Egid Filek
Die wundersame Wandlung des Herrn Melander
Egid Filek

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VIII.

Der Herr Sekretarius Joachim Holtzapfel hatte heute entschieden einen bösen Tag.

Schon in aller Gottesfrüh war der Kammerdiener mit bestürzten Mienen bei ihm eingebrochen und hatte die Meldung gebracht, Herr Balthasar Thorn sei vor einer Stunde schwer bezecht unter Absingung höchst unfeiner Lieder nach Hause gekommen und habe ihm auf seine Zurechtweisung etwas zugemutet, das man in einer anständigen Gesellschaft nicht über die Lippen bringen könne; nun liege er angekleidet in seinem Bett auf dem Rücken, statt zu malen, obgleich der Herr Graf ihm für heute vormittag die Ehre seines Besuches in Aussicht gestellt habe; und er, der Kammerdiener, habe den Herrn Sekretarius gleich gewarnt, solch einen verlotterten Künstler ins Haus zu nehmen, aber man höre ja nie auf den Rat erfahrener, verständiger Leute. Und dann sei schon wieder solch ein Originalgenie angekommen, in Sitten und Benehmen dem vertrackten Maler leider sehr ähnlich geartet, das warte unten in der Halle auf den Herrn Grafen und rühme sich, der Überbringer einer wichtigen Botschaft zu sein. Wenn es noch wenigstens ein Franzose oder ein Italiener wäre, diese Leute benähmen sich doch alamodisch und seien adrett gekleidet, aber der Kerl da unten trage 118 einen breitkrämpigen Schlapphut, schief aufs Ohr gesetzt, ein geschlitztes Wams, rote Pumphosen und Stulpenstiefel mit langen Reitersporen, dazu auch einen schweren Raufdegen; so ein Deutscher rieche eben auf hundert Schritte nach dem Stall, aus dem er stamme. Sicherlich irgend ein verbummelter Student, der mit Hunden in die Vorlesung kam und in der Nacht die friedlichen Bürger aus dem Schlaf brüllte mit Randalieren und Skandal auf offener Straße. Und nachdem der Kammerdiener feierlich jede Verantwortung für alles Unheil, das dem gräflichen Hause aus solchen Besuchen erwachsen sei und noch erwachsen werde, abgelehnt, entfernte er sich mit Haltung und Miene eines Mannes, der seine Pflicht redlich erfüllt hat.

Solche Dinge, die imstande waren, die Ordnung und Würde des gräflichen Haushaltes zu stören, waren dem Sekretarius höchlich zuwider, und seine Laune besserte sich keineswegs, als er in die Halle hinabstieg und den neuen Ankömmling in Augenschein nahm; denn der sah in der Tat einem verlotterten Studenten zum Verwechseln ähnlich, trotz seiner Mannesjahre; trug den linken Arm in der Binde wie einer, der kürzlich einen bösen Raufhandel gehabt, und benahm sich so frei und selbstherrlich, als befände er sich auf dem Fechtboden seiner Burse und nicht in einem herrschaftlichen Schloß.

»Ist der Herr Graf zu sprechen?« fragte er in einem äußerst nachlässigen Ton und musterte dabei die in der Halle ausgestellten Raritäten mit einer Neugier, die hart an Frechheit grenzte. 119

»Seine gräfliche Gnaden befinden sich bei der Toilette«, erwiderte der Sekretarius mit eisiger Kälte und sah dabei bedeutungsvoll nach der großen Wanduhr.

»Wird das lange dauern?« fragte der andere und zog eine lederne Mappe unter dem Mantel hervor, die er auf den Tisch legte. »Wollt mich vielleicht beim Herrn Grafen anmelden, da ich ihm eine Botschaft von großer importance zu bringen habe.«

»Wen soll ich melden?«

Es lag eine unsägliche Verachtung in dem unschuldigen Wörtlein »wen«.

»Potz Wetter, das ist ein feines Gemälde«, sagte der sonderbare Gast in beifälligem Ton und betrachtete eine ruhende Venus in breitem Goldrahmen mit schmunzelndem Kennerblick.

Dem Sekretarius stieg der rote Zorn in die gelbledernen Wangen; er war im Begriff, nach dem Diener zu rufen und den frechen Eindringling hinausweisen zu lassen, als dieser sich plötzlich herumwandte, als besinne er sich jetzt erst auf die Antwort.

»Meldet dem Herrn Grafen den Hauptmann Christoffel von Grimmelshausen.«

»Wie . . . wa . . . was? Christoffel von . . . Grimmelshausen?«

»Teufel ja, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, den Namen wird er wohl kennen, potz Donnerwetter!«

Der Magister hatte eine scharfe Zurechtweisung auf der Zunge, aber er schwieg, in der sicheren 120 Erwartung, daß sein Herr es gar nicht der Mühe wert finden würde, sich diesem fluchenden Schoristen überhaupt zu zeigen.

Aber was jetzt geschah, das brachte den Herrn Sekretarius für den ganzen Tag um den letzten Rest seiner guten Laune.

Der Graf, der in Unterkleidern vor dem großen Spiegel stand und eifrig bemüht war, sich das dünn gewordene Haupthaar über den kahlen Schädel zu bürsten, hatte kaum den Namen des Fremden vernommen, als er mit einem Ausruf freudiger Überraschung die Bürste hinwarf:

»Lasset den Herrn Hauptmann sofort eintreten.«

Der Magister glaubte nicht recht gehört zu haben.

»Befehlen der Herr Graf, daß er in dero Toilettezimmer . . .«

»Laßt ihn herein, sagt' ich schon, und rasch!«

Das war deutlich genug.

Kopfschüttelnd ging der Herr Magister Holtzapfel hinaus.

Der Graf riß dem glotzenden Kammerdiener die Kleider aus der Hand und schickte ihn aus dem Zimmer. Und er war noch mit dem Umlegen des breiten Spitzenkragens beschäftigt, da klopfte es schon an der Tür.

»Herein!«

Er stand auf der Schwelle, den Kopf vorgeneigt wie ein sicherndes Wild. Ja, das war der Hans Jakob, der Genosse so mancher fröhlicher Fahrt aus jüngeren Tagen, der Freund und Helfer in tausend Händeln und verzwickten Abenteuern, und trotz 121 einiger neuer Runzeln und Falten trug er noch dasselbe Fuchsgesicht spazieren wie damals, mit seiner unverschämten Frechheit und seinem unverwüstlichen Humor.

»Hier stehet Euer Liebden getreuester Vetter . . .«

»Hans Jakob! Bist's wirklich, oder vexiert mich ein Gespenst? Was für ein Wind hat dich denn hergeblasen? Oh, du Springinsfeld und Landstörtzer!«

Er schüttelte ihm die Hand einmal übers andere und freute sich wie ein Kind.

Hans Jakob aber stand da gleich einem Kirchenheiligen, um den die Weihrauchwolken dampfen.

»Und wo hast du dir denn die Blessur da geholt?«

Er lächelte geheimnisvoll.

»Frauenzimmeraffairen, Herr Graf. Ich wollte, sie wollte, aber er wollte nicht . . . und er war der Ehemann. Da haben wir uns gegenseitig ein wenig gekratzt . . .«

»Bist also noch immer der alte Kujon. Laß mal dein Gesicht betrachten. Na, jünger bist nit worden seit damals . . .«

»Nit jünger und nit gescheiter, gottlob. Und ist noch alleweil mein Wahlspruch:

Es hat mir wollen behagen
Mit Lachen die Wahrheit zu sagen.

Wer aber so denkt und handelt, bringt's nit weit im Leben, denn Frau Wahrheit will niemand herbergen, das wißt Ihr wohl.«

»So sag' nun endlich einmal, wo kommst du her?«

»Bin fürs erste in Gelnhausen gewesen, in meiner 122 Heimatstadt, wo mein Vater selig das ehrsame Bäckerhandwerk geübt hat,« berichtete Hans Jakob, »aber dort hat die Kriegsfurie arg gehaust und mein Vaterhaus ist vom Grund aus zerstört, so daß man nit einmal die Stelle finden kann, wo der Backofen gestanden, so sehr ich auch suchte. Und dann trieb's mich gen Anhalt-Dessau, weil ich doch auch mal Mitglied des Palmenordens war. Aber der gute Fürst Ludwig ist gestorben, und die gereimte Beschreibung seiner Reisen, an die er so viel Fleiß und Mühe verwendet hat, liegt unvollendet auf seinem Schreibepult. Doch haben sich's seine Freunde an seiner Bahre zugeschworen, den Palmbaum nicht verdorren zu lassen, und zum Beweis dessen hab' ich Euch was mitgebracht.«

»Was mag das sein?«

»Was großmächtig Neues, das Euch sicherlich willkommen sein wird. Nämlich Eure Schrift ›Gedanken über die Verbesserung der teutschen Muttersprache‹ hat in dem Kreis der ›Fruchtbringenden Gesellschaft‹ so viel Beifall gefunden, daß sie beschlossen hat, Euch zu ihrem Mitglied zu ernennen. Und zum Zeichen und Beweis soll ich Euch in ihrem Auftrag das Diplom samt dem Ordenskleinod am sittig grünen Bande geziemend überreichen. Es liegt noch drunten in meiner Mappe, sofern es nicht der lederne Herr Sekretarius mit dem Affengesicht hat fortnehmen lassen.«

Der Graf war tief ergriffen.

Das war das Ziel seines Ehrgeizes seit Jahren: die Ernennung zum Mitglied jener Dichter- und 123 Gelehrtengesellschaft, die unermüdlich für die »Reinigung der deutschen Sprachkunst und die edelste Art im Schreiben und Reimdichten« wirkte. Nicht Rang und Reichtum sollte dort gelten, sondern nur Poesie und Gelehrsamkeit, seit Fürst Ludwig feierlich die schlichten Gelehrten als gleichberechtigt mit Adeligen, Fürsten und Kriegsmännern erklärt. Und so hatte denn der Herr Graf mit vielem Bemühen und mannigfacher Nachhilfe seines gelehrten Sekretarius eine Abhandlung über die Verbesserung der deutschen Sprache zustande gebracht – leider mit vielen französischen Brocken untermischt – und der »Fruchtbringenden Gesellschaft« eingereicht, worüber schon Jahr und Tag vergangen waren, bis endlich heute sein Ehrgeiz die längstersehnte Befriedigung fand.

Hans Jakob holte das Diplom und das Ordenskleinod herauf; das war ein Medaillon von der Größe einer Hand und an einem grünen Bande um den Hals zu tragen, und zeigte auf der Vorderseite den Palmbaum in Gold und Email mit der Legende »Alles zu Nutzen«, rückwärts aber die Blume des neuen Mitgliedes, eine goldgelbe Butterblume und den Beinamen »der schmackhafft Schmelzende«, der ihm in feierlicher Sitzung zuerkannt worden war; Sonne, Mond und Sterne blickten vom Himmel herab und ein pausbackiger Engel brachte auf einer Pansflöte der Butterblume ein Ständchen.

Gerührt ließ sich der gnädige Herr das buntschillernde Ding um den Hals hängen, dann sagte er:

»Hast mir eine große Freude gemacht, Hans Jakob. Doch sag' mir nun, wie steht's mit deiner 124 eigenen Poeterei? Willst nicht wieder so was machen wie dein zierlich Geschichtlein ›Dietwalts und Amelindens anmutige Lieb- und Leidsbeschreibung‹, worinnen du so galant und artig von der Liebe erzählt hast?«

Aber Hans Jakob Christoffel schüttelte den Kopf, daß die Haarbüschel flogen, und entgegnete:

»Nein, potz Wetter, das süße Gewinsel von Helden und Schäfern und Liebeszaubereien hab' ich satt. Und die gelehrte Weisheit aller frucht- und blumentragenden Gesellschaften gilt mir keinen Pfifferling. Heut müßte einer was schreiben, darin das deutsche Volk sich sehen könnt' wie in einem Spiegel; und müßte alle Not und alles Elend, so wir in diesem fluchwürdigen Krieg erfahren haben, darinnen geschildert sein ohne Ziererei, wie es wirklich und wahrhaftig geschehen ist; und dennoch müßt' man verspüren, wie wir uns aufrappeln werden aus unserem Unglück und den Mut nicht verlieren dürfen trotz allem Jammer, bis wir wieder imstand sind, tapfer unser Geschick zu lenken. Wollt' mir sothane Arbeit gelingen: dann tät' ich alles Mißgeschick segnen, das mir in meinem wirren Leben zugestoßen ist.«

»Aber an solch einem Werk werden unsere modischen Herren Poeten wenig Freude finden, meinst du nicht, Hans Jakob?«

»Mögen sie Freude daran finden oder Verdruß, mich schert's nicht. Wenn's mir nur selbst Pläsier macht. Doch nun bitt' ich untertänig, mich zu entlassen, Herr Graf – noch ist mir die Gurgel 125 trocken von dem Staub, den ich beim Marsch hierher schlucken mußt'. 's wird ein heißer Tag werden heute.«

Da erinnerte sich der Herr Graf der Pflichten der Gastfreundschaft und ließ vom Kammerdiener einen Humpen Wein aus dem Keller holen; der hochmütige Kerl setzte mit vollendeter Domestikenfrechheit Hans Jakob den Römer hart vor die Nase und würdigte ihn im übrigen keines Blickes.

Der Wein aber war ein echter Gumpoldskirchner und so gut, daß der Gast gar nicht mehr den Wunsch äußerte, in Gnaden entlassen zu werden; der Wirt tat ihm wacker Bescheid, sie kamen ins Plaudern und erinnerten sich gegenseitig an hundert gemeinsam erlebte Abenteuer, und so vergaß denn auch der Graf seinen beabsichtigten Besuch in der Werkstatt Balthasar Thorns, zum Glück für den Maler, der noch immer keine Anstalten traf, aufzustehen und seine Arbeit zu fördern.

Hans Jakob erzählte von seinen Fahrten, und der Graf hörte gierig zu. Er war eine Abenteurernatur mit immer wachen Sinnen und Quecksilber im Blut. Schelm genug, um andere an seine Ehrlichkeit glauben zu machen, und doch wieder so sehr Naturbursch, daß er mitunter selbst daran glaubte. Schon bei der ersten Begegnung hatte er den Grafen, der immer Anschluß an eine stärkere Persönlichkeit brauchte, durchschaut und beschlossen, sich ihm unentbehrlich zu machen. Dabei fiel immer für ihn irgend ein Vorteilsbrocken ab. Auch jenes Diplom der »Fruchtbringenden Gesellschaft«, das er ihm verschafft hatte, war nur ein Glied 126 in der Kette, die er zu eigenem Nutzen zu schmieden verstand.

Wie hieß doch das neue Stück des spanischen Poeten, jenes Calderon, der damals die Welt mit seinem Ruhm erfüllte: »Ein armer Mann muß voller Kniffe sein?!«

Potz Wetter: Hans Jakob Christoffel war nicht umsonst bei den Spaniern in die Schule gegangen.

Endlich erhob sich der Graf in heiterster Stimmung, um seinen gewohnten Spazierritt zu unternehmen, nachdem er Hans Jakob gebeten, sich im Schloß und Garten zu benehmen, als ob er zu Hause wäre; und dieser nahm die Einladung mit der geziemenden Ehrfurcht gegen den Höherstehenden in zierlichen Worten an, weidete sich an der sauersüßen Höflichkeit des Sekretarius, dem sein Herr einen entsprechenden Wink gegeben hatte, und musterte einen Raum nach dem andern wie ein Raritätenkabinett.

Die Türe des blauen Zimmers war nur angelehnt, und da durch die Spalte beträchtliches Schnarchen herausquoll, stieß Hans Jakob die Tür aus, neugierig, wer da so geräuschvoll in den Morgen hineinschlief. Aber er sah zunächst nichts als ein Paar Kanonenstiefel, die über den Bettrand hinabhingen, während der dazugehörige Leib von den Kissen fast verdeckt war.

Doch kam mit einem Male Leben in die Masse; ein wirrer Lockenkopf bewegte sich, grunzte, schlug langsam und mühselig die Augen auf und stierte teilnahmslos ins Leere, während Hans Jakob gutmütig spottend sprach: 127

»Laßt Euch nicht stören, Meister, und döst nur ruhig so weiter. Der gräfliche Gumpoldskirchner ist gut, was? Ihr scheint so was wie Seiner Gnaden Hofmaler zu sein. Aha, da sitzt er ja auf seinem Gaul wie der Kaiser auf dem Thron. Diese Adeligen werden uns noch das bissel deutsche Kunst ganz verpesten, das uns der Krieg übrig gelassen hat. Mit Vergunst!«

Und er wanderte von einem Bild zum andern und betrachtete alles mit großer Gewissenhaftigkeit. Balthasar Thorn kam allmählig zu sich, rieb sich die Augen und sah erstaunt seinem Tun zu, konnte aber keinen klaren Gedanken fassen, weil der Weindunst des Rathauskellers, wo er gestern gezecht, noch immer seinen Verstand umnebelte.

»Ja, ja,« setzte Hans Jakob seine Rede fort, »wir brauchen sie noch immer, die hochmögenden Herren, denn sie sitzen auf dem Geldsack; wir Künstler wollen auch leben, und wenn möglich nicht schlecht. Ist übrigens noch einer von den Anständigeren, der gute Graf, dessen Kriegstaten Ihr da so hübsch auf die Leinwand hingelogen habt; denn ich war zufällig auf dieser Campagne bei ihm und kann Euch versichern, daß alles ganz anders zuging.«

»Mit Permeß, wer seid Ihr?« fragte Balthasar, der endlich zum Gebrauch seiner fünf Sinne kam.

»Ich lüge mit dem Gänsekiel statt wie Ihr mit dem Pinsel; Hauptsach' ist, daß man unsere Lügen glaubt . . . Ja, Herr, Ihr sehet einen Poeten vor Euch, und mein Name ist German Schleifheim von Sulsfort, und wenn Ihr die Buchstaben lang genug 128 versetzet, so heißt's Grimmelshausen. Macht nicht in Courtoisie, ich bin nicht beleidigt, wenn Ihr meine unsterblichen Werke nicht kennt, hab' auch von Euren Bildern bis heute wohl kaum eins gesehen . . .«

Der Maler nannte seinen Namen; sie reichten sich mit steifer Grandezza die Hände, und als sich fand, daß beide den Krieg mitgemacht hatten, war das Garn zu einem längeren Gespräch gefunden.

»So seid Ihr schon einige Zeit lang in Wien, Herr Balthasar? Da könnt' Ihr mir füglich den Cicerone machen; ich kenne die Stadt noch nicht und hoffe unter Eurer Führung mehr zu sehen als sonst möglich wäre, he?«

Das versprach Balthasar mit schlauem Lächeln, und nachdem sie den Tag im Schlosse zugebracht hatten, wo der Maler trotz seines Brummschädels eifrig den Pinsel handhabte – er erklärte, nie besser zu malen als im Zustand des Katzenjammers – begaben sie sich gegen Abend Arm in Arm nach der Stadt, woselbst Balthasar seinen neuen Freund von einer Kneipe in die andere schleppte, auch nicht unterließ, ihn mit dem Hauptmann der Stadtguardia und mit der rundlichen Marie bekannt zu machen, an der Hans Jakob sofort großes Wohlgefallen fand. Und dieses schien erwidert zu werden, denn sie setzte sich zu ihm und machte ihm schöne Augen, und er streichelte ihren Arm so zärtlich, daß es Balthasar schwül zu werden begann.

Und als die verschiedensten Ablenkungsversuche nichts fruchteten, hetzte er heimlich den Hauptmann auf ihn, der ihn in einen scharfen Waffengang mit 129 Malvasier verwickeln mußte; aber Hans Jakob blieb Sieger und saß noch strack und aufrecht da, als des Hauptmanns Kopf schon schwer auf den Tisch fiel und Balthasar stier vor sich hinglotzte.

Um diese Zeit saß der Herr Magister Holtzapfel daheim in seinem Kämmerlein, hatte eine große Hornbrille auf der Nase und einen wuchtigen Folianten in Lederband vor sich auf dem Pult; sein Titel aber lautete: »Alamodisches Complimentierbuch oder die Kunst, in allen Lebenslagen und unter allen Ständen sich zierlich zu benehmen und zu conversieren, allen Cavalieren und dero Damen zur Nutz und Ergetzlichkeit ans Licht gestellet.«

Und als er just an das Kapitel geraten war, das vom Verkehr mit Tieferstehenden handelte und hierbei ganz besondere Vorsicht empfahl, maßen doch jeder Adelige von höherer Geburt und edlerer Beschaffenheit an Seel und Leib und vom gemeinen Troß der Bürger und Bauern ganz verschieden sey, da schob er die Brille auf die Stirn, sann lange vor sich hin und schüttelte endlich verdrossen den Kopf über seinen Herrn, der sich so leichtsinnig über alle jene Regeln und Vorschriften hinwegsetzte; war er doch wahrhaftig mit jenem fremden Abenteurer, der in Schlapphut, Pumphosen und Reiterstiefeln daherprotzte, Arm in Arm die Treppe hinabgegangen – man denke, Arm in Arm! Wenn das der hochselige Herr Vater gesehen hätte, der immer so sehr auf Distanz hielt!

Da zerriß ein ungewöhnliches Geräusch seine trübseligen Gedanken. Es war ein Reden, Lachen, 130 Beschwichtigen, ein Stampfen von schweren, stolpernden Tritten über hölzerne Stufen, und klang nicht anders, als schleppe ein guter, hilfsbereiter Freund einen andern, der weit mehr als gebührlich der Flasche zugesprochen, aus christlicher Nächstenliebe in sein Zimmer und zu seiner Lagerstatt, damit er seinen Rausch verschlafe; doch schien es, als ob auch der treue Freund und Helfer nimmer ganz sicher auf den eigenen Beinen stünde und einer Stütze bedürftig sei.

Magister Holtzapfel aber hielt sich die Ohren zu. Er wollte nichts mehr hören und war nur froh, daß die große Standuhr Mitternacht schlug und sohin dieser verdrießlichste Tag seines Lebens endlich vorüber war. 131

 


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