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Sphinx atropos.

Buchschmuck

Satanische Fragmente.

I.

Christus.

Satan, wohin mit dieser armen Seele?

Satan.

Direct zur allertiefsten Flammenhöhle.

Christus.

Was tat sie denn für Missetat?

Satan.

Kein einzig Mal sie gebetet hat.

Christus.

Ein reicher Mann nach allem Anschein.

Satan.

Vergebung, Kgl. Hoheit: Nein,
Sie war ein armer Lazarus,
Der starb an einem Hungertyphus.

Christus.

Und dennoch kein Gebet? Verhallt
Mein Evangelium gar so bald:
Kommt Alle, die mühselig und beladen;
Den Armen ist das Reich der ew'gen Gnaden.

Satan.

Das machte wohl Anno damals Effect.
Todt lagen die Götter, und Lorbeer und Sect
War Philosophie; in dem klassischen Sumpf
Wurde die Armut plötzlich Trumpf
Und gewann dir die Welt; denn das Neue besticht.
Doch auch das Neue wird endlich alt
Und deine Kirche ward grau und kalt
Und leidet an Asthma und Schwind und Gicht.
Dein Evangelium für die Armen, –
Es könnte den Teufel schier erbarmen,
Ward ein Evangelium für die Reichen
Mit falschen Zähnen und echten Bäuchen,
Die ihre Häuser und Villen umhegen
Mit deinem der Armut gespendeten Segen;
Denn unter allen Religionen hält keine
Begehrliche Armut im Zaum wie deine;
Die Himmelshoffnung ist gern bereit
Zum Verzicht auf der Erde Herrlichkeit.

Christus.

Und meinst du, daß solche Hoffnung trüge?

Satan.

Gleichviel, ob sie wahr oder ob sie lüge;
Auf Erden kommt es auf Glauben an,
Und um den Glauben ist's eben getan.
Probir's und spür es selber aus,
Geh einmal Sonntags ins Gotteshaus.
Der Gemeinde sind die Hallen so weit,
Wie 'nem Falstaffskelett ein Falstaffkleid.
Verschrumpft ist das Fett, die gläubige Menge,
Der weiland der weiteste Dom zu enge.
Die Individuen zwar sind dick;
Die Gemeinde gewährt einen magren Anblick.
Selbst wenn ein neuer Pastor in Mode
Oder gar ein Wahlstreit mit der Synode –
Nur Sammetmantillen und Seidencylinder
Und gezwungene Soldaten und Waisenkinder.
Aber die Armut, die blasse Not,
Die täglich ringt um ihr hartes Brot,
Die sich mit Siechthum und Gebrest
Hohlwangig fristet im feuchten Nest
Und mit den keuchend erworbenen Hellern
Ihr Elend betäubt in Branntweinskellern,
Die glaubt nicht mehr an Abrahams Schooß
Und wünscht auf Erden ein bessres Loos.

Christus.

Und meine Lazarusparabel?

Satan.

Gilt ihnen als Eiapopeiafabel;
Eben weil die besitzenden Classen
So stark sich mit dieser Fabel befassen.
Die Reichen predigen ohn' End,
Wie der reiche Mann in der Hölle brennt:
»Wir müssen ja jedes Diner bezahlen
Mit ausgesuchten Höllenqualen,
Wenn ihr an des Hungers Knochenhand
Eingeht ins ewge Schlaraffenland.
Ihr glücklichen Armen, nun gönnet ihr
Uns doch das bischen Erdenpläsir
Und stört uns nicht, wenn in Purpur und Seiden
Wir uns für die Hölle vorbereiten.«

Christus.

Ja, wenn sich die Böcke zu Gärtnern setzen,
Und Wölfe vom Segen der Fasten schwätzen,
Und Reiche mein Evangelium
Verkündigen, kehrt die Welt sich um,
Und Neues drängt sich herauf mit Gewalt.

Satan.

Millionen Fäuste dräuend geballt
Erblick ich, zum Kampf geschwungene Knittel,
Mutwilde Gestalten in lumpigem Kittel;
Sie schreien: Wir kennen die Krankheit der Zeit.

Christus.

Sie kennen sie freilich, die armen Leut'.

Satan.

Sie schreien: Wir kennen das heilende Mittel.

Christus.

Das Mittel erkennt die Masse nie;
Das schaut nur das gottgeweihte Genie.
O wehe, wäre den wüsten Massen
Die Heilung der Menschheit überlassen!
Denn wahrlich, wahrlich ich sage dir:
Es wäre besser, das Urgetier
Der Schöpfung, die feuerschnaubenden Drachen,
Tät aus dem Versteinerungsschlaf erwachen,
Als daß die rothe Petroleumshorde
Mit den Zangen verfrühter Geburtshelferschaft
Die Gegenwart sammt der Zukunft morde.

Nun Satan, geh; und ich befehle:
Wirf nicht ins Feuer die arme Seele;
Ein neues Gesetz tritt nächstens in Kraft,
Die ewige Pein wird abgeschafft;
Ich will mich bei Zeiten gnädig erweisen.
Ach, zwicke nicht mehr mit glühenden Eisen
Die Seelen, die mit Beten und Singen
Und Glauben eigener Wege gingen;
Denn der Glaube nicht mehr als die Nas' im Gesicht
Einem Strafparagraphen unterliegt;
Und künftig soll Einer, der garnichts glaubt,
Wie Einer, den man der Nase beraubt,
Bedauert werden und nicht gesteinigt.

Satan.

Das setzest du gegen die Pfaffen nicht durch!
Sie alle sind wider dich vereinigt
Sofort; du schleifst ihre festeste Burg.

Christus.

Geh, sag ich, und auf die Asphodeloswiese
Zu traumlosem Schlummer bette diese
Unglückliche Seele, die sonder Gebet
Doch heißer und brünstiger gefleht
Und mehr an läuternder Qual gelitten
Als all die stolzen Glaubensleviten. (Satan ab.)
O neige, Vater, dein Ohr zu mir;
Die Welt verzehrt sich in Sehnsucht nach dir;
O laß mich wieder hinunter fahren,
Den Lechzenden dich zu offenbaren.
Die heiligen Formeln von Eins und Drei
Und Drei und Eins sie brachen entzwei.
Nun gieb für den alten verschlissenen Tand,
Gieb Neues aus deiner allgütigen Hand.
Und könntest du's fügen, daß dieses Neue
Sich etwas besserer Logik erfreue,
So wäre das eben kein großer Schade.
Gestatte mir, Herr, in deiner Gnade
Hinabzusteigen; siehe, schon lang
Deutet auf mich Prophetensang.
Die reinsten, die schönsten, die klarsten Geister
Ahnen dunkel den kommenden Meister;
Sie künden sein Nahen in dämmernden Hüllen,
O Herr, nun laß es sich glänzend erfüllen.
Ich weiß es: ich bin den Mächt'gen und Frommen
Und bin dem Pöbel nie willkommen,
Und Kaiphas und Pilatus schlichten
Den alten Hader, um mich zu richten,
Und das Heulen des Pöbels, ewig dräut's
Dem Gottgesandten: an's Kreuz! an's Kreuz!
Doch alle Qualen der Schädelstätte
Will ich ertragen – nur rette, rette!
Die Menschheit harrt; o blick hernieder
Und gieb ihr einen Erlöser wieder.

*

II.

Satan.

Du bist mir doch die rechte Danaide,
Frau Ceres! Stets ins lecke Faß
Zu schöpfen, welch ein Götterspaß!
Bist du des Dings denn noch nicht müde?

Demeter.

Erspar dir, schwarzer Sorgenprinz,
Das gallenbittre Hohngegrins';
Sultan der Not, Patron des Leides,
Monarch des Hungers, Fürst des Neides,
Ich weiß, daß ich, des Segens Geberin,
Ein ewig Aergerniß dir bin;
Du dünktest lang genug dich legitim,
Zu Ende geht dein gräßliches Regime.
Sieh hin! Beglückt von meinem Schatz
Ist rings das Land kein Tummelplatz
Für deine Legionen mehr;
Zerstoben ist dein menschenfeindlich Heer,
Derweil mit Garben überladen
Und vom Cyanenkranz umrankt,
Umjauchzt von Schnittern, durch die Schwaden
Der letzte Erntewagen schwankt;
Vom Berge drängen sich die Heerden,
Sieh, wie sie prangend sich vermehrten,
Mit hellem Läuten ziehn sie heim.
Unendlich quillt des Honigs Seim,
Die Purpurfrucht im Garten reift,
Sieh, wie die Hand begierig greift!
Der Winzer springt, die Keltern triefen,
Von Balsam strömen die Oliven –
Ich hab ein gutes Jahr bescheert,
Und die bedrängte Menschheit zehrt
So recht von Herzen aus dem Vollen.

Satan.

Jawohl! Schon schwingen sie im tollen
Gelärm des Erntefestes sich
Zum abgeschmackten Fiedelstrich.
Von allen Lippen tönt dein Preis.
Wer aber ist der Naseweis',
Das Flügelbübchen? – In die Reihn
Der Tänzer drängt er keck sich ein;
Schon hat er aus des Strudels Wogen
Ein Pärchen hier bei Seit gezogen,
Ein Pärchen dort bei Seit gebracht,
Und lau und dunkel ist die Nacht;
Hier hör ich's flüstern in den Lauben,
Dort hör ich Kuß um Küsse rauben.
Was gilt's, Frau Ceres: über's Jahr
Ist Alles just, wie's heute war;
Nur daß in ihres Hungers Pein
Statt zweier Mäuler dreie schrein.
Du griffst in deine vollsten Fässer
Und gabst an Schätzen reichstes Maß;
Doch schiebt sofort dir neue Fresser
Gott Amor zu ohn' Unterlaß.
Du magst dein letztes Hälmchen spenden;
Der Mensch zeugt Kinder, id est Concurrenten,
Als hätt' er Angst, daß für die eigne Gabel
Zu groß der Teller und zu klein der Schnabel.

Demeter.

Verruchter! Selbst die holde Kraft,
Die alles Lebende beglückt,
Indem sie neues Leben schafft,
Ist deinem Geifer nicht entrückt?
Das Erdgeschlecht mit keinem Cherub tauscht,
Wenn Lipp' auf Lippe sich berauscht,
Wenn Seele athmend sich in Seele wühlt
Und sich verschwendend doppelt reich sich fühlt;
Mit keinem Cherub, wenn nach Sturm und Schauer
Der Saatenzeit die still gereifte Frucht
Mit warmem Puls das Licht der Sonne sucht.
Du sahst die Mutter, die den Liebling säugt,
Den Vater, der sich auf die Wiege beugt; –
Nicht des Palastes Marmormauer
Noch Hüttendach umfaßt ein reinres Glück.
Nur du ziehst kalt dich auf dich selbst zurück,
Und Alles trägt für dich nicht höhren Stempel,
Als einer Rechnung nüchternes Exempel!

Satan.

Ereifre dich doch nicht um mein Gefühl!
Was ich nicht wägen kann, hat kein Gewicht,
Nicht zählen kann, das existirt mir nicht;
Wir Rechenmeister sind nun einmal kühl.
Und deine zärtliche Exstase
Führt wohl die Welt, doch mich nicht an der Nase.
Selbstlos rühmst du den Gott Amur;
Ich, egoistisch, rühm ihn drum nicht minder;
Denn, gute Siegerin, das sieht ein Blinder:
Neun kurze Monden braucht er nur,
Dann führt er mich – Vivat die Reaction! –
Zurück zum angestammten Thron.

*

III.

Satan.

Großmutter Chaos, sag mir an:
Dich kennt und nennt ein Jedermann;
Aber noch Keinen ich ersah,
Der kannte des Teufels Großpapa.
Seid ihr geschieden von Tisch und Bett?

Großmutter.

Ach, daß ich ihn nie gesehen hätt'!
Mein Bübchen, schweig von dem alten Herrn.

Satan.

Man kennt doch seinen Stammbaum gern.

Großmutter.

Wir lebten kinderlos sonder Streit,
Vor Anfang in dunkler Ewigkeit.

Satan.

Da ging es wohl langweilig her?

Großmutter.

Leider, leider, das fand auch er.
Es lüstet' ihn, auf Vaterknien
Ein Heer von Kindern zu erziehn,
Es lüstet' ihn nach Licht und Glanz
Und bunter Himmelskörper Tanz.
Mein Warnen war in Wind gesprochen,
Und weh! so kam ich in die Wochen.

Satan.

Prosit! Als so diverse Sonnen-
Systeme deinem Schooß entronnen,
Das gab wohl Luft, wie jene Magd
Im Drillingswochenbett gesagt.

Großmutter.

Da tanzten nun wie Sand am Meer
Lebendige Kinder um uns her,
Sich liebend erfassend,
Sich feindlich hassend,
Sich zärtlich suchend,
Sich grimm verfluchend –
So mußte die Welt in Streiten und Gähren,
Mein armer Satan, dich gebären.
Denn meines Gatten Allweisheit und Macht
Hatte das Eine nicht bedacht,
Daß, wo nur Kraft und Leben lebt,
Ein Feindliches dawider strebt.
Und stellt' er sich auch auf den Kopf
Und grübelte sich kahl den Schopf:
Das kleinste Härchen, das er bereite,
Hat seine Licht- und Schattenseite.
Den Schatten nennt man nun den Bösen.

Satan.

Nun will sich das Problema lösen!
Er schuf die Welt und im Uebermut
Sprach er zu sich: »Sie ist sehr gut.«
Ich aber, ihr legitimster Sohn,
Werd angeklagt im Pfaffenton.
Mas schuf er Sonn' und Stern' und Erde?
Wußte doch, daß Nichts vollkommen werde!
Er wußt es, und er zeugte doch
Und beugt in's ries'ge Schmerzensjoch
Die unglückselge Creatur.
Hoho, Großvater, warte nur –
Du munkelst oft vom jüngsten Gericht;
Gieb Acht, du Richter, daß dich nicht
Die Welt, wenn der letzte Morgen tagt,
Wegen fahrlässiger Schöpfung verklagt.

*

Der Tod.

Unter den Freunden der erdumwohnenden
Menschen vor allen preis' ich den Tod.
Ob Dionysos, ob Eros dem frohnenden
Jammergeschlechte mit köstlich belohnenden
Stunden versüße die Jahre der Not,
Ob in dem Boot
Seligen Traums die betrogenen Geister
Schaukeln von Eiland zu Eilanden fort –
Schlaf ist Geselle; – Tod aber, der Meister,
Fährt uns zum Port.

Denn die Erde ward kärglich und enge;
Doch der Gebornen unendliche Zahl
Häuft, überhäuft sich in schrecklicher Menge,
Schwillt, überschwillt sich in wildem Gedränge
Und begehrt von der Mutter das Mahl.
Hungernder Qual
Langsam erliegen, die von den Brüsten,
Von den ernährenden Quellen der Neid
Stärkerer Brüder vertrieb und in Wüsten
Würgt sie das Leid.

So aus des Eichwalds sumpfiger Lache
Drängt sich das gierige Rudel heran
Schlürfend und schluckend, der säugenden Bache
Borstiger Wurf – da fährt auf das Schwache
Wütend das Starke mit hauendem Zahn,
Neidisch die Bahn
Ihm zum ernährenden Euter zu wehren –
Rings um die Mutter Geschrei und Gestampf;
Aber gelassen schaut sie den schweren,
Blutigen Kampf.

Freundlicher Tod, das tobende Streiten
Stillst du, den bruderbekämpfenden Zwist;
Magst auf des Meersturms Schwingen du reiten,
Seuchen und Fieber schleichend begleiten,
Lauern im Netze verderblicher List,
Nächtlicher Frist
Zücken den Dolch – wie Furienbrände
Schreckt dein Name erschütternden Schalls,
Ich aber seh deine segnenden Hände,
Ordner des Alls.

Schaudernd verehr ich dich, menschenverderbende
Wandernde, bogenbewaffnete Pest,
Wenn über heulende Länder und sterbende
Städte der Scheiterhaufen werbende
Fahne des Rauches du wehen läßt.
Siehe! Schon preßt
Sich in den stygischen Kahn das Gedränge,
Schaaren auf Schaaren – er fasset sie kaum –
Und in des Volkes drückender Enge
Schufest du Raum.

Aber auch dich lobpreis' ich vor Allen,
Krieg! Du gewaltiger Schwinger des Schwerts,
Lässest den Donner der Stimme schallen –
Siehe, da liegen die Helden gefallen,
Hingestreckt von dem mordenden Erz;
Gestern von Scherz
Sprühte die Lippe, von festlichen Siegen
Träumte des Auges begeisterte Glut –
Heut um die Wunde drängt sich der Fliegen
Bläuliche Brut.

Freundlicher Tod, du heilsam geschäftiger
Gärtner, beschneidend um's üppige Beet
Wandelst du ewig und tilgst, was in heftiger
Wucherung aufschoß, daß voller und kräftiger
Blühe das Eine, wenn Andres vergeht.
Nimmer gefleht
Hab ich um Schonung für mich, und mit Wonne
Steig ich hinunter in Aides Nacht,
Wenn meinen Brüdern mein Scheiden die Sonne
Lieblicher macht.

*

Ismene.

»Kinderlos schreite des Lebens Bahn!«
Also schollen an delphischer Pforte
Weise, warnende Götterworte.
Warum verschmähte Gehorsam der Ahn?
Nie, was sie sahn,
Hätten gesehen die himmlischen Strahlen,
Frevel und Gräuel und Jammer und Qualen.
»Kinderlos schreite hinab in die kühle,
Einsame Gruft und schweigend verspüle
Dich die letheische Welle.«

Aber die Gattin brachte den Sohn
Dennoch; da waren entriegelt die Thore
Heimlich lauerndem, höllischem Chore;
Von des Schicksals urdunkelem Thron
Wälzte sich schon
Dröhnender Tactschritt eherner Füße;
Und die verborgenen, stygischen Flüsse
Ueberschreitend zum sonnigen Tage
Kamen sie, kamen die Geister der Plage,
Schuldig-unschuldge zu treffen.

Oedipus lebt! O hätte der Stahl
Hingerafft den lächelnden Knaben!
Fiel er zur Beute den Geiern und Raben,
Fiel er den Wölfen Kithärons zum Wahl!
Aber im Strahl
Trügenden Glückes wuchs er und stieg er,
Wuchs er zum Helden, zum König, zum Sieger,
Wähnte den Preis schon, den höchsten, zu halten,
Da enthüllt er die Höllengestalten,
Die sein Leben umgarnten.

Wohl uns! nun ist es vorüber! nun deckt
Vater und Mutter die schwarze Scholle;
Und die in unversöhnlichem Grolle
Brudermordenden Krieg geweckt,
Hingestreckt
Ruhn sie, die Brüder, im blut'gen Gefilde;
Auch Antigone ruht, die milde,
Mitgetroffene, blumenreine;
Ich, die letzte, ich wandle alleine
Noch hier oben im Lichte.

Und mich sollte mit schmeichelndem Trug
Hoffnung zu bräutlichem Kranze verführen,
Wieder die fressende Flamme zu schüren,
Wieder zu wecken entschlafenen Fluch?
Lieblich genug
Seh ich die lockende Liebe prangen,
Und unermeßliches Glückverlangen
Schwillt und dehnt sich im sehnenden Herzen;
Selige Rast nach unsäglichen Schmerzen
Winkt der zerschmetterten Seele.

Welket ihr Kränze, Flöten verhallt,
Reißet ihr Saiten der festlichen Leyer,
Weichet von hinnen, werbende Freier!
Schaudernd erfaßt mich's und würgend und kalt.
Göttergewalt,
Wie sie feindlich mich schlug, sie schlage
Feindlich mich fürder; ich duld und ich trage;
Aber muß ich ihrer Allmacht mich beugen, –
Künftiger Qual noch Söhne zu säugen,
Das erzwinget sie nimmer.

*

Der Vater.

Vater, du schwelgtest berauscht in dem süßen
Taumel der Liebe. – Ich muß es nun büßen;
Dein war die Wonne; mein ist die Qual.
Nicht meine Wahl
Trieb aus dem Nichts mich, die Sonne zu grüßen.

Aber ich bin. Und Elend und Plagen
Lasten unendlich auf all meinen Tagen,
Und meine Nächte sind Jammer und Not.
Müde zum Tod
Schmacht ich, an Leib und an Seele zerschlagen.

Einmal nur lösten die Schlangengedanken
Mir vom Herzen die Knoten und tranken
Lethe und schliefen. – Ich gab und ich nahm
Liebe; da kam
Frieden; da lernte für's Dasein ich danken.

Lenz meines Lebens, ich fluche dir heute!
Wilder nur packt und umstrickt ihre Beute
Der erwachenden Schlangen Gewalt,
Und die Gestalt
Meines Sohns, anklagt sie mich heute.

In der Lebendigen furchtbare Kette
Fügt' ich den neuen Ring, und die Stätte
Hab ich bereitet erneuerter Pein; –
Knabe, und kein
Gott als der Tod, der dich freundlich errette.

Fluch dem bestrickenden zärtlichen Sehnen!
Unheil erwächst, wo Segen wir wähnen.
Fliehe, mein Sohn, die bethörende Huld,
Daß du die Schuld
Meidest an Strömen künftiger Thränen.

Dasein ist Quälen, Dasein ist Leiden!
Gierig an eigenen Eingeweiden
Fressend ernährt sich die große Natur.
Selig sind nur,
Die aus dem Leben spurlos scheiden.

*

Der Wanderer.

Mein Weg ist weit, mein Fuß ist müde,
In mir ist Nacht und um mich Graus;
Und ach kein Gastfreund, der mich lüde:
Kehr ein und ruhe bei mir aus,
Ruh aus im weichen Schlafgewand,
Und heile deines Herzens Wunde,
Und lösche deines Hauptes Brand,
Und dein Gebresten all gesunde.
Doch spräch's auch Einer – aber mir
Hilft Balsam nicht noch Elixir –
Ihr Ärzte alle, die ich fand,
Werft eure Tränke vor die Hunde.

Und dennoch hält im Sonnenstrahle
Ein dunkler Fluch den Wandrer fest,
Daß er die giftgefüllte Schale
Vom Munde trostlos sinken läßt.
Sein gierig Wasser wälzt der Fluß,
Wie schmeichlerisch die Wellen necken!
Im Feuerrohre schläft der Schuß;
Warum nicht den Erlöser wecken?
Der beste Arzt ist Meister Tod,
Der Helfer in der tiefsten Not –
Wohl hört ichs oft – ich aber muß
Den Trug des süßen Wahns entdecken.

Der schwarze Freund, wohin er führe,
Er führt nicht aus der Ewigkeit,
Und was sein kühler Hauch berühre,
Wird neues Leben, neues Leid.
Die Welt ist wie ein Maskenball,
In dessen Reihn die Pest gesprungen;
Ob Weiser, König, Narr, Vasall,
Kein Opfer hat sich ihr entrungen.
Ob ich als Mensch, als Baum, als Stein
Verlarvt sei, mich ergreift die Pein;
Und eh ins Nichts nicht schwand das All,
Ist nicht das Leid des Alls bezwungen.

*

Der Centaur.

Von deinem Angesicht ein Zug,
Ein Himmelsabglanz ward auch mir,
Und meines Geists Gedankenflug
Hebt mich hinauf, o Zeus, zu dir.
Doch weh! an das gemeine Tier
Dein Bann mich unauflöslich schloß,
Und dunkle, dumpfe Sinnengier
Ist meines lichten Geists Genoß.
An Leib ein Roß –
Was frommt des Hauptes Götterzier?

Herakles lauschte mir mit Lust
Und Jasons hoher Heldenkreis,
Und in Achilleus junger Brust
Hegt ich und pflegt ein Edelreis;
Doch von den Helden Keiner weiß,
Was heimlich mir das Herz durchschreckt,
Wenn mich aus Himmelsträumen leis
Der Schall des eignen Hufs erweckt –
Mit Nacht bedeckt,
Und ewiglich verschwiegen sei's.

O heb' an deine Kniee mich,
Wo reine Geistesflamme loht!
O gieb, daß ganz mit Bestien ich
Auch Bestie sei in Sumpf und Kot!
Mein Herz erliegt in Zwistes Not;
Nun will's in Reu und Scham vergehn,
Nun trotzig will's auf dem Gebot
Roh waltender Natur bestehn!
Vernimm mein Flehn:
Mach Ende, sende, Herr, den Tod.

*

Berglied.

Geht ins Gebirg deine Bahn,
Anfangs umschatten dich laubige Wipfel,
Und aus der Schenke manch guter Cumpan
Drängt sich mit Lachen und Singen dir an;
Einsam jedoch auf verödetem Gipfel
Trotzest du eisigen Stürmen.

Einsam den Sturmen der Qual
Trotz ich auf eisigem Feld der Gedanken;
Schneidigen Lichts unerbittlicher Strahl
Brennt mir im Aug', und erstorben und fahl
Dämmert da drunten das Land und versanken
All meine Freuden in Nebel.

All meine Freuden entflohn!
All meine Wandergefährten geschieden!
Ferne wohl ruft mich's mit liebendem Ton:
Kehr uns zurück, du verlorener Sohn!
Doch zu der Täler geselligem Frieden
Hinter mir brach ich die Brücken.

Brücken und Stege zerschellt,
Zornige Wasser die Trümmer umtoben!
Tötlich umstarrt mich das einsame Feld;
Adler im Blauen, du sonniger Held,
Trage die sehnende Seele nach oben,
Auf zu dem Urquell des Lichtes.

*

Sturmlied.

O begeistrungsselges Grausen,
Das des Knaben Busen hob,
Wenn des Frühlings Siegesbrausen
Jauchzend durch die Wälder schnob!
Kühn zu thronen
In den Kronen
Schwanker Pappeln, Lust! o Lust!
Und ein Sturm des Tatendranges
Brach auf Wogen des Gesanges
Sehnsuchtswild aus meiner Brust:

»Beugt sich, Sturm, vor deinem Grimme
Ast zu Ast mit Angstgestöhn,
Eines Welterobrers Stimme
Hör ich in den Wolkenhöhn.
Mit zu fliegen,
Mit zu siegen,
Dunkler Heros, starker Nord,
Zu unsterblichen Gefechten
Mit Tyrannen und mit Knechten
Reiß mich auf und trag mich fort!«

Und du hast mich fortgetragen,
Und vollendet ist mein Lauf,
Bin zerschmettert und zerschlagen; –
Aber dich – was hält dich auf!
Früh gefallen
Hör ich schallen
Über meiner Gruft dein Wehn:
»Der Gedanke, dem dein Leben,
Opfernd du dahin gegeben,
Siegend wird er weiter gehn.«

*

Okeaniden.

Am hallenden Gestade
In Wind und Wogenschauer,
O Wandrer, deine Trauer
Ruft uns, dein Zorn uns wach.
Dir trieft auf dorngem Pfade
Dein Blut aus tausend Wunden
Und kannst nicht mehr gesunden,
Weil unterm Schicksalsrade
Dein stolzes Herze brach.

Zum grollenden Peliden
Empor die Mutter tauchte,
Bis mählich ihm verrauchte
Des Herzens heißes Weh.
Dir aber, suchst du Frieden,
Mag heut nur Eines frommen:
Herunter mußt du kommen
Zu uns Okeaniden
Herunter in die See.

*

Entsagung.

Und willst du fest im Leben stehn,
So leg ein gut Gewaffen an,
Ein stählern Ringelhemd;
Nicht vor- noch rückwärts darfst du sehn,
Und was dich weich erschlaffen kann,
Das sei dir ewig fremd;
Und preß die Hand auf's Herze;
Wie bitter es auch schmerze,
Gesteh es dir, gesteh dir's ein:
Das höchste Gut wird nimmer dein.

Und raunt' ein Dämon dir ins Ohr,
Daß dir das Blut zu Drachengift
Aufgähren müßt' in Pein;
Geschlossen ist des Himmels Tor,
Und ach das Flehn des Schwachen trifft,
Des Menschen nur auf: Nein.
Entsage nur, entsage!
Was frommt Gebet und Klage!
Der Götter ewgen Ratschluß bricht
Dein Sehnen und Verlangen nicht.

Und doch erschließe sonder Groll
Der Seele reichsten Tugendborn
Und spende deine Huld:
Dem Leid des Mitleids schönen Zoll,
Dem Frevel heißen Jugendzorn,
Dem Wahn Greisengeduld.
Es sind so viel der Thränen,
Es ist so mannich Sehnen,
Die Menschheit müßte dran erliegen,
Wär nicht der Mensch, sie zu besiegen.

*

Gesang der Werkleute.

Nehemia, Capitel 4.

»Als aber die Heiden vernahmen von fern,
Daß neu wir erbauten den Tempel des Herrn,
Da drängten sie an mit verderblicher Macht,
Und die Stätte des Baus ward zur Stätte der Schlacht;
Links schleppten wir Balken, links wälzten wir Last,
Die Linke hielt Hammer und Kelle gefaßt;
Doch hoch in der Rechten erblitzte die Wehr,
Das geschliffene Schwert und der eschene Speer.
Und wir fügten die Steine, wir mauerten gut,
Und wir mischten den Mörtel mit purpurnem Blut.
Wir erhuben der Säule gemeißelten Knauf
Mit Sterbegeröchel statt frohem »Glück auf!«
Und wir wölbten der Kuppel gewaltiges Rund,
Ins innerste Leben getroffen und wund.
Umschwirrt uns, ihr Heiden, umdräng uns Gezücht,
Du tötest uns, doch überwältigst uns nicht.«

So sangen in Zion mit trotzigem Laut
Die Männer, derweil sie den Tempel gebaut,
Den Tempel des Höchsten, das heilige Haus. –
Wann endet das Lied, wann klinget es aus?
Jahrhunderte kamen, Jahrhunderte flohn,
Wie die Väter gefallen, fällt heute der Sohn;
Wir bauen, wir fechten von Feinden umdräut,
Und mischen mit Blute den Mörtel noch heut.

*

Vorposten.

Ich steh allein auf dunkler Wacht,
Allein bei meinem Panier;
Dach fern im Lager zecht und lacht
Recrut und Officier.
Es schleicht und streicht im Dunkeln,
Feindliche Waffen funkeln;
Die Nacht ist schwarz, die Nacht ist stumm –
Ich steh allein – der Tod geht um.

Und zieht ihr mit dem Morgenrot,
Ihr Brüder frisch ins Feld,
Auf meinem Banner lieg ich todt,
Mein Waffen liegt zerschellt.
Ich bitt euch nur das Eine,
Bestattet mein Gebeine,
Und schmäht nicht, wenn der Staub mich deckt,
Daß ruhmlos sich das Schwert gestreckt.

Denn wo man stolz die Trommel rührt,
Und wo das Pfeifchen gellt,
Und wo der große Hauf' marschiert,
Ist jeder leicht ein Held.
O siegestrunknes Wandern,
Wenn Einer schirmt den andern!
O weh, wie liegt er ungeehrt,
Wer einsam in die Grube fährt!

*

Schlachtfeld.

Vor Jahresfrist warf hier das schwere,
Der Tod, das mordende Geschoß;
Vom Herzensblut ergrimmter Heere
Ein breiter Strom das Tal durchfloß.

Und heut – wer kann die Toten künden?
Starb Ruhmesschall und Namen schon?
Unendlich wiegt in Aun und Gründen
Sein schwermutsvolles Haupt der Mohn.

Die Schädel, kaum in Staub zerfallen –
Die Beine, kaum zur Ruh gelegt, –
Und schon letheisch über allen
Ein Meer von Purpurblüten schlägt.

Du, des Vergessens holde Blume,
Du schmückst, o Mohn, das Schlachtgefild,
Ein schönrer Preis dem Heldenthume
Als Marmelstein und Broncebild.

Nach allem Schlachtgelärm der Erden,
Wie auch des Sieges Würfel fiel,
Vergessen und vergessen werden –
Kein Gott gewährt ein schöner Ziel.

*

Flut.

Hoch im Haupt, wie eine Adlerbrut,
Hegt' ich Hoffnung, Liebe, Jugendmut;
In des Herzens abgrunddunklen Tiefen
Wie Gewürm des Meers, die Sorgen schliefen.
Stolzer Aar,
Jugendlicher
Urkraft sicher,
Fremd der Furcht und der Gefahr,
Wähntest du in Himmelsregionen
Frei und trotzig wie ein Gott zu tronen.

Doch der Jahre Sündflut brach herein;
Herr der Tiefe, hör sein Todesschrein!
Herr der Höhn, die wilden Wasser tosen,
Um den letzten First des Heimatlosen!
Salz und Schaum
Im Gefieder,
Irrend flieht er
Durch den ungeheuren Raum:
Keine Zuflucht, keine Stätte,
Die ihn trage, die ihn rette.

Uferlos, unendlich geht das Meer,
Wind und Wolke nur streicht noch umher,
Und erlahmt im Schwall der Wasserwüste
Treibt der Fittig, der die Sterne grüßte.
Ihr Geäst
Baun Korallen,
Schwamm und Quallen
Hängen in dem Adlernest.
Mag die Sonne sinken, mag sie steigen, –
Todeskälte rings und Todesschweigen.

*

Geheim.

Wir schaufelten im Garten
Dem Born ein neues Bett;
Da grinste, wie wir scharrten,
Ans Licht ein gelb' Skelett.

Der Schädel war zerschmettert
Von meuchlerischem Beil,
Das jäh hereingewettert
Gleich wie ein Donnerkeil.

Doch kein Gewaffen redet
Sein ehern stummes Wort,
Daß ehrlich hier gefehdet;
Hier schlich der nächt'ge Mord.

Und stets mit neuen Keimen
Bedeckten Blum' und Saat
Die Spuren der geheimen,
Uralten Missethat.

Das blühte bunt und bunter
In lachend lustger Pracht;
Welch Auge wähnte drunter
Das Modergraun der Nacht?

Ich wandte mich mit Schaudern:
O Herz, sei auf der Hut,
Zu schwatzen, zu verplaudern,
Was dunkel in dir ruht.

*

Des Schülers Scheiden.

Du warst ein Kind, als ich dich fand,
Nun bist du unter meiner Hand
Zum Jüngling aufgeschossen;
Wie in die Form ein strahlend Erz
Hab ich in dein jung weiches Herz
Begeistrungsglut ergossen.

Als mein Geschöpf hab ich entzückt
Mit tausend Schätzen dich geschmückt,
Mein Bestes dir gegeben;
Dein blühend Herz war mein Altar,
Dein sonnenhelles Auge war
Der Glanz in meinem Leben.

Nun ziehst du in die weite Welt
In Reih und Glied dem Schwarm gesellt,
Die junge Kraft zu weisen;
Im Freundeschor der Becher blinkt,
Die schlanke Dirn zum Tanze winkt,
Zum Kampfe drängt das Eisen.

Ich weiß: wohin auch Not und Glück
Dich führe, nie zu mir zurück
Zu Neste wirst du fliegen;
Ich sehe schon dich bräutlich ziehn,
Ich seh dich schon auf eignen Knien
Ein eignes Knäblein wiegen.

In öder Klaus', in stummer Pein
Sitz ich vergessen und allein;
Die Nacht wird trüb und trüber;
Herberge hat des Greisen Herd
Der flüchtgen Freude wohl gewährt –
Ade! Ade! Vorüber!

*

Knabenhoffnung.

Als ich mich der Kunst geweiht,
War auf Schlimmstes ich bereit:
Feuchte Kammer kalt und kahl,
Wassersüpplein dünn und schal,
Freundlos in der weiten Welt
Nur der bleichen Not gesellt;
Doch zum Trost für all den Schaden
Aller Musen reichste Gnaden.

Heut bedenk ich, wie das Ding
Doch so völlig anders ging:
Teppichzimmer, Kerzenschein,
Bratendüfte, Edelwein,
Gute Freund' am Tisch entlang,
Capital gar auf der Bank;
Aber nach der Musen Gunst
Ring ich schmachtend stets umsunst.

Heilger Traum der Knabenzeit,
Werd', o werde Wirklichkeit!
All' des Lebens Flitterzier,
Alles opfr' ich, Alles dir.
Einmal aus den Himmelshöhn
Kommt, o Götter, himmelsschön!
Und dann gebe mir zum Lohne
Gern die Welt die Märtyrkrone!

*

Die Muse.

Wo in den Bach durch das Erlendickicht
Der moosige Stein vorspringt, der umrieselte,
Saß die Muse versunken in Träume,
Lauschte dem Murmeltanze der Wellen
Oder der Nachtigall oder der eigen
Lieblichen Stimme.

Siehe, da kam am anderen Ufer
Ein schmutziger Faun und trunkenen Mutes
Schmäht' er das Mägdlein; unflähtige Worte
Schrie er hinüber, damit sie erröthe.
Aber die Reine mit großen, blauen
Kinderaugen sah staunend ihn an,
Staunend und lächelnd.

Spät erst, als die Sonne sich neigte
Und die Libellen im thauigen Röhricht
Ruhten, wandte sie heim sich zur Mutter.
»Sage mir, Mutter, was wollte der Mann?«
Aber die Mutter: Der hämische Bocksfuß
Wollte dich kränken; nun hat er's zur Strafe,
Zur brennenden Strafe: Du hast seine Bosheit
Nicht einmal gemerkt.

*

Theosophie.

Ich denke Gott mir, sprach die Mücke,
Vieltausendmal so groß als mich;
In ewgem Glanz, in ewgem Glücke
Surrend tanzt und sonnt er sich.
Kein Spinngewebe droht ihm Haft;
Selbst Meister Spatz hat mindre Kraft.
Ich bin – sagt meine Bibel – nur
Sein Ebenbild in Miniatur.

O Blasphemie! sprach da die Katze:
Gott-Kater ist wie tausend Leun
Mit Stahlgebiß und Eisentatze,
Und maut er, schallt's wie Sturmesdräun;
Selbst wenn er selig ruhend schnurrt,
Erdröhnt's, wie wenn der Donner murrt.
Ich bin – sagt meine Bibel – nur
Sein Ebenbild in Miniatur.

O Blasphemie! sprach da der Weise,
Der Denker Mensch: die Hand des Herrn
Hält liebend alle Welt im Gleise,
Sie führt den Wurm und lenkt den Stern.
Wie ich als Kinderstubenheld,
Treibt er's im Großen in der Welt.
Ich bin – sagt meine Bibel – nur
Sein Ebenbild in Miniatur.

O Blasphemie! sprach da im Chore
Der Himmel; doch der Riesenschall,
In meinem staubgebornen Ohre
Fand er nur schwachen Widerhall.
Myriaden Sonnen im Gedräng,
Sie sangen alle den Refrain:
Ich bin – sagt meine Bibel – nur
Sein Ebenbild in Miniatur.

*

Das Maultier.

Heil uns! Heil uns! die vermeintlichen,
Die Extreme sind versöhnt;
Heil! Es haben die altfeindlichen
Aneinander sich gewöhnt.
Roß und Esel, sie bezwingen
Liebend den verjährten Groll;
Dir, o Maultier, will ich bringen
Meines Liedes schönsten Zoll.

Freilich winkt dir auf der staubenden
Rennbahn nie der Siegespreis,
Und im Kampf, im feuerschnaubenden,
Wird es leicht dir allzuheiß.
Doch herab mit edler Wehmut
Blickst du auf den grauen Wicht;
Solch geduckt-dickfell'ge Demut
Schändet deine Seele nicht.

Quellen, drin die Musen badeten,
Schlugst du freilich nie hervor;
Trägst den Dichter, den begnadeten,
Nie ins Wunderland empor.
Doch es gerben dir auch keine
Müllerknechte roh das Fell;
Bergtouristen, blasse, feine
Damen trägst du in's Hotel.

Freilich bist du nicht das flammende
Roß, drauf mit dem Strahlenschwert
Er, der neue, lichtentstammende
Heiland siegend wiederkehrt;
Doch mit freudgem Stolz gestehst du's,
Daß, von neuem Geist erregt,
Keinen antiquirten Jesus
Mehr dein gläubger Rücken trägt.

Jedem taugst du, dem beständiger
Eselschleichschritt nicht genügt;
Doch der bei des Pferds unbändiger
Sturmfahrt aus dem Sattel fliegt.
Freilich, eigne Junge säugen
Hat Natur dir nicht gewährt;
Nur der Esel kann dich zeugen,
Der verliebt ist in das Pferd.

*

Der Adler.

Siehst du den Aar in Aetherflut?
Auf morgenhellen Wolken ruht
Sein Fittich wie auf Pfühlen weich,
Und über seinem Königreich
Hinzieht er leise, leise
Die ungemeßnen Kreise.
Ihn schreckt nicht Pfeil noch Jägerblei,
Kein feindlich Tier, wie stark es sei,
Dräut ihm mit Zahn und Kralle,
Und zitternd scheun ihn alle.
Du neidest ihn, wie er in Licht
Und Glanze thront, – o neid' ihn nicht!
In alle seine Herrlichkeit
Hinauf schleppt er ein heimlich Leid.
Ein wimmelnd Wurmgezücht erkroch
Ameisenhaft sein Alpenjoch,
Sein schwindelhohes Felsennest;
In sein Gefieder bohrt' sich's fest
Und kroch und nagt' und sog sich ein
Zu ewig schlummerloser Pein.
Er schwingt sich auf ins Morgenrot,
Ihm folgt die Qual, ihm folgt die Not;
Er schwebt, ein Stern im Abendstrahl,
Ihm folgt die Not, ihm folgt die Qual;
Er ruht der Nacht im blauen Schooß –
O Staubgeziefer laß ihn los!

»Er büßt mit Recht. Und wenn kein Feind
Zum Kampf gewachsen ihm erscheint,
Wenn Alles ihm zum Raube fällt,
Hat rächend uns ein Gott bestellt,
Zurück ihn mit gelähmten Schwingen
Ins Gleichgewicht des Alls zu zwingen.«

*

Der Wolf.

Der öde Fichtenwald erkracht
Im bittren Frost der Winternacht;
Der Meute Jagdgekläff verhallt,
Und still ist Alles rings und kalt.
Da schleicht durch's Dickicht scheu und wund
Des Nachtgeists hagrer, grauer Hund,
Die klapperdürren Knochen
Vor Hunger schier gebrochen:
»Sie hassen mich, sie hetzen mich;
Mein Blut bezeichnet's, wo ich strich,
Und wo mein zottig Vließ erscheint,
Bin ich der allgemeine Feind.
Warum? – Ich fordre ja nicht mehr
Als aller Creatur Begehr,
Als all die andren Tugendreinen,
Die sich im Fluch auf mich vereinen,
Will Atzung nur erwerben,
Will nur nicht Hungers sterben!«
So heult er auf in Leid und Groll,
Da grüßt's ihn himmlisch trostesvoll
Wie hehre Geisterstimme:
»Laß ab von deinem Grimme;
Du hungrig hagrer Wolf, auch du
Bist mein und mir gehörst du zu.
Von Haß und Liebe nicht bewegt
Mein Herz für alle Wesen schlägt.
Blick auf! dort wandelt feist und stolz
Ein Sechzehnender durch das Holz.
Spring an! dir weih ich ihn zum Raub!
Und schirme du das junge Laub,
Das wehrlos in der Maienzeit
Zu mir empor um Hilfe schreit.
Du steigst durch deines Bruders Fall,
Und seid doch meine Kinder all.«

*

Krüppelholz.

O Herr, der du zu deinem Ruhm
Gewölbt des Waldes Heiligtum,
Du, dem die wettertrotzgen Föhren
Lobsingen mit des Sturmes Chören,
Du, dessen Preis in sanften Liedern
Die Buchenwipfel sich erwidern,
Allmächtiger, wende deinen Blick
Auf unser jammervoll Geschick!
Wir krüppeln, wir verdorren
Zu zwerghaft schnöden Knorren;
In Moder kriechen wir und Kot,
An unsrem Marke nagt der Tod.
Deß trägt die Schuld der Eichenbaum,
Er wölbt sich stolz im blauen Raum,
Geäst und Zweige schattendicht,
Und raubt uns Luft, und raubt uns Licht.
O send uns deinen Retterhauch;
Wir sind ja deine Kinder auch!«
Doch stille bleibt es, todesstill;
Da kommt kein Hauch, der retten will;
Nur in den Eichenästen weben
Geheime Geister Glanz und Leben,
Geheime Geister Glück und Sieg.
Du armes Krüppelholz erlieg;
Wen kümmert deine Todesqual,
Wenn prangend in des Himmels Strahl
Des Waldes Fürst, der starke, hehre
Lobpreist des Allgerechten Ehre!

*

Mutwillen.

Es hatt' ein Knab' ein Federspiel,
Einen edlen Sperber,
Doch aus den Schwingen Kiel um Kiel
Riß der Verderber.
Fliege, mein Vogel, nun fliege.

Ein Mann auf mächtigem Hengste ritt,
Auf stolzem Dänen;
Doch er dem starken Huf zerschnitt
Die Fessel-Sehnen.
Trabe, mein Roß, nun trabe!

Hielt ein Mäcen den Genius
In goldnen Jochen;
Doch Flügel hat er ihm und Fuß
Und Herz gebrochen.
Schaffe, mein Künstler, nun schaffe!

*

Trotz.

Als stolz in Blatt und Blüten ich geprangt,
Wie hat vor dir, o Sturm, mein Herz gebangt!
Dir beugte sich mein stöhnendes Gezweig
Und mein Geäst erbebte deinem Streich.
Nun steh ich kahl und winterlich entlaubt,
Ein dürrer Stamm, ein graubereiftes Haupt;
Wie zornig auch dein Flügel mich umfleucht,
Da ist kein Ast, kein Zweig, der dir sich beugt.
In Staub und Moder längst hinunterschlug
Dein Grimm, was Liebes ich und Schönes trug,
Nichts zu verlieren hat dies hagere Holz,
Laß ab; du beugst nicht den verarmten Stolz.

*

Der Ölbaum.

Dein Mark ist krank, dein Stamm zerspellt,
Die weiten, tiefen Wunden gähnen;
Kaum noch mit morschen Wurzelsträhnen
Dein Fuß den Fels umklammert hält;
Und jeder Windeshauch bedroht
Verhöhnend dich mit Sturz und Tod.

Du aber harrst geduldig aus
Trotz Wunden und trotz Windesbraus;
Die zarte Krone neiget fast
Sich unter ihrer Segenslast;
An allen Zweigen hängt's von schweren,
Scheinlosen, balsamreichen Beeren;
Und aus des Laubes Silberglanz
Webt sich des Friedens holder Kranz.

O heilger Ölbaum, rausche Du
Mein wund gerissenes Herz in Ruh;
O lehre mich noch Liebe spenden,
Wenn schon der Tod mein Mark zerwühlt,
Und laß die Krone sich vollenden,
Die friedlich mir die Schläfen kühlt!

Buchschmuck

Buchschmuck

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