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Unterprovinzen und Gaue

Je mehr man sich in die Tierverbreitung vertieft, desto mehr kommt man zu der Einsicht, daß die Einteilung in Reiche oder Regionen und Provinzen oder Subregionen (wir haben als Beispiel die Dahlsche kennengelernt) nicht genügt, sondern daß man weitergehend auch noch in Unterprovinzen und Gaue, oder wie wir diese kleineren Gebiete sonst nennen wollen, gliedern muß, wenn man eine richtige Anschauung gewinnen will. Nehmen wir uns zu diesem Zwecke einmal das unserem Verständnis nächstliegende Gebiet vor, nämlich die paläarktische Region von Wallace, die also ganz Europa einschließlich Madeira, Azoren und Kanaren, das gemäßigte Asien und Nordafrika bis zum Wüstengürtel oder Atlas umfaßt. Diese paläarktische Provinz zerfällt naturgemäß in drei Teile oder Unterprovinzen: Sibirien, Mediterrangebiet, Europa. Wir brauchen bloß ein paar Bände von Brehms Tierleben zu durchblättern und einen Blick auf die Bilder zu werfen, um uns zu überzeugen, wie verschiedenartig die Tierwelt dieser drei Gebiete ist. In Sibirien z. B. Zobel, Bobak, Feh, Korsak, zahlreiche eigene Drosseln, Gimpel und Ammern, in Europa Marder, Fuchs, Goldammer, im Mittelmeergebiet Ginsterkatze, Schakal, eigene Schmätzer usw. Noch viel deutlicher wird das aber, wenn wir die geographischen Rassen der einzelnen Vogelarten betrachten, denn dann sehen wir, daß die große Mehrzahl der Arten in jedem dieser Gebiete durch eine oder mehrere besondere Formen vertreten ist, z. B. Kohlmeise, Stieglitz, Wasseramsel usw. Bleibt man nun beim europäischen Gebiet, das besser als mitteleuropäisches Waldgebiet zu bezeichnen ist, so drängt sich dem aufmerksamen Betrachter bald die Überzeugung auf, daß auch hier noch weitere Aufteilungen in verschiedene Gaue vorgenommen werden müssen, deren jeder eine große Anzahl eigentümlicher Rassen beherbergt. Die Wissenschaft steht hier freilich erst im Anfangsstadium, die Gaue heben sich erst allmählich heraus und ihre Grenzen, an denen oft Mischformen leben, lassen sich noch nicht mit genügender Schärfe ziehen. Doch können wir heute schon als feststehend betrachten: den baltischen Gau, der Schweden (aber nicht Norwegen!), Finnland, die ehemaligen russischen Ostseeprovinzen, Ostpreußen und Westpreußen bis zur Weichsel umfaßt, vielleicht aber auch noch einen Ausläufer über die Weichsel hinweg nach Pommern bis in die Gegend der Oder entsendet; den russischen Gau, den polnischen Gau, zu dem auch die östlichen Teile unserer ehemaligen Provinz Posen und der Ostrand Schlesiens gehören; den pontischen Gau, der Südrußland, Rumänien und Teile Bulgariens umfaßt; den kaukasischen Gau; den germanischen Gau, über den noch näher zu reden sein wird; den westeuropäischen Gau mit Frankreich, Belgien, Rheintal u. a.

1925 erhielt ich durch ein eifriges Mitglied der »Süddeutschen Vogelwarte«, Herrn Ingenieur Wagner in Oporto, schöne Sendungen portugiesischer Vogelbälge, deren Untersuchung für mich Veranlassung zu teilweise ganz neuen tiergeographischen Wahrnehmungen wurde. Fast alle Landvogelarten, von denen überhaupt hinreichendes Studienmaterial zu beschaffen war, sind in Portugal durch eigene, zum Teil sehr scharf herausgehobene und von den mitteleuropäischen Stücken deutlich unterscheidbare Rassen vertreten. Weiter zeichnen sich fast alle diese Rassen einerseits durch Kleinheit, andererseits durch eine auffallend dunkle und düstere Färbung aus. Im schönsten Einklang damit steht es, daß ja auch der portugiesische Menschenschlag der untersetzteste und dunkelhäutigste Europas ist. Diese Erscheinung erklärt sich durch das südliche, dabei aber sehr regenfeuchte Klima Portugals. Wir wissen, daß erhöhte Luftfeuchtigkeit eine Verdunkelung des Vogelgefieders bewirkt. Dies läßt sich sogar experimentell nachweisen, wie uns Abb. 12 belehrt. Wir sehen da aus derselben australischen Finkengattung links eine ganz helle, wüstenbewohnende Art und rechts eine stark verdunkelte aus nicht wüstenartigem Gelände, in der Mitte aber den Wüstenvogel nach nur dreijährigem Aufenthalt in einem feuchten Klima, welch kurzer Zeitraum schon genügt hat, ihn hinsichtlich der Gefiederfärbung gewissermaßen zu einer Übergangsform zwischen den beiden Extremen zu stempeln. Ein sehr lehrreiches Beispiel ist weiter die Wasseramsel, deren Rassen hauptsächlich nach der dunkleren oder helleren Tönung des Bauchschildes unterschieden werden. Bei den portugiesischen Wasseramseln nun ist dieses Bauchschild tiefschwarz, und sie gleichen darin den norwegischen Exemplaren. Dazu wäre gleich noch zu bemerken, daß die Mehrzahl der Tiergeographen und fast alle ornithologischen Systematiker bisher den Fehler begingen, immer nur allgemein von Skandinavien zu sprechen, während in Wirklichkeit Schweden und Norwegen tiergeographisch ganz verschiedene Länder sind. Schon das Vorkommen von zwei ganz verschiedenen Blaukehlchenformen in beiden Ländern und die völlig abweichende Zugsrichtung (in Norwegen ausgesprochen südwestlich!) hätte stutzig machen müssen. Wir brauchen uns bloß eine Karte der letzten Eiszeit vorzunehmen, um die Erklärung zu finden. Nach dem Abschmelzen der meisten Gletscher ist die Wiederbesiedlung Skandinaviens offenbar von zwei Seiten her erfolgt, einmal im Gefolge der Fichte von Osten her, wodurch sich der baltische Charakter der schwedischen Vögel erklärt, und sodann im Gefolge der Buche von Süden her über Dänemark, über das die Buche selbst nicht viel hinausging, und wohl auch von Westen her, also von England aus. Das für die meisten Tiere schwer überschreitbare skandinavische Gratgebirge bildete dann einen wirksamen Grenzwall.

Abb. 12

a Australischer Webervogel, Munia flaviprymna, ein Wüstenbewohner; b derselbe nach dreijährigem Aufenthalt in feuchtem Klima; c  Munia castaneïthorax, nicht wüstenbewohnenden Art.
Nach Seth-Smith

In der Tat stehen die meisten norwegischen Rassen den englischen viel näher als den schwedischen. Die britischen Inseln sind ja erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit vom europäischen Festland getrennt, und ihre Tierformen stehen deshalb den mitteleuropäischen noch sehr nahe. Wo sich aber schon eigene Rassen herausbildeten, bewegen sich deren Charakterzüge ganz in derselben Richtung wie bei den Portugiesen und Norwegern, also gedrungener Körperbau und Verdüsterung des Gefieders. Manchmal ist die Aufsplitterung schon so weit vorgeschritten, daß England, Schottland und Irland je eine eigene Rasse besitzen, wobei dann die Schotten den Norwegern am nächsten stehen. Um nun auf die Wasseramsel zurückzukommen, so ist es doch eine höchst auffallende Erscheinung, daß portugiesische Stücke mindestens ebenso dunkel sind wie norwegische, während die weiten, dazwischen liegenden Strecken des europäischen Festlandes durchgängig von hellbäuchigen Rassen bewohnt werden. Ähnlich verhält es sich auch bei vielen anderen Vogelarten, und immer bildet dann die englische Rasse die vermittelnde Brücke. Das nordwestliche Spanien gehört seinen Tier-Kennzügen nach auch zu Portugal und der nordwestlichste Zipfel Frankreichs zu England. Auch bei Vögeln aus der Westhälfte Schleswig-Holsteins und Jütlands zeigen sich diesbezügliche Anklänge. Bei Südportugal sprechen mancherlei Anzeichen dafür, daß diese Landschaft faunistisch nicht zum übrigen Portugal gehört, sondern zum iberischen Gau. Ob man die atlantischen Inseln mit zum lusitanischen Gebiet ziehen oder besser aus ihnen einen eigenen atlantischen Gau machen soll, kann hier unerörtert bleiben. Jedenfalls haben die Vogelrassen der angefühlten Gebiete so viel Übereinstimmendes und weichen so gleichmäßig von den mitteleuropäischen ab, daß man gut daran tun wird, diese Länder tiergeographisch als »lusitanische Region« zu vereinigen. Nehmen wir nun die Regenkarte Europas zur Hand, so fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Der Umriß unseres lusitanischen Gaus fällt fast haarscharf zusammen mit dem Gebiet der größten Niederschlagsmengen (über 100, an den Grenzen 85 bis 100 cm, während z. B. Schweden nur 40 bis 55, das innere Spanien nur 25 bis 40 cm hat)! In der Tat eine überraschende und verblüffend einfache Lösung! Nun wissen wir auch, warum die Landvögel unseres Gebietes alle eine so dunkle Färbung haben. Zwar ist der Begriff einer lusitanischen Provinz auf anderen naturgeschichtlichen Gebieten schon von Forbes u. a. aufgestellt worden, aber auf dem Gebiete der Vogelkunde wurde er bisher noch nirgends mit genügender Klarheit und Schärfe herausgearbeitet, und wir sehen daraus, zu welch schönen Ergebnissen man gelangen kann, wenn man sich etwas mehr in die Tierverbreitung vertieft (Abb. 13).

Wenn wir schließlich noch einen Blick auf die Verbreitung unserer deutschen Tiere werfen wollen, so wird der aufmerksame Leser längst gemerkt haben, daß »Deutschland kein tiergeographischer Begriff« ist und sich nicht etwa mit dem »germanischen Gau« deckt. Es sind schon verschiedentliche Versuche gemacht worden, Deutschland tiergeographisch noch weiter aufzuteilen, und gewöhnlich zog man dabei eine Art Mainlinie oder richtete sich nach den Endmoränen der Eiszeit, trennte also Nord- von Süddeutschland. Auf unserem Kärtchen ist eine solche Trennungslinie durch unterbrochene Striche nach Dahl dargestellt. Dieser Forscher zog aber noch eine zweite Grenzscheide von der Weichselmündung zum Donauknie und zum Bodensee, die sich also mit der ersteren kreuzt und so ganz Deutschland in vier Untergebiete spaltet: ein nordwestliches, ein nordöstliches, ein südöstliches und ein südwestliches. Dahl ist Fachmann für Spinnen und stützt sich deshalb hauptsächlich auf die weitreichenden Erfahrungen, die er beim Studium dieser Tiere gewonnen hat. Für die Spinnentiere und wohl auch für manche andere niedere Lebewesen wird also seine Auffassung richtig sein, aber für die Vögel, die ich meiner Betrachtung zugrunde lege, stimmt sie nicht, auch schwerlich für die Säugetiere. In vogelkundlicher Beziehung lassen Nord- und Süddeutschland sich nicht trennen, läßt sich überhaupt kein ostwestlich verlaufender Scheidewall errichten. Die Rassen in beiden Gebieten sind durchaus dieselben, und ich wüßte kaum eine einzige Vogelart, die in Süddeutschland eine andere Rasse ausgebildet hätte als in Norddeutschland.

Abb. 13. Kärtchen des lusitanischen Tiergaues

[1] Grenzen des lusitanischen Faunengebietes
[2] Gebiet der größten Regenmenge (über 100 cm)
[3] Gebiete mit mittlerer Regenmenge (55–100 cm)
[4] Gebiete mit geringer Regenmenge (unter 55 cm)

Wohl besitzt dieses einige Arten, die als Brutvögel jenem fehlen und umgekehrt, aber das ist in der Regel nicht auf eigentlich tiergeographische Gründe, sondern auf die gesamte Umwelt zurückzuführen. Norddeutschland hat Meeresküste, viel Sümpfe, Brücher und Seen, Großgrundbesitz; Süddeutschland keinen Seestrand, wenig stehende Gewässer, kleinbäuerlichen Wirtschaftsbetrieb, aber Hochgebirge, das dem Norden fehlt. Im allgemeinen ist Norddeutschlands Vogelwelt allerdings erheblich reicher, und zwar sowohl an Arten wie an Individuen, aber dies hängt, abgesehen von der Geländebildung, nicht zuletzt damit zusammen, daß der in streng weidmännischen Anschauungen aufgezogene norddeutsche Großgrundbesitzer auch der Tierwelt noch ein Plätzchen an der Sonne gönnt, daß deshalb auch solche Arten noch Wohnplätze finden, die aus Süddeutschland, wo sie keine Ruhe mehr haben, schon verschwunden sind. Die erst in neuerer Zeit aus dem Süden in Süddeutschland eingewanderten Arten drängen immer weiter nach Norden, die aus dem Norden in Norddeutschland eingewanderten immer weiter nach Süden, und so vermischen sich die beiderseitigen Faunen immer inniger. Heute kann die Wacholderdrossel ebensowenig mehr als eine Spezialität Norddeutschlands gelten wie der Girlitz als eine solche Süddeutschlands.

Abb. 14. Faunistische Karte Deutschlands

[1] Grenzlinien der Dahlschen Untergebiete.
[2] Grenzlinien der ornithologischen Untergebiete nach Floericke.
[3] Hypothetische Grenzlinie des lusitanischen Gebiets

Können wir also ost-westliche Trennungslinien kaum ziehen, so doch heute schon mit ziemlicher Sicherheit nord-südliche, wie sie auf unserem Kärtchen voll ausgezogen sind. Da sehen wir zunächst, daß Ostpreußen aus dem Rahmen herausfällt, weil es zum baltischen Gau gehört, dessen Grenze wahrscheinlich an der unteren Weichsel entlang läuft, vielleicht aber auch noch weiter westlich bis zu der mit Fragezeichen versehenen Linie vorgerückt werden muß. Ostpreußen ist ja überaus reich an eigenen Vogelformen, die im übrigen Deutschland nicht vorkommen und von denen hier nur Karmingimpel, Sprosser, Uralkauz, Zwergmöwe und Rotfußfalke genannt seien. Da auch viele der selteneren nordischen Wintergäste in der Regel nur bis Ostpreußen herunterkommen, wie z. B. Schneeeule und Hakengimpel, da endlich der dortige Ostseestrand eine stark beflogene Zugstraße ferner Wanderer darstellt, darf Ostpreußen wohl als die ornithologisch reichste Provinz Deutschlands bezeichnet werden. Fast jede der stark zur Variation neigenden Arten hat dort eigene, von den mitteldeutschen mehr oder minder stark abweichende Rassen ausgebildet, z. B. Graumeise, Kleiber, Stieglitz u. a. Der baltische Grenzstrich setzt sich dann südwärts fort in dem polnischen, der einen Streifen Posens und Ostschlesiens abschneidet. Dadurch wird es erklärlich, daß aus Oberschlesien mehrfach eigene Rassen beschrieben werden konnten. Größere Klarheit über dieses Gebiet werden wir aber erst erhalten, wenn die Rassenbildung und Verbreitung der polnischen Vogelwelt besser erforscht sein wird. Die beste Vorarbeit dort haben ebenso wie im Westen unsere feldgrauen Ornithologen während des Weltkrieges geleistet. Durch eingehende systematische Erforschung ist zweifelsfrei festgestellt worden, daß die Vogelrassen des Rheintales gleichfalls deutlich von den mitteldeutschen abweichen und den französischen näher stehen. Nur in diesem Gebiet finden wir Zaun- und Zippammer, Zitronenzeisig und Steinrötel (vielleicht schon ausgerottet?) als Brutvögel, und sogar die Ginsterkatze geht bis in die Vogesen. Falls meine Vermutung sich bewahrheiten sollte, müßte auch noch die durch die punktierte Linie angedeutete Westhälfte Schleswig-Holsteins aus dem germanischen Gau ausgeschieden werden. Es verbleibt also für diesen noch der durch die beiden Nordsüdlinien begrenzte weitaus größte Teil Deutschlands, zu dem aber tiergeographisch noch der größte Teil Hollands und der Schweiz, Böhmen, Mähren und alle österreichischen Lande nördlich des Alpenkammes hinzukämen (Abb. 14).


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