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Die Personen, die sich berufen geglaubt, waren nicht gesonnen, auf die Erfüllung ihrer grossen Erwartungen zu verzichten und dem Italiener zu weichen. Beaufort hatte sich bereits seinem Friseur gegenüber gerühmt, dass er der persönlichsten Gunst der Königin sicher sei. Sie bildeten eine Partei, eine »Cabale«, wie man damals sagte, da alles bei Hof und im Kabinett entschieden ward, und stellten ein Programm auf. Es war eine sonderbare Partei: eine Anzahl Edelleute, unruhige Köpfe und Schwärmer, der witzige bucklige Fontrailles, der Marquis von Montrésor, die Grafen von Béthune, von Fiesco, von Aubijoux, die Herren von Saint-Ibal, Varicarville und andere, – Freigeister, Vegetarianer, Republikaner, waren die treibenden und redenden Mitglieder, Menschen, die von Natur zur Opposition neigten, sich als Römer fühlten und das Andenken des hingerichteten Historikers und Präsidenten de Thou feierten. Sie brauchten Führer unter den Hochstehenden, der Partei Gewicht und Macht zu geben, und sie fanden sie in dem kindischen und gewalttätigen Beaufort und in dem Bischof von Beauvais, Augustin Potier, den Retz »Idiot der Idioten, ein Kalb im Bischofsornat« nennt. Aber ein illegitimer, zudem legitimierter, Prinz war in jenen Tagen immer ein Prinz – eine Tradition der Renaissance, die erst durch die frömmelnde Sittsamkeit beseitigt wurde, die sich am Ende des Jahrhunderts ausbreitete, – und der Bischof war der Grossalmosenier der Königin, die auf ihn zu hören pflegte. Eben weil er so unbedeutend war, wollte die »Cabale« ihn zum ersten Minister machen. Sie hatten ihre Freunde im Parlament, wo der Präsident von Barillon, den jeder Widerstand nach oben freute, für sie war, ebenso der von Novion, der des Bischofs von Beauvais' Bruder war, und viele andere; und sie hatten ihre Anhänger bei Hof, unter den Kapitänen der Garde. Ihr Programm war: dem Lande den Frieden zu geben, Spanien mit Frankreich zu versöhnen und im Innern die Regierungsform herzustellen, wie sie vor Richelieu gewesen war. Und weil sie mit ereignisschweren Mienen umhergingen, nannte eine witzige Pariserin, Frau Cornuel, sie »les Importants« »die Wichtigen«, und dieser Name ist ihnen in der Geschichte geblieben.
Sie schufen Mazarin Ärger und Sorge: »Montrésor, St. Ibal, Bethune, Fontrailles«, schreibt er in einem Memorandum, »Häupter einer Republik, die sie nach ihrer Weise gebildet und deren Gesetze nur die Gesetzgeber kennen, haben etwas Göttliches in ihrer Selbstgefälligkeit und blähen sich im Bewusstsein ihrer grossen Taten. Der Mensch, der nach irgendeiner Richtung ihre Anerkennung verdient, muss erst geboren werden, es wäre denn, er richtete sich nach ihren Ansichten und bewunderte ihr Verhalten. Sie allerdings sind unfehlbar, können tun, was sie wollen, und bleiben doch Ehrenmänner, ziehen nicht in den Krieg und schlagen sich nicht und bleiben doch die Tapfersten im Lande …« Dies war Mazarins Meinung. Gegen und für jene Männer bliebe manches zu sagen: sie waren die ersten liberalen Edelleute Frankreichs. Es war eine gärende Zeit kühner geistiger Bewegung, in der viele altgefügten Überzeugungen in Brüche gingen: Renaissance und Humanismus wirkten weiter: in den antiken Schriften hatte den Gebildeten das republikanische Ideal wieder zu leuchten begonnen; jenseits des Kanals begann der Kampf um die bürgerliche Freiheit in allem Ernste; und selbst in Frankreich setzte Gaston von Orléans seiner stolzen Tochter eines Abends auseinander, dass seines Erachtens die Monarchie abgetan und die Zeit für die Republik gekommen sei, bis sie, von dem Wert fürstlichen Blutes mehr durchdrungen als irgend jemand, empört und weinend ausrief: »Wenn ein Lakai so spräche, ich würde nichts sagen, aber Sie!«
Wie immer vermengten und vereinten sich viele Fäden; fremde Gesandtschaften hatten ihre Hand im Spiel, und wie es in dem damaligen Frankreich nicht anders möglich war: die Frauen. Eine war eben – am 14. Juni – nach Frankreich zurückgekommen, die, wo sie war und zu aller Zeit, Unruhe um sich verbreitete. Das war Marie von Rohan, die einst in Ludwigs XIII. ersten Jahren die Gattin des damals in Frankreich mächtigsten Mannes, des Connetabel von Luynes, seines ersten Günstlings, gewesen war und sich nach dessen frühem Tode in zweiter Ehe mit einem Prinzen des Hauses Lothringen, dem Herzog von Chevreuse vermählt hatte, einem geistvollen, schönen, verschwenderischen Manne, den sie nicht liebte. Sie selbst war eine bildhübsche blauäugige Frau mit üppigem roten Haar gewesen, sinnlich, übermütig, nicht ohne Witz, wenn auch ohne tieferes Verständnis; furchtlos und vom Bedürfnis nach Sensation und Wirksamkeit erfüllt, war sie stets bereit, für den Mann, den sie liebte, oder für ihre Freunde alles in Bewegung zu setzen und jede Gefahr für sich, jedes Unheil für andere in Kauf zu nehmen. Sie hatte gegen Richelieu gearbeitet, Verschwörungen gegen ihn geschmiedet, die ihre Liebhaber aufs Schafott oder ins Gefängnis gebracht hatten, war auf der Flucht vor ihm im Jahr 1637 vierhundert Meilen, als Mann verkleidet, von Tours bis an die spanische Grenze geritten. Zwei Menschen hatte der sterbende Ludwig XIII. die Rückkehr an den Hof für immer untersagt: dem Marquis von Châteauneuf und der Frau von Chevreuse: »Das, das ist der Teufel!« hatte er, von seinem Bett aus mit dem mageren Finger auf die Stelle im Papier weisend, wo ihr Name stand, gerufen.
Und sie war sogleich nach seinem Tode wiedergekommen, von der Königin, ihrer alten Freundin, nicht ohne Bedenken willkommen geheissen. La Rochefoucauld, der einst ihr Mitverschworener gewesen, war ihr entgegengereist. Alles drängte sich, die berühmte und gefährliche Dame zu sehen. Sie fasste sogleich den Plan, alles umzuändern, Mazarin zu entfernen und den Marquis von Châteauneuf, der einer ihrer alten Verehrer, der um ihretwillen von Richelieu abgefallen war und dafür elf Jahre gefangen gesessen hatte, an seine Stelle zu setzen. Dieser heftige, stolze, ehrgeizige Mann wartete nur darauf; er verlangte den Kanzlerposten gar nicht mehr, er wollte erster Minister sein. »Ich bin geboren zu befehlen, nicht zu gehorchen,« sagte er. Die ganze Partei war nur durch Unzufriedenheit und Herrschgier geeint: während die einen von einer Verfassung träumten, dachten die Führer die Frommheit der Königin, den Einfluss Roms und der Geistlichkeit zu nützen, und rechneten auf den Abscheu der Spanierin vor jenem Bündnis mit den Protestanten gegen ihr eigenes katholisches Haus, das die Grundlage der auswärtigen Politik Richelieus und Mazarins war.
Am Hof begann ein wundersames Ränkespiel unter den Verlogenen, die im Trügen so geübt waren, dass keiner den anderen wirklich betrog, sondern jeder nur darüber unsicher werden konnte, wie weit ihm selber das Trügen gelang. Die Chevreuse und ihre Schwägerin, die Prinzessin von Rohan-Guéménée, die die Absichten der anderen nicht kannte, liebkosten den Kardinal, und er zahlte mit dem gleichen falschen Schein der Zärtlichkeit und tat, als würbe er um die Liebe beider Frauen, bis alle sich so im eigenen Netz verfingen, dass niemand mehr wusste, wo er in Hass und Liebe war; und da der Kluge nicht weiter ging, als er wollte, konnte er zuletzt in sein Notizbuch schreiben: »sie sind über mein Verhalten völlig erstaunt und fangen an zu glauben, dass ich impotent sei.« Er war in diesen ersten Monaten er Gunst der Königin noch nicht völlig sicher und lebte in Sorgen, aber seine Gegner spielten so, dass er gewann.
Die Chevreuse hatte eine andere ewig schöne Frau des Hofes, die Herzogin von Rohan-Montbazon, die durch ihre gewaltige Leiblichkeit auffiel, zur Stiefmutter. »Der schöne Koloss des Hofs«, wird sie in Lorets gereimter Chronik genannt; »dumm und dünkelhaft, ein Weib, das nur der Lust und mehr noch dem Vorteil lebte,« nennt sie Retz. Diese Stiefmutter war damals dreiunddreissig Jahre alt, zehn Jahre jünger als die Tochter; und sie liebte, – wie es heisst, in aller Unschuld, weil er nicht anders konnte, – der schöne François von Beaufort, der der Führer der Importants und, wiewohl der jüngere und dümmere Sohn, als der energischere und ehrgeizigere, das »geistige« Haupt des Hauses Vendôme war. Für dieses Haus forderte die Chevreuse die Bretagne. Die Statthalterschaften waren mehr oder minder erblich, und der Statthalter, ehe Ludwig XIV. regierte, beinahe Fürst in seiner Provinz, vom König nur halb abhängig, wie ein Satrap oder ein Lehensträger.
Zwischen den grossen Häusern, besonders zwischen denen von Vendôme und Bourbon-Condé – wie auch zwischen Condé und Orléans – war stete Eifersucht, die von den Männern nicht verhehlt, von den Frauen betont wurde. Auch die Prinzessin von Condé, eine geborene Montmorency, war eine noch immer schöne Frau, und ihre begabte, reizvolle Tochter, Anne Geneviève von Bourbon, die eben an den alten Herzog von Longueville aus dem Hause Dunois verheiratet worden war, begann damals in der Hofgesellschaft zu glänzen. Um dieser Heirat willen traf sie der doppelte Hass der Montbazon, die die Geliebte des alten Longueville gewesen war und dafür von ihm eine Rente bezogen hatte, die sie nun verlor. Und die Montbazon kämpfte mit der in solchen Fällen üblichen Waffe, der Verleumdung, – musste auf Befehl der Königin Abbitte leisten, tat es in so stolzer Haltung, dass sie unbesiegt schien, trotzte der Königin und ärgerte diese zuletzt so, dass sie vom Hofe verwiesen ward. Sie war ausser sich, und ihr ganzer Hass fiel auf Mazarin, der auch die Pläne der Chevreuse bisher zu durchkreuzen gewusst hatte.
Wie die wütenden Frauen ihre Rache zu nehmen suchten, das ist erst hundertfünfzig Jahre später völlig klar geworden. Damals merkte man nur die plötzliche Aufregung am Hof, erzählte, dass Bewaffnete in der Nähe des Louvre gesehen worden, und merkte die grossen Veränderungen, die erfolgten. Im Dienst des Herzogs von Beaufort stand ein normannischer Edelmann, Henri von Campion, ein wackerer Mann in seiner Art, dessen handschriftliche Memoiren in seiner Familie bewahrt wurden. Beaufort, der Wachs in den Händen der beiden Weiber war, verlangte von ihm und einigen anderen seiner Edelleute, dass sie dem Kardinal auflauern und ihn niederstechen sollten. Es war noch viel vom Geist der Lehenszeiten lebendig: Campion weigerte sich nicht, am Morde teilzunehmen, unter der Bedingung, dass er die Tat nicht selbst vollbringen und dass der Herzog gegenwärtig sein müsste. Sie hielten und ritten, bewaffnet, in den Strassen und Plätzen in der Nähe des Louvre, aber Henri von Campion gab das erstemal das Zeichen nicht, als der Wagen des Kardinals vorüberfuhr, und schützte ihn auch das zweitemal, indem er dem Herzog vorstellte, dass der Graf von Harcourt mit dem Kardinal im Wagen sässe, der sich wehren würde, den sie mittöten müssten, wodurch sie unfehlbar das ganze Haus Lothringen zu unversöhnlichen Feinden haben würden. Beaufort selbst schien schwankend, aber die unerbittlichen Frauen verlangten den Mord. Und sie dachten sich als das Klügste aus, den Herzog von Epernon, der Generaloberst der Garden war und für einen Gegner Mazarins galt, einfach zu bitten, er möge der Schlosswache befehlen, wenn ein kleiner Tumult in den Strassen entstünde, nicht einzugreifen. Der Herzog schlug den beiden Schönen nichts ab, aber am anderen Tage sprach man überall bei Hof von einem Mordanschlag auf den Minister, und Epernon und der Kardinal waren von da an Freunde. Ungewisse Gerüchte gingen; am Abend sagte die Königin mit funkelnden Augen zur Frau von Motteville: »Ehe zweimal vierundzwanzig Stunden um sind, werden Sie sehen, wie ich mich an diesen schlechten Freunden rächen werde.«
Beaufort, obwohl gewarnt, ging zu Hof. Er, wie die Chevreuse waren völlig blind gewesen und ahnten nicht, was die Königin für ihren Minister empfand. Beaufort stand im kleinen Kabinett im Gespräch mit der Chevreuse und dem Fräulein von Hautefort, als Guitaut, der Kapitän der Garden der Königin, eintrat und ihn aufforderte, ihm zu folgen. »Ich bin bereit,« sagte er, »aber das ist doch höchst seltsam! Sie sehen, meine Damen, die Königin lässt mich verhaften!« Eine Stunde später stürmten seine Mutter und Schwester an den Hof und weinten und schrien an den Saaltüren, aber die Königin war nicht sichtbar. Am anderen Tage wurde er von zwei Kompagnien der Schweizergarden unter Trommelwirbel nach Vincennes auf die Festung gebracht.
Der Marquis von Châteauneuf, der einzige bedeutende Mann unter den Importants, hatte mit den anderen verspielt; er wurde verbannt; verbannt alle Vendôme, die Chevreuse vom Hofe verwiesen, der Bischof von Beauvais in seine Diözese geschickt; La Châtre verlor sein Kommando über die Schweizer, das der alte Bassompierre wieder erhielt; Chavigny, der ein Feind der Importants gewesen, wurde wieder Minister; Campion und die anderen Edelleute Beauforts flohen durch Europa.
In der Tat hatte der Kardinal, wie sein geheimes Notizbuch beweist, schon lang ungewisse Kunde von dem Anschlag gehabt und durch Epernon vielleicht nur die letzte Klarheit erhalten; um so tiefer verstimmte ihn, dass ihm durch die Flucht der Helfer der Beweis unmöglich wurde. Man sah seine Macht, als die Importants fielen, aber man glaubte den Grund nicht, sondern dachte allgemein, dass der Kardinal den Anschlag erfunden hätte, um einen Vorwand gegen seine Feinde zu haben. La Rochefoucauld und Retz deuten diese Möglichkeit an; die Herzogin von Nemours spricht offen von der »Verleumdung Beauforts«, Guy Joly von einer »lächerlichen Erfindung«; Montrésor, der etwas wissen konnte, schweigt; erst Campions Memoiren haben Klarheit geschaffen …
Am 4. September war solch ein Drängen des dienstfertigen Hofadels in den Zimmern des Kardinals, dass »niemand sich darin hätte umdrehen können«, sagt d' Ormesson, »man erkennt nun, dass er allmächtig ist.« Dreihundert Edelleute folgten ihm, als er ausging.
Die Königin bot ihm eine persönliche Garde an: er wies sie bescheiden zurück; aber er liess sich sechs stämmige und entschlossene Burschen von seinem italienischen Regiment, das im Felde stand, kommen, die ihn hinfort, wenn er ausging, als bewaffnete »valets de pied« begleiteten. Und er übersiedelte aus dem Hoteide Clèves, das er in den letzten Jahren bewohnt hatte, – einem Palais, das in der Rue du Louvre gelegen war und längst abgerissen ist, – in das kleine Hotel Duret, das hinter dem Palais des Kardinals lag und das er dem Präsidenten Tuboeuf abkaufte. Heute bildet es einen Teil der Bibliothèque Nationale. Die Königin zog in das Palais Cardinal, das Richelieu der königlichen Familie vermacht hatte, und das von da an Palais Royal genannt wurde. Sie liess für ihren Minister eine besondere Türe brechen, die der seines Hauses gegenüberlag, und da an dieser Türe, wie an allen des Königsschlosses eine Wachabteilung stand, so war er auf seinen Wegen in den Palast und in sein Haus zurück hinreichend geschützt. Im folgenden Jahre verliess er auch diese Wohnung und übersiedelte in das Palais Royal selbst, in einen Teil, der heute nicht mehr steht, dessen Hof sich auf die Rue Bons Enfants öffnete, und der dicht an den Flügel stiess, den die Königin selbst bewohnte.
Man redete darüber. Auch über die langen intimen Gespräche zwischen der Königin und dem Kardinal, die jeden Abend stattfanden – den »petit conseil« nannte man diese regelmässige späte Sitzung am Hofe, – und über seine Aufmerksamkeiten: einmal war er in jugendlicher Ritterlichkeit aus dem Wagen der Königin über die Türe weg hinausgesprungen, als der Lakai nicht rasch genug erschien, um sie zu öffnen. Neigungen verraten sich. Die Motteville schweigt und deutet durch nichts an, dass sie auch nur etwas vermutet; für sie ist die Königin ein Engel. Andere waren minder gläubig oder minder zurückhaltend. Der Bischof von Beauvais liess Anna von Osterreich durch die Frau von Senecey mahnen, »um ihres guten Rufes willen« vorsichtig zu sein. Die Königin fand einen warnenden Brief auf ihrem Bette; die schöne strenge Marie von Hautefort hatte ihn geschrieben. Der Kammerdiener des Königs, La Porte, der unter Richelieu eingekerkert und mit der Folter bedroht gewesen, ohne etwas gegen sie auszusagen, erklärte ihr offen, die ganze Welt spreche von ihr und von Seiner Eminenz in einer Weise, die sie bedenklich machen müsste. »Die Königin«, sagt La Porte in seinen Memoiren, »wurde sehr rot und zornig und meinte, dass der Herr Prinz, der böse Mensch, diese Dinge verbreite.« »Dann müsse sie nur um so vorsichtiger sein,« erwiderte La Porte. Die Königin schlug mit dem Fächer an die Scheiben des Fensters. »Ihre Majestät möge nicht den Fehler Maria von Medicis begehen,« fuhr der Kammerdiener fort, als sie sich beruhigt hatte. »Welchen Fehler?« fragte die Königin. »Dass sie sich mit dem Italiener Concini ins Gerede brachte.«
Der Graf Henri Louis von Loménie de Brienne erzählt, dass seine Mutter, die Frau des Staatssekretärs, gleichfalls mit der Königin gesprochen hätte. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt, meine Liebe?« hätte die Königin weinend erwidert, »ich liebe ihn, und zwar zärtlich; aber meine Sinne haben nichts damit zu tun; nur mein Geist ist von der Schönheit des seinen gefesselt. Aber wenn darin nur der Schatten einer Sünde läge, so will ich dir hier vor Gott und den Heiligen schwören, dass ich es nicht mehr tun werde. Von nun an breche ich das Gespräch ab, sobald er mir von anderem, als von Staatsgeschäften spricht.« Die Dame hätte darauf, der Königin die Hände küssend, den Eid verlangt und die Königin ihn geschworen. Diese Erzählung klingt weniger wahrscheinlich; sie kommt denn auch aus drittem Munde, viele Jahre später, von einem unglücklichen, kranken, dem religiösen Wahnsinn nahen Mann aus der Erinnerung, die so vieles phantastisch verändert, niedergeschrieben. Aber auch in den Klöstern, die sie gern besuchte, wurde sie gewarnt: die Mère Madeleine de St. Joseph, die Oberin der Karmeliterinnen, die Mère Angélique – eine Vendôme – im Kloster Ste. Marie in der Rue St. Antoine, die Mère Marie in ihrem geliebten von ihr selbst gegründeten Val de Grâce redete ihr ins Gewissen, und die Königin kam weinend von ihren Besuchen zurück.
Mazarin, der sich nie sicher fühlte und nie traute, weil Vertrauen nicht in seiner Natur lag, hatte die Damen der Königin zu kaufen gesucht, und zwei, das Fräulein von Beaumont und Frau von Brégy, hatten sich kaufen lassen. So erfuhr er von den Warnungen und rächte sich. Die Hautefort erhielt ihre Entlassung, und alles Schluchzen und alle Beteuerungen waren vergeblich. Dass die Königin die Warner überhaupt anhörte, ist vielleicht Beweis genug. Was von dem Hofgeflüster ins Volk drang, was in den späteren Jahren der Erbitterung von den Pariser Weibern geredet wurde, wissen wir nicht; aber wir lesen von »schamlosen und schrecklichen Reden«; die gedruckten Schmähschriften enthalten böse Andeutungen, manche sagen Schändlicheres, als man für möglich halten sollte, gerade heraus.
Schon damals wollten einige von einer Gewissensehe zwischen der Königin und Mazarin wissen, und Jahrzehnte später schrieb Liselotte von der Pfalz: »Die Königin Anna hat's noch schlimmer gemacht: sie hat ihren Geliebten geheiratet!«
Mazarin war Kardinal. Er war nicht zum Priester geweiht worden Zu S. 90. Auch Liselotte von der Pfalz versichert, dass Mazarin nicht zum Priester geweiht war; am französischen Hof also wusste man es nicht anders; Gui Patin schreibt in seinem auf S. 574 zitierten Brief aus dem letzten Lebensjahr des Kardinals: »Es heisst, er wolle die Priesterweihen nehmen, um Papst werden zu können.« Diese könnten irren, aber dass der in geistlichen Dingen so genau unterrichtete Domherr Hermant in seinen Memoiren Band II, S. 475 von Mazarin als von einem Manne spricht, der in der Kirche keinen andern Rang als den eines »simple Tonsuré« hätte, beweist wohl unzweifelhaft, dass Cosnac irrte oder seinen Bericht ausschmückte. – wir wissen nicht, ob er die Weihen jemals empfing, wir wissen nur aus einem Brief an Elpidio Benedetti vom Juni 1651, dass er damals daran dachte, sie im Notfall zu nehmen, um, wenn der Papst stürbe, zum Konklave zugelassen zu werden. Der Abbé von Cosnac versichert, dass Mazarin 1657 in seiner Gegenwart seiner sterbenden Nichte, der Herzogin von Mercœur, die letzte Ölung erteilt hätte. Dazu musste er Priester sein. Er sagt es nebenbei, in einem kurzen Satz; wenn es wahr ist, so müsste Mazarin in seinen letzten Jahren die Weihen dennoch genommen haben, was möglich ist, obwohl sich nirgend sonst eine Andeutung findet. Es wäre aber auch möglich, dass ein Priester vom Gefolge des Kardinals in dem menschengefüllten Sterbezimmer der Herzogin vor ihm das Sakrament erteilt hätte, und dass Cosnac unabsichtlich irrt: wieviel Falsches wird in der Erinnerung ehrlich erzählt!
Anna von Österreich war so fromm, dass sie täglich Stunden in ihrer Kapelle auf den Knien verbrachte, dass sie einmal zu Pfingsten siebenunddreissig Kirchen besuchte, dass der Kardinal selbst sich über ihre zeitraubende Frömmigkeit aufhielt. Aber was verträgt sich nicht alles mit der Frömmigkeit? Der Mensch ist ein gebrechliches und widerspruchsvolles Wesen. Sie hatte auch im Jahre 1637 auf die Hostie geschworen, dass sie nie nach Spanien geschrieben hätte, und hat selbst nachher, durch ihre eigenen Briefe überführt, das Gegenteil bekennen müssen. Wie, wenn diese beständige Andacht Reue und ein Flehen um Vergebung für ein sündhaftes Leben gewesen wäre? Freilich, ihre Haltung im Leben war klar und mutig.
Dass ein hoher Geistlicher seine Würde niederlegte und heiratete, war damals nichts Unerhörtes. Fürstlichen Personen wurde die Dispens selten versagt. In diesem selben Jahre 1643 hatte der Kardinal Moriz von Savoyen, Karl Emanuels Sohn, nachdem er mehr als dreissig Jahre Mitglied des heiligen Kollegiums gewesen, auf seine Würde verzichtet und seine Nichte geheiratet. Vier Jahre später legte der Neffe des Papstes, Camillo Pamfili, die Kardinalswürde nieder, um die verwitwete Fürstin von Rossano zu heiraten. Aber Mazarin hat nie auf den Purpur verzichtet und den Stand nicht geändert, und dass ein Kardinal, auch wenn er Laie war, sich heimlich verheiratet haben sollte, wäre etwas höchst Ungewöhnliches: er müsste die Dispens noch im ersten Jahre seines Ministeriums von Urban VIII. erhalten haben; denn dass sein Nachfolger sie gegeben hätte, scheint um so weniger glaublich, als er Mazarins persönlicher Feind war, der ihm zuwider handelte, wo es möglich war. Wir wissen nur, dass Innocenz X., dessen eigene Lebensführung unerbaulich, der Christenheit ein Ärgernis war, der Königin Anna in diesen Jahren die Tugendrose verlieh. Wenn aber Mazarin, der selbst an wenig oder nichts glaubte und die Menschen kaufte, jemanden gesucht hätte, der das fromme Gewissen der Königin mit einer unerlaubten Zeremonie beruhigen sollte, er hätte ihn unzweifelhaft gefunden, wenn auch nicht – wie einige damals glaubten und redeten – in dem vortrefflichen Vincenz von Paula. Was wissen wir davon, was in jenen Jahren in den Hofgemächern alles vorging? Oder sollte zwischen beiden nur jene gesteigerte Leidenschaft und Sehnsucht von Liebenden bestanden haben, die entsagende Freunde bleiben? An der Leidenschaft lassen die heissen Liebesbriefe nicht zweifeln, die nach zweihundertjähriger Verborgenheit ans Licht kamen und deren geheime Chiffren leicht enträtselt wurden. Und im Herbst jenes ersten Jahres 1643, da der Kardinal an der Gelbsucht erkrankte, schrieb er in sein Notizbuch die vielsagenden Worte: »La giallezza cagionata da soverchio amore!« Das Verhalten der Königin, die Art, wie sie sich von Mazarin beherrschen und in späteren Jahren von ihm behandeln liess, zeigen die völlige Unterjochtheit einer hingegebenen Frau durch den Mann, der ihre Sinne überwältigt und gebunden hat. Jedenfalls war Giulio Mazzarini, der vor vierzehn Jahren geschäftig und hoffend nach Lyon gekommen war, um Richelieu vorgestellt zu werden, nicht nur sein Nachfolger geworden, sondern dem Glatten war gelungen, was der Schroffe und Stolze vergeblich begehrt hatte: er war der Geliebte der Königin von Frankreich geworden, die mit der hingebenden Leidenschaft einer alternden Frau an dem schönen Priester hing.