Friedrich der Große
Geschichte meiner Zeit
Friedrich der Große

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Vorwort

Viele haben Geschichte geschrieben, aber sehr wenige haben die Wahrheit gesagt. Schlecht unterrichtete Schriftsteller wollten Anekdoten schreiben und haben sie erdichtet oder Volksgerüchte für bewiesene Tatsachen genommen und sie der Nachwelt dreist aufgetischt. Andere wollten berichten, was sich hundert Jahre vor ihrer Geburt zugetragen hat. Sie haben Romane verfaßt, in denen höchstens die Hauptsachen nicht entstellt worden sind. Sie haben den Menschen, deren Leben sie überlieferten, Gedanken, Worte und Taten zugeschrieben, und die leichtsinnige Welt, die betrogen sein will, hat die Hirngespinste der Verfasser für geschichtliche Wahrheiten gehalten. Wieviel Lügen! Wieviel Irrtümer! Wieviel Betrug!

In der Überzeugung, daß es nicht irgendeinem Pedanten, der im Jahre 1840 zur Welt kommen wird, noch einem Benediktiner der Kongregation von St. Maur zusteht, über Verhandlungen zu reden, die in den Kabinetten der Fürsten stattgefunden, noch die gewaltigen Szenen darzustellen, die sich auf dem europäischen Theater abgespielt haben, will ich selbst die Umwälzungen beschreiben, deren Augenzeuge ich war und an denen ich den regsten Anteil hatte. Gehen diese großen Ereignisse doch mein Haus ganz besonders an. Ja, man kann die Epoche seiner Größe erst von diesem Zeitpunkt ab datieren.

Ich halte mich sogar für verpflichtet, der Nachwelt eine wahre und exakte Darstellung der Ereignisse zu geben, die ich selbst erlebt habe; denn seit dem Untergange des römischen Reiches verdient kaum ein geschichtliches Ereignis so viel Beachtung wie der Krieg, den eine mächtige Liga zum Sturze des Hauses Habsburg unternahm.

Federn, zusammenknickend unter der Wucht des auf ihnen liegenden Schwertes: die Ohnmacht geschriebener Verträge.

Originalurkunden, Briefe wie Verträge, werden die von mir berichteten Tatsachen rechtfertigen. Ich will den Leser nicht durch weitschweifige Erzählungen kleiner Umstände ermüden. Vielmehr werde ich ihm nur das vorführen, was seine Aufmerksamkeit verdient. Kleine Züge, die den Zeitgeist kennzeichnen, sollen jedoch nicht fortbleiben, auch manche Kleinigkeiten nicht, die zu Großem geführt haben.

Da ich zur Nachwelt rede, lasse ich mich durch keinerlei Rücksicht behindern. Ich schone die Fürsten meiner Zeit nicht und verhehle nichts von dem, was mich selbst betrifft.

Ich hoffe, die Nachwelt, für die ich schreibe, wird bei mir den Philosophen vom Fürsten und den Ehrenmann vom Politiker zu scheiden wissen. Ich muß gestehen: wer in das Getriebe der großen europäischen Politik hineingerissen wird, für den ist es sehr schwer, seinen Charakter lauter und ehrlich zu bewahren. Immerfort schwebt er in Gefahr, von seinen Verbündeten verraten, von seinen Freunden im Stich gelassen, von Neid und Eifersucht erdrückt zu werden, und so steht er schließlich vor der schrecklichen Wahl, entweder sein Volk zu opfern oder sein Wort zu brechen.

Als Grundgesetz der Regierung des kleinsten wie des größten Staates kann man den Drang zur Vergrößerung betrachten. Diese Leidenschaft ist bei jeder weltlichen Macht ebenso tief eingewurzelt wie beim Vatikan der Gedanke der Weltherrschaft.

Die Fürsten zügeln ihre Leidenschaften nicht eher, als bis sie ihre Kräfte erschöpft sehen: das sind die feststehenden Gesetze der europäischen Politik, denen jeder Staatsmann sich beugen muß. Wäre ein Fürst weniger auf seinen Vorteil bedacht als seine Nachbarn, so würden sie immer stärker, er zwar tugendhafter, aber schwächer werden. Was entscheidet also über den Erfolg in dem allgemeinen Wettstreit des Ehrgeizes, in dem so viele sich mit gleichen Waffen zu vernichten und sich mit den gleichen Listen zu hintergehen suchen? Einzig und allein der weitschauende Scharfblick und die Kunst, seine Pläne mit kluger Voraussicht auf mehr als einem Wege zur Reife zu bringen.

Diese Kunst erscheint, wie ich gestehe, vielfach als das Gegenteil der Privatmoral. Sie ist aber die Moral der Fürsten, die sich auf Grund eines stillschweigenden Übereinkommens und zahlloser geschichtlicher Beispiele leider gegenseitig das Vorrecht verliehen haben, ihren Ehrgeiz um jeden Preis zu befriedigen, immer nur das zu tun, was ihr Vorteil erheischt. Zu diesem Zweck brauchen sie entweder Feuer oder Schwert oder Ränke, Listen und Verhandlungen. Sie spotten selbst der gewissenhaften Beobachtung der Verträge, die, um die Wahrheit zu sagen, nichts als falsche und treulose Schwüre sind.

Die Geschichte jedes Staates, jedes Königreiches, jedes republikanischen Gemeinwesens weist politische Vereinbarungen und Bündnisse auf, die <Bild/> ebenso rasch gebrochen wie geschlossen, Friedensverträge, die alsbald wieder verletzt und von neuem geschlossen wurden. Der einzige Unterschied besteht darin, daß die Politik der Kleinstaaten ängstlicher ist als die der Großmächte, und daß Europa in unserem zivilisierten Jahrhundert sich schämen und entrüsten würde, wenn man noch heute zu Gift und Dolch griffe wie im 11. und 12. Jahrhundert. Man muß hoffen, daß eine noch aufgeklärtere Zeit der Ehrlichkeit den ihr gebührenden Platz einräumen wird.

Nicht verteidigen will ich hier die Staatskunst, die durch den steten Brauch der Völker bis auf die Gegenwart sanktioniert worden ist. Ich setze einfach die Gründe auseinander, die jeden Fürsten nach meiner Meinung zwingen, der Praxis zu folgen, die den Betrug und den Mißbrauch der Macht autorisiert, und ich sage offen: seine Nachbarn würden sich seine Rechtschaffenheit nur zunutze machen, und man würde ihm, auf Grund falscher Vorurteile und verkehrter Meinungen, das als Schwäche auslegen, was nur Tugend ist.

Solche und viele andere, reiflich erwogene Gedanken haben mich veranlaßt, den Brauch der Fürsten mitzumachen. Die Geschichte unseres Zeitalters liefert Beispiele genug zur Rechtfertigung meines Verhaltens. Angesichts all der schlimmen Praktiken, der Falschheit, Doppelzüngigkeit und Treulosigkeit meiner Nachbarn, wage ich zu behaupten, habe ich mich gegen sie noch ziemlich hochherzig benommen, und wenn auch der allgemeine Brauch meinen Verstand unterjochte, so ist mein Herz doch nicht verdorben.

Aber von mir soll hier nicht die Rede sein. Der Gegenstand meiner Darstellung ist größer und anziehender als meine Persönlichkeit. Es handelt sich hier auch nicht um eine moralische Abhandlung, sondern um geschichtliche Tatsachen. Da nur die über den guten Ruf eines Fürsten urteilen können, die kein Interesse daran haben, ihm zu schmeicheln, und sich nicht zu fürchten brauchen, ihn zu tadeln, so will ich ihnen alle Beweggründe meines Handelns auseinandersetzen und mich dann ihrem strengen Urteil unterwerfen.


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