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Mit dem Herzog von Koburg in Abessinien

»Melde gehorsamst, Königliche Hoheit, daß ich eine starke Elefantenherde aufgespürt habe und daß also die Herrschaften voraussichtlich in den nächsten Tagen auf Elefanten zum Schuß kommen werden.« Mit diesen Worten trat Brehm, von einem Tagesausfluge zurückkehrend, schweiß- und staubbedeckt in das bei dem abessinischen Gebirgsdorfe Mensa aufgeschlagene Zelt des Herzogs Ernst II. von Sachsen-Koburg-Gotha, des bekannten »Schützen-Herzogs«, der mit zahlreichen Teilnehmern eine wissenschaftliche Jagdreise nach diesem afrikanischen Hochlande veranstaltet und die Oberleitung dem berühmten Tierforscher anvertraut hatte.

Der Herzog strich sich schmunzelnd den schwarzen Knebelbart, und die neben ihm stehenden Prinzen von Hohenlohe und von Leiningen lachten sogar aus vollem Halse. »Aber Brehm, wollen Sie uns mit so todernster Miene einen mächtigen Bären aufbinden? Nee, auf einen so plumpen Witz fallen wir nicht herein. So viel verstehen wir doch auch von der Natur des Elefanten, daß er kein Steinbock oder keine Gemse und auch kein Klettertier ist. Wie sollte denn der plumpe Koloß diese furchtbaren Steilhänge hinauf oder herunter kommen? Alles will ich Ihnen glauben, mein lieber Brehm, aber an Ihre Elefantengeschichte glaube ich nicht.«

»Und doch, Königliche Hoheit, ist es genau so, wie ich sagte,« erwiderte Brehm, »ich habe die Spuren der Elefanten deutlich gesehen und eine große Strecke weit verfolgt. Sie sind doch nicht mit denen eines anderen Tieres zu verwechseln.« »Was für Spuren eigentlich?« »Ja, richtige Fährten sah ich freilich nicht oder doch nicht deutlich genug; sie drücken sich auf dem harten Felsboden der Berge zu wenig ab oder verwischen sich im Geröll. Aber ich sah einen Kaktus, auf den ein Elefant mit seiner schweren Fußsäule getreten war, denn alle seine Blätter waren bis zur Wurzel herab zerquetscht. Einzig und allein der Elefant tritt auf diese Weise den Kaktus nieder. Alle anderen Tiere, vielleicht noch mit Ausnahme des Nashorns, umgehen ihn. Dann fand ich auch die ganz unverkennbare Losung der Riesentiere.« »Wie sieht sie denn eigentlich aus?« frug der Prinz von Leiningen interessiert dazwischen. »Das kommt ganz darauf an, welche Nahrung die Elefanten aufgenommen haben. Ästen sie vorzugsweise Gras, Kräuter und Baumblätter, so erinnert die Losung nach Gefüge und Farbe stark an die bekannten Pferdeäpfel, nur daß sie natürlich sehr viel umfangreicher ist. Haben die Elefanten dagegen hauptsächlich Zweige gefressen, so sind die Klumpen noch ungeheuerlicher, dunkler gefärbt und enthalten Aststücke von ziemlicher Länge und bedeutender Stärke. Die aufgefundene Losung war sicher noch ganz frisch, denn sie wurde stark von Mistkäfern beflogen, die nur an frischen Mist gehen. Ein weiteres gutes Kennzeichen war es, daß an den Bäumen viele Äste abgebrochen und Zweige abgerissen waren und das in einer Höhe, die außer dem Elefanten höchstens noch die Giraffe erreichen könnte. Aber abgesehen von den ganz verschiedenen Aufenthaltsorten schält die Giraffe nicht die Äste ab, wie dies der Elefant immer tut. Ich habe sogar die Überzeugung gewonnen, daß die Elefanten zu gewissen Jahreszeiten ganz regelmäßig hier vorkommen, denn es sind regelrecht ausgetretene Straßen vorhanden, wie ich sie ja schon von Innerafrika her kenne. Sie führen im Zickzack die Hänge hinauf und hinab und sind mit geradezu bewundernswerter Berechnung und mit dem Geschick erfahrener Baumeister angelegt. Eine sehr nette Feststellung konnte ich dabei machen. An einer Stelle des Pfades hatte nämlich ein großer Stein gelegen, halb über dem Gehänge, halb auf dem Wege. Dieser Stein war ausgebrochen und in die Tiefe hinabgerollt. Er allein aber konnte unmöglich in dem dichten Grase und Gebüsch, das den Hang nach unten hin bedeckte, die greuliche Verwüstung angerichtet haben, die ich bemerkte. Es war, als ob eine große Walze da hinabgerollt wäre und alles niedergequetscht hätte, was ihr im Wege lag. Die Folgerung daraus führte notwendigerweise zu einem sehr ergötzlichen Ergebnis: einer der Elefanten hatte in der Dunkelheit den Stein -- und zwar auf seiner überhängenden Seite -- betreten, vielleicht gedrängt von anderen Mitgliedern der Herde. Der Stein war ausgebrochen, der Elefant hatte das Gleichgewicht verloren und einen großartigen Purzelbaum nach unten geschossen. Von der Tiefe herauf führte auch wirklich ein einziger Pfad nach dem oberen Wege zurück. Der schwere Sturz hat also offenbar dem Riesentiere nichts geschadet.«

siehe Bildunterschrift

Elefantenjagd auf der Reise des Herzogs Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha nach Ägypten und den Ländern der Habab, Mensa und Bogos. Zur Reisegesellschaft gehörte auch der Maler Robert Kretschmer, von dem zwanzig große vielfarbige Arbeiten nach der Natur in dem Reisewerk des Herzogs (Leipzig, 1885) veröffentlicht wurden. Eines dieser vielfarbigen Bilder ist hier einfarbig wiedergegeben.

Der Herzog war nun doch nachdenklich geworden: »Auf Ihre Verantwortung hin, Herr Doktor, können wir ja in den nächsten Tagen mal einen Versuch in jener Gegend wagen. Aber wehe Ihnen, wenn überhaupt keine Elefanten da sind. Sie wären heillos blamiert, Herr Doktor!« -- »Darauf will ich es ruhig ankommen lassen,« meinte Brehm lächelnd. -- »Und ich bin schon ganz begeistert von der Geschichte,« rief der bekannte Weltreisende und Schriftsteller Gerstäcker, der gleichfalls mit von der Partie war. »Ich möchte das, was Freund Brehm gesagt hat, Wort für Wort beschwören, weiß ich doch aus eigener Erfahrung, wie wunderbar groß die Anpassungsfähigkeit der Tiere ist. Warum sollte sich da ein so kluges Tier wie der Elefant nicht auch an das Gebirgsleben gewöhnen können und darin mit seinem zwerghaften Vetter, dem Klippschliefer wetteifern? Also heisa! Es gibt eine Elefantenjagd!« Sie fand wirklich einige Tage später statt und gab Brehms Behauptungen glänzend recht. Es war ein überwältigend großartiger Anblick, wie die aufgeregte Elefantenherde laut trompetend mit erhobenen Rüsseln und weit abgespreizten Riesenohren den steilen Berghang herunterstürmte, daß die Steine nur so stoben.

Brehm hatte auf dieser abessinischen Reise kaum eine ruhige Minute. Von früh bis spät war er unausgesetzt und angestrengt tätig. Er war Reisemarschall, Expeditionsführer und Jagdleiter in einer Person, es lastete also allzuviel auf ihm. Es war nicht leicht, die verwöhnte und vielköpfige Jagdgesellschaft unter einen Hut zu bringen und zufriedenzustellen, zu der auch die jagdkundige Herzogin und der begabte Tiermaler Robert Kretschmer gehörten, der später das »Tierleben« so ausgezeichnet illustriert hat. Zu allen anderen Hemmnissen kam nach kurzer Zeit noch Brehms alter Feind, das klimatische Wechselfieber, das ihn namentlich während des zweiten Teils der Reise zeitweise völlig schachmatt setzte. Überdies dauerte der Aufenthalt in Afrika nur wenige Wochen, und so verbot schon die Kürze der Zeit eine eingehende wissenschaftliche Tätigkeit in einem Lande, das bereits durch Gelehrte vom Range eines Rüppell und eines Ehrenberg ziemlich gut erforscht war. Brehm war der großen Reisegesellschaft im März 1862 über Kairo, Aden und Massaua nach Habesch vorausgeeilt, um geeignete Lagerplätze auszusuchen und wildreiche Jagdgründe festzustellen. Diese 14 Tage, die er für sich allein in freier, tierreicher Wildnis weilte, ließen eigentlich die einzige Muße für seine wissenschaftlichen Beobachtungen. Und trotz alledem brachte gerade diese unter einem so unguten Stern stehende Reise nach den Bogosländern reiche Ernte. Es ist jedenfalls erstaunlich, welch überraschende Fülle von Neuartigem und wissenswertem Brehm hier in der kurzen Zeit zusammengetragen hat und wie großartig er diese Beobachtungen später für sein »Tierleben« zu verwenden wußte. Vielleicht ist seine geniale Begabung für die Tierforschung und Tierbeobachtung niemals so glänzend zutage getreten wie gerade hier unter so widerwärtigen Verhältnissen. Namentlich mit dem merkwürdigen Klippschliefer und verschiedenen größeren Affenarten wurde er hier näher bekannt. Vor allem fesselten ihn die ebenso kraft- und mutvollen wie klugen und überlegenden Mantelpaviane.

siehe Bildunterschrift

Mantelpaviane, eine Art größerer Affen, die Brehm auf seiner Reise nach Abessinien oft traf.
(Nach einer Photographie von Carl Hagenbeck, Stellingen, 1928)

Einmal begegnete die langauseinandergezogene Karawane einer großen Herde dieser stattlichen Tiere, die auf einem Felsgesims saß, etwas höher als Büchsenschußweite. Zuerst ließen die Paviane nur ihre gewöhnlichen bellenden Laute vernehmen. Als sie aber die vielen, ungewohnt weißen Menschen erblickten, kamen sie in Erregung und Bewegung, und nun hörte man von ihnen auch ganz andere Stimmen. Die alten Männchen brummten und grunzten wie Raubtiere oder Schweine, die jungen quiekten und kreischten wie Ferkel. Einige besonders eifrige Jäger stiegen die Felswand hinan und eröffneten das Feuer. Nach den ersten Schüssen erhob sich ein Stimmengewirr, das jeder Beschreibung spottete. Die allerverschiedensten Töne wurden laut: alles quiekte, kreischte, schrie, grunzte, brüllte und brummte wirr durcheinander. Alles flüchtete nach der entgegengesetzten Seite des Berges zu. Bei Schüssen aus größerer Nähe hielten sämtliche Affen an, schrien entsetzlich auf und faßten die Felsen, als wollten sie sich versichern, daß sie nicht heruntergeworfen würden. Weibchen und Junge verließen augenblicklich alle den Geschossen zugängliche Felsplatten, die Männchen aber rückten abwechselnd bis an den Rand der Gesimse vor und schauten wutfunkelnden Auges in die Tiefe, ihren Ingrimm durch heftiges Schlagen mit der Hand auf den Felsen bezeugend. Sie gingen sogar zum Angriff über, wenn auch nicht mit Händen und Zähnen, so doch dadurch, daß sie große Steine herausrissen und auf die menschlichen Störenfriede herabrollten. Man hatte genug zu tun, um diesen gefährlichen Geschossen auszuweichen. Mehrere Minuten war der Steinhagel so arg, daß er das schmale Alpental vollständig versperrte und die ganze Karawane zum Halten zwang. Es war eine richtige Affenschlacht! Ein besonders starkes Affenmännchen erstieg sogar mit einem großen Stein im Arme mühsam einen Baum und schleuderte dann von dessen Wipfel aus sein Geschoß mit um so kräftigerem Nachdruck und mit größerer Sicherheit. Ein Leopard gedachte bei diesem Kampfe im Trüben zu fischen und stürzte sich auf einen schwer angeschossenen Pavian. Aber die aufmerksamen Affen hatten den Mordanfall eher gesehen als die blindlings ihrer Jagdlust frönenden Menschen. Ungeachtet ihrer Angst vor den fortgesetzt fallenden Schüssen rückten sie sofort auf der Platte vor, und einige alte Männchen machten sich fertig, nach unten hinab zu klettern, um dem Angefallenen zu Hilfe zu kommen. Ihre Aufregung war furchtbar, ihre Wut überstieg alles, was Brehm je bei Affen beobachtet hatte.

Die Herde ging schließlich weiter unterhalb auf die andere Talseite hinüber und stieß dabei abermals mit der Karawane zusammen. Die mitgeführten Hunde, mutige Tiere, gewohnt, jeder Hyäne entgegenzutreten, stutzten einen Augenblick und stürzten sich dann mit freudigem Gebell auf die Paviane. Im Nu waren sie mitten unter der Affenherde, aber ebenso rasch auch von den stärksten Männchen der Paviane umringt und förmlich gestellt. Brüllend und wutschnaubend zeigten die Affen ihre fürchterlichen Gebisse den Hunden in so bedrohlicher Nähe, daß diese es vorzogen, vom Kampf abzustehen und beim Menschen Zuflucht zu suchen. Während sie von neuem ermuntert und angehetzt wurden, hatten die Affen ihren Weg fortgesetzt und bis auf wenige Nachzügler das Tal überschritten. Unter diesen Nachzüglern befand sich ein kleiner, etwa halbjähriger Bursche, der etwas entfernt von den andern seines Weges ging. Auf ihn hetzte man jetzt die Hunde. Sie gingen an und hatten bald den Affen, der auf einen Felsblock geflüchtet war, regelrecht gestellt. So schnell als möglich eilten die Menschen den Hunden zu Hilfe, sich schon mit der Hoffnung schmeichelnd, den jungen Pavian lebendig fangen zu können. Allein diese Hoffnung wurde gänzlich vereitelt. Auf das jammervolle Zetergeschrei des geängstigten Jungen hin kehrte nämlich vom andern Ufer her ein gewaltiges Männchen zurück, um ihm beizustehen. Ernst und würdevoll durchschritt er das Tal; ohne sich um die Hunde auch nur im geringsten zu kümmern, ging er schnurstracks auf sein Ziel los, mitten durch seine verblüfften Feinde hindurch, sprang auf den Felsen zu dem Jungtier, ermunterte es durch allerlei Zeichen und Gebärden, mit ihm zu gehen, und geleitete es dann ruhig und furchtlos nach dem andern Ufer, in dessen Dickicht beide alsbald verschwanden. Die Hunde setzte er durch wütendes Grunzen derart in Furcht, daß keiner es wagte, ihn oder seinen Schützling anzugreifen.


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