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Unsere für Prag bestimmte Zeit war um, und wir wollten nunmehr »ins Land.« Zweck unserer Reise war überhaupt nicht ein Besuch der böhmischen Hauptstadt, sondern ein Besuch der böhmischen Schlachtfelder. Wir wollten dabei die Reihenfolge innehalten, wie sie der Vormarsch der Ersten Armee (Prinz Friedrich Karl) uns an die Hand gab, also zunächst den Gefechtsfeldern von Turnau-Podoll und Münchengrätz, dann denen von Sobotka, Gitschin und Königgrätz in eben dieser Aufeinanderfolge uns zuwenden.
Mit Turnau-Podoll also hatten wir zu beginnen. Der Weg dahin, von Prag aus, führt über Münchengrätz; da wir indessen, was der erwähnten Reihenfolge der Gefechte nach Nummer zwei war, nicht als Nummer eins sehen wollten, so beschlossen wir, diesen letztgenannten Ort (Münchengrätz) wie alle übrigen Stationspunkte zwischen Prag und Turnau-Podoll ohne Weiteres zu passiren und erst Tags darauf, nach Absolvirung der ersten Gefechtsfelder, nach Münchengrätz zu einem längeren Aufenthalt zurückzukehren. Und so geschah es denn auch. Wir fuhren also zunächst nach Turnau, um von dort aus regelrecht unsern Vormarsch zu bewerkstelligen.
In gewöhnlichen Zeiten ist zwischen Prag und Turnau Eisenbahnverbindung und man legt diese zehn Meilen in zwei Stunden zurück; jetzt aber, in Folge einer Brückensprengung, war der Eisenbahnverkehr gestört und wir mußten die Chaussee benutzen. Und das war gut so. In fremden Ländern, in denen man nicht reist, um nur fortzukommen, in denen man vielmehr Eindrücke wünscht, statt blos rascher Beförderung, wird man immer gut thun, das Coupé so viel wie möglich zu vermeiden und die zurückgeschlagene Halbchaise nach Möglichkeit zu benutzen. Dazu waren wir denn auch entschlossen. Aber die Ausführung stieß auf Schwierigkeiten. In ganz Prag war kein Fuhrwerk zu beschaffen; die zwanzigtausend Mann Preußen, die in der Stadt lagen, hatten alles bis auf das letzte Pferd in Beschlag genommen, nicht in dem gefürchteten Sinne von »Requisition«, sondern für baares Geld, um Ausflüge in die Nähe und Ferne zu machen. Ausharren und gute Worte halfen endlich so weit, daß uns eine Extrapost bis zur nächsten Station bewilligt wurde »dort müsse das Glück uns weiter helfen.« Und das Glück half uns weiter. Wir waren zur Kaffeestunde in Brandeis, zur Vesperstunde in Benatek, zur Theestunde in Jung-Bunzlau, um die zehnte Stunde in Münchengrätz und um Mitternacht (vorher Podoll im Mondscheindämmer passirend) in Turnau.
Diese Fahrt, zehn Meilen durchs Land, war sehr reizend. Die nächste Umgebung Prags ist wenig anziehend, aber bald verschönerte sich das Bild und wir hatten das um uns her, was man überhaupt vielleicht als »böhmische Landschaft« bezeichnen kann. Wellenförmiges Terrain, weiß getünchte Häuser in Grün versteckt, Obstbaumplantagen, Hopfen, Wein, malerisch gelegene Städte, hier einen Hügel erklimmend, dort am Ufer eines Flusses sich hinziehend, eines Wassers, das über breite Wehre fällt und Mühlen treibt; – dazu Schlösser und Ruinen und über dem Ganzen ein Ziehen und Wehen, ein Himmel und ein Luftton, die einem sagen: das ist historisches Land!
Wir kamen zuerst nach Brandeis. Sein Schloß ist schön gelegen, wie alle böhmischen Schlösser. Am schönsten ist die Brückenpartie am Ausgange der Stadt; wie ein Idyll lehnt sich die Wiesen-, Wasser- und Weiden-Landschaft bis an das Schloß hinan. Dieser Schloßbau hat seine Erinnerungen (alter Zeit zu geschweigen), auch aus neuer und neuester Zeit. Ich finde darüber Folgendes. Hier wohnte manchmal der gute alte Kaiser Ferdinand, den man im Jahre 1848 zur Abdankung zwang und der seitdem in Prag auf der »alten Burg« (Hradschin) residirte, bis ihn die einrückenden preußischen Regimenter auch von dort vertrieben. Nun hat der »Vogel von Falckenstein« seinen Sitz dort oben. Doch zurück nach Brandeis und seinem Schlosse. Hier wohnte, abgesetzt und flüchtig, der greise König Karl X. von Frankreich und mit ihm seine Schwiegertochter, die Herzogin von Berry, sammt ihrem Sohne (Henri V). Flüchtig, vor wenigen Wochen erst, verweilte auch König Johann von Sachsen an dieser Stelle; er verbrachte hier die erste Nacht, nachdem er sein Land verlassen. Während er hier einzog, zog General Herwarth in Dresden ein.
Die nächste Station nach Brandeis ist Benàtek, ein kleiner Ort, mehr ein Flecken, als eine Stadt. Auch Benàtek hat seine Geschichte. Hier befand sich das Observatorium, auf welchem Tycho de Brahe Meridiane zog und nebenbei dem Kaiser Rudolph II. (der Benàtek zur Stadt erhob) das Horoskop stellte. Nun lagen hier Zietensche Husaren; mit Abtheilungen vom Colberger Regiment saßen sie an dieser Stelle bunt durch einander, bei ausgehobenen Fenstern, in einem von Geisblatt umrankten Gartenhause, und spielten, unbekümmert um alle Sterndeuterei (sie waren die Sieger und bedurften keines Horoskops mehr) ihr Solo oder Dreikart und dampften ihre mit kaiserlichem Tabak gestopften Pfeifen. Sie mochten an Vieles denken, nur nicht an Kaiser Rudolf und Tycho de Brahe. Mir war es interessant, dem Namen und den Spuren dieses letzteren hier wieder zu begegnen. 1864, als mich der dänische Krieg ebenso nach Kopenhagen, den Inseln und Jütland führte, wie jetzt der österreichische Krieg nach Prag und Böhmen, hatte ich, im alten Dome zu Aarhuus, von dem Marmormonument von Manderup Parsberg gestanden, der (wie mir der Küster erzählte) dem Tycho de Brahe im Duell die Nase abhieb und hatte dann eine Woche später, im Vorüberfahren an der kleinen Sund-Insel Hven, die Trümmer jener Uranienburg aufragen sehen, die König Frederick II., allen Forderungen seines Günstlings und Hofastronomen nachgebend, damals inmitten des prächtigen Sundpanoramas (zwischen Kopenhagen und Helsingör) errichtet hatte. Aber diese Tage des Glanzes am dänischen Hofe hatten nicht Dauer gehabt; im Unmuth war Tycho aus seiner Heimath geschieden, um endlich am Hofe Kaiser Rudolfs II. seine Laufbahn zu schließen, seine letzte Ruhe zu finden. Gestern erst hatte ich, in der Prager Teynkirche, am Grabstein des berühmten Astronomen gestanden, heute, in Benàtek, stand ich, wie vor zwei Jahren, an einer ehemaligen Stätte seines Wirkens, freilich an einer bescheideneren als jene Uranienburg im Sunde.
Von Benàtek führt der Weg nach Jung-Bunzlau, prächtig gelegen auf einem länglichen Hügel, mit einer castellartigen Kaserne, die in das Iserthal hinunterblickt. Man hat hier Fernblicke auf das ganze Amphitheater des Riesengebirges, mit dem »böhmischen Sattel«, zwei merkwürdigen Felsennadeln, die mit alten Burgruinen gekrönt sind. Auch in der Nähe der Stadt ragt eine solche, arg zerrissene, aber massenhaft empor, die Burg Michalowitz, der Sage nach die Heimath jenes Ritters Dalibor, der im Prager Gefängnis die Geige so schön spielen gelernt, daß er einer der beliebtesten Sagenhelden des musikliebenden Böhmer-Landes geworden.
Nach Jung-Bunzlau folgte Münchengrätz, das wir erst bei völliger Dunkelheit erreichten, übrigens ohne Sorge für uns, da der nächste Tag uns dahin zurückführen sollte. Zwei Stunden später waren wir in Turnau. Hier nahmen wir Nachtquartier und rüsteten uns für den anderen Morgen.
Dieser Morgen kam und mit ihm, in korrekter Reihenfolge, unser Besuch der Gefechtsfelder von Podoll und (Tags darauf) von Münchengrätz; ehe ich indessen zu einer Schilderung dieser Oertlichkeiten übergehe, versuche ich es, die Eindrücke wieder zu geben, welche diese zehnstündige Fahrt durchs Böhmer-Land auf mich gemacht hatte. Ich werde bei Wiedergabe dieser Eindrücke allerdings die Erfahrungen der nächsten Tage gleich mit zu Hülfe nehmen, so daß alles Nachstehende ein breiteres Fundament haben und, irrig oder nicht, nach der Seite des Urtheils hin einer Art Gesammt-Resultat meiner Reise entsprechen wird.