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Das brave und das verflixte Rindvieh

Während ich ansetze, diese Zeilen zu schreiben, hallt meine Stube wider vom bald zornigen, bald klagenden Gebrüll unserer Olsch. Und ich weiß, dieser peinigende Lärm wird mich begleiten über diese Seite und über noch manche folgende, heute, morgen bestimmt auch noch, vielleicht sogar noch übermorgen, wenn wir beide es solange aushalten: ein fast pausenloses Gebrüll, tags wie nachts.

Ich bin eisern entschlossen, dieses Gebrüll zu ertragen, das mir Schlaf wie Arbeit verstört. Ich werde nicht nachgeben! Also muß die Olsch nachgeben. Aber wird sie es wirklich tun? Es klingt nicht danach, so brüllt sie bereits den vierten Tag! Ihr Brüllen klingt schon heiser, seit gestern bekommt sie auch kein Wasser mehr – ich will doch sehen, wer von uns beiden nachgibt: das unvernünftige Vieh oder die Krone der Schöpfung! Das wäre doch gelacht – oder wäre es etwa gebrüllt?!

Wir lebten in Frieden miteinander, mein Kühlein und ich. Wir waren mit ihr zufrieden, sie gab alle Tage an die zwanzig Liter Milch, sie war still und sanft, ohne alle Untugenden. Und auch sie schien zufrieden mit uns, gerne fraß sie ihre Portion Futterrüben und Wruken, darauf einen Arm Heu, darauf Stroh, so viel, daß sie satt wurde. Dann legte sie sich hin, käute wieder und produzierte Milch. Gott, sie war keinesfalls das Ideal einer Kuh; die Zeiten sind längst vorüber, da wir die beste Kuh landauf und landab im Stalle hatten. Man hat glückliche Zeiten mit seinem Vieh und weniger glückliche, aber so unselige Zeiten, daß wir mit unserer Kuh in Zwietracht lebten, haben wir jetzt zum erstenmal.

Gewiß, sie war immer ein bißchen altmodisch, unsere jetzige Olsch. Was wollen Sie? Sie stammt aus kleinen Verhältnissen, sie ist immer eine Einzelkuh von kleinen Leuten gewesen. Sie kam aus keinem Rittergutsstall, wo man fortschrittlicher denkt. Zum Beispiel war sie immer sehr gegen das Lüften – schien draußen die Sonne, und stellten wir das Stallfenster nur ein wenig auf, so nahm sie uns das gewaltig übel, gleich gab sie zwei, drei Liter Milch weniger! Gut, hierin gaben wir nach, wir waren nicht rechthaberisch. Wenn sie ihren Mief für Ozon hielt – bitte schön, von uns aus!

Aber in der Frage des Sauerfutters sind wir eisern, hier sind wir modern, weil wir modern sein müssen. Wir haben Madam nichts anderes mehr zu bieten als Sauerfutter, sieh es doch ein, Olsch, friß!

(Nein, sie sieht es nicht ein, sie brüllt immer weiter, jede Zeile lang mindestens zweimal!)

Ich habe es schon gesagt: bei Rüben, Heu und Stroh hat sich unsere Olsch sehr gut befunden. Aber ich kann auf meinem bißchen Acker nicht Rüben genug für die Kuh anbauen. Für solche Fälle ist das Sauerfutter erfunden. Man baut schön zementierte Gruben in die Erde hinein, in sie wird im Sommer Grünfutter eingestampft – in meinem Fall Süßlupinen –, ein kleiner Säurezusatz, Luftabschluß durch eine Lehmdecke – und nun säuert das Grünzeug angenehm bis in die Zeiten der Futterarmut hinein, eine Art olivgrünes Sauerkraut. ›Es wird begierig vom Rindvieh genommen, doch hüte man sich vor Verfütterung zu großer Mengen‹, heißt es in meinem Lehrbuch.

Pustekuchen! Die Olsch lehnt dieses moderne Sauerfutter entschieden ab! Wir haben es auf alle Weise versucht, es ihr mit Kleie schmackhaft machen wollen: sie leckt die Kleie ab und läßt das Sauerfutter liegen! Wir haben ihr nach und nach alles andere Futter entzogen, das Heu, das Stroh, schließlich das Wasser – denn das Sauerfutter ist naß, und vielleicht bringt der Durst die Olsch dazu, es zu fressen.

Nichts! Sie fischt eher nach jedem verlorenen Strohhalm ihrer Streu, den sie noch vor fünf Tagen nicht angesehen hätte. Manchmal, wenn der Hunger gar zu groß wird, nimmt sie ein paar Stengel Sauerfutter ins Maul. Sie priemt zögernd darauf herum, dann reißt sie das Maul auf, die Stengel fallen zur Erde, und sie brüllt, sie brüllt herzzerreißend.

Ihre Seiten sind schon eingefallen, der Milchertrag ist von zwanzig auf vier Liter heruntergegangen, und noch immer kein Nachgeben! Vielleicht wird sie morgen überhaupt keine Milch mehr haben, und was mache ich mit einer Kuh ohne Milch? Anderes Futter? Aber wir leben im Kriege, wir stehen am Ausgang eines harten Winters – niemand hat Futter abzugeben! Und da, in den beiden Säuregruben, ist Futter für fast ein Vierteljahr, es reicht, bis Grün genug auf Wiesen und Koppeln ist! So war es ausgerechnet, und nun will die Olsch anders rechnen!

Sieh es doch ein, Olsch, ich kann dir nicht helfen, du mußt das Sauerfutter fressen! Oh, dieses herzzerreißende Brüllen! In einem größeren Stall ist so was kein Problem: unter fünfzig Kühen, ja, schon unter zehn findet sich immer eine, der das Sauerfutter von Natur schmeckt. Darin sind die Kühe wie die Menschen: sie machen nach, was ihnen eine vormacht. Aber meine Olsch hat keine, die's ihr vormacht, sie muß es sich selber vormachen, und grade das will sie nicht!

Natürlich sind auch die Kinder aufgeregt, das Brüllen ist in ihrer Stube nicht zu überhören. Alle Augenblicke kommt eines: »Papa, hat die Kuh jetzt gefressen?«

Ich bin sehr ungnädig: »Ach, laß mich zufrieden! Das hörst du doch wohl, daß sie nicht gefressen hat!«

Und mein armer alter Futtersmann! Er ist schwer zuckerkrank, solchen Aufregungen ist er nicht mehr gewachsen. Ich finde ihn in einem Winkel zwischen Holzfeimen und Torfmull. Er hat die Hände gegen die Ohren gepreßt und starrt pieplings vor sich hin. Von meinem Kommen hat er nichts gemerkt. »Se fret nich, se fret nich!« jammert er mit seiner hohen alten Fistelstimme vor sich hin. »Lewe Herrgott, giv, dat se hüt fret! Mach doch zu, lewe Herrgott!«

Heute nacht bin ich von dem Gedanken (und von dem Gebrüll) wachgeworden, ich könnte mit dem Saatgut angeschmiert sein. Es waren vielleicht gar keine Süßlupinen, es waren vielleicht bittere Lupinen. Dann hätte die Olsch recht: bittere Lupinen darf man auch einer modernen Kuh nicht zumuten.

Der Gedanke ließ mir keine Ruhe. Im Bademantel, mit nackten Beinen, schlich ich zum Stall hinüber. Der Mond stand klar am Himmel, es ist der 31. März. Wir haben wieder fünf Grad Frost, noch immer läßt der Frühling auf sich warten. Noch kein Samenkorn in der Erde, noch keine Furche gepflügt! Sorgen. Sorgen. Durch eine dünne Wand von mir getrennt, brüllt die Kuh. Es klingt erschütternd in der Nachtstille. Ja, ich weiß, du hast Hunger, Olsch, ich würde dir gerne helfen. Jetzt fresse ich erst mal dein Sauerfutter, ich mache es dir vor, Olsch, ich, die Krone der Schöpfung!

Es schmeckt gar nicht unangenehm, schwach säuerlich, ein bißchen salzig. Nicht die Spur von Bitterkeit, mit dem Saatgut bin ich nicht angeschmiert. Du hast unrecht, Olsch! Du mußt nachgeben, dazu bist du verpflichtet, nach allen Fütterungsregeln und nach der ganzen modernen landwirtschaftlichen Wissenschaft!

Ich liege wieder im Bett. Das ungewohnte Sauerfutter grummelt und brummelt in meinem Magen. Mit dem Schlaf wird es wohl nicht mehr viel. Ich überlege, wie lange wir es wohl noch so aushalten, die Olsch und ich. Beinahe möchte ich ein Stoßgebet zum Himmel senden, wie mein alter Futtersmann. Ist man ganz hilflos, erinnert man sich wieder, wie schön es doch damals war, als man noch ungläubiggläubig beten konnte: »Lieber Gott, ich weiß, ich habe dreizehn Fehler im Extemporale. Mach doch bitte, daß es nur fünf sind, ja? Sonst kriege ich eine Vier!« –

Seit ich als sehr junger Mann Elevendienst auf einem thüringischen Rittergut tat, habe ich eine aufrichtige Vorliebe für Kühe. Da der Zug, der unsere Milch zur Stadt brachte, morgens um sechs Uhr fuhr, fing das Melken schon um drei Uhr an. Ich hatte die Aufsicht über das Melken, und so mußte auch ich jeden Morgen, alltags wie sonntags, um drei Uhr morgens im Stall sein.

Völlig verschlafen kam ich aus dem warmen Bett in den warmen Stalldunst. Am liebsten hätte ich mich zwischen zwei Kühen ins Stroh gehauen und hätte weitergeschlafen. Aber das ging nicht. Ich war Aufsichtsperson, ich hatte die Stallschweizer zu ordentlichem Melken anzuhalten.

Sie waren nicht weniger verschlafen als ich, und oft waren sie geneigt, ihre üble Laune an den Kühen auszulassen. Dann hallte der ganze Stall von unserm Geschimpfe wider, dazu brüllten die Kühe aus voller Kraft. Sie sehnten sich nach ihrem Futter, das erst gegeben wurde, wenn ausgemolken war.

Ich hatte Stichproben zu machen: ich hockte mich unter eine Kuh und strippte das Euter nach, ob die Schweizer auch den letzten Rest Milch ausgemolken hatten. Oder ich jagte nach den Katzen. Zur Melkzeit war der Kuhstall das Stelldichein sämtlicher Gutskatzen. Aus allen Ecken und Winkeln kamen sie geschlichen, begierig auf die kuhwarme Milch. Unser Inspektor, der auf den schönen Namen ›Kurzhals‹ hörte, hatte mich dafür verantwortlich gemacht, daß die Katzen nicht an die Milch gingen. Das sei eine Schweinerei. Er hatte mir auch einen künstlichen Griff gezeigt, wie man solch eine Katze, dieses zähe Tier, dem sieben Leben nachgesagt werden, im Bruchteil einer Minute erledigte, in aller Stille.

Auf die Stille kam viel an, denn jede umgebrachte Katze führte zu endlosen Streitereien, Krach, Feindschaft. Ich habe diesen künstlichen Griff nur einmal versucht, mit völligem Mißerfolg. Die Katze jammerte gellend, und gellend entrann sie mir. Von da an war ich für alle Leute der Katzenmörder, jede verschwundene Katze wurde mir in die Schuhe geschoben, und auf diesen Katzen ging es sich nicht wie auf Rosen. Oh, ich war bald der unbeliebteste Jüngling des Dorfes. Von Jugend ab ist mir die schöne Gabe abgegangen, fünf grade sein zu lassen, und ich erntete oft die Früchte davon. Ich litt schrecklich unter meiner Unbeliebtheit und konnte es doch nicht lassen, unermüdlich die sechs Gänge des großen Stalles mit seinen hundertzwanzig Kühen auf der Jagd nach naschenden Katzen abzustreifen.

Aber in meiner Unbeliebtheit und Verlassenheit waren mir schließlich die Kühe ein tiefer Trost. Sie waren so geduldig und sanft, sie hatten nicht das geringste gegen mich einzuwenden. Ich lernte sie lieben. Wenn ich mich unter eine von ihnen hockte, den Kopf in ihre Weiche stemmte, die Hände um die Striche des Euters legte – wenn dann der laue weiche Milchdunst zu mir aufstieg, die Kuh den Kopf wandte und mit ihren großen blauen Augen nach dem ungewohnten Melker sah, der keine rotweiß gestreifte Jacke trug, und wenn sie dabei ein wenig fragend muhte – dann fühlte ich mich geborgen.

Auch in all den vielen Jahren – es sind nun schon dreißig –, die auf meinen ersten Stalldienst folgten, ist mein Verhältnis zu den Kühen ungetrübt geblieben: alle waren sie fromm und sanft. Ich mußte es erst zu einer eigenen Kuh bringen, um zu erfahren, daß es auch bösartige Kühe gibt, wahre Teufelinnen in einer Rindshaut. Eine solche Teufelin überließ mir Herr Pendel. Sinnig hatte er sie Erikuh genannt; es war eine große Schwarzbunte, die schon vier- oder fünfmal gekalbt hatte, den Lauf der Welt und also auch das Melken schon hätte kennen müssen.

Aber weit von dem! Sobald sich nur ein Mensch ihrem Euter nahte, legte sie die Ohren zurück, fing an zu schnauben, und faßte man das Euter nur an, so schlug sie aus – aber wie! Sie tippte nicht etwa ziellos mit dem Hinterhuf ins Gelände, wie es etwa Kühe tun, die eine Euterentzündung haben und denen darum das Melken Schmerz bereitet – nein, die Erikuh zielte haargenau, und dann schlug sie zu! Der Eimer rollte auf den Boden, das bißchen gemolkene Milch versickerte, und glücklich der Mann oder die Frau, die noch Hand und Arme ohne Schaden in Sicherheit gebracht hatten: der Schlag einer Kuh kann einem den Knochen zerschmettern!

Wir ließen das Euter der Kuh untersuchen: keine Entzündung, kein Schmerz, keine Verdickung. Erikuh war einfach böse, wahrscheinlich hatte sie der tüchtige Herr Pendel durch ungeschicktes Melken oder Schläge verdorben. Melken war der Erikuh ein erwünschter Kampf, dies Aas freute sich direkt daran, wie es uns heiß machte.

Leider war Herr Pendel, als ich diese Vorzüge der Erikuh entdeckte, bereits in ferne Bezirke unseres deutschen Vaterlandes verzogen. Wie aber hatte er die Erikuh gemolken? Wir hielten Nachfrage und erfuhren, daß Herr Pendel die Erikuh auf Raten gemolken hatte. Immer wenn Bedarf nach Milch im Hause war, hatte Herr Pendel ein Töpfchen ergriffen und war damit in den Stall gelaufen. Stehend, in einem achtungsvollen Abstand, soweit ihn seine Arme nur erlaubten, hatte Herr Pendel mit einer Hand am Euter gestrippt, mit der andern das Töpfchen darunter gehalten, stets bereit zur Flucht. So hat er eigentlich den ganzen Tag über gemolken, nun ein achtel Liter und jetzt ein viertel Liter, und der streitsüchtigen Erikuh hatte er damit bestimmt ebensoviel Vergnügen gemacht wie dem Hellapferdchen mit seinen Bergfelder Ausfahrten.

Aber für einen gelernten Landwirt wie den Schreiber dieser Zeilen waren das natürlich untragbare Zustände. Meine Kuh wurde dreimal am Tage gemolken, wie sich das gehörte. Wir wollten uns doch nicht lächerlich machen! Wir waren neu zugezogen am Ort, und das ganze Dorf amüsierte sich über den Stadtmenschen, der mit seiner Kuh nicht fertig wurde! Ich ließ bekanntmachen, daß, wer meine Kuh melken könne und wolle, einer fürstlichen Belohnung teilhaftig werden solle.

Und sie erschienen, die Melkfrauen aus dem Dorf. Triumphierend, mit dem Eimer klappernd, ein Lächeln aus Überlegenheit und Mitleid auf den Lippen, so verschwanden sie im Stall. Spätestens fünf Minuten später tauchten sie wieder auf, die Stirne schweißnaß, das Haar in Zotteln hängend, das Kopftuch verrutscht. Hinter ihnen drein klang das triumphierende Brüllen der Erikuh! Die Zornigen empfahlen mir, dieses Mistvieh mit einer Axt aus der Welt zu schaffen, die Sanften schworen darauf, das Aas sei verhext!

Oh, was haben wir mit der Erikuh herumexerziert! Es fand sich ein mutiger Mann, ich setze seinen vollen Namen hierher, er hieß Wilhelm Schmidt, er war schon bejahrt und von Beruf Landarbeiter. Jeden Tag dreimal bestand er den Kampf mit der Erikuh. Er kam aus diesem Kampf schweißtriefend, oft mit zerrissener Weste, mit blutender Hand. Ach, was hat ihm die Erikuh alles versetzt. Aber er hielt durch, er melkte sie dreimal am Tage, wie es sich gehörte! Ein wahrer Held!

Um ihm seine schwere Arbeit zu erleichtern, ersannen wir ein listiges System aus Seilen: um jedes Hinterbein der Erikuh wurde eine Seilschlinge gelegt, am Ende von jedem Seil stand ein Mann. Wollte Erikuh ausschlagen, riß der Mann am Seil dagegen, und Erikuh bekam das Bein nicht hoch. Aber sie war listiger, zog später jemand am Seil, so schmiß sie sich hin – und welches Theater, sie wieder hochzukriegen! Zudem ist das Melken einer Kuh mit drei Männern etwas kostspielig.

Aber schließlich kriegten wir sie doch! Wir zogen ihr einen Ring durch die Nase, wie man es bei Bullen tut, und in der Wand vor ihr, ziemlich hoch über ihrem Kopfe, wurde ein zweiter Ring eingemauert. Vor dem Melken nun wurde die Kuh an diesen Ring in der Wand mit dem Nasenring eingehängt, und zwar so, daß sie den Kopf sehr hoch halten mußte. Wollte sie nun ausschlagen, so tat es einen Riß in der Nase, der ihr wehtat, und sie ließ das Ausschlagen.

Natürlich versuchte sie nach kurzem, das Anhängen an den Wandring zu vereiteln, aber da kriegten wir sie jedesmal. Schwierig und anstrengend blieb das Melken immer. Nachdem wir Sieger geblieben waren, hatten wir deswegen beschlossen, sie dem Fleischer zu verkaufen, wenn sie sich nicht besserte. Wir hofften auf die demnächstige Geburt, auf die milderen Gefühle der Mutter. Aber war sie vor der Geburt eine Teufelin gewesen, so war sie nach ihr des Teufels Großmutter selbst – wir molken sie ein wenig ab, und dann bekam sie der Fleischer. Wir haben Pendels Erikuh keine Träne nachgeweint.

Ich habe es schon früher gesagt: man hat glückliche Zeiten im Stall und unglückliche. Eigentlich kann man wenig dazu tun. Es folgten ruhige Jahre, in denen der Kuhstall kein Problem war, in denen ein nie versiegender Strom Milch sich ins Haus ergoß, Tag für Tag, als könnte es gar nicht anders sein. Es folgte jene treffliche Kuh, die ein freundlicher Landwirt mich aus den sechzig Kühen seines Musterbestandes aussuchen ließ, und ein guter Engel ließ mich seine beste finden. Nach Jahren mußten wir uns von ihr trennen, weil sie sich weigerte, wieder Mutter zu werden. Sie blieb namenlos, all unsere Kühe hießen von da an nur Olsch. An dem Namen Erikuh hatten wir genug.

Der einen Olsch folgte eine andere Olsch, die noch besser war. Wieder war das Glück mit uns gewesen. Tief in der Forst, in einem Waldarbeiterhaus, das Saugarten hieß, begegneten wir einem wahren Ungetüm von Kuh, die frischmelkend zum Verkauf stand. Selten habe ich eine so häßliche Kuh gesehen. Sie war ein wahrer Kleiderständer: überall aus ihrem Leib standen Knochen hervor, an denen man mit Bequemlichkeit Mantel und Hut aufhängen konnte. Aber eine Ahnung sagte mir: Kauf diese Kuh! Du wirst es nicht bereuen!

Ich kaufte diese Kuh, und ich bereute es nicht. Zwar, sie fraß so viel, wie sonst keine zwei Kühe fressen – und das war auch der Grund, warum der Waldarbeiter sie verkauft hatte: diese Kuh fraß einen kleinen Mann arm! Aber dafür gab sie auch Milch, frischmelkend gab sie fast vierzig Liter am Tag, und sie fraß alles, was ihr vors Maul kam, sie war nicht wählerisch. Dabei blieb sie immer knochig und scheußlich anzusehen! Aber welche Milchfülle, und wie leicht kalbtest du!

Ja, mit dem Kalben habe ich immer Glück gehabt, nicht nur bei diesem Knochensack, sondern bei allen meinen Kühen. Von jenen Jugendtagen an im Thüringer Rittergutsstall hatte ich Geschick für die Geburtshilfe beim Vieh. Meine Kühe und ich, wir machten die Geburten stets untereinander ab, nie brauchten wir einen Tierarzt oder andere Hilfe.

Aber wie bei allen Dingen meines Lebens mischte sich ein Tropfen Wermut in jedes Glück. Nur Glück habe ich nie gehabt, immer war irgendein Haken dabei. Ja, bei meinen Kühen gingen die Geburten stets glatt, aber wie erging es mir dabei –?

»Junge«, sagte Suse zu mir, »die Olsch muß nun bald kalben. Bitte, paß ein bißchen mit deinen Sachen auf, zieh in den nächsten Tagen nicht grade deinen besten Anzug an!«

»Natürlich nicht«, antwortete ich. »Ich pass' schon auf, diesmal soll sie mich nicht drankriegen!«

Und immer kriegten sie mich dran, meine Olschen! Sie vertrödelten ihre Geburt ganz unbegreiflich, oder sie beeilten sich viel zu sehr. Im Hause saß mir irgendein feudaler Besuch, dem zu Ehren ich mich festlich gewandet hatte. Eine Ahnung trieb mich in den Stall – und da schauten mich schon die wachsgelben Klauen des Kälbleins aus dem Leibe der Kuhmutter an. Sanft, Hilfe erheischend, muhte die Olsch.

Da gab es kein Zögern, da war keine Zeit zum Umziehen mehr, da hieß es zugegriffen und los! Erst wenn ich das Kalb, säuberlich mit Schrot bestreut, der Olschen zum Trockenlecken unter die Nase gelegt hatte, besann ich mich wieder auf meinen Anzug. ›Knep und Schet‹ sagen sie auf Rügen. ›Schietig‹ sagen sie bei uns im Dorf. »Als wenn ich es mir nicht gedacht hätte!« sprach meine Geduldige. »Ich werde den Anzug erst einmal waschen und dann zum Reinigen schicken. So kann ich ihn nicht aus dem Hause geben. Aber das muß dir klar sein, ein neuer Anzug wird dies nie wieder!«

»Na ja!« antwortete ich ein wenig verlegen. »Dafür ist mit dem Kalb aber alles prima gegangen.«

»Es könnte ja mit den Kälbern auch einmal prima gehen«, wurde nun gesagt, »ohne daß du deinen besten Maßanzug einsaust!« –

Als ich vor nun achtzehn Stunden mit der Niederschrift dieses Abschnitts begann, sagte ich, daß meine Stube widerhallte vom Gebrüll der hungernden und dürstenden Olsch. Hat der Leser meine dem Sauerfutter abgeneigte Kuh vergessen? Ich nicht eine Stunde lang! Alle diese Zeit hat sie meine Ohren mit ihrem Gebrüll angefüllt, mahnend, schmerzlich.

Nun ist es still geworden. Hat sie etwa nachgegeben und Saures gefressen? Oder habe ich nachgegeben und ihr andere Speise vorgelegt?

Ehe ich weiter berichte, wie nach den langen glücklichen Jahren mit Wahlkuh und Knochensack das Unheil mit immer schwärzerem Gewölk über meinem Kuhstall aufzog, will ich kurz erzählen, was wir in diesen achtzehn Stunden vorgenommen haben, warum die Olsch plötzlich ruhig geworden ist.

Auf den Rat eines erfahrenen Mannes salzten wir das Sauerfutter und boten es ihr in dieser Form. Sie hob die Nase und brüllte.

Auf den Rat eines anderen erfahrenen Mannes stellten wir eine Mischung aus Heu, Stroh und Sauerfutter her, ließen diese Mischung die Nacht durch stehen und boten sie dann der Kuh an: sie hob die Nase und brüllte.

Über Nacht war mir selbst noch etwas eingefallen: wir haben einen Mann im Dorf, einen echten Hiob, den alle Plagen der Landwirtschaft heimsuchen. Nie hat dieser Mann genug Futter für sein Vieh. Seine Kühe, die wie schulpflichtige Kälber aussehen, werden nie satt. Jetzt, zum Ausgang des Winters, da es noch nichts Grünes gibt, hungern sie meistens.

Zu diesem Mann bin ich heute vormittag gegangen und habe ihn gebeten, mir eine seiner Kühe für ein paar Tage in Pension zu geben. Ich habe die schwache Hoffnung, die Unverwöhnte wird meiner Starrköpfigen das Sauerfutter wegfressen. Und wird es ihr weggenommen, was sie zwar nicht schätzt, wird sie es doch der andern nicht gönnen, sondern es lieber selber fressen – so sind die Kühe! Der Mann sagte gerne ja, war er eine Fresserin für ein paar Tage los!

Vor einer halben Stunde ist die Kuh eingetroffen. »Die Zicke ist dor!« meldete mein Futtersmann. Sie standen nebeneinander und sahen sich an. Für den Augenblick verschlug der unerwartete Besuch meiner Olschen die Sprache, für einen Augenblick vergaß sie sogar ihren Hunger.

Aber jetzt, da ich mit meinem Bericht soweit gekommen bin, brüllt sie schon wieder. Sie brüllt lauthals, und sie wird noch bis sechs Uhr, zur Futterszeit, brüllen müssen. Dann werden wir sehen! (Und wenn sie nun beide das Sauerfutter nicht fressen? Wenn sie sich in ihrer Abneigung bestärken?)

Unterdes fahre ich in meiner Erzählung vom Knochensack fort. Der mutige Kuhmelker Schmidt hat mich seit Jahren verlassen, statt seiner kam der ›Opa‹. Der Opa war, als er zu mir kam, schon siebzig, auch konnte er nicht melken, ich war recht bedenklich wegen des Opa.

Aber Opa war eine Perle beim Vieh. Gelernt hatte er die Maurerei, und zwar jene heute immer seltener werdende Kunst des Feldsteinmauerns. Wenn das alte verhutzelte Männlein vor solch einem Feldstein von zehn oder zwölf Zentnern saß, den das Geschiebe der Eiszeit aus Schweden in unser Land getragen hat, wenn er den Stein scharf immer wieder ansah, seinen Steinhammer in der kleinen Hand, so dachte man, nie würde er des Steines Herr werden.

Opa aber sagte: »So 'nen Stein muß man kaputt kieken, nich kaputt hauen!«

Und er kiekte den Stein solange an, bis er eine Ader oder eine mürbere Stelle entdeckt hatte, dann erst führte er den Schlag, von dem der Stein zersprang. Unsereiner hätte wohl sinnlos darauflosgehauen und wäre eher kaputt gewesen als der Stein. Viele schöne Steinstufen und Beetkanten aus schwedischem Granit hat der Opa für meinen Garten geschlagen und gemauert, das ist ein Mauerwerk, das noch für meine Enkel hält.

Ich weiß nicht, warum sich's der Opa nicht mit seinem so trefflich ausgeübten Maurerhandwerk genug sein ließ, jedenfalls ging er als junger Mann noch einmal in die Lehre und wurde Sattler. Er flickte uns alles Geschirr auf dem Hof, er machte uns Hundeleinen, und wurden Besen gebraucht, so machte er die auch. Opa war zu allem zu brauchen, er konnte mähen und pflügen und Kunstdünger streuen, nur melken konnte er nicht, und das wollte er auch nicht lernen.

Melken war Weiberarbeit, und Opa hielt mit seinen Siebzig noch streng auf sein Mannestum. Die einzigen Schwierigkeiten, die ich je mit Opa hatte, kamen daher, daß er manche Arbeiten nicht tun wollte. In einer so kleinen Wirtschaft wie der meinen muß jeder eigentlich alles tun, aber Opa weigerte sich, Unkraut zu jäten, Erdbeeren zu pflücken – aber Äpfel pflücken war Männerarbeit! – und zu melken.

Schließlich gab ich seinen kleinen Eigenheiten nach. Opa war so nützlich, und wie gedieh das Vieh unter seiner kleinen gichtischen Greisenhand! Kam er nur in den Schweinestall, so grunzten die Säue. Sie schoben sich an ihn heran, um gekrault zu werden, vor Wonne röchelnd sanken sie langsam, hingebend zu Boden. Bei Opa waren die Schweine nie schmutzig, er gewöhnte ihnen ein Klosetteckchen an, weiß der Teufel, wie er es anfing, es grenzte an Zauberei. Und wie nahmen die Schweine bei ihm zu! Wahre Kolosse haben wir bei ihm geschlachtet, ohne erheblichen Futteraufwand!

Wie bei den Schweinen, so ging es bei der Kuh. Sie gedieh, nie Krankheit, nie Futtersorgen, immer blank die Krippe, der Stall, die Kuh! Es gibt eben doch Menschen, die eine glückliche Hand haben! Eine solche glückliche Hand habe ich immer im Haus, seit ich verheiratet bin, unter ihr gedeiht alles, sogar der Mann.

Zu solch glücklicher Hand gehört aber auch ein glückliches Temperament, und das hatte der Opa. Eigentlich redete er nie viel, aber jedesmal, wenn er in die Küche kam, gab es bei unsern jungen Mädchen Gelächter. Opa war nun einmal zu spaßig, er konnte die harmloseste Bemerkung machen, es wurde gelacht!

Am niedlichsten aber war Opa, wenn er am Sonnabendnachmittag zum Einkaufen in die Stadt fuhr. Das Einkaufen war seine Sache, wie der Geldbesitz seine Sache war. Manchmal hatte er das ganze Haus voll Frauen: Eheweib, Tochter, Enkelkinder, allesamt weiblich. Aber von seinen Rechten gab er kein Tittelchen auf, er verdiente das Geld, also gab er es auch aus!

Für solche Besorgungsfahrt war Opa dann ganz glatt rasiert, trug eine schöne grüne Joppe mit einem Rucksack hinten drauf, Stulpenstiefel, spiegelnd geputzt, und er saß auf einem uralten Rade mit weitgebogenem Lenker, kerzengrade. Unter der blauen Schirmmütze funkelten die hellen Greisenaugen nur so von Lebenslust und Humor, die glatten Bäckchen waren knallrot.

Kam dann Opa Punkt sechs von seiner Besorgungsfahrt wieder in den Stall zum Füttern, war's für die jungen Mädchen nicht ratsam, ihm zu nahe zu kommen. Einmal in der Woche leistete sich Opa ein paar Schnäpschen, die machten ihn wieder jung.

Es war ein schlimmer Tag für mich, als Opa mir sagte, er wolle nun nicht mehr weiter bei mir arbeiten. Da war er fünfundsiebzig Jahre alt, die Frau war ihm gestorben, und seine Kinder wollten den alten Vater bei sich haben.

»Ach, Opa!« rief ich. »Was werden wir denn ohne Sie anfangen?!«

Aber der Opa hatte schon alles bedacht. Er hatte mir einen Nachfolger ausgesucht, mit ihm Lohn und Futtermethoden besprochen, die Launen des Chefs, die Fruchtfolge, ich hatte nur ja zu sagen. Ich sagte ja.

Aber mit Opa ist das Glück aus unserm Stall gegangen, trotzdem sein Nachfolger auch ein Opa war, freilich fünfzehn Jahre jünger als der echte. Wir sagen zu ihm auch nicht Opa, alle, auch die Kinder nennen ihn nur ›Herr Mittenzwey‹. Es ist jener arme Zuckerkranke, der ein Stoßgebet zum lieben Gott empor schickte, daß die Olsch das Sauerfutter fressen möge. Er gibt sich alle Mühe, er füttert und füttert, aber die Schweine bleiben dürr und sind ewig schietig, die Karnickel krepieren Stück um Stück, die jungen Enten holen die Ratten – unser Glück hat uns verlassen.

Und die Kühe, unsere Olschen? Der Knochensack, der uns so viele Jahre treu gewesen war, blähte sich plötzlich auf, wurde rund wie eine Trommel. Der Trokar half nicht mehr, sie mußte notgeschlachtet werden, die brave Olsch.

Ihr folgte eine kleine, hübsche Bauernkuh, nicht das, was wir besessen hatten, aber immer noch ein nettes Kühlein: sie stand keine vier Wochen im Stall, da kam aus ihrem Euter statt guter Milch Klumpen und Fetzen, Blutgerinnsel. Fort mit der Bauernkuh zum Schlächter!

Eine Bäckerskuh hielt ihren Einzug, hochtragend wurde sie gekauft. Aber beim Transport erkältete sie sich, sie verkalbte, und statt der versprochenen dreißig Liter Milch gab sie nur zehn! Hat man nur eine Kuh im Stall, kann man sich eine schlechte Melkerin nicht leisten. Fort mit der Verkäuferin, eine neue her!

Diesmal wollten wir ganz sichergehen, wir wendeten viel Geld an und kauften auf einer Zuchtviehversteigerung eine prämiierte Kuh mit Stammbaum und garantierter Milchleistung. Auch diese Kuh war hochtragend, sie reiste in einem Waggon von Rostock bis zu uns. Auf der einen Seite war sie angebunden, Otter Ia hieß sie, auf der andern Seite war ein Jungbulle festgemacht, den ein Rittergut in der Nähe sich ersteigert hatte.

Ach, es ist Krieg, die Rinderstricke taugen nichts mehr, der Bulle hat sich losgemacht und hat während der langen Bahnfahrt meine Hochtragende mißbraucht. Als wir die Waggontür aufmachen, dampfen die beiden Tiere, sie sind wie aus dem Wasser gezogen! Und wieder kalbt meine Kuh zu früh, wieder melken wir statt dreißig Liter kaum zehn!

Noch nicht genug des Unheils? Noch immer nicht genug Geld ausgegeben?! Sogar die geduldige Suse sagt: »Willst du wirklich noch eine Kuh kaufen?! Hast du noch nicht genug Pech gehabt?! Mach eine Pause, Junge, man kann das Glück nicht zwingen!«

Das wollen wir doch einmal sehen! Ich soll nachgeben? Nie! Und wenn ich mein ganzes Geld in den Kuhstall stecke, ich will eine Milchkuh im Stall haben, kein Trockengestell!

Nach langem Wählen und Prüfen kaufe ich die Kleine-Leute-Kuh. Vor anderthalb Jahren hätte ich solch Kühlein noch nicht angesehen, aber ich bin ja so bescheiden geworden, jetzt erscheint sie mir mit ihren zwanzig Litern schon phantastisch! Aber nun muß sie mir mit diesem Sauerfutter einen Streich spielen. Heute habe ich nur drei Liter in die Molkerei geschickt! Wenn sie sich nur gibt, wenn sie nur nachgibt!

Brüllt sie jetzt, während ich dies schreibe? Nein, sie brüllt nicht, es ist still auf dem Hof, so still, daß ich den Puter bis in mein Zimmer kollern höre. Und der Tauwind stößt gegen mein Fenster. Das Eis des Sees, auf das ich schaue, ist grauschwarz geworden – vielleicht bekommen wir selbst nach diesem endlosen Winter jetzt einen Frühling!

Das Kollern des Puters, jetzt das Krähen eines Hahnes, und immer der Tauwind, das sind die Geräusche, die ich höre – kein Kuhgebrüll. Seit die Hungerkuh ihren Einzug hielt, die ich mir borgte, sind wieder achtzehn Stunden vergangen – wir haben es geschafft! Die Kuh frißt das Sauerfutter, unsere Olsch hat sich zu modernen Fütterungsmethoden bekannt. Die Wandlung setzte mit dem Augenblick ein, als die geliehene Hungerkuh unsern Stall betrat. Das ist nun schon wieder zwei Tage her, heute schreiben wir den 3. April. Aber ich wollte es nicht eher verraten, ich wollte ganz sichergehen ...

Jetzt bin ich ganz sicher.

Neue Kuh und alte Kuh sahen einander an. Dieser unerwartete Besuch im einsamen Stall verschlug unserer Olsch erst einmal das Hungergebrüll. Sie glotzten, beide standen sie vorm leeren Trog. Ach, unsere Kuh, so sehr sie auch nach sechs Tagen Hungerns und Dürstens zusammengefallen war, sah noch fettleibig aus gegen dies arme Geschöpf, das wohl nie in seinem Leben ordentlich satt geworden war. Vorne spitz und hinten gar nichts, Knochen und Löcher, ein Leib wie ausgedörrt und ein Euterchen wie bei einer Sterke!

Aber der Kopf mit dem kleinen Horn war schön, und schön war vor allem das lebhafte Auge, dieses blaue Auge, das immer etwas verwundert und etwas traurig schaut. Sie hatte Anlagen mit auf die Welt gebracht, diese Hungerkuh, man sah es an Kopf und Auge. Sie war nicht von schlechten Eltern, aber sie hatte nie im Leben eine Chance gehabt. So taugte sie nicht einmal was für den Fleischer. Fünf Liter Milch sollte das Prachttier am Tage geben, und es war ziemlich frischmelkend.

Nachdem die beiden miteinander Bekanntschaft geschlossen hatten, fing unsere Olsch wieder mit ihrem Hungergebrüll an, zage und schüchtern mischte die Neue ihre Stimme darein, es klang, als mähte ein Schaf. Ich ließ sie brüllen bis sechs Uhr, bis zur richtigen Futterzeit. Dann nahm ich das Gemisch aus Stroh und Heu und Sauerfutter auf die Gabel und warf es ihnen vor. Ich gestehe, mein Herz klopfte, es war ein spannender Moment: würden sie nun beide streiken und einander in ihrer verhängnisvollen Abneigung bestärken?

Es war einfach lächerlich anzusehen: die Hungerkuh nahm sich nicht einmal Zeit, das Futter zu besehen oder zu beriechen. Es lag noch nicht richtig vor ihr, so hatte sie schon das Maul voll und kaute los! Unsere Olsch, die grade anfing, unmutig muhend in dem verhaßten Futter zu wühlen, warf einen erstaunten Blick auf die Nachbarin: so etwas fraß man also unter anständigen Kühen –?!

Aber es wurde ihr keine Zeit zu langem Überlegen gelassen. Das erste Maulvoll war schon verdrückt, und trotzdem die Hungerkuh einen ganzen Haufen Futter vor sich liegen hatte, langte sie zu der Nachbarin hinüber und riß ihr das Futter vor der Schnauze fort. Dies war unserer Olsch denn doch zuviel, die Hörner klangen aneinander, und die Olsch hatte sich ein Maulvoll Futter von der Hungerkuh geholt. So, im unedlen, futterneidischen Wettstreit, fraßen sie immer eine der andern das Futter weg, in einer Viertelstunde war der Trog leer. Unserer Olsch war dabei gar nicht so recht klar geworden, daß sie das verhaßte Sauerfutter gefressen hatte.

Der Besitzer der Hungerkuh heißt mit Vornamen Paul oder, wie man hierzulande sagt, Päule. »Den Dunner!« sprach mein Futtersmann und kratzte sich den grauen Kopf. »Frißt der Päule unserer Olsch das Futter vor – das hätten wir vor drei Tagen wissen sollen, Päule!«

»Seien wir froh, daß wir es heute wissen«, antwortete ich, erleichtert aufatmend. »Sind wir die Sorge doch wenigstens los!«

Ich habe dem Frieden weiter mißtraut. Mit Begeisterung frißt unsere Olsch das Sauerfutter noch immer nicht, und Päule hat nur einen kleinen Magen. Päule ist immer gleich satt und läßt dann unserer Olsch kampflos das Futter. Aber wir sind wohl über den Berg, auch ohne Konkurrenz priemt die Olsch jetzt langsam weiter. Und Päule bekommt sehr schnell wieder Hunger.

Eben haben wir gemolken. »Na –?« fragte ich die Melkfrau.

»Unsere gibt schon wieder fünf Liter«, meldete sie, »und Päule gibt auch schon einen halben Liter mehr.«

»Guter Päule!« dachte ich und sah liebevoll die spitze Ziege an. Ich hätte nie gedacht, daß ich eine so jämmerliche Kuh so liebevoll ansehen könnte.


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