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Siebentes Kapitel

»Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich es erkennen, gleichwie ich erkannt bin.«

1. Kor. 13, 12.

Der Mensch führt hier zugleich ein äußeres und ein inneres Leben, das erste allen sichtbar und vernehmbar in Blick, in Wort, in Schrift, in äußeren Handlungen und Werken, das letzte nur ihm selbst vernehmbar in inneren Gedanken und Gefühlen. Vom sichtbaren ist auch die Fortsetzung ins Äußere sichtbar, leicht verfolgbar; die Fortsetzung des unsichtbaren bleibt selber unsichtbar, doch fehlt nicht. Vielmehr setzt mit dem äußeren Leben des Menschen, als sein Kern, das innere sich über den diesseitigen Menschen fort, den Kern des jenseitigen zu bilden.

In der Tat, was von dem Menschen während seines Lebens den Lebenden sichtbar und spürbar ausgeht, ist nicht das einzige, was von ihm ausgeht. So klein und fein eine Erzitterung oder Schwingung sei, von der eine bewußte Regung in unserem Haupte getragen wird, das ganze Spiel bewußter Regungen aber wird von einem inneren Spiele unseres Hauptes getragen, sie kann nicht anders erlöschen, als daß sie Fortwirkungen ihrer Art in uns und endlich über uns hinaus erzeugt; wir können sie nur nicht ins Äußere hinein verfolgen. So wenig die Laute ihr Spiel für sich behalten kann, es wird über sie hinausgetragen, so wenig unser Haupt; nur das Nächste davon gehört der Laute und dem Haupte.

Welch unsagbar verwickelt Spiel von Wellen hoher Ordnung, die in dem Spiele unserer Häupter den Ursprung haben, mag über dem groben niederen Spiel, was unserem Aug und Ohr draußen vernehmlich ist, sich verbreiten, vergleichbar feinsten Kräuselungen über den großen Wellen eines Teiches, oder Zeichnungen ohne Dicke über der Fläche eines dickmaschigen Teppichs, der von ihnen die ganze Schönheit und höhere Bedeutung hat. Der Physiker aber erkennt und verfolgt nur das Spiel der Wellen niederer Ordnung draußen und kümmert sich nicht um das feinere, was er nicht erkennt. – Ob er es nicht erkennt, doch kennt er das Prinzip, darf er die Folge leugnen? Mag man das Nervenspiel auf chemische oder elektrische Prozesse zurückführen, immer wird man, wenn nicht selbst ein Spiel von Schwingungen letzter Teilchen darin zu sehen, doch solches wesentlich dadurch erweckt oder davon mitgeführt zu halten haben, wobei das Unwägbare eine wichtigere Rolle als das Wägbare spielen mag. Schwingungen aber können nur scheinbar erloschen, indem sie sich in die Umgebung ausbreiten, oder, wenn ja durch Übergang ihrer lebendigen Kraft in sogenannte Spannkraft zeitweis erlöschend, doch nach dem Gesetze der Erhaltung der Kraft einer Wiederbelebung in irgendwelcher Form harren.

Also erschöpft das, was von den Geistern durch die Fortwirkungen ihres äußerlich spürbaren diesseitigen Lebens in uns eingegangen ist, auch nicht ihr ganzes Dasein; sondern auf uns unfaßbare Weise besteht in der Natur zu diesem äußeren Teile ihres Wesens noch ein innerer, ja der Hauptteil ihres Wesens. Und hätte ein Mensch auf einer wüsten Insel sein Leben geführt und beschlossen, ohne je in anderer Menschen Leben eingegriffen zu haben, er würde doch nach seinem inneren Wesen kernhaft fortbestehen, einer künftigen Entwickelung harrend, die er im diesseitigen Wechselverkehr mit anderen nicht finden konnte.

Hätte anderseits ein Kind nur einen Augenblick gelebt, es könnte in Ewigkeit nicht wieder sterben. Der kleinste Moment bewußten Lebens schlägt schon einen Kreis von Wirkungen um sich, wie der kürzeste Ton, der im Moment erloschen scheint, solchen um sich schlägt, der den Ton ins Unendliche über den nahe Stehenden und Hörenden hinaus trägt, denn keine Wirkung erlöscht in sich selbst, und jede zeugt in Ewigkeit neue Wirkungen ihrer Art. Und so wird sich der Geist des Kindes von diesen bewußten Anfängen aus wie der jenes vereinsamt gebliebenen Menschen noch fortentwickeln; nur anders, als war es von einem schon fortentwickelten Anfang aus geschehen.

Wie nun der Mensch erst im Tode das volle Bewußtsein dessen erhält, was er in andern geistig gezeugt, wird er auch im Tode erst zum vollen Bewußtsein und Gebrauch dessen gelangen, was er in sich selbst getrieben. Was er während seines Lebens gesammelt an geistigen Schätzen, was sein Gedächtnis erfüllt, was sein Gefühl durchdringt, was sein Verstand und seine Phantasie geschaffen, bleibt ewig sein! Doch der ganze Zusammenhang davon bleibt diesseits dunkel; bloß der Gedanke schreitet mit einer lichten Ampel hindurch und beleuchtet, was auf der schmalen Linie seines Weges liegt, das andere bleibt im Dunkel. Nimmer wird der Geist hienieden seiner ganzen innern Fülle auf einmal gewahr; bloß indem ein Moment desselben ein neues zur Verknüpfung herbeilockt, taucht es einen Augenblick aus dem Dunkel hervor und sinkt im nächsten wieder dahin zurück. So ist der Mensch Fremdling in seinem eignen Geiste und irrt darin herum, dem Zufall folgend oder mühsam am Faden des Schlusses seinen Weg suchend, und vergißt oft seine besten Schätze, die abseits von der leuchtenden Spur des Gedankens versenkt liegen im Dunkel, was des Geistes weites Gefilde deckt. Aber im Augenblicke des Todes, wo eine ewige Nacht das Auge seines Körpers überzieht, wird es zu tagen beginnen in seinem Geiste. Da wird der Mittelpunkt des innern Menschen zu einer Sonne entbrennen, welche alles Geistige in ihm durchleuchten und zugleich als inneres Auge durchschauen wird mit überirdischer Klarheit. Alles, was er hier vergessen, findet er da wieder, ja er vergaß es diesseits nur, weil es ihm voraus ins Jenseits ging, gesammelt findet er es nun wieder. In jener neuen allgemeinen Klarheit wird er nicht mehr mühsam zusammensuchen müssen, was er verknüpfen mochte, und zerstückeln in seine Merkmale, was er scheiden möchte, sondern mit einem Augenschlage wird alles, was in ihm selbst ist, gleichzeitig von ihm erblickt werden in seinen Verhältnissen der Einheit und des Widerspruchs, des Zusammenhanges und der Trennung, der Harmonie und des Zwiespalts, nicht bloß nach einer Richtung des Denkens, sondern gleichzeitig nach allen. Schon bei Annäherungen an den Tod im Diesseits (durch Narkose, oder im Moment des eben drohenden Ertrinkens, oder im Schlafwachen) kommen Annäherungen an diese den geistigen Inhalt auf einmal durchleuchtende Klarheit vor, wovon Beispiele in »Zendavesta« III, S. 27 und (Fälle bei drohendem Ertrinken) in Fechners Zentralbl. für Naturwiss. u. Anthropologie 1853, S. 43 u. 623 verzeichnet sind. So hoch der Flug und das Auge des Vogels über dem langsamen Kriechen der blinden Raupe schwebt, die nichts erkennt, als was ihr träger Schritt berührt, wird jene höhere Erkenntnisweise sich erheben über die unsre. Und so werden im Tode mit dem Leibe des Menschen auch sein Sinn, sein Verstand, ja der ganze auf diese Endlichkeit berechnete Bau seines Geistes untergehen, als Formen, die zu eng geworden für sein Wesen, als Glieder, die ihm nichts mehr nützen in einer Ordnung der Dinge, wo er alles, was sie einzeln, mühsam, unvollkommen ihm schaffen und erschließen müßten, auf einmal unvermittelt in sich haben, schauen und genießen wird. Das Selbst des Menschen aber wird unversehrt in seiner vollen Ausbreitung und Entwickelung bestehen in jener Zertrümmerung seiner zeitlichen Formen, und an die Stelle jener erloschenen niedern Tätigkeitsweise wird ein höheres Leben treten. Beschwichtigt ist alle Unruhe der Gedanken, die sich ja nicht mehr zu suchen brauchen, um sich zu finden, und nicht mehr zueinander zu bewegen, um sich ihres Verhältnisses bewußt zu werden. Aber dafür beginnt nun ein höheres Wechselleben von Geistern, mit Geistern; wie die Gedanken miteinander in unserm Geiste, verkehren jene zusammen in dem höheren Geiste, den oder dessen alles verknüpfende Mitte wir Gott nennen, und unser Gedankenspiel selbst ist nur eine Verzweigung dieses Verkehrs. Da wird es keiner Sprache mehr bedürfen, sich gegenseitig zu verstehen, und keines Auges, den andern zu erkennen, sondern wie in uns der Gedanke den Gedanken versteht und auf ihn einwirkt, ohne Vermittelung von Ohr und Mund und Hand, sich mit ihm verbindet oder von ihm scheidet ohne fremdes Band und ohne Scheidewand, so heimlich, innig und unvermittelt wird das Wechselleben der Geister untereinander sein. Und keinem wird im andern mehr etwas verborgen bleiben. Da werden alle sündigen Gedanken, die hier im Dunkel des Geistes schlichen, und alles, was der Mensch in sich bedecken möchte vor seinesgleichen mit tausend Händen, offenkundig werden allen Geistern. Und nur der Geist, der hier ganz rein und wahr gewesen, wird ohne Scham in jener Welt den andern entgegentreten können; und wer verkannt gewesen hier auf Erden, der wird dort seine Anerkennung finden.

Und auch am eignen Wesen wird der Geist bei seiner Selbstdurchschauung gewahren jede Lücke und was noch unvollendet, störend, disharmonisch darin zurückgeblieben ist aus diesem Leben, und nicht bloß erkennen wird er diese Mängel, sondern fühlen mit gleicher Stärke des Gemeingefühls, als wir unsre körperlichen Gebrechen. Wie aber in uns der Gedanke am Gedanken sich reinigt von dem, was unwahr in ihm ist, und wie sich die Gedanken verknüpfen durch ihre gemeinsamen Momente zu höhern Gedanken, und jeder sich dadurch ergänzt in dem, was jedem fehlt, so werden auch die Geister in ihrem gegenseitigen Verkehr die Mittel ihres Fortschritts zur Vollendung finden.


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