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Bald darauf begab sich Dietmer auf die Wanderschaft nach der schönen Stadt Bozen, die 129 im Weingelände von Tirol liegt und wo die Faßbinderei ein überaus edles Handwerk ist. Dort weilte er einige Jahre recht und schlecht, sah sich sonst noch in der Welt um und kehrte dann nach Graz in das Stammhaus zurück, wo sein ältester Bruder Lamprecht als Meister saß und seine Mutter, Frau Elspet, die Wirtschaft führte. Diese freute sich seiner Heimkehr, sprach aber eines Tages zu ihm als eine kluge und feste Frau, die sie war und als welche sie auch bei allen galt, die sie kannten: »Höre, Dietmer! Verstand und rechter Sinn gehen mit dem Mann in die Ferne auf gutem Wege und geleiten ihn auf solchem wieder zurück, von wo er ausgezogen, weil doch nur seßhaftes Leben der Wunsch und die Krone des ehrsamen Handwerks ist. Mag die weite Welt dem fahrenden Menschen holdselig erscheinen: wer will ihn darum schelten! Es ist guter Brauch, die Augen aufzuthun und zu sehen, wie Gott die Welt beschaffen hat. Aber weil die weite Welt keine Grenzen hat, so ist es am Ende lieblicher, sich von den Mauern der Vaterstadt umhegen zu lassen. Das ist nun dein 130 Ding, lieber Sohn. Und nun will ich dir sagen: Ecken giebt es auch hier, und da du trotz deiner Wanderschaft noch immer kein glatter Geselle geworden bist, so magst du dich noch abschleifen.«
Dietmer fragte ruhig: »Wie soll ich das?«
»Nichts ist dazu behilflicher, lieber Sohn, als ehrbarer Gesellschaft pflegen mit gesitteten Meisterstöchtern aus guter Sippe, wie es deren bei uns manche giebt. Siehe, dein Bruder Lamprecht steht bereits im Verlöbnis mit Mechthild. Begleite ihn vorerst in dein altes Lehrhaus, wenn er am Feierabend dort zuspricht. Dann kannst du dich allmählich selbst umsehen bei andern guten Töchtern und dir eine von ihnen als rechte Ehefrau heimführen, so wie es Lamprecht bald thun wird. Aber Gott hab' dich in seiner Pflicht! du bist noch ein eckiger Geselle.«
Dietmer war es zufrieden und ging mit seinem Bruder Lamprecht in das Haus seines ehemaligen Meisters Klaus. Da saß er zur Abendzeit in der Stube bei den andern und hörte und sah, sprach aber wenig. Sein Bruder legte allen Fleiß daran, der blonden Mechthild 131 zu Gefallen zu reden und zu thun, die sich auch gegen ihn so holdselig erwies, wie sie konnte. Sie blickte oft verstohlen auf Dietmer, ob er nicht auch etwas zur Ergötzlichkeit in guten Worten beitragen möchte, aber er überließ es dem Bruder und blieb schweigsam. Wenn sie mit hellen Augen beide prüfte, so mußte sie es bedauern, daß Dietmer, ein feiner, schmächtiger Geselle, nicht auch das, was er dachte, fröhlich wiederzugeben wußte, wie es doch der weit derbere Lamprecht konnte, der immer zu sagen wußte, was er wollte. Der alte Geselle Wetzel fand mehr Gefallen an Dietmer als früher, da er noch in der Lehre stand; er sagte, Dietmer sei ein ehrlicher aufrechter Mann geworden, dem das Herz nicht im Leibe hüpfe, aber fest und ruhig sitze. Das sei für Wind und Wetter genug, und mancher verstehe besser zu hören als zu reden, was auch sein Gutes hätte. Aber die Hauswirtin, Muhme Lene, zuckte die Achsel und sprach: »Soll ich eines klagen, so ist er mir zu wenig lebendig und etwas todschlächtig. So war er auch, als er hier in der Lehre stand und ist 132 seither nicht anders geworden; denn nichts wird besser bewahrt als des Menschen Art, das hört' ich immer sagen.«
Die blonde Mechthild dachte um vieles freundlicher über ihn, aber sie ließ es in Züchtigkeit nicht verlauten, sondern behielt es fein bei sich. Wenn die beiden Brüder kamen, saß sie meist über einem Nadelwerk und redete gelassen und heiter mit ihnen. Oft lag das graue Katerlein in ihrem Schoße, über dessen sammetweiches Haar ihre Hand gerne spielend fuhr. Kam Lamprecht allein, so blieb der Liebling, wo er war, wenn aber Dietmer ihm folgte, so stand sie auf, schüttelte das zarte Tier ab, das einen Buckel machte und davon schlich, und reichte den Brüdern die Hand, Lamprecht zuerst, wie es sich ziemte, und dann dem Dietmer. Dieser hatte von seiner Wanderschaft ein feines Goldkettlein mitgebracht, das ein welscher Meister zu Verona geschmiedet. Als Lamprecht es sah, meinte er, es wäre ein passendes Angebinde für Mechthild zu ihrem Namenstage, der nahe sei, und Dietmer, dem es Freude machte zu schenken, gab es ihm willig. 133 Als es dann Lamprecht zur bestimmten Zeit in Mechthilds Hände legte und ihr zugleich mitteilte, daß Dietmer zu seinen Gunsten sich des Schmuckstücks willig entäußert hatte, da empfingen sie beide lieblichen Dank von ihr. Sie sagte, daß keine Edelfrau der Kaiserin mit einem schmuckeren Kettlein Sonntags in die Ägydikirche gehe, als diese sei. Am selben Namenstage Mechthildis spendete Meister Klaus einen Krug guten Weines zu Tisch, einen Eisenthürer aus dem steirischen Unterland und stellte dazu einen silbernen Becher, den er einst als Ehrengabe auf einem Zunftschießen erkämpft hatte. Diesen Becher schmückte ein kleines halb erhabenes Bildwerk, das die Gestalt eines Engels trug, weshalb er im Hause der Engelsbecher hieß. Daraus mußte Mechthild den beiden Brüdern in ehrbarer Weise zutrinken, als sie bei Tische saßen, und sie nippte an dem Wein, bevor sie den Becher an Lamprecht reichte. Aber als sie das zweite Mal kredenzte, setzte sie ihre roten Lippen gerade dort an, wo sich die Engelsgestalt zum Rande herauf schmiegte, und reichte den Becher an Dietmer so, daß er an 134 derselben Stelle trinken mußte, wo ihr Mund geruht hatte. Das geschah zu seinen Ehren.
Auch Wetzel saß am Tisch und trank von dem guten Wein, aber aus einem zinnernen Becher, der ihm gestellt wurde. Er brachte der Maid Mechthild seinen Glückwunsch dar, wie die andern, trank und sprach sodann, indem er den Becher niederstellte: »Dieser Wein heißt Eisenthürer, weil man vermeint, sich aus ihm so viel Mut zu trinken, um eiserne Thüren einrennen zu können. Dem ist aber nicht so. Ließe ich mir zu viel Mut von ihm einsprechen, so würfe er mich nieder, und die eisernen Thüren blieben vor mir in Frieden bestehen.«
»Das sollst du auch nicht,« erwiderte Meister Klaus, »dich deiner Kraft übernehmen und vom Weine geschwächt werden.«
Der Tisch war mit schneeweißem Linnen gedeckt, und die gelbe, dreischnäblige Messinglampe, die über ihm hing, sandte freundliches Licht herab. Sie saßen wohlgemut bis zum Ende des Mahles. Da es aber sonst kein Festtag war, sondern nur der Namenstag Mechthildis, so ließ die 135 Hauswirtin nach vollendetem Mahle das weiße Linnen mit dem Tischgeräte abräumen und nach Werktagsbrauch eine Arbeit vornehmen. So hielt sie es immer.