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Was der Autor auf den fünf Seiten (239-244) vorbringt, die er Russland widmet, ist fast durchwegs Wiederholung von Verkehrtheiten, die bereits in den Abschnitten über Oesterreich-Ungarn und Deutschland von ihm vorgebracht und in den entsprechenden Abschnitten dieser Schrift widerlegt worden sind.
Er zählt die Beweise, die er für den Friedenswillen der russischen Regierung zu haben glaubt, in achtzehn Sätzen auf.
Hievon sind: Nr. 1, die russischen Ratschläge in Belgrad und ihr Erfolg, auf S. 154 und 161 erörtert worden; Nr. 2, die Fristverlängerung, auf S. 156 und 204; Nr. 4, 5, 6, 7,9 und 10, die in sinnlosem Durcheinander die berühmten direkten Verhandlungen zwischen der österreichisch-ungarischen und der russischen Regierung sowie die von Russland so sehr und mit so vielem Grund gewünschte Viermächtekonferenz behandeln, auf S. 166 ff. und 171 ff.; Nr. 8, der Brief des Zaren an den serbischen Prinzen Alexander auf S. 154/55; Nr. 12, die Erwähnung des Haager Schiedsgerichts in einer Depesche des Zaren auf S. 213/14; Nr. 13, die erste Ssasonoff'sche Formel auf S. 180 ff.; die Fälschungen vom 31. Juli auf S. 190 ff.
Auf die übrigen Punkte, in denen der Autor neue Entstellungen versucht und neue Torheiten vorbringt, gehe ich in möglichster Kürze ein:
So erteilt er in Punkt 3 Herrn Ssasonoff das groteske Lob, er habe, als der Konflikt durch die Abberufung des österreichischen Gesandten sich zu verschärfen begann, die Hilfe Italiens in Anspruch genommen, welches Oesterreich durch die Versagung seiner Unterstützung von seinem intransigenten Verhalten abbringen sollte. Da die italienische Regierung bereits im Jahre 1909 mit der russischen Abmachungen getroffen hatte, zu denen sie offiziell erklären liess, dass «die Ziele der italienischen und der Italiens auf dem Balkan sich mit denen Russlands decken», so war es selbstverständlich, dass Ssasonoff beim ersten Streitfall Oesterreichs Bundesgenossen auf seine Seite zu ziehen und die diplomatische Niederlage des Gegners auch auf diese Weise zu sichern suchte; aber ihm daraus ein Verdienst zu machen, dazu gehört die Logik und die Ehrlichkeit des Verfassers. Mit dem Frieden hat die Sache überhaupt nichts zu tun.
Unter Nr. 11 lügt der Autor mit einer Schamlosigkeit, die selbst für ihn ungewöhnlich ist, unter Berufung auf die Noten des Orangebuches Nr. 53, 55 und 64: «Ssasonoff habe mit den andern Ententemächten zusammen die deutsche Regierung, welche gegen den Konferenzvorschlag scheinbar nur formelle Bedenken erhob, wiederholt gedrängt, ihrerseits eine ihr genehme Form vorzuschlagen, und sich von vorneherein jedem Vorschlag dieser Art untergeordnet.» In keiner dieser Noten steht hiervon ein einziges Wort: in Nr. 53 teilt der russische Botschafter in Paris ein Exposé des französischen Minister des Aeussern für den Präsidenten der Republik mit, in Nr. 55 schreibt Isvolsky, was Viviani ihm über Frankreichs eigene Haltung und seine Wünsche gesagt hat; in Nr. 64 teilt Graf Benckendorf aus London mit, er habe, wie Ssasonoff ihm aufgetragen, Grey gesagt, dass Russland nicht mehr bereit sei, jeden Friedensvorschlag anzunehmen, also gerade das Gegenteil. Diese Note ist auf S. 179/80 erörtert worden. Immer wieder zeigt sich, dass der Autor, um seinem Buche einen Schein von Belegen zu geben, einfach die ersten besten Nummern in die Anmerkungen setzte, in der sichern Erwartung, dass, wenn er nur auf jeder Seite einige zwanzig Nummern anführte, er nicht kontrolliert werden konnte.
In Nr. 14 erwähnt er die zweite Ssasonoff'sche Formel, die auf Seite 181/82 ausführlich erörtert wurde, und druckt gesperrt, dass «Russland sogar das Verbleiben der österreichischen Truppen auf serbischem Gebiet gestatten wollte». Da damals noch kein österreichischer Soldat auf serbischem Boden stand, konnte Russland dies leicht gestatten; indem der Autor aber dies verschweigt, unterstützt er die Spiegelfechterei der russischen Politik von damals und betrügt seine Leser.
Wenn er endlich unter 16, 17 und 18 die immer wiederholten Versicherungen Ssasonoffs und des Zaren, «man möge Russland doch ruhig mobilisieren lassen, es denke nicht an einen Krieg», rühmend hervorhebt, so ist die auf S. 217 ff. hinreichend erörtert worden. In dem Wunsch, sich einen ungestörten Aufmarsch zu sichern, einen Beweis des Friedenswillens der zarischen Regierung zu sehen, dazu gehört eben die Geistesart des Autors.
Dies sind seine Beweise für die Friedenspolitik Russlands. Dagegen spricht er kein Wort von Ssasonoffs Kriegsdrohungen, kein Wort von seinen «Irrtümern» und Fälschungen; lässt sich überhaupt in keine Untersuchung seiner Politik ein; jede russische Phrase, jedes Wort eines Ministers des Zaren ist für diesen Mann Evangelium, der so viel von Freiheit, Recht und Demokratie schwatzt, wenn es sich um Deutschland handelt.
Wie vollkommen gleichgültig der russischen Regierung war, was sie versprach, erklärte oder angab, wenn sie nur ihr Ziel erreichte, geht – neben den vielen Beweisen, die im Verlauf der früheren Abschnitte gegeben wurden – aus einem hervor: am 29. Juli erklärte Ssasonoff dem englischen Botschafter Buchanan, « keine österreichische Verpflichtung Serbiens Integrität und Unabhängigkeit bestehen zu lassen, würden ihn befriedigen, und sobald Oesterreich die serbische Grenze überschreite, werde Russland gegen Oesterreich mobilisieren». Am 1. August hingegen, an dem Deutschland sein nur zu berechtigtes Ultimatum gestellt hat, erklärt der Botschafter in Wien, Schebeko, dem englischen Botschafter Bunsen heuchlerisch, «Russland habe keine Absicht, Oesterreich anzugreifen und würde jetzt noch mit der Versicherung Oesterreichs, Serbiens Integrität und Unabhängigkeit zu achten, sich zufrieden geben». Man beachte das «jetzt noch», und halte die frühere Erklärung dagegen!
Im Original lauten die beiden Stellen am 29. Juli: «In reply his Excellency stated that if Servia were attacked, Russia would not be satisfied with any engagement which Austria might take on these two points, and that order for mobilisation against Austria would be issued on the day that Austria crossed Servian frontier», und am 1. August: «Russia would, according to the Russian Ambassador, be satisfied even now with assurance respecting Servian integrity and independence. He says that Russia hat no intention to attack Austria.» (Blaubuch Nr. 72 und 141.)
Warum zitiert der Autor nicht diese beiden Stellen als Beweise für Russlands aufrichtige Friedensliebe und loyale Politik?
Die ganze tiefe Verlogenheit der russischen, wie der englischen Haltung in jenen Tagen hat vielleicht niemand schärfer gekennzeichnet, als der Spanier Llorens in dem wiederholt erwähnten Werk, wenn er schreibt: «Wiederum kam das niemals genügend gepriesene und sonderbare Gleichgewicht zum Vorschein, das nicht gestört wird, wenn Russland sich von der Ostsee bis zum Stillen Ozean erstreckt, auch nicht, wenn Russland und England Persien unter sich verteilen, noch weniger aber, wenn England und Frankreich ihren Kolonialbesitz abrunden, sich gegenseitig Marokko und Aegypten zusprechen. Die Handlungsweise Russlands schloss ein völliges Verkennen des österreichisch-ungarischen Selbsterhaltungsrechtes ein, und setzte vor das Recht des Weiterbestehens der Donaumonarchie den Ehrgeiz auf Gebietserwerbung.»
Im übrigen ist diese Haltung des zarischen Russlands vorher, wie in den Tagen der Krise, in dieser Schrift genügend gezeichnet worden.