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Das Kind im Mutterleibe hat bloß einen Körpergeist, den Bildungstrieb. Die Schöpfung und Entwickelung der Gliedmaßen, womit es aus sich herauswächst, sind seine Handlungen. Es hat noch nicht das Gefühl, daß diese Glieder sein Eigentum sind, denn es gebraucht sie nicht und kann sie nicht gebrauchen. Ein schönes Auge, ein schöner Mund sind ihm bloß schöne Gegenstände, die es geschaffen, unwissend, daß sie einst dienstbare Teile seines Selbst sein werden. Sie sind für eine folgende Welt gemacht, wovon das Kind noch nichts weiß; es stößt sie aus vermöge eines ihm selbst dunkeln Triebes, der nur in der Organisation der Mutter klar begründet liegt. Dem Physiologen läßt sich bezeichnender sagen: das schaffende Prinzip des Kindes liegt vor der Geburt nicht in dem, was nach der Geburt von ihm fortleben wird, was ja jetzt erst das Abhängige ist, das Geschaffene, sondern in dem, was vom Kinde bei der Geburt in Rückstand bleiben und verderben wird, wie der Leib des Menschen im Tode (placenta cum funiculo umbilicali, velamentis ovi eorumque liquoribus), aus seiner Tätigkeit, als seine Fortsetzung wächst der junge Mensch hervor. Aber so, wie das Kind zur zweiten Lebensstufe reif, die Organe seines bisherigen Schaffens abstreift und dahinten läßt, sieht es sich plötzlich als selbstkräftige Einheit aller seiner Schöpfungen. Dieses Auge, dieses Ohr, dieser Mund sind jetzt ihm zugehörig, und wenn es erst nach dunkelem eingebornen Gefühle dieselben schuf, so lernt es jetzt deren köstlichen Gebrauch kennen. Die Welt des Lichts, der Farben, der Töne, der Düfte, des Geschmacks und Gefühls gehen ihm erst jetzt in den dazu erschaffenen Werkzeugen auf, wohl ihm, wenn es sie brauchbar und tüchtig schuf.
Das Verhältnis der ersten Stufe zur zweiten wird gesteigert wiederkehren im Verhältnisse der zweiten zur dritten. Unser ganzes Handeln und Wollen in dieser Welt ist eben so nur berechnet, uns einen Organismus zu schaffen, den wir in der folgenden Welt als unser Selbst erblicken und brauchen sollen. Alle geistigen Wirkungen, alle Folgen der Kraftäußerungen, die bei Lebzeiten eines Menschen von ihm ausgehen und sich durch die Menschenwelt und Natur hindurchziehen, sind schon durch ein geheimes, unsichtbares Band miteinander verbunden, sie sind die geistigen Gliedmaßen des Menschen, die er bei Lebzeiten treibt, verbunden zu einem geistigen Körper, zu einem Organismus von rastlos weitergreifenden Kräften und Wirkungen, deren Bewußtsein noch außer ihm liegt und die er daher, obwohl untrennbar mit seinem jetzigen Sein zusammengesponnen, doch nur im Ausgangspunkte von demselben für sein erkennt. Im Augenblick des Todes aber, wo sich der Mensch von den Organen scheidet, an welche seine schaffende Kraft hier geknüpft war, erhält er auf einmal das Bewußtsein alles dessen, was als Folge seiner frühern Lebensäußerungen in der Welt von Ideen, Kräften, Wirkungen fortlebt, fortwirkt und, als einem Quell organisch entflossen, auch noch seine organische Einheit in sich trägt, die aber nun lebendig, selbstbewußt, selbstkräftig wird und in der Menschheit und Natur mit eigener individueller Machtvollkommenheit nach eigener Bestimmung waltet.
Was irgend jemand während seines Lebens zur Schöpfung, Gestaltung oder Bewahrung der durch die Menschheit und Natur sich ziehenden Ideen beigetragen hat, das ist sein unsterblicher Teil, der auf der dritten Stufe noch fortwirken wird, wenn auch der Leib, an den die wirkende Kraft auf der zweiten geknüpft war, lange verfault ist. Was Millionen gestorbener Menschen geschaffen, gehandelt, gedacht haben, ist nicht mit ihnen gestorben, noch wird es wieder zerstört von dem, was die nächsten Millionen schaffen, handeln, denken, sondern es wirkt in diesen fort, entwickelt sich in ihnen selbstlebendig weiter, treibt sie nach einem großen Ziele, das sie selbst nicht sehen.
Freilich erscheint uns dieses ideale Fortleben nur als eine Abstraktion und das Fortwirken des Geistes der gestorbenen Menschen in den Lebenden nur als ein leeres Gedankending. Aber nur darum erscheint es uns so, weil wir keine Sinne haben, die Geister auf der dritten Stufe in ihrem wahren, die Natur erfüllenden und durchdringenden Sein zu erfassen, bloß die Anknüpfungspunkte ihres Daseins an unseres können wir erkennen, den Teil, mit dem sie in uns hineingewachsen sind und der uns eben unter der Form jener Ideen erscheint, die sich von ihnen in uns fortgepflanzt haben.
Ob der Wellenkreis, den ein versinkender Stein im Wasser hinterließ, um jeden Stein, der noch daraus hervorragt, durch seinen Anprall einen neuen Wellenkreis erregt, bleibt es doch ein in sich zusammenhängender Kreis, der alle erregt und in seinem Umfang trägt; die Steine aber wissen nur um die Zerstückelung der Umfangskreise. Wir sind solche unwissende Steine, nur daß wir, ungleich festen Steinen, selbst jeder schon im Leben einen zusammenhängenden Kreis von Wirkungen um uns schlagen, der sich nicht bloß um andere, sondern in andere hinein verbreitet.
In der Tat schon während seiner Lebzeiten wächst jeder Mensch mit seinen Wirkungen in andere hinein durch Wort, Beispiel, Schrift und Tat. Schon als Goethe lebte, trugen Millionen Mitlebende Funken seines Geistes in sich, an denen neue Lichter entbrannten; schon als Napoleon lebte, drang seines Geistes Kraft in fast die ganze Mitwelt ein; als beide starben, starben diese Lebenszweige, die sie in die Mitwelt getrieben, nicht mit; bloß die Triebkraft neuer diesseitiger Zweige erlosch, und das Wachstum und die Fortentwickelung dieser von einem Individuum ausgegangenen, in ihrer Gesamtheit ein Individuum wieder bildenden Ausgeburten geschieht jetzt mit einem gleichen inwohnenden, von uns freilich nicht zu erfassenden Selbstbewußtsein, als früher ihr erstes Hervortreiben. Noch leben ein Goethe, ein Schiller, ein Napoleon, ein Luther unter uns, in uns als selbstbewußte, schon höher als bei ihrem Tode entwickelte, in uns denkende und handelnde, Ideen zeugende und fortentwickelnde Individuen, jeder nicht mehr eingeschlossen in einen engen Leib, sondern ergossen durch die Welt, die sie bei Lebzeiten bildeten, erfreuten, beherrschten, und weit hinausreichend mit ihrem Selbst über die Wirkungen, die wir noch von ihnen spüren.
Das größte Beispiel eines mächtigen Geistes, der noch in der Nachwelt fortlebt und fortwirkt, haben wir an Christo. Es ist nicht ein leeres Wort, daß Christus in seinen Bekennern lebe; jeder echte Christ trägt ihn nicht bloß vergleichungsweise, sondern wahrhaft lebendig in sich; jeder ist seiner teilhaftig, der in seinem Sinne handelt und denkt, denn eben nur Christi Geist wirkt in ihm dieses Handeln und Denken. Er hat sich ausgebreitet durch die ganzen Glieder seiner Gemeine, und alle hängen durch seinen Geist zusammen wie die Äpfel eines Stammes, wie die Reben eines Weinstocks.
»Denn gleich wie ein Leib ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder aber eines Leibes, wiewohl ihrer viele sind, sind sie doch ein Leib, also auch Christus« (1. Kor. 12,12). Viele biblische Parallelstellen hierzu sind zusammengestellt in »Zendavesta« III, S. 363 ff. und den »Drei Motiven und Gründen des Glaubens«, S. 178.
Aber nicht bloß die größten Geister, sondern jeder tüchtige Mensch erwacht in der folgenden Welt mit einem selbstgeschaffenen, eine Einheit unendlicher geistiger Schöpfungen, Wirkungen, Momente in sich befassenden Organismus, der einen größern oder kleinern Umfang erfüllen und mehr oder weniger Fortentwickelungskraft haben wird, je nachdem der Geist des Menschen selbst bei Lebzeiten weiter und kräftiger um sich griff. Wer aber hier an der Scholle klebte und seinen Geist nur brauchte, seine Materie zu bewegen, zu nähren und zu vergnügen, von dem wird auch nur ein bedeutungsloses Wesen übrigbleiben. Und so wird der Reichste der Ärmste werden, wenn er sein Geld nur austut, um seine Kraft zu sparen, und der Ärmste der Reichste, wenn er seine Kraft austut, sein Leben redlich zu gewinnen. Denn was jeder hier austut, wird er dort haben, und das Geld dort nur gelten, was es des Geltenden geschaffen.
Die Rätsel unsers jetzigen Geisteslebens, der Durst nach Erforschung der Wahrheit, die uns zum Teil hier nichts frommt, das Streben jedes rechten Geistes, Werke zu schaffen, die bloß der Nachwelt zugute kommen, das Gewissen mit der Reue, das uns eine unergründliche Angst wegen schlechter Handlungen einpflanzt, die uns doch hier keine Nachteile bringen, gehen aus ahnenden Vorgefühlen hervor, was uns alles dies in jener Welt eintragen wird, wo selbst die Frucht unsrer kleinsten und verborgensten Tätigkeit uns als ein Teil unseres Selbst anheimfällt.
Das ist die große Gerechtigkeit der Schöpfung, daß jeder sich die Bedingungen seines zukünftigen Seins selbst schafft. Die Handlungen werden dem Menschen nicht durch äußerliche Belohnung oder Strafen vergolten; es gibt keinen Himmel und keine Hölle im gewöhnlichen Sinne der Christen, Juden und Heiden, wohin die Seele nach dem Tode käme; sie macht weder einen Sprung aufwärts noch einen Fall abwärts, noch einen Stillstand; sie zerplatzt nicht, sie zerfließt nicht in das Allgemeine; sondern nachdem sie die große Stufenkrankheit, den Tod, überstanden, entwickelt sie sich nach der unwandelbaren, jede spätere Stufe über dem Grunde der früheren aufbauenden Folgerichtigkeit der Natur auf der Erde ruhig weiter fort in einem und zu einem höheren Sein; und je nachdem der Mensch gut oder schlecht, edel oder gemein gehandelt, fleißig oder müßig gewesen, wird er im folgenden Leben einen gesunden oder kranken, einen schönen oder häßlichen, einen starken oder schwachen Organismus als sein Eigentum finden, und seine freie Tätigkeit in dieser Welt wird seine Stellung zu den andern Geistern, seinen Schicksalsweg, seine Anlagen und Talente für das weitere Fortschreiten in jener Welt bestimmen.
Darum seid rüstig und wacker. Denn wer hier langsam geht, wird dort lahm gehen, und wer seine Augen nicht auftut, wird dort ein blödes Gesicht haben, und wer Falschheit und Bosheit übt, wird seine Disharmonie mit dem Chor der wahren und guten Geister als Schmerz fühlen, der ihn noch in jener Welt treiben wird, das Übel zu bessern und zu heilen, was er in dieser verschuldet, und ihn nicht Rast und Ruhe finden lassen wird, bis er auch seine kleinste und letzte Übeltat abgestreift und abgebüßt. Und wenn die andern Geister schon lange in Gott ruhen, oder vielmehr leben als Teilhaber seiner Gedanken, wird er noch umgetrieben werden im Trübsal und in der Wandelbarkeit des Lebens auf der Erde, und sein Seelenübel wird die Menschen plagen mit Ideen des Irrtums und Aberglaubens, sie führen zu Laster und Torheiten, und indem er selbst dahinten bleibt auf seinem Wege in der dritten Welt zur Vollendung, wird er auch sie, in denen er fortlebt, zurückhalten auf ihrem Wege in der zweiten zur dritten.
Wie lange aber auch das Unwahre, Böse und Gemeine noch fortwirken und um seinen Bestand mit dem Wahren, Schönen, Rechten ringen möge, es wird zuletzt durch dessen immer wachsende Macht bezwungen, durch seine eigenen mit wachsender Kraft zurückschlagenden Folgen vernichtet werden, und so wird nichts von aller Lüge, aller Bosheit, allem Schmutz in der Seele des Menschen endlich übrigbleiben. Nur das ist der ewige unvergängliche Teil des Menschen, was an ihm wahr, schön und gut ist. Und wenn nur ein Senfkorn davon in ihm ist – in wem aber keines wäre, der wäre nicht –, so wird es zuletzt gereinigt von Spreu und Schlacken durch das, nur den Bösen quälende, Fegefeuer des Lebens auf der dritten Stufe übrigbleiben und, wenn auch spät, noch zum herrlichen Baume wachsen können.
Freut euch auch, ihr, deren Geist hier gestählt ist durch Trübsal und Schmerz, euch wird die Übung zugute kommen, die hier im wackeren Kampfe mit den Hindernissen gegen euer Fortschreiten gefunden, und kräftiger geboren in das neue Dasein, werdet ihr rascher und freudiger einholen, was euer Geschick euch hier versäumen ließ.