Karl Emil Franzos
Moschko von Parma
Karl Emil Franzos

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Viertes Kapitel

Weit draußen vor dem Städtchen, abseits der Heerstraße, an dem Feldwege, der gegen Korowla führt, liegt eine einsame Hütte; da haust und hämmert der Schmied von Barnow, Wassilj Grypko. Er ist sehr geschickt, und darum kommen die Leute aus der ganzen Umgegend zu ihm, aber ohne Zweck kommt sicherlich niemand, denn er ist finster und unheimlich, der alte Riese. Ganz einsam haust er, wozu braucht er auch Gesellschaft? Wer solches erlebt hat, wie es einst über diesen Menschen gekommen, ist am liebsten allein, und was etwa die Furcht vor Dieben und Räubern betrifft, so ist die Kasse des Steueramtes mitten im Städtchen minder sicher behütet als dieses Mannes Besitztum in der einfachen Feldschmiede. Denn die Leute kennen seinen riesigen Hammer und wissen, daß selbst das Eisen schmerzlich aufkreischt, wenn dieser niedersaust; kein Schädel ist so hart, daß er ihm widerstehen könnte, und an dem Hammer klebt aus vergangenen Tagen eines Menschen Hirn, auch das wissen die Leute. Schreckhafte Geschichten gehen über diesen Mann; die Wahrheit, ohnehin düster genug, ist im Munde des Volkes zur schauerlichen Sage geworden. Aber wer ihn sieht, möchte sogar der Sage glauben. Es ist fast unheimlich: er ist hoch in den Sechzigern, aber die Jahre gehen spurlos an ihm vorüber. Nur sein Haar haben sie gebleicht, und dieses silberweiße Haar hängt wirr und langsträhnig um das berußte Antlitz. Aber seine Körperkraft ist ungebrochen, die hünenhafte Gestalt auch nicht um eine Linie gebeugt und das plumpe Antlitz wie 30 festgemeißelt, es ist kein Fältchen darin. Aber wie festgemeißelt liegt auch auf diesem Antlitz ein Zug unsäglicher, dumpfer Trauer. Wer ihn so den Hammer schwingen sieht in der öden Schmiede, immer schweigsam, die Lippen zusammengepreßt, die Stirn drohend gefurcht, die Augen halb geschlossen und glanzlos, den überkommt der Gedanke: Das ist ein Verdammter der Hölle, der unaufhörlich, hoffnungslos, stumpf seine Arbeit verrichtet, weil er weiß, daß es keine Erlösung für ihn gibt.

Und Wassilj ist wirklich ein Verdammter; er ist verdammt zu leben. Warum der Mann den Hammer nicht einmal, statt ihn auf das glühende Eisen fallen zu lassen, gegen das eigene Haupt kehrte, ist eigentlich unerklärlich. Aber der Schmied hat es einmal gesagt: »Es ist mir schwergefallen, zu warten, jedoch ich warte auf den Tag, da wir Ruthenen unsere Rechnung machen mit den Polen. Und an dem Tage möchten wir, ich und mein Hammer, nicht fehlen wollen.«

Es ist ein furchtbares Wort, aber es kann nicht befremden im Munde dieses Greises. Einst, vor langen Jahren, war er ein fröhlicher, glückseliger Mensch gewesen. Der junge Schmied sang den ganzen Tag, und so hell, daß seine Stimme den dumpfen Hammerschlag übertönte; warum auch nicht? Er war gesund, hatte seinen guten Erwerb und sein eignes Haus und in diesem Hause das schönste Weib in der Runde; noch heute sprechen die alten Leute in Barnow mit Entzücken von der blonden, üppigen Marina. Um sein Glück voll zu machen, hatte ihm sein Weib ein liebes, holdes Töchterchen geboren. Aber just, als das Kind drei Jahre alt geworden, kam einmal der Herr Staroste aus Wegnanka, Jan von Lipecki, vorbeigefahren und ließ seine Pferde beschlagen. Während dies geschah, spielte er mit dem Kinde und plauderte mit dem Weibe, denn er war ein leutseliger Mann, der Herr von Lipecki. Und von da ab wurde Wassilj merkwürdig oft ins Schloß zu Wegnanka geholt, um da Pferde zu beschlagen oder die Gartengitter auszubessern. Und sobald er sich zur Arbeit eingefunden, ritt oder fuhr der Staroste davon. So spann sich die Sache fort, bis eines Tages der Kutscher des Starosten den lustigen Wassilj im Schloßhofe antraf: »Wir sind beide Ruthenen, er ist ein Pole, also höre!« Und er flüsterte ihm etwas zu. 31 Von jenem Augenblicke ab hat den lustigen Schmied niemand mehr lustig gesehen. Seinen Hammer nahm er auf und stürmte heim. Er fand den Herrn Starosten im Stübchen bei der schönen Marina. Aber Wassilj schrie nicht, er tobte nicht, ganz gelassen fragte er den Herrn Jan, der zitternd dastand: »Wie hat sich Ihnen das Weib ergeben? Haben Sie viele Mühe gehabt, bis Sie ihr Gewissen betäubt haben?«

»Nein«, beteuerte der Pole, »nach der ersten Stunde war sie mein.«

»Sie haben einen alten Vater«, fuhr Wassilj fort, »schwören Sie mir bei seinem Leben, daß Sie nicht lügen.«

»Ich schwöre«, sagte der Starost fest.

Der Schmied wankte wie ein Trunkener. »Marina!« sagte er dumpf, »wehre dich gegen diesen Menschen! Eine Ehebrecherin bist du, aber zu einer gemeinen Metze macht dich erst sein Wort. Wehre dich, wenn du kannst!«

Aber sie schwieg und umklammerte seine Knie. Und darauf verfuhr der Schmied sehr einfach; die Leute von Barnow stritten noch lange darüber, ob dies klug gewesen oder töricht, feig oder mutig. »Da hat dann der Hammer nichts zu tun«, sagte er gleichmütig und griff zum Ochsenziemer. Mit dem prügelte er zuerst den Starosten durch und dann sein Weib, warf darauf zuerst den Starosten hinaus und das Weib ihm nach. Er ließ es auch nie wieder über seine Schwelle. Das war alles. Die schöne Marina blieb die Geliebte des Starosten, bis er sie an seinen Verwalter abtrat und dieser an seinen Oberknecht. Und darauf ward sie eine Soldatendirne und verkam in Not und Schande.

Ihr Kind aber blühte heran und wurde ein schönes Mädchen. Da fügte es sich, daß der Sohn des Jan, der junge Victor von Lipecki, eines Tages an der Schmiede vorüberritt und das Mädchen sah. Es gefiel ihm sehr gut; das Mädchen war schön wie die Mutter, und der Sohn hatte den Geschmack seines Vaters. Da er aber dem Mädchen nicht gefiel und da es für einen Starostensohn unziemlich gewesen wäre, das Gelüste seines Herzens zu bezähmen, so brach er einst nachts, als der Schmied just abwesend war, mit einigen Knechten ins Haus und richtete das arme, schöne Kind mit Gewalt zugrunde. Als Wassilj heimkam und die Untat erfuhr, sagte er nichts, sondern griff nur zum 32 Hammer, wie einst, und ging fort. Erst am nächsten Morgen kam er wieder, nachdem er zwei Dinge verrichtet. Zuerst hatte er dem jungen Herrn auf offener Heerstraße mit dem Hammer die Stirn zerschmettert, und dann war er in das Schloß zu Wegnanka gegangen, dies dem alten Starosten selbst zu melden. Niemand hat die Worte vernommen, welche die beiden Männer zueinander gesprochen. Es muß wohl ein furchtbares Gespräch gewesen sein, denn der Schmied ging frei davon, und der junge Starost wurde in aller Stille beerdigt. Wenige Monate darauf begrub auchWassilj sein Kind, das langsam hingewelkt war, und hantierte nun einsam fort in der öden Schmiede – ein unheimlicher, weißhaariger Riese . . .

Die Leute hielten viel auf seine Geschicklichkeit und sein Wort, aber im persönlichen Verkehr beschränkte sich jeder gern auf das Notwendigste. Und obwohl er bei der vielen Arbeit gerne einen Helfer genommen hätte, so fand sich doch selten ein Geselle oder Lehrling, der bei ihm einstehen wollte. Noch seltener hielt's einer lange aus; der Meister war zu unheimlich. Da fand sich endlich ein Bursche, der es sich als eine Gnade erbat, in der Schmiede bleiben zu dürfen. Das war Mosche Veilchenduft, und eine Woche nach seiner Rückkehr aus Zalesczyki trat er als Lehrling bei Wassilj Grypko ein.

Diese Woche hatte im Gemütszustande des Knaben wenig Veränderung hervorgebracht. Nur daß er, statt am Dnestr zu stehen, hinter seines Vaters Hause saß. Aber noch immer brütete er darüber, ob es bitterer, ins Wasser zu gehen oder in Barnow den Hohn der Leute zu ertragen.

Es ist traurig genug, wenn ein Mann über derlei Fragen grübelt, aber wenn ein Knabe auf solche Gedanken kommt, so mag dies einem Menschen, der von Natur nicht allzu hart ist, leicht ans Herz gehen und das Mitgefühl wecken. Und der Marschallik war kein harter Mensch, höchstens was guten, alten Moldauerwein betrifft. Darum blieb er, als er zufällig hinter des Schulklopfers Hause vorüberkam, mitleidig vor dem Knaben stehen, und als dieser sein blasses, abgehärmtes Antlitz zu ihm erhob, gab es ihm schier einen Stich durchs Herz. Aber er war ja nicht bloß gutherzig, sondern auch, wie ihm dieses Knaben Vater einst nachgerühmt, ein »feiner Kopf«, und während er unseren 33 Mosche durch allerlei Witze und Schmeicheleien zu erheitern suchte, arbeiteten das gute Herz und der feine Kopf gemeinsam in der Stille.

Was soll man, dachte er, mit diesem merkwürdigen Jüngel anfangen? Es ist nicht auszuklügeln, warum er anders ist als wir Juden, aber er ist nun einmal anders. Ein Schneider oder Schuster will er nicht werden, weil das zu wenig Mühe macht, zum Dorfgeher ist er zu ehrlich, denn die Bauern werden ihn beschwindeln, statt daß er sie betrügt. Zum Rabbi oder Lehrer ist er zu dumm, und als Schnorrer wird er noch schwerer sein Fortkommen finden, weil er dafür zu gesund ausschaut. Also was wird aus ihm, wenn man ihn so müßig in der Gasse herumlaufen läßt? Entweder ein Narr, der einmal statt in den Dnestr in unseren Sered geht, oder ein Dieb, ein schlechter Mensch. Und warum dies alles? Weil er stark ist, weil er gern arbeiten möcht! Das war eine Sünde an dem armen Jüngel. Warum soll er nicht zum Beispiel Schmied werden? Ist denn das durch die Thora verboten oder durch das Gesetz des Talmud? Kein Wort steht darüber in den heiligen Büchern, keine Silbe! Freilich, kein Jude wird Schmied! Aber warum nicht? Weil er zu schwach dazu ist und dann, weil er sich vor seinem eigenen Hammer fürchten tät! Aber der ist nicht zu schwach und fürchtet sich nicht einmal vor einem Korporal, ja nicht einmal vor einem Hauptmann! Also warum sollt der kein Schmied werden? Wenn ihn nur Wassilj als Lehrling aufnimmt! Aber der wird keinen Juden nehmen wollen! Wie bringt man diesen verrückten Menschen dazu? . . .

So weit war der Monolog still, aber nun wurde er plötzlich überlaut.

»Halt«, schrie Türkischgelb, »ich hab's, ich hab's!« Und dabei drehte er sich dreimal um sich selbst, daß die Kaftanschöße nur so flogen und Mosche erschreckt aufsprang. »Was habt Ihr?« fragte er.

»Ich hab, was du brauchst«, erwiderte der Marschallik atemlos und zog den verdutzten Knaben eifrig mit sich fort und zur Judengasse hinaus. Hei! wie wälzte sich das Bäuchlein rasch auf den dünnen Beinen vorwärts, und wie leuchtete die Mutternase samt allen Töchternasen in tief rotem Glanze! Und dies alles im 34 Bewußtsein eines schlauen Gedankens und im Eifer, eine gute Tat zu vollbringen!

So kamen die beiden auf die Heerstraße, der Knabe immer zögernd hinterdrein, und dann auf den Feldweg gegen Korowla, bis sie dicht an der Schmiede standen.

»Weißt du nun, was ich habe?« wandte sich hier der Marschallik triumphierend zu seinem Schützling, »ich will mit Wassilj sprechen, daß er dich aufnimmt. Widersprich mir aber nicht vor ihm! Hörst du? Und nun fürcht dich nicht und komm!«

Sie traten auf die Schwelle. Es war just kein freundliches Bild, das sich ihnen bot. Die düstere, rußige Schmiede, in der trotz Tageslicht und Feuerschein ein seltsames Zwielicht herrschte; im Vordergrunde der finstere, weißhaarige Riese, der eben auf einen glühenden Eisenblock loshämmerte, daß Hunderte von Funken umherstoben . . .

»Fürcht dich nicht«, wiederholte der Marschallik etwas zaghaft, »treten wir näher.« Aber während der Knabe darauf in die Schmiede trat, blieb er selbst vorsichtig auf der Schwelle stehen und rief, mit den Augen blinzelnd, sooft ein Schlag fiel: »Guten Tag, Meister Wassilj! Wie geht's? Immer frisch bei der Arbeit?«

Der Riese blickte auf. »Was willst du?« fragte er kurz.

»Was wir wollen?« erwiderte der Marschallik. »Euch helfen, den Polen einen Trotz zu tun, das wollen wir. Aber ich bitt Euch, laßt Euch nicht stören, macht nur vorher Eure Arbeit fertig. Und geht's nicht schnell genug, so denkt Euch, der Block da sei ein Polenkopf, und Ihr müßtet ihn weich schlagen!«

Des Alten Antlitz verzerrte sich einen Augenblick, das war wohl ein Lächeln. »Ein Polenkopf«, murmelte er, »eines Herren Kopf« – und die Schläge fielen doppelt wuchtig auf den Block – »der Jud hat recht, ein Polenkopf – So – oh!« Dann trat er an die beiden heran. »Nun redet!«

»Ich hab's schon gesagt«, erwiderte der schlaue Türkischgelb. »Ein Geschäft, den Polen zu Trutz und Euch zu Nutz! Schaut Euch diesen Burschen an! So stark und groß ist kaum ein Christ von fünfzehn Jahren, aber dieser Jud da ist kaum dreizehn vorbei. Dreizehn Jahre! schaut Euch diese Hände an, wahre Bärenpratzen! Und dabei fürchtet er sich auch gar nicht, und sein liebstes Geschäft ist Prügeln. Darum wollte er freiwillig zu 35 den Soldaten. Ich bin sein Onkel, also fahre ich mit ihm nach Zalesczyki, wo das ›Werbbezirk‹ ist, und wir gehen dort zu einem Hauptmann. Es war ein Pole, und wie ich das merke, will ich gleich umkehren; die Polen sind mir nämlich gar zu verhaßt. Aber es war gerade der Hauptmann, welcher die Freiwilligen aufzunehmen hat, also muß ich dableiben und ihm sogar gute Worte geben. ›Herr Hauptmann‹, sag ich, ›wollen Sie diesen Knaben zu Ihrem Regimente nehmen?‹ Da sagt der Pole: ›Diesen Juden nehm ich nicht! Dem Kaiser dienen nur Ruthenen und Polen. Die Polen werden Feldwebel und Offiziere, aber die dummen Ruthenen bleiben ewig Gemeine, die gehen überhaupt nur zum Militär, den Polen die Stiefel und die Gewehre zu putzen. Aber Juden sind nicht einmal dazu gut.‹ Ich schweige, mein Zorn schnürt mir die Kehle zu, aber dieser Bursche, so wie Ihr ihn anschaut, tut den Mund auf und sagt: ›Das ist eine Lüge, was Ihr da von den Ruthenen und Juden gesagt habt. Ihr lügt wie alle Polen!‹ Der Hauptmann wird wütend, aber an uns zwei traut er sich natürlich nicht heran und läßt fünf Soldaten kommen. Die haben uns hinausgeworfen.«

Der Schmied stand regungslos da, aber seine Faust hatte sich unwillkürlich geballt. Der Jude fuhr fort:

»›Nun‹, sag ich zum Mosche da, ›Soldat kannst du nicht werden, weil dich diese verdammten Polen nicht nehmen wollen. Aber du bist stark und willst arbeiten, wie wär's, wenn du ein Schmied werden möchtest? Das ist ein sehr schönes und ehrbares Gewerbe. Ich selbst wäre für mein Leben gern Schmied geworden, aber die Kräfte!‹ Und da sagt er: ›Ich habe die Kräfte, ich werd es!‹ Da gehen wir gerade an einer Schmiede vorüber, sie steht gleich bei der Dnestrbrücke in Zalesczyki. ›Probieren wir's hier‹, sag ich, und wir treten ein, und ich erzähle dem Schmied ausführlich, wie wir beim Hauptmann waren und daß wir von Barnow sind und was wir von ihm wollen. Aber wißt Ihr, Meister Wassilj, was er uns erwidert? Er lacht höhnisch und schreit: ›Ich bin selbst ein Pole, und der Hauptmann hat recht gesprochen, Ruthenen und Juden sind gar keine Menschen!‹«

Der Riese zuckte zusammen, und in seinen glanzlosen Augen begann es unheimlich aufzulohen.

36 »›Ruthenen und Juden sind gar keine Menschen‹«, wiederholte der Marschallik nachdrücklich. »›Und darum‹, sagt er, ›kann ich keinen solchen Lehrjungen brauchen. Aber Ihr seid ja aus Barnow, dort ist ja der Schmied Wassilj Grypko. Der ist selbst so ein Ruthene, freilich mehr Narr als Schmied, aber für einen Judenbuben wird er als Meister noch gut genug sein.‹ Da haben wir auch dem unsere Meinung gehörig gesagt, und jetzt sind wir zu Euch gekommen und fragen Euch: Wollt Ihr den Knaben da als Lehrling annehmen? Ihr braucht ihm nichts zu geben, nicht einmal das Essen und eine Schlafstelle, dafür sorgen wir selbst. Also, was sagt Ihr?«

Aber Wassilj sagte nichts; er brütete still vor sich hin. »Doch nur ein Jude!« murmelte er und stierte dann wieder vor sich hin. Aber plötzlich ging er auf den Knaben zu und legte ihm die schweren Hände auf die Schultern. »Hassest du wirklich die Polen?« fragte er.

»Ja!« erwiderte der Knabe fest.

»Und willst du ein ehrlicher Schmied werden?«

Mosches Augen glänzten. »Ja!« rief er freudig.

»Nun, dann komm nächsten Montag morgens hieher. Jetzt aber – geht!«

Als die beiden wieder auf dem Feldwege waren, blieb Mosche stehen und faßte die Hand seines Begleiters. Dem Jungen standen die Tränen in den Augen. »Wie soll ich Euch danken?« fragte er stammelnd.

»Du Narr«, rief Türkischgelb heftig, aber dabei mußte er selbst lebhaft mit den Augen zwinkern . . . »Wofür hast du mir zu danken? Alle jüdischen Kinder sollen vor so einem Glück bewahrt bleiben. Aber was soll man mit dir anfangen? Du hast es ja so gewollt! Und dann, was dankst du mir jetzt? Brauchst du mich denn nicht mehr? Jetzt muß ich ja erst deinetwegen noch zwei Wunder tun!«

Und er tat die beiden Wunder, ein größeres und ein kleineres, sofort und ohne Säumen.

Die ganze Gemeinde stemmte sich dagegen, daß Mosche ein Schmied werde, und der Marschallik brach den Widerstand der ganzen Gemeinde, Abraham Veilchenduft nicht ausgenommen, selbst Froim nicht, den Inhaber des höflichen Prädikats. Ein 37 richtiges Wunder! denn: »Ein jüdisch Kind soll Schmied werden!«, das klang .so ungewohnt, so unerhört, daß es den Leuten auch gotteslästerlich dünkte. In der Tat, einige grübelten darüber, ob nicht etwa Gott durch solche Berufswahl beleidigt werde. Ach! durch was alles wähnen nicht diese armen Menschen, auf denen ihr Aberglaube wie ein Alp lastet, ihren gestrengen Herrn zu verletzen! Wundert euch das? Ach! so ist nun einmal vom Urbeginn der Tage bis heute und von heute bis zur Stunde, da einst auf der erkalteten Erde das letzte Wesen veratmet, uns beladenen Menschensöhnen das harte Los gefallen: was uns das Höchste und Herrlichste ist – Gott und die Liebe –, das wird uns auch zum schlimmsten Fluch. Und nicht etwa selten nur, nein! alltäglich sehen wir's, wie diese beiden höchsten Güter nicht helle, stete Leitsterne sind über dem Leben der einzelnen und der Völker, sondern tückische Irrlichter, hineinlockend in Nacht und Moor . . . Ob Itzig Schicker, der Marschallik von Barnow, Ähnliches dachte? Ihr lächelt? Nun, wer weiß?! – er war ein kluger Mann, und der erste wäre er nicht gewesen unter den Leuten mit Kaftan und Schmachtlöcklein, über den solche Gedanken gekommen; der Talmud ist ein seltsames Buch und streut seltsame Saat in die Gemüter! Aber gleichviel! weil er ein kluger Mann war, ließ er sich in keinen Disput ein, sondern fragte nur kurz und bündig: »Wo steht es geschrieben?« Nun steht glücklicherweise nirgendwo ausdrücklich geschrieben, daß ein Jude kein Schmied werden darf; man konnte es höchstens aus einer oder der anderen Talmudstelle spitzfindig herausklügeln. Tat man dies, so machte sich der weise Lustigmacher den Scherz und klügelte aus derselben Stelle das pure Gegenteil heraus. Das war just kein Zauberstücklein; der Talmud eignet sich vortrefflich zu solchen lustigen Übungen. Dann packte aber unser Mann die Leute von Barnow da, wo sie schön und menschlich fühlen: Der Jude des Ostens hat warmen Sinn für die Ehre der Gesamtheit; verlottert sich ein Jude, sinkt er in Schmach und Schande, so tut dies allen weh. Auch dies hat jene eiserne Klammer von außen her bewirkt; so niederträchtig schwarz ist eben kein Ding auf Erden, daß nicht sein lichtes Flecklein hätte. Nun hielt also der Marschallik vor der Betschul, im Wirtshaus und auf der Gasse lange Reden, schöne 38 Reden, flammende Reden, welche, so verschieden sie klangen, doch stets denselben unerbittlichen Schluß hatten: »Des Schulklopfers Jüngster wird entweder ein Schmied oder – ein Dieb!« Und das Wunder geschah. »Schmied oder Dieb!« das ist eine harte Wahl, aber schließlich schickte sich die Gemeinde doch lieber in das erstere.

Und nun schmiedete der Mann das Eisen, solange es warm war, und brachte auch gleich das andere, weit größere Wunder zustande. »Ein Schmied wird er also!« sprach er düster und energisch, aber die rote Nase blinkte fröhlich dazu, und das Bäuchlein schien sich doppelt stattlich zu runden. »Er wird ein Schmied, und da es keinen jüdischen Meister gibt, so muß er das Handwerk bei Wassilj erlernen. Ich war schon bei dem Alten, er nimmt ihn gerne! O wie gerne! Eine ganze Stunde hat er mir gedankt, daß ich ihm einen so gesunden Lehrling bringe, und auf beide Backen hat er mich geküßt, wie einen Bruder. ›Ein so starker Bursche!‹ Getanzt, ich sag euch, getanzt hat der alte Narr! Nun, darum will er ihm auch eine Schlafstelle geben und das Essen. Aber dürfen wir das zulassen? Hm, was meint ihr? Ich glaube: nein! Es geht gegen unser Gewissen. Denn in eines Christen Hause zu hämmern ist keine Sünde, wohl aber an seinem Tische zu essen. Also, wir bedanken uns für Wassiljs Güte und wollen selbst für Moschele sorgen. Die Schlafstelle erhält er bei seinem Vater, das Essen bekommt er von uns; denn tun wir das nicht, dann muß er eben bei Wassilj essen, dann treiben wir ein jüdisch Kind selbst aus der Jüdischkeit heraus, dann – mag Gottes Grimm über unser Haupt kommen!«

So schloß der Lustigmacher düster und drohend. Dann aber wandte er sich an Nachum Hellstein und fragte lächelnd: »Was meint Ihr, würdet Ihr es deshalb nötig haben, bei mir zwei Sechser zu leihen, wenn das arme Jüngel jeden Sabbat bei Euch Freitisch hätte?«

Der reiche Mann lächelte und nickte, und ebenso lächelten und nickten im Laufe des nächsten Tages sechs andere Familienhäupter und – das zweite große Wunder war vollbracht: eine podolische Judengemeinde ließ auf ihre Kosten einen aus ihrer Mitte bei einem christlichen Meister das Schmiedehandwerk erlernen.

39 Itzig Türkischgelb, du bist, weiß Gott, keine allegorische Figur! Du hast gelebt, deine dünnen Beine haben dein stattliches Bäuchlein wirklich und wahrhaftig durch den Kot dieser Erde getragen, und in durchaus irdischem Lichte hat deine Nase geflammt. Aber als der verkörperte, gesunde Menschenverstand magst du in dieser Historie erscheinen, als der schlaue, zähe Bekämpfer erbgesessener Unvernunft. Gegen sie kämpfen – der Dichter hat recht – die Götter vergebens; die Begeisterung und der Idealismus verbluten sich gegen die Dummheit. Aber du besiegst sie doch, du Itzig Türkischgelb, du, der nüchterne Menschenverstand! . . .


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