Theodor Fontane
Quitt
Theodor Fontane

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Neuntes Kapitel

Am andern Tage hatte sich Lehnert von dem, was er gehört, insoweit erholt, daß er die Kraft aufbrachte, sich's ruhiger zurechtzulegen. »Er traut mir nicht. Soll ich ihm böse darüber sein? Trau ich ihm? Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Es ist gut, daß ich nun weiß, wie's mit ihm steht und was ich von ihm zu gewärtigen habe. Wenn ich ihm so weiter geglaubt hätte, so wär ich vielleicht unvorsichtig geworden, und das tut nie gut, am wenigsten einem Opitz gegenüber ... Ich will nicht wieder anfangen, nein, er soll anfangen. Dann bin ich ohne Schuld.« So sprach er noch weiter vor sich hin, ohne jede leiseste Vorahnung, daß derselbe Tag noch den alten Streit wieder anfachen sollte. Nur schärfer und bitterer als je zuvor.

Es war ein heißer Tag, und die Steine, die durch die Lomnitz hin zerstreut lagen und bei niedrigem Wasserstand einen Übergang von einem Ufer zum andern bildeten, blitzten in der Sonne; drüben das Heidekraut auf der Opitzschen Seite schimmerte rot, und von dem Lupinenfeld, das sich, freilich als schmaler Strich nur, durch das Heidekraut hinzog, zog ein süßer Duft nach dem Inselchen herüber. Der Himmel stand in einem wolkenlosen Blau. Lehnert, der sich, der großen Hitze halber, von dem Vorplatz am Schuppen unter den Schuppen selbst zurückgezogen hatte, sah einen Augenblick von seiner Arbeit auf und wurde dabei mehrere Taubenschwärme gewahr, deren einer eben über die Tannen am Waldsaum hinschwebte. Plötzlich aber, während er noch so hinaufsah, vernahm er, durch die Mittagsstille hin, einen Hundeblaff und gleich danach einen durchdringenden Hahnenschrei, der, weitab davon, sicher und siegesfroh wie sonst wohl die Seinen zuhauf zu rufen, umgekehrt etwas von einem Angst- und Todesschrei hatte. Lehnert ahnte, was es war, sprang auf die Deichsel und Vorderachse des gerade vor ihm stehenden Arbeitswagens und sah von dieser Hochstellung aus, was drüben passierte. Diana hatte den Hahn an seinem Silberkragen gepackt und schüttelte ihn. Und nun ließ der Hund wieder ab, und die plötzliche Lautlosigkeit verriet nur zu deutlich, daß das schöne Tier, das er gepackt und geschüttelt, tot war. Das gab Lehnert einen Stich ins Herz, denn neben dem prächtigen gelben Rosenstrauch an Haus und Dach war der Silberhahn so ziemlich das einzige, woran er hing; alles andere war in Rückgang und Verfall. Er ballte die Faust und drohte nach drüben hin, aber er bezwang sich wieder und richtete seinen Zorn und Unmut, einen Augenblick wenigstens, statt gegen Opitz gegen die eigene Mutter.

»Die ist schuld; es mußte so kommen. Hab ich doch den da drüben wohl ein dutzendmal sagen hören: ›Liebe Frau Menz, wenn Sie nicht nach dem Rechten sehen und das Hühnervolk immer über den Steg und die Steine bis in meinen Vorgarten lassen, ich stehe für nichts; Diana packt mal zu.‹ Nun hat Diana zugepackt, und wir sind unseren Hahn los und müssen noch still sein und vielleicht auch noch gute Worte geben wegen der Aurikeln und Levkojen oder was das arme schöne Tier sonst noch zerpflückt und zertreten hat ... Aber so ist die Alte, sie will die paar Futterkörner sparen, und selbst ihre Hühner sollen drüben zu Gaste gehen. Es ist ein Elend, und bloß neugierig bin ich, was er nun machen und ob er sich entschuldigen und so was von Bedauern sagen wird.«

Und sieh, Lehnert war kaum wieder bei seiner Arbeit, so kam auch schon Christine zur Frau Menz in die Küche und bestellte von Förster Opitz: Es tat ihm leid, daß seine Diana den Hahn gewürgt hätte. Mehr könn er aber nicht sagen. Er habe der Frau Menz im voraus gesagt, daß es so kommen würde. Sein eigener Schade sei noch größer, und wenn er zusammenrechne, was die Menzschen Hühner ihm alles ruiniert hätten, so käme mehr heraus als der Hahn.

»Und will er denn den Hahn behalten?« wimmerte die Alte.

»Nein«, sagte Christine, »den Hahn sollt ich Euch bringen. Aber Frau Opitz sagte, ›der würd Euch doch nicht schmecken‹. Und hinterher hat sie mir heimlich gesagt, ich sollt Euch fragen, was Ihr dafür haben wolltet, und sie wollt es alles bezahlen und noch ein Reugeld dazu.«

Lehnert, als seine Mutter und Christine so sprachen, war von seinem Arbeitsschuppen herbeigekommen.

»Ich will den Hahn«, sagte er, »und nicht das Geld. Aber gegessen wird er nicht, Mutter. Ich begrab ihn und mach ihm einen Stein. Das schöne Tier! Meine einzige Freude! Nun ist er hin. Diese Diana, diese Bestie! Mir will sie auch immer nach den Beinen. Aber sie soll sich vorsehn, und ihr Herr auch.«

Und er ging wieder an seine Arbeit, während Christine bei der Alten blieb und ihr ohne weiteres das Geld gab, das die gute Frau Opitz für den erwürgten Hahn bewilligt hatte.

Lehnert verwand es schneller, als er selber gedacht haben mochte. Hätt er klarer in seinem Herzen lesen können, so würd er gefunden haben, daß er eigentlich froh war, seines Gegners Schuldsumme wachsen zu sehen. Je mehr und je rascher, desto rascher mußt auch die Abrechnung kommen, das war das Gefühl, das ihn mehr und mehr zu beherrschen begann. Bei Tisch sprach er nicht, und als er den Krug Bier, den ihm die Mutter aus dem Kretscham geholt, geleert hatte, ging er auf seine Kammer hinauf und schlief.

Als er wieder wach war, war er zunächst willens, doppelt fleißig zu sein und bei der Arbeit alles zu vergessen – nicht für immer, dafür war gesorgt, aber doch auf ein paar Stunden. Am Abend wollt er dann in den Querseiffner Kretscham gehn, wo heute Tanz war.

»Ich sitze jetzt zuviel an der Schnitzelbank und lebe ... nun, wie leb ich? Ja, wie wenn ich nur noch Botenfrau war, Botenfrau für Opitz. Ich will es mir heute raustanzen aus dem Geblüt.«

Und damit ging er von seiner Kammer in die Küche, nahm da den Bunzlauer Topf, drin ihm die Alte den Nachmittagskaffee warm zu stellen pflegte, vom Herd und ging wieder auf seinen Schuppen zu. Die Hühner lagen hier in ihren Erdlöchern und sahen ihn wie fragend an.

»Ihr wollt mich wohl gar noch verantwortlich machen? Dummes Volk! Ich sag euch, er wäre nicht rübergegangen, er hielt auf sich und hätte sich seine paar Körner auch hier gesucht. Ihr seid schuld, ihr habt ihn verleitet, und er ist euch bloß gefolgt, um euch nicht im Stich zu lassen. Nun ist er weg, und ihr habt das Nachsehen. Solchen schönen Herrn kriegt ihr nicht wieder, verdient ihr auch gar nicht.«

Er unterhielt sich noch so weiter und freute sich, daß er seine gute Laune wiederhatte.

So vergingen etliche Stunden, und die Sonne machte schon Miene, hinter der mit Tannen besetzten Höhe zu verschwinden, Lehnert aber, der all die Zeit über mit besonderem Fleiße gearbeitet hatte, hatte seines in die Hobelspäne gestellten Kaffees ganz vergessen und wollt eben aufstehen, um das Versäumte nachzuholen, als die Mutter in großer Hast und Aufregung vom Haus her auf ihn zukam und in den Arbeitsschuppen hineinrief: »Ein Has, Lehnert, ein Has!«

»Wo, Mutter? «

»In unserm Korn.«

Und ehe zwischen beiden noch weiter ein Wort gewechselt werden konnte, sprang Lehnert auch schon von seiner Arbeit auf, lief auf das Haus zu, riß die Flinte vom Riegel und stürzte durch die Hintertür, über den Hoffort, auf den zu Feld und Wald hinüberführenden Brückensteg zu. Bevor er diesen aber erreichen konnte, wurd es dem Hasen drüben nicht recht geheuer, der denn auch in kurzen Sätzen, und zwar immer an dem Kornfeldstreifen entlang, auf den Wald zu retirierte. Freilich nur langsam und mit Pausen. »Sieh, er sputet sich nicht mal, er hat nicht mal Eile«, sagte Lehnert vor sich hin und legte den Kolben an die Schulter und zielte. Da wurde der drüben mit einemmal flinker und eilte sich, den kaum zehn Schritt breiten Abhang, der zwischen Acker und Wald die Grenze zog, hinaufzukommen, aber eh er noch bis an das Unterholz heran war, fiel der Schuß. Am Saume hin zog der Pulverrauch und wollte sich nicht gleich vertun; Lehnert indes, der wohl wußte, daß er keinen Fehlschuß getan hatte, ging langsam auf die Stelle zu, nahm den Hasen vom Boden und kehrte dann über Steg und Hof in sein Häuschen zurück.

»Da, Mutter. Der soll uns schmecken. Opitz kann sich den Hahn braten lassen.«

Erst als Lehnert diesen Namen nannte, kam der Alten die nur zu berechtigte Sorge wieder, was Opitz zu dem allem wohl sagen würde, Lehnert selbst aber war guter Dinge, sprach in einem fort von Haus- und Feldrecht und suchte der Alten ihre Befürchtungen auszureden. Ob es ihm Ernst damit war und ob er wirklich an sein »Haus- und Feldrecht« glaubte, war schwer zu sagen und blieb auch da noch im Ungewissen, als eine halbe Stunde später Opitz in Person von seiner Försterei herüberkam und den Hasen forderte.

Lehnert spielte den Unbefangenen, ja zunächst sogar den Verbindlichen und bat Opitz, Platz nehmen zu wollen, und erst als dieser, unter Ablehnung der Artigkeit, die Forderung wiederholte, stellte sich Lehnert mit dem Rücken an den Ofen und sagte: »Was man nicht hat, kann man nicht geben.«

Um Opitz' Züge, der nur zu gut wußte, daß er jetzt seinen alten Gegner in Händen habe, flog ein spöttelndes Lächeln, und es trieb ihn mächtig, diesem seinem Gefühle von Überlegenheit auch sofort einen Ausdruck zu geben. Er bezwang sich aber und sagte: »Lehnert, Ihr nehmt den Streit wieder auf und tätet doch klüger und besser, es nicht zu tun. Ich warn Euch. Ich mein es gut mit Euch.«

»Ich habe den Hasen nicht.«

»Ihr habt von dem Brückensteg aus gezielt und geschossen.«

»Ich habe von dem Brückensteg aus geschossen, aber nicht gezielt. Der Hase saß in unserm Feld; er ist jetzt öfters bei uns zu Gast, und nachts wird er wohl mit Familie kommen. Ich brauche keine Hasen in meinem Felde zu leiden, und ich hab ihn verjagen wollen.«

»Ein Has ist ein Has, und Ihr braucht bloß in die Hand zu klatschen ...«

»Aber ein Schuß hilft mehr.«

»Namentlich, wenn er getroffen hat.«

Lehnert schwieg und sah an Opitz vorbei, der seinerseits eine kleine Weile vergehen ließ, fast als ob er Lehnert eine Frist zur Überlegung gönnen wollte. Als aber jedes Entgegenkommen ausblieb, nahm er zuletzt das Wort wieder und sagte: »Lehnert, Ihr bringt Euch in Ungelegenheiten. Ihr habt einen Haß gegen mich, und das verdirbt Euch Euren guten Verstand. Ihr streitet mir den Hasen ab, Ihr, der Ihr immer von Eurer Wahrheitsliebe sprecht, und wäre mir doch ein leichtes, den Hasen in Eurem Hause zu finden. Und wenn ich ihn nicht fände, so doch Diana ... Kusch dich ... Ihr habt den Hasen verjagen wollen. Nun, meinetwegen; das ist Euer gutes Recht. Und wenn Ihr's Euch einen Schuß Pulver kosten lassen wollt, nun, so mag auch das hingehen, obwohlen es auffällig ist und eigentlich nicht in der Ordnung. Es ist nicht Brauch hierzuland, einen Hasen durch einen Flintenschuß zu verjagen. Und der Letztberechtigte dazu seid Ihr, der Ihr schon manches auf dem Kerbholz habt. Ich sah von meiner Giebelstube her, daß Ihr im Anschlag lagt, und ich sah auch, wie der Hase zusammenbrach. Und zum Überfluß hab ich mir die Stelle drüben, eh ich in Euer Haus kam, mit allem Vorbedacht angesehen und habe den Schweiß an dem hohen Farnkraut gefunden, das drüben steht.«

Die Bedrängnis, in der sich Lehnert befand, wuchs immer mehr, und ein begreifliches Verlangen überkam ihn, aus dieser seiner Lage heraus zu sein. Er war aber schon zu tief drin, und was die Hauptsache war, er konnte sich nicht entschließen zuzugeben, eine Lüge gesprochen zu haben. So pfiff er denn leise vor sich hin, als ob er andeuten wolle, daß der Worte genug gewechselt seien.

Opitz seinerseits aber war nicht willens, seinen Triumph abzukürzen, und fuhr, während er eine gewisse Gütigkeitsrolle weiterspielte, ruhigen Tones fort: »Ich sehe, Lehnert. daß Ihr ungeduldig werdet, und will Eure kostbare Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Und so hört denn meinen letzten Vorschlag! Ich will den Hasen nicht, und meine Frau, die's, wie Ihr wißt, gut mit Euch meint, mag Euch auch noch den Speck dazu schicken. Und ich, Lehnert, ich will's bei dem Grafen verantworten, und wenn er sich wundern sollte, so will ich, aus Rücksicht für Euch, von einem Schreckschuß sprechen, der zufällig getroffen habe. Der Graf ist ein gnädiger und nachsichtiger Herr, und wenn er das mit dem ›Schreckschuß‹ auch nicht glauben wird, so wird er doch so tun, als glaub er's. Aber das verlang ich von Euch, daß Ihr Euch vor mir zu dem bekennt, was Ihr getan habt, und daß Ihr Euch entschuldigt. Hab ich Euch doch mein Bedauern über den Hahn ausgesprochen. Und war nicht dazu gebunden. Aber Ihr, Ihr seid's. Und nun heraus mit der Sprache. Beichten ist immer das beste, da wird die Seele wieder frei, nicht wahr? Und man kann jedem wieder ins Auge sehn.«

»Kann ich!« sagte Lehnert, und sein Auge suchte das des Försters, um sich mit ihm zu messen. Aber das Gefühl seines Unrechts war doch stärker als sein Trotz, und er senkte den Blick wieder.

Opitz lächelte.

»Guten Abend, Frau Menz. Ich werde meine Frau von Euch grüßen. Und auch Christinen. Und nun Gott befohlen!«

Und ohne weiter ein Wort oder einen Blick an Lehnert zu richten, verließ er das Haus und ging auf den Steg zu. Diana folgte.


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