Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil II
Henry Fielding

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Siebentes Kapitel.

Ein merkwürdiger Entschluß Sophiens und eine noch merkwürdigere List der Mamsell Honour.

Obgleich Mamsell Honour hauptsächlich auf ihr eigenes Interesse bedacht war, so besaß sie doch einige Zuneigung für Sophien. Es ist wahr, wer diese junge Dame kannte, dem würde es sehr schwer geworden sein, sie nicht auch zu lieben. Kaum erfuhr sie daher eine Neuigkeit, von der sie glaubte, daß sie für ihre Gebieterin von Wichtigkeit sein müsse, als sie, den Aerger, den sie vor zwei Tagen durch ihre unfreundliche Entlassung aus Sophiens Gegenwart erfahren hatte, gänzlich vergessend, zu ihr eilte, um ihr die Neuigkeit mitzutheilen.

Der Beginn ihrer Rede war so abrupt wie ihr Eintritt in das Zimmer. »Ach gnädiges Fräulein!« sagte sie, »was denken Sie wohl? Wahrhaftig, ich bin außer mir, so bin ich erschrocken; und dennoch hielt ich es für meine Pflicht, es Ihnen zu sagen, wenn Sie auch böse darüber werden sollten; denn wir Dienstmädchen wissen nicht immer, was unsere Herrschaften böse machen wird; denn das ist wahr, wir müssen immer alles ausbaden. Wenn unsere Herrschaften nicht bei Laune sind, nun da müssen wir herhalten; 178 und es wäre gewiß kein Wunder, wenn Sie, Fräulein, nicht bei Laune wären; nein, Sie werden sicher erstaunen, ja, und sich darüber entsetzen obendrein.« – »Gute Honour, erzähle ohne lange Umschweife,« sagte Sophie; »es giebt wenig Dinge in der Welt, ich versichere Dich, über die ich erstaunen, und noch weniger, über die ich mich entsetzen werde.« – »Theures Fräulein,« erwiederte Honour, »gewiß und wahrhaftig, ich hörte den gnädigen Herrn zu Herrn Supple sagen, er sollte diesen Nachmittag einen Erlaubnißschein besorgen, weil Sie morgen früh getraut würden.« Sophie erbleichte bei diesen Worten und wiederholte hastig: »morgen früh!« – »Ja, Fräulein,« versetzte das Kammermädchen ehrlich, »ich will einen Eid darauf schwören, daß der gnädige Herr so sagte.« – »Honour,« sagte Sophie, »Du hast mich in einem solchen Grade erschreckt, daß ich weder Athem noch Besinnung mehr habe. Was ist zu thun in dieser schrecklichen Lage?« – »Ich wünschte, ich könnte Ihnen rathen, Fräulein,« sagte sie. – »O rathe mir,« rief Sophie; »bitte, liebe Honour, rathe mir. Denke Dir, was Du an meiner Stelle thun würdest.« – »Wahrhaftig,« rief Honour, »ich wünschte mit Ihrer Lage tauschen zu können; das heißt, ich meine nämlich ohne Ihren Schaden; denn ein Dienstbote zu sein, das möchte ich Ihnen nicht wünschen; aber gesetzt den Fall, ich wäre an Ihrer Stelle, ich würde gar keine Schwierigkeit finden; denn, meinem schwachen Verstande nach ist der junge Squire Blifil ein scharmanter, lieber, hübscher Mann.« – »Davon will ich nichts wissen,« rief Sophie. – »Davon nichts wissen,« wiederholte Honour. »wie so? Nun ja, wahrhaftig, was dem einen gefällt, das ekelt den andern an, accurat so geht es den Frauenzimmern.« – »Honour,« sagte Sophie, »ehe ich mich darein ergäbe, das Weib dieses Erbärmlichen zu werden, lieber wollte ich 179 mir einen Dolch in das Herz stoßen.« – »Mein Gott, Fräulein!« versetzte die andere, »ich bin außer mir vor Schrecken. Ich bitte Sie, lassen Sie sich nicht so schreckliche Gedanken beikommen. O mein Gott! ich zittere wahrhaftig an allen Gliedern. Bedenken Sie nur, theures Fräulein, ohne ein christliches Begräbniß, einen Pfahl durch den Leib, an der Heerstraße eingescharrt zu werden, wie der Pachter Heller, dessen Geist seitdem beständig am Kreuzwege umgeht, denn es haben ihn Viele gesehen. Wahrhaftig, nur der Teufel kann einem solche gottlose Gedanken eingeben; denn es ist gewiß weniger gottlos, der ganzen Welt zu schaden, als sich selbst, das habe ich von mehr als einem Geistlichen gehört. Wenn Sie eine so heftige Abneigung vor dem jungen Squire haben und ihn so erschrecklich hassen, daß Sie den Gedanken nicht ertragen können, das Bett mit ihm zu theilen; denn, das ist gewiß, solche Antipathien giebt es in der Natur, und mancher würde lieber eine Kröte angreifen, als manche Person. –«

Sophie war zu sehr in ihre eigenen Gedanken vertieft, als daß sie den schönen Betrachtungen ihres Mädchens große Aufmerksamkeit hätte schenken sollen; sie unterbrach sie daher, ohne ihr zu antworten, und sagte: »Honour, ich habe einen Plan gefaßt. Ich bin entschlossen noch diese Nacht meines Vaters Haus zu verlassen; und wenn Du mir wirklich mit der Freundschaft zugethan bist, wie Du mir oft versichert hast, so wirst Du mich begleiten.« – »Das will ich, Fräulein, bis an der Welt Ende,« erwiederte Honour; »aber ich bitte Sie, überlegen Sie die Folgen, ehe Sie zu einer so raschen That schreiten. Wohin könnten Sie denn gehen wollen?« – »Ich habe,« antwortete Sophie, »in London eine Verwandte, eine vornehme Dame, die sich einige Monate bei meiner Tante hier auf dem Lande aufhielt: diese zeigte sich mir die ganze Zeit über sehr wohlwollend 180 und hatte mich so gern, daß sie meine Tante ernstlich bat, mich mit ihr nach London gehen zu lassen. Da sie eine sehr angesehene Dame ist, so werde ich sie leicht auffinden und ich zweifle nicht an einer sehr guten und freundlichen Aufnahme von ihrer Seite.« – »Ich möchte nicht, daß Sie zu fest darauf bauten,« rief Honour; »denn die erste Dame, bei der ich lebte, pflegte die Leute sehr dringend zu sich einzuladen; aber wenn sie dann hörte, daß sie kommen wollten, so ging sie ihnen gewöhnlich aus dem Wege. Ueberdies, wenn nun auch diese Dame sehr erfreut sein sollte, Sie zu sehen, wie das wahrhaftig jedermann sein würde; wie dann, wenn sie hört, daß Sie dem gnädigen Herrn davon gelaufen sind?« – »Da bist Du irrig, Honour,« sagte Sophie: – »sie betrachtet die Autorität eines Vaters mit andern Augen als ich; denn sie drang sehr in mich, mit ihr nach London zu gehen, und als ich das ohne meines Vaters Bewilligung nicht thun wollte, lachte sie mir ins Gesicht, nannte mich ein albernes Landmädchen und sagte, ich würde ein armes liebendes Weib werden, da ich eine so gewissenhafte Tochter sein könnte. Daher hege ich keinen Zweifel, daß sie mich nicht allein aufnehmen, sondern auch beschützen wird, bis mein Vater, wenn er sieht, daß ich seiner Gewalt entzogen bin, zu einiger Besinnung gebracht werden kann.«

»Gut, aber Fräulein,« entgegnete Honour, »wie gedenken Sie Ihre Flucht zu bewerkstelligen? Wie wollen Sie Pferde oder ein Fuhrwerk bekommen? Denn Ihr eignes Pferd, das wird Robin, da alle die Dienstleute ein wenig wissen, wie die Sachen zwischen dem gnädigen Herrn und dem Fräulein stehen, nicht ohne den ausdrücklichen Befehl des Herrn herauslassen, ja, eher ließ sich der hängen.« – »Meine Absicht ist,« sagte Sophie, »durch die Thüren hinauszugehen, wenn sie offen sind. Dem Himmel sei Dank, 181 meine Beine können mich recht gut tragen. Sie haben mich manchen langen Abend nach dem Takte einer Geige beim Tanze mit einem nicht sehr angenehmen Tänzer getragen; und so werden sie mich auch nicht im Stiche lassen, wenn es gilt, einem so abscheulichen Lebensgefährten zu entgehen.« – »Mein Himmel, Fräulein! bedenken Sie auch, was Sie sagen?« rief Honour: »kann es Ihr Ernst sein, zu Fuße durch das Land bei Nacht und allein zu reisen?« – »Allein nicht,« antwortete das Fräulein: »Du hast mir ja versprochen, mich zu begleiten.« – »Ja, wahrhaftig,« rief Honour, »durch die ganze Welt will ich Ihnen folgen; aber Sie würden nicht besser daran sein, als wenn Sie allein wären; denn ich werde nicht im Stande sein, Sie zu vertheidigen, wenn Sie von Räubern oder anderm schlechten Gesindel angefallen würden. Nein, ich würde in eben so große Furcht gerathen wie Sie, und sie würden uns gewiß beide entführen. Ueberdies bedenken Sie, Fräulein, wie kalt die Nächte jetzt sind: wir werden erfrieren.« – »Ein rascher Gang,« erwiederte Sophie, »wird uns vor der Kälte schützen; und wenn Du mich gegen einen Bösewicht nicht vertheidigen kannst, Honour, so will ich Dich vertheidigen; denn ich werde ein Pistol mit mir nehmen. Es hängen immer zwei geladene im Vorsaale.« – »Bestes Fräulein, Sie erschrecken mich nur noch mehr,« rief Honour: »Sie werden es wahrhaftig nicht abzufeuern wagen! da könnte mir wohl eher sonst etwas begegnen, ehe Sie das thun würden.« – »Warum nicht?« sagte Sophie lächelnd: »würdest Du, Honour, nicht auf einen jeden, der Dir die Tugend rauben wollte, ein Pistol abfeuern?« – »Es ist wahr, Fräulein,« rief Honour, »die Tugend ist ein theures Gut, namentlich für uns arme Dienstboten; denn sie ist, kann man wohl sagen, unser Vermögen; dennoch hasse ich die Feuergewehre bis in den Tod hinein; 182 denn es ist so viel Unglück durch sie geschehen.« – »Gut, gut,« sagte Sophie, »ich glaube Deine Tugend um einen sehr billigen Preis sicher stellen zu können, ohne daß wir Waffen mit uns zu nehmen brauchen; denn ich gedenke in der ersten Stadt, in die wir kommen, Pferde zu miethen, und bis dahin werden wir schwerlich einem Angriffe ausgesetzt sein. – Sieh, Honour, mein Entschluß, fortzugehen, steht fest; und wenn Du mich begleiten willst, so verspreche ich Dir, daß Du belohnt werden sollst, so gut es nur immer in meinem Vermögen stehen wird.«

Dieses letzte Argument übte eine mächtigere Wirkung auf Honour aus als alle vorhergehenden; und da sie ihre Herrin so fest entschlossen sah, stand sie von allen ferneren Einreden ab. Sie besprachen sich hierauf über die Mittel und Wege zur Ausführung ihres Planes. Hier begegneten sie einer sehr großen Schwierigkeit, welche darin bestand, wie ihre Effecten fortzubringen wären, und über welche die Herrin leichter hinwegkam als die Dienerin; denn wenn sich eine Dame einmal vorgenommen hat, einem Liebhaber zu folgen, oder ihm zu entfliehen, erscheinen alle Hindernisse geringfügig. Ein solcher Beweggrund fand sich aber bei Honour nicht vor; sie sah kein Entzücken vor sich und kein Entsetzen hinter sich; und abgesehen von dem reellen Werthe ihrer Kleidungsstücke, in denen ein großer Theil ihres Vermögens bestand, hatte sie eine kindische Anhänglichkeit für manches Kleid und für manche andere Dinge, entweder weil sie sie gut kleideten, oder weil sie ihr von der oder jener Person geschenkt worden waren; weil sie dieselben erst kürzlich gekauft, oder sie so lange schon getragen hatte, oder aus andern eben so wichtigen Gründen; so daß sie sich mit dem Gedanken nicht vertraut machen konnte, diese armen Sachen in der Gewalt Western's zurückzulassen, 183 weil sie nicht daran zweifelte, daß dieser ihnen ein Märtyrerthum bereiten würde.

Nachdem die erfindungsreiche Mamsell Honour ihr ganzes Rednertalent aufgewendet, um ihrer Herrin von ihrem Plane abzurathen und daraus gesehen hatte, daß sie durchaus entschieden war, so brachte sie endlich folgendes Mittel, ihre Kleider zu retten, vor; sie wollte sich nämlich diesen Abend noch aus dem Hause fortjagen lassen. Sophie billigte diese Maßregel vollkommen, war aber mit sich nicht einig über die Ausführung derselben. »O Fräulein,« rief Honour, »das überlassen Sie nur mir; wir Dienstboten wissen recht gut, wie wir zu dieser Gunst bei unsern Herrschaften gelangen; freilich, wo sie uns mehr Lohn schuldig sind, als sie beim besten Willen bezahlen können, da geschieht es bisweilen, daß sie sich allen unsern Trotz gefallen lassen und kaum von irgend einer Art Aufkündigung Notiz nehmen: aber unter diese gehört der Squire nicht; und da Sie diese Nacht fort wollen, so stehe ich dafür, daß ich diesen Nachmittag außer Dienst komme.« Es ward nun beschlossen, daß sie mit ihren eignen Sachen einige Wäsche und einen Nachtanzug für Sophie einpacken sollte; alle ihre übrigen Kleider ließ die junge Dame zurück, ohne ein größeres Bedauern zu fühlen, als der Seemann, wenn er die Güter Anderer über Bord wirft, um sein eigenes Leben zu retten.


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