Friedrich der Große
Aus den Politischen Testamenten
Friedrich der Große

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Das politische System von 1768

Die preußischen Provinzen

Zunächst schildere ich Euch im einzelnen die Stärke und Schwäche unseres Staates; denn man muß sich selbst kennen, bevor man den Blick aus das Ausland richtet. Ihr wißt, wie hoch sich unsere Einkünfte belaufen, kennt die Hilfsquellen in Zeiten der Not, wißt ebenso, wie stark unsere Armee ist. Nun gilt es, die Lage der Provinzen ins Auge zu fassen.

Ich beginne mit Ostpreußen. Es wird im Norden von der Ostsee umspült, im Osten stößt es an Samogitien, im Süden an Polen, und im Westen wird es durch die Weichsel und Polnisch-Preußen von unseren übrigen Provinzen abgeschnitten. Infolge dieser Lage ist es unhaltbar, wenn Rußland uns bekriegen will, wofern man nicht des Wiener Hofes völlig sicher ist; doch das erscheint mir sehr problematisch. Träte aber dieser sehr unwahrscheinliche Fall ein, so könnte man Ostpreußen schützen, indem man eine Armee von 70 000 Mann bei Tilsit aufstellte und Danzig und Thorn besetzte, um Herr des Weichselabschnittes zu sein, den Rücken frei zu haben und gesicherte Verbindungen mit der Heimat zu besitzen. Es ist aber wahrscheinlicher, daß die Russen Ostpreußen nur im Bunde mit Österreich angreifen. In diesem Falle muß man das Land preisgeben, die Weichsellinie so lange wie möglich verteidigen, sich dann auf die Netze und Warthe zurückziehen und ein verschanztes Lager bei Kolberg beziehen.

Gehen wir nach dem Westen. Hier liegt das Herzogtum Kleve und die Grafschaft Mark, von allen meinen anderen Provinzen getrennt, zwischen Holland, dem Kurfürstentum Köln und dem Bistum Münster eingekeilt. Hier liegt ferner Ostfriesland, gewissermaßen am Ende der Welt. Ist Frankreich unser Feind und will es den Krieg nach Deutschland tragen, ohne daß wir starke Verbündete haben, dann müssen wir diese Provinzen von Anfang an preisgeben. Aus diesem Grunde habe ich die Befestigungen von Geldern schleifen lassen und die von Wesel eingeschränkt. Auch beabsichtige ich, ein ganzes Polygon unterminieren zu lassen, um es in die Luft zu sprengen, sobald die Besatzung abrückt.

Kehre ich vom Rhein zur Elbe zurück, so finde ich an der Weser das Fürstentum Minden von unseren übrigen Besitzungen getrennt. In gewissen Fällen kann es sich halten, in anderen muß man es preisgeben, wie es im letzten Kriege geschehen ist. Nun ist es eine stehende Regel, in Provinzen, die man räumen muß, keine Festungen anzulegen; denn sie kämen nur dem Feinde zugute, und wenn man die verlorenen Länder zurückerobern will, müßte man Festungen belagern, die man selbst erbaut hat und die nun andere gegen uns selbst benutzen.

Die Provinzen, die den eigentlichen Staatskörper bilden, sind Pommern, die Kurmark, Magdeburg, Halberstadt und Schlesien. Diese Länder lassen sich verteidigen, wenn nicht ganz Europa gegen uns verbündet ist. Für Pommern sind die Russen die gefährlichsten Feinde. Ich habe Euch einen Verteidigungsplan entworfen, den Ihr befolgen müßtet, abgesehen von einigen Verbesserungen, die je nach den Verhältnissen und der Lage der Dinge zu treffen wären. Um die Kurmark und Magdeburg gegen Österreich zu schützen, muß man sich sofort bei Kriegsausbruch Sachsens bemächtigen, die böhmischen Grenzgebirge besetzen, besonders bei Peterswalde, und ein Korps nach der Lausitz abzweigen, um den Einfällen zu begegnen, die die Feinde von dort nach der Mark Brandenburg machen könnten. Doch wäre ich nicht dafür, sich bei Kriegsbeginn auf die Defensive zu beschränken, vielmehr müßte man sofort in Mähren eindringen, das für die Österreicher die empfindlichste Stelle ist; denn längs der March vorrückend, kann man Streifkorps bis in die Nähe von Wien vortreiben. Unmöglich aber lassen sich die Operationen im voraus endgültig festlegen. Dazu muß man die genaue Sachlage und die besonderen Umstände bei Kriegsausbruch kennen, nämlich: welche Verbündeten und welche Feinde man hat und wieviel Truppen diese uns entgegenstellen können.

Es sind also zwei schwere Mängel, die durch unsere geographische Lage bedingt sind; denn zwei Provinzen müssen wir schon bei Kriegsausbruch preisgeben. Das heißt Verluste erleiden, bevor der Krieg begonnen hat. So kommt ein Teil der Einkünfte nicht mehr in den Schatz, der für die außerordentlichen Kosten bestimmt ist. Damit gehen auch Menschenreservoire für Rekruten verloren, aus denen man das Heer nicht mehr ergänzen kann. Diese Erwägungen müssen die Herrscher dahin führen, daß sie sich sparsamer Wirtschaft befleißigen und in guten Zeiten zurücklegen, um in der Not einen Rückhalt zu haben. Einige dieser Nachteile lassen sich indes abwenden. Was die Finanzen betrifft, so kann man die Abgaben ein Vierteljahr im voraus erheben. Ferner zieht man in Ostpreußen 20 000 Kantonisten ein, zahlt ihnen den Sold und läßt sie mit den Truppen abmarschieren, wenn man das Land räumen muß. Dadurch kann man sich Rekruten für die ostpreußischen Regimenter während des ganzen Krieges sichern, falls er nicht zu blutig und zu lang wird.

Angesichts der Lage unserer Provinzen seht Ihr ein, wie nötig für uns ein starkes Heer ist. Denkt an die Kräfte Österreichs, Rußlands und Frankreichs, nehmt die Schweden hinzu, und wenn Ihr wollt, auch die Reichstruppen. Allem Anschein nach werden sie ja nicht alle über uns herfallen, wie im letzten Kriege. Trotzdem steht es außer Zweifel, daß die Feinde, die uns angreifen wollen, das Äußerste versuchen werden, um die völlige Übermacht zu erlangen. Gebot der Klugheit aber ist es, alle möglichen Fälle im voraus ins Auge zu fassen und sich beizeiten darauf zu rüsten. Gegenwärtig arbeite ich an einem Plan zur Heeresvermehrung. Lebe ich noch ein paar Jahre, so kann ich das Heer auf 166 000 Mann bringen. Für den Krieg sind Maßregeln zur Aufstellung von 210 000 Mann getroffen, einschließlich 22 Freibataillonen, die im Reich und überall ausgehoben werden sollen, wo Soldaten zu finden sind. Sachsen muß mindestens 20000 Rekruten liefern, um diese Zahl vollzumachen. Man kann die Sachsen in die Garnisonregimenter stecken und alte Soldaten heraus nehmen, um die Fronttruppen aufzufüllen. Um uns aber nicht zu täuschen rechnen wir nur mit 166 000 Mann. Davon gehen zunächst 30 000 Mann für die Festungsbesatzungen ab; bleiben also nur 136 000 Mann Feldtruppen. Österreich allein stellt die gleiche Zahl auf. Um einem überlegenen Feinde die Spitze zu bieten und bei gleicher Zahl im Vorteil zu sein, müssen Eure Truppen besser sein als die der Nachbarn. Man muß also dauernd ein Auge auf ihre Ausbildung haben. Die Offiziere muß man durch alle möglichen Auszeichnungen anfeuern. Mehr noch: ist der Herrscher nicht selbst Soldat, kümmert er sich nicht selbst um den Dienst, gibt er nicht in allem ein Beispiel, ficht er nicht an der Spitze seiner Truppen, so kann man unfehlbar daraufrechnen, daß das ganze Gebäude, das unsere Vorfahren mit soviel Mühe, Sorge und Ausdauer errichtet haben, eines Tages zusammenstürzt.

Unser System

Wir haben einen allgemeinen Überblick über Europa gegeben und uns eine Vorstellung von der gegenwärtigen Verfassung aller Staaten gemacht. Nun gilt es, alle diese einzelnen Züge zu einem Gesamtbilde zu vereinigen und zu unseren politischen Zielen in Beziehung zu setzen.

Sofort springen vier Großmächte in die Augen, die allen anderen überlegen sind und auf der Bühne der Wechselfälle, die wir die Welt nennen, die erste Rolle spielen. Das sind Frankreich, England, der Kaiserhof und die Zarin von Rußland. Auf der einen Seite stehen die Bourbonen, durch ihren Familienpakt geeint, mit der Kaiserin-Königin verbündet, auf der anderen England, isoliert und von diesen verbündeten Mächten bedroht. Dazu kommen im Norden Rußland und seine Verbündeten: Preußen, Schweden, Dänemark und Polen. Die übrigen Könige und Herrschen spielen etwa die Rolle der Halbgötter bei den Heiden.

Gegenwärtig ist es das Ziel der französischen Politik, Englands Macht und seinen Handel zu untergraben und ihm im Verein mit Spanien an allen Ecken und Enden Verlegenheiten zu bereiten, um danach mit überlegenen Kräften einen energischen Landkrieg in Amerika und einen energischen Seekrieg mit ihm zu fuhren, wo sich die Gelegenheit dazu bietet. Das Haus Österreich will seine Schulden tilgen, um mit der Zeit in die Lage zu kommen, uns Schlesien wieder abzunehmen. Rußland hat sich in die polnischen Wirren gemischt, mehr aus Eitelkeit als aus Ehrgeiz.

Nach dem letzten Kriege hatte ich schwerwiegende Gründe, ein Bündnis mit dieser Macht einzugehen. Erstens, weil sie als erste aus dem Ring unserer Feinde austrat und einen Sonderfrieden mit uns schloß; zweitens, weil die Zarin diesen Frieden bei ihrer Thronbesteigung nicht brach; drittens, weil wir einen dauerhaften Frieden brauchten, um das Elend des letzten Krieges wieder gut zu machen. Hierzu konnte nichts mehr beitragen als ein Bündnis mit Rußland. Man muß allerdings zugeben, daß sich gegen dies Bündnis Einwände erheben lassen. Wir mußten uns zu den Maßregeln bequemen, die die Zarin für die polnische Königswahl ergriffen hatte, mußten die Augen über die Wirren schließen, die sie in Polen hervorrief, als sie daran ging, die Dissidenten zu schützen und die Rechte des Königs zu mehren, und als sie auf Grund ihrer Bürgschaft in die inneren Verhältnisse eingriff, um den von ihr eingeführten Verfassungsänderungen dauernden Bestand zu sichern. Man muß zugeben, daß wir gezwungen waren, uns zu Maßregeln herzugeben, die wir nicht völlig gutheißen konnten, und die unseren Interessen nicht völlig entsprachen. Man bedenke jedoch, daß Rußland sein Ziel ebenso im Bunde mit Österreich erreicht hätte, und daß wir ohne all diese Gefälligkeiten kein Bündnis mit ihm hätten bekommen können. Man muß ferner bedenken, daß wir nach Abschluß des Hubertusburger Friedens keinen anderen Verbündeten finden konnten als Rußland. England hatte uns nicht nur im Stich gelassen, sondern verraten; Frankreich war allzu feindselig aufgetreten und war überdies mit unserem Todfeind Österreich verbündet. So zwang uns also unsere damalige Lage, dem Bündnis mit Rußland den Vorzug zu geben. In der Politik darf man keine Vorliebe für ein Volk und keine Abneigung gegen ein anderes haben. Man muß blind dem Staatsinteresse folgen und sich mit der Macht verbünden, deren augenblickliche Interessen mit den unseren am besten zusammenstimmen.

Porträtbüste der Zarin Katharina II.

Unser dauerndes Interesse erfordert, daß wir an unserem Bündnis mit Rußland festhalten, ja es noch enger knüpfen. Die Gelegenheit eines Bruches mit der Türkei ist günstig. Da die Russen mich nötig haben, hoffe ich, unser Bündnis auf 10 Jahre zu verlängern und sie dahin zu bringen, uns die Erbfolge in Ansbach und Bayreuth zu garantieren. Diese Länder müssen uns durch Erbfolge zufallen, aber Österreich neidet sie uns. So werden wir uns dennoch in ihren Besitz setzen oder eine Entschädigung erlangen, die uns näher liegt und damit unseren Staatskörper abrundet.

Der Gipfel der Staatskunst besteht darin, die Gelegenheit abzuwarten und sie nach Gunst der Umstände zu benutzen. Wer glaubt, die Ereignisse herbeiführen zu können, täuscht sich fast immer und sieht seine Pläne scheitern. Was hat die Staatskunst nicht alles versucht, um die spanische Erbfolge im voraus zu regeln, und wie haben doch die Ereignisse die Pläne der Minister auf den Kopf gestellt! Wollt Ihr noch schlagendere Beweise, so denkt an den letzten Krieg und die Pläne, die eine Anzahl von Mächten gegen uns im Schilde führte, und was daraus geworden ist! Das Sicherste ist, die Gelegenheit zu erfassen, und wenn sie da ist, sie zu benutzen.

Der größte Irrtum, in den man verfallen kann, ist der Glaube, irgendwelche Herrscher oder Minister nähmen Anteil an unserem Schicksal. Diese Leute lieben sich nur selbst; ihr Vorteil ist ihr Gott. Ihre Sprache wird einschmeichelnd und freundlich, in dem Maße, wie sie uns brauchen. Sie werden Euch mit verruchter Falschheit schwören, Eure Interessen wären ihnen ebenso teuer wie die eigenen, aber glaubt das nicht und verstopft Eure Ohren vor diesen Sirenentönen.

Soviel steht ungefähr fest, wessen man sich von den Großmächten zu versehen hat, mit denen Verhandlungen in Frage kommen. England wird Euch Subsidien zahlen und Euch für einen Lohnarbeiter halten, den man entläßt, sobald er seine Schuldigkeit getan hat. Frankreich zahlt ungern Subsidien und nur wenig; denn es ist selbst tief verschuldet. Um Euch für ihre Pläne zu gewinnen, werden die Franzosen Euch den Mond versprechen; nur müßt Ihr ihn Euch selbst erobern. Die Österreicher sind langsam in ihren Entschließungen und betrachten ihre Verbündeten mehr als Untergebene denn als selbständige Mächte, die sich zu gemeinsamem Vorteil verbünden. Die Russen fordern von ihren Verbündeten mehr, als sie für sie zu tun beabsichtigen.

So sind die Großmächte Europas beschaffen. Es bedarf der Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit, der Ränke und Ausgaben, um Vorteil daraus zu ziehen und sie unvermerkt dahin zu bringen, daß sie am gleichen Strange ziehen. Die Franzosen kann man leicht zum Kriege bewegen, wenn man sie bei ihrer Eitelkeit packt und ihnen klar macht, daß es unter ihrer Würde sei, sich nicht in alle europäischen Fragen zu mischen. Aber die Mängel ihrer Kriegführung bringen ihre Verbündeten in große Not. Nachdem sie mit ein paar glänzenden Taten begonnen haben, lassen sie sich schlagen und halten nicht mehr stand, sobald der Krieg etwas länger dauert. So erging es ihnen häufig, in Italien, in Deutschland bei Höchstädt (1704), in Flandern nach der Schlacht bei Ramillies (1706), im Kriege von 1740 in Böhmen und Bayern, und wie sind sie erst in unserem letzten Kriege geschlagen worden! Ihre Verbündeten können auf ihren Beistand nicht rechnen; so sehr herrschen Unbestand und Leichtsinn bei all ihren Handlungen vor.

Die erste Sorge eines Herrschers muß darin bestehen, sich zu behaupten; dann erst kommt die Frage der Vergrößerung. Dies System erfordert Schmiegsamkeit und bei der Ausführung die Benutzung aller Umstände. Bald muß man lavieren, bald mit vollen Segeln fahren, aber nie darf man sein Ziel aus den Augen lassen. Was am ersten Tag nicht gelingt, das bringt die Zeit zur Reife. Das beste Mittel, seinen geheimen Ehrgeiz zu verbergen, ist, daß man friedliche Gesinnungen zur Schau trägt, bis der günstige Augenblick kommt, wo man seine Karten aufdecken kann. So haben alle großen Staatsmänner gehandelt. An diesem Grundsatz muß man unverbrüchlich festhalten, will man nicht die Eifersucht aller Völker erregen und ihnen Zeit geben, den eigenen Plänen zuvorzukommen.

Auch das ist eine schwierige Frage, wann man – gelinde gesagt – politische Streiche ausführen, mit anderen Worten, wann man die anderen betrügen darf. Wer ein solches Verfahren für rechtmäßig hält, führt zur Entschuldigung an, es seien ja nur Gauner und Schurken, denen gegenüber man Verpflichtungen eingegangen sei; man könne also gleiches mit gleichem vergelten. Andere meinen, daß die Schurken sich damit selbst um jedes Ansehen bringen, ja daß man sogar dem Kardinal Mazarin vorwarf, er beginge den großen politischen Fehler, daß er im Großen wie im Kleinen betrüge. Nach meiner Meinung soll man so wenig wie möglich vom geraden Wege abirren. Sieht man, daß ein anderer Herrscher nicht ehrlich verfährt, so ist es zweifellos erlaubt, ihm mit gleicher Münze zu dienen. Auch gibt es Fälle, wo der Bruch der eigenen Verpflichtungen entschuldbar ist, wenn nämlich das Wohl und Wehe des Vaterlandes es erfordert.

Doch lassen wir diese Abscheulichkeiten. Man kann sie sich ersparen, ja selbst peinliche Lagen vermeiden, sobald man die Bündnisverträge, die man schließen will, genau prüft, zweideutige Ausdrücke vermeidet und nur ausführbare Dinge verspricht, die man auch wirklich ausführen will. Immerhin erheischt die Klugheit, daß man seinen Verbündeten nur mit gutem Grunde traut, auf ihr Verhalten acht hat und sich weniger auf ihren Beistand als auf seine eigenen Kräfte verläßt. Eroberungen macht man nie mit fremder Hilfe. Fürsten, die gehofft haben, ihre Freunde würden zu ihrer Größe beitragen, sind durch die Ereignisse stets enttäuscht worden. Denkt nur an das Beispiel von Kaiser Karl VII., an Kurfürst Maximilian Emanuel von Bayern. Wer diese letzten Sätze liest, wird vielleicht fragen: wozu überhaupt Verbündete, wenn sie unnütz sind? Einverstanden. Aber will es nicht schon viel heißen, wenn man sie derart gebunden hat, daß sie einem nicht zu schaden wagen, und ist nicht schon viel gewonnen, wenn man bei einem schwierigen Unternehmen vor dieser oder jener Großmacht nicht mehr in Sorge zu sein braucht?

Bei der Schilderung der zerstreuten Lage unserer Provinzen habe ich schon darauf hingewiesen, welche Schläge die anderen Herrscher gegen uns zu führen vermögen. Prüfen wir nun kurz, wodurch wir unseren Feinden gefährlich werden können.

Ich beginne mit Rußland. Seine günstigen Grenzen sichern es vor allen unseren Unternehmungen. Um eine Offensive zu wagen, müßten wir eine Flotte haben, die der ihrigen überlegen ist. Ich glaube, der einzige erfolgversprechende Plan wäre, längs der Ostsee zu marschieren, stets von der Flotte begleitet, um keinen Nahrungsmangel zu leiden, und über Riga, Reval und Esthland bis Petersburg vorzudringen. Aber welche unendliche Schwierigkeit läge darin, so viele feste Plätze zu erobern und die Armee in diesem rauhen, barbarischen Klima schlagfertig zu erhalten! Und schließlich hätte man mit dieser Eroberung nicht mehr gewonnen, als daß man dies wilde Volk in seine alten Schlupfwinkel zurückscheuchte.

In Polen erleichtern unsere Grenzen uns den Einmarsch, da sie dieses Land zur Hälfte einschließen. Wer den Weichsellauf und Danzig beherrscht, ist mehr Herr des Landes als der König, der es regiert.

Sind wir im Kriege mit Schweden, so können wir ihm ohne Mühe das Stück von Pommern entreißen, das es noch besitzt. Mit Dänemark können wir keine Streitigkeiten bekommen. Auch das ist ein Vorteil.

Hätten wir ernstliche Zerwürfnisse mit England, so könnten wir uns an ihm rächen, indem wir das Kurfürstentum Hannover besetzen, das zur Verteidigung wenig gerüstet ist.

Die Franzosen sind uns zu fern, ihre Grenzen von den unseren zu weit abgelegen, um ihnen alles Unrecht und Übel, das sie uns etwa antun könnten, unmittelbar zu vergelten.

Anders die Kaiserin-Königin. So oft es zu einem Waffengang zwischen uns kommt, müssen wir den Krieg stets mit der Besetzung Sachsens eröffnen und von da längs der Elbe mit einem Korps nach Böhmen eindringen. Eine größere Armee muß in Schlesien aufgestellt werden. Sie entsendet Detachements nach Landeshut und in die Grafschaft Glatz und dringt über Hultschin in Mähren ein. Haben wir Verbündete, die mit uns zusammen operieren, so können wir die Österreicher im zweiten Kriegsjahre über die Donau zurückwerfen. Zugleich müssen die Türken gegen Ungarn vorgehen, oder ein Detachement von 30 000 Russen muß zwischen Preßburg und Budapest über die Donau setzen. So könnten wir uns Böhmens bemächtigen, um es nachher gegen ein Kurfürstentum auszutauschen, das unseren Grenzen näher liegt.

Man muß auf jedes Ereignis gefaßt sein. Hat man also die Maßnahmen gegen alle Mächte erwogen, die mit uns in Krieg geraten können, so ist man sich über alle Gefahren und Zufälle klar, die uns dabei drohen, und weiß ihnen zu begegnen. Auch kennt man die Vorteile, die man aus ihrer Bundesfreundschaft oder ihrer Feindschaft ziehen kann. So entspricht es z.B. weit mehr unseren Interessen, Rußland zum Bundesgenossen als zum Feinde zu haben; denn es kann uns viel schaden, und wir können es ihm nicht vergelten.


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