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»Ein höchst verdrießlicher Eclat!« so unterbrach die Mutter unser allseitiges Schweigen, nachdem des Leibbaders Pförtchen sich hinter uns geschlossen hatte. »Nach Lage der Dinge aber, Eberhard, muß ich sagen, daß unsere Tochter sich taktvoll benommen hat.« »Brav, recht brav, meine Dine!« sagte der Vater, als ob ihm ein Stein vom Herzen fiele. »Die Kleine wurde mit Gewalt in den Tanz gezogen; sie war Dinens Gespielin, ist unsere Hauswirthin, und hat der Faber sie erst geheirathet, so gehört sie in die Gesellschaft, so gut wie –« »Deine Gründe gelten nicht, Eberhard,« unterbrach ihn die Mama. »Das Mädchen hat sich auf das Unschicklichste betragen. Als Faber's Braut mußte sie zu Hause bleiben, oder als des Schenkwirths Tochter sich in Küche und Keller halten. Der schauerlichen Toilette noch gar nicht einmal zu gedenken. Unsere Tochter jedoch stand einmal in der Reihe, und eine Reckenburg wird auf jedem Platze ihre Haltung zu behaupten wissen, zumal wenn eine Amtmannsfrau, die aus einer Mühle stammt, ihr beim Rückzug das Prävenire spielt.«
Ich erwiderte kein Wort, küßte den Eltern die Hand und eilte in meine Kammer. Ich dachte nicht daran, mich auszukleiden und niederzulegen. Unbeweglich saß ich auf dem Bettrand, ich weiß nicht, wie lange. Mir war, als wäre ich von einem hohen Thurm gefallen, und krause Phantome wirbelten in dem erschütterten Hirn. Ich hörte einen leisen Schritt an der Thür: ich rührte mich nicht; ich spürte einen heißen Athem an meiner Wange, ich blickte nicht auf, aber meine Hand zuckte, die Frevlerin von mir zu stoßen, die zu meinen Füßen niederkniete und ihren Kopf in meinem Schooße barg. »Sind Sie mir böse, Fräulein Hardine?« flüsterte sie mit ihrem kindlichsten Klang.
Ob ich ihr böse war! Der Athem stockte mir und das Blut siedete im Grimm gegen die treu- und schamlose Schenkendirne. Ich wendete das Gesicht von ihr ab und starrte geradeaus in den Spiegel, der auf meinem Nachttische stand. Und dieser Spiegelblick löste den Bann. Denn was heißt denn gerecht sein, als richtig sehen? Ich aber sah in dem engen Rahmen das Freifräulein von Reckenburg in seinem hohen Toupet und steifen Brocat, die mannshohe Gestalt mit dem hochgerötheten Gesicht, zu der die weltkundige Greisin gesagt hatte: »Du entzündest kein junges Herz«. In ihrem Schooße aber lag, von einem goldenen Lockenschleier umhüllt, ein Kind mit allen Reizen des Weibes, mit pulsirender Gluth und auf der Stirn den Stempel: »Dir wird kein junges Herz widerstehen«.
Nach langer Pause und einem tiefen Athemzuge senkte ich den Blick von dem Spiegelbilde hinab in den Schooß. »Gut sein, gut sein!« flüsterte die Zauberin, und ihre Lippen brannten auf meiner Hand, heiß von dein Leben, das eines Anderen Athem dem Busen eingehaucht hatte.
»Du hast Dich hinreißen lassen, Dorothee,« sagte ich, indem ich sie in die Höhe zog und mich erhob. »Wenn es Dir aber leid ist –«
»Leid?« rief sie, erbebend unter dem Schauer des ersten, kaum geahnten Glücks. »Leid? O nimmermehr leid! Und wenn ich darüber sterben sollte, Hardine!«
Sie floh aus der Thür. Und ich? Gelt, ich lag wie auf Rosen gebettet und schlummerte in Gottes Frieden nach großmüthiger Heldinnen und schöner Seelen Art? Ich sage Euch aber, auf Nesseln und Dornen habe ich mich gewälzt, wie siedendes Blei hat es in meinem Herzen gewühlt, und wenn eines gebetet hat in dieser Nacht, so war es das selig frevelnde, nicht das entsagende Menschenkind.
Die Familie von Reckenburg konnte es allseitig nur gut heißen, daß ihre beschämte Hauswirthin sich in den nächsten Tagen ihrer Begegnung entzog, daß sie auch den lauernden Blicken und Stichelreden der Nachbarschaft aus dem Wege ging und nur von der Gartenseite in die väterliche Wohnung schlüpfte. Selber Frau Adelheid hielt das Kind, das unter ihren Augen erwachsen war, zu hoch, um nachhaltige Wirkungen einer übermüthigen Laune zu befürchten, und die kleinstädtische Klatscherei stachelte diese stolze Geringschätzung der Gefahr.
Im Uebrigen hatten wir genug zu thun, uns der eignen Haut zu wehren; denn wenn die bürgerlichen Bolzen sich nach dem Dachstübchen richteten, vor welchem die Faber'schen Scheerbecken geglänzt hatten, die giftigen Pfeile der »Gesellschaft« zielten auf das untere Geschoß, dessen Insassen, bethört von fürstlicher Gunst, der gerechtfertigten Empörung Trotz geboten und erst dadurch den Skandal unheilbar gemacht hatten.
Selbstverständlich, daß unter diesen Zuträgereien die freiherrliche Familie ihren Nacken höher und stolzer denn jemals trug. Verhehlt aber soll nicht werden, daß eine Migraine, welche die Hausfrau die Woche hindurch an das Bett fesselte, in heimlichen Gallenaffectionen ihren Grund gehabt haben mag.
Solchergestalt wandelten Vater und Tochter am Sonntagmorgen allein zur Kirche, und hier war es, wo sie die schöne Frevlerin zum ersten Male nach jenem heillosen Abend wiedersahen. Sie saß unsrer adligen Empore gegenüber im Schiff dicht unter der Kanzel, und schon während des Liedes konnten uns die neugierigen Blicke nicht entgehen, welche in der unteren Gemeinde zwischen ihrem Platz und dem hohen Herzogsstuhle, hinter dessen Gittern der Prinz, – leider mit Anrecht, – vermuthet ward, auf- und niederflogen.
Wie mußte nun aber das Behagen dieser Aufregung wachsen, als jetzt der würdige Hofprediger die Kanzel bestieg und über das bekannte Thema: »Gebet Gott und Cäsar«, die Pflichten gegen Altar und Thron, die der Fügsamkeit gegen die geheiligte Ordnung der Stände und das Schauerbild sündiger Frei- und Gleichmacherei seiner Gemeinde kräftiglich zu Gemüthe führte.
Dem einsamen, harthörigen alten Herrn war ohne Zweifel kein Wort über die große locale Tagesfrage zu Ohren gekommen. Er hatte seine Predigt schon Anfangs der Woche ausgearbeitet, im lodernden Zorn über die Rebellen in Paris, welche den frommen, unglückseligen König zur Kriegserklärung gegen das verwandte Oesterreich, seinen einzigen Hoffnungsanker, gezwungen hatten. Wenn etwa das wohlstudirte Redestück durch augenblickliche Eingebung eine Persönliche Schärfung erhalten hat, so konnte höchstens der junge Fürstensohn dafür verantwortlich gemacht werden, dessen Herz zu ergötzen es bestimmt gewesen war, und der in solch gottloser Zeit sich schnöde der Pflicht gegen des Himmels Heiligthum entzog. Des bescheidenen Beichtkindes zu seinen Füßen gedachte der feurige Redner in dieser Stunde nicht, vorher und nachher aber mit väterlicher Liebe.
Unsere solide Bürgerschaft dahingegen, wie ferne lag es ihr, einen Rückschlag von Dumouriez' Ultimatum auf ihrer Kanzel vorauszusetzen! War sie eine Jakobinerhorde, die eines geistlichen Ordnungsrufs bedurfte? Gab man ohne Murren nicht Gott, was Gottes, und dem Kurfürsten, was des Kurfürsten war, vorausgesetzt, daß die Steuer sich nicht allzu hoch belief? Hatte Einer in der Gemeinde von Freiheit und Gleichheit auch nur geträumt?
Ja, Eine war unter ihnen, eine Einzige, die, vom Teufel der Hoffart und Eitelkeit verblendet, ihrem von Gott gesetzten Kreise den Rücken gekehrt hatte, seitdem sie über Nacht wie ein Glückspilz zur Braut und Nutznießerin eines hochsteigenden Patrons emporgeschossen war; die sich, in die Reihen des Adels gedrängt, in die allerhöchste Nähe geschlichen, in leichtfertigem Putz, mit anlockenden Geberden den fürstlichen Sinn bethört und ein Aergerniß heraufbeschworen hatte, dermaßen, daß eine seit Herzogs Zeiten bestehende hochadlige Societät dadurch gesprengt und eine Rüge von der Kanzel herab zur Christenpflicht geworden war. Es fehlte nicht viel, man deutete mit Fingern auf die arme kleine Dorl, die mit niedergeschlagenen Augen und Thränen auf den Wangen, jetzt roth wie Scharlach, dann kreideweiß hinter ihrem Betpulte zitterte.
Als der Gottesdienst vorüber war, traf ich sie halb vernichtet an einen Pfeiler gedrückt unter dem Gedränge der Kirchenpforte. Übereinstimmender denn jemals von ihrer Morgenandacht erregt, ständerten und plauderten die Patrizier der Emporen und die Plebejer des Schiffs vor dem Ausgange. Keiner wechselte ein Wort, einen Gruß wie sonst mit der hübschen »Jungfer Augentrost«. Keiner machte ihr Platz, man gaffte sie an, bekrittelte ihren Staat und kehrte ihr spottend den Rücken. Freundlicher, als ich es ohne dieses christliche Schauspiel gethan haben würde, redete ich sie an, nahm sie unter den Arm und führte sie, – mir machte man Platz, – an der Frau Amtmännin vorüber, die eben in ihre stolze Carosse stieg. Auf dem Markte hielt die Wachtparade ihren Aufzug, und der gottlose Fürstensohn, gleichmüthig flanirend, entsendete uns einen huldvollen Gruß.
So schritten die Beneideten und Verlästerten der Baderei, durch den Kriegsbeschluß der Nationalversammlung in Paris auf's Neue solidarisch verbunden, Arm in Arm ihrem Heimwesen zu, spazierten auch noch ein Viertelstündchen im Garten, um sich unter Gottes freiem Himmel von der angreifenden Morgenandacht zu erholen: die Rose und ihr Blatt wie einst! Ich bestärkte Dorothee in dem Vorsatz, bis der Sturm sich beschwichtigt habe, sich möglichst zurückzuziehen, und rieth ihr sogar, statt des Hauptgottesdienstes eine Zeit lang die stillen Frühmetten zu besuchen. Sie dankte mir zwischen Lächeln und Thränen, küßte meine Hand und sagte: »Fräulein Hardine, Sie sind in Wahrheit eine große Dame.«
Nun, was Einer von sich selber hält, das hört er gar gern von Anderen bestätigt, wenn sie im Uebrigen ihm auch nicht als Autoritäten gelten.
Als wir in das Haus zurückkehrten, trat der Prinz von der Straßenseite herein, Dorothee floh dunkel erröthend die Treppe hinan; ich führte den Besucher in das Familienzimmer und verplauderte, da die Mutter krank und der Vater noch auf der Parade war, ein Stündchen mit ihm tête à tête. »Sie haben ein braves Herz,« sagte er, indem er mir die Hand reichte, »lassen Sie uns Freunde sein, Fräulein von Reckenburg.«
Er besprach darauf, geordneter als neulich Abend, seine kriegerischen Pläne. Es war ihm Ernst mit dem preußischen Dienst und er hoffte auf baldiges Gelingen. Der Herzog von Weimar hatte die Anbahnung nach beiden Seiten übernommen, auch den Wunsch ausgesprochen, ihn seinem eignen preußischen Regimente aggregirt zu sehen. Unter dem nächsten Befehle eines sächsischen Verwandten, so meinte er, werde die unliebsame Uniform der churfürstlichen Tutel erträglich werden, und was könnte man im Grunde auch besseres wünschen, als den unbequemen Schützling in den Kampf ziehen zu sehen für den bedrängten königlichen Sohn einer sächsischen Fürstentochter? Völlig unbefangen sprach er auch über seine pecuniairen Verlegenheiten und hoffte deren Abwicklung durch die nämliche vermittelnde Hand.
Der Prinz kehrte seit diesem Tage häufig in dem Reckenburg'schen Familienzimmer ein, ohne an der Quehle in der Hölle ein Aergerniß zu nehmen. Er begegnete uns wie Altbekannten, oder gar Verwandten, vertraute uns den Gang seiner geheimen Unterhandlungen; wir wußten um Zweck und Erfolg seiner häufigen Ausflüge, wir hegten und bargen sein Schicksal wie das eines Angehörigen. Alle übrigen Kleinstädter hingegen ließ er mit souveräner Verachtung bei Seite liegen, und auf unsere schöne Hauswirthin stieß er unter unseren Augen nicht ein einziges Mal. Sie waltete still für sich in ihrem Dachgeschoß, wir selber sahen sie nur gelegentlich an uns vorüberstreifen. Die Eltern lobten diesen bescheidenen Takt und auch nach außen hin verflüchtigte sich das Gedächtniß jener einzigen Ausschreitung rascher, als man hätte erwarten sollen. Des würdigen Hofpredigers aufklärenden Lehren von Ursache und Wirkung sei dabei in Dank und Ehren gedacht.
Wie es nun geschehen konnte, das, meine Freunde, was Ihr lange schon geahnt haben werdet, wie es in diesen Sommerwochen sich vollbracht hat, so tief verhüllt, daß nicht damals noch später ein argwöhnischer Blick die Heimlichkeit ausgespürt – ich weiß es nicht. Und wenn ich es wüßte: ich habe Euch die Offenbarung meines eignen Geheimnisses verheißen, nicht die der anderen Herzen.
Mein Geheimniß in diesen Sommerwochen aber war, daß ich – ich ganz allein das der Anderen – geahnt – ? nein, daß ich es gewußt habe. Ich sah nichts, ich hörte nichts, ich spürte nicht nach, berechnete nicht die verführerische Gunst der Gelegenheit. Aber ich athmete die Wahrheit gleichsam mit der Luft; ich fühlte es fast als Nothwendigkeit, daß ein glückgewohnter Sinn wie der seine und ein nach Glück schmachtender wie der ihre, zusammentreffen mußten, daß sie sich liebten und ihrer Liebe genossen.
Ich fühlte, ich wußte es – und ich wehrte der Sünde nicht. So oft die Warnung: »Denk an Siegmund Faber!« oder die Mahnung: »Sie ist einem Ehrenmanne zur Treue verlobt«, auf meinen Lippen schwebte, ich unterdrückte das Wort, denn seine Quelle war nicht rein. Es war nicht Dorotheens Pflicht, nicht die Ehre Siegmund Faber's, nicht das starke Gefühl für Recht und Sitte, es war dies alles wenigstens nicht allein, es war das eigne gekränkte Verlangen, das meinen Argwohn stachelte. Völlig unbefangen, ganz ohne Eigensucht und Eifersucht würde ich, die Unerfahrene, der Reinheit einer Schwesterseele vertraut haben, wie Vater und Mutter, die Erfahrenen, derselben vertrauten. Ich fühlte mich nicht unschuldig, fühlte es mit Scham, und Scham und Stolz banden meine Zunge, und so wurde ich mitschuldig.
Freilich, auch ein Posaunenschall würde die Berauschten nicht ans ihrem ersten Taumel geweckt haben. Und warum dachte Siegmund Faber nicht selbst daran, seine einsame Braut an ihre Pflicht zu mahnen? Warum schrieb er nicht? Warum kehrte er nicht, und wäre es auf eine Stunde, vor dem Aufbruch in's Feld zu ihr zurück? Warum traute er in sorglosem Wissens- und Thatendrange blindlings einem Wort, das nur Ueberraschung dem unerfahrenen Kinde abgelockt hatte? einem herkömmlichen Gesetze der Treue, zu welchem das Herz nicht ja gesagt? Hatte der Mann über dem Zergliedern der Nerven und Bänder des Leibes den Nerv und das Band der Seele zu prüfen versäumt? Oder hatte er deren Schwachheit an dem Maße seiner eignen Schwachheit erkannt und das Wagniß der Treue von vornherein als Thorheit aufgegeben? Alle diese Entschuldigungen habe ich mir jetzt und später oft genug wiederholt, und – sie haben mich niemals entschuldigt.
Indessen nicht meine apprehensive Stimmung allein, auch äußerliche Merkzeichen wurden für mich zum Verräther. Wer beschreibt den geheimnisvollen Schimmer über dem Leben und Weben eines Glücklichen? Wer beschriebe ihn zumal über dem Leben und Weben einer so freudigen Natur wie Dorothee's? Ich sah den Rückstrahl ihres erfüllten Gemüths, und zwar am deutlichsten daran, daß ich sie selber nur noch so selten sah. Wir waren ausgesöhnt, sie hatte keinen Grund, mich zu meiden. Sie mied mich auch nicht, aber sie suchte mich nicht, sie bedurfte meiner nicht wie sonst. Sie, die vor wenigen Wochen mir entgegenjauchzte: »Nun, da Sie da sind, ist alles, alles gut!« sie hatte einen Anderen, der mich verdrängte. Aus dem Kinde, der Jungfrau war ein Weib geworden.
Deutlicher aber noch sprach die heimliche Wandlung aus der Stimmung des Prinzen. Seine persönlichen Angelegenheiten hatten sich über Erwarten günstig gestaltet, indem der gutherzige Friedrich August ihn zwar nicht aus seinen Diensten entlassen, aber ihm die Theilnahme am Feldzug unter Preußischer Fahne bewilligt, auch seinen Gläubigern gegenüber großmüthig Bürgschaft übernommen hatte. Er, der im vorigen Jahre in das wüste Emigrantenlager desertirte, der vor Kurzem noch so zornig über das Zögern der Verbündeten aufbrauste; jetzt war er frei, warum ging er nicht? Er, der die Vernichtung des fränkischen Gesindels für ein Parademanöver, den Einzug in Paris für eine Promenade und die Herstellung des souveränen Thrones für ein Kinderspiel erklärte, er hatte jetzt tausend Bedenken, welche das geflissentliche Zaudern in seinen Augen bemäntelten. Der Zwiespalt der verbündeten Cabinette, der im eignen preußischen Lager, die Wahl des Braunschweigers statt des Königs zum Oberfeldherrn, die unfertige Rüstung, die Verspätung für einen Sommerfeldzug – alles Bedenken, welche die Folgezeit nur gar zu schmerzlich gerechtfertigt hat! Diesem feurigen Jünglingsmuthe aber waren sie angekünstelt und eingeklügelt, weil es eine Macht gab, die ihn zurückhielt, ebenso stark wie die, welche ihn vorwärts trieb.
Ich theilte die Auffassung meiner Lebensgenossen über die Natur des Krieges. Ich hielt es für eine gerechte, ja heilige Sache, die Wohlfahrt, vielleicht die Existenz des eigenen Volkes auf's Spiel zu setzen, um einem fremden König seine Krone zu retten. Ich zweifelte auch nicht an einem raschen Sieg der sieggewohnten preußischen Armee, und es war mir eine genugthuende Vorstellung, die Tochter Maria Theresia's durch den Erben Friedrich's wieder in ihre Rechte eingeführt zu sehen. Ich verhehlte mir überdies nicht, daß die Mannesschule für meinen jungen Freund allein das Schlachtfeld sei, und daß der Conflict, welcher uns Alle bedrohlich umspann, nur durch sein Scheiden eine Lösung fände. Ich billigte daher des Prinzen kriegerischen Entschluß, unterstützte ihn ihm gegenüber, und dennoch, dennoch athmete ich auf wie erlöst, wenn er wieder einen neuen Grund des Hinhaltens und Verweilens aufgefunden hatte. Das Regiment Weimar, dem er zugetheilt war, brach auf ohne ihn. »Cunctator Braunschweig wird sich nicht übereilen,« so hieß es, »ich erreiche den Rhein früher als er.« Dann wieder sollte das »Marionettenspiel« der Kaiserkrönung in Frankfurt vorüber gelassen werden, und endlich selber, als der König nach der Begegnung mit Franz II, sich nach Mainz begab, sah er noch hinlänglich Weile, bis Jener sich mit der Armee jenseits des Rheins vereint haben werde. Mein Vater schüttelte den Kopf zu dieser plötzlichen Lässigkeit. »Da sieht man's,« so meinte er, »welch ein eigen Ding es für einen Sachsen ist, und wäre es zum stolzesten Fluge, sich unter die preußischen Adlerfänge zu bequemen.«
Ich schwieg, denn ich verstand den Kampf zwischen Epos und Roman in diesem jungen Herzen, fühlte ihn tief im eignen. Dorothee war völlig sorglos. Einmal fragte sie mich ängstlich, ob die sächsische Armee auch mit in den Krieg ziehe? und als ich die Frage verneinte, lächelte sie seelenvergnügt. Ein Sigmund Faber, welcher der Gefahr täglich näher entgegenrückte, schien für sie nicht auf der Welt zu sein.
Es war am Nachmittage des zweiten August, daß der Prinz stürmisch aufgeregt bei uns eintrat; er brachte Braunschweig's Manifest aus dem Hauptquartiere Koblenz. All' seine Begeisterung war wieder angefacht; er bat dem bewährten Feldherrn seine Zweifel ab. »Der Himmel sei gepriesen,« so rief er, »des Königs ritterlicher Geist hat über die schnöde Eigensucht gesiegt. Das ist der Tenor, der die entfesselte Bestie in den Käfig zurücktreibt. Nun rasch nur geharnischte Thaten auf das geharnischte Wort, und am Tage des heiligen Ludwig setzen wir seine gefährdete Krone frisch erglänzend auf des Enkels Haupt.«
Er weilte nur wenige Minuten, umarmte den Vater, drückte uns Frauen die Hand und stürmte von dannen. Er hatte nicht Lebewohl gesagt, aber wir wußten, daß es ein Abschied war, – vielleicht für's Leben. –
Bis tief in den Abend hinein saßen wir schweigend bei einander. Ob die Eltern ahneten, was sich in mir bewegte? Ob sie heimliche Hoffnungen gehegt hatten, mehr als ich selbst? Zu wiederholten Malen begegnete ich ihren sorgenvoll auf mich gerichteten Blicken.
Als ich die Treppe zu meiner Kammer hinanstieg, erinnerte ich mich Einer, welche diese Trennung unvorbereiteter und niederschlagender treffen mußte als mich selbst. Ich klinkte an Dorotheens Thür, fand sie aber verschlossen. Sie pflegte früherhin niemals so spät in ihres Vaters Hause zu weilen und entfernte sich niemals am Abend zu einem anderen Besuch. Wo mochte sie sein?
Ich war nicht ruhig genug, dieser Frage nachzuhängen. Es mußte aufgeräumt werden im inneren Revier, und so saß ich denn lange, es mochten Stunden sein, unbeweglich in meiner Kammer.
Monate lagen hinter mir, bei aller Entsagung die reichsten meines Lebens. Was von losen Hoffnungen und Träumen nicht zu bannen gewesen war, jetzt mußte es verschwinden, verschwinden mit dem, welcher die Einbildung angefacht, verschwinden für alle Zeit. Es war ein Mann rasch zum Lieben und Wiederlieben, nicht einer, der nach dem Aufbrausen der Leidenschaft Ruhe erträgt und gewährt. Fort denn mit den Chimären der Reckenburg, fort auf Nimmerwiederkehr.
Ich wollte das, wollte es ernsthaft und ohne Erfolg war meine Anstrengung selber in diesen ersten Stunden nicht. Ich sah zwei von uns richtig gestellt wieder auf den Platz, von welchem sich ihre Wünsche einen Moment verirrt hatten: den Prinzen im Kampfe gegen die Feinde alt geheiligter Ordnung; mich in der Werkstatt von Reckenburg. Schwer war es allein, das zum Leben erwachte Kind in seiner bräutlichen Wittwenkammer still wieder einzurichten.
Aber wo blieb Dorothee? Hatte ich ihren leisen Schritt überhört? Ein Wort der Aufklärung und des Trostes sollte nicht bis morgen verzögert werden. Thränen rinnen am stillsten in der Nacht und Kinder schlummern sanft, nachdem sie sich ausgeweint haben. So klinkte ich denn noch einmal an der Thür und fand sie noch immer verschlossen. Sie mochte wohl früh zur Ruhe gegangen sein und von innen verriegelt haben.
Es war eine stillschwüle Hochsommernacht; der Mond schien von der Gartenseite hell durch die geöffnete Bodenluke, Ich bog mich hinaus und athmete in einem tiefen Zuge den Duft, der von den Nelkenbeeten in die Höhe stieg. Mir gegenüber ragte das Schloß; ein Nachtlicht flackerte im Zimmer des Eckthurms, in welchem mein junger Held zum letzten Male ruhte oder sich zur Abreise rüstete. Es wurde mir schwer, mich von dem Flämmchen loszureißen, nur zögernd senkte sich der Blick hinab auf die Terrasse, welche der Mond fast mit Tagesklarheit beleuchtete. In diesem Augenblicke – war es ein Phantom des aufgeregten Bluts, war es Wirklichkeit? – sah ich zwei Gestalten aus der Laube gleiten, aus der Brautlaube Siegmund Faber's. Sie schmiegten sich aneinander; fein und hell das Weib an die Seite des Mannes, dessen dunkle Umhüllung sie halb umfing. Es war ein einziger Blick, aber nein, nicht eine Täuschung, und was ich auch immer geahnt, – bis zu diesem Abgrunde hatte die Einbildung sich nicht verirrt.
Mir schwindelte, ich schwankte und klammerte mich an die Brüstung der Luke. Als ich zagend den Blick wieder in die Höhe schlug, sah ich eine dunkle Gestalt durch das Pförtchen verschwinden, unten aber wurde die Hausthür leise geöffnet.
Ich floh in meine Kammer, deren Schloß ich nicht mehr zuzudrücken wagte. Schon hörte ich Schritte auf der Treppe und hätte um die Welt nicht meine Nähe verrathen mögen. Aber vielleicht, daß es eine erste nächtliche Begegnung gewesen war, eine erste und letzte zum ewigen Lebewohl.
Athemlos lauschte ich an der Spalte der Thür. Nein! dieser elastisch, hüpfende Schritt, dieses freie, volle Hauchen der Brust, sie sprachen nicht von Scheiden und Meiden. So schwebt, so athmet nur der Glückliche. Sie tänzelte über Rosen und sah die Sünde nicht, die sie umrauschte, nicht den Tod, der im Hintergrunde lauerte.
Und nun saß ich oben in der Laube. Fragt mich nicht, was mich hineingetrieben hatte, oder wie viel Stunden es mich dort gebannt. Ich hatte kein Maß für die Zeit, hatte keine bewußte Vorstellung. Alles lag mir in Dumpfheit und Nebel.
Der erste Schimmer dämmerte im Osten; zu meinen Füßen sah ich einen blauen Streifen. »Dorotheens Haarband vom Frühlingsfeste,« murmelte ich, hob es auf und wickelte es mechanisch um einen Finger.
Dann wieder hörte ich das Pförtchen gehen und hastige Männertritte. Ich rührte mich nicht. Sie kamen näher und näher. »Hardine!« rief es am Eingang der Laube. Ich saß noch immer wie gelähmt.
Er war im Reisekleid und schattenbleich. Doch blickte er mir fest in's Auge und nahm ruhig das Band aus meiner Hand. Hatte er das gesucht; ein erstes Andenken und ein letztes? Hatte er von oben mich in der Laube erkannt?
»Sie wissen alles,« sagte er, »und das ist gut. Nun scheide ich ruhig. Kehre ich zurück, ich schwöre es bei Gott! wird sie die Meine. Bleibe ich, dann hat sie nur Sie, Hardine, – aber Sie! – «
Das Rollen eines Wagens auf dem Plateau drang durch die Stille. Er warf noch einen Blick nach der Luke, an welcher ich in der Nacht gelauscht hatte. Eine Thräne glitt über seine Wange und tropfte auf meine Hand, die er in der seinen gefaßt hielt, »Schütze das arglose Kind, schütze mein Weib, mein geliebtes Weib. Schütze es für mich, um meinetwillen, Schwester Hardine!« flüsterte er, drückte mich an seine Brust, – und ich war wieder allein.
Wenige Minuten und ein Posthorn schmetterte. Der letzte Laut verlor sich nach Westen hin. Gen Morgen stieg die Sonne in die Höhe; heute nicht wie damals in Reckenburg mir ein Gottesauge: ein leuchtender Ball, der über Verzweiflung und Wonne, Verrath und Liebe mechanisch dahingleitet, klar und seelenlos.
Auf dem Platze, wo ich saß, hatte vor Jahren ein Freund um die Gespielin meiner Kindheit geworben und mich als Bürgin für die Treue seines verlobten Weibes angerufen. Auf dem nämlichen Platze, der den Treuspruch gehört, war die Treue gebrochen worden, und hatte heute ein anderer Freund, der heimlich die Lust meiner eignen Seele war, mir das treulose Weib als Schwester an das Herz gelegt.
Es giebt Verhängnisse, die gesetzmäßig aus unserem Sein erwachsen und doch jeder gesetzmäßigen Lösung zu spotten scheinen. Das Rad des Schicksals rollt hinweg über unseren Stümperwillen, und in der entscheidenden Stunde ist es nicht die Leuchte aller Tage, es ist ein Funken aus unerforschten Tiefen, der – sei es zur Zerstörung, sei es zur Erfüllung – uns die Richtung giebt.
Und einem solchen Verhängniß gegenüber wurde ich in dieser Stunde gestellt.