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Wien IX, Berggasse 19, 26. Mai 1907
Lieber Herr Kollege
Herzlichen Dank für Ihr Lob der Gradiva! Sie glauben nicht, wie wenig Menschen etwas der Art zustande bringen, es ist eigentlich das erste Mal, daß ich ein warmes Wort über sie höre. (Nein, ich darf Ihrem Vetter(?) Riklin nicht Unrecht tun.) Ich wußte diesmal, daß die kleine Arbeit Lob verdient; sie ist in sonnigen Tagen entstanden und hatte mir selbst soviel Freude gemacht. Sie bringt ja nichts Neues für uns, aber ich glaube, sie gestattet uns, sich unseres Reichtums zu erfreuen. Daß sie der gestrengen Opposition die Augen öffnen wird, erwarte ich gewiß nicht; ich horche schon lange nicht nach dieser Seite hin, und weil ich mir von Bekehrung der Fachkreise so wenig erhoffe, habe ich auch, wie Sie sehr richtig erkannt haben, Ihren galvanometrischen Versuchen nur halbes Interesse entgegengebracht, wofür Sie mich nun bestraft haben. Ein Bekenntnis wie das Ihrige ist mir übrigens wertvoller als die Zustimmung eines ganzen Kongresses, auch weil es mir nebstbei verbürgt, daß künftige Kongresse zustimmen werden.
Wenn Sie sich für die Schicksale der Gradiva interessieren, werde ich Sie auf dem laufenden darüber halten. Bis jetzt liegt nur eine Besprechung in einer Wiener Tageszeitung vor, lobend, aber so verständnis- und affektlos wie etwa Ihre Dementen sich äußern könnten. So einem Journalisten, der die leidenschaftliche Betonung abstrakter Güter offenbar nicht begreift, macht es gar nichts, etwa zu schreiben: Die Mathematiker erzählen, 2 x 2 sei häufig gleich 4, oder: Es wird uns versichert, daß 2 x 2 gewöhnlich nicht gleich 5 ist.
Was Jensen selbst dazu sagt? Er hat sich recht liebenswürdig geäußert. Im ersten Brief gab er seiner Freude Ausdruck, daß und so weiter, und erklärte, die Analyse habe in allem Wesentlichen die Absicht der kleinen Dichtung getroffen. Er meinte natürlich nicht unsere Theorie, wie er überhaupt als alter Herr unfähig scheint, auf andere Intentionen als seine eigenen poetischen einzugehen. Er meinte, die Übereinstimmung müsse man wohl auf Rechnung der dichterischen Intuition schreiben und vielleicht seinem ursprünglichen medizinischen Studium einen Anteil gönnen. In einem zweiten Brief wurde ich dann indiskret und verlangte Auskünfte über das Subjektive an der poetischen Arbeit, woher der Stoff rühre, wo seine Person stecke und dergleichen. Ich erfuhr nun von ihm, daß das antike Relief tatsächlich existiert, er besitzt eine Nachbildung davon ..., hat aber das Original nie gesehen. Er ist selbst derjenige, der die Phantasie gesponnen hat, es stelle eine Pompejanerin dar, derjenige auch, der in Pompejis Mittagsglut zu träumen liebte und dort einmal in einen fast visionären Zustand geriet. Sonst weiß er über die Herkunft des Stoffes nichts; während einer anderen Arbeit fiel ihm der Beginn plötzlich ein, er ließ alles andere beiseite, machte sich an's Niederschreiben, geriet nie in's Stocken, fand immer alles wie fertig vor und kam in einem Zuge zu Ende. Das heißt wohl, daß die Fortsetzung der Analyse durch seine eigene Kindheit zu seiner eigenen intimsten Erotik führen würde. Das Ganze ist also wieder eine egozentrische Phantasie.
Abschließend lassen Sie mich die Hoffnung aussprechen, daß sich auch Ihnen mal was ereignen wird, was Sie für geeignet halten, einen Laienkreis zu interessieren, und daß Sie dann meine Sammlung anstatt die ›Zukunft‹ etwas beschenken werden...
Für die beiden Geschosse aus dem feindlichen Lager danke ich Ihnen sehr. Ich bin nicht in Versuchung, sie noch länger als einige Tage zu behalten, bis ich sie affektlos lesen kann. Es ist doch nur affektiver Schwachsinn. Zuerst schreiben sie so, als ob wir nie eine Traumanalyse, eine Krankengeschichte oder die Aufklärung einer Fehlleistung mitgeteilt hätten; werden sie dann auf dieses Beweismaterial mit der Nase hingestoßen, so sagen sie: Ja das ist kein Beweis, das ist Willkür. Versuchen Sie's doch einmal, dem einen Beweis zu bringen, der keinen haben will! Mit der Logik ist eben nichts zu machen, man kann von ihr sagen, was Gottfried von Straßburg vom Gottesurteil, meine ich, despektierlich geäußert:
daß der heilige Christ
windschaffen als ein Ärmel ist.
Lassen Sie aber fünf bis zehn Jahre vergehen, so wird die Analyse ›aliquis‹, die jetzt kein Beweis ist, ein Beweis geworden sein, ohne daß sich etwas an ihr geändert hat. Da hilft nichts als weitergehen und arbeiten, nicht zu viel Energie an die Widerlegung verschwenden, die Fruchtbarkeit unserer Anschauungen gegen die Sterilität der von uns bekämpften wirken lassen. Die Mißgunst blickt übrigens der Arbeit von Isserlin aus jeder Zeile. Manches ist auch zu dumm; von Ignoranz zeugt alles.
Und doch, seien Sie ruhig, es wird alles werden. Sie werden es erleben, wenn auch nicht ich. Wir sind nicht die ersten, die warten müssen, bis man ihre Sprache zu verstehen beginnt. Ich meine immer, wir haben im geheimen mehr Anhänger, als wir wissen; ich bin überzeugt, auf dem Kongreß in Amsterdam werden Sie nicht ganz allein stehen. Bei jeder neuerlichen Erfahrung, daß man uns auslacht, wächst mir die Sicherheit, daß wir etwas Großes in Händen haben. Im Nachruf, den Sie mir einmal schreiben, vergessen Sie nicht, mir das Zeugnis auszustellen, daß all der Widerspruch mich nicht einmal irre gemacht hat.
Ich wünsche, daß Ihr Chef sich bald herstellt, und daß Ihre Arbeitslast sich dann verringert. Ich entbehre Ihre Briefe zu sehr, wenn Sie sehr lange Pausen machen.
Ihr herzlich ergebener
Freud
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Hotel Wolkenstein in Sankt-Christina, Gröden
18. August 1907
Lieber Herr Kollege
Die Verarmung meiner Persönlichkeit durch die Unterbrechung unseres Verkehrs hat also erfreulicherweise ein Ende. Selbst faul und in der Welt mit den Meinigen vagierend, weiß ich Sie wieder bei der Arbeit, und Ihre Briefe werden mich wieder an das mahnen, was uns beiden das Interessanteste geworden ist. Verzweifeln Sie nicht; es war wohl nur so eine Redensart in Ihrem Schreiben. Es ist gleichgültig, ob man im Augenblick von den offiziellen Repräsentanten verstanden wird. In der Masse, die noch namenlos dahinter sich verbirgt, finden sich doch Personen genug, die verstehen wollen und die dann plötzlich hervortreten, wie ich es oft erfahren habe. Man arbeitet doch wesentlich für die Geschichte, und in dieser wird Ihr Vortrag in Amsterdam als ein Markstein ausgezeichnet sein. Das, was Sie das Hysterische in Ihrer Person heißen, das Bedürfnis, den Menschen Eindruck zu machen und auf sie Einfluß zu nehmen, was Sie so sehr zum Lehrer und Wegweiser befähigt, wird auf seine Rechnung kommen, auch wenn Sie dem herrschenden Modeurteil keine Konzession gemacht haben. Wenn es Ihnen dann in noch ausgiebigerem Maß gelungen sein wird, in die gärende Masse meiner Ideen Ihre persönlichen Fermente einzutragen, wird zwischen Ihrer und meiner Sache kein Unterschied mehr bestehen.
Ich bin nicht wohl genug, um die geplante Septemberreise nach Sizilien, wo um diese Zeit der Scirocco uneingeschränkt herrschen soll, zu wagen, und weiß daher nicht, wo ich die nächsten Wochen verbringen werde. Bis Ende August bleibe ich hier, mit Bergpartien und Edelweißpflücken beschäftigt; vor Ende September kehre ich nicht nach Wien zurück. Es ist im ganzen sicherer, wenn Sie mir zunächst unter meiner Wiener Adresse schreiben, da die Sommerpost im Gebirge sehr unverläßlich ist. Mein kleines Taschennotizbuch weist nicht eine einzige Eintragung seit vier Wochen auf, so gründlich sind alle intellektuellen Besetzungen entleert. Doch bleibe ich sehr dankbar, wenn Sie mich an etwas erinnern werden.
Deutschland wird sich an unserer Sache wohl erst dann beteiligen, wenn irgendein Oberbonze sie feierlich anerkannt hat. Vielleicht wäre der kürzeste Weg, den Kaiser Wilhelm, der ja alles versteht, für sie zu interessieren, haben Sie Verbindungen, die so weit reichen? Ich nicht. Vielleicht riecht Harden, der Herausgeber der ›Zukunft‹, die zukünftige Psychiatrie aus Ihren Arbeiten heraus? Sie sehen, ich bin hier sehr zum Scherzen aufgelegt. Ich hoffe, daß Ihnen der aufgezwungene Urlaub von der Arbeit all die Erholung gebracht hat, die ich hier durch beabsichtigte Fernhaltung zu erreichen hoffe.
Ihr stets herzlich ergebener
Dr. Freud
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Hotel Annenheim und Seehof am Ossiacher See (Kärnten)
Annenheim, den 2. September 1907
Lieber Herr Kollege
Da weiß ich Sie nun in Amsterdam, kurz vor oder eben nach Ihrem gefährlichen Vortrag, mit der Verteidigung meiner Sache beschäftigt, und ich empfinde es beinahe wie eine Feigheit, daß ich unterdes in den Wäldern Pilze suche oder in einem friedlichen See Kärntens bade, anstatt meine Sache selbst zu vertreten oder wenigstens mich an Ihre Seite zu stellen. Zur Beschwichtigung sage ich mir, daß es für die Sache besser so ist, daß Sie als der Andere, der Zweite, einen Teil wenigstens des Widerstandes ersparen, der für mich bereit wäre, daß man nichts als nutzlose Wiederholung hören würde, wenn ich wieder einmal dasselbe sagen würde, und daß Sie der Tauglichere für die Propaganda sind, denn ich habe immer gefunden, daß etwas an meiner Person, meinen Worten und Ideen die Menschen wie fremd abstößt, während Ihnen die Herzen offenstehen. Wenn Sie sich als Gesunder zum hysterischen Typus rechnen, so muß ich den Typus ›Zwang‹ für mich in Anspruch nehmen, von dem jeder Teilhaber wie in einer für ihn abgeschlossenen Welt dahinlebt.
Ob Sie Glück oder Unglück gehabt haben oder haben werden, weiß ich nicht; aber ich möchte gerade um diese Zeit bei Ihnen sein, mich freuen, daß ich nicht mehr einsam bin und Ihnen, wenn Sie etwa Aufmunterung brauchen, von meinen langen Jahren ehrenvoller, aber schmerzlicher Einsamkeit erzählen, die für mich begannen, nachdem ich den ersten Blick in die neue Welt getan, von der Teilnahmslosigkeit und Verständnislosigkeit der nächsten Freunde, von den bangen Episoden, in denen ich selbst meinte, geirrt zu haben und erwog, wie man ein verfahrenes Leben zugunsten der Seinigen noch nützlich machen könne, von der allmählich sich befestigenden Überzeugung, die sich immer wieder an die Traumdeutung wie an einen Fels in der Brandung klammern konnte, und von der ruhigen Sicherheit, die mich endlich in Besitz nahm und warten hieß, bis eine Stimme aus dem unbekannten Haufen der meinigen antworten würde. Es war die Ihrige; ich weiß ja jetzt, daß auch Bleuler auf Sie zurückgeht. Haben Sie Dank dafür und lassen Sie sich in der Zuversicht, den Sieg zu erleben und zu genießen, nicht irremachen.
Auf Ihre Teilnahme an meinem leidenden Zustand brauche ich zum Glück noch nicht viel Anspruch zu erheben. Ich habe den Eintritt ins klimakterische Lebensalter mit einer Dyspepsie (nach Influenza) begangen, die ziemlich hartnäckig war, aber in diesen schönen Wochen der Ruhe bis auf leiseste Mahnungen zurückgegangen ist.
Nach Zürich zu kommen, steht längst bei mir fest. Aber ich denke mir's als Weihnachts- oder Osterreise, mitten aus der Arbeit, angeregt und der Probleme voll, nicht wie ich jetzt bin, wo alle Besetzungen entladen sind fast wie im Schlafe. Es ist mir ja auch ein Bedürfnis, wieder einige Stunden mit Ihnen zu verplaudern.
Mit herzlichen Grüßen (und Wünschen!)
Ihr Dr. Freud
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Rom, 19. September 1907
Lieber Herr Kollege
Zur Ankunft hier habe ich Ihren Brief über den weiteren Verlauf des Kongresses vorgefunden. Er hat mich nicht deprimiert, und ich habe mit Befriedigung gefunden, daß auch Sie es nicht sind. Für Sie, meine ich, wird diese Erfahrung die besten Wirkungen haben, wenigstens solche, die mir am liebsten sind. Bei mir steigt wiederum der Respekt vor der Sache. Ich war schon auf dem Wege, mir zu sagen: »Was, nach kaum zehn Jahren schon auf dem Wege der Anerkennung? Das kann ja nichts Rechtschaffenes sein.« Jetzt darf ich es wieder dafür halten. Sie sehen aber, Ihrer bisherigen Taktik geht die Voraussetzung ab. Die Leute wollen gar nicht belehrt werden. Darum verstehen sie jetzt das Einfachste nicht. Wenn sie einmal wollen werden, wird sich zeigen, daß sie auch das Komplizierteste verstehen. Bis dahin heißt es wohl, weiter arbeiten, möglichst wenig diskutieren. Man könnte doch dem einen nur sagen: Sie sind ein Schwachkopf, dem anderen: Sie sind ein Gauner, und der Ausdruck dieser Überzeugung ist mit Recht von der Realisierung ausgeschlossen. Nebenbei wissen wir, daß es arme Kerle sind, die zum Teil fürchten, Anstoß zu erregen, ihrer Karriere zu schaden, zum anderen in der Angst vor ihrem eigenen Verdrängten gefesselt sind. Wir müssen warten, bis sie aussterben oder langsam in die Minorität geraten. Was jung und frisch dazukommt, gehört doch uns. Leider kann ich die schönen Verse aus C. F. Meyers Hutten nicht aus dem Gedächtnis zitieren, die so enden:
Und jenes Glöcklein, das so lustig schellt
Da kommt ein neuer Protestant zur Welt.
...Sie heben sehr richtig die absolute Sterilität unserer Gegner hervor, die sich mit einmal Schimpfen oder identischen Wiederholungen erschöpfen müssen, während wir weiter arbeiten können, und so jeder, der sich uns anschließt. Der Alte, der Sie überrascht hat, ist gewiß nicht der einzige; wir werden in diesem Jahr von unerwarteten Anhängern hören und andere werden Sie in Ihrer blühenden Schule gewinnen.
Nun mein ceterum censeo: Gründen wir unsere Zeitschrift. Man wird schimpfen, kaufen und lesen. Die Jahre des Kampfes werden Ihnen einmal in der Erinnerung als die schönsten erscheinen. Aus mir, bitte, machen Sie nicht so viel. Ich bin zu menschlich, um dazu zu taugen. Ihr Wunsch, mein Bild zu besitzen, läßt mich die Gegenbitte aussprechen, die gewiß leichter erfüllbar sein wird. Ich habe seit fünfzehn Jahren keinem Photographen mit Willen gesessen, weil ich so eitel bin, daß ich die körperliche Dekadenz schlecht vertrage. Vor zwei Jahren mußte ich mich für die Hygienische Ausstellung (verordnungsgemäß) photographieren lassen, verabscheue aber das Bild so sehr, daß ich nichts dafür tun will, daß es in Ihren Besitz gelange. Meine Buben haben etwa gleichzeitig ein Bild von mir gemacht, das ganz ungekünstelt und viel besser ist. Wenn Sie wollen, werde ich es in Wien für Sie auftreiben. Das Beste und für mich Schmeichelhafteste ist wohl noch die Plakette, die C. M. Schwerdtner zu meinem fünfzigsten Geburtstag angefertigt hat. Wenn ich ein Wort der Zustimmung von Ihnen habe, werde ich sie Ihnen zukommen lassen.
Ich lebe hier in Rom ganz einsam, in irgendwelchen Phantasien und gedenke erst in den letzten Tagen des Monats heimzukehren. Meine Adresse ist Hotel Milano. Ich habe mit Beginn der Ferien die Wissenschaft tief begraben und möchte jetzt wieder zu mir selbst kommen und etwas aus mir herausholen. Dafür ist die unvergleichliche Stadt der richtige Ort. Wenngleich meine Hauptarbeit getan sein dürfte, so will ich doch mit Ihnen und den Jüngeren mittun, so lange es geht...
...
Mit herzlichem Gruß und in Erwartung Ihrer Antwort
Ihr sehr ergebener
Dr. Freud
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Wien IX, Berggasse 19
Sie verlangen, daß ich Ihnen »zehn gute Bücher« nenne, und weigern sich, ein Wort der Erläuterung hinzuzufügen, Sie überlassen mir also nicht nur die Wahl der Bücher, sondern auch die Auslegung Ihres Verlangens. Gewöhnt auf kleine Anzeichen zu achten, muß ich mich nun an den Wortlaut halten, in den Sie Ihre rätselhafte Forderung kleiden. Sie sagten nicht: »die zehn großartigsten Werke (der Weltliteratur)«, wo ich dann mit so vielen anderen hätte antworten müssen: Homer, des Sophokles Tragödien, Goethes Faust, Shakespeares Hamlet, Macbeth und so weiter. Auch nicht die »zehn bedeutsamsten Bücher« unter denen dann wissenschaftliche Leistungen wie die des Copernicus, des alten Arztes Joh. Weier über den Hexenglauben, Darwins Abstammung des Menschen und andere Platz gefunden hätten. Sie haben nicht einmal nach den ›Lieblingsbüchern‹ gefragt, unter denen ich Miltons Paradise Lost und Heines Lazarus nicht vergessen hätte. Ich meine also, in Ihrer Textierung fällt ein besonderer Akzent auf das »Gut«, und mit diesem Prädikat wollen Sie Bücher bezeichnen, mit denen man etwa so steht, wie mit den ›guten‹ Freunden, denen man ein Stück seiner Lebenskenntnis und Weltanschauung verdankt, die man selbst genossen hat und anderen gerne anpreist, ohne daß aber in dieser Beziehung das Moment der scheuen Ehrfurcht, die Empfindung der eigenen Kleinheit vor deren Größe, besonders hervorträte. Zehn solcher »guter Bücher« nenne ich Ihnen also, die mir ohne viel Nachdenken eingefallen sind:
Ich weiß nicht, was Sie mit dieser Liste zu machen gedenken. Sie erscheint mir selbst recht sonderbar, ich kann Sie eigentlich nicht ohne Kommentar von mir lassen. Das Problem, warum gerade diese und nicht andere ebenso »gute« Bücher, will ich gar nicht in Angriff nehmen, bloß die Relation zwischen dem Autor und seinem Werk beleuchten. Nicht überall ist die Beziehung so fest wie bei Kipling Jungle Book. Zumeist hätte ich von demselben Autor ebensowohl ein anderes Werk auszeichnen können, etwa von Zola: den Docteur Pascal und dergleichen. Derselbe Mann, der uns ein gutes Buch geschenkt hat, hat uns oft auch mit mehreren guten Büchern beschenkt. Bei Multatuli fühle ich mich außerstande, gegen die ›Liebesbriefe‹ die Privatbriefe oder jene gegen diese zurückzusetzen und schrieb darum: Briefe und Werke. Eigentliche Dichtungen von rein poetischem Wert haben sich von dieser Liste ausgeschlossen, wahrscheinlich weil Ihr Auftrag: »gute« Bücher nicht direkt auf dieselben zu zielen schien, denn bei C. F. Meyers Hutten muß ich die ›Güte‹ weit über die Schönheit, die ›Erbauung‹ über den ästhetischen Genuß stellen.
Sie haben mit Ihrer Aufforderung, Ihnen »zehn gute Bücher« zu nennen, etwas angerührt, worüber sich unvermeidlich viel sagen ließe. Ich schließe also, um nicht noch viel mitteilsamer zu werden.
Ihr ergebenster
Dr. Freud