Theodor Fontane
Ein Sommer in London
Theodor Fontane

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Straßen, Häuser, Brücken und Paläste

London ist nicht das, was man eine »schöne Stadt« nennt. Es hat nichts aufzuweisen, was sich unserm Opernplatz oder gar dem place de la concorde in Paris vergleichen ließe. Die Zahl seiner durch Schönheit ausgezeichneten Gebäude steht in keinem Verhältnis zu der Zahl seiner Häuser überhaupt. Auch das Haus des Privatmannes bleibt äußerlich hinter dem zurück, was die Mehrzahl unsrer Straßen dem Auge zu bieten pflegt. Namentlich in der City und mehr noch in jenem volkreichen Stadtteil, der den Namen der »Tower-Hamlets« führt, finden sich zahlreiche Gassen, auf die das Wort jenes spöttelnden Franzosen noch immer paßt, der ganz London mit kreuz und quer gezogenen Mauer-Linien verglich, drin sich große und kleine Löcher statt der Türen und Fenster befänden.

Unsre Häuser weichen in Bau und Einrichtung mehr oder minder voneinander ab; es dürfte schwerfallen auch nur ein halbes Dutzend zu finden, die sich vollständig glichen. In London ist es umgekehrt. Ganze Stadtteile bestehen aus Häusern, die sich so ähnlich sehn, wie ein Ei dem andern. Es ist mithin nichts leichter als das »englische Haus« als Kollektivum zu beschreiben. Das englische Haus hat zwei oder drei Fenster Front, ist selten abgeputzt, meist durch ein Eisengitter von der Straße getrennt, und hat ein Souterrain mit der Küche und den Räumlichkeiten für das Dienstpersonal. Parterre, und zwar nach vorn heraus, befindet sich das Sprech- oder Empfangzimmer (parlour), dahinter ein sitting-room, in dem das Diner eingenommen zu werden, auch wohl der Hausherr seine Times zu lesen und sein Nachmittagsschläfchen zu machen pflegt. Die teppichbedeckte Treppe führt uns in die drawing-rooms, zwei hintereinander gelegene Zimmer von gleicher Größe, beide durch eine offenstehende, scheuntorartige Tür in stetem Verkehr miteinander. Hier befindet sich die Dame vom Hause; hier streckt sie sich auf diesem bald und bald auf jenem Sofa; hier steht der Flügel, auf dem die Töchter musizieren; hier sind die cup- und china-boards (offene Etageren mit chinesischem Porzellan); hier stehn Humes Werke und Addisons Essays in endloser Reihe; hier hängen die Familien-Porträts; hier sitzt man um den Kamin oder am Whisttisch, und beschließt den Tag in stillem Geplauder beim Tee, oder im lauten Gespräch, wenn die Gentlemen das Feld behaupten und ihren selbstgemischten Nachttrunk nehmen. – In der zweiten Etage sind die Schlafzimmer – noch eine Treppe höher die Wohn- und Arbeitszimmer für die Kinder, auch wohl ein Gastbett für Besuch von außerhalb.

So sind Hunderttausende von Häusern. Ihre Einförmigkeit würde unerträglich sein, wenn nicht die Vollständigkeit dieser Uniformität wieder zum Mittel gegen dieselbe würde. In vielen Fällen wird nämlich von den Bauunternehmern nicht ein Haus, sondern ein Dutzend gleichzeitig und nebeneinander aufgeführt, wodurch diese Gesamtheit von Häusern oftmals das Ansehn eines einzigen großen Gebäudes gewinnt. Gesellt sich dann noch an jener Stelle, wo die einzelnen Häuser aneinander grenzen, eine säulenartige Fassade, oder gar an den ersten Etagen entlang ein zierlicher Balkon hinzu, so werden hier und da Resultate erzielt, die sich dem nähern, was unsere hübschesten Straßen aufzuweisen haben.

Eins aber haben Londons Straßen und Häuser vor uns voraus, das ist ihre äußerste Sauberkeit. Man gewahrt dies nicht ohne ein Gefühl der Beschämung, wenn man dabei des Schmutzes gedenkt, der namentlich zur Winterzeit in unsern Straßen souverän zu herrschen pflegt und sich auftürmt, als sei das so sein Recht. Jedes Londoner Haus hat bis in seine zweite und dritte Etage hinauf den unschätzbaren Vorteil eines nie mangelnden Wasserstroms, der ihm, nach Gefallen, aus Dutzenden von Röhren entgegenströmt. Alles schmutzige Wasser fließt sofort wieder ab und ergießt sich in eine tief unter jedem Straßendamm gelegene Kloake, deren Hauptkanäle mit der Themse in Verbindung stehen. Die Straßen selbst zeigen eine Reinlichkeit, die nur von der niederländischen übertroffen wird. Trottoirs (meist von Sandstein) nehmen gemeinhin die ganze Breite des Bürgersteiges ein, und das eigentliche Straßenpflaster (auf den Hauptverbindungslinien makadamisiert) befindet sich selbst hei Regenwetter und trotz des unglaublichen Verkehrs in stets passierbarem Zustand. Eigentümliche Fuhrwerke, die, ähnlich wie unsere Eggen auf dem Felde, einen breiten Besen hinter sich führen, fahren bei schmutzigem Wetter auf und ab, und säubern so die aufgeweichten Straßen.

Ich bin ins Loben gekommen, fast wider meinen Willen; so sei denn auch vor allem und eh' der Tadel wieder in sein Recht tritt, der fünf gewaltigen Brücken (zu denen sich die Hängebrücke als sechste gesellt) Erwähnung getan, die das eigentliche London mit Southwark oder was dasselbe sagen will, die Grafschaften Middlesex und Surrey miteinander verbinden. Diese Brücken sind meiner Meinung nach weitab das Bedeutendste, was London an Baulichkeiten aufzuweisen hat. Ich glaube den Grund dieser eigentümlichen Erscheinung darin gefunden zu haben, daß das englische Volk alles hat, was zu einem imposanten Baue ausreicht: Berechnung, Reichtum, Ausdauer, Kühnheit – aber das entbehrt, was zur Schöpfung des künstlerisch Vollendeten nötig ist: Geschmack und Schönheit. So oft ich auch die Themse hinauf und hinunter fahre, immer wieder beschleicht mich ein Staunen, wenn die Southwark-Brücke mit ihren drei Riesenbögen, deren jeder eine Spannung von 240 Fuß hat, plötzlich vor mir auftaucht, und dies Staunen schwindet nur, wenn ich weiter stromabwärts gleite und die Londonbrücke, schwer und massig wie ein Gebirgsstück, über den Fluß geworfen sehe. Es läßt sich nichts Solideres denken, und wenn ich aufgefordert würde einem Fremden in London den Punkt zu zeigen, der mir am meisten geeignet schiene, den Charakter dieser Stadt und dieses Landes zur Anschauung zu bringen, so würd' ich ihn nicht nach St. Paul und nicht nach Westminster, sondern an die granitne Brüstung dieser Brücke führen und ihn dem Eindruck dieser festen und kühn gewölbten Masse überlassen.

Wend' ich mich jetzt zur Besprechung öffentlicher Gebäude, wie Kirchen und Paläste, so ist es ein unverhältnismäßiger Mangel an derartigen Bauwerken, der sich dem Urteil sofort aufdrängt. Das neue London, besonders auf dem Waterloo-Platz – wo sich zu den schönen Baulichkeiten des Platzes selbst, die eleganten Clubhäuser Pall-Malls und einzelner Nachbarstraßen gesellen –, präsentiert eine Anzahl von Gebäuden, auf denen auch das Auge des Architekten mit Anerkennung verweilen wird, aber diese Bauten, wie zum Teil vollendet an und in sich, haben doch überwiegend den Charakter von Privathäusern und bieten, wenn mir diese Wendung gestattet ist, nicht Masse genug dar, um den Baumeister so recht als einen Meister zu zeigen. Erst in voller Bewältigung massenhaften Stoffs, im Innehalten der Schönheit auch innerhalb der größten Dimensionen, offenbart sich der Meister. Alle diese Gebäude sind, vielleicht nicht ihrem Wert, aber ihrer Gattung nach, zweiten Ranges.

Großartige Bauten von mindestens relativer Makellosigkeit hat London nur zwei: St. Paul und das Britische Museum. St. Paul, wenngleich nur eine Nachahmung St. Peters, wird unter diesen Nachahmungen immer den ersten Rang einnehmen. Es ist im höchsten Maße bedauerlich, daß die Beengtheit des Platzes, auf dem dieser Riesenbau steht, einen Totalanblick unmöglich macht, aber auch was wir sehen reicht aus, um uns den Namen Christoph Wrens mit Ehrfurcht sprechen und jener Grabschrift desselben (in der Kirche selbst) beipflichten zu lassen, die da heißt:

Si monumentum requiris – circumspice!

Das britische Museum zeigt den in London wenig vertretenen Stil der Antike. Es ist ein mächtiges Gebäude, mit zwei kurz vorspringenden Flügeln. Ionische Säulen tragen den Portikus des Haupteinganges sowohl, wie der Seitenteile. Überall Einfachheit und Symmetrie; die gewaltige Masse durch Schönheit belebt, wirkt erhebend und bewältigend zugleich.

Hiermit ist das Verzeichnis Londoner Schönheit erschöpft. St. James ist nur noch die Karikatur eines Königsschlosses. Aus rotem Backstein aufgeführt, klein, niedrig und mit zwei abgekappten Türmen am Eingangstor, gleicht es eher dem verrotteten Herrenhause eines heruntergekommenen alten Squires in Yorkshire oder Westmoreland, als dem Palast englischer Könige, und es bedarf das Auge dessen, der hinter den herabgelassenen Rouleaux das dicke rotbärtige Antlitz Heinrichs VIII. erkennt, wie er zur Anna Bulen flüstert, um diesen Platz wiederholt zu besuchen. Buckingham-Palace, die gegenwärtige Residenz der Königin ist minder häßlich als St. James, aber doch nicht um so viel schöner, daß es die Langeweile tilgte, die ihm auf der Stirne steht. Sollt' ich zwischen beiden entscheiden, so ward' ich, der Königin Victoria zum Trotz, von zwei Übeln das kleinste wählen. – Somerset-House ist stattlich, aber nichts weiter; seine Front markiert sich wenig, der Hof ermüdet durch Monotonie, und nur nach der Themse hinaus imponiert es durch seine Lage und seine Masse.

Und nun die Kirchen! Welch ein Verbrechen, von der Westminster-Abtei bis hierher geschwiegen und seinem Anhängsel, der Kapelle Heinrichs VII. noch keine pathetische Lobrede gehalten zu haben! Aber ich zähle nun mal zu den Unglücklichen, die es tragen müssen, keine gebornen Engländer zu sein und infolgedessen zu der blasphemistischen Ansicht neigen, daß Westminster mehr interessant als schön sei und daß seine beiden Türme (zu denen der arme Wren, kein Freund der Gotik, nolens volens gepreßt wurde), die Linie des Lächerlichen nur notdürftig vermeiden. Ich liebe Westminster und das Zauberblau seiner prächtigen Mittelfenster, ich lieb' es auch, mich in einen Chorstuhl der Kapelle Heinrichs VII. zu setzen und die Wappenbanner der Ritter des Bathordens über mir hin und her schwanken zu sehen, aber es ist die Geschichte dieses Platzes und nicht seine Schönheit, die mich an ihn fesselt und ich kann nicht mit einstimmen in den Glaubenssatz jedes alten und echten John Bull, daß dieser Platz »das Wunder der Welt« sei.

Der echte John Bull hat auch noch einen andren Spleen, der jedenfalls unverzeihlicher ist als die Bewunderung des »wonder's of the world«, das ist die Bewunderung seiner neuen houses of parliament. Diese Parlamentshäuser sind da und haben viel Geld gekostet, das beides steht fest. Namentlich der letztere Umstand läßt den Gedanken gar nicht aufkommen, daß sie vielleicht doch nichts taugen könnten. Der praktische Sinn des Engländers sträubt sich dagegen, so viele Pfund Sterling vergeblich ausgegeben zu haben. Er wiederholt dir Mal auf Mal, daß das Gebäude 900 Fuß lang und einer seiner vielen Türme, zunächst noch in der Intention, 340 Fuß hoch sei, er weist dir nach, daß die Ornamente am Dach und an den Türmchen dem wonder of the world getreulich nachgebildet seien, und ruft dir, wenn nichts mehr helfen will, mit komischem Eifer zu: »Nun, da hätten Sie erst die alten sehen sollen.« Aber freilich, es werden auch Gegenstimmen laut und sprechen unumwunden aus, daß die Sache äußerlich und innerlich total verdorben sei. Es ist ein Mißverhältnis da zwischen der Höhe des Gebäudes und der Höhe des großen Südwest-Turms; endlose Ornamente, die überall sich vordrängen, nehmen ihm den Charakter schöner Einfachheit und lassen das Ganze trotz seiner riesigen Dimensionen kleinlich und fast unwürdig erscheinen. Man forscht nach einem Zweck dieser Schnörkeleien und kann keinen andern finden als den, daß sie da seien um Staub und Rauch zu schlucken und den Raum herzugeben für viele tausend Schwalbennester. Die Verbindungsgänge innerhalb des Gebäudes entbehren aller Übersichtlichkeit und machen mehr den Eindruck von Irrgängen eines Labyrinths, als von Verbindungsgängen eines Palastes. – Wenn das am grünen Holze geschieht, was soll am dürren geschehn!

London ist kein Sitz architektonischer Schönheit. Wenn einst die Hand der Vernichtung über diese Häusermasse kommen wird, wird ein meilenweiter Steinhaufe von der Weltstadt erzählen, die hier sich hinzog, aber das Fehlen von Säulentrümmern und ionischen Kapitälern, von Torso und bildgeschmücktem Fries – wird daraufhindeuten, daß es keine Welt voll Schönheit war, die hier dem Zeitlichen erlag.


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