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Unter »Docks« versteht man im allgemeinen die Häfen eines Hafens: kleine abgezweigte Buchten, oder auch gemauerte Bassins, in denen man die rückkehrenden Schiffe gleichsam beiseite nimmt, um sie zunächst auszuladen, und – wenn's nottut – auszubessern. Die London-Docks charakterisiert man am besten, wenn man sie Fluß-Häfen nennt. Sie verhalten sich zur Themse, mit der sie in unmittelbarster Verbindung stehen, wie große Privatgehöfte zu einer daran vorüberführenden allgemeinen Heerstraße.
Man unterscheidet Katharinen-, London-, Westindien- und Ostindien-Docks. Alle vier befinden sich am linken Themseufer, die ersteren auf der Strecke zwischen Tower und Tunnel, die letztern beiden, weiter stromabwärts, in der Nähe des Fleckens Blackwall, eine Stunde von London.
Die Ostindien-Docks sind, wie es schon ihr Name an die Hand gibt, die Ruhe- und Erholungsplätze für die großen Ostindienfahrer, die Heilanstalten, wo man die Hartmitgenommenen wieder flickt und bekupfert; auch Teer und Pech auf all die Wunden gießt, die ihnen das Sturmkap mit Wind und Wellen geschlagen.
Ich gedenke heut nur von den eigentlichen London-Docks zu sprechen, ganz besonders aber die Docks -Keller in Augenschein zu nehmen, von denen im voraus bemerkt sei, daß sie, in Gemeinschaft mit Speichern, Remisen und Lagerhäusern, die unmittelbare Nachbarschaft, sozusagen einen integrierenden Teil der Docks selber bilden. Denken wir uns eine Durchschnittszeichnung zwischen der mit der Themse parallellaufenden Citystraße und der Themse selbst, so ist die Reihenfolge diese: zuerst das Handelshaus mit seinen Comptoiren, dann geräumige Höfe mit Speichern aller Art, unter diesen die Docks-Keller, und schließlich, unmittelbar an der Themse, die Docks selbst. Die Höfe und die Keller verhalten sich zueinander wie zwei Etagen, und je nachdem die Ladung des eben angekommenen Schiffes aus Wein, Öl und Rum auf der einen, oder aus Reis, Zucker, Wolle und Baumwolle auf der anderen Seite besteht, wälzt man die Fässer und Ballen direkt vom Bord des Schiffes entweder auf die Speicherhöfe, oder eine Etage tiefer, in die Docks-Keller hinein. Unter diesen spielen die Weinkeller, die (vermutlich ein Kompagniegeschäft) nicht nur unter dem Speicherhofe eines Grundstücks, sondern unter einem ganzen Citystadtteil hinlaufen, die größte Rolle.
Der Freundlichkeit eines deutschen Kaufmannes verdankte ich es, daß mir Gelegenheit wurde, diese ungeheuren Räumlichkeiten in Augenschein zu nehmen. Er gab mich für einen jungen Deutschen aus, der nicht übel Lust habe, mehrere Oxhoft Port und Sherry gegen Barbezahlung sofort zu entnehmen, eine Rolle, die zu viele Vorteile und Annehmlichkeiten versprach, als daß ich hätte geneigt sein sollen, mich gegen sie zu sträuben.
Bevor wir in die Keller hinabsteigen, sei über »Port« und »Sherry« etwas vorausgeschickt. Beide Worte sind Kollektiva für alle möglichen Sorten süßen und feurigen Weins geworden. Unter all' den hunderttausend Oxhoften Port und Sherry, die alljährlich in England getrunken werden, ist vielleicht kein einziger, zu dem Oporto und Xeres (Sherry ist eine Mißbildung dieses Wortes) ausschließlich und unvermischt den Saft ihrer Trauben beigesteuert haben. Die Küsten des mittelländischen Meeres liefern diese ungeheuren Weinmassen, die – wenn von roter Farbe – unter dem Namen Port, von goldgelber, unter dem Namen Sherry in die Welt geschickt werden. Die Keller der London-Docks sind übrigens schon das zweite Lager, das diese köstlichen Weine bezieht: zuerst begegnet man ihnen auf der Westküste von Sizilien und zwar im Städtchen Marsala, wohin die aufkaufenden Engländer zunächst Ladung auf Ladung dirigieren, um von dort aus, je nach Bedürfnis, die englischen Keller zu speisen. Um sich von der Größe dieser sizilianischen Weinniederlagen einen Begriff machen zu können, führe ich das Faktum an, daß allein die alljährliche Verdunstung achttausend Gallonen beträgt.
Aber lassen wir Marsala und steigen wir heute in die Keller der englischen Docks. – Wir fahren ein, wie in den Schacht eines Berges. Zwei rußige Burschen mit kleinen blakenden Lichtern schreiten uns vorauf. Nun denn: Glück auf! und lustige Bergmannsfahrt. Was sollten wir nicht? Unser Gewinn ist sicher: der Port, wie flüssiger Rubin, wird bald in unsern Gläsern blinken.
Wir sind unten: vor unsern erstaunten Blicken liegt eine Stadt. Wir haben schöne Sagen und Märchen, die von Städten auf dem Grunde des Meeres, oder von Schlössern in der Tiefe unserer Berge sprechen – diese Wunder sind Wirklichkeit geworden. Über uns lärmt und wogt die City mit ihren hunderttausend Menschen, und hier unten dehnen sich gleicherzeit die erleuchteten, unabsehbar langen Straßen einer unterirdischen Stadt. Rechts und links wie Häuser liegen übereinandergetürmt die mächtigen Gebinde: jedes Faß – eine Etage. Wir sind in die eine Straße eingetreten, und schreiten weiter. Alle fünfzig Schritt begegnen wir einer Quergasse, die, um kein Haar anders oder gar kleiner als die Straße, die wir gerade durchmessen, nach rechts und links hin sich endlos fortzieht. Immer weiter geht es: neue Gänge, neue Tonnen, neue Lichter, immer Neues, und doch immer das Alte wieder; unser Auge entdeckt nichts, das ihm als Merkmal, als Wegweiser aus diesem Labyrinthe dienen könnte, und eine namenlose Angst überkommt uns plötzlich. Wir denken an die Irrgänge des Altertums, an die römischen Katakomben, und ein unwiderstehliches Verlangen nach Luft und Licht erfaßt unser Herz.
Aber schon ist die Heilung bei der Hand. »There 's a first rate Sherry, Sir! indeed, a very fine one«, so trifft es plötzlich unser Ohr, und schon der ruhig-sichere Klang der Stimme überzeugt uns, daß kein Grund zur Furcht vorhanden. Den letzten Rest davon spült der Sherry fort. Mit unermüdlichem Diensteifer werden jetzt rechts und links die Fässer angebohrt: hier spritzt es wie ein Goldstrahl aus dem Faß hervor, dort strömt der blutrote Port ins Glas. Wir kosten und nippen, wie wenn es Nektar wäre; die rußigen Burschen aber schätzen's nicht höher wie abgestandenes Wasser und schütten das flüssige Gold an die Erde. Der Wein hat längst aufgehört, ihnen eine Himmelsgabe zu sein; sie teilen sich schweigsam, gewissenhaft in ihre Arbeit: der eine bohrt die Löcher, der andere verstopft sie, wozu er sich kleiner Holznägel bedient. – Wir mußten in diesen Kellern schon viele Vorgänger gehabt haben, denn der Boden manchen Fasses sah wahrlich aus wie die Sohle eines neumodisch-gestifteten Stiefels.
Eine Stunde war um. Aus den unterirdischen Gassen stiegen wir lachend ans Tageslicht und schwankten in lautem Gespräch der Blackfriars-Brücke zu. Menschen und Häuser schienen uns zuzunicken, die finsteren Straßen waren wie verwandelt.
Ich habe die City von London so schmuck nicht wiedergesehn.