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Unser Auto war unser Stolz. Aber eigentlich ist ›unser‹ Auto falsch. Es war nie unser Auto, es war immer nur Suses Auto. So wie ich nicht fahren lernen wollte, so wollte ich eigentlich auch kein Auto besitzen. Niemand in meiner Familie besaß ein Auto. In ihrer übrigens auch keiner. In diesen Dingen bin ich wie ein Bauer hier in Mahlendorf. Es war einmal angefragt, wie man in Mahlendorf wohl über einen Bahnanschluß und Bahnhof dächte. Dieser Bauer stand auf und sprach: »Wozu brauchen wir eine Eisenbahn? Mein Vater hat keine Eisenbahn gebraucht, mein Großvater hat keine Eisenbahn gebraucht, ich brauch' auch keine!«
Wozu brauchte ich ein Auto? Ich konnte mir immer ein Auto mieten, es gab Mietautos genug auf der Welt!
Aber wie das so ist im Familienleben: man redet über dies, dann redet man über das, man redet in abweisender Stimmung, und man redet wohlwollend, und plötzlich hat man sich festgeredet. Schließlich war der Weg nach Bergfeld wirklich ein wenig umständlich, besonders bei schlechtem Wetter. Und wir haben keinen Laden im Dorf – man würde viel bequemer einkaufen können, eventuell auch in der Kreisstadt. Schließlich gab man einen Haufen Geld für Mietautos weg. Mit einem eigenen Auto konnte man die Gäste auch selbst von der Bahn holen, man konnte das erzeugte Gemüse und Obst zum Verkauf nach Bergfeld fahren – vielleicht, wahrscheinlich war ein eigenes Auto sogar wirtschaftlich.
Aber all das war schließlich nur Gerede. Man konnte so reden, und man konnte wieder andersherum reden, es folgte nichts daraus. Ich bin ein schwer beweglicher Mensch, so leicht kriegte mich keiner aus Mahlendorf heraus, und in Mahlendorf gab es keine Automobile zu kaufen. Schließlich, wurde die Lage wirklich prekär für mich, konnte ich immer den Finger erheben und sprechen: »Ja, Kinder, alles schön und gut, aber denkt an das liebe Finanzamt! In diesem Jahre können wir es uns bestimmt noch nicht leisten. Erst die Steuern!«
Es war zwar geschwindelt, aber das sollte mir erst einer beweisen! In Buchführung bin ich der Suse bestimmt über, und aus einer guten Buchführung kann man alles beweisen!
Es war natürlich mein ältester Sohn Uli, der mich in den Autobesitz stürzte. Wir waren wirklich einmal in Berlin, und es war gerade Automobilausstellung. Mein Sohn ist nun einmal autobesessen, er kennt alle Automarken der Welt. Er kann mich zu Tode öden, wenn ich mit ihm in der Stadt auf der Straße gehe, und er ruft: »Papa, was ist das für ein Auto, das da kommt? Sag schnell!«
Aufs Geratewohl sage ich dann: »Das wird wohl ein Audi sein, mein Sohn!«
Er stößt einen Entsetzensschrei aus. »Bist du aber dumm, Papa!« (Er meint es ganz ehrlich, das ist keine Redensart bei ihm.) »Das ist doch ein deutscher Kinderwagen! Nun paß aber mal richtig auf, Papa! Was ist das für ein Auto, das da vor dem Haus steht?«
»Ach, laß doch, Uli. Ich habe jetzt keine Schule. Ich habe heute frei.«
»Nein, Papa, ganz wirklich. Mach mal keinen Quatsch, Papa. Das ist ganz leicht, das mußt du wissen!«
Und so weiter, und so weiter – er ist der richtige Bohrer. Und so bohrte er auch so lange, bis wir in die Ausstellungshallen am Kaiserdamm gingen, Suse, er und ich. Was mich angeht, und was Suse angeht, so kann ich es beschwören, daß wir mit keinem Gedanken an einen Autokauf dachten. Wir wollten uns nur so für alle Fälle über die Leistungen der deutschen Automobilindustrie unterrichten. Für meinen Sohn möchte ich da aber nicht die Hand ins Feuer legen.
Dann waren auf der Ausstellung so viele Menschen, alle vergnügt und ein bißchen aufgeregt, ein wenig berauscht von diesem wahr gewordenen Traum der Technik. Um jeden einzelnen Stand drängten sich Dutzende; eine Hand auf der Kühlerhaube standen die Vertreter der großen Firmen da und gaben verbindlich und ein wenig müde lächelnd Auskünfte, die sie schon viele hundert Male gegeben hatten. Manchen aber von den Fragenden sah man an, daß sie ernstlich Käufer waren: mit Besitzermiene öffneten sie die Tür eines Wagens, setzten sich behaglich aufseufzend in die Polster und betrachteten die Sehleute mit einer gemacht gleichgültigen Miene.
Und Papier gab es, Drucksachen gab es! Alle, alle mußte mein Sohn Uli haben, seine Mutter schleppte schon ein Paket, und ich hatte ein Paket, und er hatte nicht nur ein Paket, sondern auch schon alle Taschen so vollgepfropft, daß er ganz verschwollen aussah. Bei jedem Auto, das er erblickte, rief er: »Papa, wäre das nicht ein Wagen für uns –?«
Die Leute sahen auf mich, die Verkäufer sahen auf mich, und Suse mahnte: »Uli, doch nicht so laut!«
Im Flüsterton setzte ich meinem Sohn auseinander, warum dies nicht das Auto für uns sei. Worauf er beim nächsten Stand noch lauter schrie: »Aber, Papa, das wäre doch ein Auto für uns!«
Ich war schon ziemlich erschöpft von dem Gedränge und der Wärme und dem vielen Ansehen und dachte mit Sehnsucht an das Funkturmrestaurant, einen guten Braten und an einen schönen kühlen Mosel. Da schrie Uli wieder: »Aber, Papa, das ist unser Auto! Der ist gerade das Richtige für Landwege, er hat viel mehr Bodenfreiheit als die andern Wagen, und mit seinen neunzig PS zieht er uns auch durch den größten Dreck!«
Die Göttin der Automobilindustrie muß es apart so eingerichtet haben, daß in diesem Augenblick der Stand fast leer war. Der Vertreter hatte jedes Wort aus meines Sohnes Mund gehört und wandte mir ein freundlich lächelndes Gesicht zu.
»Nein, nein, Uli!« sagte ich sehr energisch, um alle Annäherungsversuche zu verhindern. »Der Wagen ist viel zu teuer für mich. Denke doch einmal: acht Zylinder! Was sollen wir wohl mit acht Zylindern anfangen? Der Wagen ist auch viel zu schwer für deine Mutter, solch einen Wagen muß ein Mann fahren!« Ich beobachtete Suse. Ihr Auge hing nachdenklich, mit einer gewissen scheuen Liebe an dem schwarzen Ungeheuer mit seinen roten Ledersitzen. Mir wurde angst.
»Die gnädige Frau will den Wagen fahren?« fragte der Verkäufer da schon. »Aber der Wagen fährt sich spielend! Gnädige Frau, wenn Sie einmal vorne bei mir Platz nehmen wollen –?« »Nein, nein!« sagte ich hastig. »Das hat keinen Zweck! Meine Frau kann gar nicht fahren! Außerdem muß ich jetzt unbedingt etwas essen! Ich falle um vor Hunger!«
»Nur um sich zu orientieren!« meinte der Verkäufer, beruhigend lächelnd. »Für später! Wir könnten Ihnen im Augenblick, glaube ich, gar keinen Wagen liefern; ich fürchte, wir sind völlig ausverkauft.«
»Meine Frau versteht aber nichts vom Fahren!«
Da: die beiden saßen schon vorn und schwatzten von Schaltung und Gang und Kuppelung, und Uli stand auf dem Trittbrett und schwatzte natürlich mit. Niemand dachte an meinen Hunger. Seufzend ging ich an ein Tischchen und schnappte mir einen Prospekt. Ich wollte doch wenigstens sehen, was solche Dinger kosteten ...
Ich sah es, und mein Herz verhärtete sich. Kam gar nicht in Frage! Und überhaupt! Was sollten wir wohl mit einem Auto? Keiner in meiner Familie ... und auch keiner in ihrer Familie ...
Als ich wieder Zeit für meine Lieben hatte, hatten sie den Wagen verlassen.
»Also jetzt gehen wir essen!« erklärte ich mit Entschiedenheit.
»Nur eine kleine Probefahrt«, bat Suse. »Wir wollen bestimmt den Wagen nicht kaufen. Aber der Vertreter möchte mir doch so gerne zeigen, wie leicht sich der schwere Wagen fährt! Er ist so stolz auf ihn! Warum sollen wir ihm die Freude verderben? Es kostet doch nichts!«
»Na, meinethalben«, sagte ich. Aus weiter Ferne grüßten Braten und Mosel.
Wir fuhren los. Vorne saßen Suse und der Vertreter, und Uli hatte sich natürlich dazwischen gequetscht. Ich saß allein hinten, übrigens regnete es gerade. Sie rasten nach Westen hinaus, immer weiter nach dem Westen. Jawohl, dies konnte man Sitzen nennen! Unwillkürlich mußte ich an das kleine Mietautochen denken, in dem wir sonst fuhren. Ich stieß mit meinen Knien ständig gegen die Nase. Hier konnte ich die Beine richtig ausstrecken. Und vor mir war in der Rückseite der Lehne ein herrlicher Aschenbecher eingebaut, in unserm Klapperkasten fehlten immer die Ascher. Man mußte das Fenster einen Spalt breit öffnen, und wenn der Wind es böse mit mir meinte, blies er den Zigarettenstummel zurück, und ich bekam Schelte von Suse.
Dies konnte man wohl Autofahren nennen, wie ein Fürst fuhr ich! Aber eben weil ich wie ein Fürst fuhr, war es nichts für einen Schriftsteller, der von der Feder in den Mund lebte, und dem es trotz aller Buchhaltungskünste noch nicht gelungen war, Geld auf die hohe Kante zu legen. Nein, ganz ausgeschlossen!
Aber unwillkürlich lauschte ich auf Suses Stimme, die so lebhaft mit dem Vertreter sprach wie lange nicht. In der letzten Zeit war Suse nicht mehr recht frisch gewesen, sie hatte auch über ihre Galle geklagt. Es stimmte ja: unser Haushalt in Mahlendorf war mit Vieh und Garten und Acker reichlich kompliziert und brachte ihr übermäßig viel Arbeit. Sie hatte auch endlose Mühe damit, dem geräuschempfindlichen Hausherrn immer die nötige Arbeitsruhe zu verschaffen, die jungen Mädchen waren laut, und die Kinder waren als echte Landkinder noch viel lauter. Suse hätte eine kleine Ablenkung und Auffrischung schon gebraucht.
Aber solch ein Wagen? Nein! Vielleicht ein kleiner ...?
Wir waren längst über die Avus hinweggebraust und fuhren jetzt durch Wannsee. Der Regen hatte nachgelassen, es tröpfelte nur noch, es sah aus, als wollte die Sonne durchkommen. Und plötzlich sah ich ein Schild, ich sah den Eingang zu einem Restaurant. Wie ein Blitz durchfuhr mich eine Erinnerung!
Ich schrie: »Halten! Auf der Stelle halten! Dort vor dem Weinlokal! Wir wollen da zu Mittag essen, ich halte es einfach nicht mehr aus! Bitte, tun Sie uns den Gefallen und essen Sie mit uns! Es kommt ja nicht darauf an, ob Sie eine halbe Stunde früher oder später in die Halle zurückkommen, Sie haben ja doch keine Wagen mehr zu verkaufen!«
Ich lächelte ihn an, er lächelte zurück – und nahm an.
Also aßen wir in diesem Lokal zu Mittag, das heißt die anderen taten es. Ich hatte mir ein Dutzend Krebse bestellt. Suse ist überraschende Entschlüsse bei mir gewöhnt und fragt nicht viel, sie weiß, sie erfährt alles schon zu seiner Zeit. Aber der Herr Vertreter fand doch, daß Krebse für einen so heißhungrigen Menschen nicht das richtige Mittagsmahl seien. Gottlob hatten sie alle drei soviel von Autos zu reden, daß sie mich bald meinen Gedanken und Erinnerungen überließen.
Ja, meinen Erinnerungen ... Ich sah mich in dem großen, dunkelgetäfelten Speisesaal um – ein bißchen modernisiert und aufgefrischt, aber bestimmt derselbe Saal wie vor – nun, wieviel denn? – ja, wie vor dreiundzwanzig Jahren!
Vor dreiundzwanzig Jahren als junger Mann von Zweiundzwanzig hatte ich hier in diesem selben Saal gesessen und hatte ein Dutzend Krebse gegessen. Hergeführt aber hatte mich meine große unvergeßliche Jugendliebe, ich selbst hätte mich nie in ein so elegantes Lokal getraut. Ich kannte sie schon eine ganze Weile, ich verehrte sie, ich liebte sie, ich träumte von ihr, und dreimal schon hatte ich ihre Hand berührt und eine ganze Zeit halten dürfen ...
Sie war eine sehr elegante, mondäne Frau, die sich diese kleine Jugendschwärmerei gern gefallen ließ. Natürlich war sie viel älter als ich. Ich las ihr Gedichte vor, ich kaufte mit ihr ein, ich ging mit ihr ins Theater, jede freie Stunde verbrachte ich bei ihr, und jeden Tag sandte ich ihr Blumen ...
Und eines Tages hatte sie mich in dieses Lokal mitgenommen, zum Essen. Da ritt mich der Teufel, und als ich Krebse auf der Speisekarte sah, bestellte ich mir ein Dutzend.
O ja, ich kannte Krebse, ich hatte Krebse genug gegessen. Auf dem Lande hatten wir sie uns als junge landwirtschaftliche Beamte aus Bächen und Seen geholt, dann hatten wir sie der Mamsell gegeben, die sie uns mit Kümmel kochte, und dann hatten wir sie eben gegessen! Wir hatten die Scheren mit den Zähnen geknackt, wir hatten sie gefressen, wie die Menschenfresser kleine Kinder vertilgen!
Und nun saß ich hier, in diesem überfüllten, feinen Weinlokal, und ich hatte eine Terrine bekommen und eine Tasse, um die Krebsbrühe hineinzufüllen, und einen Teller und ein Krebsbesteck und eine Krebsserviette. Also fing ich an, Krebse zu essen ...
Ich hatte noch nie einen Krebs vom Teller mit Besteck gegessen, und das erste war natürlich, daß ich den Krebs in hohem Bogen ins Lokal schleuderte. Gottlob traf er niemanden. Ein Pikkolo griff ihn sich und brachte ihn mir, keusch in eine Serviette gehüllt. Von da an hatte ich das Gefühl, daß alle Gäste und die gesamte Kellnerschaft mein Krebsessen mit Spannung beobachteten.
Meine liebe, geliebte, verehrte Freundin wurde immer stiller. Schließlich sagte sie gar nichts mehr, sie saß nur da und sah steil auf ihren Teller hinunter. Und ich, meine Lieben, ich hatte zwölf Krebse zu essen, mit dem Besteck, zwölf Stück! Manche erwischte ich auf meinem Schoß, andere auf dem Tischtuch. Aber jeder dritte, vierte entrann mir und wurde mir prompt zurückgeliefert, in eine Serviette gehüllt! Sie sahen mich an, mit ihren dummen schwarzen Knopfaugen, ich haßte sie gradezu! Sie waren einfach nicht zu bewältigen! Ich mogelte auf jede Weise, ich versteckte unverzehrte unter den Schalentrümmern der anderen, ich schenkte mir das Aussaugen der Beine, die beiden letzten ließ ich in der Terrine ...
Ich war mir klar darüber, daß bei meinem Abgang viele Blicke auf mir ruhten. Ich war mir auch klar, daß meine Freundin heftig erregt war. Ungeschickt wie ein junger Jagdhund sagte ich, sobald wir aus dem Lokal waren, mit einem verlegenen Lachen: »Ich glaube, ich habe die Krebse nicht ganz richtig gegessen. Nicht so, wie man sie in Berlin ißt.«
»Das glaube ich auch!« rief meine Freundin. »Und das schwöre ich dir: du wirst nie wieder Krebse mit mir essen!«
»Das nächste Mal will ich gern etwas anderes bestellen«, sagte ich reuig.
»Es wird kein nächstes Mal geben!« rief sie zornig. »Es ist aus mit uns, für immer aus!«
Sie drehte sich zornig um und ging. Sie ging wirklich für immer, ich habe sie nie wiedergesehen, nicht einen meiner flehenden Briefe hat sie beantwortet. Damals meinte ich, das Herz müßte mir darüber brechen.
Und heute – dreiundzwanzig Jahre danach – sitze ich wieder in diesem Lokal und esse wieder ein Dutzend Krebse. Ich esse sie, wie man eben Krebse ißt, kein Mensch sieht sich nach mir um. Niemand bricht deswegen seine Beziehungen zu mir ab. Damals war ich so zerschmettert, ich meinte, nie würde mir etwas im Leben gelingen. Ich taugte zu nichts, nie würde mich jemand lieben können!
Heute habe ich die beste Frau von der Welt. Ich danke meinem Schöpfer, daß mich jene stolze, eitle Pute so hat sitzen lassen! Ich habe drei Kinder, die mich freuen, ich habe meinen Besitz in Mahlendorf. Ich bin doch noch etwas geworden, obwohl ich vor dreiundzwanzig Jahren keine Krebse essen konnte. Und jetzt, in dieser Stunde, hält vor der Tür dieses Restaurants, an jener Stelle, wo sie mich stehen ließ, ein Luxusauto, und wenn ich will, kann ich es mir jede Stunde kaufen!
Ich bin mit meinen Krebsen fertig und ziehe mein Scheckbuch aus der Tasche. Ich schreibe einen Scheck aus, gebe ihn dem Vertreter: »So, das ist gut die Hälfte des Kaufpreises – als Anzahlung. Den Rest bekommen Sie bei Ablieferung – und in vierzehn Tagen spätestens muß ich den Wagen haben!«
»Geht in Ordnung!« lacht er und legt den Scheck in seine Brieftasche. »Das habe ich doch gleich gewußt, daß Sie den Wagen kaufen würden!«
»Was Sie nicht alles wissen!« grolle ich. »Vor zehn Minuten habe ich selbst noch nicht gewußt, daß ich ihn kaufen würde! Hätten keine Krebse auf der Speisekarte gestanden, hätte ich ihn bestimmt nicht gekauft.«
Uli ist so glücklich, daß er mir mitten im Lokal einen Kuß gibt, und Suse drückt mir unter dem Tisch kräftig die Hand. »Ein herrlicher Wagen«, flüstert sie. »Ich freue mich so! Aber was hat er mit Krebsen zu tun?«
Ich lächle nur. »Später«, sage ich.
Aber ist es mir nicht so mit fast allen Dingen in meinem Leben gegangen? Alles, was mir schließlich lieb und teuer wurde, habe ich gegen oder doch ohne meinen Willen bekommen. Da sind die Bienen und mein Besitz in Mahlendorf ...
Eine halbe Stunde später stehen wir auf dem Funkturm und sehen auf die Stadt Berlin hinab. Wir sind alle noch ein wenig aufgeregt von dem überwältigenden Gefühl, Autobesitzer zu sein – und Besitzer was für eines Autos! Das also ist Berlin, diese Stadt, in der wir vor zehn Jahren ganz klein anfingen. »Dahinten im Nebel und Dunst liegt Alt-Moabit, da bist du geboren, Uli!«
Aber Uli hat noch keinen Sinn für Erinnerungen, er lebt nur in der Gegenwart. »Sieh nur all die vielen Autos, Papa!« ruft er. »Sieh bloß, wie sie flitzen!«
Ich, der neue Autobesitzer, sehe die Autos, plötzlich finde ich, es sind reichlich viele. Hier unten an den Ausstellungshallen sind sie zu Hunderten aufgefahren, und neue Tausende streben hierher, gleiten spielzeugklein um die Kurven, überholen Autobusse, stoppen plötzlich an einer Kreuzung ...
Meine Stirn umwölkt sich, schon trübt sich mein junges Glück. Bisher habe ich mein Geschick ohne alles Nachdenken in die Hände jedes beliebigen Fahrers gelegt, nun habe ich plötzlich Sorgen. »Glaubst du denn wirklich, daß du richtig Autofahren lernst, Suse?« frage ich. »Auch so im Großstadtverkehr?«
»Aber natürlich!« sagt sie ganz erstaunt. »Alle lernen es, warum soll ich es nicht lernen können? Prima werde ich fahren!«
Und Uli ruft: »Natürlich wird die Mummi prima fahren, Papa!« Worauf ein ziemliches Durcheinander beginnt. Wohl fängt Suse mit dem Fahrunterricht an, aber dann macht ihr die Galle ernstlich zu schaffen, und sie muß in eine Klinik. Allein reise ich mit Uli nach Mahlendorf zurück und lebe dort als Strohwitwer. Ein Bekannter muß uns den schönen Wagen aus Berlin bringen, nicht als erste sitzt Suse an seinem Steuer. Onkel Herbert nimmt in der Kreisstadt Fahrunterricht, aber Suse hat geschrieben, daß ich ihn keinesfalls an das Steuer ihres Wagens lassen darf, sie will sich den Wagen selbst einfahren.
Dann kommt Suse aus der Klinik zurück, noch ein bißchen blaß, und das erste, was sie mir eröffnet, ist, daß ihre Galle noch gar nicht in Ordnung ist. Sie muß nach Mergentheim, eine Kur gebrauchen.
»Schön«, sage ich. »Dann fahre ich mit; jetzt sind wir lange genug getrennt gewesen.«
Das zweite aber, was mir Suse eröffnet, ist, daß sie in Berlin doch noch ihre Fahrerprüfung gemacht hat.
»Was?!« rufe ich. »Ich denke, du bist krank gewesen?«
»Bin ich auch! Aber meine Fahrerprüfung habe ich trotzdem gemacht!«
Und stolz zeigt sie mir ihren Führerschein.
»Und du kannst richtig fahren? Auch im Berliner Verkehr?«
»Ich habe ja meine Prüfung gemacht! Aber«, setzt sie hinzu, »richtige Fahrpraxis muß ich erst bekommen. Der Führerschein ist ja eigentlich nur eine Erlaubnis, nun allein fahren zu lernen.«
»Schön«, sage ich. »Dann werden wir zusammen im eigenen Wagen nach Mergentheim fahren.«
»Wie –?!« ruft sie und starrt mich an.
»Na ja«, meine ich. »Ist was los? Wir werden doch nicht mehr mit der Bahn fahren, wenn wir ein eigenes Auto haben.«
»Und du meinst, das schaffe ich?«
»Hast du einen Führerschein oder hast du keinen? Na also, du wirst es großartig schaffen!«
»Aber da unten sind, glaube ich, Berge!«
»Ach was, das sind doch alles bloß Hügel! Und wenn auch – was ist denn dabei? Wir fahren eben langsam. Das sage ich dir gleich: hetzen lassen wir uns nicht! Weil der olle Kasten hundertvierzig machen kann, fahren wir noch lange nicht so viel! Wenn da Berge sind, fahren wir sie eben im ersten Gang rauf – so heißt das ja wohl? Und runter bremst du, was du kannst!«
»Gut!« sprach Suse. »Dann will ich die nächste Zeit mal tüchtig üben. Bedenke doch, ich bin noch nie mit einem so starken Wagen gefahren! Mein Fahrlehrer hatte ja nur so eine Nuckelpinne!«
Und Suse übte. Sie übte so tags wie nachts. Sie redete im Schlaf. Mit Schwung warf sie sich von einer Seite auf die andere, und da sie die Arme dabei im großen Bogen mitnahm, langte sie mir eine. Sehr ungnädig weckte ich sie: »Kannst du denn nicht ein bißchen ruhiger schlafen? Eben, wie du dich rumgeschmissen hast, hast du mir direkt eine runtergehauen!«
»Habe ich dich geweckt? Tut mir schrecklich leid! Weißt du, im Traum fahre ich jetzt immer, und plötzlich fährt das Auto unter mir weg, läuft mir einfach fort, wird immer schneller, und ich kann es nicht halten! – Und dann der schreckliche Berg hier im Dorf, gleich hinter dem Durchfluß! Wenn ich ihn halb hoch bin, würge ich den Motor ab, und der Wagen rollt rückwärts. Die Bremse geht nicht, und wir rollen immer schneller bergab ...«
»Soso«, sagte ich. »Das ist ja derselbe Berg, auf dem Pendels immer vom Wagen hopsten, und Frau Pendel mußte das Hellapferdchen mit Sand schmeißen, damit es nicht rückwärts ging. Ich nehme an, Frau Pendel hat auch davon geträumt. – Nun schlaf weiter und, wenn möglich, hau mir nicht wieder eine runter.«
Ich selbst nahm an diesen Übungsfahrten nicht teil. Ich hatte mit meinen Karten zu tun, ich studierte unseren Reiseweg. Es war ausgemacht, daß ich Suses Franz sein sollte, und nicht mehr als das. Ich würde den Wagen durch die Ortschaften durchfranzen, das heißt, ich würde mich um die Wege kümmern: rechts, links, nun gradeaus, kein Wort mehr. Suse sollte sich ganz der Fahrerei widmen können, ohne jede Sorge um den Weg. Und ich würde nie ein Wort über ihre Fahrkünste verlieren. Wir fanden Ehepaare, die sich am Steuer ständig über das Fahren stritten, einfach schrecklich. Das war eben das Gute bei uns: ich selbst konnte nicht fahren. Ich konnte ihr also auch nichts hineinreden.
Dann traten wir unsere große Autoreise an, es war am 29. April 1938, die Sonne schien, das Auto war gefüllt mit Koffern, der ganze Hofstaat stand, lachte und winkte: Knecht, Vieh, Magd, Kind und alles, was unser war. Noch einmal trat Onkel Herbert an den Wagen, er legte seine Hand auf den verletzten Kotflügel, sah zu dem anderen verletzten hinüber, dann meiner Frau bittend ins Auge.
»Keine Angst, Onkel Herbert!« rief Suse. »Wenn wir zurückkommen, ist der Wagen wieder wie neu! Wir lassen es gleich in Berlin machen, jetzt kennen wir ja die Garageneinfahrt, nicht wahr?«
An die Fahrt nach Berlin habe ich nur wenig Erinnerungen, alles ging glatt. Ein wenig beängstigend waren nur die großen Lastzüge, die mit ein, zwei Anhängern uns entgegen gebraust kamen. Sie fuhren so schwindelerregend schnell! Mit unglaublicher Raschheit näherten sie sich, kaum hatten wir sie entdeckt; und je näher sie kamen, um so enger schien die Straße zu werden! Es schien einfach kein Platz mehr für uns zu bleiben!
Stumm sah ich von der Seite auf Suse. Sie sah starr gradeaus, aber ich fühlte, auch sie war nervös. Dann brauste das Untier, donnernd, mit eisernen Ketten schüttelnd, an uns vorbei – wie mir schien, auf Zentimeterabstand. Und war vorüber.
»Mächtige Dinger!« sagte ich zu Suse, sehr gleichgültig. »Richtige Giganten! Nehmen viel Platz weg!«
Sie lachte. »Immer, wenn du deine rechte Hand auf die Wagentür legst, als wolltest du dich festhalten, merke ich, du wirst nervös wegen meiner Fahrerei! Na, laß man, ich werde uns schon heil nach Mergentheim bringen!«
Ich war sauwütend, das mit der rechten Hand war direkt eine Gemeinheit von ihr! Übrigens, wenn ich nervös war, so war ich ihretwegen nervös, nicht meinetwegen! Ich hatte keine Angst, aber ich wollte eine erstklassige Fahrerin bei mir haben. Ich wollte nicht, daß etwas passierte. Ich hasse Scherereien mit den Behörden. Meine vorsorgliche Phantasie malte mir schon aus, was geschehen mußte, wenn Suse der Führerschein entzogen wurde. Vermutlich würden wir den Wagen wieder abschaffen müssen. Suse würde es nie ertragen, Onkel Herbert an dem Steuer zu sehen, an dem sie versagt hatte! Düster lag die Zukunft vor uns, während wir, im Besitz eines gänzlich unbefleckten Führerscheins, durch das sonnenglänzende Land fuhren.
Nun, schließlich kamen wir nach Berlin, in die Werkstatt und in die große Halle. Wie Suse den Wagen da hereingekriegt hat, zwischen all die anderen Wagen, bei diesem Toben, Gerassel, Riemengesurr, ist mir noch heute rätselhaft. Genug, da stand er, und die erste Etappe unserer großen Reise war vorüber!
Wir schlossen Freundschaft mit dem Meister, aber trotz aller Freundschaft versicherte er uns, daß wir erst am 3. Mai weiterfahren könnten, eher würden die Kotflügel nicht wieder in Ordnung sein. Wir ergaben uns in unser Schicksal, zogen in ein Hotel, und ich für mein Teil suchte die am 3. Mai wieder beginnende Reise völlig zu vergessen. Das war besser, als sich immerzu Schrecknisse auszumalen, die dann nie eintraten.
Natürlich überraschte mich auch der Zwischenfall am Morgen des 3. Mai vollkommen. Dies hatte ich mir nun wirklich nicht eingebildet! Mit einem spiegelnden, makellosen Auto verließen wir die Werkstatt, keine Spur war mehr zu sehen von den häßlichen Beulen. Wir fuhren los und suchten den Kaiserdamm, und damit die Straße nach Wittenberg. Nun bin ich ein alter Berliner, wenn auch kein gebürtiger. Viele Jahre meines Lebens habe ich in Berlin gelebt und kenne es gut, vor allem kenne ich den Westen wie meine Tasche. So sagte ich denn auch ganz selbstsicher der Suse: »Da vorn an der Ecke mußt du rechts abbiegen!«
»Du, hör mal«, sagte sie. »Ich glaube aber, wir müssen gradeaus ...«
Suse ist Hamburgerin, zwar auch keine gebürtige, aber usw.
»Na!« sage ich empört. »Kennst du Berlin, oder kenn ich es?! Außerdem bin ich dein Franz, und du hast zu fahren, wie ich sage!«
Also bog Suse nach rechts ein, sie ist eben doch ein braves Eheweib (viel zu brav).
Nach hundert Metern sehe ich meinen Irrtum ein. »Du, Suse«, spreche ich wiederum. »Halt mal lieber an. Wir hätten doch gradeaus fahren müssen, du hast ganz recht gehabt. Ich weiß wirklich nicht, wie ich auf den Blödsinn verfallen bin ...«
Wir hielten und betrachteten die Straße. Es war eine schöne, normalbreite Straße, völlig verkehrsfrei, auch ohne wesentliche Hindernisse. Nur ein einsamer Tempokarren, mit Gemüse beladen, stand an unserer Straßenseite.
»Ich kehre einfach um!« schlug Suse vor.
»Dann laß mich erst aussteigen, damit ich den Wagen dirigiere«, sagte ich. »Du weißt, er ist ein bißchen sehr lang.«
Ich stieg aus, und Suse versuchte, in einem kurzen Bogen zu wenden. Es gelang ihr nicht ganz, sie mußte doch zurücksetzen.
»Zurück! Zurück!« kommandierte ich und winkte so einladend mit flachen Händchen, wie ich es viele Male bei ernsten Fachleuten gesehen hatte. »Noch ein Stückchen zurück! – Ach ...«
Ich hatte etwas zuviel gewinkt, oder Suse hatte zu stürmisch zurückgesetzt (wir haben die Schuldfrage bisher noch nicht ganz geklärt, jedes von uns behauptet, die Schuld zu haben) ... Unser großer Wagen schien den Tempokarren kaum zu berühren, aber schon kippte er und fiel, Obst und Gemüse auf die Straße streuend ...
Ich stand da und starrte Suse an.
Suse saß am Steuer und starrte mich an.
»Nein, so was!« rief sie dann. »Ich kann ihn kaum angetippt haben!«
»Ein dämliches Ding!« sagte ich. »Das mit seinen drei Rädern!« Ich sah die Straße auf und ab: kein Mensch in Sicht, kein Fuhrwerk. Ich schielte nach dem Gemüseladen: still blieb die Tür geschlossen. Einen Augenblick schwankte ich, dann sprach ich: »Also wende jetzt, Suse, du kommst nun gut rum. Ich gehe unterdessen da rein und bringe die Sache in Ordnung!«
Hinter dem Ladentisch stand ein dicker Mann, sichtlich Berliner, aber der ungemütliche, der bullrige Typus. Vor dem Ladentisch stand ein altes Frauchen mit einer Wachstuchtasche und einem jener schwarztuchenen, mit Schmelzperlen bestickten Umhänge, die nicht auszusterben scheinen. Der Dicke warf aus geröteten Augen einen kurzen Blick auf mich und vertiefte sich wieder in seine flüsternde Unterhaltung mit dem Weibchen.
»Hören Sie mal, Meister!« sprach ich. »Haben Sie wohl einen Augenblick Zeit für mich?«
»Momang!« sagte er kurz und flüsterte weiter.
»Ich habe nämlich Ihren Tempokarren umgeschmissen!« ergänzte ich meine Rede.
»Wat –?!« sagte er und starrte mich an. Auch das Weiblein starrte mich an, mit seinem weißen, zerknitterten Gesichtlein.
»Das heißt«, fuhr ich immer rascher fort, denn sein Stillschweigen bekam etwas Beängstigendes, »eigentlich hat's meine Frau getan. Aber ich war schuld. Mit unserem Auto haben wir's getan!«
Er starrte immer noch, als verstünde er mich nicht, als hielte er mich für wahnsinnig. Ich schlug vor: »Vielleicht kommen Sie raus und sehen sich die Sache an?«
Allmählich fing er an, wieder Vertrauen zu seinen Ohren zu gewinnen.
»Dadruff verlassen Se sich! Dadruff fressen Se'n Besen! Det seh ick mir an! Meinen Wagen umjeschmissen! Jibt's denn sowat?! Und det Jemüse –?«
»Ein bißchen ist auch runtergefallen«, sagte ich und ging voran, aber in einigem Abstand, denn er kam jetzt langsam ins Kochen.
Dann stand er am Tatort. Er sah auf die Äpfel und Apfelsinen, er betrachtete mich, schüttelte den Kopf. Er sah seinen Karren von der Seite an (es war ein sehr alter Karren), sah zum blinkenden Auto mit meiner Frau hinüber, schüttelte wieder den Kopf. Er versuchte den Karren aufzurichten – zu seiner Überraschung gelang es ihm sofort. Rasch sagte er: »Die janze Farbe is runter! Wie ham Se det bloß anjestellt?!«
Die ganze Farbe war wohl schon seit etlichen Wintern herunter, trotzdem sagte ich friedfertig: »Ich ersetze Ihnen natürlich allen Schaden. – Es kam beim Umwenden. Wir sind nämlich das erste Mal mit unserem Wagen in Berlin.«
Er sah mich prüfend an, dann sah er wieder nach unserem Prachtgefunkel hinüber. »Wat denken Se denn«, fragte er ziemlich milde, »wat Se dafor anlejen möchten?«
»Ich habe so an zwanzig Mark gedacht«, schlug ich vor.
»Zwanzig Mark!« rief er und sah mich vorwurfsvoll an, »wo det janze Jemüse und Obst uff de Straße liejt! Und alle Farbe is ooch runterjeschrammt von meinen Wagen!«
Er bestand darauf, seinen Tempokarren Wagen zu nennen.
»Na, also fünfundzwanzig«, sagte ich friedfertig.
»Unter dreißig jeht's nich, Herr Nachbar«, sagte er. »Ick weeß ja noch jarnich, wat Se alles an die Maschine zertöppert ham!«
»Also schön«, sagte ich und reichte ihm dreißig Mark. »Dann ist's aber auch erledigt. Nichts für ungut, Herr Nachbar.«
»Is in Ordnung«, sagte er und sah mir nach, wie ich ins Auto stieg.
»In Ordnung!« sagte ich auch zu Suse. »Fahr los!«
»Heh, Herr Nachbar!« rief er da.
»Was ist denn noch?« fragte ich etwas ärgerlich, einen neuen Aderlaß erwartend.
Aber er kam über den Damm, die Arme voll Äpfel und Apfelsinen. »Nehmen Se doch 'n bißken von dem Obst mit for die junge Frau«, sagte er und packte das Obst auf den Rücksitz. »Ham Se 'nen Schreck jekriegt, junge Frau? Det müssen Se nich! Is ja jar nischt passiert! – Det muß Laune machen in so 'nem Wagen! Na, denn man weiter jute Reise, junge Frau!«
»Sind doch großartige Leute, die Berliner!« sagte ich nach einer Weile langsamer Weiterfahrt zu Suse.
»Wieviel hast du ihm denn gegeben?« erkundigte sich Suse.
»Hmm – dreißig Mark ...«
»Für dreißig Mark wäre ich auch großartig gewesen«, meinte Suse. »Wir haben seinem Karren doch gar nichts getan!«
»Aber sein Obst lag auf der Straße, Suse!«
»Darum verkauft er's seiner Kundschaft doch und nicht einen Pfennig billiger! Dreißig Mark – ich muß schon sagen! Manchmal schmeißt du das Geld direkt zum Fenster hinaus!«
»Ich will eben keine Scherereien haben!« meinte ich gekränkt. »Und das sage ich dir, Suse: jetzt fahren wir ganz langsam und vorsichtig. Wir haben nicht die geringste Eile, und wenn wir nicht in drei Tagen nach Mergentheim kommen, so brauchen wir eben vier oder fünf.«
Aber wir entdeckten, daß auch langsames und vorsichtiges Fahren seine Schwierigkeiten hatte. Wir waren jetzt auf dem Kaiserdamm und hielten uns auf einer Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen fünfzehn und zwanzig Kilometern. Wir erregten Aufsehen, dies ließ sich nicht verkennen. Aus überholenden Autos wurde neugierig in unseren Wagen gesehen, die Ursache solchen Leichenwagentempos zu erkunden. Ein Herr winkte anfeuernd Suse mit der Hand zu. Zornig, ungeduldig, nervtötend hupten hinter uns Fahrer, deren Bewegungsdrang wir hemmten. Ein Schupo an einer Straßenkreuzung sah uns ernst und forschend an. Dann überholten uns ein paar Eingequetschte, drohten zornig, einer beschimpfte Suse ...
»Also fahr schon schneller, Suse«, sagte ich mit einem Seufzer. »Wir halten den Verkehr auf.«
Also fuhren wir schneller, die Nadel des Tachometers bewegte sich jetzt zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Wir kamen uns sehr schnell vor. Gottlob ließen wir nun bald Berlin hinter uns, die Straße wurde freier. Auch Potsdam, das mit seinem Straßengewirr wie ein Alpdruck für mich als Franz war, wurde überwunden und uns ständig auf dreißig Kilometern haltend durcheilten wir die Mark.
Bei Wiederitzsch erreichten wir die Autobahn, und nun waren wir ganz glücklich, ich jedenfalls. Kein anderer Verkehr behinderte uns, keine Kreuzungen waren zu beachten, der Franz blieb beschäftigungslos. Wir steigerten unser Tempo auf vierzig Kilometer und sahen uns an und lachten vor Glück. Suse meinte, manchmal habe sie wieder das Gefühl, der Wagen laufe unter ihr fort ... Also setzte sie die Schnelligkeit herunter, und wir fuhren wieder mit dreißig ...
Eine ununterbrochene Kette von Autos überholte uns. Viele wandten beim Vorbeifahren ihre Gesichter nach uns, der große starke Wagen, der wie eine Schnecke kroch, erregte wohl Erstaunen.
»Wie sie rasen!« sagte ich verächtlich. »Solche Raserei finde ich einfach blöd! Die können doch überhaupt nichts von der Landschaft sehen! Nein, danke schön, wir fahren mit Genuß Auto! Schließlich ist Fahren nicht Selbstzweck.«
Während wir derart dahinfuhren, und das sächsische Land sich immer schöner in ein waldiges, hügeliges Thüringen entfaltete, während die Sonne uns treu blieb, und ich voller Genuß eine Zigarette nach der andern rauchte – während alledem suchte Sorge jetzt Suse heim. »Hörst du nichts?« fragte sie.
»Nee«, sagte ich. »Was soll ich denn hören?«
»Der Motor klingt so komisch! Hör mal genau hin!«
Nachdem ich eine Weile genau hingehört hatte, fand ich auch, daß der Motor komisch klang. »Stimmt, Suse«, sagte ich, ganz Fachmann. »Da ist irgendwas nicht in Ordnung! Fahr mal an den Straßenrand und halte!«
»Ich glaube, wir dürfen nicht mitten auf der Autobahn halten!«
»Na, erlaube mal!« empörte ich mich. »Die können doch nicht verlangen, daß ich wegen ihrer Bestimmungen meinen Wagen kaputtfahre! Fahre an den Straßenrand!«
Suse tat es, und wir stiegen aus dem Wagen. Wir klappten die Motorhaube hoch und sahen jeder von einer Seite den Motor an. Dann betrachteten wir uns, über den Motor fort.
»Es ist zu dumm«, klagte Suse, »daß man nichts von der Maschine versteht!«
»Vielleicht ist eine Zündkerze verrußt«, sagte ich, denn ich habe an meinem Ruderboot einen Außenbordmotor, und wenn der nicht gehen will, nehme ich die Zündkerze und reibe sie mit einem Lappen ab. Manchmal hilft's, manchmal hilft's nicht. Ich suchte den Motor nach der Stelle ab, wo die Zündkerzen sitzen konnten, ich faßte ihn an. »Au!« sagte ich. »Verdammt heiß! Kommt mir viel zu heiß vor!«
Eine neue Idee hatte mich erfaßt: der Kühler! Daß im Kühler Wasser sein mußte, das wußte ich. Also schraubte ich den Kühlerverschluß auf und – ein sanftes Dampfwölkchen stieg auf und verging!
»Suse!« rief ich aufgeregt. »Da haben wir den Salat! Das Wasser kocht ja beinahe! Der Motor hat sich heiß gelaufen! Wir sind viel zu schnell gefahren!«
»Aber ich bin nie schneller als vierzig gefahren, und meistens nur dreißig! Das muß der Motor doch aushalten! Er soll doch sogar hundertvierzig hergeben!«
»Nicht in diesem neuen Zustand!« erklärte ich eisern. »Jedenfalls kocht das Kühlerwasser beinahe, du hast es selbst gesehen! Wir müßten kaltes Wasser nachfüllen können!«
Ich sah mich suchend um, aber da waren nur Bäume und Gras.
»Dann hilft es nichts«, entschied ich, »dann müssen wir eben eine halbe Stunde halten und dem Motor Zeit geben, auszukühlen. Macht nichts, Suse. Die Sonne scheint so schön, und wir haben alle Zeit, die Gott werden läßt!«
Wir saßen aber kaum drei Minuten auf dem Waldabhang in die Musterung, der vorüberbrausenden Wagen vertieft, als ich eine neue Idee hatte. »Weißt du was, Suse«, rief ich. »Wenn wir ordentlich mit den Wagendecken Wind machen, kühlt der Motor schneller ab. Ich möchte doch nicht gerne, daß ihm was passiert.«
Vielleicht war Suse nicht ganz überzeugt, aber für ihren geliebten Wagen war ihr nichts zu viel, und so standen wir bald, jeder auf einer Seite des Motors, und wedelten mit den Wagendecken, als seien wir die Flaggenschwinger auf einem eidgenössischen Bundesfest.
Ein vorüberbrausender Herrenfahrer hielt das wohl für ein Notsignal. Er bremste seinen Wagen, daß er schrie, und kam zu uns gelaufen.
»Ist was los?« fragte er. »Kann ich Ihnen was helfen?«
»Sehr freundlich«, sagte ich und schwang meine Decke unermüdlich weiter. »Unser Motor ist ein bißchen heiß geworden, und wir kühlen ihn ab!«
Er sah mich an, sah mich an – nun, ich hätte alle Ursache gehabt, mich durch diesen Blick beleidigt zu fühlen. Aber ich war es gar nicht, ich erklärte, weiter Luft fächelnd: »Wissen Sie, der Wagen ist noch ganz neu. Wir möchten nicht, daß ihm was passiert, und wir sind die letzten beiden Stunden ein bißchen flott gefahren.«
»Wie schnell sind Sie denn gefahren?«
»Nicht ich«, wehrte ich ab, »meine Frau. So zwischen dreißig und vierzig Kilometer.«
»So!« sagte er, und diesmal sah er Suse an. Sie hatte das Schwenken aufgegeben und sah ihn wieder an.
»Es ist eben das Dumme«, sagte sie jetzt, »daß weder mein Mann noch ich was von der Maschine verstehen.«
»Natürlich!« sagte er und tauchte seinen Finger in den Kühler.
»Achtung!« schrie ich. »Das Wasser ist am Kochen!«
»Kaum warm«, stellte er fest. Er lächelte. Ich fand, er lächelte gradezu dreckig, aber Suse schien es nicht zu finden, sie lächelte auch. »Also, gnädige Frau«, grinste er, »wenn Sie in Ihrem flotten Tempo von vierzig weiterfahren (es können aber auch sechzig werden), dürfen Sie ruhig ohne Anhalten bis München weiterfahren, und Ihrem Motor passiert nichts, das garantiere ich Ihnen. Das Kühlwasser darf ruhig auf achtzig, neunzig Grad kommen, das tut dem Motor nur gut. Wünsche weiter angenehme Fahrt!«
Er zog seine Mütze und ging.
Stumm legte ich die Decken zusammen, ohne Suse anzusehen, ich schloß die Motorhaube und schraubte den Kühler wieder zu. Dann setzte ich mich auf meinen Platz und bumste die Tür. Es ist recht gut, daß man Autotüren schlagen muß, es fällt nicht auf und ist doch ein Ventil ...
Ich fühle, daß mich Suse von der Seite ansieht, aber ich denke nicht daran, zu reagieren. Ich habe den Bauch voll Zorn. Sie ist sofort zu diesem superklugen Autofachmann übergegangen, hat mit ihm über ihren Trottel von Mann gelächelt.
»Na, wird's bald?« knurre ich. »Wir wollen doch heute noch bis Eisenberg!«
»Nach München!« schreit Suse beinahe vor Lachen. »Nach München! Im Vierzig-Kilometer-Tempo! Ach, Junge, was haben wir uns blamiert!«
»Das magst du wohl sagen!« lache jetzt auch ich. »Er muß uns für Vollidioten gehalten haben, wie wir da mit den Decken gewedelt haben!«
Ich hatte Eisenberg als Nachtquartier nach der Karte ausgesucht. Die Stadt schien nicht groß zu sein und lag ein Stückchen von der Autobahn ab. Also war sie wohl nicht so überlaufen und hatte keinen übermäßigen Straßenverkehr.
Aber natürlich kam alles ganz anders. Wohl lag die Stadt ein Stück entfernt, aber grade dieses Stück Straße wurde frisch geschottert, Straßenwalzen waren da, Straßenarbeiter, Sprengwagen, Pferdegespanne mit Schotter und Sand. An all dem zwängte sich auf einem schmalen Sommerweg der ganze Verkehr von und zu der Autobahn vorbei. Suse fuhr meisterhaft. Es passierte uns auch gar nichts. Nur mit der Spitze des Kotflügels faßten wir ein Schottersieb, das Sieb machte einen überraschenden Satz, drehte sich um seine Achse und stürzte polternd. Es hatte aber niemand gesehen, auch war dem Sieb nichts geschehen. So war kein Anlaß, auszusteigen und jemanden zu suchen, der dreißig Mark annahm.
Wir kamen nach Eisenberg hinein. Natürlich hatten die Fabriken grade geschlossen, und die Straßen waren überfüllt von Fußgängern und Radfahrern. Ich möchte wissen, ob erfahrenen Autofahrern das Unheil auch so treu bleibt wie uns, aber wahrscheinlich halten erfahrene Autofahrer Anhäufungen von Radfahrern für kein Unheil. Wir schoben uns langsam hindurch, viel schneller als die Radfahrer waren wir auch nicht.
Ich hatte gehofft, ein Hotel am Rande der Stadt zu finden, aber wir mußten ganz hinein, einen steilen Berg durch eine immer enger werdende Straße hinauf.
»Das ist unser Hotel!« rief ich endlich erlöst, und wir hielten.
»Geh gleich rein«, sagte Suse, »und frag, ob sie ein Zimmer frei haben. Und vor allem frage nach einer Garage. Ich sehe hier gar keine Möglichkeit für eine Garage.«
Sie hatten ein Zimmer frei, und der Kellner war bereit, uns die Garage zu zeigen. Ich nickte Suse zu, als wir aus dem Hotel traten. Der Kellner führte mich zu einer Straßenecke. »Da runter«, sagte er gleichgültig und eilig. »Und wenn Sie ganz unten sind, bei der gelben Mauer, steht links ein Tor auf, da kommen Sie auf den Garagenhof.«
Er drehte um und ging ins Hotel, als sei gar nichts dabei. Aber es war was dabei. Ich sah die enge Einbahnstraße zwischen zwei Häuserwänden hinab. Hiergegen war der Pendelsche Sandschmeißberg, von dem Suse so oft geträumt hatte, eine sanfte Böschung! Es ging steil, steil hinab, und unten, wo die gelbe Mauer anfing, schien nicht die geringste Möglichkeit zu sein, im scharfen Winkel abzubiegen. Einen Augenblick erwog ich die Möglichkeit, diesem Hotel zu entfliehen und ein anderes zu suchen. Aber ich verwarf sie.
»Na, Suschen«, sagte ich so munter wie nur möglich. »Unter kommen wir hier, und Garagen haben sie auch. Nur ein bißchen schwierig ist's reinzukommen. Ich glaube, wir haben's mit den Garagen!«
Und ich schilderte ihr den Weg.
»Laß mich selbst sehen«, sagte sie und ging hin. »Schön!« sagte sie nur und setzte sich ans Steuer. Sie hatte den Mund fest geschlossen und fuhr los, ohne rechts und links zu sehen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr der abendliche Verkehr die Einfahrt in die hohle Gasse frei gab. Dann fuhr sie abwärts, ich sah das rote Stopplicht leuchten. Ich war nicht mitgefahren, ich stand oben, ich hätte sie nur nervös gemacht. Als ich laufend unten ankam, stand der Wagen schon in einer Garage.
»Großartig, Suse!« rief ich. »Ging's schwer?«
»Ach was, schwer!« sagte sie. »Alles geht!«
Aber wir hatten es in dieser ersten Zeit wirklich mit den Garagen. Ich übergehe den ganzen nächsten Tag, an dem wir durch Sonne und strömende Aprilschauer fuhren. Ich übergehe die sich immer wieder festklemmenden Scheibenwischer, denen ich immer von neuem einen Schubs versetzen mußte. Wir verließen bei Nürnberg die Autobahn (weil sie nämlich damals noch nicht weiterging) und schlugen uns auf Chausseen durch immer südlichere, ganz ungewohnt aussehende Dörfer bis nach Schwabach durch. Da wir hier unsere Tagesdosis von zweihundertfünfzig Kilometern geschafft hatten (genau wie gestern in gut zehn Stunden), so beschlossen wir, in Schwabach zu übernachten.
Es war ein äußerst sympathischer Ort, schon weil er völlig eben lag, also keine Schluchten als Garageneinfahrt haben konnte. Eng konnte aber darum diese Einfahrt doch sein. In dem von uns erwählten Hotel ging die Einfahrt über einen sehr engen Hof, auf dem noch Biertonnen und Gartenstühle standen. Wäsche hing an der Leine. Wie der Friedrich uns zeigte, mußte man in einem rechten Winkel über diesen kleinen Hof in die Garage. Der Friedrich war übrigens eine Friederike, ein starkknochiges bayrisches Weib ...
Suse fuhr vorwärts und rückwärts, schlug rechts ein, links ein, setzte vor – und wir rannten, die Friederike und ich, und räumten je nach Bedarf Fässer und Gartenstühle aus einer Ecke in die andere, hoben die Wäscheleine hoch ... Es war für mich ein erhebender Moment, als der rückwärts fahrende Wagen drohte, eine Biertonne gegen die Wand zu quetschen. Mutig sprang die bayerische Maid dazwischen, stemmte die Schulter gegen den neunzigpferdigen Wagen und drückte dagegen! Gottlob bremste Suse grade, sonst hätten wir das Weib an der Wand platt gedrückt!
Als auch das zweite Garagentor aus den Angeln gefahren war, gaben wir den Kampf auf und ließen den Wagen auf dem Hof stehen. Nichtsdestoweniger fanden wir auf unserer Rechnung am nächsten Morgen (neben sechs Mark für Reparatur der Garagentore) drei Mark für Garagenmiete. Wir diskutierten den Fall. Suse war für Reklamation, ich aber als Juristensohn sah den Fall sachlicher: dadurch, daß wir auf dem Hof hielten, blockierten wir die Garageneinfahrt, machten also die Garage für andere unbenutzbar, mußten also zahlen. Wir zahlten!
Der nächste Tag war nur eine Kleinigkeit! Hundertzwanzig Kilometer Weg brachten uns auf schönen, aber schmalen Straßen, an Weinhängen entlang durch das Taubertal nach Mergentheim. Ich hatte Suse glänzend durchgefranzt, sogar eine Umgehungsstraße um das enge, winklige Rothenburg hatte ich entdeckt! Am Ziele angelangt, verfuhren wir uns natürlich noch, ängstigten den Wagen auf steilen, kurvenreichen Wegen einen Berg hinauf, um zu entdecken, daß das, was wir für ein Sanatorium gehalten hatten, eine Kaserne war. Aber jetzt konnte uns selbst eine Talfahrt nicht mehr schrecken. Wir fanden das Sanatorium, und so ziemlich unser erstes war die Erkundigung nach der bestellten Garage. Sie lag fünf Minuten entfernt, auf einem Garagenhof.
Suse und ich, wir sahen uns an. Wir gedachten des Garagenhofes mit Biertonnen und Gartenstühlen in Schwabach, wir gedachten des Höllenschlundes in Eisenberg, wir gedachten unserer schiefen Garageneinfahrt in Mahlendorf – welche Prüfung stand uns nun in Mergentheim bevor?
Noch waren die Kotflügel in jenem schwarzglänzenden vollendeten Zustand, in dem wir Berlin verlassen hatten, bisher hatten wir nur ein bißchen mit der Stoßstange operiert!
Aber dann leuchteten unsere Augen, als wir auf dem Mergentheimer Garagenhof hielten. Das war ein Hof wie ein Exerzierplatz, flach wie die Hand, und die Garagen waren so geräumig, daß auch der größte Wagen spielend Platz hatte! Wir sahen uns zufrieden lächelnd an, Suse setzte sich ans Steuer, gab Gas, flitzte in die Garage und – schramm! kratz! schramm! – schlitterte sie an der rauh geputzten Seitenwand entlang! Hinüber der rechte Kotflügel! Und wie hinüber!
Ich habe Suse selten so wütend gesehen! Wütend über sich selber. Den ganzen Rückweg zum Sanatorium beschimpfte sie sich mit den schmählichsten Ausdrücken! Ich hatte ernste Befürchtungen wegen einer Gallenkolik!
Schließlich beruhigte sie sich und konnte sogar über ihr Mißgeschick lachen. Suse ist nicht die Spur nachtragend, auch nicht sich selbst gegenüber. Und dieser Frühsommer war so schön, und Mergentheim sah bezaubernd aus, und wir waren so glücklich dort, und die Kur schlug gleich gut an, und wir bekamen die besten Nachrichten von den Kindern, und selbst ich fand das Essen ausgezeichnet, trotzdem ich zur Gesellschaft auch Diät aß – nein, es war eine gute Zeit. Ich hatte keinerlei Sorgen, nicht einmal eingebildete.
Jeden schönen Tag zogen wir unser Auto aus der Garage, jeden Tag passierte Suse einwandfrei Aus- wie Einfahrt, und jeden Tag fuhren wir in das herrliche Land. Fünfmal sahen wir die Grünewaldsche Madonna in Stuppach, wir sahen den Riemenschneiderschen Altar in Creglingen, wir fuhren an der Tauber entlang, an der Jagst, wir sahen den Main ...
Aber eines Tages faßte uns Norddeutsche Sehnsucht nach weiteren Wasserflächen, und ich suchte und fand auf der Karte einen Ort Rot am See, und wir fuhren nach Rot am See, um endlich wieder am Wasser zu sitzen. Wir kamen nach Rot und suchten den See, fanden ihn nicht und erfuhren schließlich, daß es hier vor vielen, vielen Jahren einen See gegeben hatte, daß jetzt aber Ackerboden gepflügt wurde, wo Wellen gelaufen waren.
Wir vergaßen unsere Sehnsucht nach Wasser wieder und fuhren nach herrlichen Orten, die Ochsenfurt hießen und Mulfingen und Schmerbach, und wir saßen in der Barockkirche von Bartenstein. Durch die offene Kirchentür fiel die Sonne herein, das Chorgestühl war herrlich geschnitzt, und wir fanden das Leben auch herrlich!
Und all das verschaffte uns unser Auto! Die Kur brauchte Suse kaum zwei Stunden Zeit zu lassen, und schon fuhren wir los und sahen etwas Schönes. Jeder Ort hatte etwas Schönes oder doch etwas, was für uns Wasserkantenmenschen ungewohnt und köstlich anzusehen war. Wir liebten unser Auto.
Fährnisse gab es für die Unerfahrenen noch immer. Wir fuhren auf einem Nebenweg über ein Hochland und plötzlich fiel das Land steil ab, tief unten schäumte die Jagst, wir sahen ein Dörfchen liegen. In engen steilen Serpentinen zog sich der Weg zum Tal, und wir fuhren bergab, und in einer Kurve, einer richtigen Haarnadelkurve bekam Suse den Wagen nicht herum und brachte ihn grade noch einen Meter vorm Absturz zum Stehen! Da hielten wir und waren zu Ende mit unserer Kunst, denn Suse sagte: »Wenn ich jetzt die Bremse losmache, rollt der Wagen schon über den Absturz, ehe ich den Rückwärtsgang eingeschaltet habe! Was machen wir bloß? Rum kriege ich ihn im Vorwärtsgang nie!«
Nun, ich sitze jetzt hier an meinem Schreibtisch, wir sind nicht über den Absturz gerollt, Suse hat den Wagen also doch wohl rum oder rückwärts gekriegt, ich erinnere mich nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch, daß wir am Schluß dieses Serpentinenweges auf einer langen wackligen Holzbrücke, die völlig geschlossen wie ein Tunnel war, die Jagst überfuhren, trotzdem am Anfang der Holzbrücke ein Schild stand: Nur bis 1,5 Tonnen Gewicht. Unser Wagen aber wog leer schon dreiunddreißig Zentner. Wir debattierten natürlich darüber. Ich war so sehr gesetzestreu. Als aber Suse mir klarmachte, daß Gesetzestreue zurück und hinauf über den Serpentinenweg hieß, da war ich nicht mehr gesetzesgetreu, und wir fuhren über die Brücke mit fast zwei Tons.
Schöne Tage, unvergeßliche Tage! Es ist mir heute, da ich dies schreibe, als habe an jedem einzelnen von ihnen die Sonne geschienen. Und doch muß es Regentage gegeben haben, denn wir fanden die Zeit, den Wagen in eine Werkstatt zu bringen und den Kotflügel wenigstens ausbeulen zu lassen. Lackiert sollte er dann am Schluß der Reise in Würzburg werden, in Mergentheim war keine Autolackiererei.
Im allgemeinen fuhren wir beide sehr einträchtig durch die Lande. Ich war nicht mehr so nervös und reizbar, auch mir hatte die Kur gut getan. Aber ein sehr sanfter Mensch werde ich in diesem Leben kaum mehr werden – es sei denn, daß ich jenseits der hundert Jahre vertrottele –, und namentlich als Franz war ich völlig Diktator. Da gab es keine Diskussion, ich kommandierte Rechts! und Links!, und so mußte ohne Mucken gefahren werden.
Bis der Himmel dafür sorgte, daß auch auf diesem Gebiet meine Diktatur gelockert wurde, und ich einen Pflock zurückstecken mußte. Es war an einem schönen Sonntagmorgen, und wir wollten eine Freundin zur Bahn fahren. Der Ort, in dem diese mit zwei schweren Handkoffern bewaffnete Freundin die Bahn besteigen wollte, hieß Lausa – schon der Name hätte mich warnen sollen! Wir hatten diesen Ort noch nie gesehen, aber auf der Karte war er vorhanden. So fuhren wir ihm entgegen durchs schöne Taubertal und durch verwinkelte Ortschaften, in denen viel sonntäglich vergnügtes Volk auf der Straße war.
An der richtigen Stelle, genau, wo es nach der Karte zu sein hatte, zweigte eine Nebenstraße ab. Einen Wegweiser gab es auch, ›Lausa 5 Kilometer‹ stand darauf – alles in Ordnung, unübertrefflicher Franz!
»Wir haben alle Zeit«, sagte ich. »Der Zug geht erst in dreiviertel Stunden! Der Ort da muß schon Lausa sein.«
Aber Suse ist nicht mehr so sehr für Langsamfahren, und ich bin es eigentlich auch nicht, wir fuhren mit fünfzig oder sechzig Kilometern dahin.
Unzweifelhaft liegt Lausa vor uns, wo es seinen Bahnhof hat, wird sich ermitteln lassen. Es ermittelt sich schon. Meine immer wachen Franz-Augen entdecken ein Schild ›Zum Bahnhof‹.
»Links!« brülle ich Suse an, und links fährt die Gute.
Im gleichen Moment erkenne ich, daß meine immer wachen, aber mit Brille bewaffneten, trotzdem etwas kurzsichtigen Augen mich getäuscht haben. Nicht ›Zum Bahnhof‹ steht da, sondern ›Zur Badeanstalt‹. Und Suse hat das bekannte Dreipunktschild entdeckt: ›Für alles Fuhrwerk verboten‹.
»Rechts!« brülle ich noch lauter. Und tröstend, während wir schon rechts durch das Gras sausen: »Es ist nur ein Grasgarten, wir sind sofort wieder auf der alten Straße!«
Aber das Gras hat uns einen tiefen Graben verdeckt, der zwischen Garten und Straße liegt – rums sausen wir in den Graben! Unsere Geschwindigkeit hatte sich durch die beiden Kurven vermindert, aber dreißig, vierzig Kilometer hatten wir noch immer darauf! Es polterte schrecklich, der Wagen flog hin und her, wie von einer Riesenhand gebeutelt, und da hielten wir! Heil und ganz – Gott sei Dank waren sämtliche Scheiben aus Sicherheitsglas. Keinem war etwas geschehen ...
Aufatmend sahen wir uns in die Gesichter.
Mit sanftem Vorwurf meinte Suse: »Wenn du mich bloß nicht immer so anbrüllen wolltest! Ich habe das Verbotschild wohl gesehen, aber wenn du derart ›Links‹ brüllst, dann muß ich einfach links fahren. Ich kann nicht anders.«
»Du hast vollkommen recht, Suse«, sagte ich zerschmettert. »Ich werde dich nie wieder in meinem Leben anbrüllen!«
(Ich hoffe, ich habe diesen Schwur wenigstens vierzehn Tage lang gehalten.)
»Ihre Frau fährt aber großartig«, sagte unsere Freundin von hinten. Sie hat eine kleine Pieke auf mich, sie findet immer, ich würdige die Vorzüge meiner Gattin nicht genug.
Ich schwieg, mir blieb nichts als Schweigen. Sie hatte ja recht: Suse fuhr großartig, und ich war ein irreführender Franz.
Wir stiegen mit Mühe aus dem schiefen Wagen und besahen unsere Lage. Zwei Räder, aber die Räder einer Seite, standen auf der Straße, die beiden anderen Seitenräder schwebten über dem Grabengrund. Mit dem Fahrgestell saß der Wagen auf.
»Ach, vielleicht tut er's«, sagte ich hoffnungsvoll. »Gib nur feste Gas, Suse!«
Suse gab feste Gas, aber die beiden Grabenräder drehten sich über der Leere, und die beiden Straßenräder faßten nicht.
»Warte!« rief ich eifrig. »Ich lege die Wagendecken unter, dann fassen sie!«
»Unsere schönen Wagendecken!« sagte Suse bedauernd.
Aber ich war in meinem Drang, den angerichteten Schaden durch zusätzlichen Schaden zu vergrößern, nicht zu hemmen: ich stopfte die Wagendecken unter die Räder. »Gib Gas!« rief ich.
Die Wagendecken wurden von den Rädern erst ein wenig durch den Straßenstaub gewühlt, dann verächtlich nach hinten geschleudert.
»So geht das nicht«, erklärte Suse und stieg wieder aus dem Wagen. »Du mußt Vorspann aus dem Dorf holen, irgend jemanden, der uns abschleppen kann.« Und besorgt setzte sie hinzu: »Hoffentlich ist dem Fahrgestell nichts passiert, es gab einen furchtbaren Krach, als wir aufsetzten!«
»Ja, und mir müssen Sie jetzt meine Koffer zur Bahn tragen«, sagte die Freundin nicht ohne Schadenfreude. »Es wird höchste Zeit. – Tjüs, Suse, es waren herrliche Tage, und laß dir nie etwas von deinem Mann einreden. Du bist die großartigste Fahrerin von der Welt! Mit dir würde ich immer fahren!«
»Beeile dich ein bißchen mit dem Vorspann, Junge!« sagte Suse mahnend. »Es ist nicht angenehm, hier Parade zu sitzen.«
Denn schon fing die sonntägliche Bevölkerung Lausas an, sich um den im Graben gelandeten Wagen zu sammeln.
Ich ergriff die beiden Handkoffer, die Dame machte nicht den geringsten Versuch, mir einen abzunehmen. (Ich hätte das ja nie zugelassen, aber trotzdem –!) Die Sonne brannte heiß, und schnell stellte sich heraus, daß der Bahnhof am anderen Ende Lausas lag. Lausa ist sehr langgestreckt. Es ist bestimmt der langgestreckteste Ort, den ich je in meinem Leben mit zwei schweren Handkoffern passiert habe.
Unsere liebe Freundin tat natürlich nach Frauenart überhaupt nicht, als merke sie etwas von meinem schweren Schleppen und Schwitzen. Heiter plauderte sie von dem schönen Maientag, und immer, wenn ich Anstalten machte, die Koffer einmal abzusetzen und zu verschnaufen, ermunterte sie mich: »Los! Los! Sie wollen doch nicht, daß ich meinen Zug versäume?!«
Ich wollte es nicht, sogar noch fünf Minuten zu früh kamen wir an. Nun aber duldete sie nicht, daß ich mich durch einen kühlen Trunk erfrischte, unbarmherzig scheuchte sie mich von hinnen: »Los! Los! Denken Sie an Ihre arme Frau, die da verlassen und angestarrt im Auto sitzt! Du lieber Himmel, hat es je eine so langmütige Frau gegeben –?! Ich, ich hätte Ihnen die Augen ausgekratzt, wenn Sie mich so in den Graben geschrien hätten!«
So angespannt durchirrte ich Lausa auf der Suche nach einem Vorspann. Ich fand keinen, niemand wollte an diesem Sonntag seine Pferde aus dem Stall ziehen, nicht für gute Worte und nicht für Geld, und Autos schien es in Lausa nicht zu geben. Wir Norddeutsche haben ja überhaupt im ›Musterländle‹ nicht viel Glück: man hält uns alle für Berliner, und die Schwaben lieben die Berliner nicht. So bekam vielleicht der Mann von der Wasserkante so viele Nein, die eigentlich dem Berliner galten.
Aufgelöst und ziemlich trostlos eilte ich zu Suse zurück. Wir würden den Wagen im Chausseegraben lassen und mit der Bahn nach Mergentheim zurückfahren müssen, dort einen Abschlepper zu finden. Ein verdorbener Sonntag!
Ich bog, immer eiliger laufend, um die letzte Ecke, und das gestrandete Auto kam in Sicht. Suse saß anscheinend behaglich in ihm und las ein Buch. Etwa zwei Schritte vor ihr standen auf der Straße ein gutes Dutzend Eingeborene, Männer und Jungmänner, und betrachteten schweigend die Leserin.
»Du liest?« fragte ich überrascht Suse.
»Ich tue, als ob ich läse«, antwortete sie und klappte den Hotelnachweis zu. »Seit einer halben Stunde betrachten sie mich, es ist ein wenig irritierend. – Nun, kommt Vorspann?«
»Nein«, sagte ich. »Niemand will kommen. Ich fürchte, wir müssen den Wagen vorläufig hier stehen lassen und mit der Bahn nach Mergentheim fahren.«
»Na schön.« Suse stand auf, ergeben in ihr Schicksal. »Dann wollen wir alles zusammenpacken und abschließen.«
Stumm sahen die Schwaben unserem Beginnen zu.
»Daß auch kein einziger Mensch vorspannen will!« rief ich in versteckter Anklage gegen die Zuschauer.
Ein biederer vierschrötiger Schwabe trat an den Wagen und legte seine große Hand behutsam auf die Motorenhaube. »Dös Wägele müßt man doch schiebe könne?« fragte er, zurückschauend auf die anderen. Sie murmelten beistimmend.
»Erlauben Sie mal!« rief ich, gekränkt in meinem Besitzerstolz. »Das Wägele wiegt gut seine dreiunddreißig Zentner! Da ist nichts mit Schieben!«
»Dreiunddreißig Zentner – und was ist denn dös?« fragte er verächtlich, streifte die Ärmel hoch und spuckte in beide Hände. »Kommt mal her und packt an! Dös werde wir gleich habe!«
Er verteilte seine Truppen, hauptsächlich im Graben, das Auto auf die Straßenseite hinüber zu drücken. Suse nahm am Steuer Platz, gab Gas – ein Keuchen aus Männerbrust: mit einem Ruck schoß der Wagen auf die Straße und stand!
Wir sahen uns in die freudestrahlenden Gesichter und schüttelten uns die Hände. »Ich sag's, wie's ist: ä Wägele!« sprach der Anführer, und diesmal hatte ich nichts zu protestieren. Im Gegenteil, ich stimmte lachend zu. Dann machte ich mich an eine von meiner Freude befeuerte Trinkgeldverteilung ...
Auf der Heimfahrt aber von dieser so glücklich abgelaufenen Grabenlandung schlossen Suse und ich einen Vertrag: ich würde von jetzt an meine Kommandos rechtzeitig geben und uns lieber einmal falsch fahren lassen, als schreien und im Graben enden. Und ich glaube, diesen Vertrag habe ich nach bestem Können gehalten. Ich lerne nur schwer, aber manchmal lerne ich im Leben doch noch etwas dazu. Besonders wenn es mir so leicht gemacht wird wie von Suse.
Die schönen Tage in Mergentheim neigen sich ihrem Ende zu. Nun ist es soweit: mit dem ausgebeulten Kotflügel fahren wir nach Würzburg zum Lackieren. Eigentlich ist das in sechs, acht Stunden gar nicht zu machen, aber als wir den Meister sehr bitten, geht es eben doch. Mit einem funkelnden Auto fahren wir heim nach Mergentheim, Suse fährt in die Garage und – kratz schrumm kratz! – ist der Kotflügel hinüber!
Lieber Leser, du denkst, ich stelle deine Langmut gar zu sehr auf die Probe. Aber es ist wahr, es ist keine Schriftstellerlüge, es ist gewißlich wahr. Ich kann ein notariell beglaubigtes Zeugnis von Suse beibringen, diesmal schwindle ich nicht!
Ich gebe zu, es klingt fast unglaublich, und doch ist es so. Wochenlang ist Suse mühelos in die Garage hinein- und herausgekommen, aber – merke wohl! – da waren die Kotflügel beschädigt. Sobald der Kotflügel heil war, passierte auch etwas. In den Sternen stand's geschrieben, daß wir in diesem ersten halben Jahr nie mit heilem Kotflügel fahren sollten. Dann änderten die Gestirne wohl ihre Stellung, und von Stund an geschah den Kotflügeln nichts mehr!
Suse bedrückte vor allem, daß sie wieder mit eingebeultem Kotflügel vor Onkel Herbert treten sollte! Doch das schafften wir, in langen Etappen fuhren wir heimwärts, und in der Stadt Celle erblühte unser Kotflügel zu neuem Glanz, der von Stund an nicht mehr lädiert wurde! Worauf Suse noch am Abend unserer Heimkunft dem Onkel Herbert lachend ihr Mißgeschick erzählte.
Anderthalb Jahre haben wir unseren Wagen gefahren, viele schöne Fahrten haben wir in ihm gemacht. Freunde hat er in unseren abseitigen Winkel geholt, die sonst nicht zu uns hätten kommen können, und zu Freunden sind wir mit ihm gefahren, denen wir sonst nur geschrieben hätten. Er hat unser Leben reicher gemacht, lebendiger. Nie wurde er mir etwas Alltägliches, Selbstverständliches, ich empfand ihn immer als ein beglückendes Geschenk.
Dann kam der Krieg. Eine letzte Fahrt machten wir noch mit ihm, unsern Jungen aus der Stadt Berlin zu uns zurückzuholen. Die langen Landstraßen waren fast leer, kaum ein Wagen begegnete uns. In Berlin stand alles an den Lautsprechern: Danzig war besetzt, der Krieg mit Polen begann ...
Suse fuhr den Wagen in die Garage, er wurde aufgebockt, abgeschlossen. Da stand er, der gute willige Gefährte, der Bringer vieler Freuden, Glück aus Lack, Leder und Stahl, ohne Leben. Ich besann mich auf meine alten Künste, ich kaufte mir ein Fahrrad und radelte wieder wie vor Jahrzehnten. Es erwies sich, daß ich das Radeln nicht verlernt hatte, nur fiel ich nicht mehr so gerne wie früher.
Allmählich wurde das Heiligtum, die Garage, zu einem Abstellplatz. Neben das Auto wurden Frühbeetfenster gesetzt, Angelgerätschaften, Ruder. Eine Obstbaumspritze wurde hineingefahren, sogar eine Jauchenpumpe. Als wir mit einem großen Hühnerkäfig gar nicht mehr wußten wohin, banden wir ihn dem Auto aufs Verdeck. Betrat man nun die Garage, so sah man den Wagen nicht mehr, man suchte das Pökelfaß oder ein Ruder. Immer dicker wurde die Staubschicht auf dem schwarzen Lack ...
Dann kam in diesem Winter der Tag, da das Auto zur Wehrmacht einberufen wurde. Jetzt holten sie unseren alten Gefährten!
»Also ist es soweit!« sagte ich zu Suse. »Ich denke, wir lassen den Wagen holen. Wer weiß, ob wir ihn in Gang kriegen!«
»Unter keinen Umständen!« rief sie. »Diese letzte Fahrt will ich selbst in meinem Wagen machen!«
Es war ein bitterkalter Januartag, zweiundzwanzig Grad unter Null, als wir den Wagen aus der Garage holten. Hühnerkäfig und Jauchenfaß hatten noch einmal weichen müssen, ehe sie die Alleinherrschaft in der entweihten Garage antraten. Stundenlang wirtschafteten wir mit dem Wagen herum, um ihn in Gang zu kriegen, füllten immer wieder heißes Wasser in den Kühler, erhitzten die Ölwanne mit einer Lötlampe – er wollte nicht.
Schließlich, nachdem wir drei Batterien leergestartet und alle Arme lahmgekurbelt hatten, zeigte sich, daß das Massekabel entzwei war. Ich hatte noch immer keine Ahnung, was das Massekabel war, aber ich nickte ernst mit dem Kopf und bestätigte, daß der Wagen unmöglich starten könne, wenn so viel Masse da sei ...
Also mußte der Wagen mit Pferden angeschleppt werden, und nun startete er! Die Pferde wurden abgehängt, und wie der Blitz fuhr Suse den Pendelschen Sandschmeißberg hinauf. Oben wartete sie auf uns, aber über dem Warten war der Motor von neuem entschlafen und startete wiederum nicht. Wir schoben ihn an, wir schleppten ihn an – schließlich kamen wir wieder in Gang! Nun stand unsere letzte Fahrt ein wenig unter der Angst, der Motor könne stillestehen und nicht wieder starten. Bei unserer ersten großen Fahrt hatten wir vor der Hitze Angst gehabt, wir hatten dem Motor Kühlung gefächelt. Auf der letzten Fahrt fürchteten wir die Kälte! Und dann das Massekabel! Verdammt!
Nun sitzen wir wieder wie früher im Wagen, hinten drin das Mückchen, ich als Franz neben der Suse. Aber es gibt nichts zu franzen, diesen Weg kennen wir, wie oft sind wir ihn gefahren! Ganz mechanisch greife ich in den Handschuhkasten und finde eine ganze Packung meiner geliebten, lange entbehrten Zigaretten! Guter, tüchtiger Wagen!
»Suse!« rufe ich. »Sieh mal – hier waren noch Zigaretten!«
»Großartig!« nickt sie. »Und merkst du, ich kann noch genau so fahren wie früher! Ich hatte ein bißchen Angst, ich hätte es verlernt, aber es geht großartig. Nicht einen Augenblick war ich unsicher!«
Aber wir wären doch nicht wir, wenn auf dieser letzten Fahrt alles glattgegangen wäre! Erst zwei Drittel unseres Weges liegen hinter uns, da stirbt der Motor dahin, der Wagen rollt aus, und wir halten. »Der Schnaps ist alle!« ruft Suse. »Ich sage es ja, warum haben die uns auch nur zehn Liter geschickt?!«
»Zehn Liter hätten schon gereicht«, sage ich. »Aber wir haben drei Stunden lang gestartet, damit haben wir eine Masse Brennstoff veraast! Was machen wir nun?«
Wir halten auf der freien Landstraße, in losem niedrigem Kiefernwald. Es sind noch immer zweiundzwanzig Grad Kälte, und der Wind pfeift. Rasch wird es kalt im Wagen.
Gottlob ist ein Waldwärterhaus in der Nähe, ich trabe dorthin, rufe die Wehrmacht an und bitte um einen Wagen, der uns Brennstoff bringt. Der Wagen wird sofort in Marsch gesetzt werden ...
Unterdes traben wir nun neben unserem immer kälter werdenden Auto auf und ab, mit den Armen schlagend, mit den Füßen trampelnd. Es dämmert schon, es ist nachmittags fünf Uhr, bis zwölf Uhr sollten wir den Wagen stellen!
Dann kommt der Wagen der Wehrmacht angeflitzt. Gott, wie diese Jungen in voller Fahrt wenden können, Suse erblaßt vor Neid! Der Tank wird gefüllt, Suse startet, und der Motor rührt sich nicht. Neue Versuche – umsonst! Ach, dieses elende Massekabel!
Also anschleppen – aber nun will unser alter Gefährte auch das nicht mehr, wir müssen uns abschleppen lassen. Unsere letzte Fahrt, am Seil, hinten steuert Suse den toten Wagen, vorne schleppt ihn solch kleiner Bursche mit dreißig oder vierzig PS! Vorbei, vorbei!
Es ist dunkel, als wir auf den großen Kasernenhof kommen. Die Musterkommission ist längst fort. Aber wir werden nicht getadelt, an diesem kalten Tag wird nicht auf militärische Pünktlichkeit bei Zivilisten gerechnet. Viele Wagen sind noch unterwegs, um die so lange stillgelegten Autos in Gang zu setzen oder abzuschleppen. Suse war bei weitem nicht die einzige, die noch einmal eine letzte Fahrt im eigenen Wagen tun wollte.
Das große Garagentor wird aufgemacht. Wir schieben unseren Wagen in die mollige Wärme, sorgsam wird er so gestellt, daß er mit dem Kühler an der Heizung steht. Hoffentlich ist der Kühler nicht eingefroren! Wir werden beruhigt, nein, der Kühler ist nicht eingefroren, morgen werden sie den Wagen schon in Gang bringen. Keine Angst, er wird tadellos laufen. Solch ein Wagen! Das bißchen Massekabel kriegen sie sofort zurecht!
Wir treten zurück in das Dunkel, in das eisige, winddurchbrauste Dunkel. Erst jetzt, da wir aus der warmen Garage kommen, merken wir, wie erfroren und hungrig wir sind. Seit dem frühen Morgen sind wir mit dem Burschen im Gang! Aber während wir irgendeinem Hotel zustreben, uns zu wärmen und zu essen, denken wir gar nicht an den eigenen Zustand, sondern wir sprechen nur von ›unserem‹ Wagen.
Es tut uns so gut, daß er nun in der Wärme steht, mit vielen, vielen anderen Wagen. Daß er von morgen an wieder laufen wird, wie es sein Beruf ist. Daß er nicht mehr bestaubt und vergessen in einer Garage steht mit Hühnerkäfig und Jauchenpumpe. Wir denken an die Soldaten, die ihn nun fahren werden, und wir wünschen, daß er sich ihnen ebenso geduldig und zuverlässig erweisen werde wie uns!
Wir reden von ihm wie von einem guten Menschenfreund, von dem wir Abschied genommen haben wie von einem lebendigen Wesen. Und für uns war er ja auch ein lebendiges Wesen, dieses Ding aus Eisen, Leder und Lack, ein Stück von unserem Leben!