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Zwei schwerfällige Segelbarken, sogenannte Dahabijes, krachten infolge ungeschickter Steuerung mitten auf dem Nil gewaltig aufeinander, wobei dem vorderen Schiff das Steuerruder weggerissen wurde. Wüstes Toben, Schreien, Schimpfen und Kreischen erhob sich über dem heiligen Strome, fast noch übertäubt von dem gellenden Zetergeschrei der verschleierten Weiber, mit denen das beschädigte Fahrzeug vollgepfropft war. Brehm und Baron Müller, die in der kleinen Kajüte des anderen Schiffleins gerade ein wenig geschlummert hatten, stürzten, mit Pistolen und Säbeln bewaffnet, erschrocken an Deck, um zu sehen, was los sei, gefolgt von einem langen Engländer und seiner französischen Geliebten, die gleichfalls diese Barke zur Fahrt nach Kairo benützten, denn Eisenbahnen gab es ja damals in Ägypten noch nicht. Sie kamen gerade zurecht, um zu sehen, wie vier nackte Matrosen der beschädigten Barke durchs Wasser schwammen, an den eigenen Schiffswänden emporkletterten und unter fürchterlichem Geschrei und einer Flut von Schimpfworten mit der Mannschaft zu raufen anfingen. Der Reïs (Schiffseigentümer) rief den Europäern angstvoll zu, ihm gegen die »Räuber und Mörder« beizustehen. Das war das Zeichen zum Gegenangriff. Baron Müller hieb dem nackten Steuermann der Gegenpartei mit seinem Säbel derartig über den Kopf, daß er in den Strom fiel und sich kaum über Wasser halten konnte. Brehm ging mit bloßem Hirschfänger auf die anderen drei Kerle los und trieb sie mit scharfen Hieben vor sich her. Der verblüffte Engländer dagegen griff erst zu den Waffen, nachdem ihn die mutige Französin durch ein paar schallende Ohrfeigen drastisch genug dazu aufgefordert hatte. Der überwundene Feind stürzte in den Strom und schwamm zu seiner Barke zurück. Auf dieser erhob sich ein Heidenlärm. Ein ganzer Haufe aufgeregter Männer bewaffnete sich unter Wutgeschrei und Rachegeheul mit derben Knüppeln und traf alle Anstalten zu einem neuen Angriff. Doch unterblieb er, als die Europäer ihre Büchsen herbeiholten, mit Kugeln luden und jeden zu erschießen drohten, der es wagen sollte, sich ihrem Schiff zu nähern.
Nicht ohne Beschämung hat Brehm selbst später über diesen Zwischenfall geurteilt: »Nur gänzliche Unkenntnis des Landes und seiner Bewohner konnte unser Verfahren entschuldigen. Zwei Jahre später würde ich jene Matrosen mit der Peitsche und nicht mit dem Säbel verjagt haben. Die armen, von uns so sehr verkannten Burschen hatten keineswegs die Absicht gehabt, uns anzugreifen, sondern wollten sich von unserem Kapitän nur die Entschädigung für das ihnen zerbrochene Steuer zahlen lassen. Daß die Leute dabei aus vollem Halse schrien und anderweitigen Lärm zu verursachen bemüht waren, hätte einen mit ihren Sitten vertrauten nicht beunruhigt, weil er gewußt haben würde, daß die Araber bei jeder Gelegenheit schreien und lärmen.«
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»Herr, was willst du von meiner Frau?« wurde Brehm wütend von einem riesenhaften, baumstarken Nubier angebrüllt, der wie ein gereizter Tiger auf ihn losfuhr. Dieser Kerl, ein gewisser Aabd Lillahi, der durch Trunksucht, Roheit und Jähzorn schon wiederholt unangenehm aufgefallen war, hatte nämlich seine Frau mit an Bord, eine sehr hübsche, blutjunge Nubierin, und Brehm war rein zufällig auf dem engen Verdeck in allzu große Nähe der nußbraunen Schönheit geraten. Er mochte beteuern, was er wollte, der Schwarze betrachtete ihn von diesem Augenblicke an mit grenzenloser Eifersucht und schien überhaupt die beiden Deutschen aus tiefster Seele zu hassen. Einige Tage später lag Brehm fieberkrank im Schiffsraum, als er auf Verdeck wütend schimpfen und fluchen hörte. Auf Befragen erfuhr er von seinem Diener, daß die Schiffsmannschaft auf den Baron zornig wäre, weil er zum Jagen an Land gegangen sei und nicht zurückkäme, obwohl gerade jetzt nach längerer Windstille ein günstiger Nordwind eingesetzt habe. Nun habe man den Aabd Lillahi ausgeschickt, ihn zu holen. Bei Nennung dieses Namens ahnte Brehm gleich nichts Gutes. Er raffte sich auf, ergriff seine Büchse und eilte auf Deck, wo er auch schon den Baron vom nahen Strande her laut um Hilfe rufen hörte. Der Nubier drängte ihn nämlich geradezu mit Gewalt nach dem Ufer und schlug sogar auf ihn los. Der mit Recht darob erzürnte Baron riß seine Jagdflinte herunter, um dem Rohling einen Kolbenschlag zu versetzen, aber der Schwarze preßte ihm mit der Hand die Kehle zusammen und suchte sich des Gewehres zu bemächtigen. Brehm sah seinen Freund und Gönner in höchster Not und nahm deshalb den Nubier aufs Korn, aber er konnte nicht abdrücken, da die beiden Kämpfer so eng verschlungen waren, daß der Schuß auch den Baron im höchsten Grade gefährdet hätte. Endlich wurde der Nubier freier, und Brehm zielte genauer, aber da brach jener plötzlich noch vor dem Schuß blutend zusammen: der Baron hatte ihm sein Dolchmesser in die Brust gestoßen! Entsetzt schrie das Schiffsvolk auf und schwur fürchterliche Rache. Nur die entschlossene Haltung und die ernstesten Drohungen der beiden wohlbewaffneten Deutschen, sowie ihr Versprechen, sich in Dongola dem Gericht des Statthalters zu stellen, vermochten weiteres Unheil und Blutvergießen zu verhüten. Die Verwundung Aabd Lillahis erwies sich glücklicherweise nicht als lebensgefährlich, da eine Rippe die Kraft des Dolchstoßes gebrochen hatte, schließlich war der wüste Kerl mit einem Schmerzensgelde von drei Talern zufrieden, und damit fand dieser unangenehme Zwischenfall seine Erledigung.
Blieben also diese Segelbarkenfahrten, die unsere Reisenden über Chartum hinaus bis in den Blauen und Weißen Nil führten, auch nicht ohne unliebsame Abenteuer, so waren sie andererseits doch gerade für den Naturforscher zweifellos die angenehmste, genußreichste und lohnendste Art des Reisens in den damals noch so wenig bekannten Ländern des Sudan. Diese gemächliche Art des Reisens stromaufwärts ist natürlich ganz von der herrschenden Windrichtung abhängig, und gerade dabei findet der jagende Naturforscher seine Vorteile. Brehm hat noch in späteren Jahren viel von diesen herrlichen und in bezug auf Jagd und Vogelkunde so ergiebigen Fahrten auf dem »Vater der Ströme« geschwärmt. Da das nubische Nilbett durch tückische Felsriffe die Schiffahrt erschwert, wurde die Segelbarke über Nacht irgendwo an Land gezogen und erst bei Sonnenaufgang wieder flott gemacht. Während sie langsam den majestätischen Strom hinaufsegelte, gingen Baron Müller und Brehm jagend und beobachtend am Ufer entlang, ließen sich zum Mittagessen an Bord nehmen und dann wieder abends beim Landen. Fast täglich machten sie reiche Beute, die in Gestalt von fetten Nilgänsen, Enten und Tauben auch der Küche zugute kam, denn mit dieser war es äußerst dürftig bestellt, zumal eine solche Reise widriger Winde wegen oft länger dauerte, als man berechnet hatte. Je weiter man nach Süden vordrang und sich den Tropen näherte, um so zahlreicher wurden die fremden, bisher nie geschauten Erscheinungen aus der Vogelwelt. Jeder Tag brachte Neues, jede Stunde bereicherte in ungeahnter Weise die Kenntnisse der beiden Forscher. Auf den Sandbanken standen ganze Scharen von stolzen Kronen- und zierlichen Jungfernkranichen, an den Ufern fischten graue und silberweiße, rote und gelbe Reiher, und die reizenden Kuhreiher saßen truppweise auf den breiten Rücken der träge im Morast liegenden Büffel; lustige Sporenkiebitze liefen auf den Dämmen herum, langbeinige Stelzenläufer und abenteuerlich aussehende Säbelschnäbler wateten auf den überschwemmten Wiesen, auf den Wassern schaukelten sich Scharen der gewaltigen Pelikane, durch die Lüfte schossen wie buntgefiederte Pfeile die farbenprächtigen Bienenfresser, vor den blühenden Sträuchern schwirrten schimmernde Honigsauger, die die Kolibris in Afrika vertreten, auf Pfählen lauerten Graufischer, diese vergrößerte, aber verunglückte Ausgabe unseres herrlichen Eisvogels, Steinschmätzer der verschiedensten Art tanzten und knicksten im Steingeröll, allerliebste Blaukehlchen durchschlüpften schmiegsam und geheimnisvoll das Uferdickicht, der Bülbül ließ seine klangvolle Strophe erschallen, und als echt tropische Erscheinung wurden absonderliche Nashornvögel mit freudigem Hurra begrüßt. Faule Krokodile lagen verschlafen und gähnend auf kleinen Schlamminseln, flinke Ichneumons huschten beutelüstern durch undurchdringliche Rohrfelder, und abends gaben die Schakale ihre mißtönigen Heulkonzerte zum besten.
Soweit es die knapp bemessene Zeit zuließ, wurden natürlich auch die berühmten alten Tempelbauten und die Königsgräber besucht, namentlich auch die sagenumwobenen Krokodilhöhlen bei dem Städtchen Monfalut. Es war wieder einmal eine recht beschwerliche Sache, denn die langen Gänge waren überaus eng, erstickend heiß, mit mefitischen Düften geschwängert und der Boden von dem mit Erdpech vermischten Kot zahlloser Fledermäuse glitschig. In den vorderen Gängen lagen nur menschliche Mumien, von denen man wenigstens einige abgetrennte Köpfe mitnehmen konnte, in den Hinteren aber waren die einbalsamierten Krokodile aller Größen schichtenweise aufeinander getürmt, und sogar ganze Berge eingetrockneter Krokodileier waren vorhanden. Einige der schönsten Krokodilmumien wurden für die Sammlung ausgewählt. Brehm kam dabei zu der jedenfalls richtigen Ansicht, daß die alten Ägypter die Krokodile keineswegs als heilig verehrten, wie die Altertumsforscher bis dahin angenommen hatten, sie vielmehr fürchteten und ihre Zahl nach Möglichkeit zu vermindern suchten. Unmöglich konnten all diese Tausende einbalsamierter Ungetüme eines natürlichen Todes gestorben sein; man hatte sie wahrscheinlich gewaltsam getötet und dann, zur Versöhnung ihrer Geister, mumifiziert.
Einmal hatte Brehm einen prachtvollen Seeadler angeschossen, der noch bis zum Strome flatterte und dort ins Wasser fiel. Er trieb mit den Wellen dicht am Ufer hin, geriet aber dann in eine nach der Mitte zu sich wendende Strömung, schien also verloren. In diesem Augenblick tauchte ein herumlungernder Araber auf, und Brehm ersuchte ihn, gegen ein gutes Trinkgeld den Vogel herauszuholen. Der Mann aber weigerte sich beharrlich mit der Begründung, daß es hier viele Krokodile gebe, die ihm erst kürzlich zwei Schafe geraubt hätten. Ärgerlich über diese vermeintliche Feigheit entkleidete sich Brehm selbst und sprang mutig ins Wasser. Eben verlor er den Boden unter den Füßen und wollte sich zum Schwimmen anschicken, da schrie der Araber entsetzt auf: »Herr, um der Gnade und Barmherzigkeit Allahs willen, kehre um! Ein Krokodil!« Erschrocken fuhr Brehm zurück. Und wirklich, da kam auch schon von der anderen Stromseite her ein riesiges Krokodil angeschwommen, gerade auf den erschossenen Adler zu, tauchte dicht vor ihm, öffnete den mit greulichen Zahnreihen besetzten Rachen -- groß genug, um auch einen Menschen darin unterzubringen -- und verschwand mit seiner Beute in den trüben Fluten. Brehm stand derweil wie gelähmt. Seit dieser Stunde haßte er die Krokodile leidenschaftlich, und diesem Haß ist er sein ganzes Leben hindurch so treu geblieben, daß er niemals eine der gepanzerten Riesenechsen unbeschossen ließ, so oft sich nur immer die Gelegenheit bot, ihnen eine Kugel anzutragen.
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»Söhne der Fremde,« begann Aabd Allah, ein alter, ehrwürdiger und seiner Rechtlichkeit wegen hoch angesehener Barkenführer, dem ein langer, weißer Bart das ernste Antlitz umfloß, während das blaue Kattunhemd seinen ausgemergelten Leib wie ein Priestertalar umhüllte, »seht, ich bin ein alter Mann, die Sonne hat mein Haar siebenzig Jahre beschienen und gebleicht, des Alters Silber deckt es, mein Gebein ist mürbe geworden, ihr könntet meine Kinder sein. Wohlan, so höret, Männer des Frankenlandes, höret auf das, was ich euch sagen will. Ich spreche die Sprache des wohlmeinenden Warners. Laßt ab von eurem Beginnen, denn ihr geht einer großen Gefahr entgegen, unwissend und sorglos -- ich aber kenne sie. Hättet ihr gleich mir jene Felsen gesehen, die zusammentretend den Wogen die Tür verschließen, hättet ihr gehört, wie die Wasser, Einlaß und Durchgang begehrend, donnernd, zürnend und machtvoll an die ewig Feststehenden klopfen, wie sie die Steine überfluten und mit Gebrüll zur Tiefe in den Bauch der Felsen stürzen, und wüßtet ihr, daß nur die Gnade Allahs -- ihm sei Bewunderung, denn er ist der Erhabene -- unser gebrechliches Fahrzeug leiten und führen kann, ihr würdet meinem Rate folgen. Denkt an eure Mütter! Der Kummer würde sie erdrücken, wenn uns der Segen des Allbarmherzigen verließe.«
Baron Müller schien schwankend zu werden, aber Brehm antwortete freundlich, doch fest: »Allah wird uns helfen. Er ist gnädig!« --»Nun, so gehet mit Gott und seinem gepriesenem Propheten,« erwiderte würdig der Greis, »ich will für euch beten in der Stunde der Gefahr.« -- »Amen, o Reïs, wir danken dir, das Heil sei mit dir!«
Dieses Gespräch fand an einem herrlichen Tropenabende unweit der großen Nilkatarakte von Wadi-Halfa statt, die ein fast unüberwindliches Hindernis für die Schiffahrt bildeten und der Weiterreise gewöhnlicher Barken ein Ziel setzten. Die beiden Deutschen aber hatten diesmal durch die Güte des türkischen Statthalters von Chartum besonders stark gebaute Regierungsbarken zur Verfügung, und deren Führer wollten die Durchfahrt mit einigen besonders tüchtigen, erfahrenen und mutigen Steuerleuten und Ruderern wagen, während die übrige Mannschaft mit dem großen Gepäck die Fälle auf dem Landwege umgehen sollte. Brehm bestand aber trotz der dringendsten Warnungen und Abmahnungen von allen Seiten darauf, die gefährliche Fahrt mitzumachen, und Baron Müller mochte dem jüngeren Gefährten an Mut auch nicht nachstehen. So sind beide die ersten Europäer gewesen, die die Stromschnellen von Wadi-Halfa überwunden haben.
Um Haaresbreite hätte aber das kühne Wagnis tragisch geendet. Mit furchtbarer Gewalt fluteten die Wogen über die kaum vom Wasser bedeckten Felsblöcke, in allen Fugen stöhnte und krachte das Schifflein, dem Steuer ungehorsam, tanzte es durch den kochenden Gischt, kein Ruder tat seinen Dienst. Doch die dräuenden Wogen selbst werden zu Rettern, sie umfassen und umklammern die Barke, nehmen sie mit sich fort in rasender Fahrt. Wie ein Pfeil vom Bogen jagt das kleine Fahrzeug zwischen himmelansteigenden, senkrecht abfallenden, schwarzen, glänzenden Syenitwänden dahin, die nur wenige Schritte voneinander entfernt sind, so daß man die Ruder überhaupt nicht brauchen kann. Ein hartes Aufstoßen, daß all die Männer zu Boden fallen! Ein einziger Schrei des Entsetzens! Ein Leck! Nun geht's ans Verstopfen! Die steuerlos treibende Barke ist in ein Labyrinth von Felsen, Strudeln und Wasserfällen geraten. Keiner weiß mehr, wo man sich befindet. Entkräftigende Angst bemächtigt sich der Mannschaft, die bereits ihre Kleider abwirft. In dieser Not übertönt die Stimme des 70jährigen Bellahl, des Abu el reisin, des »Vaters der Schiffsführer«, das Gezeter des jammernden Schiffsvolkes und das dumpfe Brausen des Katarakts: »An die Ruder, ihr Helden! Seid ihr denn toll, ihr Kinder der Heiden? arbeitet, rudert, ihr Hunde, ihr Knaben, ihr Männer, ihr Tapferen, ihr Braven! Maschallah! Rudert, bei Gott! Allah ist gnädig! Er ist der Allerbarmer!« Der Greis selbst handhabt mit eiserner, nerviger Faust das Steuer. Da fließt nach links ein starker Arm ab, in ihn lenkt Bellahl die Barke, verfolgt den Lauf des Stromzweiges mit sicherer Hand und erreicht wirklich freies Fahrwasser. Gerettet! Die Gefahr ist vorüber. Freudenschüsse der beiden schreckensbleichen Europäer begrüßen das am Horizont auftauchende Palmendorf Wadi-Halfa. Die Araber aber fallen auf ihr Angesicht und beten: »Lob und Preis dir, dem Herren der Welten, dem Allerbarmer!«