Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mein Vorbesitzer, der Herr Pendel, hatte mir Rautendelein, den Airedale, als eine Blüte des Hundegeschlechts gepriesen. Sie sei wachsam, treu, klug, und vor allem kenne sie keine schwache Stunde, was bei einer Hündin selten, doch wünschenswert ist. Auch sei Rautendelein genügsam, ihre Ernährung sei das Einfachste von der Welt. Und wirklich bekam sie bei Pendels nur Kartoffeln, gewürzt mit Soße aus einem Soßenwürfel.
Meinen Augen präsentierte sich Rautendelein als eine sehr magere Airedale-Hündin mit kurzgelocktem, rauhem Fell – daher ihr Name! – und mit schönen braunen Augen. Sie rasselte erschrecklich mit der Kette und bellte mich wütend an. Also bezahlte ich für sie fünfzig Mark, für die Kette drei Mark, für Hundesteueranteil acht Mark und für einen Eimer mit Soßenwürfeln achtzehn Mark, denn ›ich will Ihnen ja auch nicht alles verehren‹!
Rautchens Genügsamkeit konnten wir nicht auf die Probe stellen, denn Suse erklärte den Pendelschen Hundeküchenzettel für barbarisch und gab ihr, was ein braver Hund haben muß: zu den Kartoffeln Knochen, Fleischabfälle, auch Gemüsereste. So rundete sich Rautchen bald.
Ihre Treue bewies sie dadurch, daß sie sofort mit Pauken und Trompeten zu uns überging. Sie machte eine wirre Zeit durch, weil der Hof von Bauarbeitern wimmelte und sie sich nicht darüber klarwerden konnte, wer nun eigentlich ihr Herr war. Da ich aber täglich mit ihr spazieren ging, was ihr noch nie im Leben geboten war, weil sie nur an der Kette hatte leben müssen, schloß sie mich bald innig in ihr Herz. Sie bewies diese Liebe vornehmlich dadurch, daß sie mich, sobald sie meiner ansichtig wurde, ansprang und versuchte, mein Gesicht abzulecken. Trotzdem sie jedesmal prompt dafür Schläge bekam, war sie von dieser Neigung nicht zu heilen. Damit bewies sie ihre Klugheit.
Was nun ihre schwache Stunde anlangt ... Mein Hof war damals, soweit ihn nicht Gebäude umstanden, von einer hohen Mauer aus Feldsteinen umgeben, die auch noch mit Stacheldraht bewehrt war. Wir wohnten wie in einem Kastell. Als ich eines Morgens zu sehr früher Stunde auf diesen Hof kam, traf ich Rautchen in inniger Unterhaltung mit einem riesigen Dobermann. Dieser Herr, mir wohlbekannt und in ein nicht sehr entferntes Landhaus gehörig, war weithin bei Briefträgern, Gartenfrauen und Landarbeitern berüchtigt wegen seiner Bissigkeit. Hier aber, bei einem Schäferstündchen ertappt, versuchte er feige, die Hofmauer zu erklimmen.
Aber es erging ihm wie manchem Liebhaber: zu der Liebsten war er beflügelter Pfote geeilt, kein Hindernis war ihm schwierig erschienen. Jetzt, nach verrichtetem Werk, schien ihm die Zinne zu steil, und kräftig konnte ich ihm das Fell gerben, bis er heulend durch den Stacheldraht entfloh.
Er kam nie wieder, aber statt seiner stellten sich Plisch und Plum ein, mit vielen Geschwistern, die dahingingen, ehe ihre blinden Äuglein sich noch dem Sonnenlicht geöffnet hatten. Aber Plisch und Plum blieben, ein vergnügtes, hilfloses Hundepaar, zwei kläffende, quiekende Bälle aus Haaren und weichem Fleisch mit ungeheuren Köpfen. Vorläufig sahen sie nach gar nichts und allem aus; wir waren gespannt, wie sich die Kreuzung Airedale/Dobermann bewähren würde.
Um diese Zeit, ehe die beiden Knaben noch der Muttermilch entwöhnt waren, wurde ihre Mutter Rautchen von einem bösartigen Hautleiden ergriffen. Die Haare fielen ihr aus, schwärende, eitrige Stellen bildeten sich – traurig war die Blüte des Hundegeschlechtes anzusehen. Damals waren in der Gegend Krähen mit Strychnin vergiftet und ich nahm an, Rautchen habe solche strychninvergiftete Krähe gefressen.
Ich ließ den Tierarzt kommen. Der Tierarzt, ein schwerer, trauriger Mann, der in einem uralten Hanomag fuhr (hinten rund und vorne rund; es war, als führe er in einem großen ihm grade passenden Pantoffel), der Tierarzt also hielt mir einen Vortrag über Ekzeme im allgemeinen und Hunde-Ekzeme im besonderen. Meine Theorie mit der Strychnin-Krähe wurde verworfen, das Ekzem war einfach ›so‹ gekommen, wie Ekzeme eben kommen. Wir müßten die Hündin dreimal täglich von oben bis unten salben, jeden zweiten Tag warm baden, reizlos ernähren, dann würde sie – vielleicht – durchkommen.
Rautchen sah wie eine Aussätzige aus, bei dem Gedanken, sie dreimal täglich mit Perubalsam einzureiben, schüttelte sich jeder. So wurde sie zu einer Spritze Blausäure verurteilt. Ich hielt Rautchen in meinem Arm, als sie die Spritze bekam. Sie war eine Gefährtin auf manchem Spaziergang gewesen, dankbar für jedes Streicheln, für jedes gute Wort, ein wenig stürmisch in ihrer Liebe, aber gut. Dumm, aber gut. Sie sollte sich nicht quälen müssen.
Sie quälte sich nicht. Die Spritze wirkte fast augenblicklich. Mit geschlossenen Augen jacherte sie leise, als laufe sie auf der Spur eines Karnickels. Einen Augenblick zitterte sie auf meinem Arm, dann war es vorbei.
Meine Spaziergänge waren nun einsam, Plisch und Plum waren noch zu klein für weitere Wege. Einmal kam ich auf solchem Wege in die Bergfelder Bahnhofswirtschaft, und natürlich wurde ich sofort nach meiner Raut gefragt. Wo ich sie gelassen hätte? Ich ginge doch sonst immer mit ihr?
Ich erzählte von ihrem Ende. Ich erzählte von den Strychnin-Krähen. Ich erzählte weiter: »Und dieser Schafskopf von einem Tierarzt behauptet, es sei bloß ein Ekzem, so aus der Luft, verstehen Sie? Von gar nichts her! Solch ein Trottel!«
Die Bahnhofswirtschaft war recht besetzt, ich wußte gar nicht, wer da alles saß. Und ich hatte ziemlich laut erzählt. Ein schwerer, trauriger Mann hob vom Nachbartisch sein Rotweinglas zu mir: »Doch, doch, Herr Fallada! Es war kein Strychnin, es war ein Ekzem, verlassen Sie sich darauf!«
Nickte mir ernst und traurig zu und trank mir einen Schluck!
Ich habe es dem guten Tierarzt immer hoch angerechnet, daß er mir meine leichtsinnige Rederei nie nachgetragen hat. Er war eine Seele von Mensch, selbst wenn ich mit dem Strychnin recht gehabt haben sollte.
Doch zurück zu den beiden Waisenkindern, zu Plisch und Plum. Die Flasche mit dem Gummisauger erwies sich als überflüssig, sie schlabberten vergnügt ihre Milch aus einer Schüssel, ohne erkenntliche Sehnsucht nach ihrer dahingegangenen Mutter. Sie wuchsen und gediehen sichtlich. Bald konnte ich sie auf meine Spaziergänge mitnehmen – und was wurden das für Spaziergänge! Alle drei kehrten wir erschöpft heim – aber meist getrennt! Es war nicht möglich, in die beiden Köter Appell zu kriegen, einer stiftete immer den andern zu neuem Unfug an. Ich konnte schreien und pfeifen, locken und listen – einer hörte bestimmt nicht, und bis ich diesen einen gefangen hatte, war der andere bestimmt wieder weg.
An den Ufern unserer großen Seen gibt es mit hohem Schilf bestandene Niederungen, für den Menschen, der trockene Füße liebt, selbst im Hochsommer unbetretbar, für Hunde aber eine ideale Spielstube. Es muß dort bezaubernd gerochen haben, nach Karnickelpfötchen und Fuchs, ab und zu burrte schwerfällig eine Wildente hoch ...
Und ich stand da am Rand dieser Niederung, ich brüllte mir die Seele aus dem Leibe, ich pfiff wie eine Lokomotive vor einem geschlossenen Einfahrtsignal, aber wer nicht hörte, das waren natürlich Plisch und Plum!
Einsam mußte ich nach Hause schreiten, und wenn sie dann eine halbe Stunde später am Hoftor anlangten, demütig die Bäuche im Staube schleppend, schuldbewußt die Augen verdrehend, so gab es eine fürchterliche Abrechnung. Ich fürchte, ich habe damals in meinem Ärger manchmal des Guten zuviel getan und damit Plischi zumindest eine Schwäche beigebracht, die ihn sein Leben lang nicht mehr verließ und die unsere Sympathien für ihn zeitweilig sehr in Gefahr brachte, nämlich eine Blasenschwäche. Ängstigte er sich sehr, freute er sich ungemein, so wurde er undicht und sprengte.
Wie viele Male habe ich Suse mit wütendem Gesicht ins Haus zurückeilen sehen: »Dieser elende Köter! Nun kann ich mir schon wieder die Beine waschen und frische Strümpfe anziehen! Einfach ekelhaft ist das!«
Ja, wenn er spazieren gehen sollte, so brachte sich Plischi um vor Freude. Er sprang laut bellend (auch das war ihm nie abzugewöhnen) um einen herum, schmiegte sich an einen, rannte einem bevorzugt durch die Beine, und schon wurde gesprengt! Armer Plischi, wohl war ich der eigentlich Schuldige, aber du wurdest bestraft!
Und auch dein anderes Laster, das dir schließlich zu einem vorzeitigen Tode verhalf, habe ich gepflegt: deine unbändige Jagdleidenschaft. Ich hätte deine Jugendspiele in den Schilfwildnissen nie dulden dürfen. Gleich deiner Mutter Rautchen, die einmal sechzehn Ratten hintereinander erlegte, hattest du Jägerblut in dir. Auf Fährten zu laufen, hinter einem Hasen zu rasen, war dein ganzes Glück!
Ein einziges Mal in deinem Leben hast du etwas erwischt, und da war dein Bruder Plum noch bei dir, ihr waret beide noch sehr jung. Am Tage vorher war Treibjagd gewesen, und ihr stöbertet nach eurer Gewohnheit Busch auf Busch ab. Aus einem Schlehdorn sprang ein waidwund geschossener Hase, von Plum aufgestöbert, Plischi direkt vors Maul. Er packte zu, so war sein Instinkt, und dann erschreckte ihn das jämmerlich quäkende lebendige Fleisch in seinem Maul namenlos. Er ließ es fallen und stieß ein klagendes Geheul aus ... Da sprang Plum zu ... Doch schneller hatte ich den Hasen ergriffen und mit einem kräftigen Schlag hinter die Löffel das scheidende Leben ganz ausgelöscht ...
Ich sah mich scheu um. Wildernde Hunde sind höchst unbeliebt, und dies war Wilderei, nicht nur von Hunden! Weit und breit war kein Mensch zu sehen, weit und breit lagen die verschneiten Felder öde und still unter einem schneidenden Ostwind. Ich versteckte schlechten Gewissens den toten Hasen unter einem Steinhaufen und schleppte die beiden Hunde, die sehr aufgeregt waren, an ihren Halsbändern mit mir fort. Still und heimlich würde ich nach Einbruch der Dunkelheit den Hasen ins Dorf schmuggeln ...
Aber eine Viertelstunde Weg ließ mich zu einem besseren Entschluß kommen. Ich habe kein Zeug zu einem Wilddieb. Ich liebe es nicht sehr, ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich machte wieder kehrt und holte den Hasen unter seinem Steinhaufen hervor. Jetzt, da er tot war und schon steif zu werden anfing, hatten die Hunde kaum noch Interesse für ihn. Manchmal stießen sie neugierig mit den Nasen gegen den weißwolligen Bauch und sahen dann gelangweilt fort. Das war nichts mehr zu spielen, ich hatte ihr Spielzeug entzwei gemacht!
Offen trug ich meine Trophäe durchs Dorf, und zu Hause angekommen, rief ich den Jagdpächter an und berichtete ihm von meinem Mißgeschick. Wie selten im Leben fand Tugend sofort ihren Lohn: der Hase wurde mir als Sonntagsbraten verehrt. Mit diesem Jagdpächter traf ich dann auch kurz darauf ein Abkommen, an welchen Stellen des Reviers ich meine Hunde frei laufen lassen durfte. Dort gab es nur Ginster, Schlehdorn, wilde Kaninchen, Wacholder und ab und an einen verlaufenen Hasen. Ich nannte es König Lears Heide.
Viele, viele hundert Male habe ich dort Plischi hinter einem Karnickel herrasen sehen, immer mit dem gleichen hoffnungsvollen Geläut. Dann kam er nach einer Weile zu mir zurück, jachternd, mit hängender Rute, grenzenlos verlegen. Aber schon das nächste Kaninchen riß ihn wieder fort von meiner Seite, dieselbe Hoffnung, derselbe Eifer – und am Schluß dieselbe Verlegenheit.
Am erheiterndsten aber war es, ihn hinter einem Hasen dreinjagen zu sehen. Bei einem Hasen war alles anders, ein Hase verschwand nicht unerreichbar in einem Erdloch, ein Hase blieb immer vor ihm, spornte ihn zu höchsten Leistungen an ...
Ich bin überzeugt, sämtliche Hasen auf König Lears Heide kannten den Plisch. Sie setzten sich gemütlich in Gang, hoppelnd wie die Osterhasen der Kinder, und sahen sich fleißig nach ihm um. Er jagte, daß ihm die Zunge bis auf die Erde hing, sie legten kaum im Tempo zu. Schließlich fing Plischi vor Verzweiflung an zu weinen, im tollsten Lauf weinte er, jämmerlich jaulte er und lief und raste, und der Hase sah sich nach ihm um ...
Über einen Hügel mit grüner Saat sah ich die beiden kleiner werden und verschwinden, und fünf Minuten darauf kam Plischi angeschlichen, völlig erledigt, hinter meinen Hacken schlich er wie ein schuldiger Verbrecher. Aber das nächste Karnickel setzte ihn wieder in Gang ...
Damals hatte uns Plum schon verlassen. Es war nicht zu machen gewesen mit zwei solchen Hunden! Sie hielten den ganzen Haushalt in Gang! Einer machte bestimmt immer Unfug! Und dann ihr Bellen, sie unterstützten sich direkt im Bellen! Wenn der eine pausierte, setzte der andere ein. Ich aber bin so empfindlich gegen Geräusche! Sinnloses Hundegekläff macht mich tobsüchtig!
(Übrigens soll der Plum, der uns schon sehr jung verließ, ein ausgezeichneter Hütehund bei Schafen geworden sein.)
Plischi war wesentlich größer als seine Mutter, er war auch viel klüger. Schön braun und schwarz gefleckt mit dem kraus gelockten Haar der Airedales hatte er den ganzen unbändigen Mut der Dobermänner. Später wurde er ein schrecklicher Beißer und Stänkerer, aber davon erzähle ich noch. In seiner Jugend galt sein Haß nur den Katzen. Katzen duldete er nicht. Nur an einer Hundeleine konnte man ihn durchs Dorf führen; sah er eine Katze, sauste er ihr sonst bis in die innersten Gemächer der Häuser nach. Kein Schlagen half, erst mußte die Katze hinüber. Das hat mir viel Ärger mit den Katzenbesitzern eingetragen.
Aber draußen auf dem Felde durfte Plischi die Katzen jagen. In manchem Jahr hat er sechs, acht wildernde Katzen erledigt und sich dadurch auch die Sympathie des Jagdpächters erworben. Ebenso wie der hasse ich wildernde, streunende Katzen, und manches Mal, wenn Plischi weinend unter einem Baum saß, auf den er eine Katze gejagt hatte, habe ich seinem Flehen nachgegeben und die Mörderin mit Steinen aus dem Baum in seine Fänge gejagt. Hatte er sie erst einmal, so gab es auch für den stärksten, wildesten Kater keine Rettung mehr. Er konnte noch so sehr kratzen, Plischi mochte noch so sehr von Blut triefen, er erledigte den Kater, er ließ ihn nie wieder los. Meist war ja Wasser in der Nähe, dann lief er mit dem Kater in den See und tauchte ihn, tauchte ihn so lange, bis er tot war.
Bei all seinem kämpferischen Geist war er aber ein überaus geduldiger und langmütiger Hund. Schläfrig lag er in der Sonne an seiner Kette und sah blinzelnd zu, wie das Hühnervolk sich an seiner Futterschüssel sammelte. Schließlich trat nach eifrigem Gekakel und Gegacker eine mutige Henne vor und nahm einen Schnabel voll aus der Schüssel. Eiliger Rückzug, neues, noch eifrigeres Gekakel, und die Hühner drangen vereint auf seine Futterschüssel ein. Er legte den Kopf gelangweilt auf die Pfoten und schloß die Augen. Oder aber – er stand auch plötzlich auf, gewaltiges Kettengerassel, fluchtartig, laut schreiend stoben die Hühner auseinander – und Plischi stand da, sich reckend und gähnend. Von den Hühnern nahm er überhaupt keine Notiz.
Eine Zeitlang besaßen wir ein Huhn, das sich darauf kaprizierte, seine Eier nicht in die dafür bestimmten Nester, sondern in Plischis Hundehütte zu legen. Nachdem es das ein paarmal in seiner Abwesenheit getan hatte, glaubte es ein Recht auf diesen Platz erworben zu haben. Lag nun Plisch in seiner Hütte, und kam der Legedrang über die Henne, so stellte sie sich vor die Hütte und fing an, Plischi aufgeregt anzugackern.
Eine Weile reagierte er nicht, dann, wenn ihm dies törichte Weibergeschwätz zuviel wurde, stand er auf und räumte seinen Palazzo. Mit ein paar aufgeregten, keineswegs dankbaren Schlußbemerkungen nahm die Henne seinen Platz ein. Dann saß Plisch oft lange vor der Hütte, von Zeit zu Zeit steckte er den Kopf in die Tür. Aufgeregtes Gegacker antwortete ihm. Er zog den Kopf zurück, gähnte und wartete geduldig, bis Madame fertig war.
Wenn sie dann triumphierend seine Hütte verließ, ging er sachte hinein, faßte das Ei vorsichtig mit dem Maul und legte es ebenso vorsichtig in seine Futterschüssel. Erst dann nahm er seinen Schlafplatz wieder ein. Nie hat er ein Ei angerührt, und Hunde sind von Natur leidenschaftliche Eierfresser. –
In einem Sommer bekamen wir Besuch von Berliner Freunden, die einen Hund mitbrachten, eine schwarze Zwergpudel-Hündin, eine elegante Stadtdame, hoch prämiiert. Peggy war ein richtiger Großstadthund, dazu noch ein Damenhund, verwöhnt, ohne jeden Appell, eine gehässige Kläfferin, genau wie die entschwundene Bettina. Selbstverständlich war Peggy das verwöhnte Kind kinderloser Leute.
Wie diese Dame des Westens getrimmt und geschoren war, das war einfach zum Staunen – ich meine natürlich die Hündin. Sie trug wunderbare Haarröllchen an jedem ihrer stöckrigen Beinchen, und ich müßte lügen, aber ich glaube wirklich, auch am geschorenen Schwanz trug sie noch ein Röllchen!
Natürlich hatte Peggy von Wald, Feld und Flur nicht die geringste Ahnung. Sie hatte immer nur in Großstadtstuben und auf Steinstraßen gelebt. Bei unseren gemeinschaftlichen Spaziergängen zockelte sie auf die stumpfsinnigste Art neben uns her, als ginge sie an der Leine. Kaum sah sie erstaunt auf den wild rasenden Plisch, der es immer eilig hatte, denn nicht einen Busch durfte er bei seinem Stöbern auslassen!
Ich glaube, Herr und Hund waren sich völlig einig in der Verachtung dieser Asphaltblüte. Plischi kümmerte sich nie um Peggy, sie war einfach Luft für ihn. Immerhin gelang es mir mit Zeit und List, Peggy zu verführen. Als sie sich das erstemal auf unserem Misthaufen gewälzt hatte, jubelte ich innerlich, während unsere Freundin kummervoll seufzte.
Später versuchte Peggy eine schwächliche Imitation von Plischis Rasereien. Ihr Fell war dafür nicht so geeignet wie sein hartes, krauses – völlig feucht, beschmutzt und stinkend kam sie von unseren Ausflügen heim, und ihre Besitzerin seufzte stärker. Schließlich entdeckte Peggy einen Herzwinkel für die Mäusejagd. Mit ihren gepflegten Pfötchen fing sie an, nassen Ackerboden aufzuwühlen, ihre Nase beschmutzte sie, die dunkle Wolle an Brust und Bauch war ständig mit Lehm beschmiert. Ihre Besitzerin war unglücklich: Peggy schien beinahe so etwas wie ein richtiger Hund zu werden, schon ging sie mit Plisch und mir lieber spazieren als mit ihrer Herrin.
Bald zeigte es sich, daß diese Dame von der Tauentzienstraße auch von schlechten Sitten war. Sie verfolgte unsern braven Plisch mit unsittlichen Anträgen. Der war der reine Parzival, kaum ein Jahr alt und entschieden noch nicht aufgeklärt. Unsere Freundin war in tausend Ängsten, daß ihrer Peggy etwas passieren könnte. Peggy war hoch prämiiert, in irgendeine Zwergpudel-Stammrolle eingetragen, und durfte laut Statut eine Ehe nur mit einem ebenso hochwertigen Zwergpudel eingehen.
Aber die Befürchtungen unserer Freundin waren grundlos. Manches Mal beobachteten wir die lasterhafte Dame Peggy, wie sie vor Plischis Hundehütte umhertänzelte und sich ihm in der widerlichsten Weise anbot. Plisch lag an der Kette und sah bodenlos verlegen aus. Bestimmt hielt der Ahnungslose Peggy für hysterisch. Die Dame schwänzelte und tänzelte, sie hielt dem Herrn ihr entzückendes Hinterteilchen hin und stieß kleine ermunternde Quieker aus. Plisch hob verächtlich die Nase und zog sich in seine Hütte zurück, wenn ihm dies Gebaren zu dumm wurde. Wir waren also völlig beruhigt und überließen Peggy ihren unbefriedigten Wünschen ...
An einem Tag unter den Tagen aber stand unsere Berliner Freundin in der Küche und plättete, ich war in derselben Küche mit der Zubereitung meines geliebten Kaffees beschäftigt, die ich ungern anderen überlasse. Plötzlich erheben wir lauschend die Köpfe. Ein fast diabolisch triumphierendes Quieken tönt vom Hofe! Wir sehen uns an ...
»Jetzt ist's passiert!« flüstere ich.
»Meine arme Peggy!« ruft die Freundin, und ihre Augen füllen sich mit Tränen.
Wir stürzen auf den Hof. Jawohl, wir haben recht gehört, es ist passiert: Peggy ist eine nicht standesgemäße Ehe eingegangen. Das feile Frauenzimmer hat mir meinen Parzival verführt!
»Meine arme Peggy!« weint die Freundin. »Das hält sie nie aus! So ein großer Hund – da geht sie drauf dabei! Oh, meine Peggy! Meine liebe Peggy! Sie wird mir sterben –!«
Die Wochen gehen dahin, Peggy ist nicht gestorben; und unsere Gäste müssen zurück in die große Stadt Berlin. Unsere Freundin sieht mich immer flehender und trauriger an, schließlich spricht sie: »Würden Sie nicht meine Peggy hier behalten, bis sie – ach, Sie wissen schon –, bis sie ihre kleinen Hundebabys bekommen hat? Ich kann meine Peggy nicht leiden sehen! Und wenn ihr was passiert ...!«
Ich gebe meinem Herzen einen Stoß: »Nun gut, soll die Dame von der Tauentzien ihre schwere Stunde bei uns abhalten! Aber das sage ich Ihnen: Sperenzien werden für dies verwöhnte Frauenzimmer nicht gemacht! Im Haus bleibt die Kläfferin nicht! Sie bekommt eine kleine Hütte im Stall, da ist es warm genug für sie!«
Herzzerreißend wurde Abschied genommen, mir aber wurde in der letzten Minute ein Bademantel überreicht. Nicht als Geschenk für mich, für meine Aufopferung, obwohl es ein recht hübscher und auch noch gar nicht alter Bademantel war, nein, sondern (mit Tränen in den Augen gesagt): »Für meine Peggy – wenn es soweit ist, Sie wissen schon! Es ist doch kalt im Stall, ich habe heute zur Probe eine halbe Stunde dort gesessen, und Peggy soll es doch gemütlich haben!« Ich nahm den Bademantel, aber im stillen schwor ich mir zu, daß Peggy ihn nicht haben sollte.
Es wurde Herbst, dann kam der Winter. Auf unsren täglichen Spaziergängen begleitete mich und den Plisch die Dame Peggy. Niemand, ihre eigene Herrin nicht, hätte jetzt diese Tauentzien-Schöne wiedererkannt! Aus der Asphaltblüte war ein munteres Landkind geworden, das mit Leidenschaft der Mäusejagd oblag und eine ausgesprochene Vorliebe für Jauchebäder hatte. Nichts mehr von modischen Röllchen an Beinen und Schwanz! Das ganze Fell, von feuchter Ackererde beschmutzt, bildete eine graugräuliche Wirrnis. In die Augen hingen zottelige Locken, und nur diese Augen noch blickten so dummfrech wie eh und je. Manchmal sagte Suse seufzend: »Ich glaube, ich muß die Peggy wirklich mal putzen. Wir können es einfach nicht verantworten, wie sie aussieht!«
»Sonst noch was?« fragte ich brummig. »Wir putzen unseren eigenen Hund nicht, und diesen Mistbock willst du putzen?! Laß das man lieber bleiben! Ich bin überzeugt, die Peggy hat sich noch nie so wohl im Leben gefühlt wie jetzt!«
Aber das war nicht ganz richtig, wohl fühlte sich Peggy im Stall bei Kuh und Schwein nicht. Die Nächte hindurch weinte sie, sie war an den Umgang mit Menschen gewöhnt. Manchmal erbarmte ich mich ihrer und holte sie für ein paar Stunden in mein Zimmer. Da lag sie dann, möglichst entfernt von mir, denn sie erwiderte meine Antipathie, unter einem runden Tischchen, schnaufte beträchtlich und bellte von Zeit zu Zeit ganz unmotiviert, aber gellend.
Ein völlig hysterisches Frauenzimmer, und allmählich verstärkte sich bei uns der Gedanke, daß auch an ihrer Trächtigkeit gar nichts daran sei, ein Fall hysterischer Schwangerschaft, wie er im Buch steht. Wohl rundete sich ihr Leibchen, aber dies konnte auch etwas für die gesunde Landkost beweisen. Wohl wies sie weitere Werbungen des Knaben Parzival-Plisch mit giftigem Keifen ab, damit aber zeigte sie nur ihre treulosen, unbeständigen Tauentzien-Sitten.
Alle Augenblick kam mein Futtersmann gestürzt und meldete: »Ick glöv, de Peggy jungt!«
Wenn wir dann in den Stall kamen, wand sich die Dame in Krämpfen, auf dem Rücken liegend, die Pfötchen gen Himmel. Mit verdrehten Augen starrte sie uns flehend an und stieß kleine wimmernde Schreie aus. Aber das war auch alles, nichts erfolgte. Gar nichts!
»Du sollst sehen«, sagte ich zu Suse, »sie hält uns alle zu Narren. Nach jedem Trächtigkeitskalender müßte sie längst geferkelt oder gehundelt haben. Hysterie – nichts wie Hysterie! Jetzt schreiben wir aber und lassen sie zurückholen. Ich bin dieser Giftnudel reichlich überdrüssig!«
Wir hatten bereits geschrieben, als Suse eines Tages zu mir in die Stube trat. »Du«, sagte sie, verführerisch lächelnd, »es ist heute wirklich sehr kalt drüben im Stall, darf die Peggy nicht für eine halbe Stunde zu dir? Bloß, damit sie sich ein bißchen aufwärmt.«
Solchem Lächeln meiner Gattin kann ich noch immer schwer widerstehen. »Meinethalben«, sagte ich. »Aber wenn sie jault, fliegt sie im Bogen hinaus!«
Dame Peggy quartierte sich wieder unter dem runden Tischchen am anderen Ende der Stube ein, und ich fuhr fort, den täglichen Berg von Korrespondenz abzutragen, wobei ich mir immer vorkomme wie Sisyphus: jeden Tag rollt der Stein Post auf mich zurück, den ich eben ächzend fortgewälzt habe.
Aber mitten im Tippen erreichen seltsam winselnde Laute mein Ohr. Mit einem Satz springe ich auf, renne in die Ecke, starre – wie vom Donner gerührt bin ich! So also war es gemeint! Da haben wir die Bescherung!
Ich stürze an die Tür, ich brülle: »Hierher! Hilfe! Um Gottes willen! Suse, wo steckst du denn? Sofort, bring den Bademantel mit! – Kannst du dir so was vorstellen?! Kriegt das Mistvieh ausgerechnet in meinem Zimmer auf unserem besten deutschen Perser Junge! Da – drei kriechen schon rum! Ewig hat sie gebellt und gejault und gewimmert, aber ihre Jungen kriegt sie in völliger Stille, ohne einen Laut, solch ein Mistvieh, ein miserables!«
Während dieser zornig hervorgestoßenen Sätze habe ich Peggy bereits mit ihren drei Kindern in den Bademantel gehüllt, und nun trage ich die Last hinüber in den Stall. Als ich drüben auspacke, sind es bereits fünf, ein hübsches Farbensortiment, helle, dunkle, gefleckte, gestreifte, getigerte ... Ich rechne: fünfzig Prozent Zwergpudel, fünfundzwanzig Prozent Dobermann, fünfundzwanzig Prozent Airedale, so kommt die Rasse auf den Hund. Aber das Ergebnis zu sehen, muß interessant sein, ein paar von den Tölen werde ich groß werden lassen. Bin mal neugierig, wie viele es werden.
Es wurden neun. Aber über Nacht hatte Peggy bereits eine Vorwahl getroffen: vier, die ihr selber nicht gefallen hatten (wahrscheinlich zu kühn in der Farbenzusammenstellung), hatte sie aus ihrer Hütte gepackt, von der mütterlichen Bettwärme ausgeschlossen. Sie waren am Morgen, als wir sie fanden, bereits verblichen. Von den verbliebenen fünf wählte ich zwei: einen schwarzen Knaben, der den Namen Barry erhielt, und ein falbes Mädchen Polly.
Barry ist später ins Hotelfach übergegangen, in ein weiblich geleitetes und ein weiblich bedientes Hotel. Er hat dort trefflich männliche Herrschergelüste entwickeln können und tyrannisiert den ganzen Gasthof, Besitzerinnen, Mädchen und Gäste. Er ist ein ausgesprochen kluger und schöner Hund mit einem kurzen schwarz glänzenden Fell, erheblich größer als seine Mutter. Ein Liebling der Frauen, verwöhnt und unleidlich.
Manchmal sehe ich ihn heute noch an der Theke stehen, aufmerksam den Bierschank beobachtend, ich glaube, er kontrolliert die Kellnerin.
Seine Schwester Polly verblieb bei uns. Sie wurde nicht so groß wie Barry, war aber ein überaus zufriedenes listiges Geschöpf. Mit ihrer grenzenlosen Frechheit brachte sie meine Frau zur Verzweiflung. Wenn im Hause das Warnsignal ertönte: »Ruhe, Papa schreibt!«, wenn Hausfrau, Mädchen, Kinder auf Zehen schlichen, der Kuh im Stall das Maul zugehalten und der Kanarienvogel verhängt wurde, dann brach sicher Polly in ein triumphierendes Kläffen aus!
Suse schürzte sich zur Jagd auf die Sünderin, unter Beteiligung von Hilfstruppen. Immer weiter bellend, immer weiter kläffend floh Polly. Sie hielt dies für ein ausgezeichnetes Spiel. Flüchtend erfüllte sie den ganzen Hof mit ihrem Lärm. Die Verfolger wurden hitziger, sie trieben Polly in eine Ecke, aufmunternde Rufe erschollen ...
Mit zerrauftem Haar erschien der Hausherr und schrie wütend: »Seid ihr denn alle wahnsinnig geworden –?! Ich arbeite –!« Und in der einbrechenden Stille raste Polly aufjauchzend zwischen den Beinen der Frauen hindurch ins Freie.
»So ist es richtig!« spreche ich voll Verachtung. »Fünf Weibsen werden mit einem Hund nicht fertig!«
Zornig ruft Suse: »Fang du ihn doch selbst! Wenn du es besser kannst!«
Aber das muß ich nicht gehört haben. Gesenkten Hauptes steige ich in mein Arbeitsgemach hinauf und grolle mit meinen Lieben, die während meiner Arbeitszeit Krawallszenen aufführen!
Schließlich ist Polly eingefangen und in den Holzstall gesperrt. Wenn ich oben sehr genau horche, kann ich ihr protestierendes Gekläff schwach hören – und der Leser verlasse sich darauf, ich horche sehr genau! Bitternis erfüllt mein Herz: warum sperren sie die Polly eigentlich nicht in den Keller? Hirnverbranntheit! Ausgerechnet dahin, wo ich sie hören muß!
Schließlich vergesse ich Polly und schreibe wieder. Tiefe Stille umgibt mich. Ich komme voran. Eine Seite ... Eine zweite Seite ...
Da! Ein triumphierendes, durch nichts gedämpftes Bellen! Irgendein Unseliger (er wird es schon mit Suse zu tun kriegen!) hat ahnungslos die Tür des Holzstalles geöffnet und Polly die Freiheit wiedergegeben.
Und Polly benutzt sie, darauf kann man sich verlassen! So leicht läßt sie sich jetzt nicht wieder fangen! Die Geräusche der beginnenden Jagd dringen zu mir herauf, ergeben lege ich die Feder hin und schicke mich ins Warten. Du lieber Himmel, unter solchen Umständen soll man nun geistig arbeiten! Traf es je ein sterblicher Dichter so schlecht wie ich –?!
Dann aber verfiel Polly auf ein zweites Spiel, und dieses Spiel kostete sie die Stellung bei uns. Sie ging auf die Hühnerjagd, und nicht nur sie, sie verführte auch ihren eigenen Vater dazu, einen völlig gesetzten und wohlerzogenen älteren Herrn! Nicht, daß sie dem Huhn einen Leibesschaden zufügten, ihr Spiel war viel grausamer und ausgiebiger.
Die beiden Verbrecher trennten ein Huhn von der Gemeinschaft und trieben es listig in einen Raum, sei es in den Kohlenschuppen, sei es auf die Scheunendiele, in die leere Garage, in den Holzstall ... Dort jagten sie das Huhn zwischen sich hin und her, sie spielten Ball mit ihm, sein verzweifeltes Gegacker, sein vergebliches Hochflattern belustigten sie in hohem Maße.
Manchmal fing auch einer der beiden Schurken das unselige Huhn. Es sorgsam im Maul haltend, lag dann Plischi da, die beiden Vorderläufe von sich gestreckt, und knurrte drohend, während Polly, ebenfalls böse und feindselig knurrend, den Plischhund auf hohen Pfoten umschlich, lüstern nach seiner Beute.
Natürlich war nach einem solchen Spiel das Huhn total mit seinen Nerven herunter und ganz untauglich zum Eierlegen. Trübsinnig vor sich hinstarrend saß es in einer Ecke, völlig lebensüberdrüssig.
Als ich von diesen neuen Schandtaten erfuhr, wollte ich meinen Ohren nicht trauen. Mein guter braver Plisch, für den ich die Hand ins Feuer gelegt hätte, der auf unseren Spaziergängen nie ein Huhn anschaute, der sogar einer frechen Eierlegerin seine Hütte geräumt hatte – jetzt war er ein sadistischer Hühnerjäger geworden! Schamlos verführt von der Tochter einer Großstadtmetze! Polly mußte aus dem Haus, auch Suse verlangte es gebieterisch. Sie erklärte, den ständigen Pollyjagden nicht mehr gewachsen zu sein. Entweder der Haushalt, Familienleben oder Polly – beides ging nicht.
Polly kam aus dem Haus, sie ging durch drei, vier Hände. Sie war mit ihrem falben Fell ein auffallend schöner lebendiger Hund, jeder nahm sie gerne. Aber sie war auch ein schamlos frecher Hund: jeder scheint sie noch lieber fortgegeben zu haben. Sie starb, wie sie lebte: als eine freche Übertreterin aller Gesetze. Beim Wildern traf sie die Kugel eines Försters. Eigentlich schade, uns hat Polly viel Spaß gemacht.
Mit den Jahren ist Plisch nun ein alter, weiser Hund geworden. Er ist unser und der Kinder Freund, wir haben uns an ihn gewöhnt, seine kleinen Schwächen nehmen wir in den Kauf. Er ist auch ein gebildeter Hund: wenn ich täglich mit ihm spazieren gehe, hält er den Hof sauber, nie verrichtet er dort sein großes Geschäft, das spart er sich für unsere Wege auf. Er ist ein glänzender Wächter, er ersetzt uns zuverlässig eine elektrische Klingel.
Ich habe es wohl schon gesagt: in Mahlendorf gibt es nicht einen Laden, alles, was wir zum Leben brauchen, kommt aus Bergfeld. Im Frieden war das kein Problem: drei Kaufleute kamen einmal in der Woche nach Mahlendorf, zwei mit ihrem Auto, der dritte mit einem Pferdefuhrwerk. Ihr Gefährt war ein richtiger kleiner Laden: vom Tabak bis zum Zucker, vom Stallbesen bis zum Petroleum konnte man alles darin kaufen.
Der Pferdefuhrmann Püster nun war ein altmodischer Mann. Er kam mit einem richtigen großen Planwagen, wie man ihn auf Bildern sieht. Unter dem Wagen lief ständig ein großer böser Schäferhund, der jede Annäherung an das köstlich beladene Fuhrwerk verbot, wenn Herr Püster mal abwesend war. Aber einmal gelang es Plischi doch, aus der Gartenpforte zu entschlüpfen und sich auf den andern zu stürzen. Es gab ein zorniges Geknurr, ein kurzes Aufheulen, und auf mein gebieterisches Gebrüll hin (glaubte ich) erschien Plischi wieder auf dem Hof und verschwand schlechten Gewissens (nahm ich an) in seiner Hundehütte.
Erst am nächsten Morgen entdeckten wir, was wirklich geschehen war. Die kleine Mücke entdeckte es. Aufgeregt kam sie zu uns: »Papa! Mummi! Plischi ist ganz kaputt!«
Jawohl, der Arme, er war stark beschädigt! Mit einem einzigen Riß des scharfen Eckzahns hatte ihm sein Gegner vom Augenwinkel ab die ganze Backe aufgerissen, die nun als blutiger Lappen tief herunterhing. Er sah jammervoll aus, unser Guter, er, den ich immer für seine Kühnheit ›Plisch, mein Löwe‹ genannt habe.
Zuerst sah die Sache ganz aussichtslos aus, aber unseren Plisch opferte ich nicht so leicht. Nachdem ich von unserem alten traurigen Tierarzt einen Korb bekommen hatte (»da ist eben nichts zu machen, da fehlt ja ein Riesenstück«), ließ ich von weiterher einen jungen Tierarzt kommen. Es war spät am Abend, als er eintraf. Wir hatten Besuch, ein Mann vom Film war mit seiner Frau bei mir, und zwischen Film und Plisch teilte sich diese Nacht.
Der große Hund lag geduldig auf dem Küchentisch, sorgfältig wurde Naht auf Naht gelegt, Nervenstränge geflickt, Muskeln aneinander genäht. Manchmal weinte er leise, gab mir aber dabei, sich zu entschuldigen, die Pfote und lag wieder mucksmäuschenstill. Zwischendurch gingen wir zurück ins Zimmer, tranken ein Glas Wein und sprachen wieder von den ungeheuren Möglichkeiten des Films, von dem Film, den wir gerne schreiben wollten, dem Film aus dem Alltag, bei dem jeder fühlt, hier geht's um deine Sache, um dich selbst – von dem Film, den alle träumen, diesem magischen Zauberer Film ... bei dem das Herz stocken muß. Dann gingen wir zurück zu Plisch ...
Als alles genäht war, blieb als schwierigstes, den Hund am Aufkratzen der Nähte zu hindern. Wir konstruierten eine lange feste Tüte aus Pappe, die ihm um den Kopf gelegt wurde, und bereiteten ihm ein Lager im Stall. Als wir nach einer Viertelstunde Filmgeschwätz wieder nach ihm sahen, war die Tüte ab und die Backe blutig gekratzt. Da erbot sich der junge Tierarzt, den Hund mit sich zu nehmen. Sein Vater, der auch Tierarzt und vor allem Tiernarr war, würde schon ein Auge auf ihn haben. Wir nahmen das Angebot an, der arme Dulder wurde ins Auto verfrachtet, und wir waren ohne Plisch.
Wie still der Hof ohne unseren Hund war! Wie oft hatte ich über sein Gebell geschimpft, und nun ertappte ich mich dabei, wie ich in der Arbeit innehielt und lauschte. Nichts –? Nein, nichts, und dann erinnerte ich mich: ach so! Niemand meldete mehr Fremde an, plötzlich standen die Leute in der Küche, ohne Warnung! Und meine Spaziergänge taugten gar nichts mehr, ohne den fröhlichen, dankbaren Begleiter! Keiner jagte mehr hinter Kaninchen her, aufgeregt läutend.
Aber die Berichte des alten Tierarztes lauteten günstig, die Wunden heilten. Der rührende Mann, der mich fast täglich anrief, hatte den eigenen Hund in die Küche verbannt, und Plisch war immer um ihn, in seinem Sprechzimmer, bei seinen Fahrten über Land, in seinem Schlafzimmer: ich hätte mich ihm nie so intensiv widmen können.
Dann war es soweit, daß ich Plisch holen durfte. Ich stehe im Wartezimmer, die Tür öffnet sich, und herein stürzt Plisch, stürzt sich auf mich, springt an mir hoch, leckt mein Gesicht, heult vor Wonne, macht meine Schuhe naß – heute wird ihm alles verziehen! »Ach, Plischi, du mein Guter, mein Löwe! Ja, ja, das Herrchen ist wieder da! Ja, nun kommst du wieder mit mir, nun gehen wir wieder alle Tage spazieren! Ach, du mein Löwe –!«
Er ist kaum verändert, der alte Tierarzt ist mit Recht stolz auf sein Werk. Nichts hatte gefehlt, Lappen ist sorgfältig an Lappen genäht, schon sind wieder die Haare über die Nähte gewachsen, man sieht nichts von ihnen. Nur eine ganz kleine Spur ist das Auge heruntergezogen, das ist alles. Ich danke viele, viele Male, ich zahle einen lächerlichen Betrag und bezahle nie all die Mühe, die sich der alte Mann mit meinem Hund gegeben hat. Die Tür zum Flur wird geöffnet –: Plisch und ich gehen.
Da, ein zorniges Gekläff, ein wütendes Bellen ... In der letzten Minute, in der allerletzten Minute sind Plisch und der Hund des Tierarztes aneinander geraten! So lange hat man sie sorgsam getrennt gehalten. Der Hund des Tierarztes ist von einer wütenden Eifersucht auf den Eindringling beseelt, in einer Sekunde sind die beiden ineinander verbissen! Als wir den ganzen Flur mit Wassergüssen überschwemmt, als wir die Gegner auseinander gerissen haben, zeigt sich: der Hund des Arztes ist unverletzt, aber Plischis eben geheilte Wunden sind wieder aufgerissen, nicht schlimm, aber doch so, daß noch einmal genäht werden muß! Verdammtes Verhängnis!
Nun, schließlich kam Plisch wieder nach Haus. Aber er war nicht mehr derselbe Plisch, sein Charakter hatte sich völlig geändert. Zwar, uns gegenüber war er der gleiche geblieben, in seiner Treue und stürmischen Liebe. Noch immer war er der geduldige Freund meiner Kinder, mit dem sie alles aufstellen konnten, er knurrte nie. Aber sonst war er böse geworden, er war ein Streithammel und Beißer geworden, er mußte einen andern Hund nur sehen, so stürzte er sich auf ihn!
Du lieber Himmel, was habe ich in den nächsten Jahren für schreckliche Beißereien mit Plisch durchgemacht! Schweißtriefend, am ganzen Leibe zitternd kam ich oft nach Haus! Wieviel Stöcke habe ich an den elenden Kötern zerschlagen und sie doch nicht auseinander gekriegt! Wieviel Wunden trug Plisch davon, die er sich selbst heil leckte, ohne je in seiner Streitlust nachzulassen! Den stärksten Hund fiel er ohne Besinnen an. Manchmal wußte ich mir nicht anders zu helfen, ich schleppte das verbissene, wutverkrampfte Knäuel zwei-, dreihundert Meter weit bis an den nächsten See, schmiß sie hinein, und kaum draußen, stürzten sie sich wieder aufeinander!
Durch das Dorf, auf allen Wegen, wo ich nur Hunde ahnte, führte ich Plisch an einer doppelten dicken Lederleine. Ich hatte ihm ein Würgehalsband angelegt, aber auch das half eigentlich nichts. Kam er an einem Haus vorbei, in dem er einen Feind wußte, so brachte er sich vor Wut um, knurrte, drohte, heulte vor Zorn, herausfordernd, den Feind verhöhnend und lockend. Ich nahm ihn so kurz, daß er schließlich auf den Hinterbeinen marschierte, das Würgehalsband brachte ihn fast um, aber noch mit seinem allerletzten Atem knurrte und drohte er!
Und doch konnten wir uns immer noch nicht entschließen, Plisch abzuschaffen. Abschaffen konnte ja nur Töten heißen, diesen bissigen Hund konnten wir keinem andern Menschen zumuten. Schon jetzt wagte niemand mehr, mit ihm auszugehen, außer mir. Auch für mich waren diese Wege oft eine schreckliche Last. Immer hatte ich meine Augen überall, ich schlug Seitenwege ein, sobald ich nur einen Hund in der Ferne sah, nur noch auf König Lears Heide ließ ich ihn frei. Aber auch dahin verliefen sich manchmal Hütehunde von den Kühen oder Schafen, und sofort war der Teufel los!
Aber Plisch war nun durch viele Jahre unser Gefährte gewesen. Er war der Freund der Kinder, der zuverlässige Wächter des Hauses. Und er war kein böser Hund, er hat nie einen Menschen gebissen. Von seinem Hundestandpunkt aus war er völlig in seinem Recht. Der Schäferhund des Püster hatte ihn angegriffen und schwer verletzt! Dem Plisch konnte ich nicht böse sein!
Dann riß Plisch den Hund unseres dörflichen Malermeisters in Stücke, er zerpflückte ihn buchstäblich in seine Bestandteile! Es war keine Ruhmestat, denn dieser Hund war eine kleine, rassenlose, schwanzlose Töle, kein würdiger Gegner eines Löwen. Auf der anderen Seite muß ich sagen, daß dieses kleine Mistvieh den Plisch seit langem schwer gereizt hatte. Immer, wenn ich mit meinem angeleinten Plisch durchs Dorf ging, hatte das kleine Hündchen giftig hinter ihm drein gekläfft. Im Gefühl völliger Sicherheit hatte es ihn durch das ganze Dorf verhöhnt, ja, manchmal sogar mit seinen Zähnen feige nach den Hinterbeinen des Großen geschnappt! Ich war nicht dabei, als das Unglück geschah, ich war verreist, hörte nur die erregten Klagen und blechte ... Noch blieb Plisch, aber die Stimmung gegen ihn und seinen Herrn im Dorf war recht bedrohlich.
Dann wurde unser Jagdaufseher mitten im Dorf von einem wirklich bösen Hund angefallen und gebissen. Er machte keine langen Umstände, nahm seine Büchse und schoß den Angreifer auf der offenen Dorfstraße tot. Natürlich tobte seine Besitzerin, und da sie den Schaden hatte, sollten ihn möglichst viele haben: sie zeigte meinen Plisch als noch viel gefährlicher an. Von der Behörde wurde mir aufgegeben, den Plisch nur noch an der Kette und Leine zu halten, jedes Freilaufenlassen wurde verboten ...
Plisch aber war kein Kettenhund, dafür floß zu edles Blut in seinen Adern. Es war schon schwer genug für ihn gewesen, zweiundzwanzig Stunden auf dem engen Hof gehalten zu werden, nur zwei Stunden täglich auf meinen Spaziergängen hatte er frei sein dürfen. Ihm jede Freiheit zu nehmen, das war Tierquälerei – lieber sollte er sterben.
Wieder kam unser alter Tierarzt mit der Zyankalispritze. Leider ging es bei Plisch nicht so gut wie bei seiner Mutter: als er die Hälfte der Spritze bekommen hatte, brach die Nadel und der Rest der Dosis versickerte. Er mußte sich quälen. Er sah mich schrecklich traurig und verzweifelt an, er verstand mich nicht, er wollte mich sogar beißen. Nun, nach zwei, drei Minuten war es vorbei. Ich grub ihn bei meinem Bienenhaus ein. Jetzt ist schon das Gras über die Stelle gewachsen, aber vergessen wird er nicht von uns. Plischi, du unser Freund durch sieben Jahre! Du unser Löwe! Wird dich je einer erreichen?!
Eines war klar: ohne Hund konnten wir nicht leben. Wir brauchten einen Wächter für den Hof, einen Ersatz für die stets versagende elektrische Türklingel, einen Gefährten für die Kinder, und mir fehlte der tägliche Begleiter auf meinen Spaziergängen. Unser künftiger Hund mußte der Hund aller Hunde werden. Negativ wußten wir schon vieles von ihm: er durfte kein Beller sein, kein Beißer, kein Raufbold, kein Wilderer. So groß die Zahl der Hunderassen ist, unter diesem Gesichtspunkt gesehen, verminderte sie sich rapide. Denn auch kinderlieb mußte der Hund sein, Achim war erst ein Jahr alt.
Wir lasen und schlugen nach und berieten und dann lasen wir wieder. Rassen, die wir nie gesehen, tauchten aus den Prospekten der Hundezüchter vor uns auf, wurden verworfen und entschwanden. Manche erregte Debatte hatte ich mit Suse, sie war natürlich für einen Scotch-Terrier, solche philosophische Sauerkrautwurst, zu Depressionen geneigt, alt geboren, uralt dahinlebend, ein Knurrer gegen Kinder, ewig gekränkt.
In dieser Not erinnerte ich mich an einen Frühlingsspaziergang in den Wald, Bullerbusch genannt, den ich mit Uli, Mücke und Plisch unternommen hatte. Wir waren ausgezogen, für ihre Mutter Anemonen und Leberblümchen zu pflücken.
Plischi war damals schon in seinen bissigen Zeiten, und im Bullerbusch begegnete uns nun, alleine wandelnd, ein riesiger kohlpechrabenschwarzer Hund, ein Kalb von einem Hund, zottig wie ein Bär. Natürlich versuchte Plisch mit ihm anzubinden, aber diesen Koloß konnte er nun doch nicht erschüttern. Der Gewaltige brummte bloß ein wenig und kümmerte sich einen Dreck um Plisch.
Dafür ging er Schritt um Schritt mit uns, sah aus seinen großen traurigen braunen Augen aufmerksam unserem Blumenpflücken zu und begleitete uns, als wir schließlich nach Haus gingen. Den ganzen Weg vom Bullerbusch bis in unsere Küche marschierte er hinter uns drein. Die Kinder waren natürlich selig über diesen Begleiter, und er war auch wirklich ein Staatshund mit seinem riesigen klugen Kopf.
Als er so hinter uns drein gezottelt war, hatten die Kinder natürlich wissen wollen, wie der Hund hieß, und weil der Plisch von ihm im Bullerbusch angebrummt war, hatte ich ihm den Namen ›Brumbusch‹ gegeben. (Man müßte wohl eigentlich ›Brummbusch‹ schreiben, aber ich habe mich nun an die wohl falsche, aber kürzere Schreibweise gewöhnt und will es dabei lassen.)
Nachher hatte ich Mühe genug, den Brumbusch erst aus unserer Küche, dann vom Hof zu kriegen. Schließlich lag er vor der Pforte, den Kopf auf den beiden Vorderpfoten, und sah nur zu uns hinüber. Er bettelt nicht, er bellte nicht, er sah uns bloß an – in der heißen Sonne liegend, viele Stunden lang. Ich hätte ihn gerne behalten, die Kinder wären glücklich über ihn gewesen, aber das durfte nicht sein. Brumbusch gehörte einem anderen Mann. Über Nacht war Brumbusch dann verschwunden; kurz darauf zog sein Besitzer aus der Gegend, wir haben Brumbusch nicht wiedergesehen.
Es war beim Mittagessen, daß mir der erlösende Einfall kam: »Kinder!« rief ich. »Jetzt weiß ich es, wir müssen einen Brumbusch haben! Ihr erinnert euch doch noch: Brumbusch aus dem Bullerbusch?«
Wie sie sich erinnerten! Wie sie gleich Feuer und Flamme waren! Das war ein Hund, der sie überzeugte! Und auch Suse war nicht abgeneigt. »Was war denn das für eine Rasse?« fragte sie.
»Ein Neufundländer«, sagte ich. »Warte, wir schlagen gleich im Brehm nach!«
»Nicht jetzt! Nicht während des Essens!« mahnte sie.
Aber wir waren nicht mehr zu halten. Die Aussicht, einen Brumbusch zu bekommen, zerriß alle Bande gewohnter Ordnung. Wir holten den Brehm, Uli brachte seinen kleinen, ich meinen großen Brehm, und abwechselnd lasen wir vor, während das Essen kalt wurde. Wir erfuhren, daß die Neufundländer leidenschaftlich gern ins Wasser gehen und Holz herausholen, daß sie leicht abzurichten sind, Ertrinkende zu retten, daß sie aber Schwimmenden oft lästig fallen mit ihrem Bemühen, sie aus dem Wasser zu holen. Neufundländer seien auch kinderlieb, ihnen anvertraute Kleinkinder seien vor jeder Gefahr sicher. Auch behauptete der alte Vater Brehm, daß sie nicht bellten und daß sie sich als die Könige unter den Hunden fühlten, mit gemeinem Pack gäben sie sich nicht ab, sie ignorierten es. Aber ihnen angetane Kränkungen vergäßen sie schwer, sie rächten sich oft noch lange danach. Jagdinstinkte hätten die Neufundländer nicht ...
»Suse!« rief ich. »Ist das unser Hund oder ist er es nicht?«
»Das stimmt schon alles«, meinte Suse. »Aber wenn ich denke, was euer Brumbusch damals in meiner Küche alles vertilgt hat! Erinnere dich bitte daran, daß wir jetzt Krieg haben!«
»Ach was!« sagte ich. »Wir werden ihn schon irgendwie satt kriegen! In diesem Haus war noch jeder satt geworden!«
So wurde Brumbusch bestellt. Er wurde mir von seinem Zwinger als sechswöchiger Rüde avisiert, genannt, ›Gregor von Mannheim‹. Unter seinen Ahnen wies er so hochklingende Namen auf wie ›Hilda von Strudelhof‹, ›Asra von der Nußhöhe‹ und ›King George von der Negerhut‹. Auch erfuhr ich, daß es sogar eine ›Fachschaft für Neufundländer‹ gibt.
Gregor von Mannheim kam natürlich nicht in Frage, unser Hund hieß Brumbusch. Ich will es hier gleich bemerken, daß Brumbusch, der bereits in der ganzen Gegend bekannt ist und überall mit Entzücken und Bewunderung begrüßt wird, besonders von den Kindern, nur ›Rumbusch‹ genannt wird. Ich hoffe sehr, dies ist keine Malice gegen seinen Besitzer.
Mit Spannung erwarteten wir den Telephonanruf der Bahn, daß Brumbusch eingetroffen sei. So ein kleiner junger Hund auf einer so weiten Reise in die wilde weite Welt hinein, in einer Kiste! Er mußte sofort erlöst werden. Nachdem wir lange genug gewartet, nachdem wir uns schon eingebildet hatten, Brumbusch sei ein ›Irrläufer‹ geworden, Brumbusch sei unterwegs verhungert und erstickt, kam der Anruf. Uli und ich bestiegen unsere Räder und sausten ab nach Bergfeld, in einem Tempo, das ich mir altem Mann nicht mehr zugetraut hätte. Jede Minute, die Brumbusch früher aus seiner Kiste erlöst wurde, war Gewinn! An diesem Morgen war die Mücke weinend in die Schule gegangen, sie haderte mit ihren Eltern, ihrem Lehrer, dem Himmel, daß sie Brumbusch nicht gleich sofort auf der Stelle sehen konnte. Uli hatte schon Ferien ...
Wir brauchten Brumbusch nicht mehr aus seiner Kiste zu erlösen, die Bahnbeamten hatten es schon getan. Wir trafen den jungen Mann auf dem Bahnsteig, unter Güterwagen herumschnüffelnd, höchst vergnügt schwänzelnd, mit jedem Freundschaft schließend. Unser Stationsvorsteher, der Bahnhofswirt nebst Tochter, zwei Güterbodenarbeiter, etzliche französische Kriegsgefangene, alle beobachteten ihn mit Wohlwollen. Alle lächelten. In den Fenstern des Bahnhofs lagen mehr Lächler und Lächlerinnen. Unser Bahnhofswirt hatte sich nicht lumpen lassen: er hatte Brumbusch nach seiner langen Reise bereits kartenfrei gestärkt.
Mit Hilfe so vieler Männer wurde Brumbusch in meinen Rucksack verstaut, so daß nur sein Kopf heraussah. Ich schwang mich aufs Rad, Uli fuhr als Beobachter hinterdrein, daß Brumbusch auch richtig sitze – und los ging die Fahrt!
An jenem Tage war Brumbusch sechs Wochen alt und wog ganze acht Pfund. Heute ist er elf Monate und wiegt achtundachtzig. Nie wieder werde ich mit ihm in einem Rucksack am sonnigen Seeufer entlang fahren können! Schnöde Menschen, wenn sie mich mit meinem Brumbusch sehen, sagen: »Der gibt mal einen guten Bettvorleger!« Oder noch schnöder: »Wenn die Schlachtebestimmungen noch schwieriger werden, stechen Sie einfach Ihren Brumbusch ab! Der ist soviel wie ein ganz nettes Schweinchen!«
Mit so gemeinen Leuten rede ich natürlich nie wieder ein Wort, denn unterdes ist Brumbusch längst unser aller Freund geworden, ein ganz anderer Freund als der unvergeßliche Plischhund, von einem ganz anderen Charakter, aber schon ebenso unersetzlich wie er.
Seit wir ihn damals im Rucksack heimfuhren, ein kleines hilfloses vergnügtes Haarbällchen, haben wir Freundschaft miteinander geschlossen. Ein paarmal machten wir unterwegs Station, befreiten ihn aus seinem engen Gefängnis, ließen ihn herumlaufen und an Bäumchen und Steinchen riechen. Das hat den lieben Brumbusch nicht gehindert, sein kleines Geschäftchen gerade auf meinem Rücken zu verrichten, und leider war der Rucksack nicht wasserdicht! Nun, solche kleinen Zwischenfälle können eine echte Freundschaft nicht stören.
Heute sind wir – gottlob! – über die Frage der Stubenreinheit hinaus. Grade dabei habe ich gesehen, wie verschieden doch Hunde behandelt werden müssen. Plisch war auch nicht von schlechten Eltern, aber eine Tracht Prügel ab und zu tat ihm nur gut. Wenn sich aber Brumbusch in der Küche verewigt hatte, und ich schlug ihn, so fuhr er mit allen Zähnen auf mich los. Schläge vertrug er nicht, je mehr ich ihn schlug, um so stärker rückte er mir auf den Leib. Als ich sein Vergehen entdeckt hatte, war er schuldbewußt gewesen, jetzt aber war der Anlaß des Schlagens völlig vergessen, er hatte kein Schuldbewußtsein mehr, er wehrte sich. Ich bin überzeugt, ich hätte ihn eher totschlagen können, ehe er mit Wehren aufgehört hätte.
Da lernte ich: einen Neufundländer darf man nicht schlagen, der Hund ist zu edel und zu klug dafür. Ein paar Klapse pro forma zu ein paar strafenden Worten genügen vollkommen. Dann ist er völlig zerknirscht über das Unheil, das er angerichtet hat, geht hinaus auf den Hof und setzt sich dort hin. Trübe sinnt er über seine Schandtat nach, und richte ich wieder ein freundliches Wort an ihn, so kommt er langsam zu mir, setzt sich vor mich hin und reicht mir, mich groß ansehend, seine Pfote.
In der schlimmsten Wachsezeit hatte Brumbusch natürlich stets Hunger, trotz aller Anstrengungen bekam Suse ihn nie satt. Da war es natürlich eine große Verlockung für ihn, wenn unser kleiner Achim mit seinem Butterbrot herumlief und es ihm womöglich noch unter die Nase hielt. Ein paarmal hat er auch zugefaßt und sanft dem Achim das Brot aus der Hand genommen. Aber nachdem ihn Suse deswegen kräftig ausgescholten hat, tut er es nicht mehr. Achim kann Brumbusch das Brot noch so verlockend hinhalten, Brumbusch dreht den Kopf weg und schließt die Augen. Welch ein Opfer! Was für eine Selbstbeherrschung!
Einmal hat Brumbusch mich aber doch recht kräftig gebissen, mir die rechte Hand ziemlich böse zugerichtet, und das kam so: Ich ging mit ihm in einem Wäldchen am Seeufer spazieren, auf einem schmalen Fußpfad, den im Sommer die Waldarbeiter benutzen, der jetzt im Winter aber ganz unbegangen ist. Damals war Brumbusch schon ein recht kräftiger und auch ganz vernünftiger Hund, noch nicht ausgewachsen, aber doch schon seine fünfzig, sechzig Pfund schwer, mit einem herrlichen, sehr scharfen Gebiß. Wir waren schon gute Freunde.
Nun hatte irgendein verdammter Schurke, der wohl seiner Frau ein Fuchs- oder Marderfell besorgen wollte, mitten auf dem Fußweg einen großen Schwanenhals aufgestellt, das ist ein Tellereisen der kräftigsten Sorte. Elender Wilderer der, er ist leider trotz aller Bemühungen des Jagdpächters noch nicht erwischt!
Brumbusch läuft mir voran und tappt in das Eisen. Ein stählernes Zuschnappen, ein wahnsinniges Aufheulen vor Schmerz – und mein Brumbusch saß mit dem einen Hinterlauf im Eisen! Erst kapiere ich gar nicht, was los ist, so was habe ich in all meinen Mahlendorfer Jahren noch nicht erlebt! Tellereisen mitten auf einem Weg! Dann stürze ich herzu, um den jammernden, heulenden Brumbusch zu befreien!
Aber Brumbusch versteht das falsch. In seinem großen dummen Kopf sitzt die Idee, daß ich ihm diesen Schmerz bereite, er fletscht die Zähne und beißt zu. Auch jetzt ist er noch edel und anständig, nicht ganz vergißt er, daß ich sein Freund bin, wenn ich ihm auch weh tue. Er hätte meine Hand zerfleischen können, so beißt er nur einmal kräftig zur Warnung zu ...
Ich habe einen Strick in der Tasche, es gelingt mir, Brumbusch die Schnauze zuzuschnüren. Ich stürze mich auf das Eisen, und Brumbusch hat sich schon wieder von dem Strick befreit und fällt mich von neuem an. Wieder muß ich vor seinen wütenden Bissen zurück.
Ich versuche es immer von neuem, ihn zu befreien, aber es gelingt mir nicht. Es ist ein schweres und großes Eisen, alt, die Feder eingerostet. Ich brauche den Fuß und beide Hände, um die Bügel aufzubiegen, und jedesmal vereitelt das Brumbusch, gegen dessen Angriffe ich mich wehren muß. Ich bin sehr aufgeregt, ich weiß noch, daß ich ihn angefleht habe: »Brumbusch! Ich will dir doch nichts tun! Ich will dir doch helfen, Brumbusch!«
Aber der Hund hört nicht, er ist halb wahnsinnig vor Schmerz.
Schließlich sehe ich ein, daß dies allein nicht zu schaffen ist, ich muß Hilfe holen. Zum Dorf ist es viel zu weit, aber ich erinnere mich, einen Pflüger auf dem Feld gesehen zu haben, eine Viertelstunde ab. Es ist beinahe Mittag, ich flehe, daß Jochen ein fleißiger Pflüger sein möge, noch nicht heimgegangen in den Stall, und ich setze mich in Trab. Hinter mir höre ich ununterbrochen das jammervolle Schmerzgeheul meines Hundes.
Es ist gut zehn Minuten bis zum pflügenden Jochen hin, querfeldein, über Sturzäcker fort, zwei recht stattliche Hügel hinauf und hinunter. Wie ich laufe, in meinem dicken Wintermantel! Ab und zu schlenkere ich das Blut von meiner rechten Hand, die Kälte beißt in den Wunden! Wie ich keuche! Ach, ich bin ein älterer Herr geworden mit einem angefressenen Bäuchlein – so frisch wie vor dreißig Jahren galoppieren wir beide nicht mehr, ich und mein Bauch!
Gottlob ist Jochen fleißig, gottlob pflügt Jochen noch. Mit ein paar Worten sage ich ihm Bescheid, sofort spannt er die Pferde aus. Eines bietet er mir als Reitpferd an, aber ich schüttele den Kopf. Vor vielen Jahren konnte ich ein bißchen reiten, so wie man als Inspektor reiten lernt, aber jetzt möchte ich keinen Sturz riskieren, ich muß heil hin zum Brumbusch.
Wieder trabe ich zurück. Halbwegs holt mich Jochen auf seinem Braunen ein, er galoppiert, als sitze ihm der Teufel im Nacken. Ich lege noch einen Schritt zu, trotzdem ich mich am liebsten glatt auf die gefrorene Erde setzen und nach Luft schnappen möchte. Jetzt lausche ich schon wieder, ob ich Brumbusch noch jammern höre, eine gute Viertelstunde ist mindestens vergangen, seit ich ihn verlassen habe. Eine gute Viertelstunde den Fuß im Eisen, ein blutjunger, unerfahrener, weicher Hund!
In den kleinen Kieferkuscheln am Eingang des Wäldchens hat Jochen seinen Braunen festgemacht. Das Pferd ist unruhig, es wiehert kurz und wirft immer wieder den Kopf. Das Klagegeheul des Hundes macht auch das Pferd nervös ...
Jochen steht einen Schritt ab von Brumbusch, der halb erschöpft jaulend dasitzt, aber noch immer zornig genug ist, jeden mit seinen Zähnen anzufassen! Aber nun geht alles ganz schnell: ich werfe dem Brumbusch eine Schlinge über die Schnauze, ziehe sie zu und halte seinen Kopf fest an mich gedrückt. Jochen tritt auf die Feder, biegt die beiden Halbbögen des Schwanenhalses auseinander – und Brumbusch ist frei! Leise nur noch jammernd hinkt er auf drei Beinen von uns fort.
»Manning! Manning!« sagt Jochen. »Wat ein Glück, nur mit den Zehen hat Rumbusch dringesteckt! Es hätt' ihm den Knochen glatt durchgeschlagen!«
Ja, wir haben Glück gehabt, Brumbusch wie ich, wie es ja überhaupt mein Schicksal ist, im Unglück Glück zu haben. Es ist Brumbusch nichts passiert. Ganz von selbst geht er nach drei, vier Minuten in den See. Und dann zottelt er hinter mir nach Hause, noch etwas zurückhaltend, eine Spur gekränkt, aber schon im Beginn, das ihm angetane Unrecht großmütig zu vergessen. Beide sind wir etwas erschöpft. Ab und zu setzt sich Brumbusch auf die Hinterkeulen, um sich auszuruhen, dann stelle ich mich neben ihn und sage ihm ein paar Worte, daß wir doch noch Freunde sind. Er hebt seine große zottige Vorderpfote und reicht sie mir ...