweren. Er soll es aber dennoch werden, so wahr ich Altmeister bin. Und wenn einer von Euch Meistern etwas Triftiges gegen ihn hat, weshalb er unwürdig ist, unser Mitbürger und Innungsgenosse zu werden, so sagt es offen heraus.«
Alle schwiegen.
»Gerecke, habt auch Ihr nichts gegen ihn zu sagen?«
Der Gefragte erröthete vor Unwillen. – »Hätte ich etwas« – rief er – »so würde ich es auch ohne Euere Aufforderung sagen. Ich habe nie mit meiner Meinung zurückgehalten. Mich kümmert der Mensch nicht. Mag er Bürger und Meister werden, wo er will, meinetwegen hier, ich brauche ihn gottlob nicht zu fürchten!«
»Nun« – warf der Altmeister ruhig lächelnd ein, »er würde uns allen etwas Schaden bringen, weil er geschickt und fleißig ist, deshalb dürfen wir aber doch nicht ungerecht gegen ihn sein. Ein jeder von uns hat einst sein Glück versucht, ich gönne es auch ihm, weil er es verdient!«
Die Meister verließen das Haus und kehrten heim. Die Kunde, daß das Meisterstück Georg's in der Nacht vor dem Prüfungsmorgen gestohlen war, brachte die ganze Stadt in einige Aufregung. Waren schon früher sehr Viele auf die Seite des so muthigen und auf seine Geschicklichkeit fest vertrauenden Gesellen getreten, so hatte er jetzt mit wenigen Ausnahmen Alle für sich. – »Man will ihn hier nicht Meister werden lassen, weil man ihn fürchtet« – hieß es in der Stadt. Gerüchte über den Bubenstreich, Vermuthungen über den Thäter liefen umher, und mehr als einmal wurde Gerecke's Name dabei genannt und mit der That in die engste Berührung gebracht.
Die Polizei besichtigte den Ort des Diebstahls, nahm über alle einzelnen bekannten Umstände ein genaues Protokoll auf, verhörte Georg und den Altmeister – mehr vermochte sie vor der Hand nicht zu thun. Die umlaufenden Gerüchte blieben ihr kein Geheimniß, dennoch konnte sie auf Grund derselben nichts gegen Gerecke unternehmen – er war ein angesehener Bürger, Meister und Rathsherr. Sie mußte abwarten, bis vielleicht der Zufall sie auf die genauere Spur verhalf.
Niemand in der ganzen Stadt hatte dieser Vorfall schwerer getroffen als Marie. Seit Wochen hatte sie in gedrückten peinlichen Verhältnissen gelebt, indem sie all' ihren Kummer in sich verschließen und verzehren mußte; erst am Tage zuvor hatte sie durch Georg's Worte einige Beruhigung und neue Hoffnung erhalten, wenige Stunden lang hatte sie sich derselben hingegeben, und nun war Alles mit einem Male wieder vernichtet. In dem Blicke ihres Vaters glaubte sie ein triumphirendes Lächeln zu bemerken und sie konnte ihm nicht entgegentreten. Der Gedanke an Georg's Schmerz verdoppelte noch den ihrigen, den sie vor ihrem Vater, selbst vor ihrer Mutter verbergen mußte. Sie litt unendlich und mußte alle Kräfte zusammennehmen, um sich die Fassung zu bewahren. Unter solchen Stimmungen rückte langsam der Abend heran, dem sie mit ungeduldigster Erwartung entgegensah, weil sie Georg zu sprechen hoffte. Doppelt lieb war es ihr jetzt, daß sie seine Bitte am Tage zuvor nicht abgeschlagen hatte.
Früh hatte sie sich auf ihre Kammer begeben, um sich für kurze Zeit Ruhe zu gönnen. Kaum war aber die Dunkelheit des Abends hereingebrochen, so schlich sie leise, ungesehen in den Garten hinab. Sie hoffte Georg schon dort zu treffen, sie traf ihn nicht. Vergebens harrte sie von Minute zu Minute. Was konnte ihn abhalten? Mußte er nicht mit derselben Sehnsucht nach ihr verlangen, mit der sie ihn erwartete? Sollte er so gewaltig erschüttert, sollte sein Schmerz ein so verzweiflungsvoller sein, daß er nicht an die Verabredung dieser Stunde dachte.
Alle Möglichkeiten durchdachte sie. Ihre Unruhe steigerte sich und sie vermochte sie nicht mehr zu beherrschen, als die Minuten zu Stunden geworden waren. Sie dachte nur an ihn und alle anderen Rücksichten schwanden. Sie schwankte in dem, was sie thun sollte. Endlich siegte ein Entschluß in ihr – sie mußte ihn sehen und sprechen – sie mußte zu ihm eilen.
Ohne das Gewagte dieses Schrittes abzuwägen, verließ sie den Garten und eilte durch einige dunkle Gassen zu Georg's Wohnung. An dem Lichtschimmer in seinem Zimmer sah sie, daß er zu Hause war. Die Hausthür war offen, nur angelehnt. Leise schlüpfte sie hindurch und eilte die Treppe hinauf. Endlich stand sie vor Georg's Thür. Ihr Herz schlug stürmisch aufgeregt. Zweifel und Bangen befielen sie. Durfte sie wirklich den Schritt wagen! Sie war schon zu weit gegangen, um noch zurückkehren zu können; ihr Herz riß sie mit sich fort.
Das Ohr an die Thür gelegt, horchte sie – kein Laut drang zu ihr, er mußte allein sein. Mit zitternder Hand öffnete sie die Thür und trat leise, unbemerkt ein. Mit dem Kopf auf den Arm gestützt, saß Georg an dem Tische. Seine Augen blickten starr, ausdruckslos vor sich hin. Das vor ihm stehende Licht warf einen hellen, grellen Schein auf sein Gesicht und ließ dessen Blässe doppelt scharf hervortreten.
Marie erschrack vor diesem Anblick. Jetzt begriff sie, was er litt, weshalb er nicht zu ihr gekommen war. Ob seine Gedanken wohl bei ihr weilten? Ohne von ihm bemerkt zu werden, eilte sie auf ihn zu und umschlang ihn mit ihren Armen.
Erschrocken sprang Georg empor. Seine Augen erkannten sie nicht sofort, kaum hatte sie indeß seinen Namen gerufen, so zog er sie stürmisch aufgeregt an sein Herz.
»Ich habe Dich erwartet« – flüsterte Marie – »ich mußte Dich sprechen!«
Wie aus einem Traume erwachend fuhr Georg mit der Hand über die Stirn. Er hatte an die besprochene. Zusammenkunft nicht gedacht und sich doch mit größtem Verlangen nach der Geliebten gesehnt.
»Du weißt Alles, Marie?« – erwiderte er.
»Alles. Noch gestern Abends blickten wir beide mit so freudigen Herzen der Zukunft entgegen und jetzt ist all' unsere Hoffnung mit einem Male wieder vernichtet.«
Sie fing heftig an zu weinen und vergebens suchte Georg sie zu beruhigen, sein ganzes Wesen verrieth, daß er selbst nicht ruhig war.
»Diese schändliche That« – sprach er – »hat mich noch härter getroffen als Dich, weil sie zugleich meine Ehre vernichtet hat. Sieh', durch jene Arbeit wollte ich mir von Anfang an einen guten Ruf erwerben – er ist dahin! Ich soll hier nicht Meister werden, ich mag es auch nicht mehr, in wenigen Tagen verlasse ich die Stadt!«
»Du willst fort?« – rief Marie erschreckt. – »Nein, Georg, das darfst Du nicht! Du darfst mich nicht allein zurücklassen!«
»Ich muß fort. Soll ich hier zum Gespött der Leute werden, wenn ich wieder als Gesell bei einem Meister in Arbeit trete?«
»Du machst ein neues Meisterstück«!«
»Hier nimmermehr!« – rief Georg aufgeregt. »Wer einmal zum Diebe geworden ist, um mich hier am Meisterwerden zu verhindern, der wird vor nichts mehr zurückschrecken!«
»Dann nimm mich mit Dir!« – flehte Marie. »Ohne Dich stehe ich ganz schutzlos hier, denn auf meine Eltern kann ich nicht mehr bauen, der Widerwille meines Vaters wird triumphiren, wenn Du die Stadt verläßt.«
»Dein Vater« – unterbrach sie Georg. – »Du weißt, daß er – er …«
»Was hat er gethan!« – rief Marie erschreckt. »Was – was? Sprich Georg!«
»Ich weiß nichts« – erwiderte Georg – »aber ich bin nicht der einzige, der den Verdacht hegt, daß er – – –!«
»Sprich nicht weiter, Georg!« – fiel Marie ein. – »Ich weiß, daß er Dich haßt, daß er sich im Herzen dessen freut, was geschehen ist, aber er hat es nicht gethan, er kann es nicht gethan haben! Nein, Georg, ich könnte ihn nimmermehr lieben und achten!«
»Ich habe keinen zweiten Feind in der Stadt, der mir solches hätte thun können« – erwiderte Georg – »und sieh', deshalb will ich fort. Er haßt und fürchtet mich. Vielleicht ist er leichter zu versöhnen, wenn ich mich in einer anderen Stadt niederlasse, dann wird er eher zugeben, daß Du die meinige wirst.«
Starr vor sich niederblickend wiederholte sich Marie Georg's Worte. Gegen ihren Vater war noch kein Verdacht in ihrem Herzen aufgestiegen, aber einmal angeregt, vermochte sie ihn mit aller Gewalt nicht zurückzudrängen. – »Es kann nicht sein, er ist einer solchen That nicht fähig« – sprach sie zu sich selbst, aber eine andere Stimme rief ihr zugleich wieder zu: »Er haßt ihn – er will nicht, daß er hier Meister werden soll!« – Sie schauderte zurück vor diesem Gedanken – sie unterlag ihm fast. Bebend vor innerer Angst, aufgeregt und schluchzend warf sie sich an die Brust des Geliebten und rief: »Georg, Georg, wenn er es dennoch gethan hätte! Wenn er – er – –. Nein, es kann nicht sein! Ich könnte nicht zurückkehren in das Vaterhaus, die Luft unter seinem Dache würde mich ersticken! Ich könnte ihm nicht wieder in die Augen sehen!«
Georg erschrack vor der Leidenschaftlichkeit, mit der sie diese Worte sprach. Er fühlte, wie unendlich schwer es einem Kinderherzen werden mußte, sich zu sagen: »Dein Vater ist ein Dieb! – Dein Vater hat das Glück Deines Geliebten vernichtet!« – Was half es ihr, daß sie sich durch diesen Gedanken verzehrte, sein Glück wurde dadurch nicht wieder aufgebaut.
»Sei ruhig, Marie« – bat er. – »War es mehr als ein Verdacht von mir? Kann ich mich nicht geirrt haben? Wenn ich fort bin von hier, wird Dein Vater versöhnlicher gegen mich gestimmt werden!«
Das Mädchen weinte heftig. – »Ich würde Alles ertragen, wenn Du nur hier bliebest, wenn ich Dich zuweilen sehen könnte« – schluchzte sie.
»Ich kann es nicht, Marie. Aber Alles, was in meinen Kräften steht, will ich thun, um selbständig zu werden. Wie selten haben wir uns gesehen, seit ich das Haus Deines Vaters verlassen habe! Wir wollen uns künftig schreiben. Glaubst Du, daß es mir weniger schwer fällt, mich von Dir zu trennen, ich muß es unseres künftigen Glückes wegen – bleib Du mir nur treu! Du mußt mein werden!«
Die Liebe übte auch diesmal wieder ihre Macht aus – Marie wurde etwas beruhigt. Es war spät geworden, als sie sich endlich trennten. Georg wollte sie begleiten, sie drängte ihn zurück. – »Man darf uns nicht zusammen sehen« – sprach sie – »mein Vater würde es erfahren und ich seinen ganzen Zorn zu ertragen haben.«
Wie eine Verfolgte eilte sie flüchtig über die Straße und erreichte unbemerkt ihre Kammer. Die Aufregungen dieses Tages hatten sie zu sehr erschöpft, als daß trotz ihres Schmerzes sich der Schlaf ihrer nicht hatte bemächtigen sollen.
Wenige Tage nach diesem Vorfalle hatte Georg die Stadt verlassen; Niemand mußte, wohin er gegangen war. Vergebens hatten ihn seine Freunde zurückzuhalten gesucht, über das, was ihn vorzugsweise fortgetrieben, hatte er sich nicht ausgesprochen.
Die Polizei hatte keine nähere Spur des Thäters entdeckt und deshalb auch keine weiteren Schritte zu thun vermocht. Zwar hatte das allgemeine Gerücht Gerecke immer offener als den Thäter bezeichnet, da indeß kein Beweis gegen ihn vorlag, so war auch nichts gegen ihn geschehen.
Er selbst hatte gethan, als ob er keine Ahnung von dem Gerüchte habe, und durch sein offenes, dreistes Auftreten, durch seine unverhohlenen Aeußerungen über Georg und die Nichtswürdigkeit des Diebstahls war es ihm zum wenigsten gelungen, bei Manchem den Verdacht von sich abzulenken.
Sein Ansehen hatte indeß bedeutend durch dies Gerücht gelitten, und er empfand dies am deutlichsten durch die wenigen Aufträge, die er erhielt. Er ertrug dies anfangs mit Gleichgiltigkeit, die Entfernung Georg's aus der Stadt war ihm dafür eine Genugthuung, und er hoffte auch, daß das üble Gerede bald ein Ende nehmen werde. Zu seinem eigenen Schaden behielt er deshalb eine zeitlang dieselbe Anzahl von Gesellen.
Der Eindruck, den jenes Gerücht hervorgerufen, war indeß ein bleibender. Ueber Georg wurde kaum noch in der Stadt gesprochen, man hatte ihn und den ganzen Vorfall fast vergessen, aber das Vertrauen zu Gerecke blieb einmal erschüttert, weniger und immer weniger hatte er zu thun.
Vergebens suchte er seinen Groll darüber zu verbergen, vergebens versuchte er alle Mittel, das Vertrauen und die frühere Arbeit wieder zu gewinnen. Er setzte wohlfeilere Preise an, bemühte sich auswärts bei einigen Fabriken – es mißlang und er sah sich genöthigt, in kurzem Zeitraume vier seiner Gesellen fortgehen zu lassen. Die geringere Einnahme hätte ihm trotzdem ein behagliches Leben gestattet, da er wohlhabend war, sein gekränkter Ehrgeiz ließ ihn indeß ein solches nicht mehr finden. Seine Stimmung war eine erbitterte und launenhafte, und je weniger er sie gegen Fremde zeigen mochte, um so ungehinderter ließ er sie in seinem Hause gegen die Seinen hervortreten.
Ein neues Ereigniß sollte noch hinzukommen, um seine Erbitterung zu erhöhen. Alle drei Jahre fand eine theilweise Neuwahl der Rathsherrn statt, und wenn auch meistentheils die früheren Rathsherrn wieder gewählt wurden, wenn sie nicht zu alt geworden waren, oder sich etwas zu Schulden hatten kommen lassen, oder freiwillig auf dieses mit manchen Mühen und Verdrießlichkeiten verbundene Ehrenamt verzichteten, so war dies doch nur eine Gewohnheit, die ebensogut Ausnahmen erleiden konnte.
Gerecke gehörte zu denen, die aus dem Rathe ausscheiden mußten, die also nur in Folge einer Neuwahl in denselben wieder eintreten konnten. Wäre nicht das für seinen Ruf so verhängnißvolle Gerücht erst kurz vorhergegangen, so hätte es keinem Zweifel unterlegen, daß er fast einstimmig wieder gewählt wäre, jetzt verhehlte er sich indeß nicht, daß seine Wiederwahl sehr zweifelhaft war.
Lag auch nach dem Gesetze durchaus nichts Unehrenvolles darin, so hatten es die Gewohnheit und die Verhältnisse dazu gemacht. Nur mit Schrecken und Bangen dachte Gerecke an diese Zeit. Er besaß noch einen Freundeskreis, auf den er sich wohl verlassen konnte, derselbe war indeß nicht groß genug, um bei der Wahl sich die Majorität zu erringen. Er scheute in diesem Falle indeß keine Geldopfer, da er die Wiederwahl als eine Ehrensache ansah und richtig voraussetzte, daß eine Niederlage zugleich einen noch nachtheiligeren Einfluß auf sein Geschäft ausüben müsse.
Durch solche Opfer war es ihm gelungen, die Zusicherung mancher Stimme zu erkaufen, und mit größerer Hoffnung und Ruhe konnte er dem Wahltage entgegensehen. Diese Wahlumtriebe glaubte er so geheim ausgeführt zu haben, daß Niemand eine Ahnung daran hatte, und kam später auch einiges davon an den Tag, so war er sicherlich nicht der einzige, der zu solchen Mitteln gegriffen hatte – für alle Fälle saß er wieder für sechs Jahre in dem Rathe der Stadt. –
Noch zwei Tage waren Zeit bis zu der Neuwahl. Es war Nachmittag und Gerecke befand sich in seinem Zimmer. In zufriedener Stimmung schritt er darin auf und ab. Soeben war einer seiner Vertrauten, der für ihn wirkte, bei ihm gewesen und hatte ihm mitgetheilt, daß er aufs neue einige Stimmen für ihn gewonnen habe. Er hatte mit ihm alle Stimmen, auf die er fest rechnen zu können glaubte, zusammen gezählt, und seine Majorität stand ziemlich gesichert da. Dies hatte ihm wieder ein erhöhtes Zutrauen zu sich selbst gegeben, und zum erstenmale richtete er an Marie, die ins Zimmer trat, einige freundliche Worte. Ihre bleichen Wangen fielen ihm auf und er fragte sie, ob sie sich unwohl fühle.
Sie verneinte es. Was ihr fehlte, konnte sie ihm am wenigsten gestehen, und erst jetzt, nach Wochen, fiel es ihm auf, daß ihre frische Gesichtsfarbe längst geschwunden war. Er hatte kein Auge dafür gehabt. Unwillkürlich mußte ihr dieser Gedanke kommen und alles das in ihrer Erinnerung wachrufen, was sie gelitten hatte.
»Denkst Du etwa noch immer an den Burschen, durch den ich so vielen Aerger gehabt habe?« – fragte Gerecke weiter.
»Durch ihn?« – wiederholte Marie erstaunt. – »Er hat Dir nichts zu leid gethan!«
»Wie?« – rief ihr Vater heftig – »Du willst ihn mir gegenüber noch in Schutz nehmen? Hat er sich nicht gerühmt, daß er die besten Arbeiten, die aus meiner Werkstatt hervorgegangen, angefertigt habe, bin ich seinetwegen nicht in jenes thörichte Gerücht verwickelt?«
»Er war der beste Arbeiter unter Deinen Gesellen« – warf Marie ruhig ein.
»Schweig!« – rief Gerecke aufgebracht, da er von den Seinen am wenigsten einen Widerspruch vertragen konnte. – »Kein Wort mehr über den Burschen! Er hat ja geprahlt, daß er uns Meistern allen durch sein Meisterstück ein Räthsel aufgeben wolle, das keiner lösen könne – jetzt wird er als Gesell in der Welt umherlaufen und wäre vielleicht froh, wenn ihn jetzt einer von diesen Meistern an seinem Tische essen ließe! Der kommt einmal noch zu mir und bittet mich, daß ich ihm Arbeit und Brot gebe!«
»Nie – nie!« – rief Marie, jede Furcht vor ihren Vater vergessend. – »Eher würde er verhungern! Gottlob er hat Dich nicht nöthig!«
»Schweig!« – fuhr Gerecke noch heftiger heraus. »Ich weiß wohl, daß Du dem Buben noch anhängst, aber ich will Dich von ihm reißen, verlaß Dich darauf. Siehe, ehe ich zugebe, daß Du sein Weib wirst, ehe soll Dich mein eigener Mund …«
»Vater!« – unterbrach ihn Marie, ehe er seine Worte vollendete. – »Ich habe Dir gehorcht und von ihm gelassen, ihn zu lieben und an ihn zu denken, kannst Du mir nimmer wehren!«
»Ha! Ich sollte Dir das nicht wehren können! Du willst den Menschen lieben, den ich hasse, wie ich keinen zweiten Menschen hasse! Ich will Dich dahin bringen, daß Du ihn vergißt und solltest Du selbst darüber zu Grunde gehen!«
»Ich werde zu Grunde gehen« – erwiderte das Mädchen halb flüsternd und eilte weinend zum Zimmer hinaus. Ihr Vater rief ihr noch ein drohendes Wort nach, doch sie hörte es nicht mehr.
Nie hatte sie ihrem Vater so entschieden entgegenzutreten gewagt, nur ihre Liebe hatte ihr den Muth dazu gegeben. Er selbst hatte sie ja durch seine mitleidslose Härte mehr und mehr von seinem Herzen gestoßen, sie hatte Alles von ihm ertragen, aber einmal kam auch die Zeit, wo ihr Dulden erschöpft war. Mit dem Vertrauen zu ihm war auch ein Theil ihrer Liebe geschwunden. Sie wußte, daß er ihr ganzes Lebensglück ruhig seinem Stolze und Hasse zum Opfer brachte, deshalb fühlte sie endlich den Muth in sich, selbst dafür zu kämpfen.
Gerecke war auf das heftigste aufgebracht. Es mußte weit mit ihm gekommen sein, wenn seine eigene Tochter seinem Willen nicht mehr gehorchen wollte.
»In dieser Stimmung trat ein Mann zu ihm ein, dessen Erscheinen ihn in nicht geringes Erstaunen versetzte.
Es war der Advokat Hartung, eine kleine hagere Gestalt von ungefähr vierzig Jahren. Seine kleinen, dunklen Augen, das ewige Lächeln um den fest verschlossenen Mund, die starken Brauen gaben seinem keineswegs häßlichen Gesichte einen unangenehmen Ausdruck. Hartung galt als reich und zugleich geizig, er war schlau, mit allen Wegen und Schlichen der Gesetze vertraut und deshalb von den Meisten gefürchtet, von noch mehren gemieden, weil darin fast alle einstimmten, daß er kein Mittel und kein Unrecht scheue, um zu seinem Ziele zu gelangen. Er selbst kannte dieses Urtheil, das man über ihn fällte, es war ihm indeß ziemlich gleichgiltig. Seine Schlauheit und Klugheit verschaffte ihm Prozesse genug, wer nothwendig Geld bedurfte, sei es auch zu noch so hohen Zinsen, kam dennoch zu ihm, und er strebte nicht nach Achtung, sondern nach Geld.
Gerecke kannte diesen Mann sehr wohl, nie hatte er indessen etwas mit ihm zu thun gehabt, denn er verachtete ihn. Deshalb sein Erstaunen, als er ihn ins Zimmer treten sah. Fragend ruhten seine Augen auf ihm. Der Advokat verstand diesen Blick. – »Ich wünsche mit Ihnen zu sprechen, Herr Gerecke« – sprach er.
»Mit mir? – Was wünschen Sie?« – warf der Gefragte erstaunt ein.
»Ich muß zuerst wissen, ob wir hier allein und unbelauscht sind – es ist Ihretwegen.«
Gerecke's Staunen wuchs. Des Mannes Lächeln schien ihm so unheimlich. Was konnte er wollen? Was hatte er mit ihm zu schaffen?
»Wir sind es« – erwiderte er stockend. – »Was wünschen Sie?«
»Ich habe nur eine Bitte an Sie, Herr Gerecke. Ehe ich sie indessen ausspreche, muß ich einiges Andere berühren. Uebermorgen ist die Neuwahl der Rathsherren …«
»Ich weiß es! Wozu das?« – unterbrach ihn der Meister ungeduldig und unruhig.
»Bitte, lassen Sie mich sprechen« – fuhr Hartung lächelnd fort. – »Ich weiß, wie viel Ihnen an der Wiedererwählung gelegen ist. Ich weiß, daß Sie manche Feinde haben und welche Mittel von Ihnen angewandt sind, um eine Anzahl Stimmen für sich zu gewinnen …«
»Was wissen Sie? Was geht Sie das an?« fuhr Gerecke auf.
»Bitte – ich bin noch nicht fertig. Es geht mich allerdings weniger an, als Sie selbst. Sie haben sich mehre Stimmen erkauft, daß heißt, durch Geld, also durch Bestechung für sich gewonnen, gesetzlich ist dies strafbar.«
Wieder unterbrach ihn Gerecke. »Herr, können Sie mir das beweisen? Und was geht das Sie an.«
»Hören Sie mich ruhig an. – Ich kann es beweisen und könnte Ihnen sogleich neun Fälle nennen, doch es liegt nicht in meinem Interesse, es zur Anzeige zu bringen. Wenn ich es indessen thäte, da ich es beweisen kann, so würde Ihre Wiedererwählung zur Unmöglichkeit!«
Gerecke war in der peinlichsten Stimmung. Unruhig und zugleich aufgebracht sprang er von dem Stuhle, auf dem er sich niedergelassen, auf. – »Es ist nicht wahr!« – rief er. – »Beweisen Sie es mir!«
»Das wäre mir ein Leichtes« – erwiderte Hartung ruhig. – »Ich verarge Ihnen die Anwendung dieser Mittel nicht. Es muß Ihnen viel daran liegen, Rathsherr zu bleiben, auch ich wünsche dies – ohne diese Mittel würden Sie nicht wieder gewählt, denn das üble Gerücht, in dem Ihr Name verwickelt war.
»Welches Gerücht? Herr – Sie wagen!« – rief Gerecke heftig aufgebracht und unruhig.
Hartung lächelte. – »Ich meine das Gerücht, daß Sie jenes Schloß gestohlen haben sollen.«
Gerecke erbleichte. Schnell faßte er sich indessen wieder. – »Verlassen Sie mein Haus!« – rief er seiner Sinne kaum noch mächtig. – »Fort! aus meinem Zimmer! Ich werde Sie verklagen.«
»Das thun Sie nicht« – entgegnete Hartung ruhig, ohne sich zu rühren. – »Ich weiß, wo das Schloß geblieben ist – wer es gestohlen hat!«
Gerecke trat erschreckt einen Schritt zurück – er war nicht im Stande, ein Wort über seine Lippen zu bringen.
»Auch Sie wissen es ja« – fuhr der Advokat fort – »denn Ihr Geselle hat es gestohlen und es befindet sich in Ihrem Besitze.«
Kraftlos sank Gerecke auf einen Stuhl und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Dann sprang er wieder wie ein Verzweifelnder empor, faßte den Advokaten bei beiden Schultern, schüttelte ihn heftig und rief ihm entgegen: »Sie lügen! Sie lügen! Ich weiß nichts davon!«
Das ruhige Lächeln Hartung's bewies deutlich, daß er den Zornausbruch dieses ihm an Körperkraft so bedeutend überlegenen Mannes nicht im Geringsten fürchtete. – »Hören Sie mich lieber ruhig an« – erwiderte er. – »Glauben Sie, daß ich eine solche Beschuldigung aussprechen würde, wenn ich sie nicht beweisen könnte? Setzen Sie sich, ich habe noch Mehres mit Ihnen zu sprechen. Ich will Ihnen beweisen, daß ich um Ihr Geheimniß weiß. Der Zufall führte mich an jenem Abende, an dem Sie mit Ihrem Gesellen den Plan besprachen, in die Nähe Ihres Gartens. Es war schon spät und Sie vermutheten Niemand in der Nähe, sonst würden Sie weniger laut gesprochen und noch weniger gerade jene Laube dazu gewählt haben, die dicht an dem Gartenzaune liegt. Ich habe ein sehr scharfes Gehör, das will ich zugeben, aber es ist mir auch kein Wort entgangen. Ich kannte Ihren ganzen Plan, ehe er zur Ausführung kam, ich wußte, wann er ausgeführt werden sollte. In jener Nacht, in der das Schloß durch Ihren Gesellen gestohlen wurde, habe ich ihn beobachtet. Er war bis spät in die Nacht in einem Wirthshause, dann führte er die That aus und übergab Ihnen wieder in Ihrem Garten das Schloß, und ich weiß, daß es noch in Ihrem Besitze ist. Sie sehen, daß ich Alles genau weiß. Ich kenne auch die Motive, die Sie zu dieser That veranlaßt haben, der junge Mann sollte hier nicht Meister und Ihr Konkurrent werden. Doch das geht mich nichts an. Sie zu verrathen lag nicht in meiner Absicht. Ich wollte Sie nicht ins Unglück stürzen, weil ich auf Ihre Freundschaft rechnete Und eine Bitte habe, die Sie mir unter diesen Verhältnissen gewiß nicht abschlagen werden.«
Er schwieg und ließ seinen Blick auf dem Schuldigen ruhen, der völlig zerknickt und außer Stande, ein Wort hervorzubringen, da saß.
»Ich liebe Ihre Tochter« – fuhr der Advokat fort – »und halte bei Ihnen um ihre Hand an. Ich hoffe …«
Gerecke sprang aufgeregt empor. Diesem von der ganzen Stadt verachteten Menschen sollte er sein einziges Kind geben. – »Meine Tochter?« – wiederholte er ihn unterbrechend.
»Ja, Ihre Tochter. Um ihre Hand halte ich an.«
»Nie! Nimmermehr werde ich Ihnen das Mädchen geben!« – rief Gerecke heftig. – »Deshalb haben Sie nur geschwiegen! Deshalb nur! Die ganze Stadt würde mich verspotten! Es geht nicht! Nimmermehr!«
Hartung erhob sich, zuckte mit den Achseln und erwiderte: »Es thut mir leid, daß Sie mich zurückweisen. Unter diesen Umständen halte ich es indessen für meine Pflicht, Alles dem Gerichte anzuzeigen. Sie wissen, welche Strafe Sie erwartet – das Arbeitshaus!«
Ruhig schob er den Stuhl bei Seite und schritt der Thür zu. Das eine Wort: »Arbeitshaus,« wirkte überwältigend auf Gerecke. Er sprang ihm nach und hielt ihn am Arme zurück. – »Bleiben; Sie! – Bleiben Sie!« – rief er mit ängstlich zitternder Stimme. »Ich kann Ihnen meine Tochter nicht geben – sie liebt jenen Menschen, der an all' meinem Unglücke Schuld ist. Ich kann es nicht!«
»Ich verlange ja nur Ihre Zusicherung, nicht die Ihrer Tochter« – erwiderte Hartung ruhig.
Gerecke war in der peinlichsten Lage. Angstschweiß trat auf seine Stirn. Er wußte, daß Marie diesem Menschen nie ihre Hand reichen würde und wenn er sie auch mit Gewalt dazu zwingen konnte, so setzte er ja sein eigenes Ansehen dadurch herab. Vielleicht Niemand in der ganzen Stadt hatte von Hartung so verächtlich gesprochen, wie er. Und nun sollte er sein Schwiegersohn werden – nein, es ging nicht.
Hartung schien seinen Gedankengang zu errathen. – »Ich weiß, daß Sie sehr herabsetzend von mir gesprochen haben« – fuhr er lächelnd fort. – »es wird Ihnen deshalb nicht angenehm sein, mir die Hand Ihrer Tochter zu geben, aber das kann ich Sie versichern, es kann mir Niemand etwas nachsagen, das mich ins Arbeitshaus bringen würde.«
Gerecke's Verlegenheit steigerte sich, er war nicht im Stande, ein Wort hervorzubringen, vor seinen Augen tanzten wilde, verworrene Bilder.
»Ich will Sie nicht drängen. Bis morgen gebe ich Ihnen Zeit, nur das Eine bedenken Sie – entweder – oder. Einen Mittelweg gibt es nicht!«
Er wollte gehen. Wieder hielt ihn Gerecke fast krampfhaft am Arme zurück. »Verlangen Sie von mir, was Sie wollen – nur – nur meine Tochter nicht! Sie stürzen Sie und mich ins Unglück!«
»Sie sind aufgeregt! Weshalb sollte ich Ihre Tochter ins Unglück stürzen?« – erwiderte der Advokat. – »Ich liebe sie und hoffe im Gegentheil recht glücklich mit ihr zu leben. Ueberlegen Sie sich die Sache – morgen sprechen wir uns wieder!«
Ehe Gerecke es hindern konnte, hatte er das Zimmer verlassen. Kraftlos, halb ohne Bewußtsein sank der Schuldige auf den Stuhl zurück. Schande, Arbeitshaus, Unglück – Alles stürmte auf ihn ein. Er dachte daran zu fliehen, sich selbst oder dem Advokaten das Leben zu nehmen, zu Allem fehlte ihm die Kraft und der Muth. Er war so schwach, daß er dem geringsten Unglück nicht auszuweichen vermocht hätte. Nur der Gedanke kehrte immer wieder: »Hättest Du ihm Deine Tochter gegeben, es wäre Alles anders geworden. Du ständest noch da wie einst!« – Und doch haßte er Georg mehr, denn irgend einen Menschen.
Wir brauchen wohl nicht zu schildern, welche Qualen und inneren Kämpfe er erduldete, ehe er zu einem festen Entschlusse gelangte. Hundert Pläne faßte und verwarf er. Sein Blut, seine Gedanken, Alles schien bei ihm in einem fieberhaften Zustande zu sein, aufgeregt, unruhig.
Als Hartung am folgenden Tage zu ihm in's Zimmer trat, schreckte er wie vor einem bösen Dämon zurück. Dennoch gab er ihm das Versprechen, daß Marie die seinige werden solle. Es war dies nicht sein Entschluß, nur die Angst hatte ihm dieses Versprechen abgepreßt, er hoffte Zeit dadurch zu gewinnen – Zeit zu anderen Plänen.
Hartung war vor ihm stehen geblieben und ließ seine Augen forschend auf ihm ruhen. Er schien zu errathen, was in ihm vorging. – »Es ist gut!« – sprach er. »Ich wußte, daß ich dies Versprechen heute von Ihnen erhalten würde. Aber Eins will ich Ihnen bemerken, Herr Gerecke, glauben Sie nicht, daß Sie mich mit diesem Versprechen hinhalten können, ohne es mit der Erfüllung ernstlich zu meinen. Doch Thorheit! Sie wissen ja, daß Ihr Geschick in meinen Händen liegt – wir werden die besten Freunde werden.«
Gerecke schwieg.
»Ich weiß nicht, wie Ihre Tochter gegen mich gesonnen ist« – fuhr Hartung fort. – »Suchen Sie dieselbe zu erforschen und theilen Sie ihr dann ohne Umstände mit, daß ich um ihre Hand angehalten und von Ihnen eine feste Zusicherung erhalten hätte.«
»Und wenn sie sich nun weigert?« – warf Gerecke stotternd ein.
»Ich glaube nicht, daß sie es thun wird« – entgegnete der Advokat. – »Ich weiß, daß Sie in Ihrem Hause bis jetzt immer Ihren Willen durchgesetzt haben. Ihre Tochter liebt Sie, lassen Sie ihr merken, daß Ihr ganzes Lebensglück daran abhänge, daß Sie durch ihre Weigerung unglücklich, elend würden, daß Sie …«
»Lassen Sie – lassen Sie!« – unterbrach ihn Gerecke aufgeregt – »ich werde es thun.«
»Wann?«
»Ich weiß es nicht – ich muß eine günstige Gelegenheit abwarten – ich muß selbst erst ruhiger werden – muß …«
»Nun gut, ich werde Ihnen acht Tage Zeit lassen.
Sie sehen, ich bin nicht unbillig, weil ich auf Ihre Freundschaft rechne. Ich werde mir während der Zeit erlauben, Sie öfters zu besuchen, wir müssen vertraut mit einander werden, mein lieber Herr Gerecke. Meinen Sie nicht auch?«
»Ja – gewiß – recht gern« – stotterte der Gefragte. – »Indeß könnte es leicht Aufsehen erregen, man würde darüber sprechen, Vermuthungen anstellen …«
»Man könnte höchstens vermuthen« – unterbrach ihn Hartung – »daß ich Absichten auf Ihre Tochter hätte und diese Vermuthung ist ja ganz richtig. Ich werde überhaupt aus meiner Absicht und Ihrem Versprechen durchaus kein Geheimniß machen. Im Gegentheil, lieber Herr Gerecke, ich halte es für mich durchaus ehrenvoll, in Ihre Familie zu treten, deshalb werde ich keinen Augenblick Anstand nehmen.«
»Sie wollen doch nicht schon jetzt darüber reden« – fiel Gerecke erschreckt ein.
»Gewiß – gewiß, lieber Herr Gerecke! Meinen Freunden werde ich es noch heute erzählen. Theilen Sie das Ihrer Tochter nur mit. Auf Wiedersehen!«
Hartung verließ rasch das Zimmer.
Gerecke wollte ihm nacheilen und ihn zurückhalten, aber er war zu erschöpft, um sich vom Stuhle zu erheben. Wie von doppelten und dreifachen Fesseln fühlte er sich gehalten und zusammengepreßt. Nirgend – nirgend ein Ausweg! Wurde es schon jetzt bekannt, daß er dem verachteten Menschen seine Tochter versprochen habe, so konnte er nicht darauf rechnen, aufs Neue zum Rathsherrn gewählt zu werden. Alles schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Verzweiflungsvoll barg er das Gesicht in beiden Händen. Er war unfähig zu Allem. Glücklich ging er am folgenden Tage aus der Wahl hervor. Aufs Neue war ihm für sechs Jahre der Sitz im Rathe gesichert. Hartung war der erste, der ihm diese Nachricht überbrachte. So sehr sie ihn unter anderen Verhältnissen auch erfreut haben würde, jetzt konnte sie es nicht. Er mußte als Rathsherr nur um so tiefer fallen, seine Schande war eine um so größere, wenn sein Vergehen entdeckt wurde.
»Nun, Meister, erfreut Sie diese Nachricht nicht?« fragte Hartung, als er sein gleichgiltiges Gesicht bemerkte. – »Es hat Sie doch Mühe und Opfer genug gekostet!«
»Doch – doch!« – fiel er ein. – »Ich hatte es aber nicht mehr erwartet – ich bin deshalb überrascht!«
»Nun, Sie haben es auch nur mir zu danken, daß Sie in der Wahl durchgedrungen sind« – unterbrach ihn Hartung. – »Ich wollte Ihnen gefällig sein, und will offen gestehen, daß es auch mir lieb sein muß, daß mein Schwiegerpapa im Rathe sitzt. Es können Fälle vorkommen, wo es sogar von großem Nutzen sein kann. Ich hoffe nämlich, daß wir von jetzt an in unseren Interessen getreu Hand in Hand gehen werden.«
Gerecke schwieg. Es lag ein Hohn für ihn darin, daß er mit diesem Manne Hand in Hand gehen sollte, und dennoch vermochte er ihn nicht zurückzuweisen. Er war jetzt ganz in der Hand dieses Menschen.
»Haben Sie schon mit Ihrer Tochter gesprochen?« fuhr Hartung fragend fort.
»Nein!«
»Nun ich habe Ihnen ja auch acht Tage Zeit gelassen – ich will Sie nicht drängen, aber ich denke, je eher Sie hierüber in's Klare kommen, um so besser für Sie und mich. So etwas Unbestimmtes ist unangenehm und peinigend, ich weiß das, hier hilft ja doch weiter nichts, als Ihren Willen mit Entschiedenheit durchzusetzen, um Ihr Versprechen zu erfüllen. Zeigen Sie Ihrer Tochter nur sogleich einen entschiedenen Entschluß und sie wird sich fügen.«
Marie trat in diesem Augenblicke in das Zimmer, um ihrem Vater die Nachricht seiner Wiederwahl zu überbringen. Sie hatte keine Ahnung, daß Hartung bei ihm war, und erschrack deshalb, als sie ihn erblickte. Nur mit der größten Verachtung hatte sie stets von ihm sprechen gehört, und sie selbst empfand einen unüberwindlichen Widerwillen gegen ihn.
Hartung sprang zuvorkommend und artig vom Stuhle auf, so wenig Stolz aber auch in ihrem Wesen lag ihn würdigte sie kaum eines Blickes. Sie theilte ihrem Vater die Nachricht mit.
»Ich bedauere, daß ich Ihnen zuvorgekommen bin« – erwiderte Hartung. – »Schon durch mich hat Ihr Vater es erfahren. Ich war bei der Wahl zugegen und darf wohl behaupten, daß ich nicht ohne allen Einfluß darauf gewesen bin; um so erfreulicher ist es mir, daß Ihr Vater wiedergewählt ist.«
Marie wandte sich ohne Erwiderung von ihm ab und verließ das Zimmer. Mit Erstaunen blickte ihr Hartung nach. Diese Kälte und Verachtung, welche in ihrem Blicke lag, hatte er nicht vermuthet. Er wußte, daß sie ihn nie lieben werde – dennoch mußte sie die Seine werden, und dieser Gedanke rief einen spöttisch lächelnden Zug um seinen Mund hervor.
Auch Gerecke war das Benehmen seiner Tochter nicht entgangen und ein Seufzer rang sich aus seiner Brust hervor, bei dem Gedanken an den schweren Kampf, den er mit ihr zu bestehen haben werde. Es galt das Lebensglück seines einzigen Kindes zu vernichten und dennoch konnte er nicht anders, er war zu egoistisch, um sich selbst und seine Ehre zum Opfer zu bringen.
»Sie wird sich hartnäckig weigern« – sprach er zu Hartung, doch dieser war durch des Mädchens Kälte und Zurückweisung zu sehr verletzt, um in diesem Augenblicke Lust zu haben, darauf einzugehen.
»Das ist Ihre Sache« – erwiderte er kurz. – »Ich habe Ihr Versprechen, das Sie erfüllen müssen. Wollen Sie es zurücknehmen, so – so – doch ich habe noch viel Geschäfte heute, Herr Gerecke – meine Zeit ist sehr beschränkt – auf Wiedersehen!« .
Gerecke sprang aufgeregt auf, als er das Zimmer verlassen hatte. Die Gewalt, die dieser Mensch über ihn ausübte, erbitterte ihn, er versuchte an den Fesseln, die ihn einzwängten, zu rütteln – es war nutzlos; sie abzuwerfen, war er nicht im Stande. Der frühere trotzige Sinn regte sich in ihm. Er wollte Marie fragen, ob sie einwillige, dem Advokaten ihre Hand zu reichen, und wenn sie sich weigerte, wollte er sein Versprechen zurücknehmen, dem Menschen sein, Haus verbieten, mochte daraus entstehen, was da wollte. Alle Schande und Strafe schien ihm leichter zu ertragen, als von diesem Manne, den er verachtete und haßte, sich Vorschriften machen, in seinem Willen bestimmen zu lassen. Er kam sich vor wie ein Kind, das vor einer Ruthe zitterte. Das sollte nicht mehr sein, lieber wollte er zu Grunde gehen.
Immer heftiger regte er sich selbst auf, und als Marie wieder zu ihm kam, besaß er nicht einmal den Muth, sie zu fragen. Er schob es hinaus bis zum folgenden Tage.
Hartung kam wieder, ihn zu besuchen, er ließ ihn abweisen unter dem Vorwande, daß er nicht zu Hause sei, weil er seine Gegenwart nicht ertragen konnte. Marie selbst kam unbewußt seinem Wunsche entgegen, indem sie fragte, weshalb jener Mann, den die ganze Stadt verachte, so oft komme. Diesen Anknüpfungspunkt hielt er fest und theilte ihr mit, daß er bei ihm um ihre Hand angehalten habe.
Marie blickte ihn erstaunt, starr an. Sie war nicht im Stande, ein Wort darauf zu erwidern.
»Er ist reich« – fuhr ihr Vater fort – »er liebt Dich!«
»Hundertmal lieber würde ich mir selbst den Tod geben, ehe ich mich mit diesem Manne verbände« – rief Marie. – »Ich verachte ihn, wie ihn alle verachten, ich verabscheue ihn und hätte er tausend Mal so viel Geld. Durch Wucher und Betrug hat er es sich erworben. – Du selbst hast stets nur verächtlich von ihm gesprochen!«
Gerecke war in der peinlichsten Lage – der Gedanke an sein unheilvolles Vergehen stand drohend vor ihm.
»Ich habe ihn zum Theil verkannt« – erwiderte er stotternd – »er ist nicht so schlecht. Ich weiß, daß er Dich liebt – Du – Du mußt ihn nehmen, denn ich habe ihm Deine Hand zugesagt!«
»Meine Hand zugesagt?« – rief Marie erschreckt zurückfahrend. – »Ihm – ihm! – Nein – Das kannst Du nicht!«
»Du mußt ihn nehmen – oder« – er vermochte nicht zu vollenden – »oder ich werde von ihm als Dieb angezeigt und bin verloren.«
»Nie – nie werde ich die seine!« – rief Marie. – »Du kannst mich nicht dazu zwingen – ich verabscheue und verachte ihn!«
»Ich kann Dich nicht zwingen« – fuhr Gerecke über den Widerstand aufgebracht los. – »Mir – mir willst Du Dich widersetzen? Du mußt mir gehorchen – Du sollst sein Weib werden, denn ich habe es fest und unwiderruflich zugesagt und sollte ich Dich mit eigner Hand vor den Altar bringen!«
Marie blickte fest und äußerlich ruhig zu ihrem Vater auf. – »Vater« – sprach sie. – »Du kannst mich nicht dazu zwingen! Schon einmal bist Du meinem Glücke hindernd entgegengetreten – dahin kannst Du mich nimmer bringen, daß ich mich selbst, daß mich andere verachten müssen – so weit reicht Deine Macht und mein Gehorsam nicht!«
»Schweig!« – rief Gerecke heftig, und seine Stimme bebte vor Aufregung. »Ich schwöre, daß Du Hartung's Weib werden sollst und sollten wir beide darüber zu Grunde gehen!«
»Ich werde lieber zu Grunde gehen« – erwiderte Marie und verließ das Zimmer.
Gerecke hatte ihre letzten Worte nicht verstanden. Er wollte sie zurückrufen, um ihr noch zu sagen, daß sein Leben und seine Ehre von ihrem Gehorsam abhingen – er vermochte es nicht, denn ihre entschiedene Ablehnung hatte ihn erbittert.
Marie suchte bei ihrer Mutter Trost, und diese war über das Verlangen ihres Mannes nicht weniger erschreckt und entrüstet. Sofort eilte sie zu ihm, um ihn davon abzubringen, aber sein Entschluß stand fest, jeder Widerspruch dagegen machte ihn noch hartnäckiger. Nur so viel gestand er ihr zuletzt, daß Marie den Advokaten, den er selbst verachte, heirathen müsse, weil sie alle sonst verloren seien.
Sie begriff ihn nicht, aber so viel wußte sie bereits aus dem aufgeregten Zustande, der ihn seit Tagen und Wochen nicht verlassen hatte, daß er sich etwas habe zu Schulden kommen lassen, das ihm zum Verderben gereichen konnte. Sie sah es auch jetzt aus seiner Angst, die er nicht zu verbergen vermochte. Sie fühlte Mitleid mit ihm und doch konnte sie auch nicht zugeben, daß ihr Kind die Frau eines Mannes wie Hartung werde. Sie besaß nicht die geringste Entschiedenheit und Willensstärke, sie wußte, daß sie wenig Macht über ihren Mann besaß, wenn er einmal einen festen Entschluß gefaßt hatte, ihre ganze Hoffnung setzte sie deshalb auf die Zeit – es konnte ja noch Vieles hindernd dazwischen treten, was Niemand im Voraus zu berechnen vermochte.
In Mariens Brust dämmerte bereits eine Ahnung, weshalb ihr Vater auf einer Verbindung mit Hartung bestehe. Hatte nicht Georg bereits den Verdacht gegen
sie ausgesprochen, daß ihr Vater es gewesen, der das Schloß, sein Meisterstück – – sie hatte es nicht glauben können, und doch kehrte dieser Verdacht immer und immer wieder zu ihr zurück. Wenn Hartung darum wußte, wenn er an der That vielleicht Theil genommen hatte und sie nun als Lohn für sein Schweigen forderte! Die Worte ihrer Mutter, daß ihr Vater gesagt habe, durch ihre Weigerung werde er unglücklich – sei er verloren, machten ihre Vermuthung zur Gewißheit!
Rathlos, in Verzweiflung rang sie die Hände. Dem Manne sollte sie ihre Hand reichen, der das Glück ihres Geliebten schändlich vernichtet! Eines Bubenstreiches wegen sollte sie zum Opfer fallen! Und wenn sie es nicht that, brachte sie Schmach und Elend über ihren Vater. Sie sah keinen Ausweg, keine andere Rettung, und hatte Niemand, dem sie sich hätte anvertrauen können.
Da durchzuckte sie ein Gedanke. Wenn ihr Vater die Stadt, das Land verließe für immer! Er war reich genug, um in fremdem Lande ohne Noth leben zu können! Sie wollte ihn begleiten, ihn pflegen und lieben, wenn er nur dieses Opfer nicht von ihr verlangte.
Sogleich in der ersten Aufregung, in welche sie diese schwache Hoffnung versetzt hatte, eilte sie zu ihm. Sie flehte, von seinem Verlangen abzulassen, sie verrieth ihm, daß sie Alles wisse, weshalb er auf dieser Verbindung bestehe – er erschrack, aber der Gedanke daran ließ ihn in seinem Entschlusse nicht wanken. Wenn sie es auch wußte – von seiner Tochter hatte er keinen Verrath zu befürchten. Er würde ihren Bitten vielleicht nachgegeben haben, hätte sich nicht das spöttisch lächelnde Gesicht des Advokaten stets zwischen sie gedrängt.
»Es muß sein!« – rief er endlich. – »Ich habe es versprochen und geschworen. Oder willst Du mich durch Deinen Widerstand in's Unglück stürzen, willst Du Deinen eigenen Vater in's – ins –« er vermochte nicht weiter zu sprechen.
Marie schwieg und starrte gedankenvoll auf den Boden.
»Sprich, sprich, ob Du mein Leben und meine Ehre zu Grunde richten willst?« – fuhr er mit milderer Stimme fort. – »Wäre ein anderer Weg möglich ich würde Dich am wenigsten dazu drängen – es muß sein!«
Marie wollte etwas erwidern. Ihre hervorstürzenden Thränen drängten jedes Wort zurück. Leidenschaftlich weinend eilte sie aus dem Zimmer.
Etwas beruhigter blickte ihr Gerecke nach. Aus ihrem Schweigen glaubte er ihre Einwilligung zu erkennen. Daß sie dieselbe nicht gern gab, konnte er ihr nicht verargen, und nur an sich selbst denkend, tröstete er sich mit dem Gedanken, daß sie nicht so unglücklich werde, als sie befürchte, da Hartung sie wirklich zu lieben scheine.
Das Gespräch zwischen ihm und seiner Tochter war indessen von Jemand belauscht, an den er in diesem Augenblicke am wenigsten gedacht hatte, nämlich von dem Genossen seines Vergehens, seinem Gesellen.
Der Nassauer hatte längst bemerkt, daß sein Meister einen heimlichen Plan verfolge. Hartung's wiederholte Besuche waren ihm nicht entgangen, er hatte sie indessen nur mit der Wiederwahl zum Rathsherrn in Zusammenhang gebracht. Der Zufall hatte ihn während dieser Unterredung in ein Nebenzimmer geführt und kein Wort war ihm entgangen. Er war überrascht. Seine eigenen Pläne wurden dadurch gekreuzt, er war indessen nicht der Mann, der sich durch ein Hinderniß zurückschrecken ließ.
Als der Meister gegen Abend zu ihm in die Werkstatt trat, paßte er einen Augenblick, in dem er mit ihm allein war, ab und sprach zu ihm: »Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen.«
»Was willst Du? Sprich« – erwiderte Gerecke kurz und unwillig, denn er kannte die freche Dreistigkeit dieses Menschen, den er gleichwohl nicht beleidigen und auch nicht fortschicken durfte, weil sein Geschick in dessen Hand lag.
»Ich muß Sie allein und ungestört sprechen« entgegnete der Gesell. – »Soll ich Sie heute Abend im Garten treffen?«
»Nein« – unterbrach ihn Gerecke. – »Sprich, was willst Du?«
»Hier sage ich es Ihnen nicht« – erwiderte der Nassauer bestimmt. – »Aber heute muß ich Sie noch sprechen!«
So gern Gerecke ihm auch ausgewichen wäre, so wagte er doch nicht, sein Verlangen abzuschlagen. – »So bleib nach der Arbeit hier zurück, ich werde hieher kommen« – erwiderte er und verließ die Werkstatt.
Schon mehremale hatte dieser Gesell Forderungen an ihn gestellt, die er nicht hatte zurückweisen können. Er hatte seinen Wochenlohn erhöhen und ihm mehre Freiheiten gestatten müssen, die er früher nie einem Gesellen erlaubt haben würde. Zwar hatte der Gesell bis jetzt so viel als möglich vermieden, die gemeinsam ausgeführte That zu berühren, aber er kannte ihn hinlänglich genug, um nicht zu wissen, daß, wenn er durch ihn gekränkt werden sollte, er sich nicht scheuen würde, das Geheimniß zu verrathen, wenn ihn auch der schwerste Theil der Strafe treffen sollte.
Er war ihm äußerst unbequem geworden und wiederholt hatte er über ein Mittel nachgesonnen, ihn aus seinem Hause zu entfernen und sein Schweigen zugleich für immer zu erkaufen. Auch jetzt dachte er darüber nach. Daß er dies durch ein Geldopfer erreichen werde, zweifelte er nicht, sein Herz hing indessen zu sehr am Gelde, um sich hierzu zu entschließen, und er befürchtete auch zugleich, daß jener in seiner Forderung unverschämt sein werde.
Dennoch entschloß er sich zuletzt zu diesem einzigen Mittel. Hundert Thaler wollte er ihm geben, wenn er ihm fest versprechen wollte, nie ein Wort über ihr Vergehen zu verrathen und die Stadt für immer zu verlassen. – Gelang ihm dies, so hatte er zum wenigsten von dieser Seite her Ruhe und er konnte dann auch Hartung entschiedener entgegentreten, da dieser dann keinen unmittelbaren Zeugen seiner That mehr hatte.
Mit diesem Entschlusse betrat er am Abend die Werkstatt. Er hatte sich indeß vorgenommen, sein Anerbieten dem Gesellen nicht unmittelbar zu machen, um nicht zu verrathen, wie viel ihm an seinem Fortgehen gelegen sei, und um nicht eine höhere Forderung von dessen Seite hervorzurufen.
»Nun sprich – was willst Du?« fragte er den Gesellen, der bereits zugegen war. – »Ich habe nicht lange Zeit.«
»Erwarten Sie vielleicht den Advokaten wieder?« warf der Gesell mit einem spöttischen Lächeln ein.
»Was geht es Dich an, wen ich erwarte!« – fuhr Gerecke auf. – »Was bekümmerst Du Dich, wer in mein Haus kommt? – Was willst Du von mir?«
Der Nassauer ließ sich durch die barschen, heftigen Worte nicht einschüchtern. Er wußte, daß Gerecke ihn zu fürchten hatte und nicht umgekehrt. – »Sie wissen, Meister« – sprach er – »daß ich Ihnen damals, als Georg nicht Meister werden sollte, sehr gefällig gewesen bin. Mich ging ja die ganze Sache nichts weiter an, und nur Ihretwegen habe ich den thörichten Streich, der mich leicht in's Arbeitshaus hätte bringen können, ausgeführt – ich denke deshalb, eine Hand wäscht die andere.«
»Was willst Du?« – unterbrach ihn Gerecke ungeduldig.
»Ich komme schon darauf« – fuhr jener mit Ruhe fort. – »Ein Meisterstück getraue ich mir auch zu machen. Sie können ohnehin dem Geschäfte nicht ewig vorstehen und Hand mit anlegen, es geht jetzt schon sehr bergab damit, deshalb wollte ich Sie um die Hand Ihrer Tochter bitten – ich denke, das ist der beste Weg, um unser Geheimniß für immer gut zu bewahren.«
»Meine Tochter!« – rief Gerecke überrascht, denn an eine solche unverschämte Anmaßung des Gesellen hatte er nicht im Geringsten gedacht.
»Nun ja« – erwiderte der Gesell verschmitzt lächelnd. – »Ich will natürlich erst Meister werden, aber Ihre Zusicherung möchte ich gern vorher haben.«
»Meine Zusicherung! Schweig!« – unterbrach ihn Gerecke aufgebracht. – »Sei froh, daß ich Dich dieser Unverschämtheit wegen nicht aus dem Hause werfe. Ebenso gut könnte ich meine Tochter an den ersten besten hergelaufenen Burschen wegwerfen!«
»Ho, ho! Meister« – rief der Nassauer sich emporrichtend. – »Für so gut als den Advokaten, auf den die ganze Stadt mit Fingern weist, halte ich mich immer noch. Was man mir vorwerfen könnte – wenn man es wüßte – habe ich Ihretwegen gethan, und ich kann ein Meister werden so gut wie Sie!«
»Schweig!« – rief Gerecke, mit dem Fuße auf die Erde stampfend und seine Aufregung kaum beherrschend.
»Nein« – erwiderte der Gesell ruhig. – »Mir liegt dies schon lange im Sinne und ich möchte, daß wir deshalb endlich einmal ins Reine kommen. Sie haben dem Advokaten Ihre Tochter versprochen, ich denke aber, ich hätte nähere Ansprüche darauf.«
»Du, Ansprüche!« lachte Gerecke bitter. – »Du glaubst mir trotzen zu können, aber bei meiner Seele, ich dulde es nicht länger. Glaubst Du, Deine That sei noch ein Geheimniß? Um uns beide nicht ins Verderben zu stürzen, habe ich dem Advokaten meine Tochter versprechen müssen, denn ihm hast Du uns durch Deine–Ungeschicklichkeit verrathen – er weiß Alles!«
»Er weiß Alles?« – wiederholte der Gesell nicht ohne Schrecken.
»Er hat uns belauscht im Garten, ist Dir nachgefolgt, als Du ins Fenster gestiegen bist und das Schloß geholt hast. Du bist Schuld an all meinem Unglück!«
Diese Wendung hatte der Gesell allerdings nicht erwartet. – »Und weil er Ihre Tochter haben will, hat er geschwiegen!« – rief er. – »Deshalb haben Sie ihm dieselbe versprochen! Ha, ha! Er soll sie nimmer haben, eher zeige ich selbst die That an!«
Gerecke erschrack. – »Um Dich selbst ins Gefängniß zu bringen.«
»Ich weiß, daß ich selbst bestraft werde, vielleicht noch einmal so hart, wie Sie. Ha! Ich frage nichts darnach, ob ich ein Jahr im Arbeitshause sitzen muß, es schadet mir nicht so viel als Ihnen ein halbes Jahr. Ich bleibe Gesell, was ich bin, ob Sie aber Rathsherr und Meister bleiben, fragt sich!«
»Thu es!« – rief Gerecke, – »Richte Dich selbst zu Grunde! Ich will Dir indessen ein anderes Anerbieten machen. Wenn Du mir gelobst, immer darüber zu schweigen und die Stadt zu verlassen, so gebe ich Dir hundert Thaler. Ich sollte es nicht thun, Du kannst indessen mit dem Gelde an einem anderen Orte Meister werden und ein eigenes Geschäft beginnen. Sprich, ob Du darein willigst oder nicht.«
Einen Augenblick schwieg der Nassauer nachdenkend, dann lehnte er es bestimmt ab. – »Hundert Thaler sind bald verthan« – erwiderte er – »Meister kann ich hier auch werden und wenn Sie mir Ihre Tochter geben, habe ich kein Geschäft mehr nöthig – ich bin mit dem Ihrigen zufrieden.«
»Schweig!« – unterbrach ihn Gerecke, indem er erzürnt und drohend dicht vor ihn hintrat. – »Du willst also mein Anerbieten nicht annehmen?«
»Nein!«
»Gut, so sollst Du es bereuen! Ich fürchte Dich nicht! Du hast Dein eigenes Glück von Dir gestoßen!«
Gerecke verließ aufgeregt die Werkstatt.
»Das sehe ich nicht ein, Meister« – rief ihm der Gesell nach – »denn Ihre Tochter müssen Sie mir doch geben!«
Gerecke hatte diese Worte noch gehört, und sie trugen viel dazu bei, seine Unruhe und Verlegenheit zu erhöhen. Von allen Seiten stürmte es auf ihn ein, er sah keinen Ausweg und keine Rettung mehr. Die einzige That rächte sich unendlich schwer an ihm. Mit Schrecken dachte er an den Augenblick, wo Hartung wieder zu ihm kommen werde. Konnte er ihm des Gesellen Verlangen verschweigen? Ließ sich einer von ihnen zurückweisen? Eine qualvoll unruhige und schlaflose Nacht folgte diesem Abende.
Als der Advokat am folgenden Morgen zu ihm kam, ließ er sich wieder verleugnen. Er mußte erst größere Fassung gewinnen, ehe er ihn zu sprechen vermochte.
Kaum eine Stunde darauf erhielt er von Hartung einen Brief, in dem dieser ihm schrieb:
»Zweimal haben Sie mich zurückgewiesen. Es liegt eine Kränkung für mich darin; um Ihnen indessen zu zeigen, wie versöhnlich meine Gesinnungen gegen Sie sind, werde ich heute Mittag zum dritten Male Sie besuchen und hoffe, daß Sie dann für mich zu Hause sein werden.«
Nach diesen Zeilen mußte er ihn empfangen, so unangenehm es für ihn auch war. Ja, seine Furcht vor diesem Manne ging so weit, daß er sogar auf einen Entschuldigungsgrund sann, der ihn zu der Abweisung veranlaßt oder genöthigt habe.
Hartung ließ ihn indessen, als er am Mittag kam, denselben nicht vorbringen. Schon bei den ersten Worten unterbrach er ihn. »Lassen Sie das, lieber Freund! Ich weiß, daß Sie mich nicht gern bei sich sehen und all Ihre Worte werden mich nicht vom Gegentheil überzeugen. Ich gebe zu, daß unsere Freundschaft keinen sehr angenehmen Anfang hat, sie ist für Sie so gut wie aufgenöthigt, aber haben Sie nur Geduld, mit der Zeit werden wir die besten Freunde. Doch sie sehen angegriffen aus. Ist Ihnen etwas Unangenehmes begegnet? Ich hoffe nicht. Haben Sie mit Ihrer Tochter gesprochen? Hat eine etwaige Weigerung Sie so sehr beunruhigt?«
Gerecke wußte kaum, auf welche von diesen hastig ausgesprochenen Fragen er zuerst antworten sollte. »Meine Tochter weigert sich allerdings« – sprach er – »dennoch würde sie, hoffe ich, meinem Verlangen nachgeben. Ein neues Hinderniß ist indessen dazwischen getreten.«
»Sprechen Sie – sprechen Sie!« – drängte Hartung ungeduldig.
»Auch mein Gesell verlangt die Hand meiner Tochter.«
»Ha, ha! Ihr Gesell!« – lachte der Advokat laut. – »Der wird übermüthig. Verlangt er dies als Belohnung für seine Gefälligkeit, mit der er …«
»Er droht, die That anzuzeigen.«
»Er mag damit drohen, aber er wird es nie thun. Er selbst käme am schlimmsten dabei weg. Er hat die That ausgeführt. Sie haben sie nur begünstigt ein paar Jahre Arbeitshaus würden ihm nicht entgehen.«
»Das weiß er« – erwiderte Gerecke – »dennoch würde er es thun, nur um sich an mir zu rächen. Er hat nichts zu verlieren – ich Ansehen, Ehre, Stellung – Alles!«
»Pah! Lassen Sie sich doch durch den Burschen nicht in Aufregung bringen!,« – rief Hartung. – »Geben Sie ihm Geld, das beabsichtigt er wahrscheinlich – und er wird schweigen.«
»Ich habe ihm für den Preis seines Schweigens hundert Thaler geboten – er hat es abgeschlagen und beharrt bei seinem Verlangen!«
»Der Bursch ist schlau und weiß, daß Sie ihm mehr geben müssen. Bieten Sie zwei und will er dann noch nicht, geben Sie ihm dreihundert Thaler!«
»Nein – nein« – fiel Gerecke ein, dessen geiziger Sinn vor solch einem Opfer erbebte. – »So viel kann ich ihm nicht geben, ich würde mich ruiniren. – Hätte ich mich nie in jene unglückselige Sache eingelassen!«
Er schritt aufgeregt, die Hände fest in einander gepreßt, im Zimmer auf und ab.
»Es ist nicht mehr zu ändern« – sprach der Advokat mit schlauem Lächeln. – »Ein Opfer müssen Sie bringen, oder der Bursch spielt uns den schlimmsten Streich. Lassen Sie mich mit ihm sprechen – ich werde ihn einzuschüchtern suchen. Kann er heute Abend zu mir kommen?«
»Ich werde ihn schicken.«
»Gut. Aber wie gesagt, ein Opfer müssen Sie bringen, liebster Freund! Bedenken Sie, was für Sie auf dem Spiele steht! Was sind für Sie einige hundert Thaler! Und haben Sie dieselben nicht sogleich zur Hand – ich helfe Ihnen aus, eine Hand wäscht die andere! Hier, meine Hand! Schlagen Sie ein, daß wir in Allem gut zusammenhalten wollen! Der Bursch soll schweigen und die Stadt verlassen – das soll meine Sorge sein!«
Nur mit Widerstreben legte Gerecke seine Rechte in die ihm dargereichte Hand. Er fühlte, daß er diesem Manne in Allem nachgeben mußte, deshalb war es ihm so unheimlich in seiner Nähe.
»Und Ihre Tochter, meinen Sie, wird Ihrem Verlangen nachgeben?« – fuhr Hartung geschmeidig fort.
»Es ist meine Ueberzeugung. Sie ahnt, weshalb ich es verlangen muß, daß sie mich durch ihre Weigerung unglücklich macht – sie wird sich meinem Befehle fügen, wenn auch mit Widerwillen.«
Hartung war durch diese Worte in heiterste Stimmung versetzt – »Der Widerwille wird sich schon legen« – versetzte er. »Sie kennt mich noch zu wenig, weiß nicht, wie ich sie liebe. Ich kenne das, bester Freund. Die Mädchen haben vor der Hochzeit oft die größten Schrullen, sprechen von Widerwillen und Unglück, weinen und gehaben sich, als ob sie in den Tod gehen müßten, weil sie ihre Hand, wie sie sagen, einem ungeliebten Manne reichen sollen und nach einem halben Jahre sind sie die glücklichsten und zärtlichsten Frauen von der Welt! Ich kenne das, Freund! Es findet sich nichts leichter als Liebe, sobald man erst zur Einsicht kommt, daß man lieben muß.«
Gerecke war befangen genug, sich durch diese Worte, deren trügerischen Schein er nicht einsah, überzeugen zu lassen. Sein Gewissen fand in dieser Anschauung einige Beruhigung und zustimmend erwiderte er: »Sie mögen recht haben!«
»Gewiß habe ich recht« – fuhr Hartung fort. »Sie sehen, ich kenne die Frauen ganz genau. Man kann viel von ihnen erreichen, wenn man sie recht zu nehmen versteht. Verlangt man indeß zu viel von ihnen, so kann man dadurch leicht Alles verderben. Hat eine Frau sich einmal eine Idee fest in den Kopf gesetzt, so sitzt sie auch fester darin als bei irgend einem Manne, und alle Mittel dagegen machen sie nur noch hartnäckiger. Das müssen Sie auch schon erfahren haben, bester Freund?« Gerecke nickte bejahend mit dem Kopfe. – »Sehen Sie nun. Ihre Tochter wird sich jetzt nicht weigern, Ihren Wunsch zu erfüllen, weil sie dadurch Ihr Glück zu erkaufen glaubt, sie hat sich dem Gedanken hingeben, Ihrem Wohle ihr eigenes Glück zum Opfer zu bringen. Diese Idee müssen sie in ihr festhalten und benutzen. Sie dürfen den Zeitpunkt, an dem Sie mir die Hand Ihrer Tochter für immer geben, nicht zu weit hinausschieben. Jetzt wird sie es ruhig ertragen, später, wenn sie sich einmal an den Gedanken Ihres Unglücks gewöhnt hat, wird sie es nicht thun, und weigert sie sich hartnäckig – können Sie sie mit Gewalt zwingen?«
Gerecke vermochte die letzte Frage nicht zu bejahen, er mußte sogar zugeben, daß Hartung's Ansicht nicht unrichtig war, dennoch gefiel sie ihm nicht, weil er gerade auf eine Verzögerung all' seine Hoffnung gesetzt hatte.
»Es wird sich sobald nicht thun lassen« – versetzte er ausweichend.
»Weshalb nicht?« – fragte der Advokat rasch. »Sie müssen doch Gründe dafür haben, nennen Sie mir dieselben. Sind sie wirklich triftig, nun natürlich, so werde ich mich fügen.«
Die Gründe, welche Gerecke hatte, vermochte er nicht zu nennen. – »Das Aufsehen, welches es in der Stadt erregen würde« – erwiderte er stotternd.
»Aufsehen?« – unterbrach ihn Hartung. – »Ich begreife Sie nicht, bester Freund. Sie müssen mir zugestehen, dann hätte es müssen eher Aufsehen erregen, daß Sie mir die Hand Ihrer Tochter versprochen haben. Keinem Menschen ist das aufgefallen. Den Grund kann ich nicht gelten lassen. Haben Sie noch einen anderen?«
Der Schlossermeister schwieg verlegen.
»Ich will Ihnen sagen« – fuhr Hartung fort »was Sie noch im Sinne haben. Es ist Ihr rechter Ernst und Wille nicht, mir Ihre Tochter zu geben. Sie suchen Zeit zu gewinnen und hoffen, daß irgend etwas dazwischen kommen wird, was es verhindert. Ich habe Ihr Versprechen aber sehr ernstlich aufgenommen – mich täuschen Sie nicht. Senden Sie mir heute Abend den Gesellen, ich erwarte ihn.«
Er verließ unwillig das Zimmer, ehe Gerecke ihn zurückhalten konnte. Dieser ging in die Werkstätte, um dem Nassauer zu sagen, daß Hartung ihn am Abend erwarte, um mit ihm zu sprechen.
»Was kümmert mich der Advokat« – rief der Gesell, – »Ich habe nichts mit ihm zu schaffen! Will er etwas von mir, so mag er zu mir kommen.«
Dennoch ging er am Abend zu ihm. Er war auf einen heftigen Auftritt vorbereitet. Die Artigkeit, mit der Hartung ihn empfing, überraschte ihn deshalb doppelt.
»Wir werben beide um die Tochter Ihres Meisters« – sprach er lächelnd – »sie ist ein sehr hübsches Mädchen, trotzdem muß aber Einer von uns beiden zurückstehen.«
»Gewiß« – unterbrach ihn der Gesell. – »Ich habe dasselbe Recht auf sie wie Sie.«
»Hören Sie mich ruhig an« – fuhr Hartung fort »weshalb sollen wir uns über diese Sache verfeinden. Daß Sie dasselbe Recht haben, kann Niemand leugnen; ich habe allerdings Gerecke's festes Versprechen, dennoch würde ich sofort zurücktreten, wenn ich nicht wüßte, daß Ihr Meister Ihnen nie seine Einwilligung geben wird.«
»Gut, dann soll das Mädchen keiner von uns beiden haben!« – fuhr der Gesell auf.
»Sie können es nicht hindern« – erwiderte Hartung ruhig. – »Das hängt von Gerecke's Willen ab. Ich habe sein festes Versprechen.«
»Ich kann es hindern!« – rief der Nassauer bestimmt. – »Wenn ich nun Alles anzeige, wie dann?«
»Dann könnte ich immerhin noch das Mädchen heirathen!« – entgegnete der Advokat lächelnd und mit derselben Ruhe. – »Das werden Sie indeß nicht thun, Sie brächten dadurch nur sich selbst in Schaden.«
»Und ihn« – warf der Gesell ein.
»Das ist noch sehr die Frage. Wenn er nun jede Theilnahme, selbst jedes Wissen um die That leugnet?«
»Das kann er nicht!«
»Und weshalb nicht? Haben Sie Zeugen?
»Er hat das Schloß in Empfang genommen.«
»Das kann er aber leugnen, und Sie können es nicht beweisen.«
»Sie müssen es mir bezeugen.«
»Ich?« – rief Hartung scheinbar überrascht. – »Ich habe nur durch den Zufall begünstigt gesehen, daß Sie in das Fenster stiegen und das Schloß abbrachen. Mehr nicht. Daß Gerecke dabei betheiligt war und darum wußte, war nur eine Vermuthung von mir, die nichts beweist.«
»Er hat Ihnen aber seine Theilnahme eingestanden.«
»Nichts hat er mir gestanden, denn darüber haben wir nicht gesprochen. Ich habe ihm nur gesagt, ich wüßte Alles. Gegen ihn zeugen kann ich also- nicht, und wenn er leugnet, fällt die Strafe auf Sie allein. Schon eine solche Untersuchung müßte indeß für Gerecke sehr unangenehm sein, aber frei ausgehen würde er aller Wahrscheinlichkeit nach, das weiß er, glaube ich.«
Diese Worte verfehlten ihren Eindruck auf den Gesellen nicht, denn sie setzten ihn in Verlegenheit und machten seinen Entschluß schwankend.
Hartung benutzte dies. – »Sie sehen, wie thöricht Sie deshalb durch eine solche Anzeige wirken würden. Ich selbst hätte keinen Schaden dadurch, in Ihrem Interesse indeß rathe ich ab. Fordern Sie von Gerecke Geld, und ich bin überzeugt, er wird es Ihnen geben.«
»Er hat es mir sogar schon angeboten unter der Bedingung, daß ich schweige und die Stadt verlasse.«
»Und Sie haben es nicht angenommen?«
»Nein!«
»Weshalb nicht?«
»Er versprach mir hundert Thaler. Das ist zu wenig, denn sie nützen mir auch nicht viel.«
»Und wie viel verlangen Sie?«
Der Gesell sann einen Augenblick nach und erwiderte dann: »Fünfhundert!«
»Und dann verpflichten Sie sich die Stadt für immer zu verlassen und zu schweigen?«
»Ja.«
»Gut, so verspreche ich sie Ihnen. Ihr Meister wird es nicht thun wollen, es ist viel Geld und er ist genau, ich werde ihn indeß schon bereden, verlassen Sie sich auf mich. Sie können mit dem Gelde Ihr Glück machen und noch zehn Frauen statt eine bekommen. Aber die Bedingungen müssen Sie streng erfüllen. Fragt Sie der Meister heute Abend oder morgen Früh, wie wir uns verständigt hätten, so sagen Sie ihm nur, ich würde ihm Alles erzählen. Verrathen Sie ihm noch. nichts von Ihrer Forderung, er ist hitzig und braust sogleich auf. Glauben Sie mir, bester Freund, Sie würden Ihre Noth mit ihm gehabt haben, wenn Sie sein Schwiegersohn geworden wären. Sie scheinen auch kein sanftes und geduldiges Blut zu haben, das hätte einen ewigen Kampf zwischen Ihnen gesetzt und Meister Gerecke versteht keinen Spaß. Wären Sie in seinem Geschäfte geblieben, so hätte er zeitlebens Meister und Herrn gespielt, er hätte befehlen wollen und Sie hätten arbeiten und verdienen sollen. – Nun ist es nicht so?«
Der Gesell konnte ihm nicht widersprechen, denn er hatte in der That nicht Unrecht.
»Soll ich Ihnen einen guten und aufrichtigen Rath geben« – fuhr Hartung fort – »so verlassen Sie sobald als möglich die Stadt, gehen in Ihre Heimath, werden dort Meister und gründen sich ein eigenes Geschäft. Ich weiß, daß Sie geschickt und fleißig sind, Sie werden sich bald emporschwingen und dann, lieber Freund, dann sehen Sie sich nach einer Frau um, und als Bürger und Meister können Sie an jeder Thür anklopfen. Sehen Sie, das ist mein Rath und ich glaube nicht, daß Ihnen Jemand einen besseren geben kann.«
Auch hierin mußte der Gesell ihm recht geben. Er mußte sich selbst gestehen, daß dies der beste Rath sei, aber er widersprach seinen Entschlüssen, mit denen er hierher gekommen war, so sehr, daß es einiger Zeit für ihn bedurfte, bis er mit sich selbst einig wurde. – »Ich will es thun« – erwiderte er endlich. – »Mögen Sie das Mädchen heirathen, was geht es mich an.«
»Das ist Recht – das ist recht!« rief Hartung erfreut. – »Es wird in Ihrer Heimath an hübschen Mädchen nicht fehlen, dort haben Sie die Auswahl!«
Er reichte ihm die Hand zum Abschiede und sie trennten sich scheinbar als die besten Freunde und beide als zufrieden gestellt.
Zeitig am folgenden Morgen eilte Hartung zu Gerecke. – »Es ist Alles abgemacht und ausgeglichen« rief er, als er zu ihm ins Zimmer trat. – »Ihr Gesell gibt jeden Anspruch auf Ihre Tochter auf, er verspricht zu schweigen und sobald als möglich die Stadt für immer zu verlassen. Können Sie noch mehr verlangen, liebster Freund?«
Gerecke glaubte diesen Worten noch nicht recht. »Und unter welchen Bedingungen?« – fragte er.
»Er verlangt freilich etwas mehr, als Sie ihm angeboten haben. Fünfhundert Thaler ist der Preis, für den Sie ihn in wenigen Tagen und wenn es sein muß, morgen schon los sind!«
»Fünfhundert Thaler!« – rief der Meister erschreckt. – »Die gebe ich ihm nimmermehr!«
»Sie müssen es thun. Seien Sie zufrieden, daß er nicht Tausend Thaler verlangt hat. Denn auch diese müßten Sie ihm geben. Ich will Ihnen zugestehen, daß es ärgerlich ist, wenn man sein Geld auf diese Weise fortwerfen muß, ohne das Geringste dafür zu haben, hier hilft aber nichts. Wir dürfen den Burschen, der einen tollen, eigensinnigen Kopf zu haben scheint, nicht bis zum äußersten treiben. Es war sein fester Entschluß, wenn er Ihre Tochter nicht erhalte, Sie aus Rache ins Verderben zu stürzen. Mit größter Mühe habe ich ihm diesen thörichten Gedanken ausgeredet und nun stellen Sie ein Hinderniß entgegen!«
Gerecke lief in größter Aufregung im Zimmer auf und ab. Fünfhundert Thaler – das ging ihm fast ans Leben. – »Ich kann es nicht« – rief er. – »Ich habe so viel Geld nicht im Hause! Mehr als zweihundert Thaler habe ich nicht und mehr gebe ich auch nicht!«
»Verderben Sie nicht Alles durch Ihren Eigensinn« – erwiderte der Advokat unwillig. – »Weigern Sie sich, so kann der Bursch aus Trotz das Doppelte fordern und auch das müssen Sie schließlich bezahlen, wenn Sie sich nicht selbst in's, Verderben stürzen wollen. Haben Sie nicht mehr als zweihundert Thaler zur Hand – gut, die fehlende Summe sollen Sie heute von mir erhalten. Ich will nicht, daß Sie mich für ungefällig halten sollen. Geben Sie heute dem Burschen noch das ganze Geld, und er verläßt morgen die Stadt. – Nun? Sind Sie hiermit einverstanden?«
Gerecke schwieg, weil er sich noch nicht dazu zu entschließen vermochte. Fünfhundert Thaler waren ein Stück von seinem Herzen. Hartung drängte indeß in ihn und stellte ihm das Thörichte seiner Weigerung mit so überzeugenden Worten vor, daß er zuletzt ausrief: »Meinetwegen! – diese unglückselige Sache bringt mich noch unter die Erde!«
Hartung war erfreut, endlich so viel errungen zu haben, denn ihm lag eben so viel daran, daß der Gesell zufrieden gestellt wurde und die Stadt verließ. Er traute diesem Burschen das Schlimmste zu. Hätte Gerecke ihn durch seine Weigerung so weit getrieben, daß er die That anzeigte, so waren all' seine Pläne vernichtet. Gerecke wurde gleichfalls bestraft, und er besaß dann keine Macht mehr, die Hand Mariens zu erlangen, da er auf ihren freiwilligen Entschluß, die seine zu werden, nie rechnen konnte. Er würde dann überhaupt auch nicht mehr nach ihr verlangt haben, denn die Tochter eines Mannes, der sein Ansehen und seine Ehre in der Stadt verloren hatte, mochte er nimmer zur Frau wählen.
Ohne Verzug eilte er heim und holte das fehlende Geld. Noch an demselben Tage wurde die ganze Summe dem Gesellen übergeben und schon am folgenden Morgen verließ dieser die Stadt, nachdem er versprochen, nie zurückzukehren.
Hartung hatte Gerecke den Rath gegeben, in Frieden und Freundschaft von dem Gesellen zu scheiden und Alles zu vermeiden, was ihn erbittern könne und er hatte es auch versprochen. Als derselbe indeß zu ihm ins Zimmer trat, um von ihm Abschied zu nehmen, vermochte er den Groll, den er so lange in sich verborgen, und den Schmerz über das Geld nicht zurückzuhalten. Er wandte ihm den Rücken zu, als jener ihm die Hand entgegenstreckte, und rief ihm mit barschen Worten zu: er möge sein Haus verlassen, in dem er nichts mehr zu suchen habe.
»Ho, ho! Meister« – rief der Gesell über diese Beleidigung erbittert – »jetzt weisen Sie mich aus dem Hause, als es aber galt ein Schloß für Sie zu stehlen, da war ich Ihnen recht! Sie wollen mit mir nichts mehr zu schaffen haben – gut, Sie sollen zum wenigsten an mich denken. Verlassen Sie sich darauf!«
Er verließ das Zimmer und schlug die Thür heftig zu. Gerecke eilte ihm nach, um ihn für diese Frechheit zu züchtigen, jener hatte indeß die Straße schon erreicht, und eine Stunde später hatte er die Mauern der Stadt hinter sich liegen.
Die Entfernung des Gesellen hatte dem Schlossermeister wenig Ruhe gebracht, denn Hartung drang nun um so mehr in ihn, ihm seine Tochter zu geben. Diesem Verlangen konnte er nicht länger ausweichen und der Tag der Hochzeit wurde bestimmt.
Vergebens hatte Mariens Mutter den Entschluß ihres Mannes zu ändern gesucht, dieser bestand mit Hartnäckigkeit darauf und sie war von jeher nur zu sehr daran gewöhnt, sich seinem Willen unbedingt zu fügen. Sie hatte ihm wiederholt vorgehalten, daß ihr einziges Kind unglücklich werde, er hatte sie nie ruhig angehört. Seine Tochter konnte er kaum noch ansehen. Was in der Stadt über diese Verbindung gesprochen wurde, kümmerte ihn jetzt weniger, scheinbar war sein Ansehen dasselbe geblieben, aber Mariens bleiche Wangen, ihre von häufigem Weinen gerötheten Augen, ihre stille, schweigende Ergebung waren ein steter Vorwurf für ihn, der ihn an seine eigene Schuld mahnte. Seinetwegen opferte er das Glück seines Kindes.
Er suchte diesen Vorwürfen durch Zerstreuung auszuweichen, es gelang ihm zum Theil, sobald er indessen wieder heimkehrte, kamen auch sie wieder. Sein eigenes Haus wurde ihm dadurch zum peinlichen Aufenthalte, und soviel als möglich suchte er es zu meiden.
Dem Advokaten entging nicht, was in ihm vorging, und jetzt, wo er seinem Ziele so nahe war, wo alle Hindernisse beseitigt schienen, bot er Alles auf, Gerecke's Entschluß fest zu halten. Er suchte ihn seinem Hause immer mehr zu entfremden, riß ihn aus einer Zerstreuung in die andere und war schlau genug, seine dahinter versteckte Absicht geschickt zu verbergen. Die meiste Zeit des Tages und der Nächte brachten sie in den Wirthshäusern zu, uns dieses unruhige, rauschende Leben sagte Gerecke bald zu. Hartung ließ sich dadurch nicht fesseln, er theilte es nur, um ihn nicht allein und Zeit zur Umkehr gewinnen zu lassen. War Marie erst die seinige, dann konnte er jede Stunde von diesem Leben ablassen.
Am unglücklichsten von Allen war Marie. Wochen waren seit dem Tage vergangen, an dem ihr Vater ihr sein dem Advokaten gegebenes Versprechen mitgetheilt hatte, und noch befand sie sich in einem fortwährenden Kampfe zwischen ihrem Herzen und ihrer Kindespflicht.
Hundertmal hatte sie den Entschluß gefaßt, der Rettung ihres Vaters ihr Glück und ihr Leben zum Opfer zu bringen, sobald sie dann aber wieder daran dachte, daß sie einem Manne angehören sollte, den sie verachtete, schwankte sie wieder. – Diese fortgesetzten inneren Kämpfe, das Bangen vor ihrer Zukunft, der Schmerz, mit dem sie sich von jeder Hoffnung auf Glück losreißen mußte, hatten ihre Kräfte zuletzt erschöpft. Sie war fast gegen jede Empfindung abgestumpft, nur zuweilen durchzuckte sie der Gedanke, sich gewaltsam aus all diesen Verhältnissen loszureißen. Mit scheinbarer Ruhe und Gleichmuth sah sie den Vorbereitungen zu ihrer Hochzeit zu. Es was ihr, als ob sie dieselben nichts angehen könnten. Stundenlang saß sie da und starrte gedankenlos auf einen Gegenstand, bis sie plötzlich wie erschreckt zusammenfuhr.
Ein Glück für sie war es, daß Georg, so lange er fort war, ihr sehr selten geschrieben hatte; der Schmerz, ihn aufgeben zu müssen, würde sonst stets erneut worden sein – dachte sie doch so schon immer an ihn. In dem letzten Briefe, den sie vor Wochen erhalten, hatte er ihr geschrieben, daß er sich in seiner Vaterstadt befinde, um dort sein Meisterstück zu machen und sich niederzulassen. Er hatte in diesem Briefe neue Hoffnungen auf die Zukunft ausgesprochen und sie aufgefordert, ihm treu zu bleiben. Er wußte nicht, was sie litt, denn mit keinem Worte hatte sie ihm davon geschrieben. Konnte sie dem düsteren Geschicke, das ihr bevorstand, nicht ausweichen, so erfuhr er es immer noch früh genug, und sie wollte seine Ruhe und Hoffnung so lange als möglich erhalten. So war der Tag der Hochzeit immer näher herangerückt. Es war an einem Freitag Nachmittage. Am Sonntage sollte die Trauung stattfinden und am Samstag Abend der Polterabend. Mariens Mutter empfand ihren Schmerz tief genug, um sie während der Vorkehrungen in völliger Ruhe zu lassen, denn sie bedurfte derselben.
Auf ihrem kleinen Zimmer saß Marie am Fenster und starrte in's Freie hinaus. Auf ihrem Schooß lag eine angefangene Arbeit, sie dachte nicht daran. Sie war wirklich auf das Aeußerste erschöpft. Nur zuweilen ergriff ein leises Zittern ihren Körper. Da wurde die Thür leise geöffnet und ein junges, kaum erwachsenes Mädchen trat ein. Marie bemerkte sie nicht; als aber ihr Name von der Eingetretenen leise gerufen wurde, wandte sie den Kopf langsam zur Seite und blickte sie noch immer in Gedanken starr an. Kaum hatte das Mädchen aber einen Brief aus ihrem Kleide hervorgezogen und emporgehalten, so sprang sie fast ungestüm auf und riß ihr den Brief aus der Hand – sie wußte, daß er von Georg kam.
Als sie wieder allein war und den Brief las, in dem Georg ihr schrieb, daß er sein Meisterstück vollendet habe und daß es als ausgezeichnet anerkannt sei, da zog zum ersten Male seit Wochen eine freudige Röthe über ihre Wangen hin und ihre Augen leuchteten wieder. Stets von neuem durchlas sie den Brief und so ganz weilte sie in Gedanken bei Georg und seinen Hoffnungen, daß sie; ihre eigene Lage vergaß.
Endlich drängte sich ihr die Wirklichkeit wieder auf. Sie erbebte davor. Morgen sollte ihr Polterabend sein, sie sollte ihre Hand einem anderen Manne reichen, während Georg so fest und zuversichtlich auf sie hoffte! Es durfte und konnte nicht sein! Sie mußte einen Ausweg finden.
Schon längst hatte sie daran gedacht, zu Hartung zu eilen, sich ihm zu Füßen zu werfen und für ihren Vater und sich selbst Gnade von ihm zu erflehen. Ihr hatte bis jetzt der Muth zu diesem Schritte gefehlt. Jetzt fühlte sie sich stark und gefaßt genug dazu. Der Abend war bereits hereingebrochen, noch mußte sie indessen warten, bis sie unbemerkt das Haus verlassen und über die Straße eilen konnte.
Um allein zu bleiben, schützte sie gegen ihre Mutter Müdigkeit vor. Stunden mußten noch vergehen, ehe sie ihren Plan auszuführen vermochte; seit sie aber wieder Hoffnung auf ihre Zukunft gefaßt hatte, war neues Leben über sie gekommen. Wie Minuten schwanden ihr die Stunden, denn sie träumte von dem Glücke, daß Hartung ihren Bitten nachgeben und sie einst Georg angehören werde.
Als es still in dem Hause geworden war, schlich sie in ein großes Tuch gehüllt aus ihrem Zimmer und verließ vorsichtig das Haus. Es war ein kalter stürmischer Herbstabend. Es regnete und der Wind jagte ihr die Tropfen in's Gesicht. Sie thaten ihrer heißen Stirn und ihren glühenden Wangen wohl. In ihrem Herzen war es noch viel unruhiger und aufgeregter als in der Natur.
Sie hatte das Tuch über den Kopf gezogen, um sich unkennbar zu machen. – Niemand begegnete ihr auf der Straße. Dicht an die Häuser gedrückt eilte sie rasch dahin. Sie dachte an jenen Abend, an dem sie zu Georg geeilt war, um ihn zu trösten. Wie unendlich viele trübe und trostlose Tage lagen zwischen jener Stunde und jetzt! An diesen Zeitabschnitt mochte sie nicht zurückdenken, er barg alles Leid in sich, das ein Menschenherz zu ertragen fähig ist.
Sie stand vor dem Hause des Mannes, in dessen Hand ihr Glück oder Unglück lag. Die erhellten Fenster seines Zimmers verriethen, daß er zu Hause war. Bis hieher hatte sie einen festen Muth gehabt, jetzt fing er an zu wanken. Sie zitterte bei dem Gedanken, daß sie jetzt allein vor ihn hintreten sollte. Und doch durfte sie nicht zurück – ihr und Georgs ganzes Lebensglück hing von dieser Stunde ab.
Der Gedanke an den Geliebten gab ihr Muth und Fassung zurück. Ehe sie zum zweiten Male in ihrem Entschlusse schwankend wurde, drängte sie die halbgeöffnete Hausthür auf und trat ein, rasch, hastig. Ihre Knie zitterten – sie achtete nicht darauf. Einen Augenblick horchte sie an Hartung's Thür – er war allein. Mit zitternden Fingern pochte sie an – eine mürrische Stimme rief: »herein!« – Sie öffnete und trat ein. Ihr Tuch verhüllte sie noch und ließ sie nicht sofort erkannt werden.
Hartung erhob sich, um ihr näher zu treten. – »Was wünschen Sie?« – fragte er.
Sie zog das Tuch vom Kopfe zurück, und überrascht blieb er stehen. – »Marie, theure Marie! Sie – Sie sind es! Sie kommen zu mir!« – rief er und eilte stürmisch auf sie zu, ihre Hand zu erfassen. Sie trat zurück.
»Herr Hartung!« – sprach sie und ihre Stimme klang fest, obschon sie bebte – »ich komme allein zu Ihnen, weil ich mit Ihnen zu reden habe.«
Hartung hatte sie nie so schön gesehen, wie in diesem Augenblicke, wo die Aufregung eine leise Röthe auf ihre Wangen gebracht hatte. – »Sie sind ein Engel« flüsterte er und versuchte nochmals ihre Hand zu erfassen. Wieder zog sie Marie zurück.
»Sie wollen mir die Hand nicht reichen, die in zwei Tagen für immer mein wird?« – fragte er fast verletzt.
»Hören Sie mich erst ruhig an« – erwiderte sie, indem sie all' ihre Kräfte zusammen nahm. – Hartung schob ihr einen Stuhl hin, sie wies ihn mit der Hand zurück. – »Mein Vater hat Ihnen meine Hand versprochen, ich weiß auch, was ihn dazu bewogen hat um Ihr Schweigen zu erkaufen über eine That, die Sie vereint ausgeführt haben, um einen Menschen unglücklich zu machen.«
»Vereint?« – wiederholte Hartung, überrascht. »Sie irren. Ich habe keinen Theil an jenem Vergehen.«
»Sie haben es nicht mitbegangen?« – unterbrach ihn Marie. – »Mein Vater hätte allein …« Sie beendete ihre Worte nicht.
»Ich habe mit jener That nichts zu schaffen gehabt« – erwiderte Hartung. – »Mit jenem Gesellen, der vor wenig Wochen Ihr Haus verlassen, hat Ihr Vater es ausgeführt.«
»Sie haben aber darum gewußt?«
»Durch Zufall habe ich es entdeckt! – entgegnete der Advokat – »weiter habe ich kein Theil daran.«
Marie ließ sich erschöpft auf dem Stuhle nieder, denn eine Stütze, auf die sie das Gelingen ihres Planes gebaut hatte, war ihr genommen. – »Und ich – ich soll der Preis für Ihr Schweigen sein!« – rief sie endlich mit leidenschaftlicher Aufregung. – »Sie könnten so unbarmherzig sein …«
»Ich liebe Sie!« – unterbrach sie Hartung, indem er näher an sie herantrat. – »Ich will gestehen, daß ich durch das Versprechen meines Schweigens die Einwilligung Ihres Vaters erkauft habe. Er haßte mich, ich mußte deshalb ein solches Mittel anwenden, um mich ihm zu nähern, um Gelegenheit zu finden, mir Ihre Liebe und Ihr Herz zu gewinnen.«
»Meine Liebe!« – rief Marie, indem sie unwillkürlich vor ihm zurückbebte. – »Meine Liebe!« – wiederholte sie. – »Nie – nie kann und werde ich Sie lieben! Sie wissen, wem mein Herz gehört, nur um meinen Vater nicht unglücklich zu machen, habe ich mich bis jetzt seinem Willen gefügt – aber ich kann Sie nie nie lieben!«
Um Hartung's Lippen zuckte jenes spöttische Lächeln, das jedesmal eintrat, wenn er sich verletzt fühlte und dies zu verbergen suchte. – »Im Besitze Ihrer Hand, hoffte ich auch Ihr Herz zu gewinnen« – erwiderte er.
»Nie – nie!« – rief Marie leidenschaftlich. »Herr Hartung« – wandte sie sich zu ihm, indem sie bittend die Hände ihm entgegenstreckte. – »Haben Sie Mitleid mit mir, geben Sie meinem Vater sein Versprechen zurück, ich kann die Ihrige nicht werden Ich weiß, daß Sie vor Allem nach dem Gelde und nach dem Hause meines Vaters streben – dies Alles wird einst mein Eigenthum und feierlich will ich es Ihnen versprechen, wenn Sie von dem Verlangen zurückstehen, mich zu besitzen. Sie sollen Alles – Alles haben, nur entbinden Sie meinen Vater seines Versprechens!«
»Ich begreife – ich verstehe Sie nicht« – antwortete Hartung, durch diese Bitte verwirrt und verlegen gemacht. – »Ich begreife nicht! Morgen ist unser Polterabend, alle Vorbereitungen zu unserer Hochzeit sind getroffen, die ganze Stadt weiß darum und erst jetzt erst heute sprechen Sie Ihre Weigerung aus!«
»Ich glaubte meinem Vater dies Opfer bringen zu können, jetzt wo der Zeitpunkt so nahe herangerückt ist, fühle ich, daß ich nicht die Kraft dazu besitze. – Ich kann es nicht!«
»Und Ihr Vater weiß darum?« – warf Hartung ein.
»Nein! – Er kann mich ja nicht retten, wenn Sie nicht wollen. Aber auch er hat nur mit Widerstreben, nur aus Furcht Ihnen das Versprechen gegeben. Ich weiß, daß schon jetzt der Vorwurf, mein ganzes Lebensglück vernichtet zu haben, an seinem Herzen und seiner Ruhe nagt!«
»Und Sie sehen es wirklich als ein so großes Unglück an – die meine zu werden?« – warf Hartung bitter ein.
»Ich liebe Sie nicht – mein Herz kann Ihnen nie angehören! Ich weiß, daß man nur mit Verachtung von Ihnen spricht, aber als einen edlen Mann will ich Sie verehren, wenn Sie Ihre Ansprüche auf mich zurücknehmen!«
»Sie sind zu gütig!« – erwiderte der Advokat mit Spott. – »Ich würde mich vor der ganzen Stadt lächerlich machen, das könnte durch Ihre Verehrung nicht aufgewogen werden!«
»Sagen Sie, daß Sie freiwillig zurückgetreten sind« – unterbrach ihn Marie – »sagen Sie, daß Sie mich nicht lieben könnten, daß. ich anders sei, als Sie geglaubt hätten – ich will Alles ertragen, will Ihnen nie widersprechen! Haben Sie Mitleid mit mir!«
»Mir bliebe nur Eins zu sagen übrig, um mich zu rechtfertigen« – erwiderte Hartung. – »Ich müßte öffentlich erklären, daß ich die Tochter eines Mannes, der einen Diebstahl begangen und das Gefängniß verdiene, nicht zur Frau nehmen könne!«
»Halten Sie ein!« – rief Marie erschreckt. –»Nützt es Ihnen, daß Sie meinen Vater, der sich durch den Haß gegen einen unschuldigen Menschen zu jener unglückseligen That hat verleiten lassen, ins Elend stürzen! Können Sie mit ruhigem Gewissen das Glück einer ganzen Familie vernichten!«
»Mein Gewissen kommt hierbei nicht in Gefahr, denn eigentlich war es meine Pflicht, das Verbrechen anzuzeigen, – nur die Liebe zu Ihnen hielt mich zurück!«
»Sprechen Sie das Wort Liebe nicht aus« – fiel Marie ein. – »Sie haben mich nie geliebt, sonst hätten Sie mich nicht so leiden sehen können, sonst würden Sie jetzt Mitleid mit mir haben.«
»Sie sind aufgeregt, sonst würden Sie nicht so sprechen. Ich hoffe, Sie werden beruhigter werden, sobald wir vereinigt sind und Sie erkannt haben, daß mir Ihr Glück am Herzen liegt!«
»Haben Sie Mitleid mit mir, verlangen Sie nicht ein Opfer, das ich nicht bringen kann!« – rief Marie leidenschaftlich, indem sie bittend vor ihm niedersank. »Immer werde ich Ihnen dankbar sein, wenn sie meine Bitte erfüllen – weisen Sie dieselbe nicht zurück!«
»Stehen Sie auf« – unterbrach sie Hartung – »ich kann meine Braut nicht vor mir knieen sehen. Seien Sie ruhig – in zwei Tagen sind wir für immer verbunden!«
»Für immer verbunden!« – wiederholte Marie, indem sie emporsprang. – »Sie haben meine Bitte abgeschlagen, Sie haben kein Herz für mein Unglück – gut, ehe ich die Ihrige werde, lieber gebe ich mir selbst den Tod!«
»Theuerste Marie, Sie sind zu aufgeregt« – erwiderte Hartung, indem er an sie herantrat und ihre Hand erfaßte.
Heftig entzog sie ihm dieselbe und stieß ihn zurück. – »Ihre geringste Berührung entehrt mich – ich verachte Sie!« – rief sie und verließ rasch, in größter Aufregung das Zimmer und Haus.
Diese Heftigkeit hatte den Advokaten überrascht. Er wollte ihr nacheilen, um sie zurückzuhalten und zu beruhigen, als er indeß die Hand an die Thür legte, besann er sich eines Anderen und kehrte in das Zimmer zurück. – »Sie ist zu aufgeregt, um Vernunft anzunehmen« sprach er zu sich selbst. – »Ist sie erst die meinige, so werde ich mich gegen solche Auftritte schon sicher stellen sie wird es nie wieder wagen. – Sie will sich lieber das Leben nehmen? Pah! Es ist nur eine kleine That, aber es gehört ein großer Entschluß dazu. Das Leben gewinnt an Reiz, wenn man daran denkt, es zu verlassen. Sie wird morgen Früh ruhiger sein!«
Wie eine Flüchtige eilte Marie über die Straße. Ihre Brust drohte zu zerspringen vor Schmerz und Erbitterung. Von diesem Manne hatte sie Rettung gehofft und diesem Manne sollte sie ihre Hand reichen. Sie wäre zu der verzweifeltsten That in diesem Augenblicke fähig gewesen, aber sie war zu aufgeregt, um irgend einen Entschluß zu fassen. Gedanken, finstere Bilder, Entschlüsse – Alles jagte in wildem Drängen und Stürmen vor ihrem Geiste vorüber. Ihr schwindelte und das Bewußtsein drohte ihr zu schwinden. Da erreichte sie endlich ihr Haus. Unbemerkt eilte sie auf ihr Zimmer. Kraftlos sank sie auf ihrem Bett zusammen. Seit Tagen hatte sie keine Thräne hervorzubringen vermocht, jetzt stürzten sie gewaltsam aus ihren Augen und gaben ihr einige Linderung. Sie ward ruhiger. Lange Zeit lag sie regungslos da. Sie schlief nicht und wachte auch nicht, denn sie vermochte den Lauf ihrer Gedanken nicht zu hindern und die Bilder nicht zu scheuchen, die sich beängstigend um sie drängten. Da glaubte sie plötzlich Hartung neben sich stehen zu sehen, wie er mit spöttischem Lächeln die Hand zu ihr ausstreckte, um sie an sich zu ziehen. Entsetzt sprang sie empor. Mit leuchtenden Augen blickte sie umher. Sie war allein, aber einen Entschluß schien diese Erscheinung in ihr hervorgerufen zu haben. Hastig raffte sie mehre Sachen in ihrem Koffer zusammen, barg sie in einem Tuche und eilte damit fort aus dem Zimmer und dem Hause. Niemand hatte sie bemerkt. Es war eine stürmische Nacht, der Regen schlug ihr in's Gesicht, sie achtete es nicht, empfand es kaum, in ihr war es nicht ruhiger. Nur fort wollte sie – fort!
Meister Gerecke saß am folgenden Morgen in ziemlich unbehaglicher und unfreundlicher Stimmung in seinem Zimmer. Die Vorbereitungen zu der Hochzeit und dem Polterabend hatten seiner gewohnten Bequemlichkeit viel Abbruch gethan. Er würde dies gern ertragen haben, hätte er dieser Hochzeit selbst nur mit Freuden entgegengesehen. So sah er sie nicht ohne innere Angst und Vorwürfe nahen. Er sah voraus, daß es bei seiner Tochter noch viele Thränen und vielleicht selbst heftige Auftritte geben werde, die ihm um so unangenehmer sein mußten, als sie an diesen beiden Tagen nicht ohne Zeugen bleiben konnten und es offen ans Licht brachten, daß er seine Tochter zu dieser Verbindung gezwungen hatte.
Dies Alles wirkte verstimmend auf ihn und er wünschte sehnlichst die folgenden Tage erst hinter sich zu haben. Nicht unlieb war es ihm deshalb, als Hartung ins Zimmer trat. Er konnte hoffen, von ihm aufgeheitert und zerstreut zu werden, und ohnehin hatte er in der letzteren Zeit bei öfterem und vertrauterem Zusammensein sich ziemlich mit ihm ausgesöhnt.
Auch Hartung schien indeß keine heitere Stimmung mitzubringen. Marie's Besuch am Abende zuvor, ihre Worte, ihre leidenschaftliche Aufgeregtheit hatten ihn nicht ohne Besorgniß gelassen, und diese hatte ihn zu Gerecke getrieben. Was sollten sie beginnen, wenn das leidenschaftliche Mädchen sich hartnäckig weigerte, mit ihm vor den Altar zu treten. Konnte ihr Vater sie dazu zwingen?
Und wenn er dies auch vermochte, konnte sie nicht selbst noch vor dem Altare durch ein einziges »Nein!« ihre Verbindung zur Unmöglichkeit machen?
Er gehörte keineswegs zu jenen Menschen, die ihre Einbildungskraft absichtlich aufregen und mit phantastischen Bildern erfüllen, er ließ sich weder durch Furcht noch durch Hoffnung je zu einer leidenschaftlichen oder begeisterten Auffassung hinreißen, weil er seinem kalten, ruhig berechnenden Verstand stets die Macht über seine Empfindungen einräumte, dennoch hatte Marie's heftig aufgeregte Stimmung mehrfache Befürchtungen in ihm aufsteigen lassen. Und auch darüber mußte er sich Gewißheit verschaffen, ob ihr Vater nichts davon wußte.
Er traute ihm nicht, da er seine wahre Gesinnung gegen ihn kannte. Den Alten zu erforschen, war ihm ein Leichtes. ö Scheinbar ganz ruhig erzählte er ihm, daß Marie am Abend zuvor bei ihm gewesen sei.
»Meine Tochter? Marie?« – unterbrach ihn Gerecke überrascht. – »Sie bei Ihnen?«
»Ja wohl« – erwiderte er ruhig. – »Haben Sie nicht darum gewußt?«
»Keine Ahnung habe ich davon gehabt!« – versicherte Gerecke. – »Und was wollte sie? Sprechen Sie!«
»Sie hatte nur eine geringe Bitte« – erwiderte der Advokat mit bitterem Spott. – »Sie wünschte nur, daß ich am Tage vor dem Polterabend, während die ganze Stadt von unserer Verbindung spricht, nachdem alle Vorkehrungen getroffen sind – zurücktreten und Sie Ihres Versprechens entbinden möge, weil sie mich nicht liebe.«
Gerecke war zu überrascht, um sofort antworten zu können. – »Und Sie, was haben Sie gemacht? – rief er endlich.
»Was ich gemacht habe?« – wiederholte Hartung. »Ich glaube, ich konnte wohl nur Eins thun, was ich auch gethan habe, ich habe solche kindische Bitte zurückgewiesen.«
Gerecke war aufgestanden und schritt unruhig im Zimmer auf und ab. – »Meine Befürchtungen werden eintreffen« – sprach er – »das eigensinnige Mädchen wird uns noch zuletzt zu schaffen machen! Hätte ich Ihnen doch nie das Versprechen gegeben!«
»Ich habe Sie ja nicht gezwungen« – warf Hartung ein. – »Ich hatte Ihnen ja die Wahl gelassen – entweder – oder. Sie haben mir im Gegentheil erst noch vor wenigen Tagen die Versicherung gegeben, daß sie sich in Ruhe und Geduld Ihrem Willen fügen werde. Sie zeigte gestern Abend allerdings keine Ruhe, sie drohte sogar, sich das Leben nehmen zu wollen!«
»Sie ist auch bis jetzt stets ruhig und geduldig mir gegenüber gewesen« – erwiderte Gerecke. – »Ich hatte keine Ahnung …«
Seine Frau trat aufgeregt ins Zimmer und fragte ihn, ob er Marie nicht gesehen habe.
»Marie? Wo ist sie?« – rief Gerecke erschreckt.
»Ich weiß es nicht« – erwiderte die Frau. – »Es fiel mir auf, daß sie so lange auf ihrer Stube blieb. Ich suchte sie dort auf. Das Zimmer ist leer. Niemand im Hause hat sie gesehen!«
»Allmächtiger Gott!« – rief Gerecke, das Gesicht mit den Händen bedeckend.
»Was hast Du? Was ist mit Marie?« – fragte die Frau erschreckt.
»Sie hat – sie hat sich das Leben genommen« – brachte er mühsam hervor und sank halb bewußtlos auf einen Stuhl zurück.
Der laute Aufschrei der Mutter, ihr Schrecken ließ den Advokaten, der nicht weniger bestürzt war, hinzuspringen, um ihm Beistand zu leisten.
»Beruhigen Sie sich« – bat er. – »Es weiß ja noch Niemand, ob es wahr ist – Sie irren sich – Sie müssen sich irren. Marie wird zu einer Freundin gegangen sein! Sie kann einen so entsetzlichen Schritt nicht gethan haben!«
»Sie hat ihn gethan!« – rief Gerecke, indem er in wilder Aufregung aufsprang. – »Und Sie – Sie erbärmlicher Mensch, haben sie dazu getrieben! Hat sie Ihnen nicht gesagt, das sie sich lieber das Leben nehmen wollte – und Sie – Sie haben doch kein Mitleid mit ihr gefühlt. Sie hat sich das Leben genommen, aber an Dir, Du gottloser Bube, will ich ihren Tod rächen sie war zu gut für Dich schändlichen, herzlosen Heuchler!« – Mit überlegener Kraft und wilder Aufregung erfaßte er den Advokaten und schüttelte ihn so heftig, daß dieser laut um Hilfe rief und sich vergebens aus den eisernen Händen loszumachen suchte. – Mehre Menschen eilten bestürzt herbei, Gerecke bemerkte sie nicht, er hätte Allen Trotz geboten. – »Du sollst ihren Tod büßen, Du sollst ihr nachfolgen, jetzt, sogleich, ehe Du noch ein Vaterunser sprechen kannst, in all Deinen Sünden sollst Du dahin fahren, das mag Deine Hochzeit sein!« – Er war seiner Sinne nicht mehr mächtig. Hartung schrie in höchster Angst noch lauter um Hilfe, Gerecke kümmerte sich nicht darum, mehre Männer fielen ihm in die Arme, er stieß sie wild zurück. Mit beiden Händen hob er die leichte Gestalt des Advokaten hoch empor, trug ihn zum Zimmer hinaus, über die Hausflur und schleuderte ihn durch die Hausthür auf die Straße.
Noch schien sein Zorn nicht befriedigt, denn er wollte ihm nacheilen, mehre Männer hielten ihn indeß zurück und suchten ihn zu beruhigen, während Hartung so gut er vermochte, sein Haus zu erreichen suchte.
Dieser Vorfall, das Verschwinden Mariens, die nirgend aufzufinden war und Niemand bemerkt hatte, rief in der ganzen Stadt das größte Aufsehen hervor. Die verschiedensten Gerüchte über die Härte des Schlossermeisters, der sie mit Gewalt zu dieser Verbindung habe zwingen wollen, waren verbreitet. Daß Marie sich selbst das Leben genommen habe, daran zweifelte Niemand und in dem nahen Fluße, an den Mühlen vor dem Thore suchte man ihren Leichnam, wenn auch vergebens. Keine Spur von ihr ließ sich auffinden.
In dem Hochzeitshause, in dem alle Vorbereitungen zu der nahen Feier bereits getroffen waren, herrschte die größte Verwirrung und Bestürzung. Mariens Mutter war durch den Schrecken und Schmerz so sehr überwältigt, daß sie völlig hilflos und fast unbewußt da lag. Dieser Schlag, auf den sie nicht im Geringsten vorbereitet war, hatte sie zu hart getroffen. Gerecke blieb fortwährend in der größten Aufregung und wurde am Abend desselben Tages, an dem der Polterabend stattfinden sollte, vom Schlage gerührt. Wenn auch nicht todt, so doch gänzlich gelähmt, wurde er in sein Bett getragen, und der herbeigerufene Arzt sprach die Befürchtung, daß der Schlaganfall wiederkehren könne und dann tödtlich wirken werde, offen aus.
Die steten Aufregungen und Sorgen Gerecke's in den letzten Wochen hatten auf seinen sonst kräftigen und gesunden Körper zu mächtig eingewirkt. Außerdem hatte er durch Hartung geleitet und um sich der Selbstvorwürfe und Sorgen zu entledigen, sich in der letzten Zeit mehr dem Genusse geistiger Getränke hingegeben, als er sonst gewöhnt war.
Mit diesem einen Tage war das ganze Glück dieses Hauses, das bis dahin zum wenigsten scheinbar noch bestanden hatte, vernichtet. Marie war verschwunden. Gerecke lag dem Tode nahe in seiner Kammer und seine Frau war durch all das Leiden und Unglück so erschöpft, daß sie nicht im Stande war, sich vom Lager zu erheben. Im dumpfen Brüten lag sie da. Die ganze Größe ihres Unglückes vermochte sie nicht zu fassen, nur zuweilen rief sie heftig auffahrend nach ihrem Kinde, um? gleich darauf wieder in ihre scheinbar gleichgiltige, gänzlich abgestumpfte Geistesstimmung zurück zu sinken.
So schwand die erste Nacht nach diesem Tage hin. Noch immer hatte man am Morgen des folgenden Tages keine Spur von Marie entdeckt. Die Sorge und der Schmerz um sie lasteten auf des unglücklichen Gerecke Seele schwer. Durch den Schlaganfall seiner Sprache fast gänzlich beraubt, und daher für seine Umgebung unverständlich, außer Stande irgend ein Zeichen zu machen, verlangte er stets nach Nachricht von seinem Kinde und seiner Frau, die, um ihn nicht noch mehr aufzuregen, ihm absichtlich verschwiegen wurde. Sein Geist war durch den Schlaganfall unberührt geblieben, alle Verhältnisse vermochte er zu durchdenken und doch gab er sich vergeblich Mühe, sich verständlich zu machen und seinen Willen auszudrücken. Dies vermehrte seine Pein. Auf des Arztes Befehl sollte er soviel Ruhe als möglich haben, aber sein Inneres blieb in der heftigsten Aufregung und er besaß nicht Seelenstärke genug, ein solches dreifaches Unglück mit Geduld zu ertragen.
Seine Frau ließ sich zu ihm geleiten, sie wußte von seinem Unglück, sein gänzlich hilfloser Zustand brach ihr Herz und ihre Kraft und laut weinend sank sie auf sein Bett. Aus ihrem Schmerze errieth er, daß sein Kind todt, verloren sei, und kein Wort des Trostes vermochte er über seine Lippen zu bringen.
Halb ohnmächtig mußte die Frau aus dem Zimmer getragen werden, und als er ihren Zustand sah, als er nicht einmal die Kraft besaß, ihr die Hand zu reichen, erfaßte ihn Verzweiflung. Das Leben, an dem er früher so sehr gehangen, wurde ihm zur Qual, da jede Minute langsam peinigend dahin floß. Er mochte und konnte es nicht länger ertragen und weigerte sich, ferner Arzenei anzunehmen. Kein Zureden und Bitten des Arztes, und seiner Umgebung vermochte ihn dazu zu bewegen, er wollte diesem qualvollen Zustande, von dem er keine Rettung mehr erwartete, ein Ende machen.
Und diesmal drang sein Wille durch. In der folgenden Nacht kehrte der Schlaganfall wieder und machte seinem Leben ein Ende.
Bestürzung erfaßte die ihm Zunächststehenden. Vor wenigen Tagen hatten sie diesen Mann noch so kräftig und gesund gesehen, vor wenigen Monaten noch hatte sein Haus zu den glücklichsten in der ganzen Stadt gezählt. Er war allgemein geachtet und angesehen gewesen, er selbst hatte sich in seiner Familie wohl und glücklich gefühlt, jetzt war sein einziges Kind, an dem er mit ganzer Liebe gehangen, entschwunden, er selbst lag auf dem Todtenbette, und seine Frau war so elend, daß ihr sein Tod verheimlicht werden mußte, weil man bei ihrer Schwäche von dieser Nachricht das Schlimmste befürchtete. Die Werkstatt war leer und in dem Hause selbst war es schon still, wie im Grabe.
Man hatte Gerecke's Benehmen gegen Georg, seine Strenge gegen seine Tochter, die Verbindung mit dem verachteteten Hartung, sein ganzes Leben in der letzten Zeit vielfach getadelt, er selbst war dadurch bei Allen in der Achtung gesunken, dennoch erregte sein Unglück und Tod das allgemeinste Mitleid und Bedauern. Dies alles waren Fehler und Vergehen von ihm gewesen, ihnen gegenüber stand sein ganzes früheres tadelloses Leben.
Nur Einer in der Stadt dachte anders von ihm – es war Hartung. Mit dem glühendsten Hasse dachte er an ihn. Durch ihn war sein mühsam herangebildeter Plan vernichtet, er hatte ihn mißhandelt und dem öffentlichen Spotte preisgegeben. Sein ganzes Sinnen war nur auf Rache gerichtet. Durch den heftigen Wurf, wenn auch nicht lebensgefährlich, so doch nicht unerheblich verletzt, hatte er gleichfalls das Bett hüten müssen. Er wußte, daß Gerecke vom Schlage getroffen war und dem Tode nahe da lag – er fühlte kein Mitleid, eine dämonische Freude durchzuckte ihn. Mochte das Bett, auf dem er lag, auch sein Sterbebett werden, er sollte zum wenigsten die Schande noch mit ins Grab nehmen, daß sein Vergehen entdeckt war.
Zum ersten Male hatte er am Morgen nach Gerecke's Tode, von dem er noch nichts wußte, gegen den Befehl des Arztes das Bett verlassen und sich an seinen Schreibtisch gesetzt, um eine Anzeige über des Schlossermeisters Bergehen aufzuzeichnen. Jede Bewegung verursachte ihm die heftigsten Schmerzen, und diese erhöhten noch seinen Zorn gegen den Mann, der ihm dies Leid zugefügt. Nur in der Freude, ihm die bitterste Kränkung in seinem ganzen Leben zu bereiten, fand er einige Genugthuung und Beruhigung.
Eben hatte er die mit Mühe aufgezeichnete Anzeige beendet, und es bedurfte nur noch, sie dem Gerichte zu übersenden, da trat seine Haushälterin zu ihm ins Zimmer und theilte ihm mit, daß der Schlossermeister Gerecke in der Nacht zuvor gestorben sei.
»Gestorben? Todt?« – rief Hartung auffahrend.
»Der Schlaganfall hat sich wiederholt« – berichtete die Haushälterin – »und er hat ihm nicht widerstanden. Es ist ein Glück für ihn, denn …«
»So trifft ihn meine Rache doch nicht mehr am Leben« – rief Hartung – »aber seine Schande soll bekannt werden, noch ehe sein Leichnam in die Erde gelegt wird. Er soll zum wenigsten nicht als ein ehrlicher Mann zur Ruhe getragen werden. – Tragen Sie dies sofort zum Gericht, sogleich!«
Er reichte der Frau das eben vollendete Schreiben, kaum hatte sie es indeß in Händen, so nahm er es, seinen Entschluß ändernd, zurück. – Den, dem diese Rache gegolten hatte, traf sie nicht mehr, sein eigenes Benehmen, sein ganzer Plan kam dadurch an den Tag und er konnte nicht hoffen, daß er ihm Ehre und Freunde bringen werde. Nur seinen eigenen Schaden würde er dadurch herbeiführen – vielleicht konnte ihm dies Geheimniß, so lange es in seiner Hand ruhte, noch in anderer Weise Gewinn eintragen.
Eine solche Niederlage, ein so gänzliches Scheitern all seiner Pläne und Rechnungen hatte er in seinem ganzen Leben nicht erfahren. Er war gegen sich und die ganze Welt erbittert. Obenein war sein Körper so zerschlagen, daß er das Bett wieder aufsuchen mußte, dies steigerte seine Ungeduld und Unruhe. Es gehörte wenig Scharfsinn dazu, um zu errathen, daß die Behandlung, die er von dem Todten erfahren hatte, in der ganzen Stadt bekannt sein werde, es waren ja Zeugen genug dabei gewesen. Er wußte, daß man sie ihm gönnen, daß man über ihn lachen werde. Er hätte sich wenig daraus gemacht, hätte er nur eine Möglichkeit gesehen, sich für diese Kränkung rächen zu können. Vergebens sann er auf seinem Lager darüber nach. Die beiden Menschen, die er so sehr haßte, Gerecke und Marie waren todt – dahin! –
Wir müssen endlich zu Georg zurückkehren, um zu sehen, welche Wendung sein Geschick genommen hatte, seit er mit einem Herzen voll Unmuth und Verzweiflung die Stadt verlassen. Seine schönsten Hoffnungen waren zertrümmert, was ihm das Liebste auf Erden war, Marie hatte er zurücklassen müssen – es war ihm, als ob er verlassen, ausgeschieden von jedem Glück in's Leben hinausgestoßen sei.
Ruhelos war er von einem Orte zum andern umhergewandert, ohne Lust, sich an irgend einem niederzulassen. Selbst Marie mochte er nicht einmal schreiben. Ihr seine Schmerzen schildern, wollte er nicht und sie zu verschweigen, wenn er einmal schrieb, vermochte er nicht, denn sie war die einzige, die ein volles Anrecht auf die ganze Wahrheit seiner Empfindungen hatte. Gerade die mit seinem Umherwandern verbundene Zerstreuung hatte indeß am meisten dazu beigetragen, ihn endlich ruhiger zu stimmen. Er wurde es noch mehr, sobald er einsah, daß er das einmal Geschehene nicht zu ändern vermochte. Unwillkürlich hatte er sich auf seiner Wanderung seinem Geburtsorte genähert, dorthin beschloß er sich zu wenden. Seine alte Mutter, die er seit Jahren nicht gesehen, lebte dort noch; zu ihr zog es ihn. Er hatte einst gehofft, anders, als Meister und Bürger einer anderen Stadt dorthin zurückkehren, in seinen Träumen hatte er sich ausgemalt, wie er seine Mutter abholen wolle, um sie an den selbstgegründeten Herd zu führen und ihr eine ruhige Stätte zu bereiten – sein Geschick hatte anders verfügt. Blieb ihm doch zum wenigsten das beruhigende Bewußtsein, daß er selbst keine Schuld daran trug.
Nach wenigen Tagen hatte er seinen Heimathsort erreicht, und selbst unter diesen für ihn traurigen Verhältnissen hatte das Wiedersehen seiner greisen Mutter viel Tröstendes. Ihr konnte er Alles anvertrauen und bei ihr fand er für den kleinsten Schmerz, für den leisesten Wunsch, für die entfernteste Hoffnung eine aufrichtige und herzliche, Theilnahme. Sie lebte ohne Noth, dennoch mußte er sich gestehen, daß er ihr ein besseres Loos bereiten konnte, es wurde für ihn zur Pflicht, und diese gab ihm seine volle Willenskraft zurück. Von allen Freunden und Bekannten mit offener Herzlichkeit aufgenommen, durfte er versichert sein, daß ihm Niemand hindernd entgegentreten werde, wenn er sich hier niederlassen wollte. Der Entschluß hierzu war bald gefaßt.
Es lag auch ein geheimer Reiz für ihn darin, den ihm befreundeten Meistern seiner Vaterstadt durch sein Meisterstück zeigen zu können, daß er nicht vergebens jahrelang in der Fremde gewesen, daß er Vieles in ihr gelernt hatte.
Mit rastlosem Eifer trat er aufs Neue an dies Werk. Dasselbe Schloß, das er schon einmal gearbeitet hatte, fertigte er wieder, aber diesmal knüpfte er jene herausfordernde Bedingung nicht wieder daran, obschon er noch ebenso fest überzeugt war, daß Niemand das Schloß ohne seine Anweisung werde öffnen können. Am wenigsten in seiner Vaterstadt mochte er mit solchem anmaßenden Selbstvertrauen auftreten, zu dem er auch das erste Mal nur durch Gerecke's Benehmen veranlaßt war.
Der Zufall hatte es gefügt, daß derselbe Schlossermeister, bei dem Georg einst gelernt hatte, Altmeister war. In dessen Hause arbeitete er nun an seinem Meisterstücke. Er war, als er in die Fremde gezogen, in freundlichem Verhältnisse von ihm geschieden, dies bildete sich jetzt zwischen beiden zur vertrauten Freundschaft aus und trug viel dazu bei, die üblen Erfahrungen, welche Georg gemacht hatte, immer mehr in Vergessenheit zu drängen.
Nur Marie vergaß er nicht. Seine Liebe zu ihr war zu innig und aufrichtig, als daß dies möglich gewesen wäre. So wenig er von ihr auch erfuhr, so erstarkte seine Hoffnung, sie dennoch einst zu besitzen, stets mehr und mehr. Daß er auf ihre Treue fest bauen konnte, wußte er, denn ehe er ihr ein Wort von seiner Liebe gesagt, hatte er sie jahrelang im Stillen beobachtet. Unter seinen Augen hatte sich ihr Charakter entwickelt, und er lag so offen vor ihm, daß er auch in der Ferne jeden ihrer Gedanken zu errathen glaubte.
Daß sie dennoch anders waren, als er vermuthete, daß sie sich unter den bittersten Qualen härmte, davon hatte er keine Ahnung. Und es war gut für ihn, daß er nichts davon wußte, denn er würde Alles in Stich gelassen haben, um zu ihr zu eilen. An demselben Tage noch, an dem sein Meisterstück geprüft, von allen Meistern offen gelobt und er selbst mit Ehren in die Innung aufgenommen wurde, schrieb er an Marie, und wir wissen bereits, wie verhängnißvoll dieser Brief in ihr und ihres Vaters Geschick eingriff.
Einige Tage waren seitdem vergangen, und er hoffte schor auf eine Antwort Mariens. Dringend hatte er sie gebeten, ihm möglichst bald wieder zu schreiben, und er malte sich in Gedanken ihre Freude aus, die sie über seine Nachricht empfunden haben werde.
Er saß mit seiner Mutter in deren kleinem Zimmer und sprach mit ihr über seine künftige Einrichtung, denn sobald als möglich wollte er ein Geschäft anfangen. Er sehnte sich darnach, um endlich einmal wieder mit voller Lust und Regelmäßigkeit arbeiten und die Früchte dieser Arbeit sein eigen nennen zu können. Daß es ihm an Arbeit nicht fehlen werde, dafür bürgte ihm seine Geschicklichkeit. Und auch darin hatte er seine Ansichten geändert: klein wollte er anfangen, nur auf seine eigenen Hände beschränkt, um später Alles sein eigenes Verdienst nennen zu können. – In dem Ofen brannte der kalten Herbstluft wegen bereits ein gemüthliches Feuer. Hinter dem Ofen saß die Alte und Georg schritt in dem kleinen Raume auf und ab, in Gedanken Pläne für die fernere Zukunft entwerfend. Da trat ein Briefträger ein und überbrachte ihm einen Brief. Hastig nahm er ihm denselben ab, er mußte von Marie sein, der erste Blick auf die Aufschrift zeigte ihm indeß, daß er sich geirrt hatte. Das waren nicht die lieben Schriftzüge ihrer Hand, die er sich nur zu wohl eingeprägt hatte. Er kannte sie nicht, sie hatten ihn getäuscht und blickten ihm kalt und fremd entgegen. Es that ihm weh, daß diese kleine Hoffnung nicht erfüllt war, und oft reicht die kleinste Täuschung hin, um über die ganze Stimmung eines Menschen einen trüben Schatten zu werfen. So erging es Georg. Theilnahmlos, in Gedanken die Frage verfolgend, weshalb dieser Brief nicht von der Geliebten sei, hielt er ihn unerbrochen in der Hand, bis seine Mutter ihn darauf aufmerksam machte.
»Von wem ist der Brief und was enthält er?« – fragte sie. – »Lies ihn doch!«
Erst jetzt öffnete Georg ihn. Ehe er seinen Inhalt erforschte, sah er nach der Unterschrift und nicht ohne Ueberraschung las er den Namen eines seiner früheren Mitgesellen bei Gerecke, des Nassauers. Mit gespannter Ungeduld durchflog er jetzt die Zeilen. Sie waren nur kurz und lauteten:
»Lieber Georg und Kamerad!
Du wirst Dich meiner noch erinnern, weil wir bei dem Meister Gerecke in *** länger denn ein Jahr zusammen gearbeitet haben. Ich bin auch nicht mehr bei Gerecke und auch nicht mehr in *** Weshalb ich Dir aber schreibe, ist, weil ich mit Gerecke zusammen ein großes Unrecht an Dir vollbracht habe. Als Du nämlich damals in *** Dein Meisterstück, jenes kunstvolle Schloß gemacht hattest, wurde es Dir am Tage vor dem Aufzeigen in der Nacht gestohlen. Das habe ich gethan, Georg, aber vorzugsweise auf des Meisters Anstiften, der nicht haben wollte, daß Du in *** Meister würdest, weil er Dich fürchtete. Er hat auch das Schloß zu sich genommen.
Ich gestehe, daß dies schlecht von mir gehandelt war, aber ich war neidisch auf Dein Glück und obenein eifersüchtig auf des Meisters Tochter, die Du, wie ich wußte, liebtest. Ich hoffte, sie für mich zu gewinnen, daraus ist aber auch nichts geworden, weil sie den Advokaten Hartung, den Du wohl kennen wirst, heirathen soll. Er weiß nämlich um die ganze Sache und will nur dann schweigen, wenn er Marie bekommt.
Ich hätte Dir dies Alles schon früher geschrieben, wenn ich Deinen Aufenthalt gewußt hätte. Herzlich leid thut es mir jetzt, daß ich Dir so viel Kummer bereitet habe, die meiste Schuld trifft aber den Meister Gerecke, denn er ließ keine Ruhe, bis ich das Schloß gestohlen und ihm überbracht hatte.
Ich theile Dir dies Alles mit, damit Du siehst, daß ich es bereue, und damit Du es weißt, wenn es Dir vielleicht noch Nutzen bringen kann.
Gehab Dich wohl und gedenke nicht in Feindschaft Deines früheren Freundes.«
Georg hatte den Brief durchlesen und doch blieben seine Augen starr, regungslos auf die Buchstaben gerichtet. Daß Gerecke die That begangen, hatte er von Anfang an vermuthet, daß aber auch dieser Mensch, dem er nie zu nahe getreten war, daran Theil gehabt hatte – das setzte ihn in Erstaunen. Und Marie – Marie sollte das Weib Hartung's werden, jenes Menschen, der in der ganzen Stadt verachtet war! Nein, es konnte nicht sein – es war ersonnen, ihn vielleicht aufs Neue zu kränken, denn Marie hatte ihm ja kein einziges Wort davon geschrieben, und hätte sie ihm verschweigen können, was sein heiligstes Interesse berührte! Nein, es konnte nicht sein! Und doch machte ihn wieder das offene Geständniß der eigenen Schuld in dem Briefe des Gesellen irre.
All diese Gedanken, Vermuthungen und Befürchtungen zogen flüchtig rasch vor seiner Seele vorüber.
»Was hast Du nur? Was enthält der Brief?« unterbrach die Mutter sein starres Sinnen.
Ohne ein Wort zu erwidern, reichte er ihr den Brief.
»Nein – nein, es kann nicht sein!« – rief er endlich. – »Mag Gerecke die That mit dem Burschen auch vollbracht haben, das Geständniß soll mir Vertrauen einflößen, weil hinter dem ganzen Briefe wahrscheinlich eine neue Büberei steckt!«
»Was meinst Du?« – fragte die Alte erschreckt und besorgt. – »Du bist aufgeregt.«
»Wozu aber die Mittheilung über Marie?« – fiel Georg ein. – »Glaubst Du, daß sie jenen Menschen nehmen würde; hätte sie mir nicht zuerst davon geschrieben, wenn nur das Geringste wahr davon wäre!«
»Es ist vielleicht nur ein thörichtes Gerede« – suchte ihn die Alte zu beruhigen. – »Du weißt, wie leicht derartige Gerüchte entstehen und schließlich ist nicht ein einziges wahres Wort daran.«
Georg schenkte diesen Worten Glauben und verwarf sie ebenso schnell wieder. Es hatte ihn eine, Unruhe erfaßt, die er nicht zu verbergen vermochte. Es war ihm, als ob seinem und Mariens Glücke ein schwerer Schlag bevorstände, und er konnte ihm nicht entgegentreten, weil er ihn nicht kannte.
Er versuchte den Brief noch einmal durchzulesen die Buchstaben hüpften vor seinen Augen. Eine innere Stimme schien ihm zuzurufen: »Man will Dich von Deiner Geliebten trennen – aus Deinem Herzen soll sie gerissen werden!«
»Ich reise zu ihr! – rief er endlich in leidenschaftlicher Aufregung. – »Aus Mariens eigenem Munde will ich erfahren, ob es wahr ist. Sie kann mir kein unwahres Wort sagen – sie – sie kann mich nicht täuschen!«
»Rege Dich nicht zu sehr auf, Georg!« – bat die Alte. – »Wäre etwas Wahres daran, würde Marie Dir es nicht längst geschrieben haben! Sie selbst weiß sicher kein Wort davon!«
»So will ich sie warnen!« – fiel Georg ein. »Ich will ihr diesen Brief zeigen, ich will ihn ihrem Vater zu lesen geben – endlich soll sich Alles für mich aufklären. Ich ertrage diese beängstigende Ungewißheit nicht länger. Morgen – heute noch reise ich zu ihr!«
»Georg, warte zum wenigstens Mariens Brief ab« – bat seine Mutter – »Vielleicht klärt sich durch ihn Alles auf!«
»Vielleicht erfahre ich auch, daß Alles zu spät ist« – rief Georg mehr für sich selbst, indem er hastig und noch unentschlossen mit sich selbst im Zimmer auf und ab ging.
Seine Mutter erhob sich und trat vor ihn hin. »Georg« – bat sie, indem sie die Hand auf seine Schulter legte – »rege Dich nicht vorzeitig und unnöthig auf. Dein Blut ist rasch. Du siehst Gespenster und düstere Bilder, wo mein ruhiges Auge nichts erblickt. – Dein früherer Mitgesell scheint seine That aufrichtig zu bereuen, er würde anders geschrieben haben, wenn er eine neue Schlechtigkeit im Sinne hätte – er hat es nur als ein Gerede, ein leeres Gerücht gehört, weiter ist es nichts.«
»Ich traue keinem Menschen mehr« – rief Georg leidenschaftlich. – »Sieh, auch diesem Menschen hatte ich nie ein Leid zugefügt, noch am Abend vor der Ausführung seines Bubenstreiches war ich mit ihm zusammen und bot ihm meine Hilfe an – sieh und doch – doch, hat er – – –«
Die Thür wurde in diesem Augenblicke geöffnet, und eine in ein Tuch gehüllte Frauengestalt trat ein. Erstaunt blickte Georg sie an. Die eingetretene Dämmerung des Abends hinderte ihn, sie zu erkennen. Er näherte sich ihr, da eilte sie auf ihn zu und warf sich mit gewaltsam hervorgerungenem Rufe: »Georg! Georg!« an seine Brust.
»Allmächtiger Gott, Marie!« – rief Georg überrascht und erschreckt zugleich, denn hierauf war er nicht im geringsten vorbereitet, dennoch schloß er sie fest – fest in seine Arme.
»Marie – woher kommst Du? Was ist vorgefallen?« – fragte er. Sie war indeß zu aufgeregt, um ein einziges Wort hervorbringen zu können; sich fest an ihn anklammernd, schluchzte sie heftig, fast krampfhaft.
Nur mit Mühe gelang es Georg und seiner Mutter endlich, sie so weit zu beruhigen, daß sie, kurz abgerissen, von Thränen stets unterbrochen, ihnen das Vorgefallene erzählen konnte.
»Also ist es doch wahr, daß Hartung um Deine Hand sich beworben?« – rief Georg. – »Und Du hast mir kein Wort davon geschrieben?«
»Ich wollte Deine Ruhe nicht stören« – erwiderte Marie. – »Du solltest nicht befürchten, daß ich Dir untreu werden könne.«
»Und Dein Vater selbst hat Dich zu der Verbindung zwingen wollen?« – fuhr Georg fort. – »Morgen schon hat die Hochzeit sein sollen!! Wenn es Dir nun nicht gelungen wäre, zu entfliehen, wenn Dein Vater mit Gewalt Dich dazu gezwungen hätte!« – Schon der Gedanke hieran versetzte ihn in die größte Aufregung.
»Ich hätte mir lieber das Leben genommen!« – entgegnete Marie. – »Ich war rathlos, wußte nicht, was ich thun sollte. Hartung konnte ich nicht heirathen und meinen Vater durfte ich nicht verrathen. Die höchste Angst hat mich zur Flucht getrieben – ich weiß nicht, welches Ende dies Alles nehmen wird! Gott, wenn Hartung seine Drohung wahr machte und meinen Vater verriethe!«
»Du weißt um seine That?« – fragte Georg überrascht. – »Heute hat mir ein- früherer Gesell Deines Vaters, der Nassauer, in einem Briefe gestanden, daß er, von Deinem Vater veranlaßt, das Schloß gestohlen habe. Dein Vater hat es zu sich genommen – mein Verdacht ist wahr gewesen!«
»Ich weiß Alles – Alles!« – rief Marie, indem sie verzweiflungsvoll das Gesicht in den Händen barg. – »Jene unheilvolle That ist an Allem Schuld – sie wird meinen Vater noch ins Elend stürzen. Er überlebt es nicht, wenn sie bekannt, wenn er bestraft wird! Ich selbst rufe dies durch meine Flucht hervor, und doch konnte ich nicht anders!«
»Sei ruhig, Marie« – bat Georg. – »Ich werde zu Deinem Vater reisen, morgen schon. Jetzt muß sich Alles aufklären und es wird noch gut für uns werden. Nun ich um seine That weiß und den Beweis derselben in Händen habe, kann er mir seine Einwilligung nicht länger verweigern. Er war früher besorgt, daß ich seinem Geschäft Abbruch thun werde, auch dieser Grund fällt jetzt fort, denn hier bin ich Meister und werde ein Geschäft anfangen.«
»Aber Hartung!« – warf Marie besorgt ein.
»Glaubst Du, daß Dein Vater darauf bestehen wird, das ihm gegebene Versprechen zu erfüllen?«
»Er muß es, weil Hartung gedroht hat, sein Vergehen sonst anzeigen?«
»Sei ohne Sorge!« – beruhigte sie Georg. – »Er soll es nicht und darf es nicht. Ich will ebenso wenig wie Du, daß Deinen Vater eine solche Schande trifft, mag er sie auch zehnmal um mich verdient haben. Ich kenne Hartung und seine Habsucht. Mit Geld ist sein Schweigen zu erkaufen, für Geld thut er Alles!«
»Nein, nein!« – warf Marie ein. – »Auf meinen Knieen habe ich ihn gebeten, nicht auf dem Versprechen meines Vaters zu bestehen, ich habe ihm Alles versprochen, was er nur verlange, das ganze Vermögen meines Vaters, das ja einst mir anheimfalle – er hat es nicht angenommen.«
»Weil er hoffte, es mit Dir ohnehin zu bekommen, wenn Du sein würdest« – unterbrach sie Georg. »Sei ruhig. Nun ich Dich einmal hier habe, laß ich Dich nicht wieder fort, bis ich die Einwilligung Deines Vaters habe, bis Alles ausgeglichen ist. Du sollst sehen, daß ich Dich zu schützen vermag und daß ich es thun werde! Mir gehörst Du und nimmer lasse ich Dich wieder!«
Er preßte sie an sein Herz und Marie fühlte sich wirklich durch seine Worte beruhigt.
»Deshalb bin ich auch zu Dir geeilt« – flüsterte sie. – »Ich hatte Niemand, dem ich mich vertrauen, Niemand, der mir helfen konnte!«
»Und Dein Vertrauen soll Dich nicht getäuscht haben!« – rief Georg. – »Ich schütze Dich und helfe Dir!«
Marie wurde ruhiger und ruhiger. Es war ein stiller kleiner Kreis, der an diesem Abende in dem Zimmer der alten Frau saß. Nur drei Menschen, aber darunter zwei Herzen, die nicht mehr bedurften, als sich selbst, um sich glücklich zu fühlen.
Und der Gemüthssturm, der wenige Stunden zuvor sich so heftig bewegt hatte, war geschwunden, die Liebe hatte ihn verscheucht. Sie gleicht der Sonne, die sich durch den bewölkten Himmel Bahn bricht. Mögen die Wolken auch drohen und sich drängen, hat sich die Sonne nur erst ein einzig Stückchen Himmelblau errungen, so dehnt es sich und wächst nach allen Seiten hin. Die Wolken schwinden und scheinen sich selbst zu verzehren, und kurze Zeit darauf glänzt die Sonne an einem weiten blauen Himmelsbogen. So ist das Menschengemüth, wenn das Herz von der Liebe erfüllt ist.
Am folgenden Tage reiste Georg ab, um die Einwilligung und Versöhnung von Mariens Vater zu erringen. Marie blieb bei seiner Mutter zurück und nicht eher wollte er Gerecke ihren Aufenthalt verrathen, als bis er ihre Hand ihm fest zugesagt habe.
Mit größter Ungeduld beschleunigte er seine Reise. Sein Herz war von zuversichtlicher Hoffnung erfüllt, dennoch mußte er sich gestehen, daß er mit Gerecke's Haß und Eigensinn einen harten Kampf zu bestehen haben werde. Er war auf Alles gefaßt und vorbereitet, nicht als Gesell, sondern als Meister trat er ihm jetzt gegenüber. Hätte er eine Ahnung davon gehabt, daß zu derselben Zeit, in der er sich mit diesen Gedanken, Hoffnungen und Entschlüssen trug, Gerecke das Leben aushauchte, daß er ihn auf dem Todtenlager wiedersehen werde, er würde weniger geeilt sein.
Am Montag Morgen erreichte er die Stadt. Seine Ungeduld trieb ihn sogleich zu Gerecke's Hause. Ein eigenthümliches Gefühl erfaßte ihn, als er durch die alten, ihm so wohl bekannten Straßen eilte und das Haus erblickte, in dem er jahrelang gearbeitet und sich mit den süßesten Hoffnungen getragen hatte. Wie viel hatte sich ereignet, seitdem er aus diesem Hause geschieden war!
Rasch trat er ein. Es war still in dem Hause. Von der Hausflur aus blickte er in die Werkstatt – sie war leer. Was ging hier vor! Sollte Mariens Flucht eine solche Störung hervorgebracht haben! Meister Gerecke hatte früher nie an einem Werktage feiern lassen. Die Stille des Hauses erschreckte ihn und regte ihn auf. Eine Verwandter Gerecke's trat aus dem Zimmer. Georg kannte ihn und fragte nach dem Meister.
»Er ist todt« – lautete die einfache Antwort.
»Todt?« – wiederholte Georg erschreckt und seinen Ohren nicht trauend.
»In dieser Nacht ist er gestorben. Der Schlag hat ihn gerührt.«
»Es ist nicht möglich!« – rief Georg, der das Gehörte nicht zu fassen vermochte. – »Todt – todt, sagt Ihr?«
»Der Schlag hat ihn gerührt, zweimal und das letztemal war es tödtlich. Der heftige Auftritt mit dem Advokaten, das Unglück seiner Tochter … Ihr kanntet sie ja!«
»Welches Unglück?« – unterbrach ihn Georg hastig.
»Ihr wißt nichts davon? Ihr Vater wollte sie zwingen, den Advokaten Hartung zu heirathen, da hat sie das Haus in der Nacht verlassen, Niemand weiß, wo sie geblieben ist – sie hat sich das Leben genommen, wenn auch ihr Leichnam noch nicht gefunden ist. Wir haben vergebens nach ihm gesucht.«
»Marie lebt!« – unterbrach ihn Georg – »Sie lebt! Zu mir ist sie geflüchtet und hat keine Ahnung davon, welches entsetzliche Unglück geschehen ist!«
»Sie lebt!« – rief der Mann erstaunt und erfreut. – »Ihr wollt mich täuschen?«
»Sie lebt!« – versicherte Georg. – »Wo ist ihre Mutter? Sprecht!«
»Sprecht leise« – bat ihn der Mann. – »Drüben in jenem Zimmer liegt sie, durch das Unglück ihres Kindes selbst dem Tode nahe gebracht. Noch weiß sie nicht, daß ihr Mann gestorben ist, diese Nachricht wird ihr den Tod geben!«
»Laßt mich zu ihr! Ich will ihr sagen, daß Marie lebt, daß ihr nichts fehlt, daß sie bei meiner Mutter ist« – rief Georg.
»Ihr seid zu aufgeregt« – erwiderte der Andere. »Ich will ihr die Nachricht überbringen. Sie darf Euch nicht sehen, denn Ihr würdet sie an alles das erinnern, was sie gelitten hat, seit Ihr dieses Haus verlassen habt. Wäret Ihr nie aus ihm geschieden!«
Auch Georg drängte sich in diesem Augenblicke dieser Gedanke auf. »Ja, wäre er nie geschieden, es würde dann vielleicht noch Alles so sein, wie es vor wenigen Monaten gewesen war. Was hatte diese kurze Spanne Zeit hervorgerufen! Er trug keine Schuld daran und doch lag es schwer auf ihm.
»Ich hatte keine Ahnung, daß es so kommen könne« erwiderte er – »hätte es in meiner Macht gestanden, das Geschehene zu verhindern, ich würde Alles aufgeboten haben!«
»Euch trifft kein Vorwurf« – entgegnete der andere. – »Wollt Ihr den Todten noch einmal sehen? Dort in jenem Zimmer liegt er. Ich will seiner Frau die Nachricht bringen, daß Marie lebt, sie wird sie hoffentlich so weit stärken, daß sie den Tod ihres Mannes ertragen kann.«
Langsam zögernd trat Georg in das Zimmer. Noch lag der Todte auf seinem Bette, das Gesicht mit einem weißen Tuche verhüllt. Welches Wiedersehen für ihn! Da lag die große kräftige Gestalt, die er so gesund und blühend verlassen hatte! Wie schwer hatte sich die eine That an ihm gerächt!
Langsam hob er das Tuch empor, des Todten Gesicht noch einmal zu sehen; er schrack zurück, als er diese bleichen, eingefallenen Züge erblickte. Um Jahre schien der Todte gealtert zu sein. Jene tiefen Furchen auf der Stirn und längs der Nase hin waren nicht der Eindruck des Todes, Sorgen und Kummer mußten sie gezogen haben. Mit bitteren Gefühlen hatte Georg stets an Gerecke zurückgedacht, weil er ihn um sein schönstes Glück betrogen – dieser eine Anblick söhnte ihn mit ihm aus. Er mußte schwer gelitten haben – seine Schuld war gesühnt, selbst wenn er sie nicht bereuet hatte. Es ist ein ernster Augenblick, wenn wir an dem Lager eines Todten stehen, er wird doppelt ernst und bedeutungsvoll, wenn wir eine Lebenserfahrung in ihm gewinnen, denn diese prägt sich uns zu tief ein, um sie je wie der zu vergessen.
So erging es Georg. Was den Todten so früh auf dies Lager gebracht, das war sein Stolz gewesen, seine Furcht, einen Theil seines Ansehens in der Stadt durch Georg's Selbständigkeit einzubüßen. Deshalb hatte er jene That begangen, die eine so lange Reihe schwerer Folgen nach sich gezogen, welche seinen Tod herbeigeführt hatten. Tief erschüttert verließ Georg das Zimmer und Haus. Er bedurfte der Ruhe, um sich selbst zu sammeln. Der Gedanke an Mariens Schmerz, wenn sie diese Nachricht erfuhr, machte ihn besorgt. Und sie konnte ihr nicht verborgen bleiben. Wenn es ihm nur gelang, ihr zu verhehlen, daß ihr Vater dem Schrecken und Schmerze über ihren befürchteten Tod erlegen war. Konnte er ihr auch den Schmerz nicht ersparen, so hoffte er doch jeden Selbstvorwurf von ihr fern zu halten.
Er dachte daran, noch an diesem Tage seiner Mutter zu schreiben, damit sie langsam vorbereitet Marie dieses Unglück erzähle, er war indeß nicht im Stande, die dazu nöthige Ruhe und Fassung zu erringen. Auch mit Hartung wollte er zuvor reden, um dem Briefe zugleich eine tröstende und beruhigende Nachricht hinzufügen zu können, auch zu diesem Gange mußte er sich indeß erst sammeln, weil er fühlte, wie viel von ihm abhing. Er sowohl wie Marie hatten von Hartung nichts mehr zu fürchten, aber er wollte auch Alles aufbieten, daß Gerecke's Andenken nicht in der öffentlichen Meinung geschändet werde. Um sich zu zerstreuen, besuchte er den Altmeister, in dessen Hause er sein Meisterstück gemacht hatte und dessen redlicher Sinn ihm unvergeßlich geblieben war. Von ihm erfuhr er ein Näheres über Gerecke's Leben und Treiben in der letzten Zeit. Daß Hartung die Hauptursache von Allem war, war Niemand verborgen geblieben, und Georg's Verachtung gegen diesen Menschen steigerte sich von Stunde zu Stunde. Dennoch ging er am folgenden Morgen zu ihm.
Hartung lag noch immer im Bett und befand sich in einer möglichst erbitterten Stimmung. Er empfand jetzt, wie geringe Theilnahme er in der Stadt genoß, denn noch Niemand war zu ihm gekommen, ihn zu besuchen. Die Nachricht, daß Marie noch lebte, war noch nicht zu ihm gedrungen, sie hätte den Gedanken und Plänen, mit denen er sich beschäftigte, vielleicht eine neue Richtung gegeben.
Georg empfing er nicht ohne bittere Empfindung, ein halb spöttisches und halb schadenfrohes Lächeln zuckte um seinen Mund. Georg that, als ob er es nicht bemerke. – »Sie wissen um die That Gerecke's?« – fragte er.
Hartung nickte bejahend mit dem Kopfe.
»Er ist todt. Haben Sie noch die Absicht, Anzeige davon zu machen? »Das weiß ich noch nicht« – erwiderte Hartung. »Das hängt weniger von mir, als von den Umständen ab.«
»Von den Umständen?« – rief Georg unwillig. »Sie würden sich nicht scheuen, das Andenken eines Todten zu beschimpfen! Sie könnten seiner unglücklichen Frau und Tochter einen solchen Schmerz bereiten?«
»Seiner Tochter?« – wiederholte Hartung. –. »Sie wissen nicht, daß sie verschwunden ist, daß – daß …«
»Daß sie lebt und in sicheren Händen ist, die sie schirmen und schützen werden« – unterbrach ihn Georg.
»Sie lebt? Sie ist nicht todt?« – rief der Advokat überrascht, indem er sich im Bette emporhob. All seine Pläne erhielten durch diese Nachricht eine ganz andere Wendung. Die Hoffnung, das Mädchen dennoch zu besitzen, tauchte in ihm wieder auf.
»Was verlangen Sie, um über das Vergehen des Todten, durch welches ich am bittersten gekränkt bin, für immer zu schweigen?« – fragte Georg jetzt gerade, heraus.
»Ist Ihnen meine Bedingung unbekannt?« – erwiderte Hartung. – »Gerecke hat mir die Hand seiner Tochter versprochen – sein Tod ändert nichts darin. Nur wenn sein Versprechen erfüllt wird, werde ich schweigen!«
»Sie glauben, daß Marie je die Ihrige werden wird?« – fuhr Georg auf. – »Mit Ihnen sollte sie sich verbinden!«
»Sie muß es, wenn sie das Andenken ihres Vaters in Ehren halten will!«
»Und Sie bestehen wirklich auf dieser thörichten Bedingung?«
»Gewiß, gewiß« – erwiderte der Advokat lächelnd. – »Ich bin in meinem Rechte.«
»Gut!« – rief Georg. – »So ist dies das letzte Wort zwischen uns beiden. Marie verachtet Sie. Schänden Sie das Andenken eines Todten, ihrer eigenen Achtung werden Sie dadurch schaden!«
Ohne Gruß verließ er das Zimmer.
»Ha, ha! Wir werden uns schon weiter sprechen!« rief der Advokat lachend nach.
Georg war zu aufgeregt, um diese Worte noch zu hören. Er hatte Alles aufgeboten, des Todten Ehre zu retten, es war ihm mißlungen, aber weder Marie noch ihn konnte ein Vorwurf treffen. Ohne Zögern, schrieb er seiner Mutter und legte für Marie einige Zeilen bei, in denen er sie zu trösten suchte und bat, zur Pflege ihrer Mutter zu kommen. Er selbst nahm sich der Kranken mit allen Kräften an. Die Beerdigung des Todten, den er selbst mit zum Friedhofe geleitete, die Ordnung des Hauswesens und die Fortsetzung des Geschäftes, das ohne ihn ohne jeden Leiter gewesen wäre, Alles nahm er in seine Hand, denn er sah sich als Glied dieses Hauses an.
Marie kam. Ihr Schmerz war ein großer, aber die Sorge um ihre Mutter ließ ihn nicht zum vollen Ausbruch kommen.
Georg blieb im Hause. Als nach Wochen Mariens Mutter völlig wieder genesen war, that Georg den ersten Schritt für seine eigenen Angelegenheiten. Hartung hatte des Todten Vergehen offen in der Stadt erzählt, aber in der Wirkung desselben sich gänzlich verrechnet. Man hatte längst diesen Zusammenhang geahnt und war deshalb wenig überrascht. Ohnehin war der Schuldige todt und hatte sein Vergehen bitter gebüßt. Daß er jenes Geheimniß zu eigenem Nutzen auszubeuten gesucht hatte, daß er die Schuld an Gerecke's Tode trug, raubte ihn den letzten kleinen Rest der Achtung, die er noch genossen hatte.
Man wußte, daß auch Georg um Alles gewußt, dennoch hatte er kein Wort davon verrathen, obschon er allein dadurch gekränkt war. Er hatte sich des Todten, der ihm im Leben so feindlich gesinnt gewesen war, angenommen und ihm versöhnt die letzte Ehre erwiesen.
Noch von früher stand er in der Stadt in gutem Andenken, jetzt hatte sich ihm die allgemeinste Achtung und Theilnahme zugewandt. Seinem Meisterwerden und seiner Aufnahme als Bürger wurden nicht die geringsten Schwierigkeiten entgegengesetzt und sein eigenes Geschick klärte sich schneller und freundlicher auf als er geahnt hatte.
Es war ein heiterer Sommertag im folgenden Jahre. Da herrschte in dem Hause des verstorbenen Schlossermeisters Gerecke ein glückliches Leben. Georg und Marie wurden an diesem Tage für immer vereint. Die Zeit hatte die Schmerzen der Vergangenheit gemildert, so daß sie an diesem Tage nur als eine wehmüthige Erinnerung, welche das Glück nicht beeinträchtigte, nachwirkten.
Georg war Meister und Bürger, er hatte das Geschäft des Todten selbständig übernommen, aber trotz aller Zureden hatte er dessen Namen auf dem Schilde über der Hausthür stehen lassen. Selbst Marie hatte ihn gebeten, seinen eigenen Namen an dessen Stelle zu setzen, und ihr allein hatte er anvertraut, weshalb er es nicht that.
»Ich werde es einst thun,« – hatte er erwidert. »Jetzt mag der Name Deines Vaters noch stehen bleiben. Es liegt immer noch eine Schuld auf ihm, die nicht völlig vergessen ist. Ich will ihn in seine volle Achtung wieder einsetzen und vermag dies am Besten dadurch, daß ich das Geschäft Deines Vaters, welches jetzt so mächtig sich wieder hebt, unter seinem Namen fortbestehen lasse. Ich habe für mich erreicht, was mein einziger, sehnlichster Wunsch gewesen ist. Dich!«
Mit Thränen im Auge hatte Marie ihm gedankt.
Und durch keine Unannehmlichkeit wurde die Freude dieses Tages getrübt. Georg und Marie waren glücklich, und in der ganzen Stadt herrschte. nur die eine Stimme über sie: »Wir gönnen es ihnen!«
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