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Einsam wandelt und scheu, von ehrbaren Bürgern gemieden,
Drüben am Kirchhofszaun schwankenden Schrittes ein Greis.
Greis? Noch dunkeln die Locken, der Bart noch wirr ihm um's Antlitz;
Aber der zitternde Fuß trägt den Gebeugten nicht mehr.
Graut dir nicht vor dem schmutzigen Rock, vor der schmutzigen Wäsche,
Nicht vor dem Branntweinsduft, der ihn umbrodelt, so komm;
Gehn wir mit ihm, oder besser: wir führen ihn sacht in die Kirche,
Mit einschmeichelndem Wort sacht ihn zur Orgel empor.
Sieh, wie sein Aug' aufglänzt! Hier saß er in glücklichen Tagen;
Allverehrt und geliebt lenkt' er den singenden Chor
Trunken von Harmonien; doch öfter leider und öfter
Schürt' er des himmlischen Geists Flammen mit irdischen an;
Bis aus des Bacchus Geleite der allerabscheulichste Kobold,
Göttern und Menschen verhaßt, Führer der Musen ihm ward.
Längstvergangene Zeiten! Von Lastern zu Lastern gesunken,
Schimpflich vom Amte gejagt, rings von den Leuten verfehmt,
Hoffnungslos vom eigenen Weib und den Kindern verlassen,
Taumelt im Elend er dumpfig die Jahre dahin.
Aber den Blasbalg laß uns rühren – schon gleiten die Finger
Träumerisch über die Reihn elfener Tasten hinweg.
Horch, wie die Tonflut schwillt! Aus volleren, reichren Registern
Stürmt sie gewaltigen Gangs, Wogen auf Wogen, hervor.
Wohllaut wallt, ein unendliches Meer, in rhythmischen Massen
Schweraufseufzend in Leid, bitterlich schluchzend heran.
Alle Gewalten der Sehnsucht flehn, da rüstet die Hoffnung
Sich zum Fluge; das Ziel winkt, und ihr Fittich erreicht's;
Laut aufjauchzend begrüßt sie ein hundertstimmig Triumphlied;
Lastende Berge von Qual ringen vom Busen sich los;
Was da verschlossen gepocht und gestöhnt und getrotzt – es erlöst sich;
Frei in den Aether der Kunst steigt's zu den Göttern hinauf.
Trocknest du Thränen vom Auge? – Der Meister aber mit starrem,
Fast zornfunkelndem Blick schweigend versinkt er in sich,
Schweigend, die zuckende Faust auf's Herze gepreßt. – Gedenkt er,
Welchen unsterblichen Kranz schmählich im Sumpf er verlor?
*
»Meister Vandymcken hat das Perpetuum mobil' erfunden;
Männiglich sei es hiermit kund und zu wissen getan.
Einem verehrungswürdigen Publikum will's der besagte
Heut' auf der Stadtpromenad' zeigen von sieben bis acht!«
Also rief, nachdem er gewaltig geklingelt, der lahme
Ortsherold; nachher bot er noch Schafe zu Kauf,
Kündete gute Belohnung dem ehrlichen Finder –
et caetera;
Grad' aus dem Schulschraubstock stoben wir Knaben heraus.
Meister Vandymcken – wer kannte den Mann? Wir hatten den alten
Uhrenchirurgen von je nur in der Dämmrung gesehn.
Tags nie kam er vor's Haus; bei Nachtzeit ging er spazieren,
Lautlos schlich er, allein, scheu wie ein Uhu durch's Moor;
Und weil dieselbe Bewegung, zu lange geübt, er für schädlich
Achtete, sprang er dabei seltsam in Tänzen einher,
Alte verschollne Gavotten. Im Winde wallte sein weißes,
Strähniges Haar und verrückt kreis'te der Mantel um ihn.
Schmuggler, die auf dem Kreuzweg einst ihn also gesehen,
Flohn, von Entsetzen gepackt, schreiend den Zöllnern ins Haus.
Der nun wollte der Welt das Perpetuum mobile schenken!
Himmel! Wie drängte die Stadt heute sich in die Allee!
Honoratioren und Juden und Kinder und Hunde! Ein Staubmeer
Schwoll; wie Zachäus im Baum hatt' ich mir Posto gefaßt.
Sieh! Und da kam er heran! – Ein Ding wie ein Velociped hatt'
Er sich gedrechselt und das ritt er dem Publikum vor,
Strampelnd mit Armen und Beinen, der Schweiß rann über die Stirn ihm,
Weithin wogte das Haar; aber sein Blick war Triumph.
Rasselnd rollt' er vorbei. Die Knaben pfiffen, die Hunde
Bellten, Tumult und Gedräng – mehr nicht vermocht' ich zu sehn;
Bravo! schrien die Einen; die Andern: er jagt in den Graben!
Platz da! Haltet ihn auf! Haltet! Nun ist es gefehlt!
Aber ein Kleines – da führten verständ'ge, besonnene Männer
Heim den Greis, den der Schlamm grünlicher Algen befleckt;
Andere trugen das Ding, das Perpetuum mobile; Straßen-
Jungen mit lautem Halloh endeten lachend den Zug;
Doch ich lachte nicht mit. Schon damals wurmte der Hohn mich,
Den ein zerschellt' Ideal wieherndem Pöbel entlockt.
*
Arma virumque cano. – Gedenk' ich der schwülen, privaten
Stunden beim Pastor, gähnt heute Virgil noch mich an.
Staub unendlicher Bücher und qualmende Tabakswolken,
Deren geruhigen Zug nimmer ein Lüftchen gestört,
Brüteten schwer in dem heißen Gemach (noch hass' ich das fade
Blaue Tapetendessin an der verräucherten Wand).
Arma virumque cano, Trojae qui primus ab oris –
Ach, und das Jauchzen erklang meiner Gefährten, von fern!
Seltene, hocherwünschte Zerstreuung war's, wenn der Alte
(Rheuma hatte sein Kreuz einigermaßen gelähmt)
Langsam sich vor dem Ofen erhob, langsam an den Tisch ging,
Langsam neuen Tabak stopft' in den Göttinger Kopf.
Dann bewegte sich auch, die sonst er beständig im Schoß hielt,
Gähnend die Katze – genug, das war ein seltenes Fest.
Grundgelehrt war der Mann; seit unvordenklichen Zeiten
Amtlos, trieb er für sich Griechisch, Hebräisch, Latein;
Jahre hatt' er gesessen, auf daß er von einer obscönen
Lesart den Sueton säubre; doch glückt' es ihm nicht,
Ob er auch Schmöker erstand auf jeder Vergantung und alle
Las und verglich, als hing' Leben und Seligkeit dran.
Und in diesem Gespinst grau klebriger, zäher Correctheit
Zappelt' ich flüchtiger Wicht sieben Semester mich ab.
Endlich schien mir der Tag der Erlösung – Leben und Freiheit
Rissen mich fort; ich kam bärtig und braun erst zurück.
Basen und Vettern besucht' ich und auch den alten Pastoren
Ging ich zu grüßen; wie klang gleich mir die Glocke vertraut
Über der Thüre, das träg langathmige Klingeln, der Tabak
Roch, das Tapetendessin gähnte wie sonst; aber lahm,
Räudig und blind war die Katze; der Alte jedoch, wie von je er
Pflegt', auf dem nämlichen Stuhl, hockte beim Ofen und las.
Langsam hub er sich auf: »Sanscrit studir' ich mit Eifer,
Italienisch dazu, lernt man doch nimmer genug.«
»Vivat Italia!« rief ich, – »ich hört' auf dem Grabe Virgils jüngst
Lieder aus rosigem Mund; und, beim Apollo, wie gern
Gäbe der Todte da drunten den ganzen Unsterblichkeitsplunder,
Dürft' aus der schaurigen Gruft steigen er« – – Aber der Greis
Fiel mir mit Beben ins Wort: »Ich bitte Sie, schweigen von jenen
Gräßlichen Dingen wir still, sei's auch das Grab des Virgil.
Leben! So schön ist das Leben!« – Mir graust': ein Leben, das Nichts tat,
Als daß ein einziger Jung'
arma virumque gelernt.
*
Jüngst zwei Weiber erblickt' ich, die Hefe des Pöbels, ein altes,
Graues Megärengesicht, eines noch jugendlich frech.
Knochen und Lumpen zu sammeln durchzog mit der Hundekarrete
Jeglichen Rinnstein scharf prüfend die Gassen das Paar.
Und nun standen sie still; die Alte verzierte, drapirte
Mit einem lappigen Rest Spitzengarnirung die Dirn.
Eifrig fingert' die knochige Hand, die Falten zu glätten,
Doch der Geputzten erschwoll freudigen Stolzes die Brust.
Wahrlich! Noch nie sah ich solch offnes, naives Behagen,
Wenn man mit Schätzen sich schmückt, die aus dem Schmutz man gescharrt.
*
Rastlos nähend und stopfend und flickend saß auf der Kammer
Oft ein Mütterchen uns – gute, bescheidene Frau!
Tage verrannen und Jahre; sie heilte beständig die Wunden
Unsres Habits, die wir jagend durch Busch und Gedörn,
Kletternd von Ast zu Geäst, uns rissen und ach, auf der Schulbank
Freilich nur hinten, jedoch rühmlich wie Helden, errutscht.
»Du, Margarethe« – sagt' ich ihr einst – »du nähst doch und flickst doch
Immer und ewiglich; wann wirst deines Lebens du froh?«
Aber sie lächelte still: »Auf Ostern.« – wir hatten die Ernte-
Ferien eben und erst Ostern! – Unendliche Frist!
Ostern kam aber doch, und bracht' ihr Gatten und Söhne,
Weit aus der Südsee führt' heim sie ein günstiger Wind;
Riesige Walfischfänger; der Greis ein durchwetterter Eisbär,
Und die Jungen, die drei, – welcher athletischen Kraft
Blühende Schönheitsfülle! – Wie haben die Nixen der Salzflut
Lüstern nach ihnen den Schaum gieriger Wogen gespritzt!
Wie die Tritonen mit laut hindonnernden Muschelfanfaren
Jauchzend des Brudergeschlechts stürmische Fahrten begrüßt!
O glückseliges Weib! der dürftigen Näherin böten
Königinnen umsonst all' ihre Schätze zu Tausch!
Doch schon morgen bauschen auf's Neu die Segel sich seewärts;
Fern in die Wüsten des Pols treibt es die Teuren hinweg.
Jahre des Hoffens und Harrens – ein Tag des Besitzes – und wieder
Jahre des Harrens, der stillleidenden, bangen Geduld!
Kann ein Herz ein bescheidneres Glück sich erflehn von den Göttern?
Gönnt – so wenig nur ist's – gönnt es, ihr Himmlischen, ihm.
*
Ueber den Damm, der zur Mühle sich senkt und dem Teiche, mit schwerem,
Staub aufwühlendem Schritt schleppt sich an Krücken ein Weib.
Welch zerlumpte Gewandung! Wie hängt ihr verwildert das weiße
Haar um die runzlige Stirn tief in die Höhle des Augs!
Janna Mullfuß nennt sie der Spott; wo sie immer daher hinkt,
»Mullfuß!« schreit eine Schaar höhnender Kinder ihr nach.
Hier auch folgt ihr der Schimpf: »Mullfuß, dein Sohn ist im Zuchthaus,
Und für den Enkel ist auch eben die Zelle besorgt!
Mullfuß ist zum billigsten Preis auf städtische Kosten
Ausverdungen; wer nimmt Hexen in Kost und Quartier?
Hexe! Wir kennen dich wohl; wir machten ein Kreuz auf dem Weg jüngst,
Den du kamest; wir sahn, wie dich das Zeichen gebannt!«
Also lärmt eine Rotte der ungewaschensten Jugend,
Klumpen von Schmutz und Lehm fliegen der Hinkenden nach.
Auch zwei ehrsame Frauen bedauern, daß doch der Allgüt'ge
Solch alt-elendes Weib lange nicht zu sich schon nahm;
»Doch Frau Nachbarin, Er hält auch wohl sie gern sich vom Leibe,
Und ich verdenk' es ihm nicht.« Aber die Bettlerin längst,
Längst gewöhnt an der Kinder Geschrei und der Weiber Geklatsche,
Hinkt achtlos ihres Wegs weiter, der Mühle vorbei,
Nun das Ufer entlang, – was sucht sie im Dickicht der Weiden?
Ueber den morschenden Stamm klimmt sie – Entsetzen! Sie stürzt!
Stürzt sich hinab in die Flut, und mit ihr stürzt der gehöhlte,
Faul wurmstichige Baum. – Wollt ihr sie retten? Zu spät!
Hielt der Allgütige sie sich achtzig Jahre vom Leibe,
Ungeladen zuletzt fordert sie mahnend ihr Recht.
*
Einsam lebt ein verwaistes, ein früh verblühendes Mädchen
Dürftige Tage; das Glück hatte sie nimmer gekannt.
Feinere Handarbeit und Clavierspiel lehrte sie; aber
Polkas und Seidenstramin stillen kein klagendes Herz.
Ständiger Winter fröstelt' um sie; da bracht' ihr ein rascher
Frühlingssturm über Nacht plötzliche Fülle des Glücks.
Heim aus Indien kam der Freund, der Gespiele der Kindheit,
Schätzebeladen, die längst heimlich Geliebte zu frein.
Kennst du die Mär von der dienenden Magd, die der König mit Einem
Zauberschlag als die Braut hebt auf die Höhen des Glücks?
Was die Liebe zu geben, zu schenken nur immer sich aussinnt,
Floß, ein verschwendrischer Strom, glänzend und reich um sie her.
Genuas Gold und die Perlen Venedigs, die Seide von China
Schienen dem jungen Gemahl stets noch zu ärmlich für sie;
Aber wie über die Gaben der Gärten und Felder die Sonne
Prangt, die Geberin, so strahlt' aus den Schätzen auch sein
Unerschöpflich liebendes Herz; die Welt war ein Himmel
Voller Geigen. – Und nun – suchst du die Pointe des Lieds?
Drüben im Tollhaus tobt seit Jahren ein Weib; wie ein Raubtier
Rast sie einher, bis sie matt röchelnd im Stroh sich verkriecht;
Dann legt durch das Gegitter ein Greis ihr Zucker und süße
Früchte, das einz'ge Geschenk, dran sie sich blöde noch freut.
*
Jüngst durchschritt ich die Gassen des Heimatstädtchens, da saß ein
Uralt Mütterchen still unter der Thüre und spann.
Achtlos ging ich vorbei; sie grüßte mich aber mit Namen,
Daß ich erstaunt stehn blieb; – Gute, so kennt Ihr mich noch?
»Ob ich Sie kenne? ja freilich; es ist nun vielleicht an die dreißig
Jahre wohl her und ich ging rüstig hinaus noch auf's Feld;
Rüstig eben wohl nicht; doch ich ging, ich hatte zu graben,
Hatte zu gießen und matt schleppt' ich mich Abends nach Haus.
Damals kamen Sie heim von der Schmetterlingsjagd, und Sie sahn, wie
Schwer mir des Spatens Gewicht über die Schulter sich zog,
Und Sie sagten: ich trage den Spaten, den Gießer, die Hacke –
Was ich auch wehrt', das Geschirr packten Sie lachend sich auf.« –
»Und das wißt Ihr noch heut? Ihr beschämt mich!« Aber die Alte
Sah aus des dämmrigen Aug's innersten Tiefen mich an.
»Wahrlich, sprach sie, mir ward des Freundlichen doch nicht so gar viel
Hier im Leben, daß ich Eins um das Andre vergäß!«
*
Wenn im Schweigen der Nacht das Städtlein ruht und die letzten
Schwärmer nach Hause geschwankt, klirrt noch einsamer Schritt
Oft durch die Gassen: der Arzt, hingiebt er den eigenen Schlummer,
Daß er des Schlafs Balsam träuf' auf des Fiebernden Aug'.
Ob er durch Schlossen und Sturm aus den finstren Gesümpfen des Moorbruchs
Heimkam, ob aus dem Staub sandiger Haiden, – die Not
Ruft ihn vom kärglichen Mahl, vom Studirtisch, ruft ihn vom Lager;
Und wie ein rettender Gott wird er im Volke verehrt.
Dankbar heben zu ihm, unsäglicher Wehen gedenkend,
Mütter die blühende Kraft rosiger Kinder empor;
Dankbar drücken ihm Männer die Hand, die aus donnernder Schlacht er
Trug und der fressenden Pest feuchter Baracken entriß;
Doch von Allen, wer sah, daß je die Freud' ihm im Auge
Glomm, daß den bläßlichen Mund heiter ein Lächeln umspielt?
Weißer und weißer erblich ihm das Haar, und stummer und stummer
Ward ihm die Lippe, den Blick trübten die Schatten des Grams.
Hatt' er schon immer den klingenden Lohn verschmäht von der Armut,
Teilte die gütige Hand Gaben auf Gaben nun aus.
Wahrlich, wenn je ein Herz wert war der lautersten Freude,
Schönsten, vollendeten Glücks, keines war werter als seins;
Wahrlich, wenn je ein Haupt verdiente den strahlenden Lichtstreif,
Welcher die Heiligen krönt, seines verdient ihn zuerst.
Da! – urplötzlich erscholl's, daß er, der Retter von tausend
Leben, mit gräßlicher Tat, jähe sein eignes zerstört!
Selbstmord! Schweigend und starr wie die Leiche, die jeder Belebung
Spottete, starrte der Tat finstres Geheimniß uns an.
Selbstmord! Hatte der Himmel nicht Engel, dem Engel der Erde
Beizustehn, als der Kelch endlich zu bitter ihm ward?
Schaaren auf Schaaren folgten dem Sarg, Kranz drängt' über Kranz sich;
Aber ein Laie, kein Pfaff, segnete betend sein Grab.
*
Welch ein Gedüft! Weht hier vom Paradiese der Wind her?
Sieh doch! Ein Acker, der ganz, ganz mit Reseda bestellt!
Trunken vor Wonne durchschwärmt solch blühenden Ocean ems'ger
Bienen Geschwader, berauscht tauchen sich Falter hinab,
Lerchen jubeln empor; o schwelgendes, volles Genießen!
Aber da drüben die Maid weint sich die Aeugelein rot.
»Ach was frommen die Blumen der Darbenden! Nährende Pflanzen
Wähnt' ich zu säen, des Kohls kräftige Häupter zu ziehn,
Winterkost für die Meinen; nun tauschte der Böse den Samen;
Zierde des üppigen Beets streut' er den Armen aufs Feld.«
Doch zu der Schluchzenden tritt, die Fiedel geschnallt auf dem Rücken,
Lachend ein schlanker Gesell: »Schmücke mir, Mädel, den Hut,
Und ich geige dir Eins zum Dank; ich sollte zum Hufschmied
Werden; der Teufel hat mich tückisch zum Geiger gemacht.
Statt des nährenden Kohls notwendiger Arbeit gewann ich
Ach, nur der spielendsten Kunst fruchtloses Blumengezücht.
Laß dich trösten, mein Mädel, und tröste mich wieder; geteiltes
Leid ist halbes; wie wär's, teilten fürs Leben wir gleich?
Blumen und Lieder, sind sie denn nicht die Krone des Lebens?
Ob wir als Könige dann schließlich verhungern – was tut's?«
*
Einst am Friedhof schritt ich entlang; unsicherer Mondschein
Zuckt' in den Wolken; da schwebt's über die Hügel heran,
Ueber die welkenden Kränze, die schmutzig vergilbenden Bänder
Naht' es; diese Gestalt kenn ich: Das mächtige Paar
Weitausgreifender Flügel – die rückwärts flatternden Falten
Leicht geschürzten Gewands – Lorbeer und Gold im Gelock –
Füllhorn – Göttin Fortuna! Und neben ihr gaukelt ein Amor!
Böses Gesindel, warum führt über Gräber dein Weg,
Daß die Todten du störst? Es zappelt und krabbelt wahrhaftig
Schon aus der Tiefe, nach euch greifend, ein bleiches Gespenst!
Komisch-grausige Jagd! Wie flüchten die Göttergestalten!
Aber das Klappergebein kraxelt gelenkig sich nach.
Nun um die Kreuze jagen sie sich und die Urnen; die Knochen-
Hände mit gieriger Hast grapsen nach Kronen und Kranz,
Grapsen nach Amors lockigem Haupt; die grinsenden Kiefer
Schmachten nach Küssen. – Wie stäubt unter der stürmischen Hatz
Rings ein Wirbel von weißen, zerfallenden Rosen! Der Grabspuk,
Holla! verliert einen Fuß – sei es! er hinkt hinterdrein!
Holla! das Schienbein auch; er achtet's, als wenn ein Pantoffel
Abfiel; hastiger treibt's, hast'ger und hast'ger ihn fort.
»Habt mich genarrt, da ich lebte, da Zeit für die Lieb' und das Glück war;
Muß nun, ob's auch zu spät, immer noch jagen nach euch!«
Näher kreiselt's heran. Blindlings wie ein Falk, der auf Tauben
Stößt, jagt mir in den Weg keuchend das arme Gespenst.
Grell aufleuchtet der Mond; ich erkenne die Züge: »Verfluchter
Spuk! Du Doppelgebild bist ja mein eigenes Ich!«