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Sonnenwende, Sonnenwende!
A und O von Finkenwärder, der kleine schwarze Ewer H. F. l, Jan Sieverts Hoffnung, und der große, weiße Kutter H. F. 190, Jakob Cohrs' Möwe, die noch die Kränze vom Stapellauf in den Toppen flattern hatte, lagen im Köhlfleet beieinander und um sie herum und auf den Schallen ankerten wohl hundertfünfzig große Ewer und Kutter. Schwarz, grün, rot und weiß spiegelten die Steven sich im Wasser und jede Farbe hatte ihren eigenen Sinn.
Schwarz rührte von den alten Fahrensleuten her, die als die ersten das Watt hinter sich ließen und sich auf die offene See wagten, die bei Helgoland und Terschelling die dunkeln holländischen Logger und die schwarzen englischen Smacken sichteten. Sie hatten auch weder Zeit noch Geld, das Fahrzeug anzumalen und aufzuzieren.
Grün brachten die Bauernjungen auf, als sie die Pflüge verrosten ließen und sich auf die Seefischerei warfen. Sie wollten auf der grauen, kahlen See an ihre grünen Felder und Wischen, an ihre Linden und Eschen erinnert sein, wenn sie kein Land in Sicht hatten.
Rot erwählten sich die glücklichsten Fischerleute, die Störfänger und Beutemacher, die Schollenkönige, die gern etwas Besonderes aufzuweisen haben wollen und denen es auf den teuern Zinnober nicht ankam.
Weiß aber war die erklärte Farbe der jungen Fischer, die noch dabei waren, ihr Marinerzeug aufzutragen, und die noch draußen klüsten, wenn andre schon im Hafen lagen. Einer von ihnen wurde gewahr, wie prächtig seinem Kutter der weiße Berg von Schaum und Gischt vor dem Steven zu Gesicht stand, und binnengekommen wußte er nichts Besseres zu tun, als den Bug weiß zu malen, damit das Schiff beständig im Schaum wühle.
Hochwasser!
Eine schlanke östliche Brise bläst von Hamburg herunter, umstreicht Heitmanns weißen Leuchtturm und die mächtige Königsbake, das alte Wahrzeichen von Finkenwärder, rauscht durch das Reet des Pagensandes und läßt die Flögel tanzen: es ist ein Plan zum Fahren, wie er nicht besser sein kann. Und doch bleiben alle Fahrzeuge liegen: nirgends werden die Segel aufgezogen und die Draggen aufgehievt. Wahrlich, es muß ein großes Ding sein, daß diese mächtige Flotte, die gewaltigste der deutschen Küsten, im Hafen festhält und die Helgoländer Bucht vereinsamen läßt!
Es ist ein großes Ding: Karkmeß ist da, der Jahrmarkt, der Sonnwendtag der Finkenwärder Fischerei, ein Tag von so großer Bedeutung und so tief eingreifend in das Leben und Treiben des Eilandes, daß es Ehren- und Notsache jedes Fischers ist, heimzufahren und dabei zu sein. Knecht und Junge würden schöne Gesichter machen, wenn sie Karkmeß nicht kriegten, und bei den Nachbarn hieße es: »Den geiht dat jo woll bannig lütj: he is jo ne mol Karkmeß bi Hus ween!«
Von Finkenwärder erzählen und Karkmeß vergessen, hieße nach Rom reisen und den Papst nicht sehen, denn Karkmeß ist die große Sonnenwende von Finkenwärder, ist der Nordstrich auf seinem Kompaß und Mittelpunkt der Zeitrechnung der Seefischer. Soundso viel Reisen vor Karkmeß oder soundso viel nach Karkmeß, das hört einer am Deich auf Schritt und Tritt und »söben Weeken vör Karkmeß« oder »fief Weeken no Karkmeß« sind genaue Zeitangaben, über die kein Zweifel aufkommen kann. Karkmeß teilt das Jahr: es ist die Grenze zwischen der Schollenzeit und der Zungenzeit. Vor Karkmeß werden in schnellen Reisen nur Schollen gefangen, die lebend an den Markt gebracht werden: nach Karkmeß geht es auf die Zungen los, die auf Eis gepackt werden: da sind die Reisen länger und mühseliger und das Geld hat nicht mehr den hellen Klang der Schollentaler.
Die Sonne steht am höchsten: Wotan will nach Süden reiten, aber ehe er sein weißes Roß, den Sleipner, wendet, hält er einen Augenblick in Gedanken inne, und diesen Augenblick benutzen die Finkenwärder Fischer, um ihr Sonnwendfest zu feiern. Ehe sie den dunkeln Nächten entgegensegeln, wollen sie sich der Sonne und des Lebens freuen, wollen sie einen Tag lachen.
Wer das nicht kann, wer bis Karkmeß nicht seinen guten Schilling verdient hat, der holt den Rest des Sommers auch nichts mehr aus der See und mag denken, die alten Weiber hätten ihn behext.
Die Ewer kommen nicht auf einmal wie die Hühner, wenn Tucktuck gerufen wird, sondern nach und nach. Schon acht Tage vorher füllt sich das Fleet mit Schiffen: Klugheit und Nachbarlichkeit verhindern, daß alle an einem Tag den Hamburg-Altonaer Markt überfallen und die Fische wertlos machen.
Es gibt auch mancherlei zu tun.
Nicht allein den Sonntag zuvor, an dem alle Fischerknechte und Fischerjungen auf Musik sind und sich en Perd, ein Mädchen, für das Fest heuern, weshalb diese Musik am Deich auch der Pferdemarkt genannt wird, sondern die ganze Woche hindurch. Da ist keine Zeit, den Knackwurstkerlen beim Aufschlagen der Zelte zu helfen oder die Reitbudenpfähle mit einzurammen, denn erst muß der Ewer sein Karkmeßkleid haben. Teeren und Schmeeren heißt die Losung, den langen Tag wird geteert und geschmeert, daß der ganze Deich danach riecht und daß das Wasser in allen Regenbogenfarben glänzt. Da wird geschruppt und kalfatert, da wird gemalt und gelabsalbt! Wie Schafe, die geschoren werden sollen, liegen die Fahrzeuge auf dem Sand und lassen alles über sich ergehen, denn sie wissen, daß es gut für sie ist.
Kein deutsches Kriegsschiff kann reiner sein als ein Finkenwärder Ewer zu Karkmeß, so viel tut der Schiffer daran. Nicht umsonst hat er holländisches Blut in sich und eine große Lust an Reinlichkeit und Buntheit: so schmückt er seinen Ewer mit bunten Farben und glänzenden Streifen und wird nicht müde, ihn zu zieren.
Da wird der Bünn gründlich gereinigt, da werden die Eiskisten überholt, schlechte Taue ausgeschoren, neue Kurren eingestellt und zerrissene Segel geflickt. Da wird geloht: du liebe Zeit: wie wird geloht! Der ganze Rasen des Deiches liegt voller ausgebreiteter Segel: Großsegel an Großsegel, Fock an Fock, Besan an Besan, und alle werden gebräunt und geloht, damit sie haltbarer werden sollen.
Das Lohen haben die Finkenwärder vor den Blankenesern voraus, die keinen Platz dafür haben (denn in den Sand können sie die Segel nicht legen) und deshalb mit weißen Lappen fischen und segeln müssen.
Überall am Bollwerk bruddelt es in den großen Wurstkesseln, und Fischer und Frauen schöpfen die Lohe und dweilen sie auf die Segel.
Ist das Schiff moi, dann sieht der Fischermann seine Knipptasche an und begleicht die großen Rechnungen, die er beim Zimmerbaas, beim Schmied, beim Segelmacher und beim Reepschläger stehen hat, denn Karkmeß ist allgemeiner Zahltag. Hat er sein Schiff noch nicht freigefahren, also das stehende Geld noch nicht zurückbezahlt, so bekommt noch der Bauer seine Zinsen.
In der Aueschule aber tagt die Seefischerkasse, die Schiffsversicherungsgemeinschaft der Finkenwärder Seefischer, die 1835 gegründet worden ist, als schwere Stürme die damalige kleine Flotte zu vernichten drohten. Sie läßt sich die Prozente, das Jahresgeld, bringen, das nach den Verlusten berechnet wird. Das ist wahrhaftig kein grüner Tisch, an dem die sechs Alten mit dem Obervorsteher sitzen! Plattdeutsch wird gesprochen, einer nennt den andern du, jeder weiß, was er will, und niemand braucht nach Worten zu suchen! Das ist der Senat von Finkenwärder, und einen bessern hatte Venedig auch nicht.
Ein fester Bau ist diese Seefischerkasse, ein Denkmal besten Gemeinsinns. Sie ist der mächtige Leuchtturm, der seine Strahlen vom Skagerrak bis zur Themsemündung wirft. Seen wollten ihn unterwaschen, Stürme wollten sein Licht verlöschen: er steht und leuchtet!
Mittlerweile sind sie auf der Aue, von der Müggenburg bis zum Tun, auch nicht müßig gewesen, sie haben gebaut und gezimmert, geklopft und gehämmert auf Deubel kumm rut, bis Zelt an Zelt steht. Dann steigt die Sonne blank und schön aus dem Hamburger Daak und der große Freudentag ist da mit seinen Luftbällen und Reitbuden, seinen Aalzelten und Schießständen, seinen Eiskarren und Lungenprüfern, mit Lukas und Kasper, mit Herkulessen und Feuerfressern, mit Seiltänzern und Negern, mit Hün und Perdün, mit Jubel und Trubel! Die Gören sind wie durchgedreht, und die Jungkerls und Deerns wissen vor Übermut und Lebensfreude nicht, was sie alles aufstellen wollen. Da wird gejagt und geschossen und getanzt und getrunken und gesungen und gelacht: die ganze Aue wirbelt durcheinander. Die Jungen tragen blaue Brillen und Rinaldinischnurrbärte, sie essen Knackwürste und Eis, bis sie nicht mehr können: die Mädchen kaufen sich Puppen und Kokosnüsse und lutschen an Zuckerstangen: es ist einfach unbeschreiblich, was auf Karkmeß alles los ist. Die sich erzürnt hatten, vertragen sich und trinken wieder einen zusammen, und die gut Freund gewesen waren, erzürnen sich und kriegen das Tageln: dat is so bi Karkmeß mit vermokt. Hein Mück haut den Lukas, daß es knallt, und läßt sich für die hervorragenden Leistungen eine goldene Medaille an die Heldenbrust heften. Jan Tiemann läßt sich elektrisieren, Hinnik Külper tauft seiner Braut ein großes Zuckerherz, Peter Gröhn fordert den Neger sogar zu einem Boxkampf heraus. Und ein Getute und Geblarre, ein Flöten und Knarren, ein Juchzen und Schreien!
Das beste Teil erwählen sich die alten Fahrensleute; sie ziehen ein weißes Hemd an, holen den Stuhl aus der Dönß und setzen sich geruhig auf den Deich. Sie lassen die Karkmeßleute an sich vorüberziehen, necken die beladenen Kinder und führen ein nachbarliches Gespräch. Das Allerschönste sehen aber auch sie nicht vor Luftbällen und Kinderspielzeug: die blassen, roten Rosen am Westerdeich und das wogende Korn im Lande und den weißen Flieder auf den Wurten und die Lindenblüten am Elbdeich: das große Sommerblühen. Das geht allen verloren.