Wilhelm Fischer
Das Licht im Elendhause
Wilhelm Fischer

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IV.

Einstmals zeigte Dietmer jedoch, daß auch er einen Vorrat an Worten besitze, und es geschah dies bei solcher Gelegenheit: Es war zur Winterszeit, draußen lag der Schnee, und die beiden Brüder waren abends in des Meisters Haus gekommen. Die dreischnäblige Messinglampe wurde angezündet, und sie saßen alle beim traulichen Lichtschein um den Tisch; aber keines war müßig, denn die Hauswirtin hatte einen Haufen Flaumfedern vor sie hinlegen lassen, die sie schleißen sollten. Meister Klaus war Herr eines Ackers zu Bayerdorf, auf welchem seine Ehewirtin Gänse zog. Das gab einen Braten zu Martini und schöne weiße Flaumen für Kissen 142 und Decken im Hause. Nun war doch die Zeit nicht mehr fern, daß Mechthild in eigener Wirtschaft als Frau sitzen sollte; so hatte die Mutter fürsorglich an der Ausstattung der Tochter Hand angelegt und vergaß auch nicht der schönen Kissen und Federbetten, die sie als unentbehrlichen Hausrat mitbekommen sollte. An dieser Arbeit des Federschleißens beteiligte sich nun an Winterabenden die ganze Familie und auch die beiden Brüder einträchtiglich. Es fehlte auch dabei nicht an heitern Wechselreden und Scherzen. Wenn ein neuer Berg von Federn auf den Tisch gebracht wurde, so stieg eine Flaumwolke wie ein Schneegestöber auf und schwebte über den Häuptern der Sitzenden, bis sie sich allmählich nieder ließ, aber eigensinnig bald die Haare und Augenbrauen Mechthilds, bald den Bart des Vaters aufsuchte, oder sich an andere Häupter heftete. Das gab Anlaß zu Gelächter und gegenseitiger Neckerei, wenn die Flocken gar zu dicht heran geschneit kamen. Mechthild saß zwischen den beiden Brüdern und hatte keine Sorge, denn Lamprecht zeigte sich sehr beflissen in ihrem Dienste. Aber 143 Dietmer sprach wenig und lachte noch weniger. Da wollte ihn Mechthild zur Rede bringen und schlug vor, daß jedes eine Geschichte erzählen solle, um die Zeit zu kürzen. Dem widersagte niemand, und die Kurzweil begann der Reihe nach; das eine erzählte ein Märchen, das andere brachte einen Schwank vor die Gesellschaft, so gut jeder konnte. Da weigerte sich auch Dietmer nicht, den Mund aufzuthun, als die Reihe an ihn kam, und er hub an, ein Märchen zu erzählen, das er einst in der Klosterburg der Augustinerherren zu Gries gehört hatte, als er dort in der Kellerei arbeitete:

»Es war zu alter Zeit ein Lindwurm, der hauste in einer Berghöhle und hatte eine Königstochter geraubt. Diese stand vor der Höhle mit goldenem Seile an eine Fichte gebunden. Der Lindwurm bewachte sie wie einen köstlichen Schatz, denn sie war überaus schön. Viele Ritter kamen, sie zu erlösen, aber sie vermochten nichts gegen den Lindwurm, an dessen demantharten Schuppen ihre Schwerter zersplitterten, und sie verloren im Kampfe ihr Leben. Einst kam auch ein junger 144 König, der als kühner Held in allen Landen galt und wollte das Abenteuer bestehen. Aber auch seine Kraft vermochte nichts gegen den Feind, aus dessen Munde Feuer fuhr, und auch sein Schwert zersplitterte an den Schuppen, die wie feste Schilde waren; jedoch hatte er ihm überaus kühnlich zugesetzt, so daß der Unhold ermüdet in seine Höhle zurückkroch, und der Held den Leib bewahrte und nur tiefe Wunden davontrug. Er ging schwertlos in den Wald und kam vor die Hütte eines Klausners, der ihn aufnahm und seiner Wunden sorgsam pflegte. Als er wieder heil war, wollte er den Feind aufs neue bestehen, denn er hatte die Königstochter erblickt und solche Liebe zu ihr gefaßt, daß er nicht anders konnte, als ihre Erlösung oder seinen Tod suchen. Er bat von dem Klausner das Schwert, das er an der Wand der Hütte hängen sah, denn dieser war selbst vor Zeiten ein Kriegsmann gewesen, bevor er in die Einöde ging. Aber der sprach zu ihm: Mit dem bloßen Schwerte kannst du den Streit wider den mächtigen Lindwurm nicht wagen; doch ich kenne ein Kraut, das heißt 145 Wermut: wenn du das pflückst und kochst und in seinem Sud das Schwert badest, dann wird es gefeit und unzerbrechlich werden, und du kannst über den Lindwurm Meister werden. Es gehört dazu nur eines, um das Kraut zu pflücken: du mußt dir vor den Sinn bringen, was dir das Liebste auf Erden ist, dem mußt du entsagen; dann wird das Kraut seine Kraft bewähren, und dein Schwert sieghaft vor dem mächtigen Lindwurm sein. Da dachte der junge Königssohn, was ihm das Liebste auf der Welt wäre, und erschrak: denn es wurde ihm klar, daß es die gefangene Jungfrau sei, zu der er übermächtige Liebe im Herzen trug, seitdem er sie erblickt hatte. Da ward sein Herz traurig, denn er dachte, daß er ihr entsagen müsse. Er that aber alles, was ihn der Klausner hieß, empfing das in Wermut getauchte Schwert, erlegte damit den Feind und befreite die Königstochter. Er löste das goldene Seil, womit sie an der Fichte gefesselt stand, und sie gebrauchte es als Gürtel, um ihr herabfallendes Gewand zu befestigen. Auch in ihrem Herzen war die Liebe zum Königssohn 146 erwacht, und sie dankte ihm freundlich und schritt mit ihm Hand in Hand zur väterlichen Burg.

Dort wurden sie mit Jubel empfangen, aber an der Pforte angekommen, sprach der Held: Ich darf nicht mit dir einkehren, denn ich hab' es verwirkt um deiner Erlösung willen und muß nun von dir scheiden. Als sie diese Worte hörte, stand sie eine Weile traurig; dann fragte sie, warum er so thun müsse. Er erwiderte ihr, daß er ihr nichts näheres mitteilen dürfe, sie möge aber den Einsiedel im Walde darum befragen. Darauf zog er in die weite Welt mit trauerndem Herzen. Auch die Königstochter verlor nun die Freude am Leben und sie ging zu dem Einsiedel im Walde. Dort erfuhr sie alles, wie es sich verhielt: daß der Held dem Liebsten entsagen mußte, um das Liebste aus dem Elend zu erlösen. Da sprach sie: Ich will gehen, so weit der Himmel blau ist und ihn suchen, und ich will nicht rasten, so weit der Wind weht und der Regen sprüht, bis ich ihn finde. Der Einsiedel ging darauf in seinen Garten, brachte zwei Körner von Liliensamen und gab sie ihr mit den 147 Worten: Wenn du so thun willst, wie du sagst und ihn suchen, so weit der Himmel blau ist, und nicht rasten, so weit der Wind weht und der Regen sprüht, so muß deine Sehnsucht die allerstärkste sein, und damit kannst du ihn mit Gottes Hilfe wieder gewinnen. Auf die Wanderung aber gebe ich dir diese zwei Lilienkörner mit. Und er sagte ihr, was sie damit thun sollte, wenn sie den Geliebten fände. Das merkte sie sich, hüllte sich in ein ärmliches Gewand und begab sich auf die Wanderung.

Sie ging lange in der Welt umher, um ihn zu finden, den sie so lieb hatte wie ihre eigene Seele. Und wo sie ging, da ging ihre Sehnsucht mit und zog ihn immer näher an sich, so daß der weite Raum zwischen ihnen immer kleiner und kleiner wurde und sie sich endlich auf einem Felde entgegen kamen, er von Sonnenuntergang und sie von Sonnenaufgang. Als sie ihn erblickte, that sie wie der Einsiedel ihr geheißen: sie streute die zwei Lilienkörner auf die Erde und wartete; aber ihre Sehnsucht war so stark, daß sie alsbald zu keimen und sprossen anfingen. Und es 148 wuchsen zwei Lilienstengel aus dem Boden hervor, die waren aber nicht von gleicher Größe, denn der eine auf ihrer Seite war hoch und der andere auf der Seite des Mannes war niedrig. Da sagte sie zu ihm: Hilf mir, Lieber, daß auch der andere Lilienstengel so hoch erwachse wie dieser hier auf meiner Seite. Und ihm war es wie im Traum, als er die fremde Maid erblickte und er sprach: wie soll ich dir helfen? – So daß du mit aller Sehnsucht deines Herzens wünschest, daß der Lilienstengel auf deiner Seite blühe, erwiderte sie. Da ward ihm wundersam hold zu Mute und doch auch wehe, als er ihre Stimme hörte und er sprach: Gott gebe, daß dies also geschehe und auch dieser Lilienstengel so hoch erblühe wie der andere auf deiner Seite. Kaum war der Wunsch aus der Tiefe seines Herzens gesprochen, als auch geschah, wie er wollte. Der Stengel wuchs empor und unter den beiden Lilien, die sich zu einander neigten, ergriff er ihre Hand, sah ihr in die Augen und erkannte sie. Er sprach: Nun bin ich von meinem Gelöbnis erlöst. Denn wo Sehnsucht die 149 allerstärkste ist, da wird auch die Entsagung erlöst. Das ist Gottes Wille. Er küßte sie freudig auf den Mund, und sie gingen heim in das Königsschloß der Maid. Dort wurde die Hochzeit unter großem Jubel gefeiert, und sie lebten glücklich bis an ihr Ende.«

So hörten sie, wie die Rede in Dietmers Munde beschaffen war, als er sein Märchen erzählte. Mechthild sparte nichts an Worten des Lobes, das sie ihm reichlich gab. Diemut, die auch am Tische saß, erhob den Blick zu Dietmer, als er geendigt hatte, sprach aber kein Wort. Jedes brachte noch seinen Teil, wenn die Reihe an ihn kam, und damit verging ihnen der Abend, bis es spät wurde. Aber so oft wieder an Winterabenden erzählt wurde, weigerte sich Dietmer anzuheben, und es blieb auch dies das einzige Mal, daß er sich hatte in zusammenhängender Rede vernehmen lassen. 150



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