Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil II
Henry Fielding

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65 Elftes Kapitel.

Schildert ein so blutiges Gefecht, wie es ohne Stahl und Eisen nur immer geliefert werden kann.

Wenn in der Brunstzeit (ein wunderlicher Ausdruck, womit man gewöhnlich jene artige Tändelei bezeichnet, die in dem Walde von Hampshire die Liebespaare unter den Thieren mit einander treiben), während der stolze Edelhirsch auf verliebte Spiele sinnt, ein paar junge Hunde oder andere feindlich gesinnte Thiere sich dem Tempel der Venus ferina so nahe wagen sollten, daß die schöne Hindin zurückgescheucht wird durch jenes Etwas, sei es Furcht oder Laune, womit die Natur alle weibliche Creatur ausgestattet, oder die sie dieselbe zu benutzen gelehrt hat, damit nicht durch die Unzartheit des männlichen Geschlechts die Mysterien profanen Augen preiß gegeben würden; – denn bei der Feier dieser Mysterien ruft die weibliche Priesterin mit der des Virgil (welche damals wahrscheinlich auch eifrig mit einer solchen Feier beschäftigt war):

—   Procul, o procul este, profani;
Proclamat vates, totoque absistite luco.

Haltet euch, ruft die Seherin, fern von dem Wald, ihr Profanen.

Wenn, sage ich, während diese heiligen Gebräuche, welche dem genus omne animantium gemeinschaftlich zukommen, von dem Hirsch und seinem Weibchen geübt werden, irgend ein feindliches Thier sich zu nahe heranwagen sollte, so stürmt der Hirsch beim ersten Zeichen der erschrockenen Hindin fort an den Eingang des Dickichts: dort hält er Wache über sein Liebchen, stampft den Boden mit seinen Füßen und fordert, seine Geweihe hoch in die Lust schwingend, mit stolzer Geberde den gefürchteten Feind zum Kampfe heraus.

So, und schrecklicher noch, stürmte unser Held, als er 66 des Feindes Annäherung gewahr wurde, diesem entgegen. Manchen Schritt legte er zurück, um die zitternde Hindin zu verbergen und wo möglich ihren Rückzug zu decken. Und jetzt begann Thwackum, nachdem er ihm einige stolze Blicke, feurigen Blitzen gleich, zugeworfen hatte, herauszudonnern: »Pfui! pfui! Herr Jones! Ist es möglich, daß Sie das sind?« – »Sie sehen,« antwortete Jones, »es ist möglich, daß ich hier bin.« – »Und wer ist,« fuhr Thwackum fort, »jene liederliche Dirne, die mit Ihnen ist?« – »Wenn ich eine liederliche Dirne mit mir habe,« rief Jones lebhaft, »so ist es möglich, daß ich Sie nicht wissen lassen werde, wer sie ist.« – »Ich befehle Ihnen, mir es augenblicklich zu sagen,« polterte Thwackum; »und bilden Sie sich ja nicht ein, junger Mann, daß Ihr Alter, wenn es auch die Dauer der Aufsicht etwas abgekürzt hat, Sie der Autorität des Lehrers gänzlich enthoben habe. Das Verhältniß des Lehrers und Schülers ist unauslöschbar, wie es in der That alle andern Verhältnisse sind; denn alle haben ihren Ursprung vom Himmel. Sie sollten sich daher jetzt eben so sehr für verpflichtet halten, mir zu gehorchen, wie damals, als Sie die ersten Anfangsgründe von mir lernten.« – »Ich glaube, Sie möchten das,« schrie Jones; »aber das wird nicht geschehen, Sie müßten denn dasselbe birkene Argument haben, um mich zu überzeugen.« – »Nun, dann muß ich Ihnen unverhohlen sagen,« erklärte Thwackum hierauf, »daß ich beschlossen habe, die liederliche Dirne aufzufinden.« – »Und ich muß Ihnen unverhohlen sagen,« entgegnete Jones, »daß ich beschlossen habe, es nicht geschehen zu lassen.« Thwackum wollte hierauf vorwärts dringen, aber Jones hielt ihn an den Armen fest; worauf Blifil einen Versuch machte, diese zu befreien, indem er erklärte, »er werde seinen vormaligen Lehrer nicht beleidigen lassen.«

67 Wie Jones sah, daß er es mit zweien zu thun habe, da hielt er es für nothwendig, sich sobald als möglich eines seiner Gegner zu entledigen. Er wendete sich daher zuerst gegen den Schwächsten; und indem er den Geistlichen losließ, versetzte er dem jungen Herrn einen Schlag auf die Brust, der auch eine so gute Wirkung that, daß er ihn der Länge lang zu Boden streckte.

Thwackum war so begierig auf die Entdeckung, daß er, so wie er sich befreit fühlte, mitten durch das Farnkraut vorwärts eilte, ohne sich sonderlich darum zu bekümmern, was inzwischen aus seinem Freunde werden möchte; aber er hatte kaum einige Schritte in dem Dickicht gethan, als Jones, der mit Blifil fertig war, ihn einholte und ihn am Rockschooße rückwärts zog.

Thwackum war in seiner Jugend ein gewaltiger Kämpe gewesen und hatte sich, auf der Schule sowohl als auf der Universität, mit seiner Faust viel Ruhm erworben. Er hatte nun zwar bereits seit einer Reihe von Jahren dieser edlen Kunst entsagt; doch war sein Muth noch immer so stark wie sein Glaube und sein Körper nicht minder stark wie beide. Er war überdies, wie der Leser vielleicht schon wahrgenommen haben wird, etwas zorniger Natur. Wie er daher zurückblickte und seinen Freund auf den Boden hingestreckt sah, sich selbst aber gleichzeitig von einem, der früherhin bei allen ihren Streitigkeiten passiv geblieben war (was die Sache noch zu größerer Bedeutung erhob), so stürmisch angegriffen fand, da ging ihm endlich die Geduld aus; er setzte sich in Positur, die Offensive zu ergreifen, und indem er alle seine Kräfte zusammennahm, machte er einen eben so stürmischen Angriff von vorn auf Jones, als dieser von hinten her auf ihn gemacht hatte.

Unser Held empfing den feindlichen Angriff mit der größten Unerschrockenheit und seine Brust dröhnte von den 68 erhaltenen Stößen. Diese gab er ihm nun mit nicht geringerer Heftigkeit zurück, wobei er sich des Geistlichen Brust gleichfalls zum Ziele nahm; allein dieser schlug ihm geschickt die Faust nieder, so daß sie blos seinen Bauch traf, worin gegenwärtig zwei Pfund Rindfleisch und eben so viel Pudding aufgeschichtet waren, so daß also kein hohler Ton entstehen konnte. Viele kräftige Püffe, die angenehmer und leichter mit anzusehen als zu lesen oder zu beschreiben sind, fielen auf beiden Seiten: endlich ermattete ein heftiger Ausfall, bei welchem Jones mit den Knien gegen Thwackums Brust rannte, letztern so sehr, daß der Sieg nicht länger zweifelhaft gewesen wäre, hätte nicht Blifil, der sich unterdeß erholt hatte, den Kampf wieder erneuert und dadurch, daß er Jones zu Leibe ging, dem Geistlichen ein wenig Zeit verschafft, seine Ohren zu schütteln und wieder zu Athem zu kommen.

Und nun griffen beide vereint unsern Helden an, dessen Stöße jetzt nicht mehr die Kraft hatten wie zu Anfange, so sehr hatte ihn sein Kampf mit Thwackum ermattet; denn obgleich der Pädagog auf dem menschlichen Instrumente lieber Solos spielte, womit er sich zuletzt allein abgegeben hatte, so war ihm doch noch genug von seiner früheren Geschicklichkeit geblieben, um auch in einem Duett seine Rolle sehr gut auszuführen.

Der Sieg schien sich, wie dies in neuerer Zeit gewöhnlich der Fall ist, auf die Seite der Mehrzahl neigen zu wollen, als plötzlich ein viertes Paar Fäuste auf dem Kampfplatze erschien und sogleich dem Geistlichen seine Aufwartung machte, wobei der Besitzer derselben ausrief: »Schämt Ihr Euch nicht, Ihr Hallunken, zwei über einen herzufallen?«

Der Kampf wüthete mit der größten Heftigkeit einige Minuten lang, bis Blifil zum zweiten Male von Jones zu Boden gestreckt lag und Thwackum seinen neuen Gegner 69 um Pardon bat. Dieser neue Gegner aber war, wie sich jetzt zeigte, Niemand anderes als Herr Western; denn in der Hitze des Gefechts hatte keiner der Kämpfenden ihn erkannt.

In der That, dieser ehrenfeste Squire war auf seinem Nachmittagsspaziergange, den er mit Gesellschaft unternahm, in die Gegend des Kampfplatzes gerathen und hatte aus der Zahl der Kämpfenden geschlossen, daß auf einer Seite zwei gegen einen sein müßten; daher eilte er von seiner Gesellschaft hinweg und nahm sich, mit mehr Muth als Klugheit, der schwächern Partei an. Dadurch verhütete er wahrscheinlich, daß Jones ein Opfer von Thwackum's Zorne und von Blifil's zärtlicher Freundschaft für seinen vormaligen Lehrer wurde; denn, wenn auch diese beiden im Nachtheile waren, so hatte doch auch Jones in seinem gebrochenen Arme noch nicht die volle Kraft wieder erlangt. Diese Verstärkung machte indessen bald dem Kampfe ein Ende und Jones trug mit seinem Verbündeten den Sieg davon.


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