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Wien IX, Berggasse 19, 19. Januar 1930
Verehrter Freund
Meinen herzlichen Dank für das Geschenk Ihres zweiköpfigen, dreibändigen Werks! Ganz wider meine Berechnung ist mein ›unbehagliches‹ Büchlein ihm um einige Wochen zuvorgekommen. Ich versuche nun unter Ihrer Führung in das indische Jungle einzudringen, von dem mich bisher hellenische Maßliebe – σωφροσύνη, jüdische Nüchternheit und philiströse Ängstlichkeit in irgendeinem Mengungsverhältnis ferngehalten haben. Ich hätte es eigentlich früher wagen sollen, denn die Gewächse dieses Bodens brauchten mir nicht fremd zu sein; ich hatte ein Stück weit ihren Wurzeln nachgegraben. Aber man kommt nicht leicht über die Begrenzungen seiner Natur hinaus.
Natürlich habe ich bald die für mich interessanteste Partie des Buches entdeckt, den Anfang, in dem Sie sich mit uns extremen Rationalisten auseinandersetzen. Daß Sie mich darin »grand« nennen, habe ich gut vertragen; ich kann Ihre Ironie nicht übelnehmen, wenn sie mit soviel Liebenswürdigkeit versetzt ist.
Zur Kritik der Psychoanalyse wollen Sie mir einige Bemerkungen gestatten: die Unterscheidung von ›extrovertiert‹ und ›introvertiert‹ rührt von C. G. Jung her, der ja selbst ein Stück Mystiker ist und seit langen Jahren nicht mehr zu uns gehört. Wir legen keinen besonderen Wert auf sie und wissen sehr wohl, daß die Menschen beides zugleich sein können und auch in der Regel sind. Ferner: unsere Ausdrücke wie Regression, Narzißmus, Lustprinzip sind rein beschreibender Natur und bringen keine Wertung mit sich. Die Ablaufsrichtungen wechseln und kombinieren sich häufig in den seelischen Vorgängen, so zum Beispiel ist das Nachdenken selbst ein regressiver Prozeß, ohne dadurch an Würde oder Bedeutung einzubüßen. Endlich stellt sich auch für die Analyse eine Wertskala her, ihr Ziel ist aber nur die höhere Harmonie des ›Ichs‹, das die Aufgabe erfüllen soll, zwischen den Ansprüchen des Trieblebens (des ›Es‹) und denen der Außenwelt, also zwischen innerer und äußerer Realität, erfolgreich zu vermitteln.
Recht weit auseinander scheinen wir in der Einschätzung der Intuition zu sein. Ihre Mystiker vertrauen sich ihr an, um die Lösung der Welträtsel von ihr zu erfahren; wir glauben, daß sie uns nichts anderes zeigen kann als primitive, triebnahe Regungen und Einstellungen, sehr wertvoll, wenn richtig verstanden, für eine Embryologie der Seele, aber unbrauchbar zur Orientierung in der uns fremden Außenwelt.
Wenn wir uns noch mal im Leben persönlich treffen, wäre es schön, darüber zu diskutieren. Aus der Ferne ist eine herzliche Begrüßung besser als Polemik. Nur eines noch: ich bin kein unbedingter Skeptiker. In einem bin ich doch ganz sicher: daß wir gewisse Dinge jetzt nicht wissen können.
Mit den wärmsten Wünschen für Ihr Wohlbefinden
Ihr getreu ergebener
Freud
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Wien IX, Berggasse 19, 8. Februar 1930
Hochgeehrte Frau
Sie haben meine Einstellung zu den Autographenjägern richtig erraten. Wenn man durch einen Federzug wirklich etwas für einen würdigen Bedürftigen tun kann, dann braucht man sich nicht zu bedenken und kann selbst an der menschlichen Torheit etwas Nützliches anerkennen. Bitte versäumen Sie es nicht, im Interesse Ihres Schützlings der reichen Dame vorzuhalten, daß eine Schriftprobe wie die beiliegende sonst schwer zu haben ist.
Ihr sehr ergebener
Freud
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Wien IX, Berggasse 19, 20. Februar 1930
Dear Dr. Roback
Ich beeile mich, Ihnen den Empfang Ihres Buches ›Jewish influence et cetera‹ zu bestätigen und Ihnen dafür zu danken. Auch habe ich es nicht aufgeschoben, den mitgeschickten Sonderabdruck zu lesen und dann das Buch wenigstens anzublättern.
Ich kann nicht umhin, eine gewisse Enttäuschung einzugestehen. Im Buch tun Sie mir große Ehre an, nennen mich zusammen mit den größten Namen unseres Volkes (was weit über meinen Ehrgeiz geht) und so weiter; in dem Aufsatz (Doctrine of Lapses) zeigen Sie sich sehr ungläubig gerade gegen das Stück der Psychoanalyse, das am ehesten allgemeine Anerkennung gefunden hat. Wie mögen Sie dann über unsere anderen weit weniger ansprechenden Entdeckungen urteilen? Mein Eindruck ist, wenn Ihre Einwendungen gegen die Auffassung der Fehlleistungen recht haben, dann habe ich sehr wenig Anrecht, neben Bergson und Einstein unter den intellektuellen Souveränen genannt zu werden. Sie merken, worauf ich hinauswill. Ich will weder mit dem Nobelpreis gekrönt noch in allen Zeitungen besprochen werden; ich hoffe, ein brauchbares Stück neuer Erkenntnis gewonnen zu haben.
Den Absatz über Psychoanalyse in Ihrem Buch habe ich noch nicht durchgelesen, ich besorge darin Unrichtigkeiten zu finden, die mir leid tun werden. In manchen Ihrer Behauptungen erkenne ich mich nicht (zum Beispiel »mystical leanings« hat mir noch niemand vorgeworfen, in der Frage der Hypnose habe ich gegen Charcot Partei genommen, wenn auch nicht ganz mit Bernheim), so wenig wie in dem garstigen Bild, das Sie von meiner äußeren Erscheinung aufgenommen haben.
Es wird Sie interessieren zu hören, daß mein Vater tatsächlich aus chassidischem Milieu stammte. Er war einundvierzig Jahre alt, als ich geboren wurde und seinen heimatlichen Beziehungen seit fast zwanzig Jahren entfremdet. Ich wurde so unjüdisch erzogen, daß ich heute nicht einmal imstande bin, Ihre offenbar in jüdischer Schrift gehaltene Widmung zu lesen. In späteren Jahren habe ich dieses Stück meiner Unbildung oft bedauert.
Mit dem Ausdruck jener Sympathie, die Ihr mannhaftes Eintreten für unser Volk erzwingt
Ihr in Hochachtung ergebener
Freud
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Wien IX, Berggasse 19, 30.März 1930
Sehr geehrter Herr Doktor
Ich danke Ihnen für die freundliche Zusendung Ihrer Lear-Übersetzung, die mir Anlaß gab, das gewaltige Werk wieder einmal zu lesen.
Auf die von Ihnen gestellte Frage, ob man Lear nicht als Hysteriker auffassen sollte, möchte ich antworten, daß man doch kein Recht hat, vom Dichter korrekt zutreffende psychiatrische Krankheitsbilder zu verlangen. Genug, wenn unser Gefühl an keiner Stelle beleidigt wird, und wenn unsere sozusagen populäre Psychiatrie uns gestattet, der als abnorm dargestellten Person auf alle Abwege zu folgen. Das ist auch bei Lear der Fall; wir werden es weder anstößig finden, daß er in seiner Kränkung den Kontakt mit der Realität aufgibt, noch daß er am Trauma haftend in Rachephantasien schwelgt, noch daß er im Übermaß seines Affekts tobt und wettert, obwohl der Charakter einer konsequenten Psychose durch solches Verhalten durchbrochen wird. Übrigens weiß ich nicht, ob solche Mischbildungen von affektivem Festhalten am Trauma und psychotischer Abwendung von demselben nicht oft genug in Wirklichkeit vorkommen. Daß er sich besänftigt und normal reagiert, nachdem er sich bei Cordelia geborgen weiß, scheint mir keinen Anlaß zur Diagnose auf Hysterie zu bieten.
Hochachtungsvoll
Ihr Freud
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Grundlsee-Rebenburg, 1.August 1930
Lieber Freund
Seit einer Woche sind wir von Berlin zurück, seit vier Tagen hier. Der Ort ist wunderschön, das Haus geräumig und behaglich, trotz einiger Tollheiten, die Aussicht über den See bezaubernd. Es regnet zu oft und zu viel, das ist hier so, die schönste Sommerzeit haben wir ja versäumt.
Meine Prothese verspricht sich zu bessern, in manchen Stücken ist sie ein deutlicher Fortschritt.
Vorgestern habe ich die offizielle Nachricht von der Zuerkennung des Goethepreises der Stadt Frankfurt erhalten. Übrigens in einem ganz reizenden, sehr verständnisvollen Brief des Sekretärs Dr. Paquet, der selbst jemand sein muß. Der Preis hat durch seine Beziehung zu Goethe etwas Würdigeres als viele andere. Ich darf mich mit ihm freuen. Er beträgt zehntausend Reichsmark, etwa die Kosten des Berliner Aufenthaltes. Die feierliche Zuteilung des Preises soll am 28. August, Goethes Geburtstag, in Frankfurt in Gegenwart des Ausgezeichneten stattfinden, der dafür eine Rede über sein Verhältnis zu Goethe preisgibt. Ich kann natürlich nicht kommen, Anna wird mich vertreten und vorlesen, was ich über Goethes Verhältnis zur Analyse und deren Recht, auch ihn zum Objekt zu nehmen, zusammenbringe.
Mit herzlichen Grüßen an Sie und Frau Gisella im neuen Hause und der Frage, ob Sie heuer noch auf Reisen gehen,
Ihr Freud
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Grundlsee-Rebenberg, 21. August 1930
Lieber Herr Doktor
Von den vielen Glückwünschen, die mir der Goethepreis eingetragen, hat mich keiner so ergriffen wie der, den Sie Ihren schlimmen Augen abgerungen haben – obwohl man Ihrer Schrift nichts anmerkt – und dies offenbar, weil ich in kaum einem anderen Falle so sicher fühle, daß meine Sympathie auf treue Erwiderung trifft. Ich bestreite nicht, daß mich der Goethepreis erfreut hat. Die Phantasie einer näheren Beziehung zu Goethe ist allzu verlockend, und der Preis selbst ist eher eine Verbeugung vor der Person als eine Beurteilung ihrer Leistung. Aber andererseits haben solche Anerkennungen in meinem Lebensalter weder viel praktischen Wert noch große affektive Bedeutung. Für eine Versöhnung mit der Zeitgenossenschaft ist es reichlich spät, am endlichen Durchdringen der Analyse lange nach meiner Zeit habe ich nie gezweifelt. Beim Durchlesen Ihrer Zeilen machte ich die Entdeckung, daß ich mich nicht viel weniger gefreut hätte, wenn man Ihnen den Preis gegeben hätte, und bei Ihnen wäre er eigentlich besser am Platze gewesen. Aber Ihnen steht gewiß viel Ähnliches bevor.
Frau und Tochter lassen sich Ihnen herzlich empfehlen, ebenso Ihrer lieben Frau, deren Zuschrift meinen besonderen Dank verdient. Meine Tochter wird mich am Goethetag in Frankfurt vertreten.
Mit allen guten Wünschen
Ihr Freud
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Grundlsee-Rebenburg, 16.September 1930
Lieber Freund
Vor allem herzlichen Dank für Ihre schönen Worte zum Tod meiner Mutter. Es hat merkwürdig auf mich gewirkt, dies große Ereignis. Kein Schmerz, keine Trauer, was sich wahrscheinlich aus den Nebenumständen, dem hohen Alter, dem Mitleid mit ihrer Hilflosigkeit am Ende, erklärt, dabei ein Gefühl der Befreiung, der Losgesprochenheit, das ich auch zu verstehen glaube. Ich durfte ja nicht sterben, solange sie am Leben war, und jetzt darf ich. Irgendwie werden sich in tieferen Schichten die Lebenswerte merklich geändert haben.
Ich war nicht beim Begräbnis, Anna hat mich auch dabei vertreten. Sie ist heute mit ihrer Freundin Dorothy auf eine Schweizer-italienische Tour gegangen, zu der ich ihr nur besseres Wetter wünschen muß.
Die schauerlichen Zeitungsnachrichten über meine Gesundheit werden auch zu Ihnen gelangt sein. Ich finde sie sehr interessant, als Beweis für die Schwierigkeit, der Öffentlichkeit und Allgemeinheit etwas aufzudrängen, was sie nicht mag. Sie sind nämlich die Reaktion auf den Goethepreis und dürfen uns vor der Täuschung warnen, daß der Widerstand gegen die Analyse in praktisch fühlbarer Weise nachgelassen hat. Denselben Reaktionscharakter zeigt auch die Rede von Bumke, die ich nur aus einer Notiz in der ›Neuen Freien Presse‹ kenne, sowie gesteigerte Tätigkeit in der Adlerschen Bande, wo sie jetzt über den Sinn des Lebens (!) und die Homosexualität publizieren. Kurz, der Goethepreis wird uns teuer zu stehen kommen.
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Ich freue mich, daß Sie arbeiten. Mit den Gratulationen zum Preis, den Kondolenzen zur eigenen Todeskrankheit und jetzt zum Tod der Mutter, mit den Unbehaglichkeiten der anhaltenden Abstinenz vom Rauchen, komme ich zu nichts.
Herzlich
Ihr Freud