Ilse Frapan-Akunian
Schreie
Ilse Frapan-Akunian

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Papi.

Nini sitzt auf der Bodentreppe und läßt den schönen Knopf tanzen. Groß ist der Knopf oben und klein unten, und beide Seiten ganz goldig – so schön!

»Er kann ordentlich schießen!« jubelt Nini; beugt das glatte, schwarze Köpfchen über die weiße Holzstufe, die das Luisle mit Sand gescheuert hat, und wartet, bis die Sonne wieder kommt. Dann – ein Blitz in Nini's Augen, und sie lacht, kneift die Lider zu und jauchzt: »er hat geschossen!«

So ein kluger schöner Knopf! Aber tanzen kann er nicht sehr gut, er hat ein krummes Bein, der arme Kerle. Papi hat auf sein Bein getrampelt, heute Morgen, als er den Knopf auf dem Teppich in Mami's Erker gefunden hat. –

Nini hatte schon lange ihre Milch bekommen, und der kleine Hansel im Wagen trank schon seinen zweiten Schoppen, als Papi hereinkam. Mami sitzt und stickt und putzt sich fortwährend die Nase, sie hat solchen Schnupfen, sagt sie. Da kommt Papi ins Erkerzimmer und gähnt und sagt:

»Kaffee! aber schnell!«

»Oh, Papi, bist Du noch müde? Bist Du eben erst aufdestanden?«

Aber Papi gibt Nini keine Antwort, er gähnt und hält beide Hände an seinen Kopf. 138

»Papi, will Dein Topf abfallen?« Papi brummt und nimmt den Rock von der Stuhllehne, den der Schneider eben gebracht hat. Auf dem schwarzen Rock ist ein buntes Band, er besieht es und ruft: »Herrgott, der Esel! Hast Du denn das nicht gesehen?«

»Nein, Papi!« antwortete Nini für Mami, die weggegangen ist, um den Kaffee zu besorgen.

»Der Orden sitzt ja falsch!«

Eben kommt Mami wieder herein, immer das Taschentuch vor den Augen, wie gestern und heute Morgen. »Möchte wissen, was Du siehst?«

»Der Kaffee kommt gleich, im Augenblick, Egon.«

Mami will auf ihren Platz gehen. Oh wie roth sind ihre Augen und ihre Nase!

»Papi, sieh mal, Mami hat 'n alten sseußlichen Ssnupfen!«

»Halt den Mund, dumme Krabbe!«

»Was is 'n Trabbe, Mami? Was is 'n dumme Trabbe, Papi? Bin ich 'n dumme Trabbe? Mami? Warum bin ich 'n dumme Trabbe, Papi?«

Niemand antwortet, aber Papa ruft fortwährend:

»Der Esel! der Esel! und Du? und Du? wozu bist Du eigentlich da?«

Nini langweilt sich.

Nini geht an Hansel's reizenden neuen Wagen. So hoch ist der, und so rosa seidene Vorhänge hat er. Hansel's Backen werden rund beim Trinken, werden wieder klein –

Oh, wie Nini zusammenfährt!

»Donnerwetter, was ist das?« Papa schreit ganz laut, so furchtbar laut, daß Hansel seine kleinen Lippen öffnet, und die weiße Milch ihm über das Kinn fließt.

Noch nie hat Papi so geschrien. Und Nini sieht, 139 wie Papi etwas vom Teppich aufnimmt, etwas Blankes; es genau besieht und wieder aufschreit:

»Was ist das? Wie kommt das hierher?«

Und dann geht Papi auf Mami los und will ihr das Blanke zeigen, aber Mami will es gar nicht sehen, Mami macht sich ganz klein hinter dem bunten Bild in dem Rahmen, an dem sie mit Seide stickt und hält immer ihr Taschentuch vor.

»Papi, laß doch!« sagt Nini, und dabei guckt sie mit langem Halse zu, wie Papi das Blanke aus seiner Hand auf den Teppich schleudert, und oh! wie er schreit! Und nun trampelt er auf dem Blanken herum, ganz mit Willen.

»Was ist das? Wie kommt das in mein Haus? gib Antwort!«

Oh, wie bange wird es Nini! Aber doch möchte sie so gern sehen, was für ein blankes Ding das ist, worüber Papi so schilt, und sie läßt sich auf den Teppich nieder, wie sie es immer gethan hat, als sie noch ganz klein war, und sie kriecht Papi's Beinen nach, die noch herumstampfen.

Hah! sie hat es!

Ein Knopf! ein prachtvoller, goldener Knopf! so blitzend! ei! Nein, Papi soll ihn nicht sehen, der trampelt ihn gewiß noch entzwei, böser Papi!

Und Nini versteckt den schönen Knopf in ihrer kleinen Hand, drückt alle Finger darüber zusammen und kriecht ganz leise und schnell unter das Clavier. Denn dort hinter dem Clavier, wo die dicke bunte Portière hängt, ist eine niedliche kleine Ecke, wo Nini schon oft gesessen hat.

Dort will sie ihren Fund besehen. Und wie gut, daß Nini nun hinter der weichen bunten Portière sitzt, 140 denn Papi schreit so viel! so schrecklich viel! Und Mami sagt gar nichts.

Doch! – auf einmal sagt Mami ganz traurig:

»Sogar der Kleine in der Wiege weint über seinen Papa!«

Und da gibt Papi dem schönen neuen Wagen einen Stoß, daß Mami aufspringt und sich über Hansel wirft, und Papi lacht schrecklich und sagt:

»Pah! sein Papa! Was geht mich der an. Das ist ja nur ein –«

Weiter hat Nini nicht gehört, denn nun hat Mami auch geschrien, aber ganz anders als Papi.

Und dann sagt Mami:

»Sage das noch einmal! Wage noch einmal« – Und Papi schreit: »Der Junge ist ein – –«

Oh, Nini will auch wissen, was der kleine Hansel ist, aber sie kann das Wort nicht verstehen, das Papi von dem kleinen Hansel gesagt hat, es klingt so merkwürdig! Und Papi sagt es noch zweimal, und Nini spricht es in ihrer Ecke hinter dem Clavier unter der Portière leise und verwundert nach.

Denn Nini will gleich Mami fragen, was Papi gesagt hat, das Hansel ist, gleich, gleich, wenn Papi weggeht und Kaffee trinkt.

Aber ach – Mami ist zuerst weggegangen und hat Hansel's Wagen hinter sich hergezogen, immer mit dem Taschentuch vor ihren Augen. »Arme Mami! böser Papi!« fühlt Nini in ihrem Eckchen und möchte anfangen zu weinen.

Aber da fällt ihr der Knopf ein, und sie öffnet die Finger, blickt hinein in die Hand und lacht!

»Ssöner Tnopf!« Und sie wiegt ihn. Und dann, 141 da alle beide fort sind, Papi und Mami, kriecht Nini heraus, geht in die Küche zu Luisle, die Aepfel schält und sagt:

»Luisle, der Papi ist bös! Der Papi sagt, der Hansel ist –« –

»Wa – wa – was?« schreit Luisle und läßt das Messer fallen.

Nini fährt zusammen, aber sie kommt gleich zurück, klammert sich an Luisle und sagt:

»Luisle, was ist der Hansel? Sag's!«

Aber Luisle hat auch keine Antwort gegeben, hat einfach Alles stehen und liegen lassen und ist hinausgelaufen. Da stehen die Aepfel . . . . . »So!« denkt Nini, »nehm' ich mir 'n Apfel!«

Und mit ihrem Apfel und ihrem Knopf ist Nini auf die Bodentreppe gegangen, hat sich dort hingesetzt, erst den Apfel verspeist und dann mit dem Knopf gespielt, dem Knopf mit dem lahmen Bein. Sie küßt ihn. »Ssade! tanzt nich ssön! armer Terle!«

Der Knopf dreht sich schwerfällig ein paarmal, sein Kopf ist schwer, er wackelt und wankt. Zuletzt bleibt er krumm liegen und blinzelt schlau von unten aus mit seinem goldenen Auge.

Nini verzieht den Mund, nimmt ihn und dreht noch mal: eigentlich ist es doch zehnmal lustiger, so ein Knopf, der wackeln kann.

»Häh! wackelt wie Papi.« Und Nini verzieht wieder den Mund, und ihre Augen lachen. »Destern Abend wackelt Papi! häh!«

Nini denkt an gestern Abend und muß noch mehr lachen.

»Mami sagt zu Papi: leg Dich hin. Papi wackelt 142 in die Stube rum. Mami zieht Papi sein Arm, und Papi will das nich. Papi fällt um! oh Gott, wie hat Papi gelacht! ›Gut Nacht,‹ sagt Papi. Mami kriegt miteins so'n Ssnupfen. Papi hält sein Bein hin: ›Tiefel aus!‹ Nimmt Mami Papi sein Bein und reißt – und oh – wie Papi ssimpft und lacht! oh!«

* * *

Ganz in ihr Spiel vertieft sitzt die kleine Nini, nimmt den goldenen Knopf, wickelt ihn in ihr kleines Taschentuch, wiegt ihn, singt ihn ein, streichelt ihm sein krummes Beinchen, läßt ihn wieder wackeln.

Da – Lärm unten! Geschrei! »Zum ersten? nein sofort! Ihre Sachen zusammengepackt, Luis' und marsch.« Jemand weint hell auf.

Nini erschrickt – läßt den Knopf fallen, – der Knopf springt die Stufen hinab – unten knarrt die Bodenthür – die Stufen knarren . . . .

Nini will schreien; sie ist aufgestanden und zittert, spreizt die Fingerchen. »Oh – Papi??«

Ja, Papi, Papi mit drei Sprüngen oben, und was schwingt er in der Hand? Ist es – ist es – –?

»Oh – Papi – bitte – bitte?« – – Nein, er schwingt die Ruthe, blaß vor Wuth:

»Du! Du! Kröte Du! her mit Dir! was hast Du gemacht? was hast Du gemacht? Was hast Du der Luise gesagt? Spion? Spion im eignen Hause? Warte Du! Du kannst gut werden!« Klatsch! klatsch! klatsch!

Und die Ruthe fällt auf Nini's entblößtes Körperchen.

»Warte Du! thut das ein artiges Kind? ich werde Dich dreschen! so ein Balg!« 143

»Au – au – au – Papi – Pa –« – Klatsch! klatsch! klatsch! in das verzweifelte Jammergeschrei. Klatsch! klatsch! klatsch! ohne Aufhören! ohne Erbarmen!

»So was muß beim erstenmal – ex – em – pla – risch!« klatsch! »exemplarisch« klatsch! klatsch! –

Nini hat zu schreien aufgehört, sie ist athemlos vom Schreien. Aber Papi ist noch nicht müde. »Bitte um Verzeihung! Oder es gibt noch mehr! wird's bald? Sol – che Krö – te! Nun? die kann gut werden! Du sagst nicht bitte? bitte? Hier! klatsch! klatsch! Willst Du's wieder thun? willst noch mal weiter tragen, was gesprochen wird? Nimm Dich in Acht vor mir! Und wenn ich's todt schlage! Nicht sicher im eignen Haus? Was? Nicht sicher vor so einem – so einem – so einem –«

Der Mann mit dem blassen, wuthverzerrten Gesicht, mit den Schweißtropfen auf der Stirn, mit dem bösen Leuchten in den matten geschwollenen Augen schleudert sein Kind von sich mit einem plötzlichen Stoß, wie Nini vorhin den Knopf geschleudert hat.

Im Winkel bleibt es liegen, naß und entstellt vom Schreien, roth und außer sich, die kleine Brust kämpfend um einen neuen Schrei, das Mündchen weit aufgerissen vor tödtlichem Schrecken.

Da – eine ängstliche, geborstene Stimme aus der Zimmerthür!

»Egon! Egon! genug! hör auf! komm her, Nina, komm zur Mama. Sag': nicht wieder thun! Sag' schön: Nina unartig, Nina nicht wieder thun! Nun? Wie sagst Du?«

Mit verächtlichem Kopfschütteln sieht Papi zu, wie Mami das Kind aufhebt; wie ein zerbrochenes Spielzeug. Fast leblos ist's, nichts als zuckende Angst. 144

Papi steht dabei, die Hände in den Hosentaschen, stößt mit dem Fuß etwas Unsichtbares von sich, dreht sich um und spricht im Fortgehen: »Sie soll um Verzeihung bitten und thut's nicht. Eher gibt's kein Mittagessen.« Mami zieht Nini's Kleidchen herunter und zurecht, trocknet ihr das Gesicht, streicht ihr das Haar glatt und murmelt:

»Ja, ja, Nini, so geht's den unartigen Kindern. Sag' jetzt geschwind: bitte, bitte. Falte die Hände! Geh zum Papa! so!« Nini steht wieder, wankt vorwärts, schluchzt:

»Nini unartig – Nini wieder thun – au – au –«

»Hat sie's gesagt?«

Papi spricht über die Schulter zurück, gleichgültig, rachesatt. »Nun meinetwegen! Aber ich sag' Dir, die wird gut!«

Und dann mit erhobener Stimme: »Ist die Suppe auf dem Tisch? Es ist drei vorbei! Ich will essen!«



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