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Der Meisterdieb.

Buchschmuck

Der Meisterdieb.

I.
Die Heimkehr.

O blanke Jahrmarktsherrlichkeit
Mit Sang und Klang, mit Pomp und Plunder,
Steig aus verträumter Kinderzeit,
Steig auf im Glanze deiner Wunder!
Einst lag es mir wie Märchenwelten
Hinter den Buden, in den Zelten;
Jedes Kuchenweib war eine Fei
Aus Cipangu oder Cathai,
Jeder Charlatan ein Meister
Ueber des Abgrunds drohende Geister,
Jede Harfendirn ein verzettelt
Königskind, das die Welt durchbettelt.
Ahnungsselig konnt' ich dem Rauschen
Der linnenen Circuswände lauschen,
Als hausten hinter den bunten Toren
Kaiser und Ritter, Damen und Mohren,
Und des Stelzbein-Trompeters Ton
Mahnt' an das Horn des Oberon.
Selbst an den schmierigen Kleiderbuden
Die rechnenden, schachernden, zeternden Juden
Und die Gauner und Strolche gar
Stellten im rosigen Licht sich dar,
Hoch entrückt aus Schmutz und Gemeinheit
In phantastisch verklärter Reinheit.
Steig auf, steig auf, du bunte Pracht,
Ergreife mein Herz mit neuer Macht.
Ihr Saiten schwellt, erklinge, Lied,
In bunt verworrenem Versgetriebe!
Von Leichtsinn, Neid und Glück und Liebe,
Von Treue sing und von Verrat
Und übermütig kecker Tat,
Stimm an, so gut dir's Gott beschied,
Die neue Mär vom Meisterdieb.

*

Der Samstag Abend begann zu dämmern;
Doch rastlos scholl's von Sägen und Hämmern,
Von Hantiren und Fluchen und Schelten;
Denn eine Stadt aus beweglichen Zelten
Wuchs empor in des Marktes Kreis.
Schnell, zusehends, wie Pilze schießen,
Wenn die Strahlen des Sommers heiß
Brüten auf mosigen Waldeswiesen,
Huben sich Pfosten und Latten und Sparren.
Da kamen linnenbedachte Karren,
Fremdbunte Leute schauten heraus,
Wanderndes Volk in wanderndem Haus,
Alte Hexen, die Taback rauchten,
Meerkatzen, die grinsten und fauchten,
Nackte Kinder mit Trommeln und Schellen,
Kakadus und Papagein.
Braune dunkelbärt'ge Gesellen
Schauten finster schweigend drein;
Frauen mit turbangeschmückten Stirnen,
Leichtgeschürzte geschmeidige Dirnen,
Tamburin und Triangel rührend;
Meister Petz an der Kette führend
Und das schäbige Dromedar
Drängten durch der Gaffer Schaar
Männer im buntgewirkten Talar,
Während fern präludirend schon
Für das Chaos künftiger Musiken
Vergiftete Geigen anhuben zu quiken
Und greinende Flöten im Wimmerton.

Aber die Nacht war herabgestiegen,
Mählich die lärmenden Stimmen schwiegen,
Still war der Markt, die Gassen leer,
Und vom Münster langsam und schwer
Gab mit zwölf weitschallenden Schlägen
Der scheidende Samstag dem Sonntag den Segen;
Alle die Hütten lagen im tiefen
Dunkel, die fahrenden Leute schliefen.
Unstete Wanderer, ruhet aus,
Träumt euch zurück in's Vaterhaus,
Träumt euch zurück in der Mutter Arm.
Morgen ist wieder die alte Leier –
Der Bischof weihet der Messe Feier,
Und marktend und feilschend regt sich der Schwarm.

Still ist der Markt, die Gassen sind leer.
Aber dort, wer wandelt daher
Schleichenden Schrittes vom Gezelt,
Das sich spannten die Gaukler und Reiter?
Wo der dunkelste Schatten fällt,
Drückt es sich an den Häusern weiter.
Schlanke Glieder in Jugendfülle
Lugen aus dunkler Mantelhülle;
Des Hutes flitterverbrämter Saum
Deckt all die Ringellocken kaum,
Und von dem seidenen Wamse blickt
Blum' an Blume, farbig gestickt.
Du fahrender, heimatloser Cumpan,
Wohin um Mitternacht? Sag an!
Er aber eilt in scheuer Hast
Des Weges fort, der fremde Gast,
Durch dunkle Winkel, enge Gänge,
Finsterer Mansardenhäuser Gedränge,
Kein Kätzchen drückt sich so gewandt,
Jeglicher Schleichweg scheint ihm bekannt.
Fürsichtig schaut er vor und zurücke
Und eilt geräuschlos über die Brücke.
Nun hält er an der engsten Tür.
Ein später Lichtschein glimmt herfür;
Was mag ihn an die blinden Scheiben
Der alten Schusterwerkstatt treiben?

Da sitzt ein Männlein, grau wie Eis,
Und plagt sich noch mit nächtgem Fleiß
Und pfriemt und hämmert fort und fort,
Als stünd zu Lohn ein Königshort.
Rings um ihn her auf Tisch und Truh
Zerrissene Stiefel, zerplatzte Schuh,
Klaffende, durchgetanzte Sohlen,
Scherbengerümpel und Thranphiolen,
Töpfe für Talg und Beiz' und Wichs,
Und ein wurmstichig Kruzifix
Schmückten zum Paradies für Maus
Und Ratte die dumpfige Kammer aus.

Der Jüngling lugt' und spähte lang
Und lauschte durch die schmale Spalte:
Kein anderer wachte, denn der Alte.
Da wagt' er es und pochte bang:
»Ich bitt' Euch Vater, öffnet mir!«
Aufhorcht der Alte: »Wer ist hier?
Wer ruft so spät in fremdem Ton?«
»Ach Vater, öffnet Eurem Sohn!«
Da fuhr der Greis erschreckt empor;
Ihm schwirrt's im Aug', ihm saust's im Ohr,
Zur Erde glitt ihm Ahl' und Faden,
Und hastig stieß er auf den Gaden;
Ihm bebt' die Hand, da loh der Kien
Hin auf die finstere Gasse schien
Und flackernd mit dem rothen, grellen
Streiflicht beglänzte den Gesellen.
»O, Vater, könnt Ihr mir verzeihn?
Laßt wieder Euer Kind mich sein,
O laßt mich knien zu Euren Füßen,
Die lieben Hände reuig küssen!«

Der Alte stand mit starrem Blick.
Dann riß er jäh die Hand zurück:
»Landläufer du! Ehrloser Wicht,
Hinweg! ich kenne deiner nicht.
Da du entflohst, verlorner Sohn,
Bist du auf ewig mir entflohn.
Dein Vater sei der Bärentreiber;
Des Gaukelzelts verlaufene Weiber,
Die Taschenspieler, Bänkelsänger,
Die Beutelschneider, Rattenfänger
Sind Sippen und Geschwister dir.
Hinweg und kehre nicht zu mir!«
Der Sohn darauf: »O Vater, nimm
Mich wieder an; ich bin nicht schlimm.
Wohl hab ich bitter dich gekränkt,
Und doch! mein ganzes Leben hängt
An dir, mein ganzes junges Leben!
O sage mir: ich will vergeben!«
»Dich treibt nicht Reue, dich treibt Not.«
»O Vater nein, ich fand mein Brod;
Ich könnte leben in Saus und Braus,
Das Heimweh nur treibt mich nach Haus;
Mich treibt das brennende Verlangen,
Dich freundlich wieder zu umfangen.
Und bin ich dir zum Sohn zu schlecht,
So nimm mich auf als deinen Knecht.«
Des Alten zitternd Auge lag
Auf seinem Sohn, und im Gemach
Ward nur von leisem Wanduhrpochen
Das tiefe Schweigen unterbrochen.
»Mein Sohn, du bist ja doch mein Kind!
Den Vaterfluch verweht der Wind;
Kehr heim, kehr heim zu meinem Dache;
Wenn Morgen wir zur Messe gehn,
Sollst du vom König dir erflehn,
Daß er dich wieder ehrlich mache.
Von seinem reinen Schwert ein Streich
Löscht allen Makel allsogleich,
Wäscht alle fort die garstigen Flecken
Des heimatlosen Gauklergecken.
Hast du die Gunst von ihm erbeten,
Magst frei du vor die Meister treten,
Auf daß du im Gewerke künftig
Auf's neue ehrbar seist und zünftig
Und ledig alles Schimpfs und Banns,
Mein lieber Sohn, mein blonder Hans!«

So hielten sie sich lange fest
Umschlungen, Brust an Brust gepreßt
Der krumme Greis, der schlanke Fant.
Das Lämpchen war herab gebrannt,
Da sprach der Alte: »Geh zur Ruh,
Mein Kind, dein Lager findest du
Noch auf dem Boden im Verschlag,
Wie du's verlassen, unberührt;
Der Engel, der dich heimgeführt,
Beschirm dich unterm Vaterdach.«
Er leuchtet ihm hinauf die Leiter:
»Gut' Nacht, gut' Nacht und morgen weiter.«

Im Kämmerlein indessen stand
Ein Lauscher horchend an der Wand
Im Hemde, wie er vom Schragen geschlichen,
Mit bloßen Füßen und kümmerlichen
Dürrnackten Beinen; lahm und schwach
Schleppt' er im Gang das eine nach.
Auf dem Schädel starrt' ein Wuchs
Brandrothen Strupphaars, dem Meister Fuchs
Glich die Nase, die lange, spitze
Und das Aug' mit dem listigen Blitze.
Heimlich murrt' er in sich hinein:
»Willkommen, verlumptes Brüderlein,
Gefällt dir nimmer vagiren und schwärmen?
Willst wieder an unserm Herd dich wärmen?
Willst wieder aus unserer Schüssel essen,
Die mager genug schon ohne dich?
Der Alte kann seinen Zorn vergessen;
Landstreicher, aber denk an mich!
Du allgeliebtes Sonntagskind,
Du allverzogner Sausewind,
Dem Alles alle Welt verzeiht,
Hier droht der Haß, hier droht der Neid,
Der lauernd schleicht und hinterrücks,
Hier droht das Stiefkind deines Glücks;
Fort sollst du wieder von Dach und Fach!
Mein listig Herz nun sinne nach,
Wie ihm der König morgen die Ehre
Und die Heimkehr für immer wehre.«

Der Alte war zur Ruh gegangen;
Der Horcher lag wie tief befangen
Von Schlaf und Traum auf seinem Schragen
Und lauschte bis der Vater schlief,
Hervor dann kroch er lahm und schief:
»So muß es gehn, so will ich's wagen,
Herr Bruder, schlaft nur immer zu.«
Und leise regt' sich's an der Truh,
Und dreht' am Schloß und bog und zwang –
Und leise, leis wie Geld es klang.

*

II.
Die Anklage.

Zur Messe hatten sich in den Dom
Gedrängt die Bürger und die Gäste;
Nicht an dem höchsten Kirchenfeste
Drängte so dicht der Menschenstrom;
Das stand und schob und drückt' und preßte,
Das letzte Winkelchen war voll.
Die Orgel brauste, der Weihrauch quoll
Zum Kreuzgewölb' in duftiger Wolke.
Und segnend über allem Volke
Sang der Bischof die Liturgie:
Benedictus, qui venit in nomine Domini.

Unter dem Purpurbaldachin
Thronten in Sammet und Hermelin
Und Krongeschmeid und Edelstein
Der König und sein Töchterlein.
Die Königin (man wußte viel
Zu zischeln sonder Maß und Ziel),
Die Königin hatte bei der Messen
Noch niemals neben dem Gatten gesessen,
Sie hörte sie bei den Kapuzinern;
Auch war von höchst glaubwürdigen Dienern
Aus dem Schloß herumgetragen,
Daß Mann und Frau, um nicht zu sagen,
Sie hätten sich geradezu geschlagen,
Doch mit Launen und Zwistigkeit
Und ewigem Neid und Leid und Streit
Sich alle Tag im Jahre plagen.
Sie hege jüngster Jugendminne
Erinnerung tief im wunden Sinne;
Gott weiß, – die Tage, die Jahre rollen –
Wohin der junge Falkner verschollen.
Und Er trüg' auch im harten Herzen
Jung-erster Liebe stille Schmerzen,
Gott weiß – die schwarzbraune Hirtenmaid
Gestorben, verdorben in Lieb und Leid.
Das Töchterlein aber zwischen ihnen
Müsse zween feindlichen Herren dienen.
Doch Weiberklatsch, Lakaienlügen –
Wenn jeder Stern ein Schreiber wär
Und hätt' als Tintenfaß das Meer,
Sie könnten's nicht all zu Buche fügen!

Der alte Herr von stolzer Art,
Ein scharf Profil mit langem Bart,
In würdiger Andacht schaut' er drein;
Das Fräulein aber, blumenfein,
Neigte das Köpfchen auf die Seiten
Und ließ durch's Volk die Blicke gleiten;
Doch schien das blaue Aug' verstohlen
Vor der rastlosen Wanderschaft
An einem Fleck sich zu erholen:
Und dieser Fleck – wie wunderschlau
Der Zufall spielt! – war ganz genau
Derselbe, wo am Säulenschaft
Umspielt von Sonnenstäubchentanz
Der Gaukler lehnt', der blonde Hans.
Wie war er schön! Sein lockig Haar
Floß um das Antlitz golden klar,
Sein Aug war lauter Treu und Güte,
Und seine Wange Rosenblüte,
Und hoch durch's Fenstermaßwerk kam
Das Licht so farbig wundersam,
Daß der verfahrene Geselle
Dastand in Paradieseshelle.
Kein blonder Sanct Sebastian,
Wie ihn die welschen Meister malen,
Himmlisch verklärt von Glorienstrahlen,
Reicht' an den blonden Hans hinan.
Wie doppelt garstig schien der Wicht,
Der rothe, der sich frech und dicht
Gedrängt an seiner Seite hielt!
Wie scheu sein zwickernd Auge schielt!
Und immer nestelten die raschen
Finger an des Andern Taschen
Fürsichtiglich und spinnenflink;
Allein des Blondes Auge ging
Nicht rechts noch links und träumte weit
Hinaus in selige Fabelzeit.

Das Königsfräulein hatte der Messen
Und aller Andacht gar vergessen,
Und schaut' und schaute nur auf ihn.
Das heilge Amt beendet schien;
Ein Rutschen gab's, ein Stühleklappern,
Ein flüsternd Durcheinanderplappern,
Die Frauen zupften ihre Tücher,
Die Männer schlossen ihre Bücher,
Da drängte sich der blonde Fant
Quer durch das dichte Volksgewühl
Zum Throne, wo der König stand.
Dem Fräulein ward es kühl und schwül,
Fast konnte seinen Hauch sie spüren,
Fast seinen goldnen Scheitel rühren;
Dann sank er flehend auf die Knie:
»Um Jesu Willen und Marie,
Erlauchter König, seid mir gnädig,
Sprechet von Schand und Schimpf mich ledig,
Und schenkt mir neu mein Bürgerrecht;
Ich bin ein armer Schusterknecht,
Bin nur ein jung, leichtsinnig Blut,
Entlief aus meines Vaters Hut,
Weil Wald und Blum' und Nachtigallen
Mir mehr als Ahl' und Pfriem gefallen.
Dachte: die Lerchen im Lenzesschein
Brauchen auch keine Schuster zu sein.
Durch die Märkte mit Sang und Klang
Wandert' ich leicht die Welt entlang
Und strich zum Tanze Bratsch' und Violen;
Dachte: Das giebt verschlissene Sohlen
Und ohne bei meinem Leisten zu bleiben,
Kann ich's der Zunft zu Nutze treiben,
Dieweil verschlissene Sohlen zum Frommen
Für mein väterlich Flickhandwerk kommen.
Lernt' auch Taschenspielerkniffe,
Bauchrednerkunst und Vogelpfiffe,
Lernte die Zither und Harfe schlagen,
Und auf Rossen im tollsten Jagen
Ohne Sattel und Zaum und Zügel
Tanzen, als trügen mich leichte Flügel.
Aber, erlauchter König und Herr,
Mählich ward mir das Herze schwer!
Sah ich, wie die Lerche so traut
Ihr still-heimliches Nest gebaut,
Ward mir alle mein Wandern vergällt,
Ward mir zum Gräuel das unstete Zelt.
Und nach der Heimat mit tausend Thränen
Erfaßte mich unendlich Sehnen.
Widerwärtig erschien mir jeder
Blumenduft gegen Juchtenleder,
Trostlos das Feld in Frühlingshelle
Gegen die schwarze Schusterzelle.
Und mein ehrliches Schurzfell acht'
Ich saubrer als alle Gauklerpracht.
Habe der Thorheit genug gezollt,
Herr und König nun seid mir hold!
Rührt mich heimatlosen Mann
Einmal mit Eurem Schwerte nur an;
Gebet mir armen, verlorenen Sohn
Wieder Ehr' und Reputation!«
Und auch der alte Schuster sank
Auf's Estrich nieder und umschlang
Des Königs Knie. »Sei ihm verziehn,
Er ist mein Sohn; ich bitt' für ihn.«

Der König schaute zweifelnd drein:
»Wohlan, du bist ein schmucker Fant,
Und so will ich dir gnädig sein
Und knüpfen das zerrissene Band
Von dir zu deinem Vaterland,
Wenn keiner übel dich beschreit
Und schnöder Frevelthaten zeiht.«
Er schaute durch die Kirchenhalle;
Aber die Leute schwiegen alle
Und wollten alle den Cumpan
Gerne wieder zum Mitbürger han.
Da zog der Herr sein mächtig Schwert –
»O König halt! Er ist's nicht wert,
Erspar des Schwertes heiligen Hieb;
Er ist ein Schelm, er ist ein Dieb!«
Aufschäumend fuhr der Hans herum,
Da stand sein Bruder lahm und krumm:
»Er ist ein Dieb, ich hatt' es Acht:
Beim Vater war er heute Nacht,
Und als der Alte schlafen ging,
Da war der Taschenspieler flink,
Da griff sein langer Finger zu,
Und stahl den Beutel aus der Truh'.
Weß ich ihn zeih', ich will's beschwören,
Laßt ihn nur seine Taschen kehren!«
Hans riß die Tasche zornig auf –
O weh; da fiel das Geld zu Hauf
Und rollte hell mit Silberklang
Auf's Estrich nieder blink und blank.
»Du schnöder Gaudieb, unterm Galgen
Sollen die Raben sich um dich balgen!«
Der König rief's, das Volk rief's nach. –

So jählings reißt kein Donnerschlag
Des Blütenbaumes Aeste fort,
Als dieses tausendstimmige Wort
Mit unbarmherzigem, blindem Wüten
Zerhagelt' alle Hoffnungsblüten.
Der blonde Hans stand leichenweiß
Und wieder roth und siedeheiß;
Ihm schnitt's wie Messer durch die Kehlen,
Daß er kein Wort herfür konnt quälen.
Und als er gar der Königsmaid
In's Antlitz sah, o grimmig Leid!
Auch sie – sie blickt' ihn zweifelnd an.
Da wich von seiner Brust der Bann.
»O Herr, ich bin der Untat baar!
Beim ewigen Gott, ich rede wahr,
Ich schwör's: verdorren soll die Hand,
Die jemals unrecht Gut entwandt;
Ich brauchte, wenn ich wollte stehlen,
Des Vaters Pfennige nicht zu wählen!
Denn wißt: ich bin ein Meisterdieb!«
Ein Meister? Haben solche Gäuche
Wie jeder ehrliche Betrieb
Auch Grad und Gruß und Handwerksbräuche?
Räumt sein Gewerb der Schalksknecht ein
Und hofft sich dadurch zu befrein?
Ihm ist's im Hirn wohl nicht ganz klar!
Der König sprach: »Du schlimmer Narr,
Ob Meister oder nicht – der Strick
Umschnürt noch heute dein Genick!«
»O Herre, deutet mein Bekenntniß
Nicht mit so argem Mißverständniß:
Wir Meisterdiebe sind brave Leute
Und stehlen niemals um die Beute;
Es ist die Virtuosität
Und Kunst, um die's bei uns sich dreht.
Als uralte Zunft sind wir bekannt
In India und in Perserland.
Und in Aegypten gab's ein Lied
Vom Meisterdieb und Rhampsenit.
Die alte Zunft besteht noch heut,
Und Jung und Alt sich d'ran erfreut,
Dieweil kein Ding auf Erden ist,
Das nicht ein Meisterdieb mit List
Gewinnen kann und klugen Ränken.
Keine Probe mögt Ihr erdenken,
Die nicht ein Meisterdieb bestehe:
Wir stehlen das Ei der brütenden Krähe,
Wir stehlen das volle Faß aus dem Keller,
Wir stehlen dem Geizhals den heimlichsten Heller,
Wir stehlen den Leichnam von der Bahr',
Wir stehlen den Pfarrer vom Altar.
Aber – das ist unser Pakt und Ehr:
Wir geben die Beute wieder her.
Und wenn ein Meisterdieb verrucht
Als gemeiner Dieb zu stehlen versucht,
Das rächt die Zunft mit Schwert und Strang.
Mir ist um meinen Sieg nicht bang.
Ersinnt mir nur die schwersten Proben,
Ihr werdet mich als Meister loben.
Der Galgen bleibt Euch immer noch.«
»Der Galgen bleibt mir wohl, jedoch
Wenn frank und frei herum dich treibst,
Wer bürgt, Cumpan, daß du mir bleibst?
Du siehst, das Volk ist mäuschenstill,
Und Keiner ist, der bürgen will.«
Doch nein! – »Ich sage für ihn gut;
Der König räch's an meinem Blut,
Wenn er dem Halsgericht verfällt
Und doch sein eidlich Wort nicht hält.«
Laut rief's das alte Schusterlein –
»Mein Kind ist solcher Untat rein,
Und ob auch der Verdacht ihn schwärze,
Ich schau ihm tief in's tiefste Herze
Und darf sein liebes Haupt umfahn
Und rufen: er hat's nicht getan!«
Und als er's rief, da traf sein Aug'
Den andern Sohn, den rothen Gauch,
Und traf ihn jäh, wie Blitzesbrand;
Der ward wie Kalk an weißer Wand.
Lang sah der König auf den Greis;
Da flüstert's ihm in's Ohr so leis:
»Lieb Vater, tu es mir zu Lieb;
Der arme Mann, er ist kein Dieb;
Sein offen Antlitz, klar und grad
Weiß nicht von solcher Missetat.
Erprob' ihn nur und wende
Der Herr es wohl zu Ende.«
Der blonde Hans erhub den Blick
Und schlug ihn zaghaft schnell zurück
Wie Einer, der des Himmels Höhn
In Sonnenstrahlenglanz gesehn.
Der König sprach: »Wohlan! Es sei;
Du kecker Meisterdieb bist frei;
Beweise deine Gaunerehre,
Und was du groß geprahlt, bewähre!
Du tatest dich so stolz erdreisten;
Drei Probestücke sollst du leisten,
Drei Probestücke schwer und groß,
Dann bist du des Verdachtes los,
Und ich will, kannst du die vollführen,
Zum Erben dich und Eidam küren.«
Der blonde Hans erschrak zu Tod,
Und auf des Fräuleins Wangen
Erblüht' wie Frühlingsprangen
Ein purpurdunkles Rosenroth.
Die Leute aber lachten laut,
Vom Witz des strengen Herrn erbaut;
Denn seiner Züge hartes Erz
Umspielt' als seltner Gast der Scherz,
Doch auch sein Scherz war herber Art
Und bitterlich mit Hohn gepaart.

»Zum ersten sollst du heute Nacht,
Indeß die Schaar der Knechte wacht,
Mein allerbestes Leibroß stehlen.«

Und Hans: »Es soll an mir nicht fehlen.«
Der König schritt hinab die Stufen
Und ließ herbei die Schergen rufen,
Die führten von dem heiligen Ort
Den alten Schuster mit sich fort.
Hans blieb allein im weiten Raum;
Ihm schlug das Herz, er athmet' kaum,
Ihm schlug das Herz so himmelhoch
Und ach, so bang, so zagend doch,
So wild, so sanft, so wunderbar;
Da kniet' er nieder am Altar
Und drückt' mit traumverworrenen Sinnen
Sein Antlitz in die reinen Linnen.

*

III.
Das Roß.

Warm war die Nacht und schwer und schwül,
Das Laub hing lechzend an den Aesten,
Dumpfaufmurrend vom Wolkenpfühl
Erhub sich der Donner im brauenden Westen,
Und in des Himmels schwärzlich Grau
Stieg der lichtlose Königsbau.
Verstummt war Alles, nur in den Ställen
Saß wachend die Schaar der Dienstgesellen.
Begierig der kommenden Abenteuer
Schürten mit Wein sie des Mutes Feuer,
Und mitten saß in dem schwatzenden Kreise
Ein altes Weib. In Zigeuner Weise
Schmückten des Turbans Fetzenfalten
Die wetterdunkle Stirn der Alten,
Die Glieder umhüllten bunte Lumpen;
Da bot ein Roßbub ihr den Humpen:
»Trink, alte Hexe! zu guter Zeit
Hat dich der Teufel hergeleit't,
In unserm Stall die Nacht zu rasten.
Doch willst du friedlich bei uns gasten,
Sing, weil uns Zeit und Weile lang,
Ein lieblich Lied zum Herbergsdank;
Denn lieblich wird aus deinem Rachen
Ein zärtlich Minnelied sich machen.«
Die andern riefen auch und baten:
»Ja sing' uns, alter Teufelsbraten,
Laß deine verstimmten Saiten klimpern,
Singe den Schlaf uns von den Wimpern.
Gott weiß, wie lang wir noch des Narren,
Des Meisterdiebes, gähnend harren.«
Die Alte grinst' und hustet' hohl:
»Ich weiß nicht, was ich singen soll;
Ihr seid mir all zu lockre Knaben,
Wollt immer verbuhlte Liedlein haben,
Schelmstück' und verliebtes Zeug.
Aber bei meinen Mären würd' Euch
Schaudernd das Haar zu Berge steigen;
Darum laßt mich lieber schweigen.
Ich sing und sage nur Spuk und Graun
Von Kobold und kreischenden Alraun,
Von den Walrückschen, die zu Zeiten
Der Sonnwend' eure Rosse reiten.
Ihr kennt sie wohl: kein Drudenfuß
Noch Huf noch sonst Gespenstergruß
Bannt sie zurück von eurer Schwelle;
Sie fahren wie Sturmwind durch die Ställe
Und rauben die Rosse zur nächtigen Jagd.
Und wenn ihr Morgens hervor euch wagt,
Find't ihr sie zitternd vor ihren Raufen
Schaumbedeckt und stöhnend schnaufen,
Halbtodt gehetzt; in struppigen Strähnen
Hanget der Schweif und starren die Mähnen.
Soll ich das singen? Sagt es frei.«
Die Buben riefen: »Gott steh uns bei!
Bist so vertraut mit Walrückschen Sitten,
Bist selber wohl auf dem Besen geritten!
Oder sattelst du zu geschwinder
Blocksbergsreise beim Meister Schinder
Deine Mähre, die Jahr und Tag
Unter dem grünen Anger lag?
Oder fährst du als Dame vom Stande
Stolz im Waschtrog über die Lande?
Oder reitest auf Säuen und Gabeln?
Uns graut es nimmer bei deinen Fabeln.
Und sängst du deine eignen Amouren
Und zärtlichen Hexenaventiuren,
Wir fürchten uns nicht, nur immer zu!«
»Wohlan so schweiget und haltet Ruh!« –

Das schrille Saitenspiel erklang,
Und raunend dumpf die Alte sang,
Zaubersprüche von dunklem Sinn
Murrte sie finster vor sich hin,
Unheimlich grollend, wie wenn im Moor
Klaget und stöhnet der Unken Chor,
Wie wenn im dürren Haidekraut
Aechzend daherstreift die Windesbraut
Ueber zerschellte Siegeszeichen
Und unbestattete Heldenleichen:
»Durch die brauenden Nebel bricht
Trübe dämmernd des Mondes Licht,
Nächtige Vögel schweben wild
Kreischend über dem Mordgefild,
Und wie bebende Geister fliehn
Irre Lichter darüberhin.
Aber lauter und lauter braust
Heulend der Sturm, die Haide saust,
Und die Wolken, die tollgeballten,
Lösen sich auf in Spukgestalten.
Sind es Riesen auf fliegenden Tieren?
Sind es der Walstatt blutige Walküren?
Die langen, grauen
Nebelfrauen!
Die hageren, mageren,
Wölfisch lungernden,
Leichenhungernden?
Sie kommen, sie kommen, sie singen von Weitem:
Wir weben das Schicksal, wir schweben, wir reiten,
Wir reiten über die Fersen in Blut,
Wir küren uns Helden hochgemut,
Wir küren uns Helden zum ewigen Leben,
Zum ewigen Leben, – wir reiten, wir schweben,
Und wer gegangen den letzten Gang,
Komm' mit, die Ewigkeit ist noch lang. –
Und in dem hingestreckten Gebein
Regt sich des Lebens spukhafter Schein,
Die todten Helden, die Kämpen erwachen,
Richten sich auf aus blutigen Lachen,
Heben die Glieder die tiefdurchstochenen,
Heben die Augen, die starrgebrochenen,
Die leeren Lungen,
Die schlaffen Zungen:
Willkommen ihr nächtigen Reiterinnen!
Wir kommen, wir Todten, wir wollen euch minnen.
Im Berge, die Zwerge
Bereiten die Feier,
Zieren Walkyren
Mit blutigem Schleier,
Lohnen mit blutigen Kronen und Kranz.
Aus Grab und Gruft
In die wehende Luft!
Wir kommen, wir steigen,
Wir kommen zum Reigen,
Wir kommen zum Feste, wir kommen zum Tanz!
Und die todten Rosse
In gräßlichem Trosse
Zuckend und schaudernd beleben sich,
Aechzen und röcheln und heben sich.
Auffliehn von der Beute mit kreischendem Schrein
Die Raben und flüchten und fliegen waldein.
Die Reiter packen
Bügel und Zügel
Und Mähnen und Nacken,
Und über die Hügel,
Ueber die stäubende, stöhnende Haide
Streichen sie hin im langen Gejaide.
Der rasenden Hufe Galoppschlag weckt
Nicht Hall, nicht Schall.
Wie der Blätter Fall,
Die herbstlicher Sturm von den Aesten schreckt,
Weichen sie, streichen sie wolkensacht
Fern hinaus in die gähnende Nacht.«

Doch jählings hielt die Alte ein.
Blau flammt' ein blendender Wetterschein
Und schwefelfahl; und knatternd brach
Lang hinrollender Donner nach.
Und schneidig pfeifend riß die Flügel
Des Stalltors weit der Sturmwind auf
Und trieb auf Hof und Straß' und Hügel
Ein wirres Staubgewölk zu Hauf;
Das wälzt und kreiset mehr und mehr,
Ein unabsehbar dunkles Heer;
Es streift heran in schwarzem Zug
Lautlos, wie Nachtgespenster Flug;
Funken ersprühen,
Flackern und zischen,
Flammen erglühn
Lodernd dazwischen,
Schwarzwilde Nüstern
Blasen und schnauben!
Wie Arme, lüstern
Leichen zu rauben,
Streckt sich's entgegen
Aus fliegenden Falten –
Herr Gott, du wollest gnädig walten
Mit deinem Segen!
Nachtgestalten,
Rasende, wilde
Nebelgebilde
Lautlos auf staubender Bahn
Jagen heran.
Flügelschlagende Riesenweiber
Schwingen die langen, gespenstigen Leiber
Im Sprunge, im Tanz.
Auf schäumenden Rossen;
Höllengenossen
Gaukeln hinüber
Gaukeln herüber
Näher und näher –
Wirf dein Antlitz zur Erde Späher! –
Näher und näher jagen sie,
Blutige Leichen tragen sie,
Die Unholdinnen,
Die Nachtreiterinnen!
Sie singen mit leisen
Kehlen und ächzen
Und röcheln Weisen
Wie Leichhuhnkrächzen,
Wie Eulenrufe! –
Die Rosseshufe
Sie wecken nicht Hall, sie wecken nicht Schall,
Leis züngeln die Peitschen sonder Knall.
Und Alle, sie All'
Stürmen hinein in den offenen Stall.
Und wieder hervor
Durch's andere Tor
Drängen und fahren
Die höllischen Schaaren. –
Schweiget und preßt
Den Athem fest,
Das mag uns schirmen, das mag uns wahren
Vor Schwind und Seuch' und Hexenpest!
Aber schaut das Abenteuer:
Unsere Hexe mit trunkenem Feuer
Schwang sich und sprang auf des Königs Rappen;
Weithin flattern des Mantels Lappen.
Halte! Halte!
Da schleudert die Alte
Ein ausgerissenes Pferdebein
Mit wieherndem Lachen in unsere Reihn!
»Wollt ihr mit mir jagen,
Sollt ihr mit mir nagen!«
Und mit Sturmgebraus
Sprengt sie hinaus.
Weiche, entrinne
Teufelinne!
Nachtmahr! Alp! maledeite Fee!
Amen! Eleison Kyrie!« –
Die Knechte riefen's mit Graun und Beben
Und sahen fern den Zug verschweben;
Verschwunden in Nacht, verweht, verstaubt;
So war des Königs Renner geraubt.
Die Knechte schlugen ein Kreuzlein fromm:
Meisterdieb, armer Meisterdieb, komm,
Du kommst zu spät mit aller List;
Der Teufel weiß, wo der Renner ist!

Das Wetter tät sich in Regen entladen,
Durstige Felder und Fluren zu baden;
Und als der dröhnende Donner schwieg,
Im Osten prangend die Sonne stieg,
Sich bespiegelnd in tausend Tropfen
Mit demantenem Farbenglanz,
Siehe, da kam ans Tor zu klopfen
Hoch zu Rosse der blonde Hans:
»Herr und König, tut auf das Schloß,
Ich bringe zurück das gewonnene Roß!«

Schon war dem Herrn der Raub erzählt,
Und schon im Bett hat er geschmält;
Marschalk und Knechte wollt er strafen:
»Verlognes Volk, ihr habt geschlafen,
Betrunken lagt ihr auf dem Stroh,
Als mit dem Roß der Dieb entfloh;
Wer glaubt an eure Nachtgespenster?«
Nun trat er zornig an das Fenster.
Kaum, daß er seinen Augen glaubt:
Da war das Roß und der's geraubt.
Die Stirn von heißen Tropfen rann:
Da war das Roß, da war der Mann.
Vor Ärger ward ihm siedend heiß:
»Willkommen, junger Naseweis,
Nun sage mir bei Gottes Tod
Und tausend donnerschwerer Not,
Wie hast du Schalk es angefangen,
Daß glücklich du den Raub begangen?«

»Erlauchter König, gnädiger Herr,
Das Stücklein war doch nicht so schwer;
Ich konnte leichtlich als Walkyren
Die Gauklerbaude costümiren,
Mit Kienruß unsere Rosse netzen,
Und alte weiche Wollenfetzen
Und Stroh um ihre Hufe flechten,
Damit sie lautlos traben möchten.
Ich selbst in Hexenweib-Verkleidung
Traf bei den Knechten Vorbereitung
Und stimmte klug die Phantasei
Für Spuk und Graun und Zauberei.«

Der König schmollt': »Es bleibt dabei,
Der Sieg ist dein; doch Nummro Zwei
Soll nicht mit Maskentrug gelingen.«
»Ich hoff' ihn dennoch zu erringen.«
»Du hoffst, du hoffst, verschmitzter Wicht,
Ich aber sag, ich hoffe nicht.
Bist du ein Meister, weis' es aus:
Du sollst aus meinem eignen Haus
Mein allerbestes Kleinod stehlen!«
Und Hans: »Es soll an mir nicht fehlen.«
»Nimm dich in Acht, du Erzfilou!«
Der Alte warf die Fenster zu,
Daß sieben bleigefaßte Rauten
Auf's Pflasterwerk des Hofs mit lauten
Wehklagen klingend niederklirrten.
»So gehts den übergroben Wirten«,
Rief Hans und zog das Roß zu Stall.
Dann schlich er auf des Schlosses Wall
Und sang zum Kerkerturm empor:
»Herzlieber Vater, sei nicht bang,
Das erste Probestück gelang,
Ich hab gesiegt, der Herr verlor.
Ich hoff, auch fürder zu gewinnen,
Daß meiner Treu du werdest innen.
Ach könntest du zum Vatersegen
Die liebe Hand auf's Haupt mir legen.«
Da kam ein bunter Schmetterling
Herabgeflattert und verfing
Sich in des Knaben goldigen Haaren!
»Gott schirme dich mit seinen Schaaren
Und wolle deiner Wege walten!«
Rief ihm die Stimme zu des Alten.

*

IV.
Das Kleinod.

Aus Riesenquadern von Granit
Wölbt sich des Königs Schatzrotunde;
Nur oben durch die Kuppel sieht
Das Licht hinab zum goldnen Schlunde;
Doch Eisen-Gitterwerk, als gönnt' es nicht einmal
Eingang dem freien Himmelsstrahl,
Umstarrt, umdornt die luftige Runde.
Welch überschwenglich reiche Pracht!
Ambragoldiger Alabaster
Schießt empor als Säul' und Pilaster,
Aus den Cassetten der Kuppel lacht
Goldenes Laubwerk, und Fruchtgehänge
Trägt ein wimmelndes Kinder-Gedränge,
Flatternde Putti, die keck turniren
Mit geflügelten Fabeltieren,
Purpurdämmrung und Silberglanz,
Goldene Helle und magisches Dunkel
Spielt in unsäglichem Farbengefunkel
Auf den Teppichen, die Byzanz
Und die Fürsten des Morgenlands
Ihrem erlauchten Bruder gesendet.
Aber auf Ebenholztafeln blendet
Haufen an Haufen goldenen Tands.
Da prangen Zwerge mit Demantbäuchen,
Perlendelphin' in Korallensträuchen,
Elephanten mit Muschelrüsseln
Und ein Chaos von Platten und Schüsseln,
Bechern, Vasen, Kelchen und Kannen.
Was künstliche Bildner emsig ersannen,
Geschnitzt, gegossen, ciselirt,
Getrieben, geschliffen, emaillirt,
Das stand und lag und hing in Massen;
Kaum konnt' es die weite Halle fassen.
In tiefsten, dunkelsten Nischen brannten
Blitzlichter noch von Rubin und Demanten.
Ein einziges stolzes Broncetor
Mit Löwenköpfen und Wappenschildern
Geschmückt und zierlich gegossenen Bildern
Sperrte den Raum; und außen vor
Schritten bewaffnete Knechte die Runde,
Auch lagen zur Wache gewaltige Hunde
Bereit, auf Jeglichen einzuspringen.
O Meisterdieb, wie wird dir's gelingen!

Der Abend graute, da sprach zu den Wachen
Der König: »Laßt euch nicht irre machen
Durch Spuk und Gespensterlarvengraus,
Komme, was komm', ihr haltet aus;
Und somit ihr alle: Gott befohlen!«
Die Posten wechselten die Parolen
Und gingen mit blinkenden Helleparten
Auf und ab, den Dieb zu erwarten. –
Der Abend graute, die Nacht brach ein,
Silbern grüßte des Mondes Schein,
Von ferne sang die Nachtigal
Die tiefen süßen Sehnsuchtslieder.
Die Wachen schritten auf und nieder,
Und tiefe Ruh lag überall.
Des Münsters dumpfe Glocke schlug
Von Viertelstund' zu Viertelstunde,
Ein Käuzlein kam mit leisem Flug,
Ein Igel seine Beute trug.
Im Buschwerk ging des Windes Zug,
Und träumend schnarchten tief die Hunde.
Doch auch dem feinsten Lauscherohr
Kam kein unheimlich Zeichen vor,
Und immer tiefer sank die Nacht.
Ihr Wachen wacht und habet Acht.

Indessen auf der andern Seite,
Wo sich zum Garten streckt der weite
Bau des Schlosses, wo der Balkon
Des Fräuleins schaut auf die Blumenmatten
Und der Cypressen schwankende Schatten,
Klang ein leiser, verdächtiger Ton.
Leise schwirrten flüsternde Saiten
Leise flüsternden Sang zu begleiten:

»Wo mag ich Mut entnehmen,
Wie wag ich's dich zu flehn,
Auf all mein stummes Grämen
Huldreich herab zu sehn!

Wär' ich ein Prinz, geboren
In Seid' und Hermelin,
In deinen Blick verloren
Wollt' ich in Demut knien.

In Demut wollt' ich werben:
O schau mich gnädig an;
Denn ohne dich verderben
Muß ich unsel'ger Mann.

All über meinen Tagen
Hielt Not und Armut Macht;
Und doch, ich muß es wagen,
Ich rufe durch die Nacht:

O laß mich nicht verderben,
O laß mich nicht vergehn,
So bitter ist das Sterben,
Und leben ist so schön.

Das Fräulein hob das Haupt vom Pfühl:
»Will dieser Träume wirr Gewühl
Mir Frieden, Ruhe, Schlummer stören?
Muß ich denn seine Stimme hören
All wo ich geh' und wo ich steh'!
Mein Herz ist schwer, mein Kopf ist weh.
Ich will die Stirn im Nachtwind baden.«
Und leise tat sie auf den Laden.
Das aber war kein Fiebertrug,
Was schmeichelnd ihr zum Ohre schlug,
Das war der geliebten Stimme Klang;
O weh, wie ward ihr im Busen bang.

»O laß mich nicht verderben,
O laß mich nicht vergehn,
So bitter ist das Sterben
Und leben ist so schön.«

»Was bittest du so sorgenvoll?
Heimliche Listen weiß ich wohl
Und gerne helf ich dir von hinnen.
Doch rede leise, singe sacht;
Augen und Ohren hat die Nacht;
Die Zofen sind spähende Horcherinnen.«

Da griff er schnell in seliger Hast
Über sich an den Granatenast,
Der purpurn auf zum Söller ragte,
Und hub sich kecken Schwungs hinein.
Und leise raunt' er: »Was ich wagte,
Vergebt; mein Heil seid Ihr allein,
Mein Heil, mein Trost, mein einz'ger Hort,
O fliehet nicht, o hört mein Wort;
Wenn Ihr mißtraut, euch von mir wendet,
Ist mein jungrothes Blut verpfändet.«

Sie flüsterte: »Was ist dir Not?«
»Ihr wißt, was mir der Herr gebot,
Sein bestes Kleinod soll ich stehlen. –
Und hab ich nun ein ander Wählen
Als Euch? Ihr seid so sonder Fehl
Sein allerköstlichstes Juwel:
Was sind Demanten und Edelsteine
Und Perlen gegen Eure Reine,
Was ist sein Schatzhaus gegen Euch?«
Und sie: »Unseliger Tor entfleuch;
Du weißt nicht, was dein Wahnsinn redet.«

»O Holde, hab ich je gebetet
Mit reinem Herzen zu Christ und Marie,
Reiner als heute fleht' ich nie,
Zu Zeugen ruf' ich Himmel und Erde!
Mein letzter Blutestropfen werde
Zu gährendem Otterngift entzündet,
Wenn sich ein Gedanke an Euch versündet.
O kommt, o kommt, zwei Stunden nur
Mit mir zu wandeln durch die Flur,
Und wenn das erste Frühlicht graut,
Und wenn die erste Wolke taut,
Bring ich zurück Euch unversehrt.«
Sie hatt' ihr Antlitz abgekehrt
Und schwieg und sann und sann und schwieg
Doch hing sein Aug' so flehentlich
An ihr; auch ohne hinzuschaun
Sie fühlte seines Blickes Mächte
Und hauchte leis: »Wollt ich auch traun,
Welch Wunder, welcher Zauber brächte
Mich ungesehn hinab zu Dir?«
»Die Sorge, Holdeste, laß mir!«
Und um die bebende Gestalt
Schlang er die Arme mit Gewalt;
Ein Schrei von ihren Lippen glitt;
Doch zog er seine Beute mit;
Schon faßt' er nach den Granatenzweigen,
Fürsichtig mit ihr hinabzusteigen.
Sie hatte zitternd sich gesträubt,
Nun war ihr Herz und Sinn betäubt,
Und willenlos ließ durch die weiten
Cypressengänge sie sich geleiten.

Die Nacht war hell, die Nacht war lau,
Der Morgenstern hing klar im Blau,
Und halb im Traume schüttelt die Schwingen
Ein Vöglein und begann zu singen.
Verschlafen sang es den Morgensegen
Dem kommenden Tageslicht entgegen,
Und weckte gemach mit seinem hellen
Stimmlein die andern Sängergesellen
Zu zagendem Zwitschern und Tiriliren;
In allen Aesten begann's zu psalliren,
Und licht und lichter strahlte schon
Im Ost ein schimmernder Silberton,
Derweil des Mondes Scheibe bleich
Im Aether hinschwamm, wolkengleich.
Das Königsfräulein und ihr Geleiter
Wandelten aber schweigend weiter
Durch den Garten, in's stille Feld,
In die morgendampfende Welt.
Des Mägdleins Finger streifte die schweren
Langhinwallenden Waizenähren,
Streifte den Tau von dem zarten Gefieder
Und kühlte die brennenden Augenlider,
Als läg' auf ihr ein irrer Traum,
Ob süß, ob herb, sie wußt' es kaum.
Doch der Gesell an ihrer Seite
Schaute träumenden Blicks in's Weite,
Träumend, in tiefster Seele trunken;
Die ganze Welt war ihm versunken;
So wandelten sie sonder Worte. –
Da tat des Ostens güldene Pforte
Sich leuchtend auf; in breiten Garben
Strömten empor unsägliche Farben
Über den morgenfrischen Azur;
Goldige Rosenröte fuhr
Über die weitgezogenen, langen
Wolkenstreifen in seligem Prangen,
Purpur und Violett und Grün,
Und nun kündet ein loheres Glühn
Endlich in blendender, feuergelber,
Ungeheurer Pracht sie selber.
Sie naht, sie kommt,
Sie steigt, die Sonne!
O jubelnde Erd', o Segen, o Wonne!
Sie steigt, sie flammt, sie strahlt herauf,
Ein freudiger Held im Siegeslauf,
Ein freudiger Held, ein starker Held,
Lobsing ihm, sing ihm alle Welt!

Die beiden Wandrer hatten sacht
Auf einem Hügel Halt gemacht
Und schauten über Tal und Bäche
Und Wald und weite Wiesenfläche,
Und schauten in das Meer von Licht.
Mit hellen Melodien hoch
Ob ihrem Haupt eine Lerche flog.
Da sprach das Fräulein: »Spottet nicht:
Zum ersten Mal in meinem Leben
Seh' ich die Sonne sich erheben.
Ach wie viel Schönheit hab verträumt
Ich und verschlafen und versäumt.
O fahrende Gesellen, ihr
Seid tausendmal so reich als wir.«
Und als sie's scheu und schüchtern sprach,
Es feucht durch ihre Wimpern brach
Wie Morgentau so hell und schwer.
Da hielt der Knabe sich nicht mehr.
All seine Sinne fühlt' er fliehn,
Zu ihren Füßen mußt' er knien,
An seine Lippen mit Entzücken
Die Hand, des Kleides Saum zu drücken
Zu neuen, immer neuen Küssen. –
Die Vögel auf dem Felde wissen
Auch, was er stammelnd sie gefragt,
Und was sie stammelnd ihm gesagt;
Die Vögelein verraten nicht,
Was heiß ein Herz zu Herzen spricht;
Die Vögelein, sie schweigen gut,
Wenn Mund auf Mund im Kuß geruht,
Und wenn sich Arm und Arm umfahn,
Was geht's die andern Menschen an?

Am Schatzhaus schilderten die Wachen.
Da rief der blonde Hans mit Lachen
Von fern zu ihnen: – »Geht nach Haus,
Ihr treuen Wächter, schlafet aus;
Gewonnen hab ich meine Wette,
Ihr treuen Wächter, geht zu Bette.«

Die Knechte zogen ihre Braunen
Zum Hut empor und sahn mit Staunen,
Wie mit des Königs Töchterlein
Der Dieb zum Burgtor schritt hinein;
Auch gafften auf den Corridoren
Lakaien, Pagen, Kammermohren.
»Drängt ungemeldet sich der Schächer
Dreist in der Königin Gemächer!
Und Fräulein Hoheit protegieren
Solch vorsündflutliche Manieren.
Er stiehlt, wenn das so weiter geht,
Sammt ihrer heiligen Etikette
Die Hofmarschallin aus dem Bette,
Daß Huhn und Hahn darnach nicht kräht.«
Doch mit dem Fräulein stolz und frei
Schritt ihnen der Meisterdieb vorbei.

Die Königinne stumm und blaß
In ihres Sessels Purpur saß.
Die schmale, marmorweiße Hand
Lag auf dem schwarzen Sammtgewand.
Sa kalt, so schlaff – ach, wie viel Kummer,
Ach, wie viel Nächte sonder Schlummer,
Ach, wie viel Tage voller Pein
Drückten der kleinen Hand sich ein
Und schrieben mit den tiefen Zügen,
Die nimmer schmeicheln, nimmer lügen,
Ein langes Lied von Leid und Gram,
Von Klagen, die kein Ohr vernahm,
Von wundem, schwergekränktem Herzen,
Das sich verschließt mit stummen Schmerzen.
Am Fenster lag der Sonnenschein
Und lockt' ein Schwalbenpaar herein,
Häuslichen Friedens fromme Gäste;
Doch eilig flohen sie zu Neste
Fern ab; Gott weiß wohin, denn hier
War für den Frieden kein Losier,
Denn ach, mit herbem Laut erklang
Verwünschung hier und Fluch und Zank,
Dabei kein Schwälblein traulich baut.
Der König schalt und zürnte laut,
Wie er gewohnt, in breiten Gassen
Dem Unmut freie Bahn zu lassen.
Und stampfte heftig auf und nieder,
Und wieder wettert' er und wieder:
»Das Kind ist fort, geraubt, gestohlen;
Den Gaudieb soll der Geier holen!
Wie wagt er's so mein Wort zu deuten?«
»So wie Ihr zogt, so mußt' es läuten,
Mein Herr, ergebt euch in Geduld. –«
»Ihr spottet noch und tragt die Schuld!
Ihr habt das wilde Kind verzogen,
Daß es nun alle Zucht verletzt!«
»Verzogen? Ich? Verführt, verhetzt,
Verhätschelt habt Ihr sie mit Willen;
Was konnt' ich gegen Eure Grillen?
Vor Eurer Launen Sturmwind legte
Sich längst mein Mut wie gelbes Korn;
Was wagt ich gegen Euren Zorn?
Ich bin nur Magd wie andere Mägde,
Im Dienste freilich sechszehn Jahr
Und trag ein Diadem im Haar,
Das unterscheidet mich von jenen.« –
Der König knirschte mit den Zähnen
Und wollte laut entgegen brausen;
Da rauschten leise Tritte draußen,
Auf ging die Tür – mit seinem Lieb
Trat keck herein der Meisterdieb.
»Erlauchter Herr und König, hier
Bring ich dein schönstes Kleinod dir,
Wie du mir gnädig anbefohlen,
Ganz unverletzt, nur ihre Sohlen
Befeuchtete der frische Tau.«
»Geselle, zweimal warst du schlau
Und kühn und frech nach Diebessitten;
Doch hüte, hüte – dich zum Dritten.
Mein Herze brennet, sich zu rächen,
Und hättest du nicht mein Versprechen,
So flösse schon dein rotes Leben
Von meinem Schwert! Die Finger beben,
Das Hirn erbebt mir, denk' ich dran,
Was du mir heute Nacht getan!«
Da schmeichelte das Töchterlein:
»O, Vater, alle Schuld ist mein,
Ich folgt' ihm willig, weil er bat.«
Und Hans: »Nicht also Herr, ich tat
Das kühne Wagniß mit Gewalt.«
Der Alte hob die Faust geballt,
Als wollt' er ihn auf's Estrich strecken;
Aufschrie das Kind in jähem Schrecken:
»O, denke Vater, an dein Wort –
O, Mutter, hindre du den Mord,
O Mutter, Mutter, bitte du
Für ihn, für mich. Es sahn's die Sterne,
Es sah's der Mond, ich folgt' ihm gerne,
Und alle Schuld, mir fällt sie zu!«
Der König sprach: »Verschmitzter Wicht,
Entweich aus meinem Angesicht;
Mich könnte doch ein Dämon plagen,
Trotz Eid und Schwur dich zu erschlagen!
Vernimm die letzte denn der Proben,
Was ich im Dome tät geloben,
Ich halt's, wenn dir das Stück gerät –
Wo nicht, so ist dein Strick gedreht.
Du sollst zum Schluß mich selber stehlen.«
Und Hans: »Es soll an mir nicht fehlen.«
Er neigte tief sein Haupt und ging.
Dem zornentbrannten König fing
Ob solcher Keckheit ohne Wanken
Allmählich an der Kopf zu schwanken;
Er staunt' ihm nach, bis an die Tür.
»Nun aber in's Gericht mit dir,
Leichtfertig Kind; du sollst entgelten!«
Und donnernd hub er an zu schelten
Wie ein entfesselter Berserker.
Der blonde Hans vernahm den Sturm
Noch scheidend als er schlich zum Turm,
Er aber grüßte hell zum Kerker:
»Lieb Vater, du sollst fröhlich sein;
Der zweite Sieg ist wieder mein,
Der Herr ist wieder unterlegen.
Nun gieb, o Vater, mir den Segen,
Daß ich den höchsten Preis gewinne!«
Da flatterte von hoher Zinne
Ein Taubenpaar und setzte sich
Auf seine Schulter minniglich
Und dreht' das schillernde Gefieder
Im Sonnenlichte hin und wieder
Und girrt' ihn an so lieb und traut,
Als spräch's von Bräutigam und Braut.
Des Alten Stimme rief von oben:
»Das Ende mög' den Anfang loben!«

*

V.
Der König.

Und Abend war's. Das Königskind
Weinte die hellen Augen blind
Und barg das Haupt in Mutterarmen
Und schluchzte laut zum Steinerbarmen:
»Ich lieb' ihn, ja, ich hab's gesagt,
Ich lieb' ihn so mit aller Macht,
Mit aller Kraft und Herzensstärke,
Daß ich nichts andres fühl und merke;
Nichts andres denken kann ich mehr,
Mein Ein' und Alles ist nur Er.
O Mutter, hört mich, diesen Einen
Lieb' ich und liebe fürder Keinen!«
Die Mutter sprach ihr holden Trost:
»Mein liebes Kind, das Fieber tost
In deinen Adern; doch die Zeit
Hält sanfte Arzenei bereit.
Den oder keinen – Jede schwört
Das einmal; doch kein Gott erhört
Verliebter Mädchen Erstlingseide.«
»Es sei denn, daß der Tod uns scheide,
Sonst scheidet uns auf Erden Nichts.« –

Der König nach des Strafgerichts
Erregung, sprach kein Wörtlein mehr
Und wandelt' zornig hin und her;
In hohen Wogen ging sein Blut.
Des Syracusers würzige Glut
(Ein fremder Kaufmann hatte sie eben
Zur Prob' auf seine Tafel gegeben)
Hatt' heißer noch sein Hirn geschürt,
Und brennend er im Haupte spürt'
Ein wirres Singen, wüstes Klingen;
Da tät er sich zu Rosse schwingen,
Um Hitz' und Ingrimm zu verreiten.
Kein Mareschalk durft' ihn begleiten,
Allein auf menschenleeren Wegen
Ritt er der Abendsonn' entgegen;
Und wie ihn rastlos trieb der Zorn,
Trieb auch das Roß rastlos der Sporn.
Das Saatenfeld, die stillen Weiden,
Des breiten Stroms geruhig Gleiten,
Der Buchenwald, der kühle Tann,
Nichts freute den ergrimmten Mann.
Da rief ein Hirtenbub von fern:
»Grüß Gott, Herr Pfarr, zwei Klosterherrn
Sind just auf Euren Hof geritten;
Ich sollt' Euch heimzukehren bitten!«
»Herr Pfarr? der dumme Junge kennt
Nicht Pfarr noch König. Element,
Braucht nicht der Pfarrer bessere Ruten,
Was kriegt der König für Rekruten!«
Und voller Ärger ritt er weiter.
Die Lerchen sangen laut und heiter,
Die Schwalben segelten über den Strom,
Die Bienen schwelgten im süßen Arom,
Und froh und friedlich waren sie alle;
Und nur dem Reiter kochte die Galle,
Und nur dem Reiter brannte die Stirn
Und schwankt' in dumpfigen Schmerzen das Hirn.
Er ritt die Wege kreuz und quer,
Da kamen zwei Wanderburschen daher:
»Grüß Gott, Herr Pfarrer, seht Euch vor;
Euer Eselein ein Eisen verlor.«
Der König riß die Augen weit:
»Wohl seh' ich, daß ihr Esel seid,
Doch ob ihr verloren eure Eisen,
Das sollt ihr mir im Laufen weisen.«
Er ließ die Gerte mit hellem Pfeifen
Den Wanderern um die Ohren streifen
Und ritt fürbaß; doch hinter sich drein
Hört er die Beiden angstvoll schrein:
»Helf Gott! Der Pfarrer ist verrückt!«
Der Reiter die Hand an die Stirne drückt',
Als tanzten Millionen Mücken drinnen;
Bin ich denn, oder sind sie von Sinnen?
Der Pfarrer verrückt? Der Esel? Der Pfarr?
Wohl hört' ich, daß mancher schon ein Narr
Geworden vor Gift und Gall und Groll.
Mir schwimmt's vor den Augen – bin ich toll?«
Die Abendglocke klang durch's Feld
Und rief zur Ruh die müde Welt,
Die Lerchen verstummten allgemach,
Die beladenen Bienen suchten ihr Dach,
Heim trieb das Hirtenkind seine Gänse,
Die Schnitter zogen mit Rechen und Sense
Den Dörfern zu in langen Reihn;
Fern klangen noch ihre Melodein,
Dorthin und hier. Und eine Schaar,
Den Erntekranz um Hut und Haar,
Schritt auf des zornigen Reiters Wegen
Mit frohem Lied ihm grad entgegen.
Dem König schlug das Herz, als nah
Und näher er sie kommen sah.
In emsiger Sorge für Herd und Haus,
Eine junge Schnitterin schritt voraus.
Im Arm ein schlafend Knäblein lag,
Ein müdes Mägdelein trottelte nach:
»Gott grüß, Herr Pfarrer«, rief sie und zog
Vorüber. – Dem König der Athem flog.
Dann kamen zwei Dirnen, ein schmuckes Paar,
Schwarzäugig und schlank: – »Gott grüß, Herr Pfarr.«
Sie küßten die Hand ihm, da sie's riefen.
Dann kamen die Knechte, die zogen mit tiefen
Reverenzen die Hüte herunter:
»Gott grüß, Herr Pfarrer, und haltet Euch munter!«
Zuletzt des Weges hinter dem Gleise
Des Erntewagens keuchten zwei Greise:
»Gott grüß, Herr Pfarrer – geneußt der Kühle
Des Abends nach all des Tages Schwüle?
War heut auch grausam mit Staub und Hitz.«
Losbrach der König: »Hagel und Blitz
Schlag Eure Ernt' in den grauen Grund!
Biß denn Euch Alle der tolle Hund;
Könnt ihr den König nicht erkennen?«
Das gab nun ein Laufen und Fragen und Rennen;
Die vordersten kehrten wieder um
Und drängten sich im Ring herum:
»Helf Gott, Herr Pfarrer, nur ruhig Blut!
Ihr seid ja der König – nur still, nur gut –
Lauf Bub', der Küster soll eilend kommen,
Rasche Hilfe mag ihm noch frommen,
Der Pfarrer hat wieder den Anfall kriegt,
Blauroth verschwillt ihm das Angesicht –
Die Hitze – die Sonne – die Phantasein
Von König stellen sich wieder ein.«
»Herr Pfarrer – Herr König, wollt' ich sagen,
Steiget vom Esel, wir wollen Euch tragen.«
Die Greise riefen's mit freundlichen Winken,
Die Mädchen boten den Krug zum Trinken.
Doch ihm im Herzen ging ein Geflüster
Von Graun und Angst und schwindelnd drückt
Er die Hand vor's Auge. »Ich bin verrückt!«
Da rannten herbei die Magd und der Küster:
»Herr Pfarrer, gemach, bezwinget den Brand,
Leistet dem Teufel Widerstand,
Dem Hochmutsteufel, dem garstigen Affen!
Was habt ihr mit dem König zu schaffen?
Ist Euch Ehrwürden denn nicht genung?
Besinnt Euch nur – auf der Besserung
Wart Ihr, wart auf so guten Wegen;
Soll wieder der Teufel Euch Schlingen legen?
Und Euch umstricken mit neuer Kette?
Herr Pfarrer, wir bringen Euch zu Bette,
Exorcizo te, apage!
Ibro, radulicho, diabole,
Ibro, abro, rembibino tu,
Apage, apage Vitzli Puhu!
«
»Laßt Euren Segen, laßt Euren Spruch;
Bin ohnehin schon toll genug –
Der König« – »Herr Pfarrer, um Gotteswillen,
Laßt doch die alten Königsgrillen;
Der König tafelt mit seinem Gemahl
In Fried' und Freude droben im Saal
Oder lustwandelt mit ihr im Park.« –
Dem König erbebt' in den Knochen das Mark:
»Lustwandelt mit ihr? Ihr werdet sehen,
Wir wollen mitsammen zur Hofburg gehen;
Ihr Hirnverbrannten, dort werdet inn',
Daß ich der Herr im Hause bin.
Und können sie auch dort mich närren,
Dann mögt ihr mich in's Tollhaus sperren!«
Der Küster wisperte mit den Greisen;
»Wir müssen uns ihm zu Willen weisen,
Vielleicht, wenn er den König sieht,
Daß es zur Heilung für ihn geschieht.
Wohlan, Herr Pfarrer, so mögt Ihr es haben,
Laßt Euer Grauchen zur Weide traben,
Und kommt mit uns an die Gartenpfort';
Vielleicht belauscht ihr den König dort.«
Und wie sie über die Haide gingen,
Huben die Alten an zu singen
Halblaut für sich – doch wie Magie
Lag's in der mächtigen Melodie,
So mild, so süß und doch so strenge,
Nie hatte der König vernommen die Klänge.

»O Herz, mein Herz, was schließest du
Dich eisig kalt der Liebe zu
Und magst so einsam schlagen?
Ein schneller Reiter ist der Tod,
Und morgen bleicht, was heute roth;
Dann mußt du reu'n und klagen.

Der Tod ist schnell, und morgen kräht
Vielleicht der Hahn, zu spät zu spät;
Und konntest glücklich werden.
Was weinst du nun die Augen naß?
Im Winde geht das Friedhofsgras,
Und kalt ist's in der Erden!«

Wie dunkle Geisterstimme rief
Das Lied so scharf, so mahnend tief;
Der König mocht' es kaum noch wagen,
Die scheuen Augen aufzuschlagen.
»O Herz, mein Herz, was schließest du
Dich eisig kalt der Liebe zu?«
Ihm wogt' das Blut, er athmet' kaum,
Die ganze Welt war wie ein Traum. –

Das Abendroth war längst verblichen,
Als sacht sie an das Parktor schlichen,
Der König und die bewachenden Bauern.
Durch die Wipfel in leisen Schauern
Stieß der Wind, und auf den Zweigen
Lastete wieder tiefes Schweigen,
Düstere Schatten, dunkle Nacht. –
Da knistert's im Kies, da kam es sacht
Hergewandelt an dämm'rigen Hecken,
Zwei Gestalten. – In eisigem Schrecken
Krampfte das Herz dem Könige wild –
Da kam, da nahte sein eigen Bild!
Sein eigen Bild –! Alle guten Geister
Loben den Herrn und ewigen Meister!
Sein eigen Bild, seine eigne Gestalt!
Näher kam es und näher gewallt.
Sein eigen Bild! und ihm zur Seiten
Sah er die Königinne schreiten;
Und mehr noch – weh! der Stimme Ton
Schien seiner eignen Brust entflohn!
Sein Herz in Höllenqual verzagte;
Der Doppelgänger aber sagte:
»O Königin, die heiße Minne
Der Tochter hat mit Frühlingsmacht
Durchsonnt auch meines Herzens Nacht
Und losgekettet alle Sinne
Aus bösen Zaubers dumpfem Joch.
Das Kind, und ob es klagt und weint
Und sich unsäglich elend scheint,
Ach, überselig ist es doch.
Es hat zu ew'gem Lieben
Sein treues Herz verschrieben;
Und Gottes schönster Edelstein,
Ein treu verliebtes Herz ward sein.
Das ist ein köstlich Brautgedinge!
Dagegen sind alle Schätze geringe,
Und arm bist du und arm bin ich.
Mein armes Weib, nun bitt ich dich,
O, laß uns unser altes Leben
Von nun vergessen und vergeben;
Von nun will ich dein eigen sein,
Und du, o sei von nun an mein.
Wenn ich dich je gekränkt, vergieb,
Vergieb mir nur und hab mich lieb.«
Die bleiche Königinne stand
An eines Bronnes Marmorrand
Gelehnt, als müsse sie versinken,
Doch neigte sie, sein Wort zu trinken,
Sein holdes Wort, das durstige Ohr
In seligen Sehnsuchtsqualen vor.
Und als er schwieg – in trunkner Lust
Lag sie, sie lag an seiner Brust:
»Mein war die Schuld, ach alle mein!
Und du, o Gott! du willst verzeihn!
So lange liebeleer geblieben,
Wir wollen nun uns doppelt lieben! –«

Ein Windhauch durch die Aeste ging
Und wühlt' hinauf und wühlt' hinab
Und wehte welke Blüten ab
Und welkes Laub, das kreist' im Ring;
Doch nur in desto reich'rem Prangen
Schien Goldfrucht am Gezweig zu hangen.
Da brach der Horcher schreiend aus:
»Hinweg, hinweg! In's Narrenhaus!
Es wird mir Herz und Seele morden!
Ein irr' Gespenst bin ich geworden!«
Und auch die andern riefen bang:
»Du triebst das Gaukelspiel zu lang!«
Der König, wehe, grau verfärben
Sich seine Züge! – Er will sterben.

Die Königin schaut' in stummer Frage
Empor. Doch schon im dunklen Hage
War der Geleiter ihr entwischt.
Mit Andern hörte sie im Düstern
Des Gauklers weiche Stimme flüstern.
Es legte wie ein Rätsel schwer
Und dunkel um ihr Herz sich her.
»Besinnt Euch, Herr! Was liegt Ihr bebend,
Dem grausen Alpdruck widerstrebend
Im Staube; fasset neuen Mut;
Nun wird ja Alles, Alles gut!
Erkennt es doch! Es war ja Lug
Und Larv' und Komödiantentrug.
Hirt, Wandersleut' und Schnitterschaar
Nur eitle Mimentäuschung war.
Ihr hättet selbst es längst durchschaut,
Hätt' ich Euch nicht den Trank gebraut.
Doch griff in's Herz Euch meine Kunst,
So gönnt ihr doppelt Eure Gunst,
So tät sie ihres Amtes pflegen,
Des Amts, das Herz zu Herzen reißt,
Und in ihr war ein guter Geist,
Und auf ihr ruhte Gottes Segen.«

Und still ward's – leis ins Becken fiel
Der ruhelosen Wasser Spiel,
Doch fremder Ton dem Ton sich einte
Des sachten Quells – der König weinte:
»Der Tod ist schnell und morgen kräht
Vielleicht der Hahn! zu spät, zu spät;
Und konntest glücklich werden.
Was weinst du nun die Augen naß?
Im Winde geht das Friedhofsgras,
Und kalt ist's in der Erden.«
Der Königin Busen wogt' und rang;
Da trat aus dunklem Lindengang
Der König zu ihr sanft und mild,
Und neben ihm sein Ebenbild:
»O Weib, mein Weib, was dieser sprach
In Lug und List, ich sprech es nach:
O laß uns unser altes Leben
Von nun vergessen und vergeben,
Von nun will ich dein eigen sein,
Und du, o sei von nun an mein;
Wenn ich dich je gekränkt, vergieb!
Vergieb mir nur und hab' mich lieb!«
Der blonde Hans stand tief im Schatten,
Und endlich löst' den Arm des Gatten
Die Königin von der Brust – und doch
An's Herze sie zurück ihn zog
Zu neuem innigen Umfangen.
Er aber küßt' ihr Mund und Wangen
Und Aug' in Lust und Herzeleid:
»Mein Weib, von nun in Ewigkeit!
Doch du, Gesell, hast dich erprobt
Und hast vollführt, was du gelobt:
Du hast mir selber mich entwendet
Und gabst mir selber mich zurück.
Nun lös' auch ich, was ich verpfändet,
Bei dir, ich spür's, ist Gottes Glück.
Er hielt des Zufalls bösen Stern,
Den unberechenbaren, fern
Und ließ dich Ziel auf Ziel erreichen;
Dem Gottesurteil muß ich weichen.
Hast du zum Pater mich gemacht,
Dein Vater ward ich heute Nacht.
Und du, mein Weib, nun pflücke dir
Der Myrthenreiser grüne Zier
Und Ros' und Holderblüt' und winde
Die Ehrenkrone unsrem Kinde.« –

Frau Marschallin ging just zu Bette,
Da, gegen alle Etikette –
Da drängt ein halbes Schock Lakain
Sich in ihr Schlafgemach herein.
»Frau Marschallin, helft arangiren;
Der König will – die Königin will,
Prinzessin will – die Welt steht still! –
Ein Hochzeitfest improvisiren!
Prinzessin Hoheit – Gott der Liebe!
Vermählt sich mit dem Meisterdiebe!«
Das ward ein reizender Tumult.
In Küche, Saal und Hofkapelle
Entfesselt schien die halbe Hölle
Und lief treppauf und lief treppab,
Das ganze Schloß geriet in Trab.
»Jesus Maria nur Geduld!«
Schon fiedelten die Musikanten,
Der Weihrauch quoll, die Kerzen brannten.
Da rief's hinauf zur Kerkerzinne:
Lieb' Vater, Vater, ich gewinne,
Ich habe schon gewonnen,
Bin aller Not entronnen!
Schon flechten die Mädchen
Die Myrthe zum Kranze,
Schon tragen die Knaben
Die Fackeln zum Tanze,
Schon rüstet die Mutter
Das bräutliche Bette,
O Vater, nun lös' ich
Die lastende Kette.
Nun hol ich vom Kerker, nun stell ich dich dar
Als Zeugen der Hochzeit an Gottes Altar!«
Und wie er's rief, und wie er's sang,
Da zog das Firmament entlang
Durch all der Sterne lichten Chor
Ein weithinstrahlend Meteor
Und strömt' ein rosighelles Meer
Von Himmelsklarheit allumher.

*

VI.
Der Bruder.

Und alle Welt beklatscht' es schon:
Prinzessin freit den Schusterssohn –
Das lief wie Flammen durch die Saat;
Auf Stützen stand die ganze Stadt.
»Unmöglich: – doch – und ja und nein.
Der Schuster soll unser König sein?
Er wird uns in spanische Stiefel schnüren!
Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus:
Er bleibt bei seinem Leisten zu Haus,
Sie aber wird den Pantoffel führen!
Der Schuster mit Scepter und Krone geschmückt,
Er hilft vielleicht, wo der Schuh uns drückt,
Und hat ein Einsehn in unser Pech!«
So gingen die Witze plump und frech.
Doch auf dem Jahrmarkt kreuz und quer
Empfand jedwelcher Lump die Ehr,
Die seiner Zunft erblüht, im Glanz
Und Glorienschein des blonden Hans.

Der aber mied das Volksgedränge
Und schlich sich wieder durch die Gänge,
Durch Gäßchen, Höfe, scheu und sacht
Wie damals in der Sonntagsnacht.
Ihm war das Haupt von Wonne schwer,
Sein Blut ging wie ein wogend Meer,
Und lohe Gluten brannten wund
Vor Seligkeit den heißen Mund,
Den Mund, der so geschwelgt im Kuß,
Der so geschwelgt im höchsten Glücke.
So eilt' er abwärts und den Fluß
Entlang mit Flügelschritt zur Brücke.
»O Bruder, Alles nun zu krönen,
Sollst nun auch du dich mir versöhnen!«
Und wie er's wonneathmend rief,
Da hinkt' es drüben lahm und schief;
Der Rothe war's, und schon erkannt
Hatt' er den Blonden – da zum Rand
Der Brüstung klomm er zitternd schnelle,
Und – hoch auf spritzte Schaum und Welle.
Und auf der Brücke drängt' im Nu
Schaarweis' das Heer der Gaffer zu:
Wer fiel hinab? wer sprang hinein? –
In übertollem Frevelmut
Warf sich noch Einer hinterdrein,
Und alle zwei verschlang die Flut.
Wer war's? Des Schusters rother Sohn,
Er suchte des Verrates Lohn;
Der Blonde aber sprang ihm nach;
Zwei junge Leben auf einen Schlag!
Fahr wohl, du Meisterdieb! Wie kurz
Dein hohes Glück, wie schnell dein Sturz! –
Doch nein, – doch seht, dort will sich's heben
Aus Schaum und Gischt; sie sind's! sie leben!
Der Blonde schlägt die Flut mit Macht –
O weh! der Fuß, der Arm versagt. –
Die Wasser brausen drüber her,
Das Blondgelock ersteigt nicht mehr. –
Doch! – Es ersteigt! Seht, in der Weite
Ihn siegend mit der Flut im Streite!
Da drüben, fern, am flachen Kies –
Gott helf! – Er rettet sich gewiß!

Und so geschah's. Mit Weid' und Rohr
Trat weit ein Sand in's Wasser vor,
Von starkem Flechtwerk rings umschlängt,
Mit Netz und Fischgerät behängt.
Dorthin war Hans mit wucht'gen Hieben
Gesteuert halb, und halb getrieben.
Der Doppelringkampf mit der Flut
Und mit des Bruders wilder Wut,
Der todverlangend sich gesträubt
Im Übermaß von Schmach und Schande,
Hatt' ihm die Sinne schier betäubt.
Nun lag er auf dem flachen Sande
In schilfiger Weidendickichtfeuchte,
Ihm flog der Puls, der Odem keuchte,
Doch hielt er noch mit nerv'ger Hand
Des Bruders dürren Arm umspannt,
Und mühsam rang das Wort er vor:
»Was wolltest du, unseliger Tor?« –
Und mühsam ringend sprach der Rothe,
Als ob die Brust zu bersten drohte:
»Wer setzte dich zu meinem Hüter?
Ihr glückversteinerten Gemüter,
Wenn uns vor Pein das Herze bricht,
Ihr gönnt uns selbst das Sterben nicht.
Was willst du reden, willst du fragen?
Was soll ich sagen, soll ich klagen?
Dir bleibt es fremd in Ewigkeit,
Das schlangengiftige Wörtlein: Neid.
Ihr ahnt in eurem bängsten Traum
Den Schatten seines Schattens kaum.
Dich hätschelte das sonnige Glück;
Mich trat's wie einen Hund zurück,
Du warst sein stets willkommner Gast;
Mich hat, wer mich nur sah, gehaßt,
Geschmäht, geschimpft, gespien, getreten,
Vergiftet ward mein frömmstes Beten,
Mein Herz zu fauler Modergruft –
Und da – ich tat's – ich ward zum Schuft.
Und nun sag an, wie soll sich's lösen?
Der Tod wär all mein Heil gewesen!
Vor Schuld und Schmerzen hätt' ich Ruh
Und triebe still den Schatten zu.«
Lang schaut ihn an der blonde Hans
Und sagte: »Lieber Bruder, kann's
Nicht meiner Liebe doch gelingen,
Dein finstres Hassen zu bezwingen?
Sieh, was das Glück mir auch gesendet,
Nicht mindrer Schatz ward dir gespendet;
Wenn's mir die Königstochter giebt
Und Tron und Kron, und Glanz und Glast;
Dir ward ein Bruder, der dich liebt,
Mir ward ein Bruder, der mich haßt.
Die Rechnung will, mich dünkt, sich heben.
Entschließe dich zu neuem Leben;
Vergieb du mir mein glücklich Loos,
Und sieh, zum Danke grenzenlos
Will ich dir meine Liebe geben.
Die langen, nassen Arme streckte
Nach uns der Tod, und Nacht bedeckte
Das sonnendurstige Angesicht –
Und doch, wir athmen noch im Licht. –
Wohlan! vergangen, was vergangen,
Und neues Leben angefangen!«

Buchschmuck

Buchschmuck

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