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Auf dem welligen Hügelgelände, das sich zwischen dem Tale der Aiterach und jenem des Eigelfurter Baches, der zur kleinen Laaber fließt, ausdehnt und allmählich in die Ebene des Dunkelbodens sich verflacht, steht heutigentags noch ein so ausgedehnter Wald von schönen schlanken Fichten und breitkronigen Buchen, daß man Stunden braucht, um ihn zu durchqueren. Nur hie und da hat sich an seinem Rande ein Einöder seine Herdstätte errichtet inmitten der Felder, die er dem einstmaligen Waldbestande abgerungen. Vor zwei Jahrhunderten hatte aber dieser Forst noch eine viel größere Fläche bedeckt und im kühlen Schatten seines üppigen Baumbestandes sammelten sich die kleinen Wässerlein, welche vom Schatzberge, Kirchenlehen und Eschenspitz zu Tale rannen, zu einem ansehnlichen Bächlein, an dem die Wildschweine geeignete Suhlplätze fanden und das deshalb heute noch den Namen Schweinsbach trägt. Jetzt ist es allerdings nur mehr eine schmächtige Wasserader, die in dürren Sommern fast ganz versiegt, aber Flurnamen wie Brunnwinkel, Süffelbrunn, Weiherberg deuten immer noch den einstmaligen Wasserreichtum an.
In diesem Waldgebiete nun wurde nicht lange nach der Jahrhundertwende von 1700 von Staats wegen ein Menschenkulturversuch unternommen. Besitzlose Sträflinge, die wegen der verschiedensten Vergehen zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt waren, aber in der Haft sich gut geführt hatten, wurden hierher verpflanzt, indem man jedem eine genügende Waldfläche zuteilte, die er roden und bebauen sollte, um sie sich zur Heimstätte umzuschaffen. Nachdem unter dem Drucke der Staatsaufsicht im Laufe einiger Jahre die Häuser aus den gefällten Baumstämmen errichtet und die übrigen Einrichtungen getroffen waren, um das neugebrochene Feld mit Erfolg bestellen zu können, zeigten sich bald unter den Kolonisten die Wirkungen ihrer psychischen Anlage und Vererbung. Die einen der Ansiedler freuten sich ihres Besitzes, scheuten nicht Mühe und Fleiß, um ihn zu verbessern und zu vergrößern und schon nach einigen Generationen waren ihre Nachkommen gut situierte Leute, denen der schöne Besitz bereits mehr erbrachte als nur das tägliche Brot des Lebens. Bei andern aber stak die sittliche Verderbnis zu tief im Blute, als daß sie sich so leicht der neuen Lebens- und Arbeitsweise hätten anpassen können. Der reiche Wildbestand des umgebenden Waldes bot müheloseren Gewinn als die schwere Arbeit des Feldbaues und was mühelos errungen ward, wurde oft ebenso sorglos vergeudet.
Derselbe Wald bot aber auch noch leichte Gelegenheit zu schädlichem Waldfrevel. Ging doch mehr als ein Jahrhundert nach der Gründung der Kolonie noch ganz offen im Tale die freie Rede, daß einzelne Schweinsbacher mit leeren Wägen von zu Hause wegführen und doch es verstünden mit vollbeladener Fuhre auf dem Holzmarkte der unfernen Stadt zu erscheinen. In den Söhnen und Enkeln hatte sich also der schlimme Geist der Väter vererbt. Doch nach dem Wahrspruche »Unrecht Gut gedeiht nicht« blieb auch für dieses unehrliche Handeln der Gottessegen redlicher und treuer Arbeit aus, und in nicht wenigen Häusern solcher Nachkommen hatte sich die bleiche Sorge stets irgendwo in einem Winkel fest eingenistet und von einem solchen Sorgenhause geht mein trauriges Geschichtlein aus.
Zum Maurer Barthl hieß das kleine Gehöft im Volksmunde, weil seit Vaters Zeiten die Inhaber als Maurer in der unfernen Stadt Beschäftigung suchten; mit Beginn der wärmeren Zeit wanderten sie von der Heimat ab und kehrten meist erst wieder, wenn Frostwetter die Bauarbeit einstellte; aber wie es so gern bei leichtsinnigen Gefährten zu gehen pflegt, ging es auch bei den verschiedenen sich folgenden Maurer-Bartheln; was sie sich unter der Woche an Lohn erübrigt hatten, ward zum großen Teil an den Feiertagen wieder verbraucht, so daß sie im Herbste nicht viel reicher zurückkehrten als sie im Frühjahre ausgezogen waren. Die Obsorge für das Hauswesen daheim lag ganz auf den Schultern der Frauen, mochten diese nur sich mühen und plagen, wie sie die kleine Feldwirtschaft bestellten, um sich und die Kinder zu ernähren. Im Winter gab es dann auch einigen Verdienst bei der Forstarbeit und hie und da verfing sich auch ein Häschen in der Schlinge zum willkommenen Mahle. In dieses Haus nun hatte trotz alles Abratens von Seiten der Eltern und der älteren Schwester ein lebfrisches Mädchen voll schöner Zukunftsträume hineingeheiratet. Wie ebenso manch andere ihresgleichen hatte sie sich eingebildet, auch der Mann würde in der Ehe dieses Hohe und Heiligschöne suchen und erstreben, das sie sich darunter träumte, und deshalb ein trauter Lebensgefährte und sorgsamer Vater werden und mit ihrer vollen Jugendkraft hoffte sie die Mühe und Arbeit leicht bezwingen zu können. Doch des Glückes goldschimmernde Traumbilder zerrannen sehr bald im grauen Nebel des schweren Alltages und gingen ganz unter im Düster von Leiden und Sorgen, so daß sie sich nach zehn kummervollen Jahren schon hinlegen mußte, um einem fünften Kindlein noch das Leben zu geben, danach aber selber heimzugehen zur ewigen Ruhe.
Was sollte nun aus den armen Waislein werden? Im Hause der Großeltern gab es nicht Raum und Kost für sie, weil die kleine Welt der Schwägerin selbst es füllte; einer ganz fremden Person sie zu überlassen, deuchte allzu hart, weil die Armen dann wohl liebeleer durch das harte Leben gehen würden, so entschloß sich denn die ältere Schwester, den Kleinen eine neue liebende Mutter zu werden und um jedes üble Gerede zu vermeiden, ließ sie sich mit dem ungeliebten Manne trauen in der Hoffnung, daß sie selbst in ihren älteren Jahren wohl nicht mehr gesegnet werden würde. Mit ihrem kleinen Vermögen konnten die drückendsten Schulden beglichen werden und nach etlichen Jahren voll Mühe und Not schienen doch bessere Zeiten kommen zu sollen, weil der älteste Sohn, welcher nicht des Vaters böses Erbe empfangen zu haben schien, allmählich heranwuchs zum treuen Helfer in Arbeit und Sorge.
Doch nun sollte sich ihr Geschick erfüllen; was sie nicht mehr erwartet hatte, traf dennoch ein, sie fühlte sich gesegnet. Mit Bangen sah sie der neuen Sorge entgegen und als ihre Zeit sich erfüllen sollte, da war es gerade schönste Sommerszeit des letzten Maien, jene Zeit allerdings, wo in den Häusern mit ärmlichem Feldbaue am leichtesten die Not sich aufdrängt und man mit Sehnsucht der neuen Ernte entgegenharrt. Die letzten Kartoffel waren längst verbraucht, das letzte Mehl zu Brot verbacken und kein Pfennig Geld fand sich mehr im Hause, was sollte nun da aus ihr und den Kindern werden, wenn sie sich auf das Schmerzenslager betten mußte? In dieser Bedrängnis entschloß sie sich zu einem neuen, schweren Liebesopfer: sie wollte in die zwei bis drei Stunden entfernten Gäubauerndörfer wandern, wo sie nicht erkannt werden dürfte, um vor den Türen der Reicheren zu bitten und zu beten um ein Stücklein Brot oder ein Häuflein Mehl in der Hoffnung, daß sie doch soviel erhalten würde, um wenigstens eine Woche der schweren Zeit notdürftig überstehen zu können. Indes, sie hatte ihre Kräfte überschätzt. Schon in der Mühle von Feldkirchen brach sie vor Weh zusammen und als sie sich dennoch eine halbe Stunde weiter heimwärts geschleppt hatte, stellte sich ganz die Leidensstunde ein, seelische Erregung und körperliche Übermüdung hatten sie vorzeitig herbeigeführt. Barmherzige Leute betteten sie auf Stroh im Stalle, Arzt und Priester wurden zugleich gerufen, doch nur dieser konnte ihr den letzten Liebesdienst mit der Spendung der heiligen Sakramente erweisen, der Arzt kam zu spät – sie hatte schon vor seinem Eintreffen ihr Liebeswerk mit dem Tode vollendet.