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Wir sind von der Frage ausgegangen, wie man die beschwerlich lange Dauer einer analytischen Behandlung abkürzen kann, und sind dann, immer noch vom Interesse für zeitliche Verhältnisse geleitet, zur Untersuchung fortgeschritten, ob man Dauerheilung erzielen oder gar durch vorbeugende Behandlung zukünftige Erkrankung fernhalten kann. Wir haben dabei als maßgebend für den Erfolg unserer therapeutischen Bemühung erkannt die Einflüsse der traumatischen Ätiologie, die relative Stärke der zu beherrschenden Triebe und etwas, was wir die Ichveränderung nannten. Nur bei dem zweiten dieser Momente haben wir ausführlicher verweilt, hatten dabei Anlaß, die überragende Wichtigkeit des quantitativen Faktors anzuerkennen und das Anrecht der metapsychologischen Betrachtungsweise bei jedem Erklärungsversuch zu betonen.
375 Über das dritte Moment, das der Ichveränderung, haben wir noch nichts geäußert. Wenden wir uns ihm zu, so empfangen wir den ersten Eindruck, daß hier viel zu fragen und zu beantworten ist und daß, was wir dazu zu sagen haben, sich als sehr unzureichend erweisen wird. Dieser erste Eindruck hält auch bei weiterer Beschäftigung mit dem Problem stand. Die analytische Situation besteht bekanntlich darin, daß wir uns mit dem Ich der Objektperson verbünden, um unbeherrschte Anteile ihres Es zu unterwerfen, also sie in die Synthese des Ichs einzubeziehen. Die Tatsache, daß ein solches Zusammenarbeiten beim Psychotiker regelmäßig mißlingt, leiht unserem Urteil einen ersten festen Punkt. Das Ich, mit dem wir einen solchen Pakt schließen können, muß ein normales Ich sein. Aber ein solches Normal-Ich ist, wie die Normalität überhaupt, eine Idealfiktion. Das abnorme, für unsere Absichten unbrauchbare Ich ist leider keine. Jeder Normale ist eben nur durchschnittlich normal, sein Ich nähert sich dem des Psychotikers in dem oder jenem Stück, in größerem oder geringerem Ausmaß, und der Betrag der Entfernung von dem einen und der Annäherung an das andere Ende der Reihe wird uns vorläufig ein Maß für die so unbestimmt gekennzeichnete »Ichveränderung« sein.
Fragen wir, woher die so mannigfaltigen Arten und Grade der Ichveränderung rühren mögen, so ist die nächste unvermeidliche Alternative, sie sind entweder ursprünglich oder erworben. Der zweite Fall wird leichter zu behandeln sein. Wenn erworben, dann gewiß im Laufe der Entwicklung von den ersten Lebenszeiten an. Von allem Anfang an muß ja das Ich seine Aufgabe zu erfüllen suchen, zwischen seinem Es und der Außenwelt im Dienste des Lustprinzips vermitteln, das Es gegen die Gefahren der Außenwelt behüten. Wenn es im Laufe dieser Bemühung lernt, sich auch gegen das eigene Es defensiv einzustellen und dessen Triebansprüche wie äußere Gefahren zu behandeln, so geschieht dies wenigstens zum Teil darum, weil es versteht, daß die Triebbefriedigung zu Konflikten mit der Außenwelt führen würde. Das Ich gewöhnt sich dann unter dem Einfluß der Erziehung, den Schauplatz des Kampfes von außen nach innen zu verlegen, die innere Gefahr zu bewältigen, ehe sie zur äußeren geworden ist, und tut wahrscheinlich zumeist gut daran. Während dieses Kampfes auf zwei Fronten – später wird eine dritte Front hinzukommen – bedient sich das Ich verschiedener Verfahren, um seiner Aufgabe zu genügen, allgemein 376 ausgedrückt, um Gefahr, Angst, Unlust zu vermeiden. Wir nennen diese Verfahren »Abwehrmechanismen«. Sie sind uns noch nicht erschöpfend genug bekannt. Das Buch von Anna Freud hat uns einen ersten Einblick in ihre Mannigfaltigkeit und vielseitige Bedeutung gestattetAnna Freud, Das Ich und die Abwehrmechanismen (1936)..
Von einem dieser Mechanismen, von der Verdrängung, hat das Studium der neurotischen Vorgänge überhaupt seinen Ausgang genommen. Es war nie ein Zweifel daran, daß die Verdrängung nicht das einzige Verfahren ist, das dem Ich für seine Absichten zu Gebote steht. Immerhin ist sie etwas ganz Besonderes, das von den anderen Mechanismen schärfer geschieden ist als diese untereinander. Ich möchte ihr Verhältnis zu diesen anderen durch einen Vergleich deutlich machen, weiß aber, daß in diesen Gebieten Vergleichungen nie weit tragen. Man denke also an die möglichen Schicksale eines Buches zur Zeit, als Bücher noch nicht in Auflagen gedruckt, sondern einzeln geschrieben wurden. Ein solches Buch enthalte Angaben, die in späteren Zeiten als unerwünscht betrachtet werden. Etwa wie nach Robert EislerRobert Eisler, Jesus Basileus (1929). die Schriften des Flavius Josephus Stellen über Jesus Christus enthalten haben müssen, an denen die spätere Christenheit Anstoß nahm. Die amtliche Zensur würde in der Jetztzeit keinen anderen Abwehrmechanismus anwenden als die Konfiskation und Vernichtung jedes Exemplars der ganzen Auflage. Damals wandte man verschiedene Methoden zur Unschädlichmachung an. Entweder die anstößigen Stellen wurden dick durchgestrichen, so daß sie unleserlich waren; sie konnten dann auch nicht abgeschrieben werden, und der nächste Kopist des Buches lieferte einen tadellosen Text, aber an einigen Stellen lückenhaft und vielleicht dort unverständlich. Oder man begnügte sich nicht damit, wollte auch den Hinweis auf die Verstümmelung des Textes vermeiden; man ging also dazu über, den Text zu entstellen. Man ließ einzelne Worte aus oder ersetzte sie durch andere, man schaltete neue Sätze ein; am besten strich man die ganze Stelle heraus und fügte an ihrer Statt eine andere ein, die das genaue Gegenteil besagte. Der nächste Abschreiber des Buches konnte dann einen unverdächtigen Text herstellen, der aber verfälscht war; er enthielt nicht mehr, was der Autor hatte mitteilen wollen, und sehr wahrscheinlich war er nicht zur Wahrheit korrigiert worden. Wenn man den Vergleich nicht allzu strenge durchführt, kann man sagen, die Verdrängung verhält sich zu den anderen Abwehrmethoden 377 wie die Auslassung zur Textentstellung, und in den verschiedenen Formen dieser Verfälschung kann man die Analogien zur Mannigfaltigkeit der Ichveränderung finden. Man kann den Einwand versuchen, dieser Vergleich gleite in einem wesentlichen Punkte ab, denn die Textentstellung ist das Werk einer tendenziösen Zensur, zu der die Ichentwicklung kein Gegenstück zeigt. Aber dem ist nicht so, denn diese Tendenz wird durch den Zwang des Lustprinzips weitgehend vertreten. Der psychische Apparat verträgt die Unlust nicht, er muß sich ihrer um jeden Preis erwehren, und wenn die Wahrnehmung der Realität Unlust bringt, muß sie – die Wahrheit also – geopfert werden. Gegen die äußere Gefahr kann man sich eine ganze Weile durch Flucht und Vermeidung der Gefahrsituation helfen, bis man später einmal stark genug wird, um die Drohung durch aktive Veränderung der Realität aufzuheben. Aber vor sich selbst kann man nicht fliehen, gegen die innere Gefahr hilft keine Flucht, und darum sind die Abwehrmechanismen des Ichs dazu verurteilt, die innere Wahrnehmung zu verfälschen und uns nur eine mangelhafte und entstellte Kenntnis unseres Es zu ermöglichen. Das Ich ist dann in seinen Beziehungen zum Es durch seine Einschränkungen gelähmt oder durch seine Irrtümer verblendet, und der Erfolg im psychischen Geschehen wird derselbe sein müssen, wie wenn man auf der Wanderung die Gegend nicht kennt und nicht rüstig ist im Gehen.
Die Abwehrmechanismen dienen der Absicht, Gefahren abzuhalten. Es ist unbestreitbar, daß ihnen solches gelingt; es ist zweifelhaft, ob das Ich während seiner Entwicklung völlig auf sie verzichten kann, aber es ist auch sicher, daß sie selbst zu Gefahren werden können. Manchmal stellt es sich heraus, daß das Ich für die Dienste, die sie ihm leisten, einen zu hohen Preis gezahlt hat. Der dynamische Aufwand, der erfordert wird, um sie zu unterhalten, sowie die Icheinschränkungen, die sie fast regelmäßig mit sich bringen, erweisen sich als schwere Belastungen der psychischen Ökonomie. Auch werden diese Mechanismen nicht aufgelassen, nachdem sie dem Ich in den schweren Jahren seiner Entwicklung ausgeholfen haben. Jede Person verwendet natürlich nicht alle möglichen Abwehrmechanismen, sondern nur eine gewisse Auswahl von ihnen, aber diese fixieren sich im Ich, sie werden regelmäßige Reaktionsweisen des Charakters, die durchs ganze Leben wiederholt werden, sooft eine der ursprünglichen Situation ähnliche wiederkehrt. Damit werden sie zu Infantilismen, teilen das Schicksal so vieler Institutionen, die sich über die Zeit ihrer Brauchbarkeit hinaus zu erhalten streben. 378 »Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage«, wie es der Dichter beklagt. Das erstarkte Ich des Erwachsenen fährt fort, sich gegen Gefahren zu verteidigen, die in der Realität nicht mehr bestehen, ja es findet sich gedrängt, jene Situationen der Realität herauszusuchen, die die ursprüngliche Gefahr ungefähr ersetzen können, um sein Festhalten an den gewohnten Reaktionsweisen an ihnen rechtfertigen zu können. Somit wird es leicht verständlich, wie die Abwehrmechanismen durch immer weitergreifende Entfremdung von der Außenwelt und dauernde Schwächung des Ichs den Ausbruch der Neurose vorbereiten und begünstigen.
Unser Interesse ist aber gegenwärtig nicht auf die pathogene Rolle der Abwehrmechanismen gerichtet; wir wollen untersuchen, wie die ihnen entsprechende Ichveränderung unsere therapeutische Bemühung beeinflußt. Das Material zur Beantwortung dieser Frage ist in dem erwähnten Buch von Anna Freud gegeben. Das Wesentliche daran ist, daß der Analysierte diese Reaktionsweisen auch während der analytischen Arbeit wiederholt, uns gleichsam vor Augen führt; eigentlich kennen wir sie nur daher. Damit ist nicht gesagt, daß sie die Analyse unmöglich machen. Sie legen vielmehr die eine Hälfte unserer analytischen Aufgabe fest. Die andere, die in der Frühzeit der Analyse zuerst in Angriff genommen wurde, ist die Aufdeckung des im Es Verborgenen. Unsere therapeutische Bemühung pendelt während der Behandlung beständig von einem Stückchen Esanalyse zu einem Stückchen Ichanalyse. Im einen Fall wollen wir etwas vom Es bewußtmachen, im anderen etwas am Ich korrigieren. Die entscheidende Tatsache ist nämlich, daß die Abwehrmechanismen gegen einstige Gefahren in der Kur als Widerstände gegen die Heilung wiederkehren. Es läuft darauf hinaus, daß die Heilung selbst vom Ich wie eine neue Gefahr behandelt wird.
Der therapeutische Effekt ist an die Bewußtmachung des im Es im weitesten Sinn Verdrängten gebunden; wir bereiten dieser Bewußtmachung den Weg durch Deutungen und Konstruktionen, aber wir haben nur für uns, nicht für den Analysierten gedeutet, solange das Ich an den früheren Abwehren festhält, die Widerstände nicht aufgibt. Nun sind diese Widerstände, obwohl dem Ich angehörig, doch unbewußt und in gewissem Sinne innerhalb des Ichs abgesondert. Der Analytiker erkennt sie leichter als das Verborgene im Es; es sollte 379 hinreichen, sie wie Anteile des Es zu behandeln und durch Bewußtmachung mit dem übrigen Ich in Beziehung zu bringen. Auf diesem Weg wäre die eine Hälfte der analytischen Aufgabe zu erledigen; auf einen Widerstand gegen die Aufdeckung von Widerständen möchte man nicht rechnen. Es ereignet sich aber folgendes. Während der Arbeit an den Widerständen tritt das Ich – mehr oder weniger ernsthaft – aus dem Vertrag aus, auf dem die analytische Situation ruht. Das Ich unterstützt unsere Bemühung um die Aufdeckung des Es nicht mehr, es widersetzt sich ihr, hält die analytische Grundregel nicht ein, läßt keine weiteren Abkömmlinge des Verdrängten auftauchen. Eine starke Überzeugung von der heilenden Macht der Analyse kann man vom Patienten nicht erwarten; er mag ein Stück Vertrauen zum Analytiker mitgebracht haben, das durch die zu erweckenden Momente der positiven Übertragung zur Leistungsfähigkeit verstärkt wird. Unter dem Einfluß der Unlustregungen, die durch das neuerliche Abspielen der Abwehrkonflikte verspürt werden, können jetzt negative Übertragungen die Oberhand gewinnen und die analytische Situation völlig aufheben. Der Analytiker ist jetzt für den Patienten nur ein fremder Mensch, der unangenehme Zumutungen an ihn stellt, und er benimmt sich gegen ihn ganz wie das Kind, das den Fremden nicht mag und ihm nichts glaubt. Versucht der Analytiker, dem Patienten eine der in der Abwehr vorgenommenen Entstellungen aufzuzeigen und sie zu korrigieren, so findet er ihn verständnislos und unzugänglich für gute Argumente. So gibt es wirklich einen Widerstand gegen die Aufdeckung von Widerständen, und die Abwehrmechanismen verdienen wirklich den Namen, mit dem wir sie anfänglich bezeichnet haben, ehe sie genauer erforscht wurden; es sind Widerstände nicht nur gegen die Bewußtmachung der Es-Inhalte, sondern auch gegen die Analyse überhaupt und somit gegen die Heilung.
Die Wirkung der Abwehren im Ich können wir wohl als »Ichveränderung« bezeichnen, wenn wir darunter den Abstand von einem fiktiven Normal-Ich verstehen, das der analytischen Arbeit unerschütterliche Bündnistreue zusichert. Es ist nun leicht zu glauben, was die tägliche Erfahrung zeigt, daß es wesentlich davon abhängt, wie stark und wie tief eingewurzelt diese Widerstände der Ichveränderung sind, wo es sich um den Ausgang einer analytischen Kur handelt. Wieder tritt uns hier die Bedeutung des quantitativen Faktors entgegen, wieder werden wir daran gemahnt, daß die Analyse nur bestimmte und begrenzte Mengen von Energien aufwenden kann, die sich mit den feindlichen 380 Kräften zu messen haben. Und als ob der Sieg wirklich meist bei den stärkeren Bataillonen wäre.