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Die Verbreitungsschranken

Auf der Erdoberfläche hat die Natur gewaltige Hindernisse aufgetürmt, die einer ungemessenen Verbreitung ihrer Geschöpfe Schranken entgegenstellen. Deshalb gibt es nur wenige Tiere, die nahezu über die ganze Erde verbreitet sind, hauptsächlich niedrigstehende Bewohner des Süßwassers. Aber auch die im Gefolge des Menschen einen Siegeszug um die Erde vollführenden Ratten und Mäuse gehören dazu, und selbst der stolze Fischadler und die wetterfeste Sumpfohreule werden in den verschiedensten Erdteilen gefunden, ohne doch wesentlich abzuändern. Jede gesunde Tierart, die dem Kampfe um Raum und Nahrung gut gewachsen ist, wird das naturgegebene Bestreben haben, ihren Verbreitungsbezirk mit allen verfügbaren Mitteln nach Möglichkeit auszudehnen, bis sich ihr eben unüberschreitbare Schranken entgegenstellen und ein Zurückfluten oder eine Umbildung nötig machen. Die wirksamste dieser Verbreitungsschranken ist wohl das Meer. Für viele Tiere bildet schon ein schmaler Meeresarm ein unüberwindliches Hindernis, und wenn wir sie trotzdem in nahestehenden Arten in heute voneinander getrennten Landstrichen antreffen, so dürfen wir mit Sicherheit annehmen, daß früher zwischen diesen eine Landbrücke bestanden hat, auf der die Einwanderung erfolgte. Es hat einen eigenen und unwiderstehlichen Reiz, sich auf Grund der heutigen Tierwelt das Aussehen der Erde in früheren Zeiten wieder greifbar zu gestalten, nur dürfen wir dabei nie vergessen, daß sich dem Tiere schließlich doch noch hier und da ungeahnte Verbreitungsmöglichkeiten boten, bei denen nicht selten der Zufall eine Rolle spielte. Frösche und Salamander können sehr gut schwimmen, aber auf ihre nackte, dünne Haut wirkt das salzige Seewasser als furchtbares Gift, so daß sie niemals selbständig einen Meeresarm zu überwinden vermöchten. Wohl aber ist der Fall sehr gut denkbar, daß Froschlaich an den Schwimmhäuten durchziehender und rastender Entengeschwader kleben bleibt und von diesen auf ihrer Weiterreise über den hindernden Meeresarm hinweg in das Süßwasser des benachbarten Landes verschleppt wird und hier zur Entwicklung gelangt. Für die fluggewandten Vögel bilden kleinere und inselreiche Meere, wie es das mittelländische ist, kein wesentliches Hindernis, sondern werden selbst von schlechten Fliegern wie Wachteln auf ihren Wanderungen alljährlich zweimal überflogen; aber trotzdem stürmt kein Landvogel ziellos in den weiten Ozean hinaus, um sich eine neue Heimat zu suchen. Wohl werden z. B. nordamerikanische Vögel auf dem Zuge bisweilen durch widrige Winde nach der Alten Welt verschlagen und gelangen dann in einzelnen erschöpften Stücken bis an die englische Küste oder nach Helgoland. Von einer dauernden Ansiedlung dort ist aber keine Rede, sondern solche »Irrgäste« suchen baldmöglichst wieder Anschluß an Artgenossen und Rückkehr auf den richtigen Weg, falls sie nicht vorher zugrunde gehen. Eine höchst merkwürdige Tatsache ist es, daß die Geier, die doch zu den großartigsten aller Flieger gehören, über die schmale Meerenge von Malakka ebensowenig hinausgehen wie die Flughunde über den Meeresarm zwischen Madagaskar und Afrika. Noch auffälligere Verhältnisse fand ich auf den Kanarischen Inseln. Dort war z. B. der Aasgeier auf Teneriffa und Canaria eine ganz gewöhnliche Erscheinung, fehlte dagegen auf dem nahen Palma vollständig, obgleich die Überwindung des Zwischenraums ihn doch keinen anstrengenderen Flug kosten würde, als er ihn täglich auf der Nahrungssuche zurücklegt. Ist vielleicht der Feuchtigkeitsgehalt der Luft auf Palma diesem die Trockenheit liebenden Vogel schon zu groß und macht sich einem so luftempfindlichen Tier schon da unangenehm bemerkbar, wo die plumpen Sinne des Menschen noch gar keinen Unterschied empfinden? Oder ist ihm Palma zu waldig oder ist es zu klein, als daß es einem großen Aasfresser den nötigen Lebensunterhalt zu verbürgen vermöchte? Fleischfresser, deren Nahrung nicht so dicht gesät ist, bedürfen ja eines besonders großen Lebensraumes, und wir wissen, daß deshalb dem Tiger die Insel Bali gerade noch für seine Lebensbedürfnisse genügt, während er auf noch kleineren Eilanden fehlt. Ebenso fehlt der prachtvoll fliegende Gabelweih auf Palma ohne ersichtlichen Grund, während er doch zu den Rennvögeln von Teneriffa und Gran Canaria gehört. Umgekehrt ist die schmucke Alpenkrähe gerade auf Palma sehr häufig, wird dagegen auf keiner anderen Kanareninsel angetroffen, ja sogar Einbürgerungsversuche auf diesen sind vollständig gescheitert, da die Vögel nach kurzer Zeit zugrunde gingen, obgleich doch die Lebensverhältnisse wenigstens auf den mittleren und westlichen Inseln nach menschlicher Auffassung ganz dieselben sind: wiederum eines der vielen Rätsel, das die Vogelwelt der »Glücklichen Inseln« dem denkenden Forscher darbietet. Noch niemand hat einen wirklich stichhaltigen Grund für dieses absonderliche Verhalten sehr gut fliegender Vögel ausfindig machen können. Jedenfalls stellt das Meer auch für Vögel bis zu einem gewissen Grade eine Verbreitungsschranke dar.

In ungleich höherem Grade ist dies natürlich bei den Landsäugetieren der Fall, die deshalb mit Vorliebe als Beispiele herangezogen werden, wenn es gilt, frühere Landbrücken oder Isolierungen zu beweisen. Freilich sind viele von ihnen ganz tüchtige Schwimmer, aber mehr als etwa 7 km vermag sich doch kaum eines vom Festlande zu entfernen, und freiwillig schwimmen sie wohl niemals weit ins offene Meer hinaus. Ausnahmen bilden der schwimmgewandte Eisbär und das zu einem halben Amphibium gewordene Nilpferd, das sogar den Kanal zwischen Afrika und Madagaskar überwunden hatte und auf dieser großen Lemureninsel eine besondere Zwergform entwickelte, die heute allerdings wieder ausgestorben ist. Auch viele Schweinearten schwimmen vortrefflich und gern und überwinden so Wasserschranken leichter als die anderen Säuger. In den arktischen Meeren bildet das Wintereis Brücken, die gern von den Tieren benutzt werden. So ist es von dem pfiffigen Polarfuchs bekannt, daß er bei Treibeis mit großer Geschicklichkeit von Eisscholle zu Eisscholle springt und so schließlich auf einsame Klippen und Holme gelangt, die er sonst niemals erreichen könnte, wo ihm aber die zahlreich nistenden Seevögel den ganzen Sommer über einen reichlich gedeckten Tisch bieten und ihm dann nach Beendigung der Brutzeit das herbstliche Treibeis wiederum ein bequemes Verlassen seiner Sommerfrische ermöglicht. In kleinem Maßstabe habe ich ähnliches auf der Kurischen Nehrung beobachten können, wenn dort im Winter das Kurische Haff seiner ganzen Ausdehnung nach zufror. Dann fand ein reger Austausch zwischen den Wildbeständen der Nehrung und denen des litauischen Festlandes über die weite Eisfläche hinweg statt, besonders bei den dort noch vorkommenden Elchen, bei denen auf diese einfache Weise eine zu weit gehende Inzucht vermieden wurde. So mancher brave Elch ging freilich dabei im Frühjahr zwischen den berstenden Eisschollen auch zugrunde.

Außer dem Meer können auch schon breite Flüsse zu wirksamen Verbreitungsschranken werden, wie sich dies namentlich bei den Riesenströmen Südamerikas feststellen läßt, und zwar nicht etwa nur für das Kleingetier. Solche Stromschranken gewinnen noch an Einfluß, wenn sie durch kahle, baumlose Gegenden führen. Hat doch sogar das nicht umsonst seinen Namen führende Wasserschwein noch nicht von Uruguay aus das argentinische Ufer des an seiner Mündung allerdings 16 englische Meilen breiten La Plata gewinnen können, während der Jaguar diesen Strom ohne Besinnen durchschwimmt, wo in seinem mittleren Laufe die Ufer durch Waldkulissen bedeckt werden. Der gewaltige Amazonenstrom hat an seinem Nordufer vielfach eine ganz andere Tierwelt aufzuweisen als am Südufer, und dies gilt sogar für mancherlei Säugetiere und Vögel. Namentlich die wasserscheuen Affen schrecken vor einem Überschreiten dieser weiten Wasserfläche zurück, und unter den südamerikanischen Vögeln befinden sich ja viele, die recht mäßige Flieger sind und deshalb nur ungern den schützenden Wald verlassen, weil sie in freier Luft nur zu leicht eine Beute der flugkräftigen Raubvögel werden. Sie entschließen sich daher fast niemals zum Überfliegen des meilenbreiten Strombettes. Wenn sogar bei uns in Deutschland das Urstromtal der Elbe eine noch nicht ganz verwischte Grenze zwischen den Brutbezirken der grauen östlichen Nebelkrähe und der schwarzen westlichen Rabenkrähe bildet, so hat das natürlich andere Gründe, die in weit zurückliegenden Zeitaltern gesucht werden müssen. Deutlicher werden diese Stromschranken auch in Europa bei Säugetieren. So konnte das aus Osten vordringende Perlziesel noch nicht über den Dnjepr gelangen und wird warten müssen, bis einmal ein günstiger Zufall ein trächtiges Weibchen hinüberführt. Die Wasserscheiden benachbarter Stromgebiete bilden oft recht scharfe Grenzen zwischen verschiedenen Faunen, zumal wenn sie in verschiedene Meere münden. So haben wir im Rhein Stör und Lachs, in der Donau dagegen Sterlet und Huchen. Dieser fehlen Aal, Alse und Stichling völlig, aber dafür tritt eine ganze Reihe östlicher Fische auf, die den anderen Stromgebieten Deutschlands fremd sind. In Borneo beherbergt jedes Flußtal eine besondere Rasse des Orang-Utan, und ähnlich verhält es sich in vielen Flußtälern der Alpen mit manchen Laufkäfern und Schmetterlingen. Manchmal sind solche Grenzen geradezu haarscharf wie mit dem Messer abgeschnitten. Ich erlebte dies z. B. in Montenegro, wo man buchstäblich mit wenigen Schritten aus dem mediterranen Faunengebiet ins mitteleuropäische Waldgebiet gelangen kann.

Die endlose Sandwüste mit ihrer Wasserarmut, ihrer Pflanzenleere und ihrem unbarmherzigen Klima vermag die von ihr umrahmten Gebiete fast ebenso wirksam abzugrenzen, als es das Meer tun würde, das einst an ihrer Stelle rauschte. Wohl beherbergt auch die Wüste tierische Lebewesen, die zwar an Zahl gering, aber dafür mit so großartigen Anpassungserscheinungen an das schwere Leben in ihrer kargen Heimat ausgerüstet sind, daß sie für den Forscher zu den anziehendsten Erscheinungen gehören. Doch nur sie fühlen sich wohl zwischen den sonnendurchglühten Sanddünen, in denen die Kriechtiere die ausschlaggebende Rolle spielen. Unsere glücklichen Zugvögel überfliegen auch diese gefährliche Schranke und wandern z. T. durch die Sahara ins tropische Innerafrika oder gar bis ins gemäßigte Südafrika, aber die Lauftiere vermögen einen breiten Wüstengürtel nicht zu durchqueren. Jede größere Wüstenreise müßte ihnen einen qualvollen Tod bringen. Niemand kann sich vorstellen, daß etwa ein Laubfrosch auf dem Landwege die Pilgerfahrt von Suez nach Mekka macht oder daß ein Rudel Rehe durch die Wüste von Algerien zum Kongo gelangen würde. Wir rechnen die nordafrikanische Tierwelt mit vollem Recht zur paläarktischen, weil sie eben infolge Abtrennung durch die Sahara himmelweit verschieden ist von der des übrigen Afrika. Uralt ist diese unüberwindliche Schranke, denn sie bestand schon in früheren Zeiten in Form eines Meeres, wie die im Wüstensande vergrabenen Schalen von Seemuscheln beweisen, sowie ein noch heute in einem entlegenen See der Sahara lebender Fisch, der anderseits wieder im Golf von Guinea gefunden wird. Mit einer schmalen Unterbrechung durch das Niltal setzt sich dieser Wüstengürtel über die Landenge von Suez und Arabien hinweg fort bis tief nach Innerasien hinein, so auch die Tierwelt dieses Erdteils in zwei sehr verschiedene Gebiete spaltend, worauf er dann weiter östlich durch mächtige Gebirge in dieser Rolle abgelöst wird. Wenn wir in der Zusammensetzung der Tierwelt Mittel- und Südafrikas tiefgreifende Unterschiede vorfinden und allmähliche Übergänge vermissen, so erklärt sich dies dadurch, daß auch hier die Kalahari sich als trennender Wüstengürtel dazwischenschiebt. In der Wüste heißt das erste Erfordernis Durstfestigkeit oder eine derart gesteigerte Bewegungsfähigkeit, daß weit entfernte Tränkstellen täglich aufgesucht werden können, wie dies die Wüstenflughühner tun, die eines Schlucks Wasser wegen stundenlang auf ihren spitzigen Schwingen in dichten Massen durch die Lüfte rasen.

Das Tote Meer führt seinen unheimlichen Namen nicht mit Unrecht, da in seinem hohen Salzgehalt (25 %) kein Lebewesen mehr zu bestehen vermag, ebensowenig wie in den von Schwefelwasserstoff erfüllten Tiefen des Schwarzen Meeres. Auch in sehr kohlensäurereichen oder übermäßig heißen Quellen ist alles Tierleben erstorben (die Grenze liegt etwa bei 51 °).

Zu schwer übersteigbaren Schranken können auch hohe, mit Schnee und Eis gepanzerte Gebirgszüge werden. Ähnlich wie die Wüsten besitzen auch sie ihre eigenartige, den Lebensbedingungen im rauhen Gebirge weitgehend angepaßte Tierwelt, werden auch sie zeitweise von den Zugvögeln überflogen, aber die Lauftiere der Ebene prallen vor den Gebirgsschranken zurück wie vor einem unübersteiglichen Wall. Das Hochgebirgsleben verlangt seiner eisigen Nächte und seiner feuchten Nebel wegen einen guten Wärmeschutz, seiner sparsamen Nahrung wegen große Anspruchslosigkeit, seiner steilen Hänge halber eine gewisse Kletterfähigkeit, seiner dünnen Luft wegen erhöhte Herztätigkeit, die bei vielen Tieren durch eine Vergrößerung des Herzmuskels erreicht wird. Ganz hohe Gebirge werden selbst von den meisten Vögeln auf ihrer Wanderung umgangen, oder es werden doch wenigstens zu ihrer Überschreitung die am tiefsten eingeschnittenen Pässe benutzt. Hamster und Ziesel haben zwar im Hochgebirge einen Vetter, das Murmeltier, aber sie selbst würden es nie wagen, eine solche Gebirgsschranke zu überschreiten, deren Lebensverhältnisse ihrer ganzen Natur aufs äußerste zuwider sind. Umgekehrt haben die echten Gebirgstiere einen ausgesprochenen Abscheu vor der Ebene, steigen zwar in der rauhesten Winterzeit in tiefere und geschütztere Lagen hinab, werden aber niemals durch Ebene und Kultursteppe zu einem anderen Hochgebirge wandern. Die Gemsen kommen bei Hungersnot in die obere Waldzone und in besiedelte Hochtäler, aber noch niemand hat einen Bartgams aus den Alpen durch die prangenden Weizenfelder Ungarns zum Balkan wandeln sehen. Der Alpenmauerläufer hüpft jeden Winter mit gelüfteten Rosenschwingen an den altersgrauen Türmen der schweizerischen Städte empor, der Bergpieper erscheint alljährlich am Bodensee und im milden Rheintal, aber sobald es die Schnee- und Eisverhältnisse im Berg auch nur einigermaßen gestatten, kehren sie doch sofort in ihre rauhe Heimat zurück.

Schroff aus der Ebene aufsteigende Gebirgszüge, die nicht mit anderen zusammenhängen, wirken auf die Tierwelt wie Inseln, also isolierend, die Arten aufsplitternd und neue Formen bildend. Streichen die Gebirgszüge im allgemeinen von West nach Ost, fallen sie also mehr oder minder mit den Klimascheiden zusammen, wie das bei der Mehrzahl der eurasischen Hochgebirge der Fall ist (Pyrenäen, Alpen, Balkan, Kaukasus, Himalaja usw.), so tritt ihre tiergeographische Bedeutung aufs schärfste hervor. Selbst der stumpfeste Spießbürger empfindet es, daß er in eine ganz andere Welt kommt, wenn er im Schnellzuge den Gotthardtunnel durchfahren hat. Aus dem rauhen, trüben Norden in den warmen, farbenfrohen Süden! Schon auf den beiderseitigen Hängen solcher Gebirge selbst ist die Tierwelt grundverschieden, namentlich im Himalaja, wo ja verschiedene Tierverbreitungsgebiete zusammenstoßen. Nichts Eigentümlicheres als die Säugerfauna in dem von allen Seiten durch schwer ersteigbare Bergeshänge eingerahmten Hochlande von Tibet! In Höhen von 3600 Metern gibt es hier überraschenderweise noch 46 Säugetierarten, und nicht weniger als 30 von ihnen kommen nirgends sonst auf der Welt vor. Wie artzersplitternd die Gebirge wirken, das sieht man recht deutlich an den Steinböcken, denn eigentlich jeder Gebirgszug, der überhaupt den Ansprüchen dieser genäschigen Sprung- und Kletterkünstler zu genügen vermag, hat auch eine eigene Form dieses stolzen Edelwildes aufzuweisen. Es sind freilich keine Arten im Linnéschen Sinne, sondern nur einander sehr ähnliche geographische Rassen, die der Weidmann fast nur nach der verschiedenen Form und Stärke des Gehörns zu unterscheiden vermag. Weiter bilden die Gebirge häufig die letzte Zufluchtsstätte für solche Tiere, die durch überlegene Mitbewerber oder durch die unerbittlich vordringende Kultur des Menschen zum Rückzug aus ihren ursprünglichen Wohngebieten genötigt wurden. Im unwegsamen Berg finden sich schließlich doch immer noch Gegenden, wo auch noch ein mürrischer Einsiedler »nach seiner Fasson selig werden kann«. So haben sich die letzten Bären Mitteleuropas in die entlegensten Alpenschluchten zurückgezogen, und auch die Wildkatze, diesen prachtvollen Zwergtiger, finden wir heute fast nur noch im stillen Tann des Gebirges. Selbst bei den eigentlichen Gebirgstieren ist die Erscheinung zu beobachten, daß sie vom Menschen in immer höhere und unwirtlichere Lagen hinaufgedrückt werden und hier infolge kargerer Nahrung an Stärke und Schönheit entschieden zurückgehen. Der alte Gamsbock, den ein Jäger in einem Tiroler Felsrevier erlegt, ist eigentlich nur ein »Gelump« gegenüber den Böcken, die im Balkan oder Kaukasus ihre Äsung noch den würzigen Waldwiesen entnehmen dürfen. Gebirgszüge, die im Gegensätze zu den bisher erwähnten in der Hauptsache eine Nord-Süd-Richtung innehalten, wie dies in der Neuen Welt fast durchgehends der Fall ist, werden als tiergeographische Grenzen naturgemäß eine viel geringere Rolle spielen. Sie dienen der Tierverbreitung vielmehr geradezu als Brücken, da kälteliebende Tiere auf den rauhen Gebirgsrücken viel leichter nach Süden vordringen und so ihr Verbreitungsgebiet erweitern können.

Der Laie wird mit dem Begriff tiergeographischer Grenzen zu allererst den der klimatischen Unterschiede verbinden, und selbstverständlich spielen diese auch eine große Rolle, wenn auch nicht eine so ausschlaggebende, als man zunächst annehmen möchte. Es gibt doch eine große Anzahl von Tieren, die sich auf alle nur erdenklichen Temperaturverhältnisse einzustellen wissen. Der Tiger haust in der kalten Tundra Sibiriens ebensogut wie in der heißen Dschungel Indiens, der Puma (Silberlöwe) dehnt seinen Verbreitungsbezirk von Kanada an über ganz Nord- und Südamerika bis Patagonien aus, der Allerweltsplagegeist Wanderratte fühlt sich im Zelte des Lappländers ebenso wohl wie in den Negerhütten des tropischen Afrika oder auf den entlegensten Inseln des Weltmeeres mit ihrem ausgesprochen ozeanischen Klima. Größer ist allerdings noch die Reihe jener Tiere, für deren Gedeihen die Wärmegrenzen recht eng gezogen sind. Die kleinen Prachtfinken aus Westafrika, die ab und zu in großen Mengen die Schaukäfige unserer Tierhändler füllen, fallen wie die Fliegen, wenn man sie im ungeheizten Zimmer zu überwintern versucht. Die allerliebsten, schüchternen Mamosettäffchen geben schon deutliche Zeichen frostigen Unbehagens zu erkennen bei Wärmegraden, die uns Menschen sehr behaglich erscheinen. Die großen Menschenaffen werden in unserem Klima rasch schwermütig und verfallen unrettbar der Schwindsucht. Die prachtvoll johannisbeerrot gefärbten Hakengimpel aus dem hohen Norden, die uns in strengen und schneereichen Wintern besuchen, sitzen mit geöffnetem Schnabel schwer atmend da, wenn man ihren Käfig ins geheizte Zimmer stellt. Niemand wird sich Renntiere und Moschusochsen auf der afrikanischen Steppe oder Strauße und Gazellen in der sibirischen Tundra vorstellen können, so innig sind für unsere Begriffe diese Tiergestalten mit der Vorstellung gewisser Wärme- oder Kältegrade verbunden. Jedes Tier vermag auch bei ungewohnter Wärme oder Kälte sein Dasein bis zu einem gewissen Grade zu fristen, aber wirklich wohl fühlen und ausleben wird es sich nur bei einer Temperatur, die die Wissenschaft als sein Optimum (»das Beste«) bezeichnet. Dieses Optimum liegt natürlich ungeheuer verschieden, wir brauchen nur an den Gletscherfloh im Eis der Alpen oder an gewisse, in 50º heißen Quellen lebende Wimperinfusorien zu denken, verschiedene Klimagürtel werden also auch eine verschiedene Tierwelt besitzen, und es wird für diese vielfach nicht leicht sein, die gezogenen Grenzen wesentlich zu überschreiten. Im allgemeinen haben die Tropenländer das reichere, vielgestaltigere und farbenfreudigere Tierleben aufzuweisen. Indien hat 279 000 Kerbtierarten, das etwa halb so große Grönland 437! Man sieht daraus, wie rasch das Tierleben vom Gleicher aus nach den Polen zu abnimmt, wie gründlich es in den eisigen Flächen des hohen Nordens verarmt. Eine ganz ähnliche Beobachtung machen wir im Gebirge, wenn wir etwa in den Anden vom tropischen Tiefland zum ewigen Schnee emporsteigen. Viele Tiere können ja ihrer ganzen Ernährungsweise nach überhaupt nur in heißen Ländern bestehen, die keinen Wechsel der Jahreszeiten kennen, beispielsweise alle, die auf fleischige Früchte oder den Honigsaft der Blüten angewiesen sind. Die Pinselzüngler unter den australischen Papageien, die schimmernden Kolibris und die prachtvollen Zuckervögel Südamerikas, die Honigfresser aus Neuguinea und die Honigsauger aus Afrika, sie alle sind in einem gemäßigten oder sogar schon in einem subtropischen Klima einfach undenkbar, und deshalb können sie unter den heutigen Verhältnissen ihr Verbreitungsgebiet nicht wesentlich verschieben. Länder mit schroffem Wärmewechsel (in Arizona hat man bei geänderter Windrichtung innerhalb acht Stunden Temperatursprünge von 36º beobachtet!) verlangen natürlich auch eine besondere Anpassung der sie bewohnenden Tierwelt und können überhaupt nur gewisse Arten für die Dauer beherbergen. In Wüsten sind die Wärmeunterschiede zwischen Tag und Nacht oft ganz gewaltig, und die Tiere haben sich danach zu richten. In unseren Breiten kommt der Wechsel der Jahreszeiten hinzu, der zwar die reizvolle Abwechslung und Vielseitigkeit der heimischen Natur begründet, aber im Winter vielen Tieren die Nahrungsquellen verschüttet oder Kältegrade bringt, denen sie nicht gewachsen sind. Darum flüchten die Geschwader der Zugvögel vorher nach dem warmen Süden, ziehen sich die Regenwürmer und in ihrem Gefolge die Maulwürfe in tiefere Erdschichten zurück, verfallen Fledermäuse und Igel, Siebenschläfer und Murmeltiere in den Winterschlaf, schmausen die Hamster und Biber von aufgespeicherten Vorräten, verkriechen sich die Salamander und Eidechsen in Moos und Erdspalten, die Frösche im Schlamm der Teiche, während Hase und Fuchs, Reh und Hirsch der Winterkälte trotzen, aber längst das leichte Sommerkleid mit einem warmen Gewande vertauscht haben. Wie fördernd eine nicht zu übermäßige Steigerung der Wärme auf die Lebenstätigkeit der Tiere einwirkt, ersieht man aus einer Mitteilung Hesses, wonach Heringseier sich zwar bei ½° und bei 16° Wärme gleich gut entwickeln, dazu aber in jenem Falle 40–50, in diesem dagegen nur 6–8 Tage brauchen, also während einer viel geringeren Zeitspanne den unzähligen Gefahren ausgesetzt bleiben, denen die Fischeier nahezu schutzlos preisgegeben sind. Gesteigerte Wärme beschleunigt den Pulsschlag des Lebens, verfrüht namentlich den Eintritt der Geschlechtsreife. Die afrikanischen Antilopen z. B. werfen ihr erstes Kalb viel zeitiger, als man es sonst von Säugetieren gleicher Größe gewohnt ist. Reifen doch auch die Menschenrassen der Tropen viel früher als im gemäßigten Klima; schon im südlichen Marokko sah ich nicht selten 11–12jährige Mütter. Die Kriechtiere sind wohl die wärmebedürftigsten von allen, insbesondere die Schlangen. Wie wollüstig blähen sie den von den Rippen möglichst weit ausgespannten Schuppenleib auf dem warmen Wüstensande im Sonnenschein, wie flink und bissig sind sie dann, während ich nach kühlen Nächten die gefährlichsten Giftschlangen mit der Hand aufnehmen konnte, da sie völlig erstarrt und bewegungslos waren. Das in den Tropen zu so üppiger Entfaltung gediehene Schlangengezücht ist deshalb schon in Mitteleuropa auf ganz wenige Arten zusammengeschrumpft, und über den 62. Breitengrad geht auch von diesen keine hinaus, während die Eidechsen, obwohl im wesentlichen auch Kinder der Tropen, sich schon etwas härter zeigen, und die Frösche bis in den Polarkreis vorstoßen. Neben den Wärmeverhältnissen kommen bei klimatischen Gebietsgrenzen auch noch Regenmenge und Luftfeuchtigkeit, Dauerwinde und periodische Sturmwinde in Betracht. Die Spinnen brauchen, worauf zuerst Dahl aufmerksam gemacht hat, Wind zum Anheften ihrer fliegenden Netzfäden, Eidechsen und Schmetterlinge lieben die Trockenheit, Nacktschnecken und Frösche die Feuchtigkeit. Nach einem warmen Gewitterregen sieht man in unseren Bergwäldern allenthalben die prallen, gelbgefleckten Salamander herumhumpeln, während man vorher keinen einzigen erblickte. Gegen die Giftwinde der Sahara, gegen die Sandstürme der Turkmenenwüste, gegen die Blizzards der nordamerikanischen Prärie muß alles Getier schleunigst Schutz und Deckung suchen, wenn es nicht vernichtet werden will.


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