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3. Unter den Preußen

Nach dem Manöver trat bei der Kompanie größere Ruhe ein, der Dienst wurde leichter, ein Teil der Soldaten, sichere Landeskinder, wurden mit Urlaubsschein in ihre Heimat entlassen, damit sie sich dort selbst ihr Brot verdienten; ihren Sold aber bezog nach altem Brauch der Hauptmann, der dagegen für den Bestand der Mannschaften und für die Montur verantwortlich war. Kapitän Spieß war nicht von Adel und benahm sich im Dienste als ein genauer und zorniger Mann, wie nach alter Soldatenregel ein Hauptmann sein soll. Auch beim Stabe galt er für einen tüchtigen Offizier, nur die Musen hatten ihm ihre Huld versagt, und wenn bei schriftlichen Arbeiten die gewöhnlichen Wendungen des Kompaniestils nicht ausreichten, wurde sehr bald der Korporal König zur Schreiberei kommandiert, und der Hauptmann sagte in solchem Falle herablassend: »Monsieur König, richtet die Redensarten ein, wie passend ist.« Indes gereichte diese stille Beihilfe dem jungen Unteroffizier keineswegs zum Vorteil, denn der Vorgesetzte, besorgt, ihm gegenüber die Autorität zu wahren, war im Dienst gegen ihn noch strenger als gegen andere, schalt und drohte zuweilen gröblich, und enthielt sich nicht widerwärtiger Anspielungen auf den Hochmut der Schreiber.

War der Hauptmann bürgerlich, so vertrat dagegen der Premierleutnant von Klotzing die Noblesse, er wußte sich viel mit seinem alten Geschlecht, konnte genau angeben, wieviel Ahnen bei den verschiedenen geistlichen Stiftern verlangt wurden, und erzählte, da ein Bruder von ihm Page gewesen war, gern von den königlichen Jagden in Wusterhausen und von dem Besuch des Zaren Peter, welcher den Pagen zum Scherz auf die Frisur gespuckt hatte. Doch war er in der Kompanie nicht beliebt, da er sich bei Tisch gern betrank und darauf hochmütig und krakelig wurde. Er hatte deshalb nicht selten Händel, die er mit einer guten Klinge ausfocht. Wie er behauptete, war er mit seinem Hofmeister auf einer Universität gewesen, jedenfalls nur kurze Zeit und nicht in der Absicht, sich Gelehrsamkeit anzueignen. Da er von dem jungen Korporal alle Höflichkeiten erhielt, welche dieser aus dem Vaterhause mitgebracht hatte, so gönnte auch er dem Sachsen ein nachsichtiges Wohlwollen und ließ sich zuweilen herab, ihn mit seinen Jagdabenteuern zu unterhalten.

Am wenigsten glückte es dem Unteroffizier mit seinem Fähnrich, der nach damaligem Brauch zu den Oberoffizieren gerechnet wurde und, an Jahren jünger als August, noch in dem grünen Stolz seines höheren Ranges einherschritt.

Als besserer Kamerad bewährte sich der Sekondeleutnant von Brösicke, ein redlicher Junge mit roten Backen, rundem Gesicht und hervorstehenden Augen, der keinerlei Launen hatte und auch keine Einfälle, durch welche andere überrascht wurden. Nachdem die Anrede, welche er seinem Stubennachbar zuteil werden ließ, durch einige Monate zwischen »Höret, König« und »Hören Sie, Monsieur König« geschwankt hatte, schlossen beide, sobald August die Korporalswürde erlangt hatte, Brüderschaft, und wurden allmählich Freunde.

August war so klug, einzusehen, daß er vor den Gewalthabern der Kompanie vermeiden müsse, sein besseres Wissen in allerlei gelehrten Dingen an den Tag zu legen, doch wurde dies für ihn eine harte Zumutung, und er mußte zuweilen Lehrgeld zahlen. Als er einst die Ehre hatte, mit den Offizieren auf der Stube seines Leutnants bei einem Glase Bier und einer Pfeife Tabak zusammenzusitzen, wollte das Unglück, daß die Rede auf Rom und Julius Cäsar kam. Und da ergab sich, daß sowohl der Hauptmann als seine Oberoffiziere durchaus unsicher über das Verhältnis Cäsars zum Papst waren. Der Hauptmann erklärte ganz verständig: Da Julius Cäsar ein großer römischer General gewesen ist, der Papst aber unter allen Umständen ein Pfaffe und ebenfalls zu Rom wohnhaft, so ist glaublich, daß die beiden nicht in guter Harmonie gestanden und Cäsar zu seiner Zeit sich wenig um den Papst gekümmert hat. Der Premierleutnant aber behauptete mit höherem Wissen, jedoch unrichtig, Cäsar sei als römischer Kaiser und als Vorfahre der jetzigen kaiserlichen Majestät Karl VI. mit dem Papst in Händel geraten und habe deswegen mit den Franzosen, welche zum Papst hielten, viele Kriege führen müssen. Der Sekondeleutnant und der Fähnrich endlich vertraten bescheiden die Ansicht, daß mehrerwähnter Cäsar nur Bürgermeister in Rom und der Papst jedenfalls sein Prinzipal oder Vorgesetzter gewesen sei. Da war es für August unmöglich, ein vorsichtiges Stillschweigen beizubehalten. Er tat sich auf, obschon in achtungsvoller Weise, und setzte auseinander, daß die alten Römer zur Zeit Cäsars noch Heiden waren und erst mehrere Jahrhunderte später Christen und Untertanen des römischen Papstes wurden. Im Eifer seiner belehrenden Darstellung bemerkte er nicht die mißvergnügten und abfälligen Blicke seiner Vorgesetzten, welche ihn, nachdem sein Redefluß beendet war, behandelten, als sei er gar nicht vorhanden, und von der Montierung des Potsdamer Regiments zu reden begannen, nachdem der Hauptmann noch kurz bemerkt hatte: »In jedem Fall war der Dienst in der Kompanie damals schlechter als im Preußischen.« Sogar Augusts Leutnant vermied in den nächsten Tagen ganz, mit ihm zu sprechen, der Hauptmann aber machte ihm beim Exerzieren den Dienst sauer und warf ihm unangenehme Redensarten wie »Sakramenter« und »sächsischer Tintenkleckser« zu. Durch einige Wochen kämpfte der Sachse in stiller Verzweiflung gegen die hochgehenden Zorneswogen im Gemüt der Vorgesetzten, und die Stellung war noch schlecht, als sein Gönner, der Major Vogt, in die Garnison kam. Auch dieser mußte Unholdes über den gelehrten Korporal gehört haben, denn er beachtete ihn durch die drei Tage seiner Anwesenheit gar nicht, erst kurz vor der Abreise, als August mit einer Meldung zu ihm kam, begann er mit umwölkter Stirne: »Es tut mir leid, zu vernehmen, daß die Herren Oberoffiziere mit Eurem Benehmen nicht zufrieden sind. Hat Euch der gute Anfang Eures Dienstes übermütig gemacht, so muß ich Euch sagen, daß Ihr die Nachsicht und das Wohlwollen Eurer Vorgesetzten, die Euch sehr nötig sind, völlig verscherzt habt.« Da erschrak August: »Ich bitte den Herrn Major, überzeugt zu sein, daß ich es im Dienst an Eifer nicht fehlen lasse.«

»Es ist sowohl der Dienst,« antwortete der Major, »als Euer anmaßendes Benehmen außerhalb des Dienstes, wodurch Ihr Anstoß gebt.«

»Möge der Herr Major mir glauben,« entschuldigte sich August demütig, »daß ich niemals in meinem Verhalten den geziemenden Respekt vergessen habe. Ich weiß recht gut, daß an meinem Unglück nichts schuld ist, als Julius Cäsar.«

»Wieso?« fragte der Major. Und als der Korporal wahrheitsgetreu berichtet hatte, lächelte der gute Herr zuerst vor sich hin, dann aber begann er strafend: »Es war nicht schicklich, daß Ihr Eure Schulweisheit dazu benutzt habt, um Eure Herren Offiziere in der Stunde, wo sie Euch die Ehre kameradschaftlicher Vertraulichkeit gewährten, eines Besseren zu belehren. Ihr habt ihnen dadurch ihre freundliche Absicht übel vergolten. Doch Ihr seid jung und von lebhaftem Naturell, und ich will Euch das Ungeschick nicht zu hoch anrechnen. Merkt Euch aber für Euer ganzes Leben, mein lieber Sohn, daß der Wert des Soldaten nicht vorzugsweise auf seinem Wissen beruht, sondern auf seiner Pflichttreue und auf der Stärke seines Willens. Damals, als Euer guter Vater bei unserem Regiment war, vermochte einer der Hauptleute außer seinem Namen nichts zu schreiben; er war doch von uns allen hochgeschätzt, und seine Soldaten gingen für ihn ins Feuer. Es darf Euch auch nicht ungereimt erscheinen, wenn Ihr hier und da in der Armee eine Verachtung der Schreiber und aller Gelehrsamkeit aussprechen hört; solche Feindseligkeit wird allerdings zuweilen ungerecht, dennoch ist sie bei dem preußischen Offizier zu entschuldigen, denn er merkt wohl, daß die Schreiber und Gelehrten sich unfähig und außerstande erwiesen haben, den Staat und das vaterländische Wesen vor Freund und Feind ehrenvoll zu vertreten und daß dazu sein Beruf besser geeignet ist, weil er gelernt hat, sein Blut und Leben daranzusetzen, nicht nach eigener Weisheit, sondern nach dem Willen und den Intentionen eines Oberhauptes, welches für ihn denkt.«

Nach dem Besuche des Majors trat für August bei der Kompanie wieder leidliches Wetter ein, kleine Regenschauer, aber auch Sonnenblicke, und er durfte hoffen, daß Cäsar nicht ewig als rächender Geist vor der Front gegen ihn aufsteigen werde. Da wurde durch einen Zufall das Verhältnis zu seinem Chef völlig geändert. Der Hauptmann war nicht verheiratet, er vertraute seine Wäsche aber keiner Unteroffiziersfrau an, sondern schickte sie durch seinen Burschen in ein kleines Haus an der Stadtmauer zu einer armen Witwe, welche mit einem jungen Mädchen erst vor etlichen Jahren aus benachbarter Garnison zugezogen war. Da der Hauptmann selbst häufig in der Dunkelheit das Haus besuchte, so hatte die Kompanie über diese Bekanntschaft ihre sehr bestimmten Ansichten, die aber in seiner Gegenwart nicht laut wurden, weil sein ernsthaftes und zurückhaltendes Wesen auch die Offiziere nicht zur Vertraulichkeit ermutigte. Doch erzählten die Jüngeren untereinander, daß er sich des Mädchens wegen schon einmal nach dem Mittagessen auf seiner Stube mit dem Premierleutnant geschlagen habe, jedenfalls war dieser mehrere Wochen mit verbundenem Arm gegangen, hatte aber jede Auskunft über das Duell verweigert. Als nun August eines Abends im Dienst auf der Straße ging, hörte er rohe Scheltworte und sah einen Betrunkenen, welcher ein flüchtiges Mädchen verfolgte und sie zuletzt anpackte. Er sprang herzu, schleuderte den Mann zurück und stellte sich zwischen ihn und die Verfolgte, die vor Schrecken über den Angriff einer Ohnmacht nahe war und sich an einem Türpfosten festhielt. Der Angreifer, ein übel beleumdetes Subjekt, das früher Soldat gewesen und eines Schadens wegen aus dem Dienste entlassen war, drang wütend auf den Helfer ein, der Korporal aber schlug ihn mit dem Eisen seines Kurzgewehrs über die Schulter, daß der Mann mit lautem Schrei zurücktaumelte und blutend zusammenbrach. Ohne sich weiter um den Liegenden zu kümmern, wandte sich August zu dem Mädchen, richtete sie auf und ersuchte sie höflich, seine Begleitung bis an ihre Wohnung anzunehmen. Dabei entdeckte er, daß es ein recht hübsches Mädchen war in einfacher bürgerlicher Kleidung, mit einem runden Gesicht, aus welchem ihn zwei blaue Augen verstört ansahen. Sie aber entzog ihm den Arm, und versetzte, immer noch zitternd: »Ich danke dem Herrn Korporal von Herzen, aber ich darf mit keinem Soldaten gehen; ich bitte den Herrn, mich allein zu lassen, unsere Wohnung ist in der Nähe.« Sie sah ihn noch einmal an, als ob sie wegen ihrer Weigerung um Verzeihung bitte, und eilte längs den Häusern dahin. Der Jüngling folgte ihr aus Teilnahme in einiger Entfernung, obgleich er hinter sich den Lärm der zusammenlaufenden Menschen hörte, war aber höchlich erstaunt, als er plötzlich einen Stoß vor die Brust bekam und seinen Hauptmann erkannte, der von der Seite herbeigeeilt war, wütend den Degen zog und gegen ihn einhieb. August parierte den Schlag mit seiner Waffe und rief zurückspringend: »Ich melde dem Herrn Kapitän, daß ich soeben einen Betrunkenen auf der Straße niedergeschlagen habe, weil er ein Mädchen insultierte.« Der Kapitän ließ den Degen sinken und trat, gefolgt von August, in den Haufen, welcher den Liegenden umstand. Dort erkannte er, daß der Mann schwer verwundet sei, und gebot dem Korporal kurz, einen Feldscher zu holen und alsdann in sein Quartier zu kommen, worauf er sich in derselben Richtung entfernte, welche das flüchtige Mädchen genommen hatte.

August, der jetzt den Zusammenhang ahnte, wartete längere Zeit in der Wohnung des Kapitäns. Dieser bot, als er endlich kam, dem Korporal in großer Bewegung die Hand mit den Worten: »Ich bitte Euch wegen meiner Heftigkeit um Verzeihung, Monsieur König, Ihr habt Euch benommen, wie einem Manne geziemt, der des Königs Rock trägt, ich aber habe mich in der Hitze gegen Euch vergessen. Dafür will ich Euch die Satisfaktion geben, indem ich Euch im Vertrauen auf Eure Ehre und Verschwiegenheit mitteile, daß es meine Tochter war, der Ihr heut einen großen Dienst erwiesen habt. Sie selbst hat mich gebeten, Euch den Dank auszurichten, der ihr in ihrer Angst nicht zu Gebote stand.«

»Ich habe nur geringen Anspruch auf den Dank meines Herrn Kapitäns und der Demoiselle,« versetzte August, »da ich ganz zufällig zu dem Rencontre kam und nicht wußte, wem ich beistand. Ich bitte nur, sich meiner anzunehmen, damit ich nicht wegen der Verwundung des Zivilisten, welchem das Schlüsselbein zerschlagen ist, in Ungelegenheiten gerate.«

»Ihr?« antwortete der Hauptmann mit finsterem Lächeln. »Ihr habt Lob zu erwarten, da Ihr Euch zur Stelle defendiert habt, der Kerl aber Ketten und Zuchthaus, weil er sich unterfangen, die Montur Seiner Majestät anzugreifen. Erzählt mir den Verlauf, damit ich den Bericht mache; Ihr könnt ihn selbst zur Stelle niederschreiben.«

Als dies vollbracht war, und August der Entlassung harrend, sich zusammenrückte, holte der Hauptmann eine Flasche Wein aus dem Schrank, goß zwei Gläser voll und wies auf den Tabak und die Pfeifen.

»Setzt Euch her zu mir, Monsieur König, ich habe noch etwas von Euch zu fordern.« Und als August stramm dasaß, vom Glase genippt hatte und mit stiller Genugtuung die blauen Wölkchen aus der Tonpfeife blies, begann der Hauptmann: »Ich will Euch meinen Dank dadurch bezeigen, daß ich Euch erzähle, was Eurer Jugend zu einer Lehre gereichen kann. Als armer Fähnrich war ich einem Bürgermädchen, der Tochter einer Witwe, zugetan, und ich handelte in meiner Leidenschaft nicht ehrlich an ihr. Sie starb in Kummer und hinterließ ein Mädchen. Mir ist es mein Leben lang sauer geworden, und ich war ein harter Mann, der sich das Unglück anderer nicht sehr zu Herzen nahm. Da sah ich einmal meine kleine Tochter, das Kind drückte sich in seiner Unschuld an meinen Hals, und mir fiel ein, daß ich doch jemanden auf der Welt hatte, der an mir hing. Darum begann ich mich der Tochter anzunehmen, brachte sie zu einer ordentlichen Frau, und was ich von meinem Traktament ersparen konnte, wandte ich auf ihre Erziehung. Sie wuchs heran als ein braves Kind, welches in seinem guten Herzen den Vater lieb hat. Die Stunden, in welchen ich bei ihr sitze und ihre zutraulichen Reden höre, sind das Glück meines Lebens. Aber sie sind auch mein Kummer und ein unablässiger Vorwurf. Denn sie ist unschuldig und gutartig und wäre eines besseren Schicksals wert. Aber nach den Vorurteilen der Welt ist sie ausgeschlossen von jeder Hoffnung auf eine Heirat mit einem braven Manne, und von jeder Aussicht auf eine andere anständige Versorgung. Und wenn sie mir freundlich zulacht und in ihrer kindlichen Weise erzählt, wie gut es anderen Mädchen aus ihrer Nachbarschaft mit Ehe und Hausstand gerät, da will sich in mir vor Mitleid das Herz umwenden, daß bei ihr davon nicht die Rede sein kann.« Er legte die Pfeife weg und sah finster vor sich hin.

»Vielleicht gibt es dagegen eine Hilfe,« riet August mitfühlend. »Ich habe einmal gehört, daß man auch an Kindesstatt annehmen kann.«

Der Hauptmann blickte beifällig auf ihn: »Dies ist die einzige Hoffnung, an die ich mich noch halte. Da ich aber ohne Konnexion bin und befürchten muß, daß mir ein solches Unternehmen bei den Vorgesetzten im Avancement hinderlich sein wird, so muß ich's auf die Zeit schieben, wo ich entweder als Major in den Stab versetzt oder pensioniert bin. Habe ich in der Karriere meinen Wunsch erreicht, oder habe ich keinen Gegner mehr zu fürchten, so nehme ich die Tochter zu mir.« August, stolz auf so großes Vertrauen, rauchte fort und war ganz einverstanden. »Dies habe ich Euch mitgeteilt, Korporal König, weil ich jetzt Euer Ehrenwort verlange, daß Ihr die Bekanntschaft, welche Ihr heut mit meiner Tochter Friederike auf der Straße gemacht habt, in keiner Weise fortsetzt, solange sie in ihrem dunklen Zustande leben muß; daß Ihr sie also nie in ihrer Behausung aufsucht, und wenn Ihr zufällig mit ihr zusammentrefft, sie ganz wie eine Fremde behandelt. Ich will nicht, daß mein Kind irgendwelche Bekanntschaft mit Soldaten und Offizieren hat, denn ich weiß, daß für sie daraus nichts Gutes kommen kann. Und dies ist das einzige, was ich dem armen Mädchen streng verboten habe. Wollt Ihr mir als honetter Soldat Euer Wort darauf geben, so werde ich Euch, solange Ihr dies haltet, mit aufrichtigem Danke verpflichtet sein, und wenn Ihr es im Übermute brechen solltet, Euch an Eurem Leib und Leben die Rache eines gekränkten Vaters fühlbar machen.« Er stand auf, auch August schnellte in die Höhe.

»Mein Herr Kapitän hätte nicht Ursache gehabt, mein Versprechen so stark zu provozieren; ich bin bereit, mein Wort zu geben.«

Der Hauptmann hielt einen Augenblick die Hand des Jünglings fest und entließ ihn mit Wiederholung seines freundlichen Dankes.

August ging zufrieden in sein Quartier zurück und gelobte sich selbst, daß er das neue Wohlwollen des Vorgesetzten durch Schweigsamkeit und großen Diensteifer verdienen wolle.

Dennoch erwies sich die Vorsicht des Hauptmanns in diesem Falle als ungeschickt; denn es war natürlich, daß August von jetzt ab zuweilen an sein Versprechen dachte, und mit einer gewissen Neugierde nach der Demoiselle aussah. Wenn er ihr einmal begegnete, was nicht selten geschah, so grüßte er höflich – das hatte der Alte doch nicht verbieten wollen – und empfing ihren schüchternen Gegengruß mit der frohen Empfindung, daß zwischen ihr und ihm ein geheimes Einverständnis sei, von dem die Welt nichts wissen dürfe. Auch sah er immer mehr ein, daß genügender Grund vorhanden war, die Jungfer vor der Unternehmungslust kriegerischer Jugend zu bewahren. Denn sie hatte durchaus nichts von dem bärbeißigen Wesen des Hauptmanns. Er erkannte bei jeder Begegnung deutlicher ein rosiges Gesicht mit schönen blauen Augen, denen, wie er meinte, die Fröhlichkeit sehr gut stehen müßte. Sie war einfach, aber sauber gekleidet, hatte einen zierlichen Gang und, wie er ganz genau sah, auch eine natürliche Anmut, wenn sie ihm das Köpfchen zuneigte; kurz, sie war ihrem Vater durchaus nicht ähnlich.

August konnte nichts dafür, daß er an ein Mädchen, welches ihm fremd war, das er nicht anreden und nicht kennen sollte, gerade da erinnert wurde, wo er als guter Sohn der Ermahnung seines eigenen Vaters nachkam. Dieser hatte ihn nämlich dringend aufgefordert, seine Freistunden zu weiterer Erlernung des Französischen zu verwenden, wenn sich in der kleinen Garnison eine Gelegenheit biete. Nun fand sich unter den alten Unteroffizieren der Kompanie ein Franzose, der einst als flüchtiger Hugenotte mit seinen Eltern ins Preußische gekommen war. Bei diesem nahm August gegen billige Vergütung Stunde. In der Konversation erfuhr er mit Verwunderung, daß Monsieur Roncourt auch Lehrer der Demoiselle Friederike war, und daß sein Hauptmann, der selbst aus Büchern so wenig gelernt hatte, für den Unterricht des Kindes alles mögliche tat. Der alte Franzose sprach gern von seiner Schülerin, er rühmte ihren Verstand und die Fortschritte, und beobachtete mit ritterlicher Teilnahme ihr Verhältnis zum Vater. Es kam auch heraus, daß dieser zuweilen bei den Lektionen gegenwärtig war und in hoher Zufriedenheit seine Pfeife rauchte, während die Tochter sich mit dem Lehrer in der unverständlichen Sprache unterhielt. Es wäre auffällig gewesen, wenn August seinem Lehrer verboten hätte, in der Stunde von Demoiselle zu erzählen. Und es ist wohl möglich, daß Monsieur Roncourt in seiner gesprächigen Weise auch dem Mädchen zuweilen etwas über den jungen Korporal mitteilte, der sich ebenfalls dem Lehrer wert zu machen wußte.

In dieser ganzen Zeit bestand zwischen den Eltern und den beiden Söhnen ein lebhafter Verkehr, welchen das für alle Welt erfreuliche Posthorn vermittelte. Es klang nur zweimal in der Woche durch die Straßen, aber gerade weil es nicht häufig kam, dachte jedermann, daß es ihm etwas Gutes bringen müsse, und wer in der Fremde saß, der wurde durch die weichen Töne an alle Lieben daheim erinnert. Am regelmäßigsten war in der Familie der Verkehr zwischen Fritz und dem Vater. Der Sohn schrieb von der Universität ausführlich über seine Kollegien und über die Gedanken, welche ihm angeregt wurden, der Vater aber fand eine hohe Freude darin, mit seinem Fritz gelehrte Fragen zu erörtern, und eine noch größere, wenn er in den Briefen des Jünglings einen festen, die Wahrheit suchenden Sinn erkannte. Durch den Briefwechsel wurden Vater und Sohn in ganz neuer Weise Herzensfreunde, und der Sohn gewann in dem rückhaltlosen Aussprechen über alles, was ihm die Seele bewegte und seinen Geist beschäftigte, vielleicht mehr Weltweisheit, als durch die Vorträge der Professoren.

Als Friedrich einmal im Postskript beiläufig gefragt hatte, ob Nachrichten von Thorn angekommen seien – er wollte nicht geradezu nach Dorchen fragen –, da erhielt er zu seiner Verwunderung mit der Antwort des Vaters die Abschrift eines Briefes, welchen der erste Bürgermeister von Thorn, Herr Roesner, dem Vater gesandt. Darnach hatte Dorchen den Brief des Vaters abgegeben, sie hatte den Städtern sehr gefallen, war mit den Frauen zum Gottesdienst gegangen und für längeren Besuch eingeladen worden. Wegen des Gusekschen Schreibens von 1531 aber berichtete der Konsul, daß er mit mehr Auskunft dienen könne, als vielleicht erwartet werde; sein Kollege Zernecke, der zweite Bürgermeister, sei selbst als Historikus eine Autorität und dieser wußte, daß in jenen alten Zeiten eine Familie König zu den Mitgliedern des Artushofes, also zu der angesehenen Bürgerschaft, gehört hatte. Auch das Eckhaus war ermittelt worden, es war alt und baufällig und gerade in den Besitz eines Bürgers übergegangen, der sich rüstete, dasselbe umzubauen. Da hatten die Herren Bürgermeister aus dem alten Briefe Veranlassung genommen, dem wohlgesinnten Besitzer das Geheimnis der Stube mitzuteilen; es hatte sich sogleich ergeben, was bis dahin noch niemand beobachtet, daß durch leichtes Fachwerk ein Teil des ursprünglichen Zimmers abgeschlossen war. Der Besitzer hatte in Gegenwart der Bürgermeister die Zwischenwand einschlagen lassen und dahinter einen großen Wandschrank gefunden. »Ich selbst habe, da der Hauswirt die Berührung scheute, den Schrank geöffnet,« schrieb Herr Konsul Roesner, »aber nichts darin gefunden als eine verrostete Rüstung und ein modriges Gewand, welches einem Armsünderkittel ähnlich sah; ich verberge Euer Ehrwürden nicht, daß mich einen Augenblick das Grauen überkam, als ich große dunkle Flecke darauf erkannte. Was man dort verbergen wollte, war offenbar etwas Ungünstiges aus einer Zeit städtischen Unfriedens.«

Mit einer scherzhaften und verbindlichen Wendung bat darauf der Bürgermeister um Fortsetzung der angeknüpften Verbindung und deutete an, daß es ihm wünschenswert wäre, von der neuen Leipziger Büchermesse gewisse Neuigkeiten gegen Wiedererstattung der Auslagen früher zu erhalten, als bei der langsamen Spedition durch die Buchhandlung möglich würde.

Da der Vater ermahnte, die Aufträge des Herrn Konsuls sorgfältig auszuführen, und Fritz in Leipzig gute Gelegenheit fand, das Bücherpaket nach Thorn zu spedieren, so machte es sich, daß er selbst mit den beiden Bürgermeistern, zumal mit dem gelehrten Herrn Zernecke, in höflichen Briefverkehr trat, und diese Verbindung wurde ihm eine größere Freude, als er selbst dem Vater bekannt hätte, denn er konnte dadurch vielleicht dem Dorchen die wohlwollende Teilnahme der wichtigen Stadtherren vermehren.

Nicht ganz so erfreulich waren die Nachrichten über Dorchen, welche die Post dem jüngeren Sohn brachte. In einem Briefe der Mutter las er, daß die Jugendgespielin, welche lange mit ihrer kranken Verwandten zu Dresden gelebt hatte, jetzt in einem großen Schlosse an der Weichsel wohne, welches mit fürstlicher Pracht eingerichtet sei. Dort speiste sie, wie Frau von Borsdorf in mütterlichem Stolz mitgeteilt hatte, jeden Tag von Silber und hatte drei Domestiken zu ihrer eigenen Bedienung, nur klagte sie etwas über die Einsamkeit. Und als seine Mutter mit dem Postskript schloß: »Wenn das liebe Kind nur nicht in Hochmut verfällt«, da wurde August wild und zornig über diesen Luxus mit Silber und über das ganze vornehme Wesen, und nachdem er lange mit dem unschuldigen Dorchen gegrollt hatte, kam er zu der unzufriedenen Betrachtung, wie verschieden doch das Schicksal seine Gaben austeile. Dorchen war die Tochter eines pensionierten Majors, ohne Vermögen, und lebte in so glänzendem Zustande, und Riekchen war das Kind eines Hauptmanns, der auch jederzeit Major werden konnte, und wohnte gering geachtet in einer Hintergasse. Zuletzt unternahm er sogar, die beiden Mädchen miteinander zu vergleichen; auch Riekchen war hübsch, obgleich in anderer Weise; sie hatte ein Stutznäschen, größere Fülle, ihre Augen waren vielleicht noch einnehmender. Und unzweifelhaft hatte auch sie gute Manieren.

Gustchen verhärtete sich so in seinem Zorne gegen die Vorurteile der Welt und gegen die Launen des Geschickes, daß er den trotzigen Entschluß faßte, die Ungerechtigkeit auszugleichen, soweit er dies als junger Korporal und Unbekannter vermochte. Dazu bot sich eine Gelegenheit. Durch den Franzosen wußte er, daß Friederike über den Tod eines Stieglitzes geweint hatte, der in törichter Sicherheit aus seinem Bauer geflogen und von einer Nachbarkatze erfaßt war. Darum gedachte er die Arme für die fehlenden Silberteller gewissermaßen dadurch zu entschädigen, daß er ihr einen neuen Stieglitz ins Haus praktizierte. Dies mußte natürlich so geschehen, daß der Vater nicht an einen unbekannten Geber denken konnte, weil er sonst dem Vogel unfehlbar den Hals umgedreht hätte. Es durfte also keiner von den Garnisonvögeln sein, welche durch die Soldaten gehalten und zu kunstvollem Gesange abgerichtet wurden, um das Leben der Freudearmen zu verschönern. Doch glückte es, in dem nächsten Dorf einen Stieglitz zu entdecken, der in seiner Art ein wirklicher Künstler war; er kaufte das Tierchen, als gerade sein Leutnant Dienst hatte, und trug es des Abends in seiner Hand zu dem Hause, in welchem Friederike mit ihrer alten Erzieherin wohnte. Als er durch das ausgeschnittene Herz des Fensterladens Licht im Zimmer sah, steckte er den Vogel vorsichtig in das Loch in der Hoffnung, daß der Kleine zwischen Laden und Scheiben herabflattern und durch seinen Flügelschlag ein Öffnen des Fensters veranlassen werde. Dies geschah. Der Korporal hörte das Flattern, merkte, daß jemand das Fenster auftat, und entwich geräuschlos. Bei der nächsten Lektion vernahm er mit gut erheuchelter Gemütsruhe, daß der Demoiselle in merkwürdiger Weise ein neuer Stieglitz zugeflogen war und daß der Ankömmling mit großer Freude in dem Bauer bewahrt wurde, da kein Eigentümer zu ermitteln sei. »Vielleicht haben ihn die Eulen aufgescheucht«, sagte August gleichgültig.

» C'est vrai,« rief der Franzose, erfreut über die Idee, »doch ist der Vogel abgerichtet.«

Aber dies gemütliche Verhältnis, in welches sich der junge Korporal zu einem jungen Mädchen gesetzt hatte, tönte in seiner Seele nur wie leiser Gesang in den Pausen zwischen dem Trommelwirbel des Dienstes. Als der Herbst herankam, erhielt die Kompanie ihre Rekruten, zwei Drittel Landeskinder aus der Umgegend, ein Drittel Angeworbene, welche gleich Gefangenen herangeführt wurden. Da begann auch für August neue angestrengte Tätigkeit, denn er hatte jetzt selbst bei dem Drillen zu helfen und fand es schwerer als je, seinem Hauptmann Genüge zu tun.

Zu rechter Zeit kam vor dem Weihnachtsfest die Kiste vom Vaterhause. Da der Hauptmann den Abend bei der Demoiselle zubrachte und die beiden anderen Offiziere über Land geladen waren, so bat August den Sekondeleutnant um die Ehre seiner Gesellschaft und überreichte ihm bei der Einladung einen hübschen türkischen Pfeifenkopf, den er durch ein artiges Kompliment annehmbar zu machen suchte, indem er sagte: »Mein Herr Bruder hat mir, da ich jung und unerfahren hierher kam, so viel Güte und Freundlichkeit erwiesen, daß ich, so lange ich lebe, demselben mich verpflichtet fühlen werde, und ich bitte daher, diese Kleinigkeit als ein Zeichen meiner Wertschätzung anzunehmen, dabei aber nicht die Geringfügigkeit der Gabe, sondern die gute Gesinnung zu beachten, in welcher ich dieselbe zu offerieren wage.« Der Leutnant empfing die gestopfte Pfeife und antwortete: »Du bist, hol' mich der Teufel, immer der höfliche Sachse.« Dabei zündete er sie zur Stelle an und setzte sich zum Genuß zurecht, aber er fuhr sich gleich darauf über die Augen. »Bruder, mir hat noch niemals jemand etwas zu Weihnachten geschenkt, und ich habe auch nichts für dich.« – August schüttelte ihm die Hand. »Wenn du die Kompanie haben wirst, dann kommst du an die Reihe, mir zu geben, unterdes versuchen wir heut, was in der Kiste Gutes gekommen ist.«

Diese Anweisung auf künftigen Reichtum erheiterte den Leutnant, und sie trugen gemeinsam die Schätze der Kiste auf den Weihnachtstisch.

Doch auch die Garnison wollte dem jungen Korporal ihre Artigkeit erweisen, denn als er am nächsten Morgen beim Hauptmann eintrat, begann dieser, nachdem er die Meldung angenommen: »Ihr habt in diesem Jahre einer Person, die mir lieber ist als mein Leben, einen Dienst erwiesen, und Ihr habt das Versprechen, das Ihr mir damals gegeben, als ein honetter Soldat gehalten. Ich bin nicht gewöhnt, eine Guttat zu empfangen, ohne dafür erkenntlich zu sein. Wäre ich ein Mann von Vermögen, so würde ich Euch ein besseres Präsent bieten, jetzt ersuche ich Euch, meine Jagdflinte anzunehmen, da ich höre, daß Ihr gern auf die Jagd geht.« Er überreichte ihm das Gewehr; es war ein neuer gestickter Tragriemen daran, und der Jüngling wußte wohl, woher dieser kam. In der ganzen Zeit war er von dem Kapitän kurz und gebieterisch behandelt worden, wie jeder andere; und wenn er in seiner Schlauheit trotzdem gemerkt hatte, daß er in Gunst stand, weil widerwärtige Kommandos von ihm fernblieben, so überraschte ihn doch diese Freundlichkeit des harten Vorgesetzten so sehr, daß sein Dank kürzer herauskam, als schicklich war, denn er fand nur die Worte, welche gar nicht zur Sache gehörten: »Es ist mir wohl bewußt, daß ich es nur dem Herrn Kapitän zu danken habe, wenn ich einmal ein brauchbarer Offizier werde.«

»Tut Eure Pflicht gegen den König, wie ich sie im Dienst gegen Euch tue«, antwortete der Hauptmann und entließ ihn mit einem Kopfnicken.

Und wieder kam das Frühjahr, welches an der märkischen Landschaft rings um die Garnison nur wenig zu verändern imstande war, der Kiefernwald färbte sein dunkles Gewand ein wenig heller, die Sandflächen zwischen Feld und Wald wurden ein wenig gelber und auf dem Acker sproß zögernd und spärlich die junge Saat. Die Kompanie aber bewegte sich wieder pünktlich, gleich einem Uhrwerk, zu den Vorübungen im Stabsquartier und von da nach Berlin zur Revue. Diesmal marschierte August fest wie ein alter Soldat über den Rixdorfer Damm nach dem Manöverfelde und erwartete mit Selbstvertrauen die letzte Prüfung der Unteroffiziere im Lustgarten. Er freute sich wie ein geborener Preuße, als des Königs Majestät, der kleine starke Herr, wieder aus der gelben Pforte gewichtig heranschritt. Sobald der König längs der Reihe seine Fragen getan hatte und bis zu August gekommen war, sah er ihn scharf an, und der kecke Unteroffizier August ebenso den König, weil er wußte, daß Seine Majestät dies gern hatte. »Das ist der Sachse,« sagte der Herr wohlgefällig, »seid Ihr dies Jahr bei der Revue schwindlig geworden?«

»Nein, Eure Majestät,« antwortete August, »es ging ganz gut.«

»Wie war seine Aufführung?« fragte der Herr den Markgrafen. »Hat er gut profitiert?«

»Er hat das beste Lob«, versetzte der Oberst.

»Das ist mir lieb«, sagte der König. »Ihr könnt Eurem Vater schreiben: Ich freue mich, daß der Sohn eines so braven Mannes wohl gerät, und es soll den Vater nicht gereuen, daß er Euch in meine Armee getan hat. Fahrt so fort, damit Ihr im Dienst immer fester werdet.«

Dies war in den Augen sämtlicher Anwesenden eine so hohe Gnade, daß August gleich darauf von seinem Chef, von dem guten Major Vogt, und seinen Offizieren Glückwünsche erhielt, und kaum in seinem Quartier angelangt, sich hinsetzte, um dem Vater den ganzen Vorgang zu berichten. Den Tag darauf erhielt er die Nachricht, daß ihn der König zum Gefreiten-Korporal ernannt habe, der den Dienst bei der Fahne hatte und der Nächste zum Oberoffizier war. Und seine Freude kannte keine Grenzen, als sein Hauptmann sich freiwillig erbot, ihm nach der Rückkehr in die Garnison einen mehrmonatlichen Urlaub zu geben.

Als der Freikorporal vor seiner Abreise aus der Garnison beim Hauptmann eintrat, um den Urlaubsschein zu holen, blieb er betroffen an der Tür stehen. Vor dem Vater kniete in Tränen aufgelöst Friederike und er saß über sie gebeugt in so tiefem Gram, daß er den Eintretenden gar nicht beachtete. Das Mädchen fuhr auf, sah den Jüngling schmerzvoll an und verschwand in dem Nebenzimmer, der Vater aber erhob sich, mühsam nach Fassung ringend: »Erfahret, Monsieur König, daß ich von der Kompanie und von dieser Garnison auf längere Zeit scheide. Ich bin zum Werbeoffizier für das Regiment bestimmt und soll nach Ostfriesland abgehen. Mancher hält solches Kommando für eine Gunst, und auch vom Stabe wird gratuliert, weil mir dadurch Gelegenheit geboten sei, den Major zu verdienen; ich aber hatte bis daher geglaubt, daß redlicher Dienst im Regiment mich solcher Ehre würdig machen könne, denn ich weiß, daß ich zum Marchandieren und Beschwindeln nicht passe, und mir ist, als wäre ich zu einer Kugel verurteilt.«

August dachte wohl, daß sein geradliniger Hauptmann guten Grund hatte, das Amt eines Werbeoffiziers zu scheuen. Nur übermütigen Gesellen, die nicht durch große Gewissenhaftigkeit belästigt wurden, war dies Kommando willkommen, es bot Gelegenheit zu flottem Leben in der Fremde und zu allerlei Nebenverdienst; auch Abenteuer fehlten nicht, die zuweilen gefahrvoll wurden. Und in tiefem Mitgefühl fragte der Jüngling, alle Vorsicht vergessend: »Wie aber wird es mit der Demoiselle Tochter werden?« Da ballte sich die Hand des Hauptmanns auf dem Tisch und er sagte in grimmiger Ratlosigkeit: »Das weiß Gott allein.«


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