Karl Emil Franzos
Moschko von Parma
Karl Emil Franzos

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Dreizehntes Kapitel

Über der düsteren Ebene lag ein trauriger Tag. Kühl, laß und naß wehte der Wind über die verregneten Herbstblumen und die triefenden Wacholderbüsche, über die aufgeweichten Felder und den Kot der Straßen. Es klang wie ein Seufzer aus bekümmerter Brust, wenn er so dahinstrich über das öde Gefild, und auch schwach wie ein Seufzer war dieser Wind; kaum vermochte er es, an der Nebeldecke zu zerren, welche trüb und mächtig zwischen Himmel und Erde wallte, wie ein riesiger Trauermantel, wie der Qualm von tausend und aber tausend Trauerfackeln. Nur zuweilen kam jäh und schrill der Wind aus Nord gepfiffen und riß die Nebel entzwei, daß sie sich bang an die Erde drückten und wie zerrissenes Bänderwerk am Wacholder klebenblieben oder in den Luftraum zerstäubten und sich droben zu Wolken ballten. Dann lag die Erde in scharfem, kaltem, grauem Licht, und der Nordwind fegte sie immer schärfer rein. Aber wenn er den Atem anhielt, dann senkten sich die Wolken, die er bisher gejagt und gepeitscht, und entluden sich, und rasch und voll ging der Regen hernieder, bis die Wolken wieder zu Nebeln wurden, die schwer und laß die Erde umhüllten, kaum gerührt vom trägen Wind.

Ein trauriger Tag, und wer nicht anders mußte, barg sich gerne im Städtchen und in den einzelnen Gehöften der Heide. Es war gar zu unwirtlich in der grauen, triefenden Öde, und ein Bauer, der auf dem kotigen Feldwege von Korowla nach Barnow fuhr, trieb sein Pferd rastlos mit Peitsche und Zunge an und hielt sich dabei geduckt und in seinen Schafpelz eingerollt wie ein Igel. Aber erschreckt fuhr er auf, als plötzlich sein Pferd einen Satz machte, als wollte es in den Straßengraben, und 129 dann aus Leibeskräften zu galoppieren begann. Und hinter sich her hörte das Bäuerlein aus rauher, heiserer Kehle ein lautes Fluchen und Stöhnen: »Korpak-Bassma! Bauernlümmel! Ich wollte, ich hätte dich getroffen und nicht dein Pferd – hast du keine Augen, blöder Tropf, daß du geradeaus in den Menschen hineinfährst?«

»Strolch! Landstreicher!« schrie der Bauer zurück und setzte sich seitlings, um bequem schimpfen zu können. »Warum weichst du nicht aus, du . . .«

Das übrige verschlang der Wind; der alte Mensch, der da fast überfahren worden, vernahm es nicht mehr. »Diese Soldaten!« murmelte das Bäuerlein grimmig. »Die Kerle bleiben hochmütig, auch wenn sie in zerlumpten Kleidern als alte Bettler durch die Welt strolchen!«

Der Wagen war längst im Nebel verschwunden; der alte Wandersmann schleppte sich weiter durch den tiefen Schlamm der Landstraße. Er mußte müde sein oder krank, denn er blieb oft stehen und holte tief Atem, und wenn er den Stab weitersetzte, dann schwankte er. Bitter,sehr bitter fiel ihm der Marsch; der Wind wühlte in seinem grauen, rissigen Soldatenmantel, und der Regen peitschte ihm das gefurchte Antlitz und das kahle Haupt. Nur ein blaues, verschossenes Käppchen deckte das Haupt, und der alte Mann hatte es mit einem bunten, zerfetzten Tuche um den Kopf festgebunden. Auf dem Rücken trug er ein kleines Bündel, das wohl nicht schwer sein mochte, und dennoch war dieser Rücken tief gebeugt. Er bot ein klägliches Bild, der arme, alte Soldat, wie er so im trostlosen Herbstwetter mühsam die Landstraße entlangwatete. Er kam langsam vorwärts und blickte oft sehnsüchtig um sich, als suche er einen Feldstein, um rasten zu können. Endlich ersah er ein Haus von ferne; da raffte er seine Kraft zusammen und schritt rasch darauf zu.

Aber etwa zwanzig Schritte vor dem Hause blieb er wie gebannt stehen, und in dem verwitterten Antlitz zuckte es sonderbar.

Dieses Haus war die Schmiede, welche nahe bei Barnow am Feldweg gegen Korowla steht; die Schmiede, welche einst der junge Schmied Wassilj Grypko erbaut, nachdem er sein schönes Weib Marina heimgeführt. Das Haus stand wie einst, nur eine 130 strohgedeckte Hütte war darangebaut worden. Aber drinnen im rußigen Raume brannte noch das Feuer an derselben Stelle wie vor Jahrzehnten, und als der alte Mensch draußen den hellen Schein durch die Nebel schimmern sah, da starrte er darauf hin, bis ihm die Augen übergingen . . .

Der junge Mann, der bisher drinnen am Amboß hantiert, legte den Hammer aus der Hand, streckte und dehnte sich, gähnte gewaltig und trat dann vor die Türe. Der alte Soldat zuckte zusammen. Dann faßte er Mut und kam langsam heran.

Der junge Geselle maß den Nahenden mit mißtrauischem Blick. »Seit der große Krieg beendet ist«, murmelte er, »kommt alle Tage so ein Mensch vorbei. Bald fehlt die Hand, bald der Fuß. Aber genug Hände und Füße haben sie, um zu betteln und, wenn man ihnen nichts gibt, zu stehlen. Wer hat neulich der Tante das Huhn weggetragen? Gewiß jener alte Ulan! Wer weiß, ob der Infanterist da nicht auch lange Finger hat? Sieht übrigens übel aus . . .«

Der Alte war noch näher gekommen.

»He, Herr General!« rief der Geselle höhnisch, »was belieben Sie hier zu suchen?« Der Fremde gab keine Antwort. Er schüttelte den Kopf, und ein leises Zittern überflog seinen morschen Körper. »Nun, was beliebt?« fragte der Bursche wieder. »Hier ist keine Bettlerherberge.«

»Oh!« sagte der Alte dumpf, »ich weiß sehr gut, was hier ist . . . Wer hat jetzt die Schmiede?«

»Mein Onkel!« erwiderte der Bursche. Dann aber fiel ihm ein, daß er ja diesem alten Landstreicher keine Antwort schulde. »Was geht es übrigens dich an?« fuhr er darum trotzig fort.

»Weil ich – hier gut bekannt bin.«

»Hier? Da müßte ich auch etwas davon wissen! Ich bin hier aufgewachsen, verstehst du mich, du alter Lügner! Und nun packe dich! Hier wird weder gebettelt noch gestohlen!«

»Korpak-Bassma!« rief der Alte grimmig. »Du Grasaff, du junger Hund, du willst einen Soldaten des Kaisers schmähen? Weißt du, was ich war? Ich war Gefreiter!«

»Nein, General warst du«, höhnte der Bursche. »Du hast die Ungarn besiegt, die Italiener, alle! Aber jetzt packe dich!«

»Du Hund!« schrie der Alte, und sein verwittertes Antlitz 131 begann sich rötlich zu färben. »Du eines Hundes Sohn! Einundzwanzig Jahre habe ich bei Parma gedient, und du willst mich schmähen wie einen –«

Jählings stockte ihm die Rede. Er war ganz nahe an den Burschen herangetreten und hatte ihn scharf ins Auge gefaßt. »O mein Gott!« murmelte er. Er war totenbleich geworden und wankte; mit zitternder Hand hielt er sich an dem Türrahmen fest, und die starren, weitgeöffneten Augen waren auf des Burschen Antlitz gerichtet. »Wer bist du?« rief er gellend.

Der Geselle trat erstaunt zurück. »Ist er verrückt?« murmelte er.

Der alte Mensch war auf die Steinbank vor dem Hause gesunken; die Füße trugen ihn nicht mehr. Aber sein Blick fuhr fort, mit fieberhafter Spannung in dem Antlitz des Burschen zu wühlen. Es war dies wirklich ein sonderbar und auffällig gestaltetes Antlitz. Der junge Mensch hatte schlichtes, flachsblondes Haar, wie man es unter den Ruthenen häufig findet, dazu stark hervorstehende Backenknochen. Aber die Augen waren schwarz und rund, die Lippen wulstig, die Nase auffallend groß und gekrümmt.

»Wer bist du?« rief der alte Soldat noch einmal, tastete nach der Hand des Burschen und suchte ihn näher an sich zu ziehen.

Unwillig machte sich der Bursche frei. »Gewiß, der Alte ist verrückt«, sagte er vor sich hin.

»So, so spricht er mit mir!« rief der Invalide schmerzlich. Dann fuhr er sich über die Stirne und starrte dem Jüngling wieder ins Antlitz. »Ich täusche mich nicht«, murmelte er, »aus Tausenden würde ich ihn erkennen!«

Dann richtete er sich auf und fragte, so zitternd, so bang, als hinge von der Antwort Leben und Tod für ihn ab: »Deine Mutter heißt Kasia – nicht wahr?«

»Ja!« erwiderte der Bursche erstaunt.

»Und du bist bei deinem Onkel Hawrilo, Hawrilo Dumkowicz, dem Bruder deiner Mutter?«

»Ja, ihm gehört die Schmiede, ich bin Geselle.«

»Und lebt deine Mutter noch?«

»Freilich, gottlob! Hast du – habt Ihr sie gekannt?«

»Ja – es ist schon lange her . . . Und« – die Worte rangen sich 132 mühsam über seine Lippen – »und warum bist du nicht im Hause deines Vaters?«

Des Burschen Wangen färbten sich dunkelrot, seine schwarzen Augen funkelten zornig. »Das geht dich gar nichts an!« rief er. »Und wenn mich jemand damit höhnt, daß ich meinen Vater nicht kenne, den schlage ich nieder wie einen tollen Hund – merke dir das, Landstreicher! Ich bin deshalb doch ein ehrlicher Kerl und meine Mutter ein ehrliches Weib!«

»O mein Gott!« wimmerte der alte Mann; sein Antlitz war aschfarben und verzerrt, wie von furchtbarem Seelenschmerz. »Ich – ich höhne dich nicht. Ist die Kasia – ist deine Mutter verheiratet?«

»Ja!«

»Mit wem?«

»Mit Hritzko Stefiuk.«

»Gottes Segen über ihn! Und wie heißest du?«

»Fedko, Fedko Dumkowicz, erstens nach meiner Mutter, und dann, weil mich mein Onkel an Kindes Statt angenommen hat. Nun aber geh!«

»Er weist mich von der Schwelle«, murmelte der Soldat. »Er! Gott straft mich hart!«

»Fedko!« scholl eine gellende Stimme aus der Schmiede, »mit wem zankst du da?«

»Mit einem Bettler, Tante!«

»Mit einem Bettler?« ließ sich eine andere Stimme, die eines Mannes, vernehmen, »hier ist kein Armenhaus!«

Und wie zu dem Zwecke, um dies nachdrücklich zu bestätigen, erschien jetzt Hawrilo, der Schmied, in der Türe. Er war mächtig dick geworden im währenden Zeitenlauf, und eine gewaltige Morgenröte, welche seine Nasenspitze umstrahlte, wies deutlich, daß nicht Wasser allein ihn so aufgebläht. »Wer ist es denn?« fragte er und begann behaglich zu lachen, als er die Jammergestalt gewahrte. »He! Eure Hochgeboren, gnädigster Herr, welches Regiment haben Sie denn geziert?«

»Ein Soldat?« ließ sich die gellende Stimme wieder hören. »Treib ihn fort, augenblicklich – o meine Hühner!«

»Ja, fort!« wiederholte Hawrilo.

Der Invalide war während dieser Reden unbeweglich 133 dagestanden und hatte dem Schmied ins Antlitz gestarrt. »Hawrilo!« sagte er mit zitternder Stimme. »Hawrilo, du erkennst mich nicht?«

»Nein!« erwiderte dieser, »und zu mir sagt man ›Ihr‹, weil ich ein Schmiedemeister bin und Eure Hochgeboren ein Landstreicher!«

»Oh!« rief der Alte, »ich habe zu dir oft genug ›du‹ gesagt, viele Jahre lang. Und du warst mir ein guter Kamerad!«

»Treib ihn fort«, ließ sich die gellende Stimme wieder vernehmen.

Aber diesmal gehorchte Hawrilo nicht. Er schaute und schaute, und seine Augen wurden immer größer.

»Moschko!« rief er plötzlich und wurde rot vor Freude. »Mein alter Moschko! Also du lebst noch, wirklich und wahrhaftig? Der Walerian Strymko hat erzählt, wie sie dich in Verona begraben haben und was für ein stattlicher Leichenzug das war!«

»Er hat leider gelogen«, erwiderte der Alte.

»Leider? Narr, du bist ja kaum über die Vierzig, freilich etwas übel zugerichtet – also – aber komm nur – natürlich ist mein Haus auch das deinige –«

Und voll Eifers, hochrot vor Freude, zog der gute, dicke Mann den zerlumpten Gast hinter sich her ins Innere des Wohnhauses.

»Hawrilo, was soll das?« gellte und quiekte jene andere Stimme. »Hawrilo, was fällt dir ein?«

Der Meister blieb stehen und verfärbte sich ein wenig. »Mein Weib«, flüsterte er dem Alten zu. Und in sanftestem, demütigstem Tone rief er ins Halbdunkel hinein: »Hier, mein Täubchen, ist ein alter Kamerad. Eben heimgekommen, weißt du. Eine brave Haut! Bitte, trage uns ein wenig Schnaps, Speck und Brot auf!«

»Ich werde dir etwas auftragen, daß dir Hören und Sehen vergeht«, quiekte die Stimme. »Wenn du schon keinen anderen Vorwand zum Saufen hast, so ladest du dir die Bettler von der Landstraße ein? Wart, das soll dir vergehen!«

»Aber Täubchen«, bat Hawrilo, »es ist ja der Moschko, von dem ich dir so oft erzählt habe, der Moschko, den sie vor einundzwanzig Jahren rekrutiert haben!«

134 Der junge Fedko, der bisher teilnahmslos zur Seite gestanden, trat näher, beguckte den alten Soldaten aufmerksam und schüttelte verwundert den Kopf. »Der Mensch soll sich nichts vorstellen«, murmelte er vor sich hin. »Wenn der Onkel oder die Mutter von dem jüdischen Riesen erzählt haben, wie hab ich mir den gedacht! Und nun sieht er so aus!«

Aber die quiekende Stimme war durch diese förmliche Präsentation des Gastes keineswegs versöhnt – im Gegenteil! »Wa-as?« schrie sie langgedehnt und so scharf, daß man mit dem Tone die dickste Glastafel hätte zerschneiden können. »Einen Juden soll ich füttern?! Einen gottverdammten Juden – na! warte!«

Man vernahm drinnen ein verdächtiges Schlurfen, wie von Holzpantoffeln auf Steinplatten. »Sie kommt, Onkel«, murmelte Fedko warnend.

Im Dunkel des Raums zwischen Schmiede und Wohnzimmer erschien ein Etwas, ein furchtbar langes und mageres Etwas, welches sich schlurfend vorwärts bewegte. Es war nicht zu entscheiden, ob dieses leise Klappern von den Holzpantoffeln herrührte oder ob die Knochen dieses Etwas so unheimlich aneinanderschlugen. Es glich nur ganz entfernt einer menschlichen Gestalt, um welche Frauenkleider schlotterten.

»Das ist Veronia, mein süßes Weibchen«, sagte Hawrilo demütig zu seinem einstigen Kameraden.

»Ich will dir zeigen, daß ich auch bitter sein kann«, krächzte das Etwas. »Dieser Bettler, er muß vor die Tür – augenblicklich! – und du an die Arbeit, augenblicklich!«

Aber der gute Hawrilo regte sich nicht. »Weib!« sagte er, »nur einmal habe ich leider in unserer Ehe den Mut gehabt, dich zu prügeln; das war damals, wie du die Kasia wegen dieses Fedko hier geschmäht hast. Aber wenn du nicht augenblicklich in deine Küche zurückgehst, dann finde ich heute zum zweiten Male den Mut –«

Der Dicke wartete die Wirkung dieser imponierenden Rede nicht ab, sondern zog seinen Kameraden rasch in die Schmiede zurück und verriegelte die Tür, welche ins Wohnhaus führte. Fedko war ihm gefolgt. »So!« sagte der Gute aufatmend, »jetzt habe ich ihr wieder einmal den Herrn gezeigt. Und nun sind wir 135 Männer unter uns. Hier in der Schmiede bin ich Herr! Das heißt – eigentlich überall, verstehst du, aber hier besonders!«

Er schob ein Bänkchen herbei. »So, Alter«, fuhr er fort, »da setz dich hin und erzähle.«

Draußen ging das Keifen und Quieken und Klappern fort, auch flog einer der Pantoffel an die verschlossene Türe. Aber das kümmerte den wackeren Meister nicht mehr. »Wir wollen es uns behaglich machen«, sagte er. »Ja! behaglich – und von alten Zeiten reden. Du aber, Fedko, du bist ein schlauer Fuchs und kannst stehlen wie ein Rabe, du wirst uns Schnaps und Brot und Wurst bringen.«

»Aber Onkel, wenn mich die Alte ertappt, sie ist ja jetzt so wütend!«

»Dich ertappt sie nie!« tröstete der Meister. »Du wirst sie schon überlisten.«

Fedko kraute sich ein wenig hinter dem Ohr. »Wir wollen es versuchen, Onkel«, versprach er und verschwand.

Die beiden Jugendgefährten waren allein.

»Und nun, Moschko, wie ist es dir ergangen?« begann Hawrilo. Aber er wartete die Antwort nicht ab, sondern fuhr eifrig fort: »Mir ist es gut ergangen, wie du siehst. Also, wie sie dich rekrutiert haben – wir haben sehr um dich getrauert, nämlich ich und meine Schwester Kasia, welche dir ganz gut gesinnt war – also wie du fort warst – aber nichts hast du von dir hören lassen, einundzwanzig volle Jahre, das ist eigentlich entsetzlich! – also, da bin ich allein geblieben, hier in der Schmiede. Nämlich der einzige Geselle unter dem neuen Meister Simeon, dem Erben unseres alten Wassilj. Der Meister hatte eine Tochter, die später nachgezogen kam, nun, schön war sie nicht, das ist freilich wahr, auch war sie älter als ich, so um zehn Jahre –aber ich bitte dich, ich war ein so armer Bursche, ich habe doch nicht ewig Geselle bleiben können! Also – sie hat mich immer so angeschaut, weißt du: so« – er bemühte sich, recht zärtliche Augen zu machen – »und da habe auch ich sie so angeschaut und – habe sie geheiratet, ja! Was ist da viel zu erzählen! Und bin Meister geworden und lebe so vor mich hin. Mein Weib – nun, schöner könnte sie freilich sein, auch sanfter, aber ich habe mich darein gefunden. Denn was die Schönheit betrifft, so wird 136 doch schließlich jedes Weib alt, und was die Sanftmut betrifft, so gewöhnt man sich an alles! Zuweilen zeige ich ihr übrigens doch, wer der Herr im Hause ist. Du hast es ja selbst gesehen. Also, so steht es mit mir! Ich – ich bin zufrieden . . .«

Er seufzte aber doch tief auf. Und seufzend fuhr er fort: »Kinder freilich haben wir nicht. So habe ich denn den Fedko in mein Haus genommen, den Sohn meiner Schwester . . . Beißt dir der Rauch in die Augen? Nicht? Ich meinte nur, weil du so zwinkerst . . . Also, der Fedko wurde bei uns erzogen, und mein Weib war damit einverstanden, und, siehst du, sie war ganz gut gegen den kleinen Balg. Denn, siehst du, so ein kleines Spielzeug hat jedes Weib gern, auch wenn es sonst ein alter Dra – hm! also, was ich sagen wollte, mein Weib ist wahrhaftig nicht so schlimm, wie sie aussieht, das hat sie an dem Fedko bewiesen. Er ist ja aber auch ein Kerl, den jeder liebhaben muß. Brav und treu und dabei ein schlauer Spitzbube, ich sage dir, dem gegenüber kommt selbst ein Jud nicht auf! Und wie geschickt! ein Schmied wie kein zweiter in Podolien. Aber – da beißt dir der Rauch schon wieder in die Augen, ich will das Feuer ganz löschen . . .«

»Nein! laß es!« wehrte Moschko ab und wischte sich hastig eine Träne von der Wange. »Und deine Schwester? Es geht ihr gut?«

»Sehr gut, gottlob!« versicherte der Schmied. »Du erinnerst dich wohl des blonden Hritzko, der damals Hirte war? Nun, sein Onkel hat ihm ein Anwesen hinterlassen, und kaum, daß er die Erbschaft angetreten, ist er zur Kasia gekommen und hat sie gefragt, ob sie ihn möge. Das war sehr brav von ihm, denn er hätte eine Reiche haben können, und dazu war meine Schwester – nun, also der Fedko da! Sie hat niemandem bekennen wollen, wer sie ins Unglück gebracht, nicht einmal mir, aber ich weiß es doch, natürlich; soweit wirst du dich doch meiner erinnern, daß ich immer einen scharfen Blick hatte, dem nichts entgehen konnte: es war also dieser Jacek gewesen, Jacek Hlina, der Sohn ihres Dienstherrn. Aber unser braver Hritzko hat sich nicht darum gekümmert und sie doch geheiratet. Er hat es auch nie zu bereuen gehabt. Sie ist ihm ein braves Weib geworden, hat ihm schöne Kinder geboren, und sie leben so zufrieden wie zwei 137 Tauben. Du wirst sie doch besuchen? Sie wird sich sicherlich freuen, dich zu sehen.«

»Ja, gewiß«, murmelte Moschko. »Aber sie wird mich schwerlich erkennen. Wie ich jetzt aussehe –«

»Ja, weiß Gott!« nickte der Schmied treuherzig, »übel genug siehst du aus! So, ich weiß nicht, so verhungert! Nimm's mir nicht übel, Moschko!«

»Warum?!« sagte der Soldat dumpf. »Es ist ja die Wahrheit. Ich habe in der letzten Zeit viel gehungert.«

»Gehungert?!« rief der Schmied. »Oh! – aber da kommt ja schon der Fedko! Was hab ich dir gesagt, dieser Schlingel bringt alles zustande!«

In der Tat hatte der junge Geselle unter den schwierigen Verhältnissen das möglichste geleistet. Er brachte Wurst und Speck, einen Laib Brot und eine große, grüne Flasche voll Schnaps. »Pst!« flüsterte er, indem er ein anderes Bänkchen herbeirückte und die Schätze ausbreitete, »ich habe es fast unter der Alten Augen aus dem Keller und der Kammer davongetragen. Aber still! sie horcht ab und zu dort an der verschlossenen Türe. Auch wäre es gut, wenn wir das Tor schließen würden, damit sie uns nicht etwa von dieser Seite überrascht. Heute, bei dem Hundewetter, kommt ohnehin niemand zur Schmiede.«

So taten sie und saßen nun, sicher vor jedem Überfall, in dem dämmerigen Raume, den die Herdglut matt erhellte, behaglich zusammen.

»Siehst du, Moschko«, sagte der dicke Meister und setzte sich bequem zurecht, »siehst du, ich bin doch eigentlich Herr in meinem Hause und kann treiben, was ich will . . . Aber nun erzähle, erzähle du! Du bist ja so weit in der Welt gewesen, in Verona und in Lemberg, sogar in Wien! Aber trink vorher, und hier – hier ist Speck und Brot, da, iß! Du wirst doch den Speck nicht verschmähen wie damals, he! he! als du dich mit meiner Schwester prügeln wolltest . . .«

»Ich verschmähe nichts«, erwiderte Moschko, griff wacker zu und aß in großen Brocken und trank in durstigen Zügen. Dann schob er die Speise beiseite. »Ich danke dir, Hawrilo«, sagte er, so recht aus ganzem Herzen, »ich habe es schon lange nicht so gut gehabt!«

138 »Du Ärmster! Aber nun erzähle! Was hast du alles erlebt! Du wirst ja in vier Tagen nicht fertig!«

Aber der Soldat schüttelte traurig das Haupt. »In vier Worten ist es gesagt«, sagte er düster. »Als frischen, kräftigen Burschen haben sie mich genommen, und als unnützen Krüppel haben sie mich entlassen. Mein rechter Arm ist lahm, und ich bin hinfällig wie ein Greis. Jetzt habe ich die Wahl, entweder zu betteln oder zu stehlen oder zu hungern. Zum Betteln bin ich zu stolz, zum Stehlen bin ich zu gut, und das Hungern tut so sehr wehe! So wird mir denn nur ein viertes übrigbleiben, mein lieber Hawrilo! Alles wird sich geändert haben in den langen Jahren, aber eines ist wohl noch wie einst: der Sered fließt noch an derselben Stelle.«

»Jesus Maria!« rief der Dicke und erhob die Hände, »sprich nicht so, das ist eine große Sünde! Du bist zwar ein Jude, aber du hast ja auch einen Gott, fürchte dich doch vor ihm . . .«

»Ich – ich fürchte mich vor gar nichts mehr! Gott hat mich für mein Verschulden ohnehin hart bestraft, er kann mich auch der größten Sünde wegen nicht noch härter strafen!«

»Aber willst du nicht einen Erwerb suchen?«

»Freilich! Aber welchen? Ich habe einmal das Schmiedehandwerk geübt – nun, dazu taugt mein rechter Arm nicht mehr. Soll ich ein anderes Handwerk erlernen? Ich habe ja keine Kräfte mehr! Freilich habe ich als Kapitulant und Invalide ein Gnadengehalt von zwölf Gulden jährlich, das sind zwei Kreuzer täglich – davon kann man ja nicht leben.«

»Aber warum bist du so lange beim Militär geblieben?«

»Warum? Ach! vierzehn Jahre habe ich ja bleiben müssen, und wie die Zeit um war, da habe ich mir gedacht: In der übrigen Welt kennst du dich nicht mehr aus, und für die übrige Welt taugst du wenig mehr – also bleibe da, wo du dich gewöhnt hast. Und wie mir mein Hauptmann sagt: ›Veilchenduft‹, sagt er, ›du bist ein braver Mensch, es ist schade, daß du nicht lesen und schreiben kannst, sonst wärest du längst Feldwebel, aber zum Gefreiten mache ich dich, wenn du noch eine Kapitulation dienen willst, und ein Handgeld bekommst du und vom Kaiser eine Auszeichnung‹ – also, wie er mir das sagt, da erwidere ich: ›Zu. Befehl, Herr Hauptmann!‹ Ganz gern hab ich es getan, ich Tor! Damals habe ich meine gesunden Glieder gehabt und war 139 vierunddreißig Jahre alt! Aber da dachte ich mir: Die neue Kapitulation dauert ja nur so sieben Jährchen! und dann – die Auszeichnung und das Gefreiterwerden hat mir in die Augen gestochen. Nun, neunzehn Jahre hatte ich im Frieden gedient, da kamen plötzlich an allen Enden und Ecken die großen Kriege. Der Italiener fing's mit dem Kaiser an, der Ungar, sogar der Wiener. Wir von Parma haben viele Arbeit gehabt. Und es ist mir übel ergangen, sehr übel. In Mantua bekomme ich das Sumpffieber und muß doch weiter in den Krieg. Und dann schicken sie uns nach Ungarn, und vor Komorn sind wir gelegen. Da schlägt mich bei einem Ausfalle ein Honved über den Kopf, ein anderer über den Arm. Nun, die Wunden sind vernarbt, aber der Kopf ist mir kahl geworden und tut mir manchmal höllisch weh, und der Arm da ist lahm und steif und schwach wie der eines Kindes. Die Offiziere haben mir die Aussicht gegeben, daß ich nach Wien komme, ins Invalidenhaus, sobald dort Platz ist. Vorläufig, sagten sie, sollte ich nach Barnow gehen, meine Heimatsgemeinde hat die Pflicht, für mich zu sorgen!. Ach! das sind böse Aussichten! Ins Invalidenhaus sollen vielleicht zehntausend kommen, die noch schwerer verwundet sind als ich; da kann ich lange warten. Und was die Versorgung der Gemeinde betrifft – Korpak-Bassma, der Sered ist mir doch lieber –«

»So habe doch nur Mut«, tröstete Hawrilo. »Und im schlimmsten Falle bin ich ja auch noch auf der Welt!« Das letztere sagte er freilich sehr leise, so daß es sein Täubchen hinter der Türe nicht hören konnte, selbst wenn es noch so angestrengt horchte.

»Und habt Ihr kein Abenteuer erlebt?« forschte Fedko. »Wißt Ihr, so – Abenteuer, wie es eben die Soldaten erleben!«

»Freilich! Und ob!« rief der Invalide feurig und leerte sein Gläschen auf einen Zug. »Mehr Abenteuer als tausend andere zusammen! Unter Radetzky – hei!«

»Unter Radetzky!« rief Hawrilo. »Hast du ihn auch recht in der Nähe gesehen?«

»So wie ich dich sehe! Wahrhaftig! Und täglich dreimal! Sogar oft des Nachts. Und hier und da sogar nur im Hemde!«

»Im Hemde!« wiederholte Hawrilo ehrfurchtsvoll. »Wie ist denn das zugegangen!«

»Nun, ganz natürlich! Weil ich sein Ordonnanzsoldat war! 140 ›Moschko‹, hat er gesagt, ›du bist ein braver Mensch und sehr klug, werde doch mein Fourierschütz!‹ Aber da habe ich gesagt: ›Nein, Herr Feldmarschall, Sie können nicht von mir verlangen, daß ich Ihr Bedienter werde. Nicht dazu habe ich die zweite Kapitulation angetreten, sondern um als Soldat zu kämpfen!‹ Nun, es hat ihm zwar sehr leid getan, aber er hat eingesehen, daß ich recht habe, und so war er froh, daß ich als Ordonnanz bei ihm geblieben bin. Und wie oft hat er gesagt: ›Der Moschko von Parma hat mehr Verstand als alle übrigen Soldaten zusammengenommen!‹ Wahrhaftig! vielleicht hundertmal hat er das gesagt. Und die wichtigsten Depeschen hat er von mir befördern lassen. ›Moschko!‹ hat er gesagt, ›hier! besorge es und sag ihm, ich laß ihn grüßen!‹«

»Wen?« fragten Hawrilo und Fedko.

»Könnt ihr das nicht erraten?! Natürlich ihn!«

»Wen?«

Der Invalid richtete sich auf, legte die Finger salutierend an das Käppchen und sagte feierlich:

»Den Kaiser

»A-a-h«, riefen die beiden überaus erstaunt.

»Ja! den Kaiser! Drei Male hab ich ihn gesehen und gesprochen und . . .« Aber weiter kam der arme, alte Mensch nicht, der da trotz aller Betrübnis in das Poltronieren hineingeraten. Denn urplötzlich begann es von zwei Seiten her an der verschlossenen Türe und am Tor der Schmiede zu klopfen.

Die drei sprangen von ihren Sitzen auf. Der gute Hawrilo verlor den Kopf und begann zu zittern. »Um Gottes willen«, flüsterte er, »versteck die Flasche!« Aber das konnte ihm wenig nützen. Denn sein Täubchen quiekte, indem es rasend mit dem Pantoffel an die Türe hieb, mit einer Stimme, die alles übergellte: »Du Lump! Du gottvergessener Galgenstrick! Am hellen Tage schließt er die Werkstätte und besäuft sich in Kompanie mit einem Bettler. Und draußen wartet der hochwürdige Herr von Korowla! O du Lump! Wehe deinem feisten Rücken!«

Fedko hatte inzwischen gerettet, was zu retten war. Er hatte die Reste der Mahlzeit und die leere Flasche geborgen, das Tor der Schmiede geöffnet.

Draußen harrte wirklich der Hochwürdige von Korowla. Es 141 war nicht etwa unser Bekannter, der wackere Wladimir Borodaykiewicz; dieser Brave war längst den Weg alles Fleisches gegangen. Auch schien sein Nachfolger nicht so gutmütig wie er. »Warum laßt Ihr mich warten?« rief der gelbe, magere Herr ungeduldig.

Hawrilo stammelte eine demütige Entschuldigung, indes Fedko den Juden rasch zur Türe hinausschob. Aber er tat es nicht unfreundlich und flüsterte ihm zu:

»Kommt doch bald wieder! Ich höre gar zu gerne solche Abenteuer! Und wenn ich auch sonst die Juden nicht leiden kann, gegen Euch habe ich nichts, denn von Euch haben mir die Mutter und der Onkel Gutes erzählt.«

»Ich danke!« stammelte der Soldat, »ich danke dir, Fedko.« Und dabei haschte er nach der Hand des Burschen.

»Nichts zu danken!« rief dieser, riß seine Hand los und war mit einem lustigen Sprunge in der Schmiede.

Der Alte starrte ihm lange nach. Dann schüttelte er betrübt den Kopf und ging langsam weiter, dem Städtchen zu. Es war wohl nicht die Müdigkeit allein, daß er so oft stehenblieb. Wohl mochte es in dem morschen Manne mächtig stürmen und gären. Er blickte um sich und strich sich über die Stirne und flüsterte wirre Worte vor sich hin. Aber dann richtete er sich stolz auf und rief laut und feierlich: »Nein! Ich werde es ihm nie sagen! Wenn ich es täte, ich wäre vor aller Not bewahrt, denn obwohl ich ein Jude bin, er würde seine Pflicht gegen mich erfüllen. Aber er wird es nie erfahren. Und das soll die Buße sein, welche ich auf mich nehme!«

Und weiter ging er, seinem Heimatstädtchen zu.

Das war die erste Begegnung, welche Moschko Veilchenduft gehabt, nachdem er nach einundzwanzig Jahren in die Heimat zurückgekehrt.


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