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Religion

Gott die moralische Weltordnung, keine Person

Der eben abgeleitete Glaube ist aber auch der Glaube ganz und vollständig, jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen Gottes, und können keinen anderen fassen. – –

Denn wenn man euch nun auch erlauben wollte, jenen Schluß zu machen und vermittelst desselben ein besonderes Wesen als die Ursache jener moralischen Weltordnung anzunehmen, was habt ihr denn nun eigentlich angenommen? Dieses Wesen soll von euch und der Welt unterschieden sein, es soll in der letzteren nach Begriffen wirken, es soll sonach der Begriffe fähig sein, Persönlichkeit haben und Bewußtsein. Was nennt ihr denn nun Persönlichkeit und Bewußtsein? Doch wohl dasjenige, was ihr in euch selbst gefunden, an euch selbst kennen gelernt und mit diesem Namen bezeichnet habt? Daß ihr aber dieses ohne Beschränkung und Endlichkeit schlechterdings nicht denkt, noch denken könnt, kann euch die geringste Aufmerksamkeit auf eure Konstruktion dieses Begriffs lehren. Ihr macht sonach dieses Wesen durch die Beilegung jenes Prädikats zu einem endlichen, zu einem Wesen euresgleichen, und ihr habt nicht, wie ihr wolltet, Gott gedacht, sondern nur euch selbst im Denken vervielfältigt. Ihr könnt aus diesem Wesen die moralische Weltordnung ebensowenig erklären, als ihr sie aus euch selbst erklären könnt; sie bleibt unerklärt und absolut wie zuvor; und ihr habt in der Tat, indem ihr dergleichen Worte vorbringt, gar nicht gedacht, sondern bloß mit einem leeren Schalle die Luft erschüttert. Daß es euch so ergehen werde, konntet ihr ohne Mühe voraussehen. Ihr seid endlich; und wie könnte das Endliche die Unendlichkeit umfassen und begreifen? – –

Es ist daher ein Mißverständnis, zu sagen: es sei zweifelhaft, ob ein Gott sei, oder nicht. Es ist gar nicht zweifelhaft, sondern das Gewisseste, was es gibt, ja der Grund aller anderen Gewißheit, das einzige absolut gültige Objektive, daß es eine moralische Weltordnung gibt, daß jedem vernünftigen Individuum seine bestimmte Stelle in dieser Ordnung angewiesen und auf seine Arbeit gerechnet ist; daß jedes seiner Schicksale, inwiefern es nicht etwa durch sein eigenes Betragen verursacht ist, Resultat ist von diesem Plane; daß ohne ihn kein Haar fällt von seinem Haupte und in seiner Wirkungssphäre kein Sperling vom Dache; daß jede wahrhaft gute Handlung gelingt, jede böse sicher mißlingt, und daß denen, die nur das Gute recht lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen. Es kann ebensowenig von der anderen Seite dem, der nur einen Augenblick nachdenken und das Resultat dieses Nachdenkens sich redlich gestehen will, zweifelhaft bleiben, daß der Begriff von Gott, als einer besonderen Substanz, unmöglich und widersprechend ist: und es ist erlaubt Ihm wurde es nicht erlaubt. An diese Sätze knüpfte sich die Verfolgung Fichtes wegen – Atheismus., dies aufrichtig zu sagen und das Schulgeschwätz niederzuschlagen, damit die wahre Religion des freudigen Rechttuns sich erhebe.

Glaubensbekenntnis

Dieses ist das einzig mögliche Glaubensbekenntnis: fröhlich und unbefangen vollbringen, was jedesmal die Pflicht gebeut, ohne Zweifeln und Klügeln über die Folgen.

Atheismus

Der wahre Atheismus, der eigentliche Unglaube und Gottlosigkeit besteht darin, daß man über die Folgen seiner Handlungen klügelt, der Stimme seines Gewissens nicht eher gehorchen will, bis man den guten Erfolg vorherzusehen glaubt, so seinen eigenen Rat über den Rat Gottes erhebt und sich selbst zum Gotte macht.

Götzendienst

Das System, in welchem von einem übermächtigen Wesen Glückseligkeit erwartet wird, ist das System der Abgötterei und des Götzendienstes, welches so alt ist, als das menschliche Verderben, und mit dem Fortgange der Zeit bloß seine äußere Gestalt verändert hat. Sei dieses übermächtige Wesen ein Knochen, eine Vogelfeder, oder sei es ein allmächtiger, allgegenwärtiger, allkluger Schöpfer Himmels und der Erde; – wenn von ihm Glückseligkeit erwartet wird, so ist es ein Götze. Der Unterschied beider Systeme liegt bloß in der besseren Wahl der Ausdrücke; das Wesen des Irrtums ist in beiden dasselbe, und bei beiden bleibt das Herz gleich verkehrt.

Sichtbare Offenbarungen Gottes

Daß ein Gott sei, leuchtet dem nur ein wenig ernsthaften Nachdenken über die Sinnenwelt ohne Schwierigkeit ein. Man muß zuletzt doch damit enden, demjenigen Dasein, was insgesamt nur in einem anderen Dasein gegründet ist, ein Dasein zu Grunde zu legen, welches den Grund seines Daseins in sich selber habe; und dem in unaufhaltbarem Zeitflusse hinfließenden Veränderlichen ein Dauerndes und Unveränderliches zum Träger zu geben. Unmittelbar sichtbar aber und wahrnehmbar durch alle auch äußere Sinne erscheint die Gottheit und tritt ein in die Welt in dem Wandel göttlicher Menschen. In diesem Wandel stellt sich dar die Unveränderlichkeit des göttlichen Wesens in der Festigkeit und Unerschütterlichkeit des menschlichen Wollens, das schlechthin durch keine Gewalt von der vorgezeichneten Bahn abzubringen ist. In ihm stellet sich dar Gottes innere Klarheit an der menschlichen Erfassung und Umfassung alles Irdischen in dem Einen, das da ewig dauert. In ihm stellet sich dar Gottes Wirken, nicht gerade in der Beglückung, worin auch das göttliche Wirken nicht besteht, sondern in dem Ordnen, Veredeln und Würdigmachen des menschlichen Geschlechts. Ein göttlicher Wandel ist der entscheidendste Beweis, den Menschen für das Dasein Gottes führen können.

Christentum und Wissenschaft

Wodurch wurde denn in der neuen Zeit die Liebe zur Philosophie entzündet, außer durch das Christentum? Was war denn die höchste und letzte Aufgabe der Philosophie, als die, die christliche Lehre recht zu ergründen oder auch sie zu berichtigen? Wodurch hatte denn die Philosophie in allen ihren Gestalten den allgemeinsten Einfluß, und auf welchem Wege floß sie denn aus dem engeren Umkreise ihrer Geweihten wieder herab auf die ganze menschliche Gattung, außer vermittelst der Vorstellungen von Religion und der Mitteilung dieser Religion an das Volk? In der ganzen neuen Zeit ist die jedesmalige Geschichte der Philosophie die noch künftige der religiösen Vorstellungen; beide schreiten miteinander fort zu höherer Reinheit und zu ihrer ursprünglichen Einigkeit; und der religiöse Volkslehrer ist der beständige Vermittler des gelehrten und des ungelehrten Publikums. So ist die ganze neuere Philosophie unmittelbar, und vermittelst ihrer die Gestalt der gesamten Wissenschaft mittelbar durch das Christentum erschaffen; eben also wird es sich auch mit anderen Dingen verhalten; und so möchte es sich finden, daß das einzige, in dem ewigen Fortflusse der neuen Zeit Bestehende und Unwandelbare das Christentum sei in seiner reinen, selbst unwandelbaren Gestalt, und daß dieses allein es bleiben werde bis an das Ende der Tage.

Zukunft des Christentums

Das Christentum ist in seiner Lauterkeit und seinem wahren Wesen noch nie zu allgemeiner und öffentlicher Existenz gekommen, obwohl es in einzelnen Gemütern, hier und da, von jeher ein Leben gewonnen. – –

Die Weltrolle des Christentums ist noch nicht geschlossen, wer daher nicht in den Sinn des ganzen großen Dramas einzugehen vermag, der kann kein Urteil über sie sich anmaßen. Ebenso ist, daß ich ein anderes, nahe verwandtes Beispiel anführe, die Weltrolle der Kirchenreformation auch noch keinesweges geschlossen.

Wie wird die Religion der Zukunft entstehen?

Wie soll denn also ein Antrieb auf die Menschen zur Anerkennung und Verbreitung wahrer Religion geschehen? Ich antworte: auf dieselbe Art, wie bis auf diesen Tag alle Verbesserungen der religiösen Begriffe zustande gebracht sind; durch einzelne Individuen, welche, bisher einseitig, von irgend einem Punkte der Religion angezogen, erwärmt und begeistert wurden und die Gabe besaßen, ihre Begeisterung mitzuteilen. So waren im Anfange der neuesten Zeit die Reformatoren; so standen nach ihnen, als fast die ganze Religion in die Aufrechthaltung des orthodoxen Lehrbegriffs gesetzt und die innere Herzensreligion vernachlässigt wurde, die sogenannten pietistischen Lehrer auf und erhielten den unstreitigen Sieg; denn was ist denn die ganze moderne, die Bibel zu ihrer flachen Vernunft bekehrende Theologie anderes, als die Ausartung der erstgenannten Ansicht, beibehaltend die Geringschätzung des orthodoxen Lehrbegriffs und aufgebend die Heiligkeit des Sinnes, durch welche jene geleitet wurden? Und so werden auch in unserem Zeitalter, wenn es sich von den mancherlei Verirrungen, unter denen es herumgetrieben worden, ein wenig erholt und gesetzt haben wird, begeisterte Männer aufstehen, welche demselben geben werden, was ihm not tut.

Abdankung der heutigen Religion

Dagegen soll die Religion der alten Zeit, die das geistige Leben von dem göttlichen abtrennte und dem ersten nur vermittelst eines Abfalls von dem zweiten das absolute Dasein zu verschaffen wußte, das sie ihm zugedacht hatte, und welche Gott als Faden brauchte, um die Selbstsucht noch über den Tod des sterblichen Leibes hinaus in andere Welten einzuführen und durch Furcht und Hoffnung in diesen die für die gegenwärtige Welt schwach gebliebene zu verstärken, – diese Religion, die offenbar eine Dienerin der Selbstsucht war, soll allerdings mit der alten Zeit zugleich zu Grabe getragen werden; denn in der neuen Zeit bricht die Ewigkeit nicht erst jenseit des Grabes an, sondern sie kommt ihr mitten in ihre Gegenwart hinein, die Selbstsucht ist aber sowohl des Regiments als des Dienstes entlassen, und zieht demnach auch ihre Dienerschaft mit ihr ab.

Ewige Erinnerung an Christum ist gar keine Religiosität

Es wäre eine sehr unnütze und verkehrte Beschäftigung, anstatt in der Sache zu leben, nur immer das Andenken des Weges sich zu wiederholen. Falls Jesus in die Welt zurückkehren könnte, so ist zu erwarten, daß er vollkommen zufrieden sein würde, wenn er nur wirklich das Christentum in den Gemütern der Menschen herrschend fände, ob man nun Sein Verdienst dabei preisete oder es überginge; und dies ist in der Tat das Allergeringste, was von so einem Manne, der schon damals, als er lebte, nicht seine Ehre suchte, sondern die Ehre des, der ihn gesandt hatte, sich erwarten ließe.

Psychologie des Katholizismus

Diese neue Veräußerung des inneren Richteramtes, dieses Urteilen an der Stelle Gottes ist Fundamentalgesetz jeder Kirche, die konsequent ist; und ohne dasselbe kann sie sich schlechterdings nicht behaupten. Was sie löset, das muß auch im Himmel gelöset sein, und was sie bindet, das muß auch im Himmel gebunden sein. Ohne dieses Richteramt verlangt sie vergeblich eine Herrschaft über die Seelen der Menschen, die sie durch nichts behaupten kann; drohet vergebens mit Strafen, von denen sie gesteht, daß sie sie nicht zuerkennen könne; läßt die Menschen in ihrem Glauben nach wie vor von sich selbst abhängig, den sie doch vorzuschreiben verlangte; – sie hebt ihren eigenen Begriff auf und steht im inneren Widerspruche mit sich selbst.

Da sie über die Herzensreinigkeit von Menschen richten und ihnen nach Maßgabe derselben Strafe und Belohnung austeilen will, deren Inneres sie nicht erforschen kann, so entsteht dadurch eine neue Aufgabe für sie, nämlich diese: ihr Glaubensbekenntnis also einzurichten, daß es sich in äußeren Folgen zeige, ob man von der Wahrheit desselben überzeugt sei, oder nicht; sich selbst eine solche Verfassung zugeben, daß sie von dem Gehorsame und der Ergebenheit ihrer Mitglieder aus sicheren und unverdächtigen Merkmalen urteilen könne. Damit sie sicher sei, sich nicht zu irren, wird sie diese Merkmale so in die Augen springend machen, als es ihr möglich ist. – Dies geschieht auf zweierlei Art: durch harte Bedrückungen ihres Verstandes und durch strenge Gebote, die man ihrem Willen auflegt. – Je abenteuerlicher, ungereimter, der gesunden Vernunft widersprechender die Lehren einer Kirche sind, desto fester kann sie von der Ergebenheit solcher Mitglieder überzeugt sein, welche das alles ernsthaft anhören, ohne eine Miene dabei zu verziehen, und es ihr lernbegierig nachsagen und mit Mühe und Arbeit in ihren Kopf einprägen und sich sorgfältig hüten, daß nicht ein Wörtchen auf die Erde falle. Je härter die Versagungen und Selbstverleugnungen, je grausamer die Büßungen sind, die sie fordert, desto fester kann sie an die Treue solcher Mitglieder glauben, welche sich diesem allen unterziehen, um nur mit ihr vereinigt zu bleiben, welche auf alle irdischen Genüsse Verzicht tun, um nur ihrer himmlischen Güter teilhaftig zu werden. Je mehr man aufgeopfert hat, desto stärker muß unsere Anhänglichkeit an dasjenige sein, um dessen willen man das alles aufgeopfert hat. – Nachdem sie die Früchte des Glaubens in äußerliche Übungen gesetzt hat, deren Beobachtung oder Unterlassung jedes gute Auge sieht, hat sie sich dadurch eine leichte Aussicht in das Herz selbst eröffnet. Ob jemand an das Primat des heiligen Petrus glaube oder nicht, zu erforschen, möchte etwas schwer sein: ob jemand die durch einen Nachfolger und Stellvertreter desselben gebotenen Fasten gehalten habe oder nicht, entdeckt sich schon leichter. Hat er sie nicht gehalten, so muß sein Glaube an dasselbe und an die Unfehlbarkeit aller seiner Nachfolger und an die Unentbehrlichkeit des Gehorsams gegen alle ihre Gebote zur Seligkeit nicht sehr fest sein, und die Kirche kann mit hoher Sicherheit ihn als einen Ungläubigen in Anspruch nehmen.

Durch diese schon an sich notwendige Veranstaltung gewinnt die Kirche noch zwei andere sehr wesentliche Vorteile. Sie verschafft sich fürs erste, wenn sie zweckmäßig erdichtet, durch jene zur Prüfung des Glaubens auferlegten Glaubensartikel zugleich einen reichen Vorrat der mancherlei Strafen und Belohnungen einer anderen Welt, deren sie bedarf, um sie ihren so sehr verschiedenen Mitgliedern, jedem nach Maßgabe seines Glaubens oder Unglaubens, nach Gebühr zuzumessen. Statt des einfachen Himmels bekommt sie unzählige Stufen der Seligkeit und einen unerschöpflichen Schatz von Verdiensten der Heiligen unter ihre gehorsamen Mitglieder zu verteilen; neben der einfachen Hölle bekommt sie ein Fegefeuer, das an Qual und Dauer unendlicher Verschiedenheiten fähig ist, um die Ungläubigen und Unbußfertigen, jeden, nachdem es Not tut, damit zu schrecken. – Sie stärkt fürs zweite den Glauben ihrer Mitglieder, indem sie ihn nicht müßig läßt, sondern ihm Arbeit genug gibt. Es scheint auf den ersten Anblick widersprechend, aber es wird durch die häufigsten Erfahrungen bestätigt, und der Grund dieser Erscheinung läßt sich bald auffinden, – je unglaublichere Dinge man zu Glaubensartikeln macht, desto leichter findet man Glauben. Man leugnet am ehesten das, was noch so ziemlich glaublich ist, weil es uns zu natürlich vorkommt; aber man baue den geleugneten Satz auf einen wunderbaren und diesen auf einen noch wunderbareren und vermehre Schritt vor Schritt das Abenteuerliche, und der Mensch wird gleichsam schwindelnd; er kommt nicht mehr zur kalten Besinnung, er ermüdet, und seine Bekehrung ist gemacht. Es ist nichts Neues, daß man manchen, der keinen Gott glaubte, durch den Glauben an den Teufel, die Hölle, das Fegefeuer bekehrt habe, und das Tertullianische: »das ist widersinnig, mithinkommt es von Gott« ist, als Beweis für seinen Mann, vortrefflich. – Das kommt daher: einen, zwei, drei Sätze übersieht der gewöhnliche Kopf in ihren natürlichen Gründen und Folgen; er wird dadurch zum Nachdenken über sie eingeladen und glaubt über ihre Wahrheit oder Unwahrheit aus Gründen der Vernunft urteilen zu können; ihr baut sie ihm, um ihn an diesem Unternehmen zu verhindern, auf andere künstliche Gründe, die selbst wieder Glaubensartikel sind, diese wieder auf andere und so ins unendliche hinaus. Er kann jetzt nichts mehr übersehen; er irrt ohne Leitfaden in diesem Labyrinthe herum, er erschrickt über die ungeheure Arbeit, die er sich auferlegt sieht, er ermüdet ob dem vergeblichen Suchen, und aus einer Art von fauler Verzweiflung ergibt er sich blindlings in die Hände seines Führers und ist froh, einen zu haben.

Man verstehe mich nicht unrecht; ich sage nicht, daß alle Stifter oder Erweiterer des kirchlichen Systems die Absicht durch solche boshafte, aber völlig zweckmäßige Mittel, die Gewissen der Menschen zu unterjochen, sich immer deutlich gedacht haben. Nein: ängstlich gewissenhafte, schon vorher in Schrecken versetzte Gemüter gingen, vom Instinkte geleitet, mit sich selbst den Weg, den sie hernach mit anderen einschlugen. Sie täuschten erst sich selbst, ehe sie andere täuschten. Eine Ungereimtheit, die nicht aufgegeben, sondern aus Angst und Furcht geglaubt werden muß, führt zu unzähligen, und je scharfsinniger der gewissenhafte Grübler ist, eine desto reichlichere Ausbeute von Träumen wird er aus dem Lande der Chimären zurückbringen. – Aber unseren heutigen Eiferern für die Aufrechterhaltung ihres reinen, allein seligmachenden Glaubens, die großenteils nicht mit derselben Ehrlichkeit eifern, muß ich eine Lehre geben, die den Verdruß reichlich ersetzt, den ihnen die Durchlesung dieses Kapitels verursachen könnte. – Wenn sie ihren Glauben dadurch zu behaupten suchen, daß sie etwa die abenteuerlichsten Sätze aufgeben und ihn der Vernunft näher zu bringen suchen, so ergreifen sie ein Mittel, das geradezu gegen ihren Zweck läuft. Sie erregen durch dieses Nachgeben den Gedanken, daß doch auch wohl im Beibehaltenen Dinge sein könnten, die mit der Zeit auch würden aufgegeben werden. Doch das ist noch der geringste Schade; aber indem sie das System abkürzen und es von einem Teile seines Wunderbaren entkleiden, erleichtern sie die Prüfung und Übersicht desselben; kam das vorherige, dessen Prüfung schwerer war, in Gefahr, wie will sich dasjenige erhalten, das sie erleichtert? Geht den umgekehrten Weg; jede Ungereimtheit, die in Anspruch genommen wird, beweiset kühn durch eine andere, die etwas größer ist; es braucht einige Zeit, ehe der erschrockene menschliche Geist wieder zu sich selbst kommt und mit dem neuen Phantome, das anfangs seine Augen blendete, sich bekannt genug macht, um es in der Nähe zu untersuchen: läuft es Gefahr, so spendet ihr aus dem unerschöpflichen Schatze eurer Ungereimtheiten ein neues; die vorige Geschichte wiederholt sich, und so geht es fort bis an das Ende der Tage. Nur laßt den menschlichen Geist nicht zum kalten Besinnen kommen, nur laßt seinen Glauben nie ungeübt; und dann trotzt den Pforten der Hölle, daß sie eure Herrschaft überwältigen. – Laßt euch, o ihr Verfinsterer und Freunde der Nacht, laßt euch diesen Rat durch die Vermutung, daß er von einem Feinde herkomme, ja nicht verdächtig werden. Auch sogar gegen euch ist Tücke unerlaubt, ob ihr sie gleich gegen uns braucht. Prüfet ihn aufmerksam, und ihr werdet ihn völlig richtig finden.

Inkonsequenz des Protestantismus

Das Lehramt ist keines von den wesentlichen Ämtern der Kirche, sondern es ist zufällig. Der Lehrer darf nichts hinzu oder davon tun; er hat die Kirchenlehren bloß vorzutragen, wie sie festgesetzt sind. Er ist Gesetzerklärer und -Einschärfer, und es ist schicklich, daß dieses Amt von demjenigen verwaltet werde, der zugleich Richter ist, weil beides die gleiche völlige Kenntnis der Gesetze voraussetzt. – Die ausschließende Verrichtung der Priester in kirchlichen Gesellschaften besteht bekanntermaßen nicht im Lehren; lehren darf jeder: sie besteht im Richten; im Beichtehören, Lossprechen oder Verurteilen. Das Meßopfer selbst ist eine richterliche Handlung und der Grund aller übrigen: – es ist, wenn wir wollen, die feierlich vor jedermannes Augen und zu jedermannes Nachricht wiederholte Belehnung der Kirche mit dem Richteramte Gottes. Wenn sie richten, in der höchsten Instanz richten soll, so muß Gott nichts mehr zu richten haben: und wenn er nichts mehr zu richten haben soll, so muß die Kirche ihm genug getan haben, sie muß völlig rein, heilig und ohne Sünde sein, sie muß die geschmückte Braut sein, die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas, sondern die da heilig sei und unsträflich. Dies wird sie durch die Verdienste von Kirchenmitgliedern, welche für die ganze Kirche genug getan haben: – Verdienste, die die Kirche in der Messe Gott darbringt, und sich dadurch von ihm völlig loskauft. Nur kraft dieser Loskaufung hat die Kirche das Recht, ihre Mitglieder selbst zu richten. – Jeder, der Messe liest, muß Beichte hören können; jeder, der Beichte hört, muß Messe lesen können, und beides ist Folge von der Bevollmächtigung der Kirche, ihre richterlichen Handlungen auszuüben. Die Richtersprüche der Kirche sind untrüglich, weil sie kraft des Meßopfers die alleinige Richterin für die unsichtbare Welt ist; sie mußten untrüglich sein, wenn eine Kirche möglich sein sollte. Wie kann eine Gesellschaft sich des Gehorsams versichern, wenn sie den Ungehorsam nicht bestrafen kann? Und wie könnte die Kirche, deren Strafen in eine unsichtbare Welt fallen, den Ungehorsam bestrafen, wenn es nicht sicher wäre, daß ihre Ansprüche in dieser unsichtbaren Welt gelten, und daß die Strafen, die sie aufgelegt hat, dort gewiß erfolgen? – Die lutherische Kirche ist inkonsequent und sucht ihre Inkonsequenz zu bemänteln; die reformierte ist frank und frei inkonsequent. Beide haben Glaubensgesetze, – ihre symbolischen Bücher; oder wenn auch nur die Bibel dieses symbolische Buch wäre, so ist schon der Satz: »die Bibel ist Gottes Wort, und was sie enthält, ist wahr, weil sie es enthält,« – ein Satz, der notwendig das ganze kirchliche System, wie wir es jetzt entwickelt haben, begründet. Wer ihnen glaubt, wird selig; wer ihnen nicht glaubt, – dem schadet es an seiner Seligkeit auch nicht. Wenn ich einmal dem Anschein glauben muß und aus Gründen mich nicht überzeugen kann, so sehe ich nicht ein, warum ich dem Ansehen der einen Kirche lieber, als dem Ansehen der anderen glauben solle, da ich in beiden selig werden kann; und wenn ich noch von einer dritten wissen sollte, die das Recht, selig zu machen, ausschließend zu besitzen vorgibt, und die alles ohne Ausnahme verdammt, was ihr nicht glaubt, so muß ich notwendig dieser mich unterwerfen. – Ich will selig werden, das ist mein letzter Endzweck; alle Kirchen versichern, daß das nicht durch eigene Vernunft und Kraft, sondern allein durch den Glauben an sie möglich sei: ich muß also, ihrer eigenen Versicherung nach, ihnen glauben, wenn ich selig werden will. Alle drei Kirchen lehren, daß man in der römischen Kirche selig werden könne; trete ich, um selig zu werden, in die römische Kirche, so glaube ich allen dreien: ich werde demnach nach Versicherung aller dreier selig. Die römische Kirche lehrt, daß man in den beiden übrigen nicht selig werden könne; bin ich in einer von diesen beiden und glaube, dennoch selig zu werden, so glaube ich einer Kirche nicht: ich werde demnach nach der Versicherung einer Kirche nicht selig. – Der Glaube gründet sich der einstimmigen Lehre aller Kirchen nach nicht auf Vernunftgründe, sondern auf Autorität. Wenn die verschiedenen Autoritäten nicht abgewogen werden sollen, – das könnte nur durch Vernunftgründe geschehen, deren Gebrauch untersagt ist, – so bleibt nichts übrig, als die Stimmen zu zählen. Wenn ich in der römischen Kirche bin, so werde ich durch alle Stimmen selig; wenn ich in einer anderen bin, nur durch zwei, und durch eine verdammt. Ich muß nach der Lehre aller Kirchen die größere Autorität wählen; ich muß also, nach der Lehre aller Kirchen, in die römische Kirche treten, wenn ich selig werden will. – Kann den protestantischen Lehrern, welche kirchliche Grundsätze haben, diese leichte Folgerung entgangen sein? Ich glaube kaum. Ich glaube, daß sie in ihrem Herzen alle verdammen, die nicht denken wie sie, und daß sie sich nur nicht getrauen, es laut zu sagen. Dann sind sie konsequent, und dafür gebührt ihnen ihr Lob. – Die reformierte Kirche hat kein Richteramt; die lutherische hat bloß den Schein desselben. Der lutherische Priester vergibt mir die Sünde, mit der Bedingung, daß Gott sie mir auch vergebe; er erteilt Leben und Seligkeit, mit der Bedingung, daß Gott sie auch erteile. – Ich bitte, was tut er denn da sonderliches? was sagt er mir denn da, das mir nicht ein jeder, und das ich mir nicht selbst ebensowohl hätte sagen können, als er mir's sagt. Ich wollte bestimmt wissen, ob Gott mir die Sünde vergeben habe; er sagt mir, er wolle sie mir vergeben, wenn Gott sie mir auch vergäbe. Was bedarf ich seiner Vergebung; ich wollte die Vergebung Gottes. Wenn ich dieser sicher wäre, so bedürfte ich seiner nicht; ich wollte es mir dann schon selbst sagen. Er muß unbedingt vergeben, oder er muß es gar sein lassen. – Der lutherische Priester gibt sich also bloß den Anschein, als ob er Segen erteilen könnte; er kann es nicht wirklich; Strafe auflegen darf er auch nicht einmal zum Scheine. Er kann weiter nichts gegen die Sünde unternehmen, als sie vergeben; behalten darf er sie gar nicht, als vor der ganzen Gemeinde ins blaue Feld hin. Er kann nur den Himmel versprechen; mit der Hölle drohen darf er keinem; sein Mund muß immer in ein segnendes Lächeln gezogen sein. (D'un air bénin le pécheur il caresse).

Jesuiten

Überhaupt, die protestantischen Gemeinden sind entweder höchst inkonsequent, oder sie geben sich gar nicht für Kirchen aus. Es sind Lehranstalten, wie wir sie oben schilderten. Es gibt kein drittes; man muß sich entweder in den Schoß der alleinseligmachenden römischen Kirche werfen, oder man muß entschlossener Freigeist werden. Was wollen denn also diejenigen, die uns in unserem Zeitalter wieder an die symbolischen Bücher ketten, wo es nicht leicht viele geben wird, die durch eigenes Nachforschen auf die in denselben vorgelegten Resultate kommen, – was wollen sie doch eigentlich? Sobald wir uns irgend einen Satz, als vor aller Untersuchung vorher ausgemacht, aufdringen lassen, müssen wir entweder auf alle gesunde Logik Verzicht tun, oder den gröbsten, härtesten Katholizismus annehmen. Ich weiß wohl, daß die wenigsten protestantischen Eiferer für die symbolischen Bücher dieses einsehen, aber ich weiß gar wohl, wer die sind, die es gar wohl einsehen, und die es uns in ihren Schriften gründlich genug zeigen; ich weiß von welcher Partei aus diese Sache zuerst so eifrig in Anregung gekommen, und das ganze Publikum weiß es. Sind nicht vielleicht jene protestantischen Eiferer Werkzeuge jener uns an Konsequenz und Schlauheit weit überwiegenden Köpfe? Ich weiß nichts von Jesuiten und jesuitischen Machinationen; aber daß an einem großen Verfinsterungssysteme gebrütet werde, und welches Mittel das einzige sei, um dieses System durchzuführen, kann jeder wissen, der Augen hat, zu sehen, und einen Kopf, zwei Sätze zusammenzureihen.

Kirche und Staat

Die Kirche, wenn sie das vor ihrem eigenen Gewissen verantworten zu können glaubt, mag verdammen und mit den härtesten Flüchen belegen, wer sich ihr nicht unterwerfen will; solange diese Verdammungsurteile im Gebiete der unsichtbaren Welt bleiben, wohin sie gehören, – wer dürfte etwas dagegen haben? Sie flucht im Herzen, wie jener unglückliche Spieler, und diese Genugtuung kann man jedem gönnen. Sobald aber diese Flüche Eingriffe in die Rechte des anderen in der sichtbaren Welt zur Folge haben, so behandelt derselbe rechtlich die Kirche als Feind und nötigt sie zum Schadenersatz.

Jeder Mensch wird wieder frei, sobald er frei werden will, und hat das Recht, Verbindlichkeiten, die er sich selbst auflegte, sich auch selbst wieder abzunehmen. Jeder kann demnach der Kirche den Gehorsam aufkündigen, sobald er will; und die Kirche hat ebensowenig das Recht, ihn durch physische Mittel zu nötigen, in ihrem Schoße zu bleiben, als sie jenes hatte, ihn durch dergleichen Mittel zu nötigen, in dieselbe zu flüchten. Der Vertrag ist aufgehoben; er gibt der Kirche ihren himmlischen Schatz, den er noch nicht angegriffen hat, unversehrt zurück und läßt ihr die Freiheit, alle ihre Zornschalen in der unsichtbaren Welt über ihn auszuschütten; und sie gibt ihm seine Glaubensfreiheit wieder. Alle physischen Strafen, die die Kirche irgend einem Menschen wider seinen Willen auflegt, sind demnach nicht bloß den eigenen Grundsätzen der Kirche, sie sind auch dem Menschenrechte zuwider. Übernimmt er die ihm angetragene Abbüßung der ewigen Verdammnis nicht freiwillig, so glaubt er der Kirche nicht, – denn daß er wohlberechneterweise die ewige Verdammnis zu seinem Endzwecke habe, läßt sich nicht annehmen, – er ist mithin ihr Mitglied nicht mehr, und sie darf ihn nicht antasten. Tut sie es, so versetzt sie sich gegen ihn in das Verhältnis des Feindes. Jeder Ungläubige, den bei fortdauerndem Unglauben die heilige Inquisition hingerichtet hat, ist gemordet, und die heilige apostolische Kirche hat sich in Strömen unschuldig vergossenen Menschenblutes berauscht. Jeder, den die protestantischen Gemeinden um seines Unglaubens willen verfolgt, verjagt, seines Eigentums, seiner bürgerlichen Ehre beraubt haben, ist unrechtmäßig verfolgt worden; die Tränen der Witwen und Waisen, die Seufzer der niedergetretenen Tugend, der Fluch der Menschheit lastet auf ihren symbolischen Büchern.

Darf einer aus der Kirche heraustreten, so dürfen es mehrere. Durften die Mitglieder der ersten Kirche sich durch einen Vertrag verbinden und eine Kirche ausmachen, so dürfen auch diese sich vereinigen und eine besondere Kirche bilden. Die erstere darf das durch physische Mittel nicht verhindern. Es entstehen mehrere geistige Staaten nebeneinander, die ihre Kriege nicht mit fleischlichen Waffen, sondern mit den Waffen der Ritterschaft, welche geistlich ist, zu führen haben. Mögen sie sich gegenseitig exkommunizieren, verdammen, verfluchen, soviel sie können; das ist ihr Kriegsrecht. – »Aber von mehreren Kirchen werden alle, außer einer, inkonsequent sein.« Das mögen sie; und wie, wenn selbst die konsequenteste in ihrem Grundsatze unrecht hätte? Es ist jedem erlaubt, so inkonsequent zu folgern, als er will oder kann, das Naturrecht richtet nur über das Tun, nicht über das Denken.

Das fortschreitende Symbol

Jeder soll Mitglied der Kirche sein. Das Symbol aber muß, wenn die Kirchengemeinschaft nicht ganz ohne Frucht ist, stets verändert werden; denn das, worüber alle übereinstimmen, wird doch bei fortgesetzter Wechselwirkung der Geister allmählich sich vermehren. – Die Symbole gewisser Kirchen scheinen statt dessen, worüber alle einig sind, vielmehr dasjenige zu enthalten, worüber alle streiten, und was im Grunde des Herzens kein einziger glaubt, weil es kein einziger auch nur denken kann.

Geist des Protestantismus und des Papismus

Dieses weitere Fortschreiten, diese Erhebung des Symbols ist eben der Geist des Protestantismus, wenn dieses Wort überhaupt eine Bedeutung haben soll. Das Halten auf das Alte, das Bestreben, die allgemeine Vernunft zum Stillstande zu bringen, ist der Geist des Papismus. Der Protestant geht vom Symbole aus ins Unendliche fort; der Papist geht zu ihm hin, als zu seinem letzten Ziele. Wer das letztere tut, ist ein Papist der Form und dem Geiste nach, obgleich die Sätze, über welche er die Menschheit nicht hinauslassen will, der Materie nach echt lutherisch oder calvinisch und dergleichen sein mögen.

Das Papsttum der Renaissance und Luther

Das aus Asien stammende und durch seine Verderbung erst recht asiatisch gewordene, nur stumme Ergebung und blinden Glauben predigende Christentum war schon für die Römer etwas Fremdartiges und Ausländisches; es wurde niemals von ihnen wahrhaft durchdrungen und angeeignet und teilte ihr Wesen in zwei, nicht aneinander passende Hälften, wobei jedoch die Anfügung des fremden Teils durch den angestammten schwermütigen Aberglauben vermittelt wurde. An den eingewanderten Germaniern erhielt diese Religion Zöglinge, in denen keine frühere Verstandesbildung ihr hinderlich war, aber auch kein angestammter Aberglaube sie begünstigte; und so wurde sie denn an dieselben gebracht als ein zum Römer, das sie nun einmal sein wollten, eben auch gehöriges Stück ohne sonderlichen Einfluß auf ihr Leben. Daß diese christlichen Erzieher von der altrömischen Bildung und dem Sprachverhältnisse, als dem Behälter derselben, nicht mehr an diese Neubekehrten kommen ließen, als mit ihren Absichten sich vertrug, versteht sich von selbst; und auch hierin liegt ein Grund des Verfalls und der Ertötung der römischen Sprache in ihrem Munde. Als späterhin die echten und unverfälschten Denkmale der alten Bildung in die Hände dieser Völker fielen, und dadurch der Trieb, selbsttätig zu denken und zu begreifen, in ihnen angeregt wurde, so mußte, da ihnen teils dieser Trieb neu und frisch war, teils kein angestammtes Erschrecken vor den Göttern ihm das Gegengewicht hielt, der Widerspruch eines blinden Glaubens und der sonderbaren Dinge, welche im Verlaufe der Zeiten zu Gegenständen desselben geworden waren, dieselben weit härter treffen, denn sogar die Römer, als an diese zuerst das Christentum kam. Einleuchten des vollkommenen Widerspruchs aus demjenigen, woran man bisher treuherzig geglaubt hat, erregt Lachen; die welche das Rätsel gelöst hatten, lachten und spotteten, und die Priester selbst, die es ebenfalls gelöst hatten, lachten mit, gesichert dadurch, daß nur sehr wenigen der Zugang zur altertümlichen Bildung, als dem Lösungsmittel des Zaubers, offen stehe. Ich deute hiermit vorzüglich auf Italien, als den damaligen Hauptsitz der neurömischen Bildung, hinter welchem die übrigen neurömischen Stämme in jeder Rücksicht noch sehr weit zurück waren.

Sie lachten des Truges, denn es war kein Ernst in ihnen, den er erbittert hätte; sie wurden durch diesen ausschließenden Besitz einer ungemeinen Kenntnis um so sicherer ein vornehmer und gebildeter Stand und mochten es wohl leiden, daß der große Haufe, für den sie kein Gemüt hatten, dem Truge ferner preisgegeben und so auch für ihre Zwecke folgsamer erhalten bliebe. Also nun, daß das Volk betrogen werde, der Vornehmere den Betrug nütze und sein lache, konnte es fortbestehen; und es würde wahrscheinlich, wenn in der neuen Zeit nichts vorhanden gewesen wären, außer Neurömer, fortbestanden haben bis ans Ende der Tage.

Sie sehen hier einen klaren Beleg zu dem, was früher über die Fortsetzung der alten Bildung durch die neue, und über den Anteil, den die Neurömer daran zu haben vermögen, gesagt wurde Siehe Seite 210.. Die neue Klarheit ging aus von den Alten, sie fiel zuerst in den Mittelpunkt der neurömischen Bildung, sie wurde daselbst nur zu einer Verstandeseinsicht ausgebildet, ohne das Leben zu ergreifen und anders zu gestalten.

Nicht länger aber konnte der bisherige Zustand der Dinge bestehen, sobald dieses Licht in ein in wahrem Ernste und bis auf das Leben herab religiöses Gemüt fiel, und wenn dieses Gemüt von einem Volke umgeben war, dem es seine ernstere Ansicht der Sache leicht mitteilen konnte und dieses Volk Häupter fand, welche auf sein entschiedenes Bedürfnis etwas gaben. So tief auch das Christentum herabsinken mochte, so bleibt doch immer in ihm ein Grundbestandteil, in dem Wahrheit ist, und der ein Leben, das nur wirkliches und selbständiges Leben ist, sicher anregt; die Frage: was sollen wir tun, damit wir selig werden. War diese Frage auf einen erstorbenen Boden gefallen, wo es entweder überhaupt an seinen Ort gestellt blieb, ob wohl so etwas wie Seligkeit im Ernste möglich sei, oder, wenn auch das erste angenommen worden wäre, dennoch gar kein fester und entschiedener Wille, selbst auch selig zu werden, vorhanden war, so hatte auf diesem Boden die Religion gleich anfangs nicht eingegriffen in Leben und Willen, sondern sie war nur als ein schwankender und blasser Schatten im Gedächtnisse und in der Einbildungskraft befangen geblieben; und so mußten natürlich auch alle ferneren Aufklärungen über den Zustand der vorhandenen Religionsbegriffe gleichfalls ohne Einfluß auf das Leben bleiben. War hingegen jene Frage in einen ursprünglich lebendigen Boden gefallen, so daß im Ernste geglaubt wurde, es gebe eine Seligkeit, und der feste Wille da war, selig zu werden, und waren die von der bisherigen Religion angegebenen Mittel zur Seligkeit mit innigem Glauben und redlichem Ernste in dieser Absicht gebraucht worden, so mußte, wenn in diesen Boden, der gerade durch sein Ernstnehmen dem Lichte über die Beschaffenheit dieser Mittel sich länger verschloß, dieses Licht zuletzt dennoch fiel, ein gräßliches Entsetzen sich erzeugen vor dem Betrüge um das Heil der Seele, und die treibende Unruhe, dieses Heil auf andere Weise zu retten; und was als in ewiges Verderben stürzend erschien, konnte nicht scherzhaft genommen werden. Ferner konnte der Einzelne, den zuerst diese Ansicht ergriffen, keineswegs zufrieden sein, etwa nur seine eigene Seele zu retten, gleichgültig über das Wohl aller übrigen unsterblichen Seelen, indem er, seiner tieferen Religion zufolge, dadurch auch nicht einmal die eigene Seele gerettet hätte, sondern mit der gleichen Angst, die er um diese fühlte, mußte er ringen, schlechthin allen Menschen in der Welt das Auge zu öffnen über die verdammliche Täuschung.

Auf diese Weise nun fiel die Einsicht, die lange vor ihm sehr viele Ausländer wohl in größerer Verstandesklarheit gehabt hatten, in das Gemüt des deutschen Mannes, Luther. An altertümlicher und feiner Bildung, an Gelehrsamkeit, an anderen Vorzügen übertrafen ihn nicht nur Ausländer, sondern sogar viele in seiner Nation. Aber ihn ergriff ein allmächtiger Antrieb, die Angst um das ewige Heil; und dieser ward das Leben in seinem Leben und setzte immerfort das letzte in die Wage und gab ihm die Kraft und die Gaben, die die Nachwelt bewundert. Mögen andere bei der Reformation irdische Zwecke gehabt haben, sie hätten nie gesiegt, hätte nicht an ihrer Spitze ein Anführer gestanden, der durch das Ewige begeistert wurde; daß dieser, der immerfort das Heil aller unsterblichen Seelen auf dem Spiel stehen sah, allen Ernstes allen Teufeln in der Hölle furchtlos entgegen ging, ist natürlich und durchaus kein Wunder. Dies nun ist ein Beleg von deutschem Ernst und Gemüt.

Daß Luther mit diesem rein menschlichen und nur durch jeden selbst zu besorgenden Anliegen an alle, und zunächst an die Gesamtheit seiner Nation sich wendete, lag, wie gesagt, in der Sache. Wie nahm nun sein Volk diesen Antrag auf? Blieb es in seiner dumpfen Ruhe, gefesselt an den Boden durch irdische Geschäfte und ungestört fortgehend den gewohnten Gang, oder erregte die nicht alltägliche Erscheinung gewaltiger Begeisterung bloß sein Gelächter? Keineswegs, sondern es wurde wie durch ein fortlaufendes Feuer ergriffen von derselben Sorge für das Heil der Seele, und diese Sorge eröffnete schnell auch ihr Auge der vollkommenen Klarheit, und sie nahmen auf im Fluge das ihnen Dargebotene. War diese Begeisterung nur eine augenblickliche Erhebung der Einbildungskraft, die im Leben und gegen dessen ernsthafte Kämpfe und Gefahren nicht stand hielt? Keineswegs, sie entbehrten alles und trugen alle Martern und kämpften in blutigen zweifelhaften Kriegen, lediglich damit sie nicht wieder unter die Gewalt des verdammlichen Papsttums gerieten, sondern ihnen und ihren Kindern fort das allein seligmachende Licht des Evangeliums schiene; und es erneuten sich an ihnen in später Zeit alle Wunder, die das Christentum bei seinem Beginnen an seinen Bekennern darlegte. Alle Äußerungen jener Zeit sind erfüllt von dieser allgemein verbreiteten Besorgtheit um die Seligkeit. Sehen Sie hier einen Beleg von der Eigentümlichkeit des deutschen Volkes. Es ist durch Begeisterung zu jedweder Begeisterung und jedweder Klarheit leicht zu erheben, und seine Begeisterung hält aus für das Leben und gestaltet dasselbe um.

Auch früher und anderwärts hatten Reformatoren Haufen des Volks begeistert und sie zu Gemeinden versammelt und gebildet; dennoch erhielten diese Gemeinden keinen festen und auf dem Boden der bisherigen Verfassung gegründeten Bestand, weil die Volkshäupter und Fürsten der bisherigen Verfassung nicht auf ihre Seite traten. Auch der Reformation durch Luther schien anfangs kein günstigeres Schicksal bestimmt. Der weise Kurfürst, unter dessen Augen sie begann, schien mehr im Sinne des Auslandes als in dem deutschen weise zu sein; er schien die eigentliche Streitfrage nicht sonderlich gefaßt zu haben, einem Streite zwischen zwei Mönchsorden, wie ihm es schien, nicht viel Gewicht beizulegen und höchstens bloß um den guten Ruf seiner neu errichteten Universität besorgt zu sein. Aber er hatte Nachfolger, die, weit weniger weise denn er, von derselben ernstlichen Sorge für ihre Seligkeit ergriffen wurden, die in ihren Völkern lebte, und vermittelst dieser Gleichheit mit ihnen verschmolzen bis zu gemeinsamem Leben oder Tod, Sieg oder Untergange.

Sehen Sie hieran einen Beleg zu dem oben angegebenen Grundzuge der Deutschen, als einer Gesamtheit, und zu ihrer durch die Natur begründeten Verfassung. Die großen National- und Weltangelegenheiten sind bisher durch freiwillig auftretende Redner an das Volk gebracht worden und bei diesem durchgegangen. Mochten auch ihre Fürsten anfangs aus Ausländerei und aus Sucht, vornehm zu tun und zu glänzen, wie jene sich absondern von der Nation und diese verlassen oder verraten, so wurden sie doch später leicht wieder fortgerissen zur Einstimmigkeit mit derselben und erbarmten sich ihrer Völker. Daß das erste stets der Fall gewesen sei, werden wir tiefer unten noch an andern Belegen dartun; daß das letztere fortdauernd der Fall bleiben möge, können wir nur mit heißer Sehnsucht wünschen.

Ohnerachtet man nun bekennen muß, daß in der Angst jenes Zeitalters um das Heil der Seelen eine Dunkelheit und Unklarheit blieb, indem es nicht darum zu tun war, den äußeren Vermittler zwischen Gott und den Menschen zu verändern, sondern gar keines äußeren Mittlers zu bedürfen und das Band des Zusammenhanges in sich selber zu finden, so war es doch vielleicht notwendig, daß die religiöse Ausbildung der Menschen im ganzen durch diesen Mittelzustand hindurch ginge. Luthern selbst hat sein redlicher Eifer noch mehr gegeben, denn er suchte, und ihn weit hinausgeführt über sein Lehrgebäude. Nachdem er nur die ersten Kämpfe der Gewissensangst, die ihm sein kühnes Losreißen von dem ganzen bisherigen Glauben verursachte, bestanden hatte, sind alle seine Äußerungen voll eines Jubels und Triumphs über die erlangte Freiheit der Kinder Gottes, welche die Seligkeit gewiß nicht mehr außer sich und jenseits des Grabens suchten, sondern der Ausbruch des unmittelbaren Gefühls derselben waren. Er ist hierin das Vorbild aller künftigen Zeitalter geworden und hat für uns alle vollendet. – Sehen Sie auch hier einen Grundzug des deutschen Geistes. Wenn er nur sucht, so findet er mehr, als er suchte; denn er gerät hinein in den Strom lebendigen Lebens, das durch sich selbst fortrinnt und ihn mit sich fortreißt.

Dem Papsttume, dieses nach seiner eigenen Gesinnung genommen und beurteilt, geschah durch die Weise, wie die Reformation dasselbe nahm, ohne Zweifel unrecht. Die Äußerungen desselben waren wohl größtenteils aus der vorliegenden Sprache blind herausgegriffen, asiatisch-rednerisch übertreibend, gelten sollend, was sie könnten, und rechnend, daß mehr als der gebührende Abzug wohl ohne dies werde gemacht werden, niemals aber ernstlich ermessen, erwogen oder gemeint. Die Reformation nahm mit deutschem Ernste sie nach ihrem vollen Gewichte; und sie hatte recht, daß man alles also nehmen sollte, unrecht, wenn sie glaubte, jene hätten es also genommen, und sie noch anderer Dinge, denn ihrer natürlichen Flachheit und Ungründlichkeit bezichtigte. Überhaupt ist dies die stets sich gleichbleibende Erscheinung in jedem Streite des deutschen Ernstes gegen das Ausland, ob dieses sich nun außer Landes oder im Lande befinde, daß das letztere gar nicht begreifen kann, wie man über so gleichgültige Dinge, als Worte und Redensarten sind, ein so großes Wesen erheben möge, und daß sie, aus deutschem Munde es wieder hörend, nicht gesagt haben wollen, was sie doch gesagt haben und sagen und immerfort sagen werden, und über Verleumdung, die sie Konsequenzmacherei nennen, klagen, wenn man ihre Äußerungen in ihrem buchstäblichen Sinne und als ernstlich gemeint nimmt und dieselben betrachtet als Bestandteile einer folgebeständigen Denkreihe, die man nur rückwärts nach ihren Grundsätzen und vorwärts nach ihren Folgen herstellt; indes man doch vielleicht sehr entfernt ist, ihnen für die Person klares Bewußtsein dessen, was sie reden, und Folgebeständigkeit beizumessen. In jener Anmutung, man müsse eben jedwedes Ding nehmen, wie es gemeint sei, nicht aber etwa noch darüber hinaus das Recht, zu meinen und laut zu meinen, in Frage ziehen, verrät sich immer die noch so tief versteckte Ausländerei.

Dieser Ernst, mit welchem das alte Religionsgebäude genommen wurde, nötigte dieses selbst zu einem größeren Ernste, als es bisher gehabt hatte, und zu neuer Prüfung, Umdeutung, Befestigung der alten Lehre, sowie zu größter Behutsamkeit in Lehre und Leben für die Zukunft; und dieses, sowie das zunächstfolgende, sei Ihnen ein Beleg von der Weise, wie Deutschland auf das übrige Europa immer zurückgewirkt hat. Hierdurch erhielt für das Allgemeine die alte Lehre wenigstens diejenige unschädliche Wirksamkeit, die sie, nachdem sie nun einmal nicht aufgegeben werden sollte, haben konnte; insbesondere aber ward sie für die Verteidiger derselben Gelegenheit und Aufforderung zu einem gründlicheren und folgegemäßeren Nachdenken, als bisher stattgehabt hatte. Davon, daß die in Deutschland verbesserte Lehre auch in das neulateinische Ausland sich verbreitet und daselbst denselben Erfolg höherer Begeisterung hervorgebracht, wollen wir hier, als von einer vorübergehenden Erscheinung, schweigen, wiewohl es immer merkwürdig ist, daß die neue Lehre in keinem eigentlich neulateinischen Lande zu einem vom Staate anerkannten Bestände gekommen, indem es scheint, daß es deutscher Gründlichkeit bei den Regierenden und deutscher Gutmütigkeit beim Volke bedurft habe, um diese Lehre verträglich mit der Obergewalt zu finden und sie also zu machen.

Johannes und Paulus. Gnostizismus. Katholizismus und Verbot des Denkens. Reformation. Neuer Gnostizismus: Buchstabenglaube. Moderne Religionsphilosophie. Ablehnung aller modernen Theologie.

Es gibt nach unserem Erachten zwei höchst verschiedene Gestalten des Christentums: die im Evangelium Johannis und die beim Apostel Paulus, – zu welches letzteren Partei auch die übrigen Evangelisten großenteils, und ganz besonders Lukas, gehören. Der Johanneische Jesus kennt keinen anderen Gott, als den wahren, in welchem wir alle sind und leben und selig sein können, und außer welchem nur Tod ist und Nichtsein; und wendet, wie denn dieses Verfahren auch ganz richtig ist, mit dieser Wahrheit sich nicht an das Räsonnement, sondern an den inneren, praktisch zu entwickelnden Wahrheitssinn der Menschen, – gar nicht kennend einen anderen Beweis, als diesen inneren. »So jemand will den Willen tun des, der mich gesandt hat, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei«, erklärt er sich. Was das historische anbelangt, ist ihm seine Lehre so alt als die Welt, und die erste ursprüngliche Religion; das Judentum aber, als eine spätere Ausartung, verwirft er unbedingt und ohne alle Milderung. »Euer Vater ist Abraham, der meinige Gott«, sagt er den Juden gegenüber; »ehe denn Abraham war, war ich; Abraham war froh, daß er meinen Tag sehen sollte, und er sähe ihn und freuete sich.« Das letztere, daß Abraham Jesu Tag sähe, geschah ohne Zweifel damals, als Melchisedek, der Priester Gottes des Allerhöchsten, – welcher allerhöchste Gott die ganzen ersten Kapitel des ersten Buches Mosis hindurch dem untergeordnetem Gotte und Nachschöpfer, Jehovah, ausdrücklich entgegengesetzt wird, – als, sage ich, dieser Priester des höchsten Gottes den Jehovahdiener Abraham segnete und von ihm den Zehnten nahm: aus welchem letzteren Umstände der Verfasser des Briefes an die Hebräer sehr ausführlich und scharfsinnig das höhere Alter und den vorzüglicheren Rang des Christentums vor dem Judentume erweiset und Jesum ausdrücklich einen Priester nach der Ordnung Melchisedeks nennt, und so ihn als den Wiederhersteller der Melchisedeks-Religion charakterisiert; – ohne Zweifel ganz in dem Sinne jener eigenen Äußerung Jesu beim Johannes. Es bleibt auch bei diesem Evangelisten immer zweifelhaft, ob Jesus aus jüdischem Stamme sei, oder, falls er es doch etwa wäre, wie es mit seiner Abstammung sich eigentlich verhalte. Ganz anders verhält es sich mit Paulus, durch den Johannes vom Anfange einer christlichen Kirche an verdrängt worden. Paulus, ein Christ geworden, wollte dennoch nicht Unrecht haben, ein Jude gewesen zu sein: beide Systeme mußten daher vereinigt werden und sich ineinander fügen. Dies wurde also bewerkstelligt, wie es denn auch nicht füglich anders bewerkstelligt werden konnte: Er ging aus von dem starken, eifrigen und eifersüchtigen Gotte des Judentums, demselben, den wir früher als den Gott des gesamten Altertums geschildert haben. Mit diesem Gotte hatten nun, nach Paulus, die Juden einen Vertrag abgeschlossen, und das war ihr Vorzug vor den Heiden; während der Gültigkeit dieses Vertrages hatten sie nur das Gesetz zu halten, und sie waren vor Gott gerechtfertigt, d. h., sie hatten kein weiteres Übel von ihm zu befürchten. Durch die Ertötung Jesu aber hatten sie diesen Vertrag aufgehoben, und es konnte seitdem nichts mehr helfen, das Gesetz zu halten; vielmehr trat seit dessen Tode ein neuer Vertrag ein, zu welchem beide, Juden wie Heiden, eingeladen waren; beide hatten nach diesem neuen Vertrage nur Jesum für den verheißenen Messias anzuerkennen, und waren dadurch ebenso, wie vor Jesu Tod die Juden durch die Haltung des Gesetzes, gerechtfertigt. Das Christentum wurde ein neues, erst in der Zeit entstandenes und ein altes Testament ablösendes Testament oder Bund. Nun mußte auch Jesus freilich zum jüdischen Messias und, der Weissagung zufolge, zu einem Sohne Davids gemacht werden; es fanden sich Geschlechtsregister ein, und eine Geschichte seiner Geburt und seiner Kindheit, – welche jedoch in den beiden Gestalten, in denen sie in unseren Kanon gekommen sind, merkwürdig genug einander widersprechen. – Ich sage nicht, daß in Paulus überhaupt das echte Christentum sich nicht finde; – wenn er gerade nicht an das Hauptproblem seines Lebens, die Vereinigung der beiden Systeme, denkt, spricht er so vortrefflich und richtig und kennt den wahren Gott Jesu so innig, daß man einen ganz anderen Mann zu hören glaubt. Allenthalben aber, wo er auf sein Lieblingsthema kommt, fällt die Sache so aus, wie wir es oben vorgestellt.

Die erste Folge dieses Paulinischen Systems, – welches einen Einwurf, den das vernünftelnde Räsonnement der Juden machte, (welchem Räsonnement die erste Prämisse, daß das Judentum irgend einmal wahre Religion gewesen sei, die der Johanneische Jesus rund ableugnete, hier nicht abgeleugnet, sondern zugestanden werden sollte) – welches, sage ich, einen solchen Einwurf zu lösen unternahm, war die Folge: daß dieses System sich an das vernünftelnde Räsonnement wenden und dasselbe zum Richter machen mußte; und zwar, da das Christentum sich für alle Menschen bestimmte, an das Räsonnement aller. So tut Paulus wirklich: er räsonniert und disputiert trotz einem Meister und rühmt sich, gefangen zu nehmen, d. h. zu überführen, alle Vernunft. Ihm daher schon war der Begriff höchster Richter; und er mußte es in einem christlichen Systeme, dessen Urheber Paulus war, notwendig im allgemeinen werden. Dadurch war denn aber auch der Grund zur Auflösung des Christentums schon gelegt. – Denn, da du selber mich zum Räsonnement aufforderst, so räsonniere ich eben selber, mit deiner eigenen guten Erlaubnis. Nun hast du freilich stillschweigend vorausgesetzt, mein Räsonnement könne gar nicht anders ausfallen, als das deinige; wenn es nun aber doch anders und dir widersprechend ausfiele, – wie ohne Zweifel geschehen wird, wenn ich mit einer anderen herrschenden Zeit-Philosophie an das Werk gehe, – so ziehe ich das meinige dem deinigen vor, gleichfalls mit deiner eigenen guten Erlaubnis, falls du konsequent bist. – Dieser Erlaubnis bediente man sich denn auch in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche sehr fleißig, forträsonnierend immer über Dogmen, welche ganz allein dem Paulinischen Vermittelungsgeschäft ihr Dasein verdankten: und es entstanden in der einen Kirche die allerverschiedensten Meinungen und Streitigkeiten, alle hervorgehend aus der Maxime, daß der Begriff Richter sei; welches System im Christentume ich, einmal für immer, Gnostizismus nennen will. – Dabei konnte nun die Einheit der Kirche nimmer bestehen; und da man weit entfernt war, die wahre Quelle des Übels in der ursprünglichen Abweichung von der Einfachheit des Christentums zugunsten des Judentums zu entdecken, blieb nichts weiter übrig, als ein sehr heroisches Mittel, dies: alles weitere Begreifen zu untersagen und festzusetzen, daß in dem geschriebenen Worte, sowie in der vorhandenen mündlichen Tradition durch eine besondere Veranstaltung Gottes die Wahrheit niedergelegt sei und eben geglaubt werden müsse, ob man sie nun begreifen könne oder nicht; für weiterhin nötige Fortbestimmung aber dieselbe Unfehlbarkeit auf der versammelten Kirche und der Stimmenmehrheit derselben ruhe, und an ihre Satzungen ebenso unbedingt geglaubt werden müsse, als an das erstere. Von nun an war es von Seiten des Christentums mit der Aufforderung zum Selbstdenken und Selbstbegreifen zu Ende, vielmehr war das auf diesem Gebiete ein untersagtes und mit allen Strafen der Kirche belegtes Unternehmen, das jeder, der es doch nicht lassen konnte, nur auf seine eigene Gefahr trieb.

In diesem Zustande blieben die Sachen lange, bis die Kirchenreformation ausbrach, nachdem vorher das wichtigste Werkzeug dieser Reformation, die Buchdruckerkunst, erfunden worden. Diese Reformation war ebensoweit entfernt, als die zuerst sich konstituierende Kirche, den wahren Grund der Ausartung des Christentums zu entdecken; auch blieb sie in Absicht der Verwerfung des Gnostizismus und in der Forderung des unbedingten Glaubens, wenn man es auch nicht begreife, mit dieser Kirche einig: – nur, daß sie diesem Glauben ein anderes Objekt gab, indem sie die Unfehlbarkeit der mündlichen Tradition und der Konzilien-Satzungen verwarf und nur auf der des geschriebenen Wortes bestand. Die Inkonsequenz, daß die Authentizität dieses geschriebenen Wortes selber denn doch abermals auf mündlicher Tradition und auf der Unfehlbarkeit des Konziliums, welches unseren Kanon sammelte und schloß, beruhe, wurde übersehen. Und so war denn, zum allererstenmal in der Welt, ganz förmlich ein geschriebenes Buch als höchster Entscheidungsgrund aller Wahrheit und als der einzige Lehrer des Weges zur Seligkeit aufgestellt.

Aus dieser zum einzigen Entscheidungsgrunde erhobenen Schrift nun bestritten die Reformatoren das aus den beiden anderen Quellen geflossene: – hierin ganz offenbar im Zirkel beweisend und ihr vom Gegner eben abgeleugnetes Prinzip ihm ohne weiteres anmutend; indem ja dieser sagt: ohne mündliche Tradition und Kirchensatzungen kann man die Schrift gar nicht verstehen, denn diese sind ihre authentische Interpretation. Bei dieser Beschaffenheit ihrer Sache und der absoluten Unhaltbarkeit derselben für ein gelehrtes und mit dem eigentlichen Streitpunkte bekanntes Publikum blieb ihnen nichts übrig, als an das Volk zu appellieren. Diesem daher mußte die Bibel, in seine Sprache übersetzt, in die Hände gegeben werden; dieses mußte aufgefordert werden, dieselbe zu lesen und selber zu urteilen, ob nicht das, was die Reformatoren darin fanden, wirklich ganz klar darin stehe. Dieses Mittel konnte nicht anders, denn gelingen; das Volk fand sich durch das erteilte Recht geschmeichelt und bediente sich desselben nach aller Möglichkeit; und ganz sicher würde durch dieses Prinzip die Reformation das ganze christliche Europa ergriffen haben, wenn nicht die Gewalthaber sich dagegen gesetzt und das einzige sichere Gegenmittel getroffen hatten, – dieses: die protestantischen Bibelübersetzungen und Schriften nicht in die Hände des Volks kommen zu lassen.

Lediglich durch diese vom Protestantismus angeregte Sorge für das Christentum, auf dem Wege der Bibel, hat der Buchstabe den hohen und allgemeinen Wert erhalten, den er seitdem hat; er wurde das fast unentbehrliche Mittel zur Seligkeit, und ohne lesen zu können, konnte man nicht länger füglich ein Christ sein, noch in einem christlich-protestantischen Staate geduldet werden. Daher nun die herrschenden Begriffe über Volkserziehung, daher die Allgemeinheit des Lesens und Schreibens. Daß späterhin der eigentliche Zweck, das Christentum, vergessen und das, was erst nur Mittel war, selbst Zweck wurde, darf uns nicht wundern: es ist dies das allgemeine Schicksal aller menschlichen Einrichtungen, nachdem sie einige Zeit gedauert haben.

Dieses Fallenlassen des Zweckes für das Mittel wurde noch besonders durch einen Umstand befördert, den wir aus anderen Gründen nicht unberührt lassen können: die altgläubige Kirche, wo sie nur gegen den ersten Anlauf der Reformation stehen geblieben, erfand auch gegen diese neue Mittel, wodurch sie aller Furcht vor derselben entledigt wurde; und dies um so mehr, da der Protestantismus selbst ihr für diese Absicht in die Hände arbeitete. Es entstand nämlich im Schoße des letzteren bald ein neuer Gnostizismus; – als Protestantismus zwar sich haltend an die Bibel, als Gnostizismus aber das Prinzip aufstellend, daß die Bibel vernünftig erklärt werden müsse: – dies hieß nämlich, so vernünftig, als diese Gnostiker selbst es waren: sie aber waren gerade so vernünftig, als das allerschlechteste philosophische System, das Lockische. Sie brachten nichts weiter zutage, denn die Bestreitung einiger Paulinischen Ideen von stellvertretender Genugtuung, seligmachendem Glauben an diese Genugtuung und dergleichen; ruhig stehen lassend den Hauptirrtum von einem willkürlich handelnden, Verträge machenden und dieselben nach Zeit und Umständen abändernden Gotte. Dennoch verlor dadurch der Protestantismus fast alle Gestalt einer positiven Religion und ließ sich von der altgläubigen Kirche sehr füglich für absolutes Unchristentum ausgeben. So gegen ihren Gegner sicher gestellt, hatte sie sich vor Schriftstellerei und Leserei nicht mehr so zu fürchten, und dieselbe konnte nun auch in katholischen Staaten, immer von Protestantischen aus, unter dem Namen des freien Philosophierens sich verbreiten.

So viel, ehrwürdige Versammlung, mußte ich sagen, um die aufgeworfene Frage über die eigentliche Entstehung des hohen Wertes des Buchstaben zu lösen. Ich habe hierbei Dinge berühren müssen, welche für viele großen Wert haben, da sie mit dem, was absoluten Wert hat, mit der Religion, zusammenhängen; ich habe von Katholizismus und Protestantismus also gesprochen, daß man sehen konnte, daß ich in der Hauptsache beiden Unrecht gebe; und ich möchte diese Materie nicht gern verlassen, ohne meine wahre Meinung deutlich wenigstens ausgesprochen zu haben.

Meiner Ansicht nach stehen beide Parteien auf einem an sich völlig unhaltbarem Grunde – der Paulinischen Theorie, welche, um dem Judentume auch nur für gewisse Zeit Gültigkeit beizumessen, von einem willkürlich handelnden Gotte ausgehen mußte; und beide Parteien, über die Wahrheit jener Theorie vollkommen einverstanden und hierüber nicht den mindesten Zweifel hegend, streiten nur über das Mittel, diese Paulinische Theorie aufrecht zu erhalten. Da ist nun an Vereinigung und Frieden nimmer zu gedenken; ja es wäre sogar schlimm, wenn zugunsten jener Theorie ein Friede abgeschlossen würde. Alsbald aber würde Friede sein, wenn man diese ganze Theorie fallen ließe und zum Christentume in seiner Urgestalt, wie es im Evangelium Johannis dasteht, zurückkehrte. Dort findet kein anderer Beweis statt als der innere, am eigenen Wahrheitssinne und geistlicher Erfahrung; wer Jesus selbst für seine Person gewesen oder nicht gewesen sei, daran kann bloß dem Pauliner liegen, der ihn zum Aufkündiger eines alten Bundes mit Gott und Abschließer eines neuen in desselben Namen machen will; zu welchem Geschäfte: es allerdings einer bedeutenden Legitimation bedürfen würde: der reine Christ kennt gar keinen Bund noch Vermittelung mit Gott, sondern bloß das alte, ewige und unveränderliche Verhältnis, daß wir in ihm leben, weben und sind; und er fragt überhaupt nicht, wer etwas gesagt habe, sondern was gesagt sei; selbst das Buch, worin dies niedergeschrieben sein mag, gilt ihm nicht als Beweis, sondern nur als Entwickelungsmittel, – den Beweis trägt er in seiner eigenen Brust. Dies ist meine Ansicht der Sache, und ich habe diese Ansicht, welche nichts gefährliches zu haben scheint und die Grenzen der unter Protestanten hergebrachten Freiheit, über religiöse Gegenstände zu philosophieren, keineswegs überschreitet, mitgeteilt, damit Sie dieselbe an Ihren eigenen Kenntnissen der Religion und ihrer Geschichte erproben und versuchen möchten, ob Ihnen dadurch Ordnung, Zusammenhang und Licht in das Ganze komme; keineswegs aber will ich hierüber die Theologen zum Streite herausgefordert haben. Ich bin, – selber in den Schulen derselben gebildet, – mit ihren Waffen zu gut bekannt und weiß, daß sie auf ihrem Boden unüberwindlich sind; auch kenne ich meine eigene, soeben vorgetragene Theorie zu gut, als daß es mir entgehen sollte, daß sie die ganze Theologie mit ihren dermaligen Ansprüchen rein aufhebe und das, was an ihren Untersuchungen Wert hat, in das Gebiet der historischen und der Sprachgelehrsamkeit, ohne allen Einfluß auf Religiosität und Seligkeit, verweise: ich kann darum mit dem Theologen, der Theologe bleiben und nicht etwa lieber Volkslehrer sein will, gar nicht zusammenkommen.

Religionsbekenntnis der Deutschen

Die Gesetzgeber Entwurf für eine deutsche Zukunftskirche. Der obige Titel stammt von Fichte. fanden die drei bekannten Hauptkonfessionen des Christentums im Besitzstande. Sie hielten für nötig, ein viertes Bekenntnis zuzulassen, wovon sie wußten, daß alle frei Gebildeten, die über diesen Gegenstand je nachgedacht, ihm zugetan seien, – indem ihnen bekannt war, daß durch diesen Umstand diese von aller öffentlichen Andacht so gut als ausgeschlossen seien, und der Staat bei seinem Bedürfnisse einer Religion in die Lage gesetzt werde, gerade mit seinen würdigsten Bürgern aus Vorstellungen zu handeln, an die weder sie noch die eigenen Geschäftsträger des Staates glauben, – dasselbe bestimmt auszusprechen, anzuerkennen und es zur allgemeinen bürgerlichen, die Staatsverhandlungen begleitenden und sanktionierenden Religion zu erheben. Den Katholiken ihren fremden Namen lassend, nannten sich die Anhänger dieses Bekenntnisses allgemeine Christen. Die Gelehrten unter ihnen ließen Jesu Cristo die Gerechtigkeit widerfahren, daß er zuerst unter allen und, soviel sich absehen lasse, ohne alle Anleitung gewußt und gelehrt habe den höchsten Endpunkt aller Wahrheit; aber sie bestanden darauf, daß sie diese Lehre nicht für wahr hielten, noch daß irgend einer sie für wahr halten solle, darum, weil Jesus sie gelehrt, sondern nur, weil und inwiefern er selbst sie für wahr anzuerkennen innerlich sich gedrungen fühlen werde. Selbst jene, aus historischer Forschung erwachsene tiefe Verehrung für Jesus drangen sie keinem auf, der entweder jene historischen Forschungen mit ihnen gar nicht anstellen mochte, oder den dieselben zu anderen Resultaten führten: vielmehr anerkannten sie jeden, der nur mit ihnen den Inhalt der christlichen Theologie, oder welchen Beinamen er ihr geben mochte, annahm, für ein Mitglied ihres Glaubens. Auf die vom Gegenteil erhobene Frage, ob diese Erkenntnis in der Welt sein würde, wenn kein Jesus gewesen wäre, ließen sie sich, als auf eine niemals zu entscheidende und selbst, wenn sie entschieden werden könnte, zu keiner vernünftigen Anwendung führende Untersuchung durchaus nicht ein. Als es zwischen ihnen und dem Gegenteile zu scharfer dialektischer Diskussion kam, und die versuchte Ausflucht, daß sie es glaubten, zugleich weil sie es selber als wahr einsähen, zugleich aber auch noch zum Überflusse, weil Jesus es gelehrt hätte (oder auch diese zugleich in umgekehrter Ordnung gesetzt), in ihrer völligen Absurdität jedem vor Augen lag: so mußten diejenigen, die sich nicht schon damals entschlossen, zu ihnen überzutreten, als ihren Unterschied in der Lehre das Bekenntnis aufstellen, daß sie es keineswegs als wahr einsehen, noch daß irgend eine Liebe oder ein Wunsch sie dahin anziehe, sondern daß sie es lediglich glaubten auf das Wort eines im Grunde ihnen sehr unbekannten Mannes. So nannten sich die ersteren auch Christen schlechtweg, wie eines der ersten Symbole dieses Bekenntnisses redet, deswegen, »weil wir selber, obwohl nicht nach den Verhältnissen der Zeit, die da vorüber sind, dennoch aber im Wesen der Anlage nach Christo gleich zu sein fest glauben, und uns und die unserigen mit allem Fleiße anhalten, dasselbe auch in der Wirklichkeit zu werden: dagegen unsere lieben Mitbürger von der anderen Seite bekennen, daß Christus ganz verschiedener Art sei gegen die ihrige, und daß ihm gleich werden, sei es auch nur im Wahr finden dessen, was er für wahr gefunden hat, nicht nur an sich unmöglich, sondern auch das Bestreben danach eine törichte Vermessenheit sei, daher ihr Verhältnis zu ihm, das sie dennoch selbst behaupten, und es überdies uns anderen aufdringen wollen, am füglichsten Christianismus zu nennen sein würde«. Diese Benennung der Christianer eigneten sich denn auch jene, in der Hitze des Streites, so wie einst die Lutheraner die ihrige, an, und so blieb den ersten der Name der Christen. – –

Die Kirche des kleinsten Dorfes, dem eine Kirche zugestanden wird, ist aus Gründen und durch Mittel, von denen zu anderer Zeit die Rede sein wird, ein schönes Gebäude, meistens eine auf verschiedene Weise länglichte Rundung. Die Lagen dieser Kirchen sind nicht nach einerlei Richtungen bestimmt durch die Himmelsgegenden, sondern nach der Fähigkeit des Platzes, wo sie stehen, der auch wohl die Abweichung von der Rundung bestimmt, und der meist auf einer mäßigen Erhöhung, und immer, um der ganzen Gegend einen schönen Haltungspunkt zu geben, gewählt ist. Es umgibt sie ein in Mauern eingeschlossener, meist runder, offener Platz. In Absicht der Haupt Verzierungen derselben ist zu bemerken, daß die christliche Kirche sogleich nach ihrer Anerkennung beschloß, die Leichname ihrer Verstorbenen zu verbrennen auf eine Art und unter Feierlichkeiten, die wir, falls eine schickliche Stelle dazu uns vorkommen sollte, zu vermelden nicht vergessen werden. Die Christianer fuhren fort, die Ihrigen in die Erde zu begraben; nachdem aber durch das Gesetz die Bestattung zur Erde aus anderen Gründen in Fällen, wovon zu seiner Zeit, ausschließend verordnet wurde, so bequemten sich auch die Christianer zum Verbrennen; und es gibt solche, die den Menschen wohl zu kennen glauben, die bei diesem Punkte ihrer Geschichte anmerken, der Übergang zu dieser Art der Bestattung sei zugleich der Übergang zum allgemeineren Christentume gewesen. In der Mauer, welche den freien Platz um die Kirche umgibt, waren Nischen angebracht, in welchen die Aschenkrüge die Asche der verstorbenen Eingeborenen des Dorfes enthielten: andere Krüge sieht man, die ohne Zweifel leer sind, weil die Körper wohl längst in dem unterliegenden Boden verweset. Die Hinterlassenen haben ihnen diesen Dienst zu erweisen gesucht, und dies ist eine kleine Betrügerei der Liebe, dergleichen die deutsche Republik nicht gerne rügt. – Jedes Bürgers Aschenkrug, wo irgend er sterbe, und in welcher hohen Würde, wird nach der Grabstätte seines Geburtsortes zurückgesandt und da aufgestellt. Da sieht man denn auf der obersten Reihe: Für das Vaterland im Felde gestorben; und sodann an den Aschenkrügen die Namen; oder im zweiten Felde: dem Vaterlande durch Klarheit und Verstand geraten; oder im dritten; als guter Hausvater, gute Hausmutter friedlich gelebt, brave Kinder dem Vaterlande gezeugt und erzogen, seinen Mitbürgern Gutes und Liebes erweisend. Endlich sieht man auch Fächer ohne Überschrift oder Namen auf den Aschenkrügen. – –

Die Feier des Sonntags ist folgende: In den kürzesten Tagen, wenn es heller Tag ist, in den längsten höchstens zwei Stunden nach Tagesanbruch wird zur Versammlung geläutet. Kein Gesunder bleibt leicht weg, indem es mit gewissen Bestrafungen verbunden ist, wegbleiben zu müssen.

Die Gemeinde versammelt sich auf dem erst beschriebenen Vorhofe, der Geistliche ist schon in der Kirche, stehend vor dem Altar. Wie man erachtet, daß die erstere beisammen sei, werden alle Türen eröffnet, die Gemeinde tritt ein, und alle nehmen unter einer die Gemüter zur Andacht erhebenden sanften Instrumentalmusik in Stille und Ordnung die ihnen angewiesenen Plätze ein. Wie alles eingetreten ist, schweigt die Musik, der Vorhang zur Halle öffnet sich, und die in ihr liegenden Wehren werden sichtbar, deren, da jeder deutsche Mann vom zwanzigsten Jahre an bis, wenige Ausnahmen abgerechnet, an seinen Tod Soldat ist, jeder seine ihm bestimmte an gleichfalls genau bestimmtem Platze hat; und es erscheint vor ihnen stehend der Friedensrichter des Ortes, die Fahne haltend. Indem nämlich die nächsten Handlungen, mit denen die öffentliche Feier beginnt, bürgerliche Handlungen sind, so ist für passend gehalten worden, daß das Grundsymbol des Bürgertums, die Bewaffnung, derselben sichtbar gleichsam beiwohne, und den Hintergrund des Schauplatzes bilde.

Der erste Akt ist die Beisetzung der Toten. Wann, auf welche Weise und mit welchen Feierlichkeiten die Leichname verbrannt und die Asche derselben gesammelt werde, werden wir zu einer anderen Zeit melden. Bei dem Akte, den wir jetzt beschreiben, befinden sich die Aschenkrüge schon bei der Eröffnung der Kirche auf dem Altar vor dem Geistlichen. Da diese Beisetzung ein allgemeiner bürgerlicher Akt ist, so wurden in den ersten Zeiten auch für diejenigen, deren Leichname ihrem besonderen Kirchengebrauche nach waren begraben worden, dennoch in diesem Falle leere Aschenkrüge aufgestellt und beigesetzt; und auch diese Einrichtung, der keiner überhoben werden konnte, mag das Ihrige beigetragen haben, um die Menge schneller zur Annahme der Verbrennung, und mit ihr des allgemeinen Christentums zu bewegen. Es wird, nach dem Range, den der Aschenkrug einzunehmen hat, ob er der eines im Kampfe für das Vaterland Verstorbenen war, oder eines nur sonst durch Rat und Tat um dasselbe Verdienten, oder, wo dies gleich ist, nach dem früheren Datum des Todes, der Name des verstorbenen Bürgers durch den Geistlichen ausgesprochen. Es wird darauf aus dem Bürgerbuche der darin aufgezeichnete Lebenslauf des Verstorbenen verlesen. Es dient zum Verständnis des letzteren die Nachricht, daß bei Aufnahme eines männlichen oder weiblichen Kindes in die Gemeinde auf ein Blatt dieses Buches der Name, den es erhielt, aufgezeichnet und von nun an fortlaufend, sowie etwas mit ihm sich ereignet oder aus der Entfernung die amtsmäßigen Berichte einlaufen, es auf demselben Blatte nachgetragen wird, sein Fortrücken in der öffentlichen Erziehung, sein Stand oder Amt, was er in demselben zum Vorteile des Ganzen geleistet, ob er in den Krieg gezogen, welchen Schlachten, Siegen er beigewohnt usw., nachgetragen wird bis auf seinen Tod und die Weise desselben. Nach dieser Verlesung wird ein anderes dazu bereit liegendes leeres Blatt, als Symbol dessen, was etwa über den Verstorbenen in den Schriften des Sittengerichtes befindlich sein möchte, in ein neben dem Altar stehendes Feuerbecken, in dem eine mit wohlriechenden Hölzern unterhaltene Flamme brennt, geworfen, unter den Worten: »Sollte der Aufflug des himmlischen Wollens zuweilen durch die irdische Hülle gehemmt worden sein, so hat er jetzt die Hülle abgelegt; ausgetilgt sei dies aus unserem und aller Sterblichen Andenken«, welche letzteren Worte von der ganzen Gemeinde langsam und feierlich nachgesprochen werden. Indem wir uns vorbehalten, über das soeben erwähnte Sittengericht seiner Zeit ausführliche Auskunft zu geben, merken wir hier zum Verständnisse des oben Gesagten nur dies an, daß dieses Gericht wirklich alle Bemerkungen und Verhandlungen über Bürger, deren Tod ihnen amtsmäßig kund wird, in ihren Versammlungen den Flammen übergibt und es für höchst unschicklich halten würde, dergleichen, außer bei einer einzigen Person in einem einzigen tiefer unten zu erwähnenden Falle aufzubehalten; daß man aber dennoch diese symbolische Vernichtung eingeführt und sie ohne alle Ausnahme, selbst bei Personen, von denen so gut als sicher ist, daß ihre Namen in den Schriften jenes Gerichtes nie vorgekommen, ja jelbst bei solchen, die gar nicht unter ihm stehen, anwendet, um in den Bürgern die heilige Ehrfurcht vor diesem Gerichte, den die Aufmerksamkeit auf uns selbst schärfenden Gedanken, daß jedweder ihm Blößen geben könne, und endlich die Überzeugung, daß man die Flecken, welche diese aufmerkt, nicht wie andere Vergehungen durch die Strafe abbüßen könne, sondern daß sie uns frei vergeben werden können, und nur von der einträchtigen Gemeinde, und auch von dieser nur nach dem Tode, zugleich auch um den Tod in der freundlichen Gestalt eines allgemeinen Entsündigers und Versöhners, (eine Absicht, die auch noch in manchen anderen ihrer Einrichtungen sichtbar ist), darzustellen.

Und so wird, falls mehrere Aschenkrüge vorhanden, fortgefahren mit jedem einzelnen. Sind diese Akte vollendet, so erhebt sich eine sanfte Musik; der Prediger ergreift den ersten Aschenkrug, die zwei Ältesten zwei andere, und stellen sich ihm an die Seite, und so lange fort, bis die Prozession, wie sie abgehen kann, gestellt ist. Wie die Hymne anhebt, die wir mit ihren Anfangsworten »Wohl Euch« bezeichnen, und welche Glückwunsch für die Vollendeten, für diese sowohl, als alle anderen auf der Oberfläche des Staates von seiner Entstehung an, für die Lebenden aber den Wunsch enthält, durch Tun und Tragen noch zu reifen, bis sie würdig seien, das jetzt abgebrochene fröhliche Zusammenleben mit ihnen wieder zu beginnen: so schreitet die Prozession zu der dem Altare gegenüberliegenden, durch eine verborgene Feder sich selbst öffnenden Haupttüre langsam hinaus und setzt die Krüge auf die ihnen bestimmten Gestelle. Ebenso kehrt die Gemeinde wieder zurück und stellt sich vor den Altar in umgekehrter Ordnung, der Geistliche im Hintergrunde, bis nach dem Schlusse der Hymne. Die Ältesten lösen sich ab, und gehen nach ihren Plätzen: es ist einige Augenblicke eine feierliche Stille. Welche Tränen der Liebe und des Dankes, Geschenke, mit dankbaren Tränen benetzte Blumenkränze oft nach dem Auseinandergehen der Gemeinde von einzelnen den Aschenkrügen dargebracht werden, wollen wir hier nicht erwähnen.

So verhält es sich mit der öffentlichen Beisetzung im allgemeinen. Wie in besonderen außerordentlichen Fällen verfahren werde, werden wir bei Erwähnung dieser Fälle nachholen. ( Einen für Feigheit Bestraften setzen sie nicht gerne allein bei.)

Jetzt öffnen sich wieder die Türen, und es treten herein und bewegen sich mit ruhigem Anstande in ihrer Reihe nach dem Altare zu die ältesten und würdigsten Frauen der Gemeinde, auf ihren Armen die neugeborenen Kinder zur Aufnahme in die Gemeinde darbietend. Da die Einweihungsformel der beiden Geschlechter verschieden ist, die Gesetzgeber aber nirgends die Andeutung des mindesten Vorrechtes des einen Geschlechtes vor dem anderen gestatten wollten, so ist die Schwierigkeit, die hierbei entstehen konnte, also gehoben: Der Augenblick der Geburt entscheidet. Ist daher das erste in der vergangenen Woche Geborene ein Mädchen, so wird zuerst die Einweihung der Mädchen, ist es ein Knabe, so wird zuerst die der Knaben vollzogen. Der Prediger spricht laut und vernehmlich: »es ist an dem Tage, der Stunde, dieser Familie unserer Mitbürger geboren worden ein Sohn, eine Tochter, welche den Namen ... erhalten soll«. Während dieser Rede schreitet die Bürgerin, welche dieses Kind hält, einige Schritte hervor, abgesondert von den übrigen, und hält das Kind so, daß es allen sichtbar werde, empor. »Ihrem, oder seinem Leben ist bestimmt dieses Blatt«, – das gezeigt wird. Um nicht durch das Einschreiben dessen, was erst gesagt worden, Aufenthalt zu verursachen und den Prediger in eine unzierliche Stellung zu bringen, ist vorausgesetzt, daß der Prediger dies schon vorher eingetragen habe; doch tritt einer der Ältesten an die Wand des Altars, sieht, gegen das Volk gerichtet, in das Blatt, unterzeichnet in derselben Richtung und aufrecht bleibend zur Seite seinen Namen und sagt mit lauter Stimme: z. B. »Jakob Ehrenberg, Sohn des usw., oder Maria Mayerin, Tochter des ... und der ..., hat ihr Blatt im Bürgerbuche«. So mit den übrigen; jedesmal tritt einer der Ältesten hervor, um das angelegte Blatt zu unterzeichnen. Indessen haben links am Altare die Trägerinnen der Kinder, die zuerst eingeweiht werden sollen, und rechts die anderen sich in eine, soweit es ohne Mangel des Anstandes geschehen konnte, enge Gruppe gestellt; der Prediger legt dem ersten Kinde die Hand auf, welche er unter der ganzen folgenden Formel liegen läßt, und sagt: »Wir nennen dich Maria Mayerin (der Zuname wird auch ausgesprochen, – welches die ganze Gemeinde feierlich nachsagt), zum Zeichen, daß wir, und durch uns das gesamte Vaterland der deutschen Nation, dich anerkennen als ein der Vernunft fähiges Wesen (das letztere wird von der Gemeinde nachgesprochen), als teilhaftig aller Rechte unseres Bürgertums (nachgesprochen), als Miterben des ewigen Lebens, welches auch wir hoffen,« (nachgesprochen). Dies bei jedem Kinde besonders. Wie er bei dem letzten angekommen, erhebt er die Hand und schwingt sie in einem Bogen bis zum ersten, und von da wieder zurück; läßt sie darauf in dem Mittelpunkte des Bogens erhaben ruhen und sagt: lebet, wachset, gedeihet, werde das für euch angelegte Blatt die Geschichte eines tugendhaften Lebens, gehe aus von euch ein Liebesband, das den ganzen Kreis, in dem ihr wirket, umschlinge, mögen, wenn ihr einst von uns genommen werdet, wackere Söhne und Töchter, die euch gleichen, eure Stelle ersetzen. – Die ganze letzte Rede spricht die Gemeinde nach. – –

(Das Fragment endet hier.)

Christus als Sohn Gottes

Allerdings ist die Einsicht in die absolute Einheit des menschlichen Daseins mit dem göttlichen die tiefste Erkenntnis, welche der Mensch erschwingen kann. Sie ist vor Jesu nirgends vorhanden gewesen, sie ist ja auch seit seiner Zeit, man möchte sagen, bis auf diesen Tag, wenigstens in der profanen Erkenntnis, wieder so gut als ausgerottet und verloren. Jesus aber hat sie offenbar gehabt; wie wir, sobald wir nur selbst sie haben, (wäre es auch nur im Evangelium Johannis), unwidersprechlich finden werden. – Wie kam nun Jesus zu dieser Einsicht? Daß jemand hinterher, nachdem die Wahrheit schon entdeckt ist, sie nacherfinde, ist kein so großes Wunder; wie aber der erste, von Jahrtausenden vor ihm und von Jahrtausenden nach ihm durch den Alleinbesitz dieser Einsicht geschieden, zu ihr gekommen sei, dies ist ein ungeheures Wunder. Und so ist denn in der Tat wahr, was der erste Teil des christlichen Dogma behauptet, daß Jesus von Nazareth der, – auf eine ganz vorzügliche, durchaus keinem Individuum außer ihm zukommende Weise, – eingeborne und erstgeborne Sohn Gottes ist, und daß alle Zeiten, die nur fähig sind, ihn zu verstehen, ihn dafür werden erkennen müssen.

Ob es nun schon wahr ist, daß jetzt ein jeder in den Schriften seiner Apostel diese Lehre wiederfinden und für sich selbst und durch eigene Überzeugung sie für wahr anerkennen kann, ob es gleich, wie wir ferner behaupten, wahr ist, daß der Philosoph, – so viel er weiß, – ganz unabhängig vom Christentume dieselben Wahrheiten findet und sie in einer Konsequenz und in einer allseitigen Klarheit überblickt, in der sie vom Christentume aus, an uns wenigstens, nicht überliefert sind, so bleibt es doch ewig wahr, daß wir mit unserer ganzen Zeit und mit allen unseren philosophischen Untersuchungen auf den Boden des Christentums niedergestellt sind und von ihm ausgegangen; daß dieses Christentum auf die mannigfaltigste Weise in unsere ganze Bildung eingegriffen habe, und daß wir insgesamt schlechthin nichts von alledem sein würden, was wir sind, wenn nicht dieses mächtige Prinzip in der Zeit vorhergegangen wäre. Wir können keinen Teil unseres durch die früheren Begebenheiten uns angeerbten Seins aufheben; und mit Untersuchungen, was da sein würde, wenn nicht wäre, was da ist, gibt kein Verständiger sich ab. Und so bleibt denn auch der zweite Teil des christlichen Dogma, daß alle diejenigen, die seit Jesu zur Vereinigung mit Gott gekommen, nur durch ihn und vermittelst seiner dazu gekommen, gleichfalls unwidersprechlich wahr. Und so bestätiget es sich denn auf alle Weise, daß bis an das Ende der Tage vor diesem Jesus von Nazareth wohl alle Verständigen sich tief beugen, und alle, je mehr sie nur selbst sind, desto demütiger die überschwängliche Herrlichkeit dieser großen Erscheinung anerkennen werden.

Psychologie Christi

Die Art und Weise dieser Erkenntnis in Jesu Christo läßt sich am besten charakterisieren durch den Gegensatz mit der Art und Weise, auf welche der spekulative Philosoph zu derselben Erkenntnis kommt. Der letztere geht aus von der an sich der Religion fremden und für sie profanen Aufgabe seiner Wißbegier, das Dasein zu erklären. Die Aufgabe findet er allenthalben, wo ein gelehrtes Publikum vorhanden ist, schon durch andere ausgesprochen vor sich und findet Mitarbeiter um die Auflösung unter seinen Vorgängern und Zeitgenossen. Ihm kann es nicht einfallen, um der bloßen, ihm klar gewordenen Aufgabe willen sich für etwas besonderes und ausgezeichnetes zu halten. Ferner spricht die Aufgabe, als Aufgabe, seinen eigenen Fleiß und seine ihm klar bewußte persönliche Freiheit an; seiner Selbsttätigkeit klar sich bewußt, kann er sich ebensowenig für inspiriert halten.

Setzet endlich, daß die Lösung ihm gelinge, und ihm auf die einzig rechte Weise, durch das Religionsprinzip, gelinge, so liegt sein Fund doch immer in einer Reihe von vorbereitenden Untersuchungen und ist auf diese Weise für ihn ein natürliches Ereignis. Die Religion ist nur nebenbei und nicht rein und lediglich als Religion, sondern zugleich als das lösende Wort des Rätsels, welches die Aufgabe seines Lebens ausmachte, an ihn gekommen.

So verhielt es sich nicht mit Jesu. Er ist zuvörderst schlechthin nicht von irgend einer spekulativen Frage, welche durch die später und im Verlaufe der Erforschung jener Frage ihm gekommene Religionserkenntnis nur gelöst worden wäre, ausgegangen: denn – er erklärt durch sein Religionsprinzip schlechthin nichts in der Welt und leitet nichts ab aus jenem Prinzip, sondern trägt ganz allein und ganz rein nur dies vor, als das einzige des Wissens Würdige, liegen lassend alles übrige, als nicht wert der Rede. Sein Glaube und seine Überzeugung ließ es über das Dasein der endlichen Dinge auch nicht einmal zur Frage kommen. Kurz, sie sind eben gar nicht da für ihn, und allein in der Vereinigung mit Gott ist Realität. Wie dieses Nichtsein denn doch den Schein des Seins annehmen könne, von welcher Bedenklichkeit alle profane Spekulation ausgeht, wundert ihn nun nicht.

Ebensowenig hatte er seine Erkenntnis durch Lehre von außen und Tradition; denn bei der wahrhaft erhabenen Aufrichtigkeit und Offenheit, die aus allen seinen Äußerungen hervorleuchtet, – hier setze ich freilich abermals bei meinem Leser voraus, daß er durch seine eigene Verwandtschaft zu dieser Tugend und durch ein tieferes Studium der Lebensbeschreibung Jesu einen anschaulichen Begriff von jener Aufrichtigkeit sich verschaffe, – hätte er in diesem Falle das gesagt und seine Jünger nach seinen eigenen Quellen hingewiesen. – Daraus, daß er selbst auf eine richtigere Religionskenntnis vor Abraham hindeutet, und einer seiner Apostel bestimmt auf Melchisedek hinweiset, folgt nicht, daß Jesus durch unmittelbare Tradition mit jenem Systeme zusammengehangen habe; sondern er kann sehr füglich das ihm schon in ihm selber Aufgegangene beim Studium Mosis nur wiedergefunden haben; indem auch aus einer Menge anderer Beispiele hervorgeht, daß er die Schriften des alten Testaments unendlich tiefer erfaßte, als die Schriftgelehrten seiner Zeit und die Mehrzahl der unsrigen; indem auch er ausging, wie es scheint, von dem hermeneutischen Prinzip, daß Moses und die Propheten nicht nichts, sondern etwas hätten sagen wollen.

Jesus hatte seine Erkenntnis weder durch eigene Spekulation noch durch Mitteilung von außen, heißt: er hatte sie eben schlechthin durch sein bloßes Dasein; sie war ihm Erstes und Absolutes, ohne irgend ein anderes Glied, mit welchem sie zusammengehangen hätte; rein durch Inspiration, wie wir hinterher und im Gegensatze mit unserer Erkenntnis uns darüber ausdrücken, er selbst aber nicht einmal also sich ausdrücken konnte. – Und zwar, welche Erkenntnis hatte er auf diese Weise? Daß alles Sein nur in Gott gegründet sei: mithin, was da unmittelbar folgt, daß auch sein eigenes Sein mit dieser und in dieser Erkenntnis in Gott gegründet sei und unmittelbar aus ihm hervorgehe. Was da unmittelbar folgt, sagte ich; denn für uns ist das letztere allerdings ein Schluß vom Allgemeinen aufs Besondere, weil wir insgesamt erst unser vorher vorhandenes persönliches Ich, als das hier vorkommende Besondere an dem Allgemeinen vernichten müssen; keineswegs aber eben also, – was als die Hauptsache ich zu bemerken bitte, – bei Jesu. Da war kein zu vernichtendes geistiges, forschendes oder lernendes Selbst; denn erst in jener Erkenntnis war sein geistiges Selbst ihm aufgegangen. Sein Selbstbewußtsein war unmittelbar die reine und absolute Vernunftwahrheit selber; seiend und gediegen und bloßes Faktum des Bewußtseins, keineswegs, wie bei uns anderen allen, genetisch, aus einem vorhergegangenen anderen Zustande und darum kein bloßes Faktum des Bewußtseins, sondern ein Schluß. In dem, was ich soeben bestimmt auszusprechen mich bemühte, dürfte wohl der eigentliche persönliche Charakter Jesu Christi, welcher, wie jede Individualität, nur einmal gesetzt sein kann in der Zeit und in derselben nie wiederholt werden, bestanden haben. Er war die zu einem unmittelbaren Selbstbewußtsein gewordene absolute Vernunft, oder was dasselbe bedeutet, Religion.

In diesem absoluten Faktum ruhte nun Jesus und war in ihm aufgegangen; er konnte nie es anders denken, wissen oder sagen, als daß er eben wisse, daß es so sei, daß er es unmittelbar in Gott wisse, und daß er auch dies eben wisse, daß er es in Gott wisse. Ebensowenig konnte er seinen Jüngern eine andere Anweisung zur Seligkeit geben, außer die, daß sie werden müßten wie er: denn daß seine Weise, da zu sein, beselige, wußte er an sich selber; anders aber, außer an sich selbst und als seine Weise, da zu sein kannte er das beseligende Leben gar nicht und konnte es darum auch nicht anders bezeichnen. Er kannte es ja nicht im allgemeinen Begriffe, wie der spekulierende Philosoph es kennt und es zu bezeichnen vermag; denn er schöpfte nicht aus dem Begriffe, sondern lediglich aus seinem Selbstbewußtsein. Er nahm es lediglich historisch; und wer es so nimmt, wie wir soeben uns darüber erklärt haben, der nimmt es, unseres Erachtens nach seinem Beispiele, auch nur historisch: es war zu der und der Zeit im jüdischen Lande ein solcher Mensch; und damit gut. – Wer aber nun noch ferner zu wissen begehrt, durch welche entweder willkürliche Veranstaltung Gottes oder innere Notwendigkeit in Gott ein solches Individuum möglich und wirklich geworden, der überfliegt das Faktum und begehrt zu metaphysizieren das nur Historische.

Für Jesus war eine solche Transzendenz schlechthin unmöglich; denn für diesen Beruf hätte er sich in seiner Persönlichkeit von Gott unterscheiden und sich abgesondert hinstellen und sich über sich selber, als ein merkwürdiges Phänomen, verwundern und sich die Aufgabe stellen müssen, das Rätsel der Möglichkeit eines solchen Individuums zu lösen. Aber es ist ja der allerhervorspringendste, immer auf dieselbe Weise wiederkommende Zug im Charakter des Johanneischen Jesus, daß er von einer solchen Absonderung seiner Person von seinem Väter gar nichts wissen will und anderen, welche sie zu machen versuchen, sie ernstlich verweist; daß er immerfort annimmt, wer ihn sehe, sehe den Vater, und wer ihn höre, höre den Vater, und das sei alles Eins; und daß er ein Selbst an ihm, über dessen ungebührliche Erhebung der Mißverstand ihm Vorwürfe macht, unbedingt ableugnet und wegwirft. Ihm war nicht der Jesus Gott, denn einen selbständigen Jesus gab er nicht zu; wohl aber war Gott Jesus und erschien als Jesus. Von jener Selbstbeschauung aber und Verwunderung über sich selber war – ich will nicht sagen, ein Mann wie Jesus, in Beziehung auf welchen wohl die bloße Lossprechung hiervon eine Lästerung sein dürfte, – sondern der ganze Realismus des Altertums sehr weit entfernt; und das Talent, immer nach sich selber hinzusehen, wie es uns stehe, und sein Empfinden und das Empfinden seines Empfindens wieder zu empfinden und aus langer Weile sich selber und seine merkwürdige Persönlichkeit psychologisch zu erklären, war den Modernen vorbehalten; aus welchen eben darum so lange nichts rechtes werden wird, bis sie sich begnügen, eben einfach und schlechtweg zu leben, ohne wiederum in allerlei Potenzierungen dieses Leben leben zu wollen, andern, die nichts Besseres zu tun haben, überlassend, dieses ihr Leben, wenn sie es der Mühe wert finden, zu bewundern und begreiflich zu machen.

Glaube

Das Element aller Gewißheit ist Glaube.

Religiöses Bedürfnis

Es drängt sich öfters unter den Geschäften und Freuden des Lebens aus der Brust eines jeden nur nicht ganz unedlen Menschen der Seufzer: »Unmöglich kann ein solches Leben meine wahre Bestimmung sein, es muß, o es muß noch einen ganz anderen Zustand für mich geben!«

Sage man es, wie man wolle, dieser Überdruß an dem Vergänglichen, dieses Sehnen nach einem Höheren, Besseren und Unvergänglichen liegt unaustilgbar im Gemüte des Menschen. – –

Durch diese Ansicht allein wird ihm das an sich zum Ekel gewordene menschliche Tun und Treiben wieder erträglich.

Wo Religion sei

Wo bei klarer Einsicht des Verstandes in die Unverbesserlichkeit des Zeitalters dennoch unablässig fortgearbeitet wird an demselben; wo mutig der Schweiß des Säens erduldet wird ohne einige Aussicht auf eine Ernte; wo wohlgetan wird auch den Undankbaren, und gesegnet werden mit Taten und Gütern diejenigen, die da fluchen, und in der klaren Vorhersicht, daß sie abermals fluchen werden; wo nach hundertfältigem Mißlingen dennoch ausgeharrt wird im Glauben und in der Liebe: da ist es nicht die bloße Sittlichkeit, die da treibt, denn diese will einen Zweck, sondern es ist die Religion, die Ergebung in ein höheres, uns unbekanntes Gesetz, das demütige Verstummen vor Gott, die innige Liebe zu seinem in uns ausgebrochenen Leben, welches allein und um sein selbst willen gerettet werden soll, wo das Auge nichts anderes zu retten sieht.

Das Licht

Schon in der vorigen Rede ist deutlich dargetan worden, daß die Religion überhaupt sich gar nicht äußerlich darstelle und den Menschen durchaus nicht treibe, irgend etwas zu tun, das er nicht ohne sie ebensowohl getan hätte, sondern daß sie ihn nur innerlich vollende zu seinem wahrhaften Sein und Dasein. Sie ist gar kein Tun, noch Tätiges, – sondern sie ist eine Ansicht; sie ist Licht und das einzige wahre Licht, welches alles Leben und alle Gestaltungen des Lebens in sich trägt und sie in ihrem innersten Kerne durchdringt. Einmal ausgebrochen, quillt es aus sich selber ewig fort und verbreitet sich ohne Aufhören; und es ist so vergeblich, ihm zu sagen: »leuchte!«, als es vergeblich wäre, dies der irdischen Sonne zu sagen, wenn sie am Himmel steht. Es tut dies ohne alles unser Gebot, und leuchtet es nicht, so ist es eben nicht angebrochen. Wie es anbricht, so verschwinden alle Finsternisse und die Traumgestalten und Gespenster, welche im Schoße derselben sich erzeugten, von selbst. Es ist vergeblich, den Finsternissen zu sagen: »werdet Licht!« Sie können kein Licht aus sich hervorgehen lassen, denn sie haben keines in sich. Ebenso vergebens ist es, dem in Vergänglichkeit verlorenen Menschen zu sagen: »Erhebe dein Auge zum Ewigen!« Er hat für das Ewige kein Auge; das Auge, das er hat, ist selbst vergänglich und ist die Vergänglichkeit und gebiert Vergänglichkeit aus sich heraus. Lasset aber das Licht erst ausbrechen, so wird die Finsternis sichtbar und weicht und zieht sich zurück, wie Schatten über die Flur. Die Finsternis ist die Gedankenlosigkeit, die Frivolität, der Leichtsinn der Menschen. Wo das Licht der Religion aufgegangen ist, hat man den Menschen vor diesen nicht weiter zu warnen, noch er mit ihnen zu kämpfen; sie sind zerflossen, und man kennt nicht mehr ihre Stätte. Sind sie noch da, so ist das Licht der Religion sicher noch nicht aufgegangen, und alles Warnen und Vermahnen ist verloren.

Die Liebe

Offenbare mir, was du wahrhaftig liebst, was du mit deinem ganzen Sehnen suchest und anstrebest, wenn du den wahren Genuß deiner selbst zu finden hoffest, – und du hast mir dadurch dein Leben gedeutet. Was du liebest, das lebest du. Diese angegebene Liebe eben ist dein Leben und die Wurzel, der Sitz und der Mittelpunkt deines Lebens. Alle übrigen Regungen in dir sind Leben nur, inwiefern sie sich nach diesem einzigen Mittelpunkt hinrichten. Daß vielen Menschen es nicht leicht werden dürfte, auf die vorgelegte Frage zu antworten, indem sie gar nicht wissen, was sie lieben, beweist nur, daß diese eigentlich nichts lieben, und eben darum auch nicht leben, weil sie nicht lieben.

Liebe des Ewigen

Der Mittelpunkt des Lebens ist allemal die Liebe. Das wahrhaftige Leben liebet das Eine, Unveränderliche und Ewige; das bloße Scheinleben versucht zu lieben, – wenn nur geliebt zu werden fähig wäre, und wenn seiner Liebe nur standhalten wollte, – das Vergängliche in seiner Vergänglichkeit.

Der Fromme

Zuvörderst ist von dieser religiösen Menschenliebe nichts entfernter, als jenes gepriesene Gut-sein und immer Gut-sein und Alles-gut-sein-lassen. Die letzte Denkart, weit entfernt, die Liebe Gottes zu sein, ist vielmehr die in einer frühern Rede sattsam geschilderte absolute Flachheit und innere Zerflossenheit eines Geistes, der weder zu lieben vermag noch zu hassen. – –

Auch ist der religiöse Mensch weit entfernt von dem gleichfalls bekannten und oft empfohlenen Bestreben derselben erwähnten Flachheit, sich über die Zeitumgebungen etwas aufzubinden, damit man eben in jener behaglichen Stimmung bleiben könne, sie umzudeuten und ins Gute, ins Schöne herüber zu erklären. Er will sie sehen, wie sie sind in der Wahrheit, und er sieht sie so, denn die Liebe schärft auch das Auge; er urteilt streng und scharf, aber richtig, und dringt in die Prinzipien der herrschenden Denkart.

Sehend auf das, was die Menschen sein könnten, ist sein herrschender Affekt eine heilige Indignation über ihr unwürdiges und ehrloses Dasein; sehend darauf, daß sie im tiefsten Grunde doch alle ihr Göttliches tragen, nur daß es in ihnen nicht bis zur Erscheinung hindurchdringt; betrachtend, daß sie durch alles, was man ihnen verargt, doch sich selbst den allergrößten Schmerz zufügen, und daß dasjenige, was man geneigt ist, ihre Bosheit zu nennen, doch nur der Ausbruch ihres eigenen tiefen Eilendes ist; bedenkend, daß sie nur ihre Hand ausstrecken dürften nach dem immerfort sie umgebenden Guten, um im Augenblick würdig und selig zu sein, überfällt ihn die innigste Wehmut und der tiefste Jammer.

Zeit und Ewigkeit

Endlich: ganz entschieden, unveränderlich und ewig sich gleich bleibend, offenbaret im Religiösen die Liebe zu seinem Geschlechte sich dadurch, daß er schlechthin nie und unter keiner Bedingung es aufgibt, an ihrer Veredlung zu arbeiten, und was daraus folgt, schlechthin nie und unter keiner Bedingung die Hoffnung von ihnen aufgibt. Sein Handeln ist ja die notwendige Erscheinung seiner Liebe; wiederum aber geht sein Handeln notwendig nach außen und setzt sein Außen für ihn und setzt seine Gedanken, daß in diesem Außen etwas wirklich werden solle. Ohne Vertilgung jener Liebe in ihm kann weder dieses Handeln, noch dieser sein notwendiger Gedanke beim Handeln jemals wegfallen. So oft er auch abgewiesen werde von außen ohne den gehofften Erfolg, wird er in sich selbst zurückgetrieben, schöpfend aus der in ihm ewig fortfließenden Quelle der Liebe neue Lust und Liebe und neue Mittel; und wird fortgetrieben von ihr zu einem neuen Versuche, und wenn auch dieser mißlänge, abermals zu einem neuen; jedesmal voraussetzend, was bisher nicht gelungen sei, könne diesmal gelingen oder auch das nächstemal oder doch irgend einmal, und falls auch ihm überhaupt nicht, doch etwa durch seine Beihülfe und zufolge seiner Vorarbeiten einem folgenden Arbeiter. So wird ihm die Liebe eine ewig fortrinnende Quelle von Glauben und Hoffnung; nicht an Gott oder auf Gott: denn Gott hat er allgegenwärtig in sich lebend, und er braucht nicht erst an ihn zu glauben, und Gott gibt sich ihm ewig fort ganz, so wie er ist; und er hat darum nichts von ihm zu hoffen, sondern von Glauben an Menschen und Hoffnung auf Menschen. Dieser unerschütterliche Glaube nun und diese nie ermüdende Hoffnung ist es, durch welche er sich über alle die Indignation oder den Jammer, mit denen die Betrachtung der Wirklichkeit ihn erfüllen mag, hinwegsetzen kann, sobald er will, und den sichersten Frieden und die unzerstörbarste Ruhe einladen kann in seine Brust, sobald er ihrer begehrt. Blicke er hinaus über die Gegenwart in die Zukunft! – und er hat ja für diesen Blick die ganze Unendlichkeit vor sich und kann Jahrtausende über Jahrtausende, die ihm nichts kosten, daran setzen, so viele er will.

Endlich – und wo ist denn das Ende? – endlich muß doch alles einlaufen in den sicheren Hafen der ewigen Ruhe und Seligkeit; endlich einmal muß doch heraustreten das göttliche Reich und seine Gewalt und seine Kraft und seine Herrlichkeit.

Glockenklänge

1

Was meinem Auge diese Kraft gegeben,
Daß alle Mißgestalt ihm ist zerronnen,
Daß ihm die Nächte werden heitre Sonnen,
Unordnung Ordnung und Verwesung Leben?

Was durch der Zeit, des Raums verworr'nes Weben
Mich sicher leitet hin zum ew'gen Bronnen
Des Schönen, Wahren, Guten und der Wonnen
Und drin vernichtend eintaucht all' mein Streben? –

Das ist's: Seit in Uranias Aug', die tiefe,
Sich selber klare, blaue, stille, reine
Lichtflamm', ich selber still hineingesehen,

Seitdem ruht dieses Aug' mir in der Tiefe,
Und ist in meinem Sein – das ewig Eine,
Lebt mir im Leben, sieht in meinem Sehen.

2

Nichts ist denn Gott, und Gott ist nichts denn Leben;
Du weißest, ich mit dir weiß im Verein;
Doch wie vermöchte Wissen dazusein,
Wenn es nicht Wissen war' von Gottes Leben!

»Wie gern, ach! wollt ich diesem hin mich geben,
Allein wo find' ich's? Fließt es irgend ein
Ins Wissen, so verwandelt's sich in Schein,
Mit ihm vermischt, mit seiner Hüll' umgeben.«

Gar klar die Hülle sich vor dir erhebet,
Dein Ich ist sie: es sterbe, was vernichtbar,
Und fortan lebt nur Gott in deinem Streben.

Durchschaue, was dies Streben überlebet,
So wird die Hülle dir als Hülle sichtbar,
Und unverschleiert siehst du göttlich' Leben!

Anhang
Das Vermächtnis


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