Gorch Fock
Nach dem Sturm
Gorch Fock

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Hornsriff.

In Bergen, zwar nicht dem Hamburg, aber doch dem Altona des Nordens, hatten wir den Abend vorher Abschied von Norwegen genommen. Unbeirrt und unerbittlich wies das Bugspriet unserer schwanenweißen Lustjacht »Meteor« nach Süden und drängte eine Seemeile nach der anderen zwischen die Welt der Edda und uns, ob ich gleich im geheimen bettelte und wimmerte: Kein Ende, kein Ende!

Wir hielten uns an der Windseite des Wandeldecks auf – to Luv – und standen im Zeichen des Schuffleboard. Die blonde, seegebräunte Alsterhamburgerin, die sonst um diese Zeit mit ihrem Indianerboot beim U. F. zu rudern pflegte, spielte mit mir gegen die gnädige Frau Horchmüller, die in einem fort von ihren vortrefflichen Ponys erzählte, und gegen Herrn Chen, der beileibe kein Chinamann war, sondern aus der Porta-Nigra-Stadt stammte und seinen Spitznamen von der moselfränkischen Verkleinerungssucht bekommen hatte, mit der er von Schuhchen, Leutchen, Bootchen, Wellchen, Dampferchen, Schiffchen und anderen Dingerchen redete. Grün geht an Bord vor Rot (das Steuerbordlicht ist grün, die Steuerbordwache aber ist die bessere, weil He dortoheurt, de Koptein, unsres Herrgotts Stellvertreter auf den Planken) – deshalb hatten wir von der Wasserkante die grünen Scheiben genommen. Und die Steuerbordfarbe brachte uns wirklich Glück, so daß wir die besten Felder besetzen und behaupten konnten, bis mit einemmal das Vorzeichen zum Hauptmahl erklang und unsern Siegesplan durchkreuzte. Die Spielerinnen stellten eilig die Schaufeln hin und huschten nach ihren Kammern hinunter, um sich mit Hilfe der Stewardessen umzuziehen. Auch wir Herren mußten der Bordsitte nachkommen und uns gesellschaftsfähig und gesellschaftswürdig machen.

Während ein Matrose die Gerätschaften nach dem Trockenraum trug, warf ich vom Achterdeck einen langen Blick über die See, auf der eine ziemlich hohe Dünung stand, die Folge eines vorhergegangenen schweren Südweststurmes, und suchte dann meine Kammer auf.

Die Lackschuhe, an denen mein Kammersteward sein Meisterwerk vollbracht zu haben schien, warteten schon draußen auf mich. Ich erfaßte sie behutsam, hakte die Tür auf und betrat mein kleines, wohnliches Gemach, riegelte ab und zog die weißen Bordschuhe und den Deckanzug aus, um dafür in den Smoking und die Erde und Himmel widerspiegelnden Lackschuhe zu gleiten. Nach einem Blick in den Spiegel rannte ich nach vorn und besuchte den Schermeister. Als ich wieder vor dem Spiegel stand, war ich mit mir zufrieden. Es ging so für den Freitag.

Mit der gleichgültigen Miene eines Weltbummlers, der nicht nur Rom, Neujork, Honolulu und die Pyramiden, sondern auch die Taj Mahal, den Näröfjord und die Reeperbahn hinter sich hat, betrat ich nach dem zweiten Hornruf den Speisesaal und schritt über den weichen Teppich auf meinen Tisch zu. Der erste Tischsteward hatte meinen Stuhl schon gedreht, ich ließ mich gleichmütig nieder, indem ich meine Nachbarschaft freundlich und wohlerzogen begrüßte, breitete die Serviette nach Tanzstundenvorschrift über die Knie, schrieb eine Halbe Oppenheimer auf, ließ die Blicke über die Speisekarte wandern und hielt das Glas gegen das Licht, als ob ich wirklich etwas vom Wein verstünde. Ich ließ mich von meiner Nachbarin in ein Gespräch über Nietzsche hineinziehen und blickte dabei über den glänzenden Speisesaal, der mit seinen weißen Wänden, dem schimmernden Silber, dem rotverhängten Lampenlicht, den farbenfrohen natürlichen und künstlichen Blumen, den lachenden australischen Äpfeln, den dunkelroten spanischen Orangen, dem funkelnden Wein und dem perlenden Schaumwein wirklich vergessen ließ, daß wir dreißig Faden Wasser unter uns hatten und auf der grauen Nordsee schwammen. Unsere gnädigen Frauen und Fräulein (wir haben nur gnädige an Bord!) überbieten einander an Schönheit, Anmut und Liebenswürdigkeit. Wie die Augen blitzen, wie die Haare glänzen, wie die Wangen sich gerötet haben, wie hell das Lachen über die Tische klingt! Wie die Ringe, Ketten und Armbänder das Licht auf sich ziehen! Welche Anmut und Dichtung liegt in dem Neigen der Köpfe, in den Bewegungen der Arme! Die kleine Flämin ist kaum wieder zu erkennen: aus der unscheinbaren Raupe ist ein bunter Schmetterling geworden. Die lebhafte Wienerin trägt das dunkle Haupt wie eine Königin und der Nacken der schönen Mecklenburgerin ist »weiß wie eines Denkmals Alabaster«, was auf Shakespeare zurückgeht.

Des Hausmaklers weiße Brust nimmt es mit norwegischem Firnschnee an Reinheit auf. Der Freiherr von Undzu sieht aus wie ein Graf, der gefürstet zu werden verdient.

Ich löffle die Suppe, die nach Karl dem Großen benannt ist, und schweife von Nietzsche zu Dehmel hinüber, während mein Nachbar zur Linken, der niederbayrische Brauer, mir zum zehnten Male das Rudel wilder Renntiere vorführt, das er droben auf dem Fjeld hinter Marok gesehen haben will, obgleich ich nur an das Rudel zahmer Rentiers hier an Bord glauben kann. Der Kabeljau nach Diepper Art erscheint auf der Tafel und mein Gegenüber, der ewigknipsende Oberlehrer, der Ballin wegen des fehlenden Bindestriches in der Hamburg-Amerika-Linie gram ist, leitaufsätzelt abermals über den Drang der Deutschen nach der See und spielt mit dem griechischen Jubelruf »Thalatta«, der eigentlich bald mit Zwangsarbeit bestraft werden müßte.

Tafelmusik fehlt uns natürlich auch nicht. Lohengrin spielt sie. Leise hebt und senkt sich unser Schiff, wiegt und schwingt uns wie in Schlaf und Traum. Mein Blut wogt mit und gibt mir einen schönen Traum ein von müheloser Meerfahrt im Smoking, während die Stewards lautlos die Teller wechseln, die Musik aus Verdis Rigoletto spielt und das gnädige Fräulein mich über Morgenstern und Mombert zu Rainer Maria Rilke geschleift hat.

Meine Lordschaft paßt mir wie der Smoking, ich gehöre zu dem Geschlecht, das im Hellen sitzt und aus dem Vollen schöpft, und spiele meine Rolle mit großem Behagen, wenn auch Grabbes Mephisto spöttisch am Fockmast lehnt und mir zublinzelt: Da ist es, wo die Menschheit glänzt, beim Schein der Lampen oder der Raketen!

»Was für ein Schiff ist das?« fragt die Lyrische mich. Ich habe gerade mit einem jungen Vierländer Küken zu tun, stehe aber als höflicher Mann auf und blicke aus dem Bullauge.

Kenn' ich dich, Schiff? Ja, ich kenne dich!

»Hornsriff-Feuerschiff«, sage ich gleichmütig und setze mich wieder, um weiter zu essen. »Ein oller Seemann von Anno Tobak«, setze ich lächelnd hinzu ... »Vor der jütischen Küste, querab von Esbjerg ... nein, Land ist nicht zu sehen, ist noch 25 Seemeilen entfernt ... Wie? ... Etwa hundertfünfundzwanzig Seemeilen bis zur Elbmündung noch ...«

Hornsriff!

Ich stehe wieder auf und blicke abermals durch das runde Fenster mit dem blanken Messing wie durch einen goldenen Ring, nach dem roten unscheinbaren Anderthalbmaster, der in der Dwarsdünung liegt und weit überholt. Es kommt mir vor, als ob er den Kopf schüttelte und sagte: Es ist Betrug! Du betrügst die See! Dir gehörten hier nicht Smoking, nicht weiße Weste, nicht Lackschuhe: das ist Betrug: dir gehören hier Ölrock und Isländer und Seestiefel! Irre dich nicht; nicht diese weiße Vergnügungsjacht, deinen Schwan, wie du ihn nennst, dürftest du unter den Füßen haben, sondern du mußt auf einem kleinen armseligen Fischerfahrzeug stehen! Nicht dieser hochzeitliche Speisesaal: die enge Kambüse paßt zu dir! Und nicht diese Speisenfolge bis zum Nachtisch hinunter: ein Knöbel Roggenbrotes, eine Pfanne gebratener Klüten und eine Muck schwarzen Kaffees! Fürst-Pückler-Eis? Eis in Eiskisten, schmutzig vom Schleim der Steinbutt und Zungen! Musik aus dem Troubadour? Gedonner der Schoten, Geknarr der Gaffeln, Gequiek der Giekbäume! Neben einem schönen Mädchen sitzest du und sprichst über neue deutsche Dichtung? Weißt du, wo dein Platz ist? Unter dem Besansegel am Ruder, hinter dem Kompaß! Dort mußt du drei Stunden wachen und steuern, allein auf dem einsamen Meer, und deine Augen zwischen dem Wasser und den Segeln und der Windrose hin und her wandern lassen! Fischen und kreuzen mußt du hier – was du tust, ist nichts als Betrug!

Hornsriff? Ja – Hornsriff! Ich bin Hornsriff! Besinn dich dieser Gründe, dieser Gewässer! Hier sprang der Wind jäh um, und der Wind wurde zum Sturm, und der Sturm wurde der grauen Hamburger Kuff und ihren Menschen über; hier ging der Großmast über Bord, hier flog die Besan weg, hier steckten sie die Schiffspapiere in die Binnentaschen, als der Tod sich riesengroß erhob. Und hier gingen sie unter, dein Großvater, dein Oheim und der Pellwormer: dieselben Seen, die dich jetzt geruhig wiegen, gingen ihnen über den Kopf hin und spielten mit den aufsteigenden Blasen. Keine hundert Faden von hier zog der Bremerhavener Fischdampfer ein und hatte einen halben Kurrbaum im Netz, der die Zeichen H. F. 54 trug. Dort ist Hans Hinniks Kutter kopfheister gegangen, dort schwamm Hans Hinnik in der kochenden See, Hans Hinnik, den du manchmal in stiller Seenacht angerufen hast, wenn eure Schiffe in Rufweite aneinander vorbeikreuzten. Was riefet ihr? Was de Fang?, wie die andern Fischer? Nein, ihr riefet: Magst noch leben? Magst noch fischen? – Dwars von hier ist eine andere Stelle! Dort hat die Fockschote den jungen Hein Mewes über Bord geschlagen. Du weißt, daß sein Vater deepdenkern darüber geworden ist und jetzt in der Irrenanstalt vor sich hinbrütet. – Nicht weit von hier trieb der entmastete Ewer von Jan Külper in der haushohen See, drei Tage und zwei Nächte halb unter Wasser, bis der englische Fischdampfer ihn aufpickte. Jan Külper, der jetzt mit neuen Masten kurrt und fischt! Der der See nicht untreu geworden ist!

Das ist Hornsriff, nicht dieses Gesäusel und Gemäusel! Was siehst du das kleine Feuerschiff jetzt so minnachtig an? Erscheint es dir jetzt so klein? Als ihr damals in der Windstille mit hängenden, steilen Segeln vorbeitriebt, ihr windhungrigen Gesellen, erschien es dir doch groß und schön, wie es leicht und geruhig in der Dünung tauchte. Du verglichst es in Gedanken mit einem rothaarigen, dänischen Mädchen auf der Langen Linie von Kopenhagen. Wenn ihr hier kurrtet, hat nicht dein Auge stundenlang an dem alten Feuerschiff gehangen? Abermals sage ich dir: Was du jetzt tust, ist Betrug!

Ich setze mich langsam nieder und sage: Schweig, Hornsriff! Als ich hier fischte in harter Mühsal, naß und verklamt, da habe ich mich gesehnt nach diesem großen, weißen Traumschiff mit seinen Lichterreihen und seinen wehenden Schleiern; jetzt, an Bord, soll ich mich wieder nach der bitteren Fischerei sehnen, nach den geflickten, griesen Segeln?

Darauf antwortet eine andere Stimme: Das sollst du! Als du in Molde vor dem Altarbild saßest, schlugst du das abgegriffene Salmenbog auf, das vor lag, und lasest: Mit Rige er ikke af denne Verden. Daran erinnere dich: Dein Reich ist nicht von dieser Welt! Du gehörst nicht zu Wein und Tafelmusik, nicht zu Schuffleboard und Schiffsliegestuhl, nicht zu Dinner und Lunch, nicht zu Smoking und Lackspitze! Du gehörst zu den Feuerschiffsmatrosen, die dort an der Reling stehen! Das sind deine Brüder, die dort auf dem Kutter die Fock fallen lassen, um die Kurre einziehen zu können! Das ist dem Volk, das dort auf dem Fischdampfer sitzt und die Schellfische zumacht, von Möwen umflogen, das in schwerer Arbeit die See pflügt! – Das ist deine Welt, deren braune Segel das Wasser beschatten, die plattdeutsch spricht und keine Lieder hat; deren Blutes und Sinnes bist du und wirst du ewig bleiben, Fock! Hier ist Hornsriff, die Grenze, hier beginnt deine Nordsee, tu ab den Traum und den Trug, denn dies ist keine Seefahrt und gar nichts!

Ich nicke meinem Tisch verloren zu und stehe auf. Als ich durch den Speisesaal gehe, kommt es mir vor, als wenn die Lichter trüber brennten, und als wenn die Frauen geschminkt wären.

In meiner Kammer ziehe ich mich rasch um und gehe barhäuptig nach oben, vorbei an den Kreidefeldern des Schuffleboard, vorbei an der kaffeetrinkenden Gesellschaft in der Laube, vorbei auch an dem feiernden norwegischen Lotsen mit seinem landmaal-plattdeutsch-englischen Universalkitt von Sprache wandere ich, hinauf nach dem windigen Bootsdeck, auf dem sich niemand aufhält.

Ich stelle mich an das Geländer und blicke unverwandt nach dem kleinen Fischkutter mit den braunen Segeln und nach dem roten Feuerschiff von Hornsriff und erwürge einen schönen Traum.


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