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Am anderen Morgen brachen wir auf nach Gitschin. Der direkte Weg dahin (von Münchengrätz aus) führt über Fürstenbrück, da wir indessen das mehr östlich gelegene Schloß Podkost, das am Morgen des 29. Juni von der Avantgarde (pommersche Jäger und 14er Füsiliere) des 2. Armeecorps genommen worden war, kennen lernen wollten, so bogen wir schon in der Nähe von Bossin nach Osten hin ab, um die große von Podoll nach Sobotka führende Straße zu gewinnen, in deren Mitte etwa der Felsenpaß von Podkost, sammt dem gleichnamigen Schlosse gelegen ist. Der Querweg, den wir zu diesem Zwecke zunächst einschlagen mußten, führte uns an dem Südrande des Muskyberges vorüber, der den steilaufsteigenden Felspartieen der sächsischen Schweiz oder auch der schlesischen Heuscheuer nicht unähnlich, am 28. Juni (Gefecht von Münchengrätz) von den Vortruppen der 7. Division, auf oft nur mannsbreiten Felspfaden, überstiegen worden war. Es war dies derselbe Vorstoß, der – wie wir im vorigen Kapitel wenigstens andeuteten – schließlich gegen das Dorf Bossin gerichtet, an dieser Stelle die Rückzugslinie des Feindes traf, und dadurch den Tag um so rascher zu unseren Gunsten entschied.
Diese Muskyberge nunmehr zu unserer Linken, stutzten wir, daß diese steil aufragenden, zu einer kompakten Felsparthie zusammengedrängten Kegel, von unseren Truppen hatten passirt werden können. Wenig Umsicht, wenig guter Wille, wenig Entschlossenheit hätten genügt, diese Felsenmasse zu einer uneinnehmbaren Festung zu machen. Es war aber das Schicksal Oesterreichs, daß es an der einen oder anderen dieser Eigenschaften (oft an allen dreien) immer wieder und wieder gebrach. Die besten Stellungen blieben ungenutzt und in ebenso räthselhafter Weise, wie der Paß über die Muskyberge, beinah unvertheidigt, aufgegeben worden war, ging auch der Felsenpaß von Podkost verloren, dem wir jetzt, nachdem wir auf die Podoll-Sobotka-Straße eingebogen, in kurzem Trabe zufuhren. Mehrfach hielten wir an, theils wegen der Schönheit, aber auch wegen des geognostischen Interesses, das die Landschaft bot.
Unser Weg führte zunächst durch Tannenwald, der flach und eben daliegend, nicht im geringsten die Nachbarschaft grotesker Felsparthien ahnen ließ. Plötzlich wuchsen zwischen den Tannenstämmen einzelne Kegel wie Zuckerhüte auf, das Terrain zunächst noch mit den Bäumen theilend. Aber wenige hundert Schritte weiter genügten, um dem Bilde ein völlig anderes Ansehn zu geben; die einzelnen Felskegel waren nicht mehr Gäste im Walde, sie waren die Herren geworden und zu beiden Seiten des immer schmaler werdenden Weges hohe Felswände bildend, trugen sie nunmehr die Tannen, die eben noch ebenbürtig an ihrer Seite gestanden hatten, wie eine leichte Last auf ihrem Rücken.
Etwa zehn Minuten mochten wir durch diesen Felsenpaß gefahren sein, als sich derselbe zu einem freien Platz erweiterte. Die Tannen traten zurück, Linden und alte Nußbäume füllten den Raum; hinter diesen Bäumen aber, dieselben um mehr als hundert Fuß überragend, stieg auf einem vorspringenden Felsblock Schloß Podkost auf und sperrte mit seiner Häusermasse den Weg. Alles was hier hindurch will, hat zunächst eine Art Schloßhof, dann das Schloßthor selbst zu passiren, in dessen Rücken abermals hohe Felswände aufsteigen, während ein Flüßchen (das sich an dieser Stelle zu einem Wasserbecken erweitert), den Raum zwischen dem Schloßthor und den dahinter gelegenen Felsen ausfüllt.
Wenn es je eine Stelle gab, die leicht zu vertheidigen war, so ist es diese. Jede Festung kann bekanntlich genommen werden, und wir stellen an Schloß Podkost nicht die Forderung, daß es einem ernstlichen, mit überlegenen Artilleriekräften unternommenen Angriff hätte Widerstand leisten sollen, aber es ist schwer zu verstehen, wie eine durch Artillerie, Jäger und eine ganze Brigade (die Brigade Ringelsheim) vertheidigte Position wie diese, beim Anrücken unserer aus etwa zwei Bataillonen bestehenden Avantgarde geräumt werden konnte. An eine jener vielgefürchteten Umgehungen (wenn an jenem Tage diese Furcht überhaupt schon existirte) war an dieser Stelle gar nicht zu denken, weil das eben genannte Flüßchen, unmittelbar im Rücken des Schlosses, die Felsenwände rechts und links durchschneidet und dadurch eine flankirende Vorwärtsbewegung, wenn auch nicht unmöglich, so doch unter allen Umständen schwierig und zeitraubend machte. Jeder Feind, der hier angriff, mußte entweder den Stier bei den Hörnern packen und das Schloßthor zu forciren, oder aber auf den Felsengraten vorgehend, erst diese, dann, im Hinabsteigen, das Flüßchen zu passiren suchen. Mit geringen Kräften war dem einen wie dem andern vorzubeugen. Man unterließ selbst den Versuch.
Bald hinter Schloß Podkost hören die Felsparthieen auf oder ziehen sich seitwärts und der Weg läuft, anscheinend durch eine Flachlands-Landschaft, dem nur noch eine halbe Meile entfernten Städtchen Sobotka zu. Wir machten hier Halt, stiegen am Ringe, der auch hier die landesüblichen Arkaden zeigte, ab und bestellten in dem altmodischen Gasthof, dessen Zimmer noch mittelalterliche Gewölbe aufwies, einen Imbiß.
Wir waren nicht lange allein. Ein zweiter Wagen fuhr vor und drei Offiziere vom 2. Regiment (König Friedrich Wilhelm IV.) stiegen aus und gesellten sich uns zu. Der Wunsch, noch einmal die Kampfesstätte vom 29. Juni, dazu die Gräber jenes Tages und die in den Nachbardörfern liegenden Verwundeten zu sehen, hatte sie aus ihren nördlicher gelegenen Quartieren wieder auf das, eine ganze Kette von Gefechten aufweisende Terrain zwischen Podkost und Gitschin geführt. Sobotka ist etwa der Mittelpunkt dieses Terrains.
Selbstverständlich drehten sich unsere Gespräche um die verschiedenen Aktionen jenes Tages, besonders um die blutige Affaire bei Nieder-Lochow, an welcher das Bataillon (das zweite vom 2. Regiment), dem unsere drei Offiziere angehörten, vor allen anderen ruhmreich theilgenommen hatte. Es war dies jenes Gefecht, in welchem zunächst die Füsiliere vom 42., dann jenes ebengenannte 2. Bataillon fünf österreichischen Bataillonen, theils von der Brigade Ringelsheim, theils von der Brigade Kalik gegenüber gestanden und schließlich die feindlichen Reihen durchbrochen hatten. Mehr als einmal hatte, in dem ungleichen Kampfe, die Kraft die Unsrigen zu verlassen gedroht, aber mit dem lauten Gebet »Vater hilf! keine Schande, Sieg oder Tod«, waren sie endlich, während der Hauptmann, Freiherr von Kayserlingk, die Fahne des Bataillons ergriff, unter dem Schlagen aller Tambours zum Siege vorgedrungen. Schwere Verluste hatten diesen Sieg begleitet; elf Offiziere und einhunderteinunddreißig Mann, alle diesem einen Bataillon angehörig, waren todt oder verwundet; ein Borcke, ein Massow, ein Dewitz,v. Dewitz (so wird erzählt) fiel, während er einem österreichischen Offiziere, dem er Pardon gegeben, den Degen abforderte. Der Oesterreicher antwortete mit einem Pistolenschuß. v. Dewitz, zusammensinkend, stieß seinem Gegner den Degen durch die Brust. waren gefallen; jedes der drei ältesten pommerschen Geschlechter hatte einen der Seinen hergegeben; in ein Grab hatte man sie bei einander gelegt. Von den Verwundeten jenes Tages lagen noch verschiedene, Offiziere wie Mannschaften, in den benachbarten Ortschaften, und diesen Verwundeten, wie schon angedeutet, galt in erster Reihe der Besuch unserer drei Offiziere. Wir trennten uns von ihnen, da ihr Weg sie von der Hauptstraße zwischen Sobotka und Gitschin in die seitwärts gelegenen Dörfer führte.
Es sind mir später von einem älteren Offizier desselben Regiments lebhafte Zweifel daran geäußert worden, daß das 2. Bataillon in jener heißen Stunde bei Nieder-Lochow wirklich das »Vater hilf«, das seitdem eine gewisse historische Berühmtheit erlangt hat, gebetet habe. Der Zweifelnde suchte seine Ungläubigkeit ebenso aus der Situation, wie aus dem pommerschen Charakter heraus, zu begründen. »Das alles sei so unpommersch wie möglich.« Wer pommersche Grenadiere wirklich kenne (so etwa meinte er), könne ihnen nie und nimmer solche Worte, die wohl auf den Lippen einzelner Offiziere geschwebt haben möchten, in den Mund legen. Er sprach wie jemand, der sich gründlich auf diese Dinge versteht; nichts desto weniger muß ich bemerken, daß ihm von einem gegenübersitzenden Kameraden, der in unmittelbarer Umgebung des General v. Steinmetz die Schlachten von Nachod und Skalitz mitgemacht hatte, auf's Lebhafteste widersprochen wurde. Dieser versicherte, daß er am Tage von Nachod wohl auf fünfzig Schritt Entfernung ein in Granatfeuer stehendes Bataillon so laut das »Vater unser« habe beten hören, daß ihm die einzelnen Bitten deutlich an's Ohr geschlagen seien. Hiermit mag diese Controverse ihre Erledigung finden.
Der Abend dämmerte schon leise herein, als wir Sobotka verließen und die prächtige Ruine von Schloß Troska zur Linken, auf der reich mit Bäumen bepflanzten Chaussee, an zum Theil niedergestampften Getreidefeldern vorbei, Gitschin zufuhren. Halbenwegs passirten wir Nieder-Lochow, das, so viel sich im Dämmer erkennen ließ, nur noch an seinem Eingange einige zerstörte Häuser aufwies. Dann folgten, zu beiden Seiten der Straße frisch aufgeworfene Gräber mit den bekannten Inschriften, bis wir, bei einbrechender Dunkelheit, über den Markt von Gitschin fuhren und vor einem hellerleuchteten mit hohen Fenstern großstädtisch daliegenden Gasthof hielten.