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V. Die deutsche Flotte

In diesem Zusammenhang muss die Frage der Flotten und der Flottenvermehrung, wie ihrer vielbesprochenen Einschränkungen behandelt werden, über die der Autor wiederum, auf Grund oberflächlicher Lektüre und vollkommener Unkenntnis in allem Wesentlichen, zu seinen so sicheren Urteilen gelangt.

Er stellt zunächst den überraschenden Satz auf, dass zwischen England und Deutschland kein wirklicher Interessengegensatz bestand. Heute, da die ganze Welt infolge dieses Interessengegensatzes eine so furchtbare Erschütterung durchmacht, lässt sich solch ein Ausspruch schwer auch nur in halbwegs höflicher Weise kennzeichnen. Oder der Verfasser spielt absichtlich mit Worten. Selbstverständlich wäre es das Kulturinteresse beider Völker gewesen, sich zu vertragen und den Frieden zu bewahren, aber in einer kaufmännisch organisierten Welt, in der alle materiellen, wie geistigen Güter ihren Preis haben, hätte England dann die kommerzielle Ueberflügelung durch Deutschland – die im Aussenhandel nahezu vollzogen war, auf andern Gebieten, vor allem auf dem der Grösse der Handelsflotten, sich unaufhaltsam vollzog – ruhig hinnehmen müssen.

Dazu hätte England mit all seinen Ueberlieferungen brechen müssen, denn das hatte es im Laufe der Geschichte noch niemals getan. In einer preisgekrönten Schrift schreibt ein englischer Seeoffizier im «United Service Magazine«: «Wir ziehen nicht in den Krieg aus sentimentalen Gründen. Ich bezweifle, dass wir dies jemals taten. Krieg entsteht aus Handelsstreitigkeiten: sein Ziel ist, dem Gegner jene Handelsbedingungen durch unser Schwert aufzuzwingen, welche wir für den Vorteil unseres Handels für notwendig erachten. Wir machen die verschiedensten Kriegsursachen geltend, aber der Handel ist der wesentliche Grund, der sich hinter allen andern verbirgt. Ob der Krieg zur Verteidigung oder zum Erwerb einer strategischen Position geführt werde, ob ein Vertragsbruch oder sonst etwas den Anlass bildet, alle diese Ursachen führen auf den Handel als ihre gemeinsame Wurzel zurück, aus dem einfachen und zwingenden Grunde, weil der Handel unser Lebensblut ist.» Das ist eine Theorie, und würde noch nichts beweisen – wenn nicht England, das heisst die englischen Regierungen, auf die es ankam und ankommt, zu allen Zeiten genau nach dieser Theorie gehandelt hätten. Nach diesem Grundsatz wurde im 16. und anfangs des 17. Jahrhunderts der spanische Handel bekämpft, im 17. die Holländer, die den Welthandel übernommen hatten, niedergekämpft, und als Frankreich die Vormacht in Europa wurde, wendete sich die englische Politik sofort gegen dieses Land: «Die einzige Gefahr, die England zu fürchten hat», sagte der ältere Pitt – Lord Ghatham – im 18. Jahrhundert, «entsteht an dem Tage, der Frankreich als grosse See-, Handels- und Kolonialmacht sieht». Und Frankreich wurde niedergekämpft, seiner Kolonien beraubt, seine Handelsflotte mehr oder minder vernichtet. Nun war Deutschland an der Reihe. Im Herbst 1904 schrieb die «Army and Navy Gazette» in einem schon erwähnten Artikel: «Wir haben schon einmal einer Flotte das Lebenslicht ausblasen müssen, von der wir Grund hatten, zu glauben, dass sie zu unserm Schaden verwendet werden könnte. Es fehlt in England, wie auf dem Festland nicht an Leuten, die die deutsche Flotte für die einzige und wirkliche Bedrohung des Friedens in Europa halten. Sei dem wie es wolle, wir wollen nur darauf hinweisen, dass der gegenwärtige Augenblick für unsere Forderung, dass diese Flotte nicht weiter vergrössert werde, besonders günstig ist.» Vielleicht am schärfsten hatte schon vor hundertfünfzig Jahren ein englischer Staatsmann, der Lord Kanzler Philip Yorke Lord Hardwicke, im englischen Parlament den wesentlichen Grundsatz englischer äusserer Politik ausgesprochen: «Wenn unser Wohlstand zurückgeht, so ist es an der Zeit, den Handel derjenigen Nation zu vernichten, die uns von den Märkten verdrängt hat, indem wir ihre Schiffe vom Weltmeer treiben und ihre Häfen blockieren.» Dieser Grundsatz ist von allen englischen Regierungen befolgt worden, bereits vor Lord Hardwicke, zu dessen Zeit und nach ihm bis auf den heutigen Tag.

Wenn angesichts solcher, von so vielen Seiten verkündeten Lehren, so vieler Taten der Vergangenheit, in denen diese Lehren genau befolgt wurden, so vieler Aussprüche und Anzeichen der Gegenwart, angesichts einer Politik, die auf der ganzen Erde dem Deutschen Reiche feindselig entgegentrat und ein Netz von feindlichen Bündnissen und Abmachungen um es herum legte, wenn angesichts der ungeheuren Uebermacht zu Land und zu See, die Deutschland bedrohte, friedensfreundliche Leute, wie etwa jüngst Otfried Nippold in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 16. September 1915 wiederholen: «wer solches glaube, der stehe im Banne militaristischer Anschauungen und Suggestionen; und diese Mentalität, die sich Deutschland nur gerüstet und auf der Wacht vor angeblichen oder eingebildeten Gefahren vorstellen kann, sei eben das, was man als den Geist des Militarismus bezeichnet», so ist das ungefähr so sinnvoll, wie wenn jemand schriebe: «Die Mentalität, die ihr Haus gegen Feuer versichert, ist das, was man als Geist der Brandstiftung bezeichnet.» Man kann den, der solches schreibt, für einen guten, braven und wohlmeinenden Mann halten, aber historisch und politisch ist er entweder unwissend, oder, wenn er wissend sein sollte, mit Willen blind.

Gewiss hat es auch in England solche brave und wohlmeinende Leute und ehrliche Friedensfreunde gegeben – es haben ja Versammlungen und Kundgebungen gegen den Krieg mit Deutschland noch Ende Juli 1914 stattgefunden, – nur hatten diese Leute nicht die Macht, den Krieg zu verhindern. Vielleicht waren sie sogar in der Mehrzahl, aber man hatte Mittel, sie in letzter Stunde für den Krieg zu gewinnen. Dazu hatte man die vorausgesehene, in die Berechnungen sorglich einbezogene Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland. S. meine Ausführungen auf S. 238 ff. und 268 sowie in «Politik des Dreiverbandes», Seite 110–153. Leider ist niemand leichter zu nasführen als ideal gesinnte Personen, und niemand ist besser geübt, sie zu nasführen, als erfahrene Politiker, besonders in parlamentarisch regierten Ländern.

Und all die Forderungen nach einer Einschränkung der deutschen Flotte – wie schöne Worte auch bei Banketten und sonst in der Oeffentlichkeit darüber gebraucht werden mochten – hatten in Wirklichkeit den Grund, den die «Armyand Navy Gazette» aussprach, «eine Flotte zu vernichten» – oder doch in ungefährlicher Schwäche zu erhalten – «die gegen uns gebraucht werden könnte».

Warum hat die englische Regierung nie gegen andere Flotten und ihre Verstärkung etwas einzuwenden gehabt? In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war eine Zeit lang die italienische Flotte die zweitstärkste gewesen; lange Zeit hindurch war es die französische. Als das erste deutsche Flottengesetz im Jahre 1899 im deutschen Reichstag eingebracht wurde, das in England so peinliches Aufsehen erregte, war die deutsche Flotte erst halb so gross wie die französische. Als 1900 die neue Flottenvorlage kam, brachte der französische Marineminister de Lanessan gleichzeitig eine französische Flottenvermehrung ein – in England protestierte man nur gegen die deutsche, obwohl die Entente Cordiale noch nicht wirklich vollzogene Tatsache war; den Bau der japanischen, wie der spanischen Flotte unterstützte man mit Geld, den «Wiederaufbau der russischen Flotte, die man durch Japan in Ostasien hatte vernichten lassen, begrüsste man nach der Annäherung mit Freuden – gegen die sehr starke amerikanische Flotte hatte man nichts einzuwenden – immer nur gegen die deutsche. Das fiel schon vorher andern auf. «A enlendre les orateurs qui onl discuté à Londres la question de savoir ce que doivent être les forces navales de l'Angleterre pour parer à tout danger, il semblerait qu'en dehors de la Grande Bretagne, l'Allemagne soit la seule puissance entretenant une marine de guerre», schrieb Baron Greindl an Herrn Davignon am 22. März 1909, «Wenn man die Redner hört, die in London die Frage erörtert haben, wie gross die englischen Seestreitkräfte sein müssen, um jeder Gefahr begegnen zu können, so müsste man glauben, dass Deutschland die einzige Macht ist, die ausser England noch eine Kriegsmarine unterhält.» Will man erwidern: man war eben auch in England misstrauisch, und traute dem militaristischen und imperialistischen Deutschland Angriffspläne zu, so möchte ich jeden Denkenden darauf aufmerksam machen, dass es einen grossen Unterschied macht, ob England, – das die dreimal grössere Flotte besass und seemächtige Bundesgenossen zur Seite hatte, dessen Marinefachleute die Ueberzeugung aussprachen, die deutsche Flotte in vierundzwanzig Stunden vernichten zu können, – sich misstrauisch und vor einem deutschen Angriff besorgt stellte, oder ob Deutschland, das die dreimal kleinere Flotte hatte und auf Seehilfe nicht zählen konnte, einer Macht gegenüber misstrauisch war, die bisher jede Handelsflotte vernichtet hatte, die ihrem Handel gefährlich wurde, und sich dessen rühmte. Das Misstrauen der englischen Regierung wird noch verdächtiger, wenn man sieht, mit welchen Mitteln sie dafür sorgte, dass es im ganzen Lande geteilt wurde. So erklärte der erste Lord der Admiralität anfangs 1909 im englischen Parlament – um eine Forderung von acht grossen Schlachtschiffen durchzusetzen – Deutschland werde im Frühjahr 1912 über 17 Dreadnoughts verfügen. Die Opposition widersprach nicht nur nicht, sondern einer ihrer Redner überbot ihn und erwiderte, Deutschland werde zu dieser Zeit 21 Dreadnoughts besitzen. In Wirklichkeit konnte und sollte die deutsche Flotte im Herbst 1912 erst 13 Dreadnoughts zählen, und die deutsche Regierung berichtigte dies auch sofort im Reichstag. Im englischen Parlament aber wurde von dieser Berichtigung nie Erwähnung getan.

Der wahre Grund all dieser Erscheinungen, der gespielten Angst wie der Vorschläge, war eben der deutsche Handel und die Handelsflotte. Italien, Frankreich mochten starke Flotten bauen: sie waren keine Handelskonkurrenten. Die Vereinigten Staaten, die bei ihren unbeschränkten Mitteln ihre Flotte verhältnismässig leicht bis zur Grösse der englischen ausbauen konnten – was für Deutschland unmöglich war – wurden nicht angefeindet; sie besassen keine nennenswerte Handelsflotte, die sie zu schützen brauchten. Aber das Deutsche Reich besass eine solche und musste an ihren Schutz denken. Wenn daher der Verfasser auf Seite 79 fragt: «Was würde Deutschland sagen und ganz Europa, wenn England als erste Seemacht plötzlich beginnen würde, eine Landmacht auf die Füsse zu stellen, welche über kurz oder lang der deutschen an Stärke gleich kommen könnte?» so müsste man über solch eine Albernheit staunen, wenn sie nicht dem Geist der ganzen Schrift entspräche.

Ja, warum hatte denn bisher England keine Landmacht und Deutschland keine Seemacht gebraucht? Doch nur, weil England ein vor Landangriffen geschützter Inselstaat mit zahlreichen Kolonien und ausgebreitetem Handel war, während Deutschland ein Festlandsreich ohne nennenswerten Handel und Kolonien gewesen war, das mit weitgedehnten, von der Natur nicht geschützten Grenzen zwischen mächtigen und kriegerischen Nachbarn lag. Von dem Augenblick, in dem Deutschland Kolonien und die zweitgrösste Handelsflotte besass, als es einen sehr bedeutenden Teil seiner Ernährung und viele andere notwendige Stoffe auf dem Seeweg aus dem Ausland bezog, brauchte es selbstverständlich eine Kriegsflotte, um diese Kolonien, die Handelsflotte, die Nahrungs- und Rohstoffversorgung sicherzustellen. Wenn England etwa in derselben Zeit auf dem europäischen Festland grösseren Besitz gewonnen hätte, so hätte es zum Schutz dieses Besitzes ein starkes Landheer aufstellen müssen, wie Deutschland eine Seemacht begründen musste. Die Lage Deutschlands hatte sich völlig geändert, die englischen Verhältnisse nicht. Das Deutsche Reich war während der letzten dreissig Jahren ein seefahrender Staat geworden, während England kein Festlandsstaat geworden ist. Darum beweist die Frage des Verfassers nichts weiter, als dass er, wie gewöhnlich, über die Sache nicht nachgedacht hat, oder dass er seine Leser irreführen will.

Dass die deutsche Flotte nicht einmal gross genug war, Kolonien, Handel, Nahrungs- und Rohstoffversorgung sicherzustellen, das hat der Krieg deutlich bewiesen.

Man kann auch sagen, dass einer der wesentlichen Gründe, weshalb Italien im Weltkrieg vom Dreibund abfiel, die Angst vor der englischen Flotte, das Bewusstsein der langen ungeschützten Küsten des Landes war. Bis zum 4. August, dem Tag, an dem England dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, waren die italienischen Nationalisten, die treibenden Kriegspartei des Landes, für den Krieg an der Seite Deutschlands und Oesterreichs gewesen; wenige Tage vorher hatten sie eine Deputation zum Ministerpräsidenten Salandra geschickt, um die Erfüllung der Bundespflichten von ihm zu fordern: am 4. August fielen sie um und erklärten sich für den Krieg an der Seite Englands. Wäre die deutsche Flotte gross genug gewesen, Italien wäre nie zu den Feinden Deutschlands übergegangen.

Wenn der Verfasser weiter erklärt, das deutsche Flottengesetz und die Erhöhungen der deutschen Seemacht mussten England vor die Alternative stellen, entweder die eigenen Rüstungen entsprechend zu erhöhen oder ein Abkommen mit Deutschland zu treffen, so muss man wieder fragen: warum mussten sie das? Warum muss ein Staat, der selbst über eine ungeheure Uebermacht verfügt und Verbündete hat, die für sich allein dem angeblichen Feind fast gleich stark sind, warum muss der die Rüstung entsprechend erhöhen? Die Lage kann unmöglich gleichzeitig so sein, dass man einen Feind in 24 Stunden vernichten zu können glaubt und jedenfalls gewiss ist, ihm die Meere sperren zu können, und dass man zugleich einen vernichtenden Angriff von ihm fürchtet? Was heisst hier «entsprechend?» Der Verfasser spricht davon, was England alles zu schützen hatte. Hatte denn Deutschland nichts zu schützen? Wenn England eine so ungeheure Seemacht erhalten musste, um seine grosse Handelsflotte und seine starken Kolonien gegen die kleine deutsche Flotte zu schützen, welche Flotte brauchte dann logischerweise Deutschland, um seine schwachen Kolonien und seine gleichfalls sehr grosse Handelsflotte vor der übermächtigen englischen Kriegsflotte zu schützen?

Oder soll «entsprechend» das Zahlenverhältnis bezeichnen? Der Verfasser behauptet, die Engländer hätten den Deutschen den billigen Vorschlag gemacht, das Verhältnis der beiderseitigen Flottenstärke möge ein für alle Male auf 16 zu 10 festgelegt werden, andernfalls würde England stets zweimal so viel neue Schiffe bauen wie Deutschland, so dass das Verhältnis sich sofort zum Nachteil Deutschlands verschieben würde, abgesehen davon, dass beide Mächte sich durch das Wettrüsten wirtschaftlich zu Grunde richten mussten.

Dem gemeinen Mann, sagt der Autor, werde die Weisheit der deutschen Regierung, die diesen Vorschlag ablehnte, niemals einleuchten, denn ein Klippschüler, der das Einmaleins gelernt hat, müsste diese Rechnung verstehen.

Allerdings, wenn sich die Sache so verhielte, und was der Autor erzählt, wahr wäre! Aber wer dem «gemeinen Mann» – der selbstverständlich von diesen Dingen und Fragen keine genaue Kenntnis besitzt – solches Zeug vorredet, der betrügt ihn; nicht nur, dass die englischen Vorschläge, wie immer sie formuliert sein mochten, etwas ganz anderes bezweckten, als sie zu sagen schienen, die ganze Sache überhaupt ist ein Märchen. Zunächst ist das Zahlenverhältnis erlogen. Als England 1899 im Haag die erste Flottenbeschränkung vorschlug, war die englische Flotte dreimal so stark wie die deutsche; als es 1907 diesen Vorschlag zum zweiten Mal machte, hatte sich das Verhältnis zwar – ein wenig – verschoben, dafür aber hatte England gerade die ersten Dreadnoughts und Schlachtkreuzer gebaut, also eine ganz neue und überlegene Schiffsart, die Deutschland überhaupt nicht besass, und die in der Seeschlacht die Entscheidung bringen mussten. Man sollte nun wenigstens glauben, dass im Jahre 1912 – denn erst in diesem Jahre war es, dass Mr. Churchill als erster Lord der Admiralität, das Verhältnis 16 zu 10 in Vorschlag brachte – das bestehende Verhältnis, wie die Welt aus diesem Vorschlag vermuten sollte, wirklich 16 zu 10 war; aber davon war keine Rede, sondern es war 20 zu 10, das heisst, die englische Flotte war allein noch immer zweimal so gross wie die deutsche!

Vor allem aber ist es nicht wahr, dass dieser Vorschlag von der deutschen Regierung abgelehnt wurde!

Im Gegenteil, der Staatssekretär des Reichsmarinamts, Admiral von Tirpitz, erklärte 1913 im deutschen Reichstag – in der Budgetkommission in der ersten Hälfte des Februar und in der Vollsitzung des Reichstags am 1. März – ausdrücklich, er sei durchaus bereit, das Stärkeverhältnis der deutschen zur englischen Flotte dauernd mit 10 zu 16 festzusetzen, nur hätte zu diesem Zweck die englische Flotte um eine grosse Zahl von Kriegsschiffen vermindert oder die deutsche in beschleunigtem Mass ausgebaut werden müssen. Herr Churchill musste dies auch einbekennen und tat es mit der Verlegenheitsentschuldigung, er habe die nicht in den heimischen Gewässern befindlichen englischen Kriegsschiffe und noch einige andere nicht mitgezählt!

So lag die Sache in Wirklichkeit, und der Autor zeigt sich hier wie an fast jeder Stelle seines Buches als unwissender Schwätzer.

Man begreift durchaus, dass England immer wieder Rüstungsbeschränkungen vorschlug. Wurden sie angenommen, so blieb diese ungeheure Ueberlegenheit kostenlos bis zum Kriege bestehen. Wurden sie abgelehnt, so hatte man wenigstens den Vorteil, dass der Welt, die die Sachlage unmöglich übersehen konnte, England als ehrlich friedensfreundlich, Deutschland aber als friedensfeindlich erscheinen musste, was denn auch erreicht worden ist.

Vom «gemeinen Mann», auch wenn er zu den Gebildeten gehört, wird man nicht verlangen, dass er all diese Dinge weiss. Aber ich glaube, jeder, auch der feindlich gesinnte, sofern er nur ehrlich ist, wird zugeben, dass der «deutsche» Verfasser verpflichtet war, die Tatsachen zu prüfen und wenigstens die geringe Mühe nicht zu scheuen und eine Flottenstatistik nachzuschlagen, ehe er sein Buch schrieb.

Uebrigens würde selbst, wenn die Dinge so lägen, wie er sie darstellt, sein Rechenexempel noch lange nicht stimmen. Denn wenn der «gemeine Mann» auch eben so kenntnislos sein mag wie er, so besitzt er vielleicht mehr gesunden Menschenverstand und sieht ein, dass es bei Heer und Flotte, wie bei Geldsummen, nicht bloss auf die relative, sondern auch auf die absolute Grösse ankommt. So handelt es sich bei der Aufstellung einer deutschen Flotte selbstverständlich nicht nur um ihr Verhältnis zur englischen, sondern – um nur eine von den vielen hier in Frage kommenden Erwägungen anzuführen – auch um das zur eigenen Küste. Wenn die deutsche Flotte nie so stark werden konnte, dass sie die englische ernstlich zu bedrohen imstande war, so konnte sie doch stark genug werden, mit Hilfe der deutschen Seefestungen die deutsche Küste vor einer englischen Landung wirksam zu schützen, und das ist ja auch glücklich erreicht worden. Dass dazu eine gewisse absolute Anzahl von Schiffen gehört, leuchtet sicherlich dem gemeinen Mann, vielleicht sogar dem Verfasser ein.

Aber er zog es vor, sein Buch mit einer «durch keinerlei Sachkenntnis getrübten Unbefangenheit» zu schreiben. Ihm kam es nur auf Phrasen und wirksame Schlagworte an. Für ihn sind die «flammenden» Friedensworte der englischen Staatsmänner Beweise. Dem, der selbst nur Worte macht, sind eben Worte und schöne Reden das Massgebende.

Auf Seite 79 fasst er seine Anklage in die Frage : «Wenn der eine Teil vertragsmässig Rüstungsbeschränkungen vorschlägt, wie dies England 1899 und 1907 im Haag getan, und der andere Teil beständig solche Beschränkungen ablehnt, ist dann nicht der Verdacht gerechtfertigt, dass der Ablehnende uneingestandene Absichten gegen den Vorschlagenden habe?»

Kein Satz könnte für die Scheinlogik des Verfassers kennzeichnender sein. Wenn ein dreimal Stärkerer, – das war England zur See, und zu Lande hatte es Bundesgenossen von gleichfalls überlegener Heeresstärke – einen dreimal Schwächeren zumutet, dass beide nicht weiterrüsten sollen, dann ist höchstens der Verdacht gerechtfertigt, dass der Stärkere böse Absichten hat. Ob der Schwächere darauf eingeht, oder nicht, ist hiefür gleichgültig und hängt vom Grade seiner Besorgnis und Vorsicht ab.

Wenn Siegfried damals, als Hagen von Tronje ihm vorschlug, sie sollten beide die Waffen ablegen, um beim Wettlauf leichter zu sein, wenn er damals in einer Anwandlung von Misstrauen sich geweigert hätte, der Verfasser hätte ein Buch für den verläumdeten Hagen schreiben, und mit gleicher Logik fragen können: wenn Hagen den König Siegfried auffordert, sich gleich ihm zu entwaffnen, und Siegfried dies beständig ablehnt, ist da nicht der Verdacht gerechtfertigt, dass der ablehnende Siegfried uneingestandene Absichten gegen den treuherzigen Hagen hatte? Vielleicht kennen nicht alle Leser das Nibelungenlied; aber der Verfasser dürfte es kennen und wissen, dass Hagen den Vorschlag nur deshalb tat, weil er Siegfried ermorden wollte, weil er die Kraft des gerüsteten Siegfried fürchtete und seine verwundbare Stelle kannte.

Die verwundbare Stelle Deutschlands war seine Handelsflotte, seine Ernährung, seine Versorgung mit Rohstoffen.

Und wenn England vielleicht noch nicht die bestimmte Absicht hatte, den deutschen Nebenbuhler zu ermorden, obschon dies nach seinem Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart, nach den Erklärungen seiner Presse und vieler seiner Staatsmänner nicht unwahrscheinlich ist, so hatte es zum mindesten ein grosses Interesse daran und die bestimmte Absicht, ihn für alle Fälle verwundbar zu erhalten.

 

Die englische Regierung machte noch einen Versuch, ihren Zweck zu erreichen: durch die Sendung Lord Haldanes.

Ich teile die Ansicht deutscher Schriftsteller und Historiker nicht, die die Meinung ausgesprochen haben, Lord Haldane sei mit der bewussten Absicht gekommen, die deutsche Regierung zu täuschen. Schon die Tatsache, dass Haldane aus dem englischen Ministerium scheiden wollte, als England Deutschland den Krieg erklärte, beweist, dass ihm seine Mission ernst war. Es beweist aber auch gleichzeitig, dass er in die Absichten der englischen Regierung nicht eingeweiht war. Dies entspricht nicht nur einer alten Tradition der englischen Regierung, deren sehr zahlreiche Mitglieder durchaus nicht in gleicher Weise zu den wichtigsten Beratungen herangezogen werden, sondern in allen Kabinetten der Welt gibt es mehr oder minder eingeweihte Minister, je nachdem sie in verschiedenem Grade das Vertrauen des Ministerpräsidenten oder der sonst führenden Männer geniessen.

Bei der Sendung Lord Haldanes wurde die gleiche Arbeitsteilung durchgeführt wie vorher auf den Konferenzen: man schickte einen Mann, der an seine Sendung glaubte.

Was aber das englische «Foreign Office» betrifft, dessen wirkliche Absichten allein in Frage kommen, so hatte es die neuen Verhandlungen bereits mit einer Unwahrhaftigkeit eingeleitet, als Sir Edward Grey in der vom Verfasser zitierten Rede im englischen Parlament vom 27. November 1911 seinen «dringenden Wunsch mit Deutschland in bessere Beziehungen zu kommen», darauf stützte, dass «England an der friedlichen Beilegung der Marokkokrise mitgewirkt hätte». Das Gegenteil war der Fall gewesen. Die Mitwirkung des an der Frage an sich unbeteiligten Englands hätte beinahe zum Kriege geführt, zu dem England völlig entschlossen war, ehe es zugegeben hätte, dass Deutschland etwa an der marokkanischen Küste einen Flottenstützpunkt erwürbe. In dem Augenblick, in dem er die Entsendung des deutschen Kriegsschiffes nach Agadir erfahren, hatte Mr. Asquith im Unterhause erklärt: «nunmehr seien nicht nur die französischen, sondern auch die englischen Interessen durch die neue Sachlage berührt.» Ob die deutsche Regierung die Absicht zu solcher Erwerbung hatte, ist zum mindesten fraglich. Am 13. Juni 1911, also vierzehn Tage vor der Ausfahrt des «Panther», sagte einer der eingeweihtesten Männer Deutschlands, Admiral von Hollmann, in einem Vortrag in der ›Deutschen Orient-Gesellschaft‹, schon aus Rücksicht auf die Welt des Islam dürfe Deutschland nicht daran denken, ein Stück von Marokko für sich zu nehmen. Nach einer Mitteilung Prof. Meyers in den «Süddeutschen Monatsheften» vom Nov. 1916. Aber, wenn sie sie gehabt hätte, welches Recht hätte England gehabt, ihr entgegenzutreten? welchen andern Grund als den nackter Feindseligkeit? Hat nur England das Recht, auf der Erde Flottenstützpunkte zu erwerben? und was würde England gesagt haben, wenn Deutschland ihm in solch einem Fall entgegengetreten wäre? Darf nur England, oder Englands befreundete Mächte, Kriegsschiffe nach einer fremden Küste schicken, an der sie Interessen zu wahren haben? Man muss dies sagen, weil man die unsinnige Behauptung, die Fahrt des Panther nach Agadir sei eine «Provokation» Englands oder Frankreichs gewesen, auch von klügeren Leuten als dem Verfasser aussprechen hört. Wenn England seine ganze Schlachtflotte in der Ostsee Manöver abhalten lässt, «pour faire toucher du doigt au peuple allemand l'ecrasante supériorité numerique des forces navales anglaises» (Note des Baron Greindl vom 23. September 1905), oder wenn es an der dänischen Küste Landungsübungen vornehmen lässt, so wird das von den Herren nicht als eine Herausforderung Deutschlands angesehen, aber wenn die deutsche Regierung ein Kriegsschiff an die Küste eines entfernten Landes schickt, in dem bedeutende deutsche Handelsinteressen auf dem Spiel stehen, so sprechen sie gläubig irgend einer englischen oder französischen Zeitung nach, dies sei eine Provokation der empfindlichen Ententemächte! Wer ehrlich den Frieden will, fühlt sich nicht so schnell «provoziert». Man muss nur wissen, was vorausgegangen war. Wegen Bedrohung europäischer, speziell französischer Interessen, durch unruhige Eingeborne war General Moinier mit 21,000 Mann auf Fez und Mekines marschiert; wegen Bedrohung spanischer Interessen hatten die Spanier Larasch und El Ksar besetzt; nun schickt auch Deutschland zum Schutz seiner Interessen und Leute ein kleines Panzerschiff, – und das war eine «Herausforderung»; was die andern taten, war keine. Aber wie dem immer sei, wir wissen nicht nur aus der berühmten Rede Lloyd-Georges, sondern mehr noch aus der bereits erwähnten Note des belgischen Gesandten in London, Grafen Lalaing, vom 18. November 1911, dass die englische Regierung alle Vorbereitungen für den Krieg getroffen hatte; wir wissen aus einem Brief, den das englische Parlamentsmitglied Mr. Ramsay Macdonald damals an den «Vorwärts» gerichtet hat, dass der Ausbruch des Krieges nur durch den deutschen Kaiser verhindert worden ist.

Die Darstellung der Verhandlungen mit Lord Haldane und ihres Ergebnisses entnimmt der Verfasser einer englischen Propagandaschrift von Sir Edward Cook, «How Britain strove for peace». Die Angaben dieser Schrift irgendwie nachzuprüfen, fühlt er sich nicht verpflichtet. So geht es ja schneller. Wir werden sofort sehen, wie unwahr seine Darstellung ist.

Es war ganz selbstverständlich, dass man in Deutschland, nachdem man die Gefahr in so ungeheurer Nähe gesehen, sogleich eine neue Flottenvorlage einbrachte. In diesen Tagen kam Lord Haldane.

Der Kern der Sache war der gleiche: England wünschte, dass Deutschland nicht weiterrüste; nur dass diesmal nach den Bedingungen gefragt wurde, unter denen Deutschland sich dazu verstehen würde. Deutschland schlägt daraufhin – was der Verfasser verschweigt – gegenseitige unbedingte Neutralität vor, falls eine der beiden Mächte in einen Krieg verwickelt würde, also einen Vertrag, der einen Krieg zwischen beiden Mächten tatsächlich ausgeschlossen hätte. Diesen Vorschlag lehnte die englische Regierung ab. Auch ein zweiter deutscher Vorschlag, nach dem diese Neutralität auf Kriege zu beschränken sei, bei denen man nicht sagen könne, dass Deutschland und im andern Falle England angreifender Teil sei», wurde von England als zu weitgehend abgelehnt. Nun erst schlug Sir Edward Grey seinerseits die Fassung vor, die der Autor zitiert: «Da beide Mächte den natürlichen Wunsch hegen, Frieden und Freundschaft untereinander sicherzustellen, erklärt England, dass es keinen unprovozierten Angriff auf Deutschland unternehmen, noch sich an einem solchen beteiligen werde. Ein Angriff auf Deutschland bildet weder den Inhalt noch einen Bestandteil irgend eines Vertrages, einer Entente oder Verbindung, der England angehört, noch wird England sich an irgend einer Abmachung beteiligen, die solch einen Zweck hat.»

Der Autor hat die Stirn, diesen Vorschlag als eine «Zusicherung der Nichtaggression im weitesten Sinn des Wortes» zu bezeichnen. Seit hundert Jahren und mehr hat es keinen Krieg gegeben, in dem der angreifende Teil nicht behauptet hätte, zum Angriff provoziert worden zu sein. Den besten Beweis bietet der gegenwärtige Krieg selbst, in dem alle Mächte, die den Krieg erklärt haben, behaupten, dass sie dazu provoziert worden sind: Oesterreich durch das Verhalten Serbiens, Russland durch das Oesterreichs, Deutschland durch das Verhalten Russlands, England durch das Deutschlands, Italien wieder durch das Oesterreichs usw., und jedem geben seine Bundesgenossen Recht. Es brauchte also nur irgend eine England befreundete Macht Deutschland anzugreifen und zu erklären, dass sie von Deutschland zu diesem Angriff provoziert worden sei, und England dieser Auffassung beizupflichten, und wo blieb die Sicherheit? Man hat ja in den Sommern 1911 und 1914 gesehen, dass zwar die Entsendung eines deutschen Kriegsschiffes nach einem Hafen des unabhängigen Marokko als hinreichende «Provokation» Englands und Frankreichs angesehen wurde, um englische Kriegsdrohungen zu rechtfertigen, – aber die Ermordung des österreichischen Thronfolgers und die Aufreizung österreichischer Provinzen zum Aufstand nicht als hinreichende Provokation für eine Kriegsdrohung Oesterreichs. Dass ein unprovozierter Angriff auf Deutschland in den schriftlichen Abmachungen der englischen Regierung nicht enthalten sein konnte, war ohnedies selbstverständlich; so dumm ist keine Regierung der Welt, solche Dinge in eine Abmachung zu setzen. Der englische Antrag war also völlig nichtssagend und inhaltlos und band die englische Regierung in keiner Weise, wenn sie oder irgend einer ihrer Freunde wirklich Böses beabsichtigte; und darauf kam es eben an. Den Zusatzantrag der deutschen Regierung, «England verspricht in einem Deutschland aufgezwungenen Kriege neutral zu bleiben», lehnte England bereits ab und zwar mit der Motivierung, «es würde hiedurch die Beziehungen und Freundschaften zu den Mächten der Triple-Entente gefährden». Deutlicher konnte man nicht sein!

Der Autor täuscht also seine Leser, erstens durch die Auslegung, die er dem englischen Vorschlag gibt; er täuscht sie zweitens dadurch, dass er die von der deutschen Regierung angebotene Gegenleistung als wertlos darstellt, weil Deutschland nur eine Verzögerung in der Durchführung seines Flottenprogramms angeboten hätte. In der Tat war die deutsche Regierung bei der Annahme ihrer Vorschläge erbötig, die eben eingebrachte neue Flottenvorlage zurückzuziehen, und mehr hatte die englische Regierung auch gar nicht verlangt. Selbstverständlich konnte Deutschland sich nicht für ewige Zeiten verpflichten, seine Flotte nicht auszubauen, und solchen Unsinn hatte die englische Regierung ihm auch nicht zugemutet. Den schreibt nur der Verfasser.

Die gröbste Täuschung aber ist, dass er die ganzen Verhandlungen darstellt, als hätte Deutschland für dieses geringe Zugeständnis die unbedingte britische Neutralität gefordert, während dies nur im ersten deutschen Vorschlag im Anfang der Verhandlungen geschehen war, den der Autor unterdrückt, sowie er weiter verschweigt, dass Deutschland hiefür auch seine unbedingte Neutralität bot. In der Tat wäre dies die einzig richtige Lösung gewesen, die kein Drehen und Deuteln und keine Zweifel zuliess. Und da England seit 1871 sehr viele Kriege, Deutschland aber keinen einzigen geführt hatte, so war zum mindesten, nach der Vergangenheit zu schliessen, der Vorteil durchaus auf Englands Seite.

Ist es nun nicht ausserordentlich merkwürdig, dass England aus freien Stücken Deutschland versicherte, es habe keine Angriffsabsichten gegen das Reich, und dafür nur die Abrüstung, keineswegs jedoch von Deutschland eine solche Versicherung verlangte? Wenn England wirklich einen deutschen Angriff gefürchtet hätte, dann hätte es doch ein Versprechen deutscher Neutralität als erstes fordern müssen. Aber England legte auf das Versprechen unbedingter deutscher Neutralität gar kein Gewicht, wenn es dafür selbst neutral bleiben sollte. Beweist das nicht aufs klarste, welche Seite den Angriff der andern zu befürchten hatte? England begehrte eben nur eines: Deutschlands dauernde Schwäche zur See.

Darüber konnten all die freundlichen Versicherungen Sir Edward Greys im englischen Parlament, die der Autor zitiert, nicht hinweghelfen, die nicht nur völlig unverbindlich, sondern durchaus eine protestatio facto contraria bedeuteten.

Gerade von der vom Autor zitierten Versicherung Sir Edward Greys, dass die Triple-Entente keinen exklusiven, noch einen offensiven Charakter gegen Deutschland hätte, und dass Geheimverträge nicht bestünden, schreibt der belgische Gesandte in Berlin, Baron Greindl: «avec ou sans engagement écrit ou verbal, tout le monde en Angleterre et en France considère l'entente cordiale comme une alliance défensive et offensive contre l'Allemagne», «mit oder ohne, sei es schriftliche, sei es mündliche Abmachung, jeder Mensch in England wie in Frankreich betrachtet die Entente cordiale als ein Defensiv- und Offensivbündnis gegen Deutschland» (Note vom 6. Dezember 1911).

Aber die Versicherungen eines liberalen englischen Ministers muss man nach dem Autor blind glauben, auch wenn dieser Minister noch so oft die Welt hintergangen hat. Eben damals, im Februar 1912, schrieb ein liberales englisches Blatt, die «Daily News«: «Die Ereignisse beweisen, wie wenig Wert man den Versprechungen des Leiters des Foreign Office beilegen kann».

Man bedenke nur, dass dieser selbe Minister schon im Jahre 1904 mit Frankreich und Spanien Geheimverträge abgeschlossen hatte, die den gleichzeitig von ihm mit den gleichen Mächten abgeschlossenen öffentlichen Verträgen ganz und gar widersprachen, und dass er im Augenblick der Unterzeichnung der Verträge von Algeciras wiederum das gleiche getan haben muss, «au moment même où l'on signait l'acte d'Algésiras, trois des puissances au moins qui y ont participé, contractaient entre elles des engagements incompatibles avec leurs promesses publiques».(Baron Greindl in der zitierten Note.)

Genau das gleiche wie von den früheren, gilt auch von dem letzten englischen Versuch, die deutsche Flottenrüstung aufzuhalten, dem Vorschlag Churchills, die beiderseitigen Rüstungen durch ein Jahr – das sogenannte Weltfeierjahr – zu unterbrechen.

Wenn der Autor am Schluss seiner Ausführungen über dieses Gebiet fragt: «Wie sähe die Welt heute aus, wenn Deutschland den letzten Vorschlag Greys von 1912 angenommen hätte?» so kann man darauf antworten: Vermutlich genau wie jetzt, nur dass Deutschland im Kriege eine kleinere Flotte gehabt hätte. Dass Deutschland dann, wie der Autor sagt, vor jedem Angriff Englands und seiner Bundesgenossen(!) sicher gewesen wäre, ist törichtes oder verlogenes Geschwätz; denn wie man sieht, hatte England keinerlei Zusicherungen von irgendwelchem Wert geben wollen, und von den Bundesgenossen war überhaupt nicht die Rede gewesen.

Und wenn er fortfährt, «in Deutschland wäre vermutlich die enorme Heeresvermehrung und die Milliardenvorlage nicht gekommen, Frankreich hätte die dreijährige Dienstpflicht nicht eingeführt, und der serbisch-österreichische, kinderleicht zu lösende Konflikt hätte nicht zum Weltkrieg geführt», so braucht derart kindisches Zeug wohl für niemanden widerlegt zu werden.

Denn die deutsche Heeresvorlage hatte mit den Fragen der Flottenbeschränkung wie der Flottenvergrösserung gar nichts zu tun: sie wurde durch die Schaffung des Balkanbundes hervorgerufen, der der Entente, vornehmlich Russland, beinahe eine Million neuer tüchtiger Soldaten zugeführt hatte. Dies hat selbst Sir Edward Grey eingesehen und zugegeben: «Im Foreign Office» schreibt der belgische Gesandte in London, Graf Lalaing, am 24. Februar 1913 – und zwar als Mitteilung, die man ihm im «Foreign Office« gemacht – an den Minister des Aeussern, Herrn Davignon, «erblickt man in der Verstärkung der deutschen Armee weniger eine Herausforderung als das Geständnis, dass die militärische Lage sich verschlechtert habe und eine Verstärkung notwendig mache. Die Berliner Regierung muss erkennen, dass sie nicht mehr wie vorher auf die Unterstützung durch die gesamten Streitkräfte ihres österreichischen Bundesgenossen zählen kann, seitdem im Südosten Europas in der Flanke der Doppelmonarchie eine neue Macht, der Balkanbund, aufgetreten ist... Man findet es daher gar nicht erstaunlich, dass das Deutsche Reich es notwendig findet, die Zahl seiner Armeekorps zu erhöhen.« «On voit dans le renforcement des armees allemandes, moins une provocation que l'admission d'une situation militaire amoindrie par les événements et qu'il emporte de renforcer. Le gouvernement de Berlin se voit obligé de reconnaître qu'il ne peut plus compter comme auparavant, sur l'appui de toutes les forces de son alliée autrichienne, depuis l'apparation dans le sud-est de l'Europe d'une puissance nouvelle, celle des alliées balcaniques, établie sur les flancs mêmes de l'Empire dualiste ... dans ces conditions, on ne trouve rien d'étonnant à ce que l'empire allemande éprouve le besoin d'accroître le nombre de ses corps d'armées.» Das gleiche, berichtet der Gesandte in Paris, Baron Guillaume, in einer Note vom 19. Februar, sei die Auffassung der französischen Regierung!

Die englische Presse freilich, im Gegensatz zum «Foreign Office», mehr noch die französische, schrieen damals in alle Welt, dass die neue Heeresvorlage eine durch nichts gerechtfertigte und nur durch Angriffsabsichten zu erklärende, ungeheuerliche deutsche Rüstungsmassnahme sei. Und da der Autor jede Zeitungslüge und jeden Unsinn nachschreibt, wenn sie nur gegen Deutschland gerichtet sind, so tut er dies auch hier und wiederholt das gleiche an andern Stellen. So haben auch die französischen Blätter damals die Vorlage über den dreijährigen Kriegsdienst als eine Antwort auf den deutschen Wehrbeitrag dargestellt, während die Vorlage schon mehrere Monate früher im französischen Kriegsministerium ausgearbeitet worden war. Dies wurde mir damals von einem französischen Politiker mitgeteilt, dessen Namen ich nicht nennen werde, um ihm nicht Unannehmlichkeiten zu bereiten. Es ist auch nicht nötig, da der belgische Gesandte in Paris, Baron Guillaume, in der Note vom 19. Februar es gleichfalls bestätigt: «Les journaux, et notamment le «Temps» en rendant compte des projets du Gouvernement de la République, ont tort de les présenter comme une reponse aux mesures prises par l'Allemagne; beaucoup ne sont que l'aboutissement d'études poursuivies depuis longtemps» «Die Blätter, vornehmlich der «Temps», stellen die Pläne der Regierung der Republik mit Unrecht als eine Antwort auf die deutschen Massnahmen dar; viele sind nur das Ergebnis seit langem betriebener Studien.»

All diese Vorgänge, die der Autor zusammenwirft, haben nichts miteinander gemein, als dass sie alle aus der herrschenden Spannung zu erklären sind. Wenn der Autor diese Spannung aus der «immer gefährlicher anwachsenden Konkurrenz in den Seerüstungen» und aus der «verbohrten» Ablehnung jeder Vereinbarung durch Deutschland erklären will, so nehmen wir das, soweit England in Frage kommt, ohne weiteres an. England hat die Tripleentente nur deshalb geschaffen und sich später am Kriege nur deshalb beteiligt, weil ihm die deutschen Seerüstungen, mehr noch die deutsche Handelskonkurrenz, nicht passten. Aber die Spannung zwischen Frankreich und Deutschland, sowie die zwischen Russland und Deutschland, die wesentlich eine Spannung zwischen Russland und Oesterreich war, hatten ganz andere Gründe: diesen Staaten waren gerade die deutschen Seerüstungen ziemlich gleichgültig. Und der Weltkrieg ist bekanntlich nicht aus der Flottenspannung, sondern aus dem österreichisch-serbischen Konflikt hervorgegangen, der seit Jahren bestand und immer drohender und gefährlicher geworden war, und den keine Flotten Vereinbarung aus der Welt geschafft hätte.

Der Autor ist nun freilich der Meinung, dass gerade dieser Konflikt «kinderleicht» zu lösen gewesen wäre, und will das noch beweisen. Darauf kann man nur erwidern: Kindern und kindischen Menschen scheint alles leicht, und ebenso dem Stümper. Vielleicht aber sieht er jetzt bereits ein, dass keine ernste Aufgabe leicht ist, nicht einmal die, ein Buch wahrhaft und einigermassen richtig zu schreiben.


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