Friedrich der Große
Geschichte meiner Zeit
Friedrich der Große

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Das politische System Europas

Was vielleicht unsere Aufmerksamkeit am meisten verdient, ist die veränderte Machtstellung der Staaten seit 1640. Wir sehen einige aufsteigen; andere beharren sozusagen unbeweglich in der gleichen Lage; wieder andere geraten in Verfall, und es droht ihnen der Untergang.

Schweden stand unter Gustav Adolf im höchsten Glänze. Es diktierte in Gemeinschaft mit Frankreich den Westfälischen Frieden. Unter Karl XII. besiegte es die Dänen, die Russen und verfügte eine Zeitlang über den polnischen Thron. Es scheint, daß diese Macht damals alle ihre Kräfte zusammenraffte, um wie ein Komet mit großem Glanz zu erscheinen und sich dann in den unendlichen Raum zu verlieren. Seine Feinde zerstückelten es und entrissen ihm Esthland, Livland, die Fürstentümer Bremen und Verden und einen großen Teil Pommerns.

Schwedens Fall war die Epoche der Erhebung Rußlands. Diese Macht schien aus dem Nichts emporzutauchen, um auf einmal gewaltig dazustehen und bald nachher in die Reihe der gefürchtetsten Mächte zu treten. Man könnte auf Peter I. das Wort anwenden, das Homer von Okeanos sagt: »Mit drei Schritten war er am Ende der Welt.« In der Tat: Schweden demütigen, Polen hintereinander mehrere Könige geben, die Hohe Pforte erniedrigen und Truppen ausschicken, um die Franzosen an ihren eigenen Grenzen zu schlagen – das heißt wirklich, bis ans Ende der Welt gehen!

Ebenso sah man das Haus Brandenburg die Bank der Kurfürsten verlassen, um seinen Platz unter den Königen einzunehmen. Im Dreißigjährigen Kriege hatte es gar keine Rolle gespielt; aber der Westfälische Friede brachte ihm Provinzen, die durch gute Verwaltung reich wurden. Der Friede und eine weise Regierung schufen hier eine aufstrebende Macht, die in Europa zuvor fast unbekannt war, weil sie im stillen arbeitete und ihre Fortschritte nicht plötzlich geschahen, sondern das Werk der Zeit waren. Man war schier verblüfft, als Brandenburg seine Kräfte zu entwickeln begann.

Der junge König Friedrich, die vor ihm ausgebreitete Karte Europas musternd.

Frankreichs Gebietserweiterungen, die es sowohl seinen Waffen wie seiner Staatskunst verdankte, kamen rascher und waren ansehnlicher. Die Besitzungen Ludwigs XV. waren um ein Drittel größer als die Ludwigs XIII. Die Freigrafschaft Burgund, Elsaß-Lothringen sowie ein Teil von Flandern waren dem Königreiche einverleibt und gaben ihm eine sehr viel größere Macht als in der Vergangenheit. Dazu kam vor allem, daß Spanien von einem Zweige des Hauses Bourbon beherrscht wurde, wodurch Frankreich für geraume Zeit von den Diversionen befreit war, die es von den spanischen Königen österreichischer Herkunft stets zu besorgen gehabt hatte. Es kann jetzt also seine gesamten Kräfte ungehindert gegen jeden seiner Nachbarn wenden.

England hat sich seinerseits auch nicht vergessen. Gibraltar und Port-Mahon sind für ein Handelsvolk wichtige Erwerbungen. Durch alle Arten von Handel haben sich die Engländer erstaunlich bereichert, und vielleicht ist auch das ihrer Herrschaft unterworfene Kurfürstentum Hannover nicht ohne Nutzen für sie, weil es ihnen Einfluß auf die deutschen Angelegenheiten verschafft, an denen sie früher gar keinen Anteil hatten. Man glaubt allgemein, daß die englische Nation jetzt einen Teil ihrer alten Freiheit dadurch eingebüßt habe, daß sie für Bestechungen zugänglich geworden ist. Wenigstens ist England ruhiger geworden.

Auch das Haus Savoyen hat sich nicht vergessen. Es hat Sardinien und die Königswürde erlangt, hat ein Stück vom Herzogtum Mailand abgerissen, und die Politiker sehen in ihm einen Krebs, der an der Lombardei nagt.

Spanien hatte den Infanten Don Carlos in das Königreich Neapel eingesetzt. Er war ein rechter Despot und behauptete sich bei seiner eigenen Schwäche nur durch den Schutz der Monarchie, mit der er blutsverwandt war und der er den Thron verdankte.

Das Haus Österreich erfreute sich solcher Fortschritte nicht. Zwar hatte der Spanische Erbfolgekrieg Kaiser Karl VI. zu einem der mächtigsten Fürsten in Europa gemacht; aber der Neid seiner Nachbarn entriß ihm bald wieder einen Teil seiner Erwerbungen, so daß er auf das Niveau seiner Vorfahren zurücksank. Seitdem das Geschlecht Karls V. in Spanien erloschen war, hatte das Haus Österreich erst Spanien verloren, das in die Hände der Bourbonen kam, sowie einen Teil von Flandern, darauf das Königreich Neapel und einen Teil der Lombardei. Es blieben Karl dem Sechsten aus der Erbschaft Karls II. also nur ein paar Städte in Flandern und ein Teil des Herzogtums Mailand. Auch entrissen ihm die Türken Serbien und einen Teil der Walachei, welche ihnen im Frieden von Belgrad (1729) abgetreten wurden. Der einzige Gewinn des Hauses Österreich war die Entstehung eines Vorurteils, das im Reiche, in England und Holland, ja selbst in Dänemark ziemlich verbreitet ist: daß nämlich die Freiheit Europas an das Schicksal dieses Hauses geknüpft sei.

Portugal, Holland, Dänemark und Polen waren geblieben, was sie waren; sie hatten nichts gewonnen und nichts verloren. Unter all diesen Mächten besaßen Frankreich und England ein entschiedenes Übergewicht, Frankreich durch seine Landmacht und seine großen Hilfsquellen, England durch seine Flotten und die im Handel erworbenen Reichtümer. Beide Mächte waren Nebenbuhler und eifersüchtig auf ihre Vergrößerung; sie wollten die Wage in Europa halten und betrachteten sich als die Häupter zweier Parteien, an welche die Könige und Fürsten sich anschließen mußten. Zu dem alten Hasse gegen England gesellte Frankreich noch eine gleiche Feindschaft gegen das Haus Österreich: eine Folge der fortwährenden Kriege, die zwischen beiden Mächten seit dem Tode Karls des Kühnen von Burgund (1477) geführt worden waren. Frankreich hätte Flandern und Brabant gern in seine Gewalt bekommen und seine Grenzen bis an die Ufer des Rheins ausgedehnt. Ein solcher Plan ließ sich aber nicht von heute auf morgen ausführen; die Zeit mußte ihn reifen, und die Umstände mußten ihn begünstigen. Die Franzosen wollen ihre Feinde besiegen, um ihnen Länder abzunehmen, die Engländer die fremden Fürsten durch Kauf zu ihren Sklaven machen. Alle beide aber suchen die Öffentlichkeit mit falschen Vorspiegelungen zu täuschen, um die Augen der Welt von ihren eigenen ehrgeizigen Zielen abzulenken.

Spanien und Österreich waren sich an Kräften ungefähr gleich. Spanien konnte nur mit Portugal Krieg anfangen oder in Italien mit dem Kaiser. Der Kaiser aber konnte Krieg nach allen Seiten führen. Er hatte mehr Untertanen als Spanien, und durch diplomatische Schachzüge konnte er seine Macht um die des Deutschen Reiches vermehren. Spanien besaß mehr Hilfsquellen in seinen Reichtümern, Österreich gar keine, und soviel Steuern es seinen Völkern auch auferlegen mochte, so bedurfte es doch fremder Subsidien, um seine Truppen ein paar Jahre im Felde zu halten. Damals war es durch den Türkenkrieg erschöpft und mit den Schulden aus diesem Kriege überlastet.

Holland war zwar reich, mischte sich aber in keinen ausländischen Krieg ein, wenn nicht die Not es zwang, seine Grenze gegen Frankreich zu verteidigen. Sein ganzes Bestreben ging dahin, jede Möglichkeit zur Wahl eines neuen Statthalters fernzuhalten.

Die junge Königin von Ungarn, Maria Theresia.

Preußen, nicht so stark wie Spanien und Österreich, konnte dennoch hinter diesen in der Reihe der Mächte figurieren, wenn es sich ihnen auch nicht gleichzustellen vermochte. Die Staatseinkünfte überstiegen, wie gesagt, nicht sieben Millionen Taler. Seine Provinzen, durch das Elend des Dreißigjährigen Krieges verarmt und zurückgeblieben, waren nicht imstande, dem Herrscher Hilfsquellen zu bieten; die einzigen, die er hatte, waren seine Ersparnisse. Der verstorbene König hatte einen Schatz angelegt, der zwar nicht sehr bedeutend war, im Notfalle jedoch hinreichte, um eine gute Gelegenheit auszunutzen. Aber Klugheit in der Leitung der Geschäfte war nötig. Die Kriege durften nicht in die Länge gezogen werden, vielmehr mußte man seine Pläne rasch ausfuhren.

Das Mißlichste war die unregelmäßige Gestalt des Staates. Schmale und gleichsam verstreute Provinzen erstreckten sich von Kurland bis nach Brabant. Durch diese Zerrissenheit hatte das Land zwar viele Nachbarn, aber keine innere Festigkeit und war weit mehr Feinden ausgesetzt, als wenn es abgerundet gewesen wäre. Preußen konnte damals nur dann etwas unternehmen, wenn es sich auf Frankreich oder England stützte. Mit den Franzosen im Bunde konnte man sein Glück machen; denn ihnen lag ihr Ruhm und die Erniedrigung des Hauses Österreich sehr am Herzen. Von England konnte man nur Subsidien beziehen die es zahlte, um sich fremder Kräfte zum eigenen Vorteil zu bedienen.

Rußland hatte damals in der europäischen Politik noch zu wenig Gewicht, um durch einen Beitritt das Übergewicht einer Partei zu entscheiden. Sein Einfluß erstreckte sich vorerst nur auf seine Nachbarn, Schweden und Polen.

Was die Türken betrifft, so galt es damals als politische Regel, daß, wenn die Franzosen sie gegen Österreich oder Rußland aufwiegelten, diese beiden Mächte sich an Thamas-Chouli-Kan wandten, der sie durch eine Diversion gegen die Pforte von aller Gefahr auf dieser Seite befreite.

Was hier angeführt wurde, war der gewöhnliche Gang der Politik. Freilich gab es hin und wieder Ausnahmen von der Regel. Doch wir halten uns hier nur an den durchschnittlichen Verlauf und an das, was eine gesunde Politik der Mächte erheischte.


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